Leseprobe Personalrat 12_2017
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Der <strong>Personalrat</strong><br />
derpersonalrat.de<br />
34. JAHRGANG<br />
ISSN 0175-9299<br />
D 8319<br />
personalrecht im öffentlichen dienst<br />
<strong>12</strong> | <strong>2017</strong><br />
schöneberger forum<br />
So stärkt der öffentliche<br />
Dienst die Demokratie<br />
regelungen Sofortmaßnahmen sind in besonderen Ausnahmefällen zulässig<br />
schulungen <strong>Personalrat</strong>smitglieder müssen sich laufend fortbilden<br />
resignation Was gegen Unzufriedenheit im Beruf zu tun ist
titelthema schöneberger forum <strong>2017</strong><br />
Der <strong>Personalrat</strong> <strong>12</strong> | <strong>2017</strong><br />
Öffentlicher Dienst<br />
und sein Personal<br />
politik Vor allem in strukturschwachen Regionen hat<br />
die Vernachlässigung des öffentlichen Dienstes Folgen –<br />
nicht nur für dessen Leistungsfähigkeit, sondern auch<br />
für die Vitalität von Zivilgesellschaft und Demokratie.<br />
VON BERTHOLD VOGEL<br />
8
Der <strong>Personalrat</strong> <strong>12</strong> | <strong>2017</strong><br />
schöneberger forum <strong>2017</strong><br />
titelthema<br />
Die Arbeitswelt der öffentlichen<br />
Dienste hat an Verbindlichkeit<br />
verloren. Projekttätigkeit als befristete,<br />
abrufbare und zukunftsungewisse<br />
Beschäftigung gewinnt an Gewicht.<br />
Ist der öffentliche Dienst auf dem Weg vom<br />
Beruf zum Job? Diese Frage überzeichnet sicher<br />
die Entwicklung, trifft aber dennoch einen<br />
wichtigen Punkt. Der öffentliche Dienst<br />
repräsentiert nur noch begrenzt das normative<br />
Rollenmodell für soziale Sicherheit und beruflichen<br />
Aufstieg. Diese Tendenz wird durch die<br />
demografische Entwicklung noch beschleunigt.<br />
Das Personal des öffentlichen Dienstes<br />
altert und spaltet sich auf in sehr unterschiedliche<br />
Beschäftigungsformen. Das hat auch mit<br />
beschäftigungspolitischen Besonderheiten der<br />
Vergangenheit zu tun. Hierzu zählen die zyklischen<br />
Einstellungsstopps und die geringen<br />
Ausbildungsquoten. So altert nun eine Generation<br />
von öffentlich Bediensteten in einem Umfeld<br />
ungleicher Arbeitsbedingungen. Doch mit<br />
welchem Personal sind in Zukunft öffentliche<br />
Aufgaben erfüllbar?<br />
darum geht es<br />
1. Wo der öffentliche Sektor<br />
abgebaut und durch<br />
Allerweltsjobs entwertet<br />
wird, fehlt es auch an den<br />
engagierten Trägern von<br />
Gemeinwohl und lokaler<br />
Demokratie.<br />
2. Demokratische Gesellschaften<br />
leben aber gerade<br />
von denen, die ihre<br />
öffentlichen Aufgaben<br />
mit persönlicher Verantwortung<br />
wahrnehmen.<br />
3. Demokratie als<br />
politische Lebensform<br />
erfordert deshalb auch<br />
ausreichend qualifiziertes<br />
Personal für gute öffentliche<br />
Dienstleistungen.<br />
Drohender Substanzverlust öffentlicher<br />
Dienstleistungen und die Folgen<br />
Es ist ein Trugschluss, davon auszugehen, dass<br />
das Personal für öffentliche Aufgaben auf irgendeine<br />
Weise immer schon vorhanden ist.<br />
Öffentlichen Aufgaben kommt insbesondere<br />
in schrumpfenden Regionen das potenzielle<br />
Personal abhanden – in den Regionen nämlich,<br />
die einen starken Verlust von gut qualifizierten<br />
und engagierten jungen Männern und<br />
