12/2017
Fritz + Fränzi
Fritz + Fränzi
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Fr. 7.50 <strong>12</strong>/Dezember <strong>2017</strong> 1/Januar 2018<br />
Multiple Sklerose<br />
Alina ist 6, als sie<br />
an MS erkrankt.<br />
Eine Reportage.<br />
Generation Sandwich<br />
Kinder erziehen und<br />
die Eltern pflegen:<br />
Für viele ist das<br />
kräftezehrender Alltag.<br />
Exklusiv-Interview mit Europas grossem Pädagogen:<br />
Wer er ist, wie er lebt, was ihn hoffen lässt<br />
Jesper Juul
Alter<br />
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Editorial<br />
Bild: Geri Born<br />
Nik Niethammer<br />
Chefredaktor<br />
Liebe Leserin, lieber Leser<br />
Flug und Hotel waren gebucht, die Reise nach Dänemark Anfang August fest geplant. Doch<br />
es kam anders: «Jesper Juul war vier Wochen im Spital. Sein Gesundheitszustand ist<br />
instabil», schrieb mir Caroline Märki von familylab am 24. Juni. «Er fühlt sich zu schwach,<br />
um dich zum Interview zu empfangen.» Was nur wenige wissen: Jesper Juul, der<br />
bedeutendste Familientherapeut Europas und Autor zahlreicher Ratgeberbücher, ist<br />
seit vier Jahren schwer krank und in seiner Mobilität stark eingeschränkt.<br />
Dass wir Ihnen in dieser Ausgabe dennoch ein exklusives Interview mit Jesper Juul<br />
präsentieren können, ist vor allem Caroline Märki zu verdanken. Sie hat Jesper Juul im<br />
Rahmen eines familylab-Seminars in Dänemark am Abend des 7. August zu Hause in Odder<br />
besucht. Während zwei Stunden konnte sie ihm einen Teil der Fragen stellen, die meine<br />
Kollegin Evelin Hartmann und ich zusammengetragen hatten. Auf einige weitere Fragen<br />
hat Juul später schriftlich geantwortet. Wie Jesper Juul lebt, warum er Eltern mit seinen<br />
Thesen immer wieder provoziert – und wovon er träumt: das grosse Interview – ab Seite 32.<br />
«Im Prinzip kommt es nur<br />
auf eines an: Kinder<br />
erleben zu lassen, dass sie<br />
eine konstruktive<br />
Bedeutung für das Leben<br />
ihrer Eltern haben und<br />
dieses seit ihrer Geburt<br />
bereichern.»<br />
Jesper Juul (aus: Familienkalender <strong>2017</strong>)<br />
Unsere Spendenaktion «Ein Begleithund für Joel» (siehe November-Heft)<br />
geht weiter. Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe betrug der Spendenstand<br />
knapp 11 000 Franken. Das bedeutet: Ein Drittel des benötigten Geldes ist<br />
inzwischen zusammengekommen. Die Suche nach einem passenden Labrador<br />
ist aufwendig und zeitintensiv. Im Februar 2018 wird Joel mit mehreren<br />
Begleithunden und ihren Trainern zusammenkommen. Dann soll sich zeigen,<br />
welcher Hund sich als Begleiter von Joel am besten eignet. Über unsere<br />
Spendenaktion (inkl. Spendenbarometer) informieren wir Sie laufend auf<br />
unserer Website und auf www.elternsein.ch. Ich danke Ihnen im Namen der<br />
Familie Bettschen ganz herzlich für Ihre Unterstützung.<br />
Neulich schrieb mir eine Kollegin: «Es tut mir leid, dass ich letzte Woche<br />
fehlte! Mein Schwiegervater liegt immer noch auf der Intensivstation, wir<br />
wissen nicht, wie es weitergeht. Heute bringen wir meine Schwiegermutter in<br />
eine temporäre Betreuungseinrichtung, sie hat Mühe mit dem Alleinsein, ist<br />
zu allem Übel noch gestürzt. Wir müssen jetzt die nächsten Tage organisieren.<br />
Wie das parallel mit Job und Familie gehen soll, ist mir schleierhaft!»<br />
Meine Kollegin ist nicht allein mit ihrem Spagat zwischen Job, der Verantwortuung für die<br />
