Gute-Arbeit-12_2017
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<strong>Gute</strong> <strong>Arbeit</strong><br />
gutearbeit-online.de<br />
29. JAHRGANG<br />
ISSN 1860-0077<br />
D 67243<br />
ARBEITSSCHUTZ UND ARBEITSGESTALTUNG<br />
<strong>12</strong> | <strong>2017</strong><br />
FÜHRUNG UND GESUNDHEIT<br />
Fairness<br />
statt Erfolgsdruck<br />
trenDs 10 Jahre: DGB-Index <strong>Gute</strong> <strong>Arbeit</strong> ändert Perspektiven<br />
arbeitsschutz Teil II: Digitalisierung menschengerecht<br />
teilhabe Neuer Anspruch: Eine Bürokraft für die SBV<br />
partner Von
titelthema führung unD gesunDheit <strong>Gute</strong> <strong>Arbeit</strong> <strong>12</strong> | <strong>2017</strong><br />
Wertschätzung als<br />
Gesundheitsressource<br />
führungsverhalten Der digitale Wandel stärkt die Selbstbestimmung bei der <strong>Arbeit</strong>.<br />
Vernetzung und der Zugang zu schier »unbegrenzter« Information fördern die Autonomie.<br />
Paradoxerweise steigt bei den Beschäftigten die Verunsicherung. Wertschätzende<br />
Führung kann Schutz bieten, die Gesundheit und das Wohlbefi nden stärken.<br />
VON BRIGITTA GRUBER<br />
8
<strong>Gute</strong> <strong>Arbeit</strong> <strong>12</strong> | <strong>2017</strong><br />
führung und gesundheit<br />
titelthema<br />
Lothar Schröder hat den Wandel der<br />
<strong>Arbeit</strong>swelt als »digitale Treppe«<br />
beschrieben, 1 auf der wir – Wirtschaft,<br />
Betriebsverantwortliche und<br />
Beschäftigte – schon einige Zeit immer zügiger<br />
und nahezu »trunken vor Begeisterung« voranschreiten.<br />
Jede Stufe bedeutet(e) Neuerungen:<br />
Es gibt <strong>Arbeit</strong>serleichterungen, Chancen<br />
und Anlässe für <strong>Arbeit</strong>sbegeisterung. Gleichzeitig<br />
werden den Beschäftigten aber auch große<br />
Anpassungsleistungen abverlangt. 2<br />
Automation hat Beschäftigten so manche<br />
monotone oder schwere <strong>Arbeit</strong>stätigkeit abgenommen.<br />
Zugleich verstärkten sich die Sorgen<br />
bei angelernten Beschäftigten vor technologisch<br />
bedingter <strong>Arbeit</strong>slosigkeit. IT-Werkzeuge<br />
und -<strong>Arbeit</strong>ssysteme – vom PC über Tablets<br />
und Smartphones bis hin zu hochkomplexen<br />
Anlagen mit Robotik – haben die <strong>Arbeit</strong>swelt<br />
und den privaten Alltag erobert. Die damit zusammenhängenden<br />
ergonomischen Probleme<br />
und Fehlbeanspruchungen wurden von der<br />
<strong>Arbeit</strong>swissenschaft erkannt und der betriebliche<br />
<strong>Arbeit</strong>sschutz hat dafür Lösungen parat. 3<br />
Digitaler und sozialer Wandel<br />
Seit die Technologie mobiler und vernetzter<br />
wurde, ergeben sich Möglichkeiten, »unabhängig«<br />
vom formalen <strong>Arbeit</strong>sort und von der<br />
formalen <strong>Arbeit</strong>szeit tätig zu sein. Das stellt<br />
neue Anforderungen an die Beschäftigten, verführt<br />
zu entgrenztem <strong>Arbeit</strong>en (an jedem Ort<br />
und zu jeder Zeit) und lässt fürsorgebasiertes<br />
Eingebundensein bei der <strong>Arbeit</strong> schwinden.<br />
Und nun gibt es erste Anwendungen der<br />
künstlichen Intelligenz im Personalwesen.<br />
Haben Personalverantwortliche bislang nach<br />
Bauchgefühl, Erfahrung und im besten Fall<br />
nach Gesprächen Entscheidungen getroffen,<br />
könnte sie künftig ein »denkender Roboter«<br />
mit datenbasierter Personalarbeit unterstützen.<br />
Ein Beispiel: Es gibt Software, die elektronisch<br />