Frauen zu verkraften haben. In wirtschaftlich<br />
schwachen und stark alternden Regionen, in<br />
ländlichen Räumen und Kleinstädten haben<br />
Daseinsvorsorge und öffentlicher Dienst personell<br />
eine sehr unsichere Zukunft vor sich.<br />
Denn wer leistungsstark und leistungsbereit<br />
ist, lässt sich durch einen tendenziell schrumpfenden<br />
und auf dem Rückzug befindlichen<br />
öffentlichen Dienst, der weder Aufstieg noch<br />
Sicherheit bieten kann, kaum vor Ort halten.<br />
Diese Entwicklung ist folgenreich. Sie forciert<br />
den Substanzverlust öffentlicher Güter<br />
und Dienstleistungen in ländlich strukturierten<br />
Regionen und hat damit Auswirkungen auf<br />
die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse.<br />
Weiterhin verlieren Regionen und Kommunen<br />
an Innovationsfähigkeit, wenn die Jungen<br />
und Qualifizierten ihre Bindung vor Ort<br />
verlieren. Und wenn die Leistungsträger von<br />
9
titelthema schöneberger forum <strong>2017</strong><br />
Der <strong>Personalrat</strong> <strong>12</strong> | <strong>2017</strong><br />
Gleichstellung im<br />
öffentlichen Dienst<br />
gleichberechtigung Auf dem Papier scheint der öffentliche<br />
Dienst gleichstellungspolitisch gut aufgestellt. Das sagen jedenfalls<br />
die Gleichberechtigungsgesetze. Doch die Praxis sieht anders aus.<br />
VON ELKE WIECHMANN<br />
darum geht es<br />
1. Der Staat muss die<br />
Gleichberechtigung<br />
von Frauen und Männern<br />
auch wirklich durchsetzen.<br />
2. Trotz vieler Gleichberechtigungsgesetze<br />
finden<br />
sich im öffentlichen<br />
Dienst nur wenige Frauen<br />
in Spitzenpositionen.<br />
3. Familienbedingte Ausfallzeiten<br />
erweisen sich<br />
für Frauen weiterhin als<br />
Karrierehemmnisse.<br />
Der öffentliche Dienst ist weiblich.<br />
Mehr als 60 Prozent der Beschäftigten<br />
sind Frauen, wenngleich unterschiedlich<br />
verteilt auf Bundes-,<br />
Länder- und kommunaler Ebene, wo schließlich<br />
die meisten Frauen arbeiten. Damit hat<br />
sich der öffentliche Dienst in den letzten mehr<br />
als 25 Jahren zu einem »Frauenarbeitsmarkt«<br />
gewandelt. 1 Dieses Bild vermittelt auf den ersten<br />
Blick unter anderem, der öffentliche Dienst<br />
sei gleichstellungspolitisch gut aufgestellt. Auf<br />
den zweiten Blick ergeben sich allerdings einige<br />
Fragen: Denn Frauen sind noch immer<br />
deutlich seltener in Führungspositionen vertreten<br />
– je höher die Position, desto weniger<br />
sind sie zu finden. Ein Drittel der beschäftigten<br />
Frauen im öffentlichen Dienst arbeitet in<br />
Teilzeit, und das nicht immer freiwillig. Sie<br />
sind seltener in (politisch) richtungsweisenden<br />
Gremien vertreten, entscheiden also deutlich<br />
weniger über künftige Wege mit. All dies kann<br />
mittlerweile kaum noch mit den geringeren<br />
Qualifikationsvoraussetzungen von Frauen<br />
gegenüber Männern erklärt werden, wenn wir<br />
doch seit Jahrzehnten die guten und zum Teil<br />
sogar besseren Bildungsabschlüsse von Frauen<br />
beobachten können. Auch die gleichstellungspolitische<br />
Gesetzeslage insbesondere für den<br />
öffentlichen Dienst kann als umfangreich und<br />
vielfältig bezeichnet werden. Wo sind dann die<br />
Hemmnisse für die gleichstellungspolitische<br />
(Weiter-) Entwicklung?<br />
Gleiche Rechte – institutionelle<br />
Gleichstellung<br />
Bei der Gleichstellung<br />