eigenen Kinder und der Fürsorge für die Eltern. Rund 220 000 Menschen in der Schweiz<br />
pflegen oder betreuen Angehörige inner- oder ausserhalb des eigenen Haushalts. Wie sehr<br />
sie dabei an die Grenze ihrer Belastbarkeit stossen und welche Unterstützung sie dringend<br />
benötigen, beschreiben wir in unserem Dossier «Sandwich-Generation» – ab Seite 10.<br />
Nun wünsche ich Ihnen spannende Einsichten mit dieser Doppelnummer. Unsere nächste<br />
Ausgabe erscheint am 6. Februar 2018. Wie immer finden Sie ausgewählte Geschichten aus<br />
unserem Magazin und Texte, die wir nur online publizieren, unter www.fritzundfraenzi.ch.<br />
Herzlichst, Ihr Nik Niethammer<br />
850 Lehrstellen in 25 Berufen | www.login.org
Inhalt<br />
Ausgabe <strong>12</strong> / Dezember <strong>2017</strong> 1 / Januar 2018<br />
Viele nützliche Informationen finden Sie auch auf<br />
fritzundfraenzi.ch und<br />
facebook.com/fritzundfraenzi.<br />
Psychologie & Gesellschaft<br />
30 Nehmt euch die Zeit!<br />
Gemeinsame Unternehmungen mit der<br />
Familie bleiben in Zeiten vollgepackter<br />
Agenden oft auf der Strecke – das sollte<br />
nicht sein.<br />
Augmented Reality<br />
Dieses Zeichen im Heft bedeutet, dass Sie digitalen Mehrwert<br />
erhalten. Hinter dem ar-Logo verbergen sich Videos und<br />
Zusatzinformationen zu den Artikeln.<br />
Bild: Franz Bischof<br />
10<br />
Dossier: Generation<br />
Sandwich<br />
10 Wer kümmert sich?<br />
Immer mehr Menschen zwischen<br />
40 und 60 sind zwischen zwei<br />
Generationen eingeklemmt: Sie<br />
tragen die Verantwortung für ihre<br />
eigenen Kinder und ihre Eltern.<br />
Was könnte diese Mütter und<br />
Väter entlasten?<br />
28 Für das Alter gewappnet<br />
Kinder sollten sich mit ihren Eltern<br />
frühzeitig darüber verständigen,<br />
wie eine mögliche Versorgung im Alter<br />
gestaltet werden kann, sagt<br />
die Pflegewissenschaftlerin<br />
Iren Bischofberger im Interview.<br />
Cover<br />
Jesper Juul ist einer<br />
der bedeutendsten<br />
Pädagogen Europas –<br />
und schwer krank.<br />
Trotzdem hat er uns<br />
ein grosses Interview<br />
gegeben.<br />
Bilder: Ed Kashi, Franz Bischof, Gabi Vogt / 13 Photo, fotolia<br />
4
32<br />
60<br />
68<br />
Jesper Juul, was würden Sie als Vater heute<br />
anders machen?<br />
Alina hat MS und ist oft müde. Ansonsten<br />
merkt man ihr die Krankheit kaum an.<br />
Rund 8700 Kinder und Erwachsene erkranken<br />
hierzulande jedes Jahr an Keuchhusten.<br />
Erziehung & Schule<br />
42 Abwechselnd bei Mami und Papi<br />
Nach einer Trennung muss geklärt<br />
werden, bei wem die Kinder wohnen.<br />
Das Modell der alternierenden Obhut<br />
wird immer beliebter.<br />
46 Was will ich werden?<br />
Ein Lehrer berichtet, wie die Schule<br />
Jugendliche bei der Berufsfindung<br />
begleitet.<br />
50 Frohes Schreiben!<br />
Die Weihnachtszeit bietet zahlreiche<br />
Möglichkeiten, das Schreiben zu<br />
üben. Wir stellen die schönsten vor.<br />
52 AD(H)S? Oder hochsensibel?<br />
Expertin Corinna Huber klärt auf und<br />
beschreibt im Interview, welches die<br />
grösste Falle im Umgang mit<br />
betroffenen Kindern ist.<br />
56 Geldgeschenke<br />
Viele Jugendliche wünschen sich<br />
Bares. Was Eltern beachten sollten.<br />
60 Multiple Sklerose<br />
Die Nervenkrankheit trifft auch Kinder<br />
und Jugendliche – zum Beispiel Alina<br />
und Tina.<br />
Ernährung & Gesundheit<br />
68 Mehr als ein bisschen Husten<br />
Keuchhusten wird oft spät erkannt.<br />
Dabei ist die Atemwegserkrankung<br />
nicht zu unterschätzen.<br />