eingereichte Bewerbungen, Lebensläufe<br />
oder weitere Internet-Informationen blitzschnell<br />
lesen und nach Übereinstimmungen<br />
mit dem Ausschreibungsprofil sortieren. Auch<br />
wenn manche dies als »erstaunlich feinfühlig« 4<br />
bezeichnen, wirft die Datensammlung vom/<br />
von den »gläsernen Mitarbeiter/innen« nicht<br />
nur Fragen aus dem Datenschutzrecht auf (vgl.<br />
Abb. 1 S. 10). Diese technologischen Veränderungen<br />
begünstigen tiefgreifende soziale Veränderungen:<br />
»We live in a VUCA World« tönt<br />
es auf YouTube. VUCA steht für<br />
· Volatility – Unbeständigkeit<br />
· Uncertainty – Unsicherheit<br />
· Complexity – Komplexität<br />
· Ambiguity – Mehrdeutigkeit<br />
Solange Menschen dafür ausreichend Lebensund<br />
<strong>Arbeit</strong>skraft aufbringen können, die dafür<br />
erforderlichen Fähigkeiten, eine gewisse Zuversicht<br />
und Mut mitbringen, eröffnet die VU-<br />
CA-Welt dem Einzelnen neue Möglichkeiten<br />
und Chancen. Andere, denen diese Voraussetzungen<br />
fehlen, sind verletzlicher. Das bemerken<br />
Menschen so:<br />
· »Ich lege mich immer mehr ins Zeug, aber<br />
es kommt nichts zurück. Was ich tue, hat<br />
keine Resonanz.«<br />
· »Ich kann mich anstrengen, aber kommen<br />
tut es dann doch ganz anders.«<br />
· »Meine Leistungen von gestern und heute<br />
verblassen, weil ich immer häufiger in neuen<br />
Teams arbeite und/oder Vorgesetzte immer<br />
schneller wechseln; sofern er/sie überhaupt<br />
noch ansprech- und greifbar ist/sind.«<br />
Die Zitate zeigen: Schleichend gehen soziale<br />
Ressourcen zum Meistern des Lebens und<br />
zur Bewältigung der Anforderungen verloren:<br />
wie soziales Eingebundensein bzw. »Getragen-Werden«.<br />
5 Währenddessen wächst die<br />
Verausgabungserwartung an den Einzelnen. 6<br />
Nach dem Motto: Wer <strong>Arbeit</strong> hat und sich dabei<br />
auch noch selbst verwirklichen kann, muss<br />
– so scheint es im <strong>Arbeit</strong>salltag – nicht mehr<br />
extra Dank erhalten.<br />
Die beschriebene Konstellation kann zu<br />
Enttäuschungen führen und persönliche sowie<br />
betriebliche Produktivität für Störungen anfällig<br />
machen. Eine wertschätzende und dann<br />
auch gesundheitsfördernde Mitarbeiter(innen)-<br />
führung muss dies frühzeitig wahrnehmen und<br />
kompensatorische Antworten suchen und umsetzen<br />
– am besten gemeinsam mit den Beschäftigten.<br />
Von der »Biologie der Enttäuschung«<br />
Der Medizinsoziologe Johannes Siegrist und<br />
sein Team untersuchten die negativen gesundheitlichen<br />
Auswirkungen von subjektiv empfundenen,<br />
ungerechten Tauschbeziehungen in<br />
der <strong>Arbeit</strong>swelt bzw. von sogenannten Gratifikationskrisen<br />
(im weiteren Text verwende ich<br />
Darum geht es<br />
1. Moderne Methoden<br />
der Personalführung<br />
– über Ziele und Projektarbeit<br />
– erhöhen<br />
die Verantwortung der<br />
Beschäftigten und verändern<br />
die betriebsinterne<br />
Kommunikation.<br />
2. Wo zuvor Weisungen<br />
erteilt und Leistungen<br />
kontrolliert wurden,<br />
findet weniger Austausch<br />
statt. Wie es Beschäftigten<br />
mit ihren Aufgaben<br />
und Projekten geht, ob<br />
Unterstützung und Ressourcen<br />
ausreichen, wird<br />
nahezu ausgeblendet.<br />
3. In der Digitalisierung<br />
hat anerkennende Gesprächskultur<br />
nicht nur<br />
gesundheitsfördernde,<br />
sondern auch vertrauensbildende<br />
Bedeutung.<br />
Sie ist elementar für die<br />
