13.12.2017 Aufrufe

Leseprobe Soziale Sicherheit 11_2017

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Position<br />

Beitrag zur Arbeitslosenversicherung nicht senken<br />

Schon in den allerersten Papieren aus den Sondierungen<br />

zur Jamaika-Koalition war die Festlegung zu lesen, dass<br />

die Beiträge zur Sozialversicherung nicht über 40 Prozent<br />

steigen dürften. Klingt erst einmal gut, ist aber brandgefährlich:<br />

Diese selbst gesetzte Grenze ist nämlich schon<br />

fast erreicht.<br />

Dabei wissen wir alle, dass in den nächsten Jahren<br />

angesichts der Altersstruktur unserer Gesellschaft Beitragsanhebungen<br />

in der Pflege und in der Rente gar nicht<br />

zu vermeiden sein werden, von Konjunktureinbrüchen, die<br />

hoffentlich nicht eintreten werden, gar nicht zu reden. Fixiert<br />

eine neue Bundesregierung jetzt die 40 Prozent als<br />

Obergrenze, steht zu befürchten, dass dann, wenn eigentlich<br />

die Beiträge ansteigen müssten, stattdessen die Leistungen<br />

gekürzt werden. Es sei denn, man glaubt jahreszeitgemäß<br />

an den Weihnachtsmann und daran, dass eine<br />

Regierung mit FDP-Beteiligung für höhere Steuerzuschüsse<br />

für die Sozialversicherungen sorgt, um gute Leistungen<br />

sicherzustellen.<br />

Vor diesem Hintergrund ist die jetzt laufende Diskussion<br />

um die Absenkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung<br />

mit besonderen Risiken behaftet, weil ein<br />

Rückweg angesichts der Obergrenze bei den Beiträgen<br />

versperrt wäre, zumindest aber ausgesprochen steinig. Je<br />

tiefer die Senkung – der Sachverständigenrat schlägt völlig<br />

unverantwortliche 0,5 Prozent vor – desto schwerer der<br />

Rückweg.<br />

Aber vielleicht macht die Absenkung ja Sinn? Schließlich<br />

macht die Bundesagentur für Arbeit (BA) wegen der<br />

guten konjunkturellen Lage derzeit Milliarden Überschüsse.<br />

Stimmt, aber die werden auch gebraucht: als Reserve,<br />

damit die BA bei einem Konjunktureinbruch handlungsfähig<br />

ist. Kein Zweig der Sozialversicherung ist so konjunkturanfällig<br />

wie die Arbeitslosenversicherung: Werden viele<br />

Menschen arbeitslos, sinken die Beitragseinnahmen und<br />

steigen die Ausgaben – und zwar schnell.<br />

Zur Erinnerung: Als die Finanzkrise 2010 zu Ende ging,<br />

waren die Kassen der BA leer. Die Agenturen hatten 22<br />

Mrd. Euro in die Krisenbewältigung investiert, 17 Mrd.<br />

davon aus Rücklagen – u. a. für Kurzarbeit, Arbeitslosengeld<br />

und Weiterbildung. So war ein massiver Anstieg der<br />

Arbeitslosigkeit verhindert worden und die Wirtschaft war<br />

startklar, als die Konjunktur wieder anzog. Bis heute wird<br />

dieses Handeln europaweit als vorbildliche Krisenbewältigung<br />

betrachtet. Möglich war es aber nur, weil die Arbeitslosenversicherung<br />

liquide war und nicht in der Krise die<br />

Beiträge erhöhen musste.<br />

Wenn die Beiträge nicht ausreichen, hätte die BA theoretisch<br />

die Möglichkeit, ein Darlehen beim Bund aufzunehmen,<br />

das aber später wieder zurückgezahlt werden muss.<br />

So kann sie schnell in eine finanzielle Schieflage geraten,<br />

die sie massiv unter Druck setzt, auf Kosten der Arbeitslosen<br />

die Leistungen zu senken. Dies betrifft dann vor allem<br />