Digital & Medial<br />
72 Familienblogs<br />
Geschichten aus der eigenen Familie<br />
erzählen und damit Geld verdienen?<br />
Die Welt der Schweizer Mamablogs.<br />
76 Die Helden meiner Kindheit<br />
Pippi Langstrumpf, Sindbad, Silas:<br />
gemeinsam mit den Kindern in<br />
TV-Erinnerungen schwelgen.<br />
Rubriken<br />
03 Editorial<br />
06 Entdecken<br />
32 Jesper Juul<br />
Millionen Eltern lesen seine Bücher.<br />
In einem Exklusiv-Interview blickt<br />
Jesper Juul auf sein Lebenswerk<br />
zurück.<br />
48 Fabian Grolimund<br />
Müssen Eltern in der Erziehung<br />
immer einer Meinung sein? Der<br />
Elterncoach meint nein.<br />
57 Mikael Krogerus<br />
Unser Kolumnist über das ständige<br />
Streben nach Selbstoptimierung.<br />
58 Leserbriefe<br />
82 Eine Frage – drei Meinungen<br />
Wie tröstet man einen 17-Jährigen,<br />
der noch keine Freundin hat?<br />
Service<br />
75 Verlosung<br />
78 Ein Wochenende …<br />
… in Nendaz<br />
80 Sponsoren/Impressum<br />
81 Buchtipps<br />
Die nächste Ausgabe erscheint<br />
am 6. Februar 2018.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2017</strong> / Januar 20185
Entdecken<br />
Mit Kindern die<br />
Region erkunden<br />
Was tun am Wochenende? Wieder<br />
ins Naturmuseum? Auf den Weihnachtsmarkt<br />
oder doch lieber mal<br />
etwas anderes kennenlernen – aber<br />
was? Auf der Online-Plattform<br />
www.kinderregion.ch finden Familien<br />
aus den Regionen Baden, Winterthur,<br />
Zug und Zürich ganz auf<br />
ihre Bedürfnisse zugeschnittene<br />
Freizeitangebote – und die liegen<br />
direkt vor ihrer Haustür. Zudem<br />
erzählen Bloggerinnen und Blogger<br />
aus ihrem (Familien-)Alltag.<br />
3 FRAGEN<br />
www.kinderregion.ch<br />
an Cornelia Mackuth-Wicki, Geschäftsleiterin von Pro Pallium<br />
«Trauer braucht Zeit»<br />
Wenn ein Kind stirbt, steht für seine Eltern die Welt still. Die Organisation<br />
Pro Pallium habe es sich zur Aufgabe gemacht, trauernde Mütter und<br />
Väter in ihrem Schmerz nicht alleinzulassen, sagt Geschäftsleiterin und<br />
Trauerbegleiterin Cornelia Mackuth-Wicki.<br />
Interview: Evelin Hartmann<br />
Frau Mackuth-Wicki, wie können Sie trauernde Eltern<br />
unterstützen?<br />
Pro Pallium bietet diesen Müttern und Vätern beispielsweise Einzelbetreuung,<br />
aber auch Väter- und Müttertrauergruppen, Informationen zum<br />
Thema oder Aktivitäten an, bei denen Familien, die ähnliche Schicksale<br />
teilen, etwas zusammen unternehmen können.<br />
Welches Angebot wird am meisten nachgefragt, oder anders gefragt:<br />
Was brauchen diese Eltern am meisten?<br />
Am besten besucht werden die Müttergruppen – vielleicht, weil sich für<br />
Mütter im Alltag am meisten verändert oder sie anders umgehen mit ihrer<br />
Trauer als Väter. Hier können sie immer wieder über ihren Verlust reden,<br />
mit Leuten, die nicht müde werden zuzuhören – aber sich auch untereinander<br />
austauschen, was ihnen in ihrer Trauer geholfen hat.<br />
Was kann man tun, wenn im eigenen Umfeld ein Kind stirbt?<br />
Man sollte den betroffenen Eltern nicht aus dem Weg gehen, sagen, dass<br />
es einem leidtut, und konkrete Hilfestellung anbieten. Beispielsweise die<br />
Geschwister des verstorbenen Kindes einmal zu einem Ausflug mitnehmen,<br />
ein Nachtessen zubereiten, die Mutter oder den Vater zum Friedhof<br />
begleiten, falls sie das wünschen. Und man sollte keinen Druck aufbauen:<br />
Die Welt der betroffenen Familie dreht sich nicht nach drei Monaten<br />
normal weiter. Trauer braucht Zeit.<br />