Zukunftsfähigkeit eines<br />
Unternehmens.<br />
1 Lothar Schröder (2016), s. Hinweise Seitenrand S. 11.<br />
2 Zum betrieblichen Qualifizierungsbedarf s. Titelthema »<strong>Gute</strong><br />
<strong>Arbeit</strong>« 4 / 2016, Hinweis im Seitenrand S. 10.<br />
3 Vgl. Beitrag von Prof. Dr. Ralf Pieper, »<strong>Gute</strong> <strong>Arbeit</strong>« 11 / <strong>2017</strong><br />
(Teil I), und Teil II in dieser Ausgabe (S. 25ff).<br />
4 brand eins Consulting (<strong>2017</strong>) S. 26.<br />
5 Vgl. Rosa, H. (<strong>2017</strong>), s. Hinweise Seitenrand S. 11.<br />
6 Vgl. Glißmann, W. / Peters, K. (2001), s. Hinweise Seitenrand S. 11.<br />
9
titelthema führung und gesundheit <strong>Gute</strong> <strong>Arbeit</strong> <strong>12</strong> | <strong>2017</strong><br />
Führerschein »faire<br />
Zielvereinbarung«<br />
führungskultur Über Zielvereinbarungen mit Vorgesetzten reden:<br />
In diese Gespräche gehen Beschäftigte teils mit gemischten Gefühlen,<br />
schließlich wird oft einseitig über ihre Leistung geurteilt, nur<br />
das Gegenüber formuliert Erwartungen. Fair geht anders.<br />
VON ANDREA BREME<br />
Darum geht es<br />
1. Die Praxis der Zielvereinbarungsgespräche<br />
ist in vielen Betrieben<br />
kontraproduktiv: <strong>Arbeit</strong>geber<br />
setzen einseitig auf<br />
Kontrolle, Befehle und<br />
Disziplinierung, schaffen<br />
ein Klima der Angst.<br />
2. Das führt zu Stress und<br />
extremen Belastungen<br />
mit negativen Folgen für<br />
die Gesundheit. Die Interessenvertretung<br />
muss<br />
die Beschäftigten davor<br />
schützen und kann mit<br />
Vereinbarungen für faire<br />
Leistungsziele sorgen.<br />
3. Beschäftigte selbst<br />
sollen von den Gesprächen<br />
über Ziele und ihre<br />
<strong>Arbeit</strong> profitieren: z. B.<br />
müssen ihre Entwicklung,<br />
die Karriere und <strong>Arbeit</strong>sprobleme<br />
zur Sprache<br />
kommen – und zwar auf<br />
Augenhöhe.<br />
In den letzten Jahren sind Zielvereinbarungsgespräche<br />
in den Unternehmen<br />
fest etabliert worden. Obwohl sie oft<br />
zur betrieblichen Routine gehören, sind<br />
viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter immer<br />
noch verunsichert. Sie sehen den institutionalisierten<br />
Austausch als einseitige Kontrolle<br />
seitens der Geschäftsführung, die Karte der<br />
Disziplinierung wird vielerorts systematisch<br />
ausgespielt.<br />
Zudem handelt es sich nicht immer um<br />
Vier-Augen-Gespräche. Viele Beschäftigte sitzen<br />
vor zwei, drei Personen. Dies ist eine ungleichgewichtige,<br />
höchst stressige Situation.<br />
Die Mitarbeiter / innen kommen verschreckt<br />
zu Gesprächen, da sie nicht wissen, was sie<br />
diesmal erwartet. Oft sind die Inhalte vorher<br />
nicht klar, Themen werden willkürlich und<br />
unorganisiert auf die Tagesordnung gesetzt.<br />
Dass diese Gespräche auch Chancen bergen,<br />
wenn sie gut gestaltet werden, fällt allzu oft<br />
unter den Tisch. 1 Dazu ist es enorm wichtig,<br />
die Gespräche fair zu gestalten und die Verantwortung<br />
des <strong>Arbeit</strong>gebers für diese Fairness<br />
hervorzuheben.<br />
Mitbestimmung des Betriebsrats<br />
Wichtig zu wissen: Der Betriebsrat ist kein Zuschauer,<br />
er bestimmt auf breiter Ebene mit! 2<br />
· Der <strong>Arbeit</strong>geber muss die Interessenvertretung<br />
nach dem Betriebsverfassungsgesetz<br />
(BetrVG) und dem Bundespersonalvertretungsgesetz<br />
(BPersVG) rechtzeitig und<br />