die so genannten Ermessensleistungen, also die Leistungen,<br />

auf die kein unmittelbarer Rechtsanspruch besteht.<br />

Das wären in erster Linie Leistungen für Weiterbildung,<br />

das Nachholen von Schulabschlüssen und das Programm<br />

»Zweite Chance«, das jungen Menschen, die bereits über<br />

25 Jahre alt sind, helfen soll, noch einen Berufsabschluss<br />

zu erreichen. Auch die Programme zur Rehabilitation von<br />

Behinderten könnten gefährdet sein.<br />

Der BA-Verwaltungsrat sieht sich deshalb in der Pflicht,<br />

Risikovorsorge zu treffen. Ein Gutachten des wissenschaftlichen<br />

Institutes der BA – des Instituts für Arbeitsmarkt<br />

und Berufsforschung – beziffert den Vorsorgebedarf auf<br />

ca. 20 Mrd. Euro. Das ist mit Blick auf die vorherigen Perioden<br />

plausibel. Derzeit beträgt die Rücklage rund 12 Mrd.<br />

Euro, auch im laufenden Jahr wird die BA die Rücklage weiter<br />

aufstocken können. Darüber, die Rücklage auf 20 Mrd.<br />

Euro aufzustocken, gibt es in der Selbstverwaltung der BA<br />

über alle Bänke hinweg Einigkeit.<br />

Danach gehen die Auffassungen von Arbeitgebern und<br />

Gewerkschaften auseinander: Während die Bundesvereinigung<br />

der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) die<br />

Beiträge senken will, sieht der Deutsche Gewerkschaftsbund<br />

(DGB) die Notwendigkeit, Leistungen zu verbessern<br />

und Löcher im Schutzschirm der Arbeitslosenversicherung<br />

wieder zu schließen. Heute befindet sich nur noch ein Drittel<br />

der Arbeitslosen in der Arbeitslosenversicherung, zwei<br />

Drittel sind in Harz IV. Jeder vierte, der arbeitslos wird, wird<br />

direkt in Hartz IV durchgereicht, weil diejenigen, die in<br />

Leiharbeit gehen, befristet beschäftigt sind oder in Saisonberufen<br />

arbeiten, oft den Schutz der Sozialversicherung<br />

gar nicht erreichen. Als ersten Schritt, um das zu ändern,<br />

fordert der DGB, die Rahmenfrist, in der Arbeitslose einen<br />

Anspruch auf Arbeitslosengeld erwerben können, wieder<br />

von zwei auf drei Jahre auszuweiten.<br />

Hinzu kommt, dass die Bundesagentur sich für Zukunftsaufgaben<br />

gut aufstellen muss: Bei der Bewältigung<br />

der massiven Veränderungen in der Arbeitswelt durch Digitalisierung<br />

und Strukturwandel brauchen Arbeitnehmerinnen<br />

und Arbeitnehmer Unterstützung. Gerade Weiterbildung<br />

von Arbeitslosen wie Beschäftigten muss – unterlegt<br />

mit Rechtsansprüchen – auch mit den entsprechenden<br />

finanziellen Ressourcen versehen werden (s. auch Soz-<br />

Sich 7–8/<strong>2017</strong>, S. 261 ff.). Unternehmen und Beschäftigte<br />

müssen im strukturellen Wandel begleitet und unterstützt<br />

werden. Das kann die Arbeitslosenversicherung sicher<br />

nicht allein bewältigen, aber sie muss ihren Beitrag leisten.<br />

Und wenn die Jamaika-Sondierer sich darüber einig<br />

sind, dass Weiterbildung angesichts der Digitalisierung<br />

eine entscheidende Zukunftsaufgabe ist, sollten sie sich<br />

nicht einen der Wege zumauern, den sie gehen könnten.<br />

Annelie Buntenbach,<br />

Mitglied des Geschäftsführenden<br />

Bundesvorstands des DGB<br />

384<br />

<strong>Soziale</strong> <strong>Sicherheit</strong> <strong>11</strong>/<strong>2017</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!