sind die Perspektiven<br />
im Lebensverlauf von<br />
Männern und Frauen<br />
zu berücksichtigen.<br />
Die gleichstellungspolitische Ausgangslage im<br />
öffentlichen Dienst sieht auf den ersten Blick<br />
gut aus. Der Staat ist in der Verantwortung,<br />
die »tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung«<br />
voranzutreiben (Art. 3 Abs. 2 GG)<br />
und dafür tut er einiges. Denn institutionell ist<br />
die Gleichberechtigung zwischen Frauen und<br />
Männern im 21. Jahrhundert in Deutschland<br />
in vielen Gesetzen verankert und wird darüber<br />
hinaus von der Europäischen Union gesetzlich<br />
gestützt und für die Mitgliedstaaten gefordert.<br />
18<br />
1 An dieser Stelle kann nicht näher auf die grundsätzlichen<br />
Ver änderungen im öffentlichen Dienst eingegangen werden,<br />
die etwa zeitgleich mit den Verwaltungsmodernisierungen<br />
Anfang der 1990er Jahre in den Kommunen ihren Ausgang<br />
nahmen, begleitet von zum Teil massivem Personalabbau,<br />
von Haushalts defiziten oder neuen Tarifen (ab 2005 und<br />
sukzessive auch für Beamte), die aber dennoch in Zusammenhang<br />
gebracht werden müssen.<br />
2 Die 16 Bundesländer bezeichnen ihre Landesgleichstellungsgesetze<br />
unterschiedlich. In Nordrhein-Westfalen heißt es zum<br />
Beispiel Landesgleichstellungsgesetz, in Baden-Württemberg<br />
Chancengleichheitsgesetz oder in Hessen Gleichberechtigungsgesetz.<br />
Hier soll der Einfachheit halber der Begriff Landesgleichstellungsgesetz<br />
genutzt werden.<br />
3 Seit dem 1.1.2016 gilt die feste Geschlechterquote von 30 Prozent<br />
für neu zu besetzende Aufsichtsratsposten in börsennotierten<br />
und voll mitbestimmten Unternehmen.
Der <strong>Personalrat</strong> <strong>12</strong> | <strong>2017</strong><br />
schöneberger forum <strong>2017</strong><br />
titelthema<br />
Neben dem Grundgesetz wurden das Bundesgleichberechtigungsgesetz<br />
(BGleiG) sowie die<br />
Landesgleichberechtigungsgesetze (LGG) 2 in<br />
allen 16 Bundesländern beschlossen. Bundesgleichberechtigungsgesetz<br />
und Landesgleichstellungsgesetze<br />
beziehen sich ausschließlich<br />
auf den öffentlichen Dienst. Diese Gesetze<br />
schließen unter anderem die Institutionalisierung<br />
von Gleichstellungsbeauftragten vor allem<br />
als Beraterinnen der Behörden ein. Aber<br />
auch in anderen Gesetzen ist die Gleichstellung<br />
integriert: So beispielsweise im Bundesgremiengesetz<br />
oder im Landesbeamtengesetz<br />
NRW, um nur zwei Beispiele zu nennen.<br />
Darüber hinaus trat das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz<br />
(AGG) im August 2006 in<br />
Kraft. Seit 2016 gilt das Gesetz zur gleichberechtigten<br />
Teilhabe von Frauen und Männern<br />
an Führungspositionen in der Privatwirtschaft<br />
und im öffentlichen Dienst (FüPoG) 3 , kurz<br />
Quotengesetz. Schließlich ist Gleichberechtigung<br />
auch im Betriebsverfassungsgesetz sowie<br />
den Personalvertretungsgesetzen der einzelnen<br />
Bundesländer verankert und damit Aufgabe<br />
von Betriebs- und Personalräten in privaten<br />
Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen.<br />
Damit ist der öffentliche Sektor gleichstellungspolitisch<br />
deutlich stärker reguliert als die<br />
Privatwirtschaft. Zumindest für den öffentlichen<br />
Dienst ist also anzunehmen, dass die<br />