umfassend über die Einführung von Mitarbeitergesprächen<br />
und Zielvereinbarungssystemen<br />
unterrichten (nach § 80 Abs. 2<br />
BetrVG und § 68 Abs. 2 BPersVG): Dabei<br />
geht es um die Kontrollfunktion der Interessenvertretung<br />
und die dafür erforderlichen<br />
Informationsrechte: Rechtzeitig ist eine Information,<br />
wenn die (Personal-)Maßnahme<br />
noch gestaltbar ist, also gleich zu Beginn<br />
der Planung. Umfassend ist eine Information,<br />
wenn der BR oder PR die Perspektiven<br />
der Maßnahme und ihre Konsequenzen für<br />
die Beschäftigten verstehen und beurteilen<br />
kann.<br />
· Werden bei Mitarbeitergesprächen und Zielvereinbarungssystemen<br />
Gesprächsprotokolle<br />
und / oder Formulare genutzt, ist deren<br />
Einsatz und Ausgestaltung mitbestimmungspflichtig<br />
(nach § 94 Abs. 1 BetrVG sowie<br />
nach § 75 Abs. 3 Nr. 9 BPersVG). Es geht<br />
um den Inhalt und Umfang der Protokolle,<br />
um den Verwendungszweck, die Zulässigkeit<br />
von Fragen und nicht zuletzt um den<br />
Datenschutz.<br />
· Da Zielvereinbarungen und ihre Kontrolle<br />
sowie damit verbundene Gespräche immer<br />
auch der Beurteilung der Beschäftigten<br />
durch Vorgesetze dienen, ist das Mitbestimmungsrecht<br />
nach § 94 Abs. 2 BetrVG sowie<br />
nach § 75 Abs. 3 Nr. 8 BPersVG berührt<br />
(Aufstellung allgemeiner Beurteilungsgrundsätze).<br />
· Mitarbeitergespräche und Zielvereinbarungen<br />
erfordern Regelungen zum fairen<br />
Umgang zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten.<br />
3 Somit unterliegt dies der Mit-<br />
16<br />
1 Vgl. Beitrag von Brigitta Gruber (S. 8ff.) – zu Anerkennungsgesprächen.<br />
2 Vgl. Sven Hinrichs zu den Mitbestimmungsrechten und Tipps zur<br />
Gestaltung von Betriebs- / Dienstvereinbarungen. S. Literaturtipp<br />
S. 17 im Seitenrand.<br />
3 Vgl. ebenfalls Beitrag Gruber (S. 8ff.).
<strong>Gute</strong> <strong>Arbeit</strong> <strong>12</strong> | <strong>2017</strong><br />
führung und gesundheit<br />
titelthema<br />
bestimmung bei den Regelungen zur Ordnung<br />
im Betrieb und in der Dienststelle (§<br />
87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG und § 75 Abs. 3 Nr.<br />
15 BPersVG).<br />
· Zur Einführung der Systeme sind Schulungsmaßnahmen<br />
unerlässlich: etwa für<br />
Vorgesetzte, Personalverantwortliche und<br />
die Interessenvertretungen. Die Beschäftigten<br />
müssen umfassend informiert und vorbereitet<br />
werden. Die Durchführung dieser<br />
Veranstaltungen, die mit einer Schulung beauftragten<br />
Personen und die Teilnehmenden<br />
unterliegen der Mitbestimmung nach den<br />
§§ 96 und 98 BetrVG und § 75 Abs. 3 Nr. 6<br />
und 7 BPersVG.<br />
· Nicht zuletzt sind die besonderen <strong>Arbeit</strong>sbelastungen<br />
der Beschäftigten durch Zielvereinbarungssysteme<br />
nach <strong>Arbeit</strong>sschutzgesetz<br />
(ArbSchG) u. a. bei der Gefährdungsbeurteilung<br />
(§ 5 ArbSchG) zu berücksichtigen: Gefährdungen<br />
können sich u. a. insbesondere<br />
ergeben durch: »4. die Gestaltung von <strong>Arbeit</strong>s-<br />
und Fertigungsverfahren, <strong>Arbeit</strong>sabläufen<br />
und <strong>Arbeit</strong>szeit und deren Zusammenwirken,<br />
5. unzureichende Qualifikation und<br />
Unterweisung der Beschäftigten, 6. psychische<br />
Belastungen bei der <strong>Arbeit</strong>.«<br />
Leistungsprinzip der<br />
permanenten Bewährung<br />
Ein <strong>Arbeit</strong>ssystem der »permanenten Bewährung«,<br />