Alle Infos auf www.pro-pallium.ch<br />
In den 3 Wochen nach dem Start der Netflix-Serie<br />
«13 Reasons Why» (deutsche Fassung: «Tote<br />
Mädchen lügen nicht») googelten Internetnutzer in<br />
den USA bis zu 26 % häufiger nach Suizidmethoden.<br />
In der fiktiven Teenie-Serie erzählt die<br />
Protagonistin über 13 Folgen hinweg ihrer Nachwelt,<br />
warum sie sich das Leben nahm.<br />
(Quelle: JAMA Internal Medicine, eine wissenschaftliche Zeitschrift,<br />
die von der American Medical Association veröffentlicht wird)<br />
Teilnehmer für<br />
Studie gesucht!<br />
Das Institut für Unternehmensentwicklung<br />
der Berner Fachhochschule<br />
beteiligt sich aktuell an<br />
einer Studie zur Vereinbarkeit<br />
von Familie und Beruf im internationalen<br />
Vergleich. Gesucht werden Studienteilnehmer, die mit mindestens<br />
einem Kind im selben Haushalt zusammenleben und einer abhängigen<br />
Beschäftigung von mindestens 20 Stunden pro Woche nachgehen.<br />
Die Angaben werden ausschliesslich in anonymisierter Form für<br />
Forschungszwecke verwendet. Als Dankeschön werden unter allen<br />
Teilnehmerinnen und Teilnehmern fünf Einkaufsgutscheine im Wert<br />
von je 50 Franken verlost.<br />
Studie auf: www.wirtschaft.bfh.ch/umfrage-iswaf<br />
Bilder: iStockphoto, fotolia<br />
6 Dezember <strong>2017</strong> / Januar 2018 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
www.volkswagen.ch<br />
Raum für alle und alles.<br />
Der neue Tiguan Allspace.<br />
Mehr Kofferraum und 21.5 cm länger.<br />
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Ein Auto, unzählige Möglichkeiten. Im neuen Tiguan Allspace finden dank des flexiblen<br />
Raumangebots mit optionaler umklappbarer dritter Sitzreihe 1 bis zu sieben Passagiere Platz.<br />
Nur für eines ist kein Platz: Langeweile.<br />
Wir bringen die Zukunft in Serie.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Dezember <strong>2017</strong> / Januar 20187<br />
¹ Für Passagiere bis max. 1.60 Meter. 2 Kostenlose Wartung und Verschleiss. Es gilt das zuerst Erreichte. Änderungen vorbehalten.
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24 Geschenkideen<br />
Was schenke ich nur zu Weihnachten?<br />
Für Unentschlossene haben wir einen<br />
Online-Adventskalender mit<br />
24 Geschenkideen gefüllt. Wie wäre<br />
es zum Beispiel mit einem Bastelnachmittag<br />
für das Gottimädchen<br />
oder einem Wimmelbuch über den<br />
Zoo Zürich? Das könnte auch gleich<br />
als Gutschein für den nächsten<br />
gemein samen Zoobesuch dienen.<br />
www.fritzundfraenzi.ch<br />
Und die Moral von der Geschichte ... Kindern fällt es leichter,<br />
die berühmte «Moral von der Geschichte» zu begreifen, wenn in der Erzählung Menschen<br />
die Hauptrolle spielen. Das entdeckten Forscher von der University of Toronto in Kanada<br />
in einer Untersuchung mit vier- bis sechsjährigen Kindern. So waren diejenigen Kinder,<br />
denen eine Geschichte mit Menschen vorgelesen wurde, eher bereit, das ihnen überlassene<br />
Spielzeug zu teilen, als dies Kinder aus der Vergleichsgruppe waren – diesen wurde gar<br />
nicht vorgelesen oder Geschichten, in denen Tiere die Hauptrolle spielten. Kinder können<br />
also leichter Wissen aus Geschichten ziehen, wenn diese realistisch sind, so die Forscher.<br />
«Die Jugendlichen heutzutage verfügen<br />
über einen gesunden Menschenverstand,<br />
messen einem progressiven Eintritt in die<br />
Sexualität einen sehr hohen Stellenwert<br />
und der Intimität, der Partnerwahl, dem<br />