Gleichberechtigung von Frauen und Männern<br />
in Deutschland fester Bestandteil ist.<br />
Gleiche Chancen – strukturelle Grenzen<br />
Die Wahrnehmung ist ambivalent: Es gibt zwar<br />
eine Vielzahl von Gleichstellungsgesetzen,<br />
Gleichstellungsbeauftragten, Gleichstellungsberichten<br />
und Instrumenten, allerdings auch<br />
Zweifel an ihrer Wirksamkeit, wenn man die<br />
Zahlen zu Rate zieht. Je höher die Positionen,<br />
desto weniger Frauen sind nicht nur in der Privatwirtschaft,<br />
sondern auch im gleichstellungspolitisch<br />
gut regulierten öffentlichen Dienst zu<br />
finden. Ein kurzer Blick auf Spitzenpositionen<br />
soll dies verdeutlichen: Der Anteil der beamteten<br />
Staatssekretärinnen in den Bundesministerien<br />
betrug in der 18. Wahlperiode (bis <strong>2017</strong>)<br />
18 Prozent. 4 Der Anteil der Dezernentinnen<br />
als Spitzenposition auf kommunaler Ebene beträgt<br />
<strong>2017</strong> 5 29 Prozent. Will man die Führungspositionen<br />
im öffentlichen Dienst genauer in<br />
den Blick nehmen, dann wird es schwierig,<br />
denn einheitlich erfasst sind sie nicht. Schimeta<br />
6 stellt fest, dass nicht alle Personen, die<br />
als Führungskräfte in den Statistiken geführt<br />
werden, auch tatsächlich führen, sondern in<br />
dieser Rubrik finden sich häufig auch hochqualifizierte<br />
Fachkräfte, was letztlich das Bild<br />
verfälscht. Mit einem qualifizierten Überblick<br />
wird es somit schwierig.<br />
Es werden unter anderem zwei Problemfelder<br />
für eine noch immer nicht erreichte<br />
Gleichstellung von Männern und Frauen im<br />
Erwerbsleben ausgemacht: Einerseits wird<br />
eine unbefriedigende Umsetzung der Gleichstellungsgesetze<br />
in der Praxis ausgemacht und<br />
andererseits wird in den letzten Jahren verstärkt<br />
die unterschiedliche Lebensverlaufsperspektive<br />
von Männern und Frauen diskutiert.<br />
Gleichstellungsgesetze enthalten häufig<br />
Formulierungen, die eher auf Soll- und<br />
Kann-Maßnahmen setzen, und denen zum Teil<br />
wirkungsvolle Anreiz-, Sanktions- und Kontrollmechanismen<br />
fehlen. Damit degradieren<br />
sie zu »soft laws« oder zahnlosen Tigern.<br />
Das liegt nicht immer nur am Gesetzgeber.<br />
So hat das Beispiel des 2016 novellierten<br />
Landesbeamtengesetzes in Nordrhein-Westfalen<br />
gezeigt, dass der Widerstand auf dem<br />
Fuße folgte: Das Oberverwaltungsgericht von<br />
Nordrhein-Westfalen hatte im Februar <strong>2017</strong><br />
entschieden, dass die Vorschrift zur Frauenförderung<br />
bei Beförderungen nicht mit dem<br />
Grundgesetz vereinbar sei. 7 Die Neufassung<br />
des Beförderungsparagrafen (§ 19 Abs. 6 Landesbeamtengesetz<br />
NRW) ist mit dem verankerten<br />
Gebot der Bestenauslese verfassungsrechtlich<br />
nicht vereinbar und verstoße gegen<br />
Art. 33 Abs. 2 GG, entschieden die Richter.<br />
Hier sahen sie den Verfassungsbruch in der<br />
Formulierung, dass Frauen bei »im Wesentlichen<br />
gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher<br />
Leistung« bevorzugt zu befördern seien.<br />
»Im Wesentlichen« wurde daraufhin von<br />
der neuen Landesregierung (CDU und FDP),<br />
die im politischen Diskurs bereits vorher der<br />
Novellierung kritisch gegenüber stand, gestrichen.<br />
Die dienstliche Beurteilung als Grundlage<br />
für die Bestenauslese steht bereits seit einigen<br />