der außergewöhnliche Leistungsdruck<br />
durch ständige Kontrolle und Prüfung der <strong>Arbeit</strong>sergebnisse,<br />
ist eine psychische Belastung,<br />
die leicht zu Beanspruchungen (Fehlbelastungen)<br />
führt, wenn die Interessenvertretung<br />
nicht gegensteuert. 4<br />
Daher sollten Interessenvertretungen die<br />
skizzierten Mitbestimmungsrechte nutzen<br />
und ein Prozedere für Mitarbeitergespräche<br />
und Zielvereinbarungen per Dienst- oder Betriebsvereinbarung<br />
regeln. Damit ist Willkür<br />
gegenüber einzelnen Beschäftigten besser zu<br />
verhindern. Abläufe und Durchführung der<br />
Maßnahmen sind öfter kritisch zu prüfen.<br />
Wichtig ist zudem, die Kolleginnen und<br />
Kollegen vor einem Mitarbeitergespräch bei<br />
Bedarf zu beraten und zu unterstützen. Gesprächstermine<br />
sollten frühzeitig vereinbart<br />
werden, am besten einige Wochen vorher, damit<br />
Betroffene Zeit zur Vorbereitung haben.<br />
Wichtig ist Klarheit darüber, dass die Gespräche<br />
»keine Einbahnstraßen« sind.<br />
Zielvereinbarungsgespräch auf Augenhöhe<br />
Es geht nicht nur um Leistungserwartungen<br />
an Beschäftigte, sondern auch um deren<br />
Möglichkeiten der Persönlichkeitsentwicklung,<br />
der Karriere und der Reflexion der<br />
<strong>Arbeit</strong>sbedingungen. Die Beratung der Interessenvertretung<br />
(oder öffentlich zugängliche<br />
Information) kann daher diese Punkte umfassen:<br />
· Was Mitarbeiter / innen persönlich erreichen<br />
möchten: Sie sollten ihre Ziele klar<br />
formulieren – wie Erwartungen zur Weiterentwicklung,<br />
Qualifizierung, Aufstieg / Karriere,<br />
Vorschläge zur Tätigkeit (<strong>Arbeit</strong>sbedingungen,<br />
Aufwertung, Entlastung).<br />
· Angebot, dass der Betriebsrat am Zielvereinbarungsgespräch<br />
teilnimmt. 5<br />
· Geregelter Ablauf der Gespräche: Ein<br />
Leitfaden 6 für Zielvereinbarungsgespräche<br />
sollte bereits im Vorfeld aufgestellt werden<br />
(Ausgestaltung im Rahmen der Betriebs-<br />
/ Dienstvereinbarung), damit Betroffene<br />
Klarheit haben und beide Seiten zu<br />
Wort kommen.<br />
· Gibt es im Vorfeld Konflikte oder Kritik an<br />
Beschäftigten, sollte das vorab mit der Interessenvertretung<br />
erörtert werden: Nicht jede<br />
Kritik an der <strong>Arbeit</strong> und am Sozialverhalten<br />
ist berechtigt.<br />
Grundsätzlich kommunizieren beide Parteien<br />
auf Augenhöhe. Viele Beschäftigte legen allerdings<br />
dar, dass das in Zielvereinbarungsgesprächen<br />
selten der Fall ist. <strong>Gute</strong> Vorbereitung<br />
und Beratung ist daher ein wichtiger Schritt in<br />
diese Richtung.<br />
Ziele werden nicht verordnet<br />
Mitarbeitergespräche:<br />
Rechtzeitig angekündigt<br />
können sich Beschäftigte<br />
gut vorbereiten und vorab<br />
beraten lassen.<br />
Das Zielvereinbarungsgespräch dient nicht<br />
einseitig dem Zweck, dass Beschäftigte »Rede<br />
und Antwort« stehen. Das widerspricht einer<br />
modernen, kollegialen Führung, die von Arzum<br />
Weiterlesen:<br />
Hans-Böckler-Stiftung<br />
(Hrsg.), Sven Hinrichs:<br />
Mitarbeitergespräch und<br />
Zielvereinbarung. Reihe:<br />
Betriebs- und Dienstvereinbarungen.<br />
Bund-Verlag<br />
Frankfurt am Main. (PDF<br />
unter www. boeckler. de).<br />
Thomas Breisig: Zielvereinbarungen<br />
im Fokus<br />
von Betriebs- und Personalräten.<br />
4. Auflage 2013,<br />
Bund Verlag.<br />
Jochem Kießling-Sonntag:<br />
Zielvereinbarungsgespräche.<br />
Pocket Business,<br />