richtigen Moment und geeigneten Alter<br />
eine grosse Bedeutung bei.»<br />
(Annamaria Colombo in einem Interview auf<br />
www.tagesanzeiger.ch über Ergebnisse aus ihre Studie<br />
«Sex, Beziehungen ... und du?»)<br />
Annamaria Colombo ist<br />
Professorin und die<br />
Verantwortliche für<br />
angewandte Forschung und<br />
Entwicklung an der<br />
Hochschule für soziale<br />
Arbeit in Freiburg.<br />
Besser Lernen<br />
Egal ob Geschichte, Biologie oder<br />
Geografie: Sehr oft müssen wir<br />
beim Lernen Texte lesen, verstehen<br />
und das Wichtigste daraus wiedergeben<br />
können. Viele Jugend liche lernen<br />
aber mit einer schlechten Strategie: Sie<br />
lesen die Texte mehrmals durch in der<br />
Hoffnung, dass genügend Wissen «hängenbleibt». Doch<br />
um uns Inhalte zu merken, müssen wir den Stoff nicht<br />
nur lesen, sondern auch vernetzen – indem wir das<br />
Gelesene in eigenen Worten wiedergeben, mit Beispielen<br />
und bildhaften Vorstellungen anreichern und uns<br />
überlegen, welche Fragen zu den behandelten Themen<br />
gestellt werden könnten. In der neuen Folge von Adi und<br />
Jess zeigen Stefanie Rietzler und Fabian Grolimund, wie<br />
diese wirkungsvollen Lernstrategien eingesetzt werden.<br />
Zu finden auf www.fritzundfraenzi.ch > Video.<br />
Starten Sie<br />
die aktuelle<br />
Fritz+Fränzi-App,<br />
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und sehen Sie den<br />
neuen Lernfilm<br />
mit Adi und Jess.<br />
Bilder: iStockphoto, Pexels Torsten Dettlaff, ZVG<br />
8 Dezember <strong>2017</strong> / Januar 2018 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Rubrik<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2017</strong> / Januar 20189
Generation<br />
Sandwich<br />
Sie sind eingeklemmt zwischen der Verantwortung für die<br />
eigenen Kinder und jener für die Eltern: Ein Fünftel aller<br />
Schweizer Frauen betreut einen pflegebedürftigen Angehörigen<br />
und gerät damit an die Grenzen der Belastbarkeit. Zwei Mütter<br />
erzählen. Text: Yvonne Kiefer-Glomme Bilder: Ed Kashi<br />
10 Dezember <strong>2017</strong> / Januar 2018 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2017</strong> / Januar 201811
Dossier<br />
<strong>12</strong> <br />
Dezember <strong>2017</strong> / Januar 2018 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
Als der 83-jährige Herbie Winokur erste<br />
Anzeichen von Demenz zeigte, zogen seine<br />
Tochter, die Filmerin Julie Winokur, und ihr<br />
Mann, der Fotojournalist Ed Kashi, mit ihren<br />
zwei Kindern von San Francisco zu ihm<br />
nach New Jersey. Die Bilder in diesem<br />
Dossier zeigen Szenen aus ihrem Alltag.<br />
Starten Sie<br />
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Fritz+Fränzi-App,<br />
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und sehen Sie den Trailer zu<br />
Julie Winokurs Film «The<br />
Sandwich Generation».<br />
Willkommen im<br />
Irrenhaus!»,<br />
sagt Jasmin<br />
Dubois* und<br />
lä chelt. Kaum<br />
hat die 44-Jährige ihr Haus in<br />
Emmenbrücke LU betreten, klingelt<br />
das Telefon. Gestern hat ihre 76-jährige<br />
Schwiegermutter – sie lebt seit<br />
20 Jahren auf Mallorca – einen<br />
Schlaganfall erlitten und musste in<br />
eine Klinik eingeliefert werden. Nun<br />
ist deren Nachbarin am Apparat und<br />
drängt darauf, dass ein Familienmitglied<br />
anreist. Trotz begrenzter Spanischkenntnisse<br />
steht Jasmin Dubois<br />
nun in ständigem Kontakt mit den<br />
Ärzten und bemüht sich um Unterstützung<br />
vor Ort. Ihr Mann und sein<br />