Jahren in der gleichstellungspolitischen Kritik<br />
8 , weil Frauen auffallend häufig schlechter<br />
beurteilt werden als Männer und damit das<br />
Nachsehen bei Beförderungen haben. Insbesondere<br />
die Bewertungs- bzw. Beurteilungskri-<br />
Berücksichtigt<br />
bereits das neue<br />
BDSG!<br />
Auf dem neusten Stand<br />
Wolfgang Däubler<br />
Gläserne Belegschaften<br />
Das Handbuch zum<br />
Beschäftigtendatenschutz<br />
7., aktualisierte u. überarb. Auflage<br />
<strong>2017</strong>. 678 Seiten, gebunden<br />
€ 59,90<br />
ISBN: 978-3-7663-6620-7<br />
www.bund-verlag.de/6620<br />
4 Vgl. Amtliches Handbuch des Deutschen Bundestages.<br />
5 Vgl. Holtkamp/Wiechmann/Buß, Genderranking deutscher<br />
Großstädte, Heinrich-Böll-Stiftung, <strong>2017</strong>.<br />
6 Vgl. Schimeta, Einsam an der Spitze. Frauen in Führungspositionen<br />
im Öffentlichen Sektor, Friedrich-Ebert Stiftung, 2014.<br />
7 OVG Nordrhein-Westfalen 21.2.<strong>2017</strong> – 6 B 1109/16 –, juris.<br />
8 Vgl. zum Beispiel Jochmann-Döll/Tondorf, Nach Leistung, Eignung<br />
und Befähigung? – Beurteilung von Frauen und Männern<br />
im Polizeidienst, Hans-Böckler-Stiftung, Arbeitspapier 276.<br />
Hierzu auch Jochmann-Döll, in diesem Heft ab Seite <strong>12</strong>.<br />
kontakt@bund-verlag.de 19<br />
Info-Telefon: 069 / 79 50 10-20
echtsprechung<br />
Leitsätze<br />
Der <strong>Personalrat</strong> <strong>12</strong> | <strong>2017</strong><br />
Recht kompakt<br />
Leit und Orientierungssätze aus der Arbeitsund<br />
Verwaltungsgerichtsbarkeit<br />
beamtenrecht<br />
Finanzieller Ausgleich eines<br />
Lebensarbeitszeitkontos<br />
personalvertretungsrecht<br />
Vorlage einer AUBescheinigung<br />
ab dem ersten Krankheitstag<br />
1. Zur Reichweite der Allzuständigkeit des <strong>Personalrat</strong>s sowie<br />
zur Bedeutung der beispielhaft aufgezählten Mitbestimmungstatbestände<br />
nach dem Bremischen Personalvertretungsgesetz<br />
(wie Beschluss vom 31.5.<strong>2017</strong> – 6 LP 37/16).<br />
2. Bei einer an einen einzelnen Arbeitnehmer gerichteten<br />
Anordnung, ab dem ersten Krankheitstag eine ärztliche<br />
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen, handelt es sich<br />
um eine personelle Maßnahme im personalvertretungsrechtlichen<br />
Sinn.<br />
OVG Bremen, Beschluss vom 31.5.<strong>2017</strong> – OVG 6 LP 54/15<br />
personalvertretungsrecht<br />
Anordnung einer amtsärztlichen<br />
Untersuchung<br />
1. Das Bremische Personalvertretungsgesetz sieht eine Allzuständigkeit<br />
des <strong>Personalrat</strong>s vor. Die im Gesetz enthaltenen<br />
Beispielskataloge der sozialen, personellen und organisatorischen<br />
Mitbestimmung schränken die Allzuständigkeit nicht ein.<br />
2. In personellen Angelegenheiten ist die Mitbestimmung<br />
des <strong>Personalrat</strong>s nur gegeben, wenn die Dienststellenleitung<br />
beabsichtigt, gegenüber einem Bediensteten eine Maßnahme<br />
zu ergreifen. Der Maßnahmebegriff hat im Personalvertretungsrecht<br />
einen fest umrissenen Inhalt.<br />
3. Bei der Anordnung einer amtsärztlichen Untersuchung<br />
handelt es sich um eine Maßnahme.<br />
OVG Bremen, Beschluss vom 31.5.<strong>2017</strong> – OVG 6 LP 37/16<br />
1. Die unterschiedliche Behandlung von Personen, die aus<br />
von ihnen nicht zu vertretenden Gründen nicht (mehr) in der<br />