Cornelsen.<br />
4 Vgl. Titelthema »<strong>Gute</strong> <strong>Arbeit</strong>« 7–8 / <strong>2017</strong> (S. 8–25): »Gefährdungsbeurteilung.<br />
Schutz vor psychischen Belastungen«.<br />
Insbesondere Dr. Ulrich Faber: »Gefährdungen mitbestimmt<br />
beurteilen« (S. 13–17).<br />
5 Etwa nach § 82 BetrVG.<br />
6 Geregelt per Dienst- / Betriebsvereinbarung, etwa als Anlage<br />
der BV/DV.<br />
17
prävention und teilhabe Eine Bürokraft für die SBV<br />
<strong>Gute</strong> <strong>Arbeit</strong> <strong>12</strong> | <strong>2017</strong><br />
Eine Bürokraft<br />
für die SBV<br />
ausstattung Mit dem Bundesteilhabegesetz hat der Gesetzgeber die<br />
Schwerbehindertenvertretung als betriebliche Instanz der Inklusion<br />
gestärkt. Ein Meilenstein dabei ist der gesetzliche Anspruch auf<br />
Unterstützung im Büro.<br />
VON ROLF KLABUNDE<br />
Darum geht es<br />
1. Während Betriebs- und<br />
Personalräte schon lange<br />
einen gesetzlichen Anspruch<br />
auf Unterstützung<br />
bei der Büroarbeit haben,<br />
betritt die Schwerbehindertenvertretung<br />
(SBV)<br />
hier Neuland.<br />
2. Ihre <strong>Arbeit</strong> wird damit<br />
aufgewertet, die Aufgabenbewältigung<br />
erleichtert.<br />
Bei der Festlegung<br />
des »erforderlichen<br />
Umfangs« der Unterstützung<br />
orientiert sich die<br />
SBV an ihren konkreten<br />
betrieblichen Aufgaben.<br />
3. Sie macht den Unterstützungsbedarf<br />
gegenüber<br />
dem <strong>Arbeit</strong>geber<br />
geltend, ist ihm gegenüber<br />
jedoch nicht rechenschaftspflichtig,<br />
wie sie<br />
ihre <strong>Arbeit</strong> gestaltet.<br />
Seit dem 1. Januar <strong>2017</strong> hat die Schwerbehindertenvertretung<br />
(SBV) nach<br />
Sozialgesetzbuch IX (SGB IX), das<br />
mit dem Bundesteilhabegesetz umfassend<br />
reformiert wurde, erstmals einen gesetzlichen<br />
Anspruch auf eine Bürokraft »in erforderlichem<br />
Umfang« (nach § 96 Abs. 8 Satz 3<br />
SGB IX / neu ab 2018: § 179 Abs. 8 Satz 3). 1<br />
Aufwertung der SBV-<strong>Arbeit</strong><br />
Damit sind zwei qualitative Schritte verbunden:<br />
· Die Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung<br />
und ihre Bedeutung für die betriebliche<br />
Inklusion behinderter Menschen werden<br />
besser anerkannt und aufgewertet. Die<br />
wichtige <strong>Arbeit</strong> der SBV ist in den letzten<br />
Jahren umfangreicher geworden – Stichwort<br />
Präventionsauftrag. Diesem Trend wird<br />
die bessere Ausstattung der SBV gerecht.<br />
In der Gesetzesbegründung heißt es dazu<br />
u. a.: »Die gestiegenen Anforderungen an<br />
die Schwerbehindertenvertretung erfordern<br />
auch eine bessere personelle Ausstattung<br />
mit Hilfspersonal, damit die Schwerbehindertenvertretungen<br />
ihren Aufgaben besser<br />
nachkommen können.« 2<br />
· Die Schwerbehindertenvertretung erhält<br />
wie der Betriebsrat 3 nach § 96 Abs. 8 Satz<br />
3 SGB IX eigenständige Ansprüche auf eine<br />
adäquate und professionelle Ausstattung<br />
und soweit nötig personelle Unterstützung<br />
durch eine Bürokraft, deren Kosten der <strong>Arbeit</strong>geber<br />
zu tragen hat.<br />
Allerdings setzt sich der neue Anspruch –<br />
ebenso wie der des Betriebsrats – nicht von<br />
alleine um.<br />
Anspruch auf<br />
administrative Unterstützung<br />
Auch der Betriebsrat macht die »Erforderlichkeit«<br />
einer Bürokraft geltend. Der unbestimmte<br />
Rechtsbegriff verlangt, dass die SBV anhand<br />