Bruder sind beruflich so eingebunden,<br />
dass sie nicht sofort nach Palma<br />
fliegen können. Und auch sie selbst<br />
müsste zuerst ihre Töchter, zwölf<br />
und acht Jahre, bei Freunden unterbringen.<br />
Immer unter Strom<br />
Auch Jasmin Dubois’ eigene Eltern<br />
sind auf Hilfe angewiesen. Seit drei<br />
Jahren fährt die gebürtige Französin<br />
alle zwei Wochen zu ihnen ins 130<br />
Kilometer entfernte Mulhouse, kauft<br />
für sie ein und putzt deren Haus. Ihr<br />
Bruder kümmert sich um alle schriftlichen<br />
und finanziellen Angelegenheiten.<br />
Grund dafür ist ihre 80-jährige<br />
Mutter: Sie leidet an einer<br />
unheilbaren Autoimmunerkran-<br />
kung. Ausser einer Pflegefachfrau<br />
lässt ihr 86-jähriger Vater jedoch<br />
keine fremde Hilfe zu. Auch einen<br />
Umzug in die Nähe ihrer Tochter<br />
lehnt er ab. Ihrer Mutter zuliebe<br />
beugt sich Jasmin Dubois diesen<br />
Umständen. Vor Ort bleiben ihr fünf<br />
Stunden, dann muss sie wieder<br />
zurück. Denn zu Hause warten ihre<br />
Töchter, die nach der Schule bei<br />
Nachbarn zu Mittag essen. Für den<br />
eigenen Haushalt sowie die Kinderbetreuung<br />
hat sie keine professionelle<br />
Unterstützung. «Das liegt finanziell<br />
nicht drin», sagt sie. Ihr Alltag<br />
ist durchgeplant. Stress machen ihr<br />
nur die nicht kalkulierbaren Punkte,<br />
die Wutausbrüche ihrer pubertierenden<br />
Tochter, die Eifersüchteleien der<br />
Jüngeren oder wenn eine der beiden<br />
nicht zur verabredeten Zeit nach<br />
Hause kommt. «Dann brauche ich<br />
Geduld und Nerven, die ich nicht<br />
mehr habe.»<br />
Rund 220 000 Menschen, davon<br />
140 000 im erwerbsfähigen Alter,<br />
betreuen oder pflegen Personen in<br />
oder ausserhalb ihres eigenen >>><br />
In mehr als zwei Drittel der<br />
Fälle übernehmen die Frauen<br />
die Pflege der Angehörigen.<br />
13
Dossier<br />
Einmal im Monat wünscht<br />
sich Sidonia Gianellas Sohn<br />
einen Nachmittag allein<br />
mit seiner Mutter.<br />
>>> Haushalts, so die Hochrechnungen<br />
der Schweizer Arbeitskräfteerhebung<br />
(SAKE) von 2013. Laut<br />
dem Spitex Verband Schweiz leisteten<br />
Angehörige im Jahr 2013 64 Millionen<br />
Pflege- und Betreuungsstunden,<br />
sogenannte Care-Arbeit. Das<br />
entspricht einer Gratisarbeit im<br />
Wert von 3,5 Milliarden Franken.<br />
Durchschnittlich 30 Betreuungsstunden<br />
pro Woche übernehmen<br />
die erwachsenen Töchter und Söhne<br />
der Betroffenen.<br />
Die Älteren wollen selbstbestimmt<br />
leben – und wohnen weit weg<br />
Besonders hart trifft es die Paare im<br />
Alter von 40 bis 60 Jahren, die erst<br />
spät eine eigene Familie gegründet<br />
haben – sie sind die Sandwich-Generation.<br />
Ihr Problem: Nicht nur die<br />
Vereinbarkeit von Beruf und Familie<br />
will erfolgreich gemanagt werden,<br />
sondern auch die Fürsorge für die<br />
Eltern oder andere ältere Angehörige.<br />
Und diese Aufgabe stellt sich<br />
nicht erst – wie in den Generationen<br />
davor – , nachdem die eigenen Kinder<br />
aus dem Haus sind, sondern<br />
während diese noch heranwachsen.<br />
In mehr als zwei Drittel der Fälle<br />
übernehmen die Frauen diese<br />
Betreuungsaufgabe.<br />
Das bedeutet: Die aufgrund von<br />
langen Ausbildungszeiten und Er -<br />
werbstätigkeit zunehmend älteren<br />
Mütter sind gerade dabei, beruflich<br />
wieder durchzustarten, da müssen<br />
sie erneut ihre Bedürfnisse zurückstellen.<br />
Und dies zu einem Zeitpunkt,<br />
an dem sie angesichts hoher<br />