Lage sind, ein Guthaben auf ihrem Lebensarbeitszeitkonto<br />
auszugleichen und Personen, die auf Grund eigenen Willensentschlusses<br />
hierzu nicht in der Lage sind, verstößt nicht<br />
gegen Art. 3 Abs. 1 GG.<br />
2. Der Fall des Dienstherrenwechsels wird weder von der<br />
Störfallregelung des § 2 Abs. 6 der PflichtstundenVO (Hessen)<br />
noch von dem Regelfall der Ermäßigung im letzten Schuljahr<br />
bzw. letzten Schuljahr des § 2 Abs. 4 PflichtstundenVO<br />
(Hessen) erfasst, sondern von § 2 Abs. 5 der PflichtstundenVO<br />
(Hessen), nach dem auf Antrag eine Ermäßigung vorgesehen<br />
ist, soweit dringende dienstliche Belange nicht beeinträchtigt<br />
werden.<br />
3. Unterlässt es der betroffene Beamte oder die betroffene<br />
Beamtin, einen Freistellungs- bzw. Ermäßigungsantrag zu stellen<br />
und damit das Lebensarbeitszeitkonto abzubauen, steht<br />
ihm / ihr nach erfolgter Versetzung eine Ausgleichszahlung<br />
nicht zu. Eine analoge Anwendung des § 2 Abs. 6 der PflichtstundenVO<br />
(Hessen) ist in dieser Konstellation nicht geboten.<br />
4. Die Freistellung oder Ermäßigung vor Dienstherrenwechsel<br />
setzt zwingend voraus, dass der betroffene Beamte bzw. die<br />
betroffene Beamtin einen Freistellungs-/Ermäßigungsantrag<br />
gestellt hat.<br />
5. Die Richtlinien zum Lebensarbeitszeitkonto können als (verwaltungsinterne)<br />
Erlassregelungen neben den gesetzlichen<br />
Vorgaben selbst keinen Zahlungsanspruch begründen<br />
Hessischer VGH, Urteil vom 3.5.<strong>2017</strong> – 1 A 1806/16<br />
arbeitsrecht<br />
Kündigung wegen sexueller<br />
Belästigung<br />
Die absichtliche Berührung primärer oder sekundärer Geschlechtsmerkmale<br />
eines anderen ist sexuell bestimmt i.S.d.<br />
§ 3 Abs. 4 AGG. Es handelt sich um einen Eingriff in die körperliche<br />
Intimsphäre. Auf eine sexuelle Motivation der Berührung<br />
kommt es nicht an.<br />
BAG, Urteil vom 29.6.<strong>2017</strong> – 2 AZR 302/16<br />
36
Der <strong>Personalrat</strong> <strong>12</strong> | <strong>2017</strong><br />
Orientierungssätze<br />
rechtsprechung<br />
arbeitsrecht<br />
arbeitsrecht<br />
Nebeneinander von Arbeits und<br />
Dienstvertrag<br />
Es ist rechtlich nicht von vornherein ausgeschlossen, dass ein<br />
Arbeitnehmer mit seinem Arbeitgeber ein freies Dienstverhältnis<br />
begründet, das neben dem Arbeitsverhältnis besteht.<br />
Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass das dem Arbeitgeber<br />
aufgrund des Arbeitsvertrags zustehende Weisungsrecht<br />
nicht für die Tätigkeiten gilt, die der Vertragspartner aufgrund<br />
des Dienstverhältnisses schuldet.<br />
BAG, Urteil vom 27.6.<strong>2017</strong> – 9 AZR 851/16<br />
arbeitsrecht<br />
Entstehen eines unbefristeten<br />
Arbeitsverhältnisses<br />
1. Für die Wirksamkeit der Befristung eines Arbeitsvertrags<br />
kommt es auf die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses gegebenen<br />
Umstände an. Später eintretende Änderungen haben<br />
grundsätzlich keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der vereinbarten<br />
Befristung. Fällt der bei Vertragsschluss gegebene<br />
Sachgrund für die Befristung später weg, entsteht daher kein<br />
unbefristetes Arbeitsverhältnis. Dies gilt grundsätzlich auch<br />
dann, wenn sich während der Dauer des befristeten Arbeitsverhältnisses<br />
die Tätigkeit des Arbeitnehmers ändert.<br />