der konkreten Aufgaben, mit denen sie<br />
regelmäßig befasst ist, eine Bestandsaufnahme<br />
vornimmt und den administrativen Unterstützungsbedarf<br />
bilanziert (s. u.). Anhand dieser<br />
Aufgaben – reine Bürotätigkeit, Organisation,<br />
Assistenz – lässt sich aus den bisherigen Erfahrungen<br />
der Vertrauensperson / SBV ermitteln,<br />
wie hoch der Zeitbedarf für eine Bürokraft ist.<br />
Wenn eine SBV neu im Amt, kann sie den<br />
Unterstützungsbedarf über einen Zeitrahmen<br />
hinweg ermitteln, sie kann sich in <strong>Arbeit</strong>skreisen<br />
mit anderen Vertrauenspersonen darüber<br />
austauschen und sie sollte den BR oder PR<br />
um eine Einschätzung bitten. Zudem können<br />
BR und PR beim Antrag auch Rückendeckung<br />
bieten.<br />
Trennung Mandat und Büroarbeit<br />
Die Erfüllung der ehrenamtlichen Pflichten<br />
des Wahlamtes der SBV hat Vorrang vor Büroarbeit<br />
und organisatorischen Aufgaben. 4<br />
Von diesen kann und muss sie nach dem<br />
neuen gesetzlichen Anspruch entlastet werden.<br />
Umgekehrt gilt: Eine Bürokraft darf kei-<br />
36<br />
1 Vgl. Feldes / Krämer / Rehwald / Westermann / Witt (<strong>2017</strong>):<br />
Schwerbehindertenrecht, Basiskommentar zum SGB IX mit<br />
Wahlordnung. Bund-Verlag Frankfurt am Main, 13. akt. Auflage<br />
mit Änderungen Bundesteilhabegesetz, Seite 3<strong>12</strong> (Rn. 23).<br />
2 Gesetzesbegründung (zu § 96) in BT-Drucksache 18 / 9522 (S. 315)<br />
nachzulesen.<br />
3 Für Betriebsräte geregelt in § 40 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz<br />
(BetrVG).<br />
4 Vgl. § 95 SGB IX (neu ab 2018: § 178 SGB IX): Aufgaben der<br />
Schwertbehindertenvertretung, s. z. B. Feldes u. a. Basiskommentar,<br />
a. a. O. (ab S. 280ff.).
<strong>Gute</strong> <strong>Arbeit</strong> <strong>12</strong> | <strong>2017</strong><br />
Eine Bürokraft für die SBV<br />
prävention und teilhabe<br />
Mandatsaufgaben haben<br />
Vorrang: Endlich hat auch<br />
die Schwerbehindertenvertretung<br />
Anspruch auf<br />
administrative Unterstützung<br />
im Amt.<br />
ne Mandatsaufgaben übernehmen wie z. B.<br />
Antragsbearbeitung auf Feststellung einer<br />
Schwerbehinderung, Antrag auf Gleichstellung,<br />
Aufgaben im BEM-Verfahren etc. Die<br />
Bürokraft ist keine »stellvertretende SBV«,<br />
das sind Aufgaben der gewählten SBV-Mitglieder.<br />
Eine klare Rollen- und Aufgabenteilung<br />
ist notwendig.<br />
Aufgaben und »erforderlicher Umfang«<br />
Je nach Betriebsgröße und anderen Faktoren<br />
kann eine stundenweise Bürohilfe, ein Teilzeitoder<br />
Vollzeit-Bürokraft erforderlich sein. Die<br />
SBV geht hier ebenso wie der BR oder PR vor:<br />
Sie erledigt ihre gesetzlichen Aufgaben in eigener<br />
Verantwortung und entscheidet darüber,<br />
ob und in welchem Umfang Büropersonal zur<br />
Durchführung der anstehenden <strong>Arbeit</strong> erforderlich<br />
ist. Dem BR steht hierbei ein Beurteilungsspielraum<br />
zu. 5 Er ist nicht über einzelne<br />
<strong>Arbeit</strong>en und Aufgaben rechenschaftspflichtig.<br />
Das ist analog so auch für die SBV zu sehen:<br />
Sie ermittelt anhand der betriebsüblichen<br />
<strong>Arbeit</strong>en den Umfang des Unterstützungsbedarfs<br />
und teilt dem <strong>Arbeit</strong>geber den Stundenbedarf<br />
mit. Welche Zeiten sind dabei zu<br />
beachten? Das ergibt sich z. B. aus dem Aufgabenprofil,<br />
das sich von Betrieb zu Betrieb<br />
unterscheiden kann:<br />
· Bürotätigkeit Zu den typischen Aufgaben<br />
gehören der allgemeine Schriftverkehr, Postbearbeitung<br />
Eingang / Ausgang / Verteilung,<br />
das Anlegen und die Ablage von Akten und<br />
Vorgängen, Protokolle von Sitzungen und<br />
Gesprächen (Inklusionsbeauftragter, Integrationsamt,<br />
Betriebsrat etc.), Telefondienst<br />
und Terminvereinbarungen in Abwesenheit<br />
der SBV (auch Vereinbarung Sprechstunden<br />
etc.), Überwachung Terminplan / Wiedervorlagen<br />
/ Fristen, das Beschaffen von Büround<br />
Info-Material, Schriftverkehr beim<br />
Betrieblichen Eingliederungsmanagement<br />
(BEM-Team), 6 Aktennotizen, Protokolle<br />
von Sitzungen des <strong>Arbeit</strong>sschutzausschusses<br />
und anderer Gremien (Gesundheitsmanagement<br />
etc.), Aufbereitung von Informationen<br />
(PPT, Excel etc.).<br />
· Organisation Vor- und Nachbereitung von<br />
Dienstreisen, Besetzung des SBV-Büros in<br />
Abwesenheit der SBV-Mitglieder, organisatorische<br />
Auskünfte, Aushänge pflegen,<br />
Wahrung des Datenschutzes bei der Aktenbearbeitung<br />
/-ablage, Assistenz beim Planen<br />
und organisieren von Tagungen und Gesprächen<br />
(Integrationsamt, <strong>Arbeit</strong>geber, GSBV,<br />
KSBV) sowie der Versammlung der schwerbehinderten<br />
Menschen: Einladungen an externe<br />
/ interne Gäste, Raumbuchung, Tagesordnung,<br />
Anfahrtswege, Barrierefreiheit etc.<br />
· Assistenz Dokumentation der laufenden<br />
SBV-Aufgaben für den jährlichen Tätigkeitsbericht,<br />
Rechercheaufgaben zu bestimmten<br />
Themen: z. B. Inklusionsvereinbarung, aktuelle<br />
Rechtsprechung etc. Unterstützung<br />
beim Erstellen von Präsentationen und eigenen<br />
Informationsmaterialien.<br />
Anhand des Aufgabenprofils wird deutlich:<br />
Die Bürokraft muss das Vertrauen der SBV gezum<br />
Weiterlesen<br />
Feldes / Krämer / Rehwald<br />
/ Westermann / Witt<br />
(<strong>2017</strong>): Schwerbehindertenrecht.<br />
Basiskommentar<br />
zum SGB<br />
IX mit Wahlordnung.<br />
13. aktualisierte Auflage<br />
mit den Änderungen<br />
Bundesteilhabegesetz.<br />
Bund-Verlag Frankfurt<br />
am Main. Bestellen: www.<br />
buchundmehr. de.<br />
Bolwig / Giese / Groskreutz<br />
/ Hlava / Ramm:<br />
Behindertenrecht im<br />
Betrieb. SGB IX – BTHG.<br />
Synopse / Tabelle: SGB IX<br />
und Gegenüberstellungen<br />
der Änderungen nach<br />
dem BTHG.<br />
Gesetzessammlung mit<br />
Erläuterungen. Erscheint<br />
neu ab 2018. Bund-Verlag<br />
Frankfurt am Main. Bestellen:<br />
www. buchundmehr.<br />
de.<br />
5 Vgl. Christian Schoof: Betriebsratspraxis von A–Z: Strichwort Betriebsratsbüro.<br />
Bund-Verlag Frankfurt am Main.<br />
6 Das gilt, wenn die SBV regelmäßig Aufgaben beim BEM erfüllt<br />
oder dem BEM-Team angehört: Dann sind hierfür erforderliche<br />
Zeiten für Unterstützung anzusetzen.<br />
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<strong>Arbeit</strong>sschutz. Mitbestimmen.<br />
<strong>Gute</strong> <strong>Arbeit</strong><br />
ARBEITSSCHUTZ<br />
UND ARBEITSGESTALTUNG<br />
Mit Online-Ausgabe und Archiv<br />
Neuauflage!<br />
Mit Redaktions-Service Online<br />
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§<br />
Ihr gutes Recht:<br />
§<br />
»<strong>Gute</strong> <strong>Arbeit</strong>« ist erforderliches Hilfsmittel im Sinne<br />
des § 40 Abs. 2 BetrVG, des BPersVG, der entsprechenden<br />
Landespersonalvertretungsgesetze und des § 96.4 SGB IX.<br />
Schnell, verständlich, rechtssicher.<br />
Lösungen für Betriebs- und Personalräte.