Kita- und Hortkosten selbst noch<br />
Unterstützung bei der Kinderbe-<br />
treuung gebrauchen könnten. Hinzu<br />
kommt, dass die älteren Familienmitglieder<br />
heute meist so lange wie<br />
möglich selbstbestimmt in ihrem<br />
eigenen Haushalt leben möchten –<br />
und dieser durch die steigende<br />
berufliche Mobilität häufig in grösserer<br />
räumlicher Entfernung liegt.<br />
Chronische Besorgnis<br />
Diese Situation kennt Sidonia Gianella<br />
aus Gelterkinden BL nur zu gut.<br />
Die 51-Jährige besucht zwei bis drei<br />
Mal pro Woche ihre 77-jährige Mutter,<br />
die allein im 30 Minuten entfernten<br />
Lupsingen BL wohnt. Ihre Mutter,<br />
die gelernte Damenschneiderin,<br />
konnte auf einmal keine Schnittmuster<br />
mehr zuordnen und irrte während<br />
eines Ferienaufenthaltes eine<br />
Stunde lang vergeblich im Hotel<br />
umher, um sich einen Pfefferminztee<br />
zu besorgen.<br />
Nach diesen ersten Krankheitszeichen<br />
wurde bei ihr im Dezember<br />
2015 eine seltene Form der Demenz<br />
diagnostiziert. «Seitdem bin ich ihre<br />
Hauptbezugsperson, organisiere<br />
ihren Alltag, begleite sie zu Arztterminen<br />
und versuche, sie emotional<br />
zu unterstützen», so Sidonia Gianella.<br />
Aus einem geplanten halben Tag<br />
vor Ort werden schnell acht Stunden.<br />
Denn die klaren Momente der<br />
Mutter sind rar. Dazwischen fällt sie<br />
oft in eine depressive Stimmung und<br />
muss getröstet werden. Gianellas<br />
Schwester kümmert sich um die Post<br />
und die Finanzen der Mutter und<br />
besucht sie, so oft es geht.<br />
Um sich zu entlasten, versuchte<br />
Sidonia Gianella sechs Wochen lang,<br />
ihre Mutter für zwei Nachmittage<br />
pro Woche in eine Tagesstätte einzugewöhnen.<br />
Doch der erste Versuch<br />
scheiterte: Ihre Mutter weigerte sich,<br />
allein dorthin zu gehen. Zur Unterstützung<br />
im eigenen Haushalt hat<br />
sich Sidonia Gianella zu einer Putzfrau<br />
durchgerungen. «Eigentlich<br />
scheue ich die Kosten hierfür, aber<br />
auf diese Weise kann ich mir etwas<br />
Zeitdruck aus meinem Alltag nehmen.»<br />
Jeweils am<br />
>>><br />
Wochenen-<br />
14
Dossier<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Dezember <strong>2017</strong> / Januar 201815
Dossier<br />
16 Dezember <strong>2017</strong> / Januar 2018 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
>>> de bespricht sie gemeinsam mit<br />
ihrem Mann und ihrem 14-jährigen<br />
Sohn ihre Agenda für die nächste<br />
Woche. So weiss der Achtklässler<br />
immer, wann er auf seine Mutter<br />
verzichten muss und wo er sie erreichen<br />
kann. Bei Engpässen zu Hause<br />
versucht Gianellas Mann einzuspringen,<br />
muss dies jedoch durch<br />
Arbeit am Wochenende ausgleichen.<br />
Ressource Angehörige<br />
Dank medizinisch-therapeutischer<br />
Fortschritte hat sich die Lebenserwartung<br />
in den letzten Jahrzehnten<br />
deutlich erhöht: Bis 2050 wird sich<br />
die Zahl der über 80-Jährigen in der<br />
Schweiz von 442 000 (<strong>2017</strong>) auf<br />
knapp 1,2 Millionen fast verdreifachen,<br />
so die Schätzungen des Bundesamts<br />
für Statistik. «Der medizinische<br />
Fortschritt bringt aber auch<br />
mit sich, dass immer mehr diagnostiziert<br />
und therapiert wird – und dies<br />
bis ins hohe Alter. Menschen mit<br />
chronischen Erkrankungen, wie beispielsweise<br />
Demenz und Parkinson,<br />
leben daher heute viel länger als<br />
noch vor 10 bis 20 Jahren und müssen<br />
entsprechend länger betreut<br />
werden», erklärt die Pflegewissenschaftlerin<br />
Iren Bischofberger, Programmleiterin<br />
«work & care» bei<br />
Careum Forschung und der Kalaidos<br />
Fachhochschule Gesundheit.<br />
Laut dem «Angehörigenbericht»<br />
des Bundesrats von 2014 wird die<br />
Zahl der pflegebedürftigen älteren<br />
Menschen bis 2030 um 46 Prozent<br />
zunehmen. «Dem steht ein Wandel<br />
der Familienstrukturen hin zur<br />
Kleinfamilie, eine Zunahme kinderloser<br />
Paare und eine höhere Er -<br />
werbsquote der Frauen gegenüber»,<br />
betont Philippe Gnaegi, Geschäftsführer<br />
von Pro Familia Schweiz.<br />
Diese gesellschaftlichen Entwicklungen<br />
verringern die Zahl der<br />
Angehörigen, die ihre älteren Familienmitglieder<br />
unterstützen können.<br />
Den wachsenden Betreuungsbedarf<br />
älterer Menschen kann das Schweizer<br />
Gesundheitswesen jedoch nicht<br />
>>><br />
allein durch professionelle<br />
Linktipps<br />
• info-workcare.ch Nationales,<br />
organisationsübergreifendes,<br />
dreisprachiges Internetportal von<br />
Travail Suisse für berufstätige,<br />
pflegende Angehörige<br />
• careinfo.ch Informationsplattform<br />
der Fachstelle für Gleichstellung<br />
der Stadt Zürich zum Thema Pflege<br />
und Betreuung durch 24-Stunden-<br />
Betreuerinnen<br />
• alz.ch (Schweizerische Alzheimervereinigung):<br />
Beratung, Entlastungs-<br />
und Besuchsdienste, Ferienangebote<br />
und Angehörigengruppen<br />
• angehoerige-pflegen.ch Internetauftritt<br />
zum Tag für pflegende<br />
und betreuende Angehörige<br />
• caritas.ch Vermittlung professioneller<br />
24-Stunden-Betreuerinnen<br />
aus dem europäischen Caritas-Netz<br />
• entlastungsdienste.ch Entlastungsangebote<br />
für einzelne<br />
Stunden, Tage, Wochenenden<br />
oder die Ferien<br />
• pflege-entlastung.ch (Schweizerisches<br />
Rotes Kreuz) Beratung,<br />
Besuchs-, Begleit-, Fahr- und<br />
Entlastungsdienste, Tagesstätten<br />
und -zentren<br />
• prosenectute.ch Beratung, Mahlzeiten-<br />
und Entlastungsdienst,<br />
Haushaltshilfe<br />
• proinfirmis.ch Entlastungs- und<br />
Fahrdienste, Hilfsmittel- und Sozialberatung<br />
für behinderte Menschen<br />
und ihre Angehörigen<br />
• spitex.ch Kranken- und Gesundheitspflege,<br />
hauswirtschaftliche<br />
Unterstützung, Beratung, Koordination<br />
und sozialbetreuerische<br />
Begleitung<br />
Die Zahl der<br />
pflegebedürftigen älteren<br />
Menschen wird bis 2030<br />
um 46 Prozent zunehmen.<br />
17
Dossier<br />
>>> und institutionelle Anbieter<br />
wie Entlastungsdienst Schweiz, Caritas,<br />
Pro Senectute, Spitex oder<br />
Schweizerisches Rotes Kreuz abdecken.<br />
«Es fehlen die notwendigen<br />
Pflegekräfte und die finanziellen<br />
Mittel», heisst es im Bericht des Bundesrats<br />
weiter. Die unentgeltliche<br />
Betreuung und Pflege durch Angehörige<br />
sei für die Zukunft des<br />
Gesundheitssystems somit bedeutend.<br />
Andererseits sollen angesichts<br />
des Fachkräftemangels sowie der<br />
Wachstumspolitik des Bundes möglichst<br />
viele Frauen erwerbstätig bleiben.<br />
Was den Druck auf pflegende<br />
Angehörige noch verstärkt.<br />
«Auch die gesundheitspolitische<br />
Prämisse ‹ambulant vor stationär›<br />
darf nicht zu einer Überstrapazierung<br />
der Ressourcen von Angehörigen<br />
führen», kommentiert Iren<br />
Bischofberger. Vor diesem Hintergrund<br />
hat der Bundesrat beschlossen,<br />
dass der Vereinbarkeit von<br />
Erwerbstätigkeit und Angehörigenpflege<br />
mehr Aufmerksamkeit gewidmet