2. Wird jedoch in einem Änderungsvertrag unter Beibehaltung<br />
der vertraglich vereinbarten Befristungsdauer eine Änderung<br />
der Tätigkeit und ggf. der Vergütung vereinbart, unterliegt der<br />
Änderungsvertrag als letzter Arbeitsvertrag der Befristungskontrolle.<br />
In diesem Fall kommt es darauf an, ob bei Abschluss<br />
des Änderungsvertrags ein Sachgrund für die Befristung bestand.<br />
Die Befristung des Änderungsvertrags kann allerdings<br />
nur dann auf ihre Wirksamkeit überprüft werden, wenn der<br />
Arbeitnehmer innerhalb der Klagefrist des § 17 Satz 1 TzBfG<br />
die Unwirksamkeit der Befristung des Änderungsvertrags<br />
geltend macht.<br />
BAG, Urteil vom 17.5.<strong>2017</strong> – 7 AZR 301/15<br />
Befristung zur Vertretung<br />
1. Die vorübergehende Reduzierung der Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten<br />
Arbeitnehmers und die darauf beruhende<br />
Abordnung in einen anderen Arbeitsbereich für die Dauer der<br />
Teilzeitbeschäftigung kann einen Sachgrund für die Befristung<br />
des Arbeitsvertrags mit einer vollzeitbeschäftigten Vertretungskraft<br />
nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG darstellen.<br />
2. Die Prognose des Arbeitgebers über den voraussichtlichen<br />
Wegfall des Vertretungsbedarfs durch die Rückkehr des Vertretenen<br />
ist Teil des Sachgrunds der Vertretung. Erforderlich<br />
ist, dass der Arbeitgeber bei Vertragsschluss berechtigterweise<br />
mit der Rückkehr der Stammkraft rechnen durfte. Bei einer<br />
»Abordnungsvertretung« muss der Arbeitgeber bei der von<br />
ihm anzustellenden Prognose alle Umstände des Einzelfalls<br />
berücksichtigen. Dazu gehören nicht nur etwaige Erklärungen<br />
der abgeordneten Stammkraft über ihre Rückkehrabsichten,<br />
sondern insbesondere auch die Planungs- und Organisationsentscheidungen<br />
des Arbeitgebers. Diese Anforderungen sind<br />
auch dann zu stellen, wenn der Vertretungsbedarf auf einer<br />
zeitlich begrenzten Reduzierung der Arbeitszeit der Stammkraft<br />
und zusätzlich darauf beruht, dass diese mit dem verbleibenden<br />
Arbeitszeitvolumen in einen anderen Arbeitsbereich<br />
abgeordnet wurde.<br />
BAG, Urteil vom <strong>12</strong>.4.<strong>2017</strong> – 7 AZR 436/15<br />
tarifrecht<br />
Eingruppierung eines Ausbilders<br />
1. Eine Ausbildungswerkstatt i.S.d. Tätigkeitsmerkmals der<br />
Entgeltgruppe 9a Fallgr. 2 Teil III Abschn. 4 EntgeltO Bund<br />
setzt voraus, dass sie allein Ausbildungszwecken dient.<br />
2. Die daraus folgende Höherbewertung der Ausbildertätigkeit<br />
in – reinen – Ausbildungswerkstätten gegenüber<br />
der Ausbildertätigkeit eines Handwerkers in »normalen«<br />
Werkstätten durch die Tarifvertragsparteien ist von deren<br />
Regelungsmacht umfasst und auch unter Gleichheitsaspekten<br />
nicht zu beanstanden.<br />
BAG, Urteil vom 26.4.<strong>2017</strong> – 4 AZR 331/16<br />
37
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Der <strong>Personalrat</strong><br />
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§<br />
Ihr gutes Recht:<br />
§<br />
Der Bezug der Zeitschrift »Der <strong>Personalrat</strong>« gehört zum Bedarf<br />
der laufenden Geschäftsführung nach § 44 Abs. 2 BPersVG<br />
sowie den entsprechenden Vorschriften der LPersVG.<br />
Schnell, verständlich, rechtssicher.<br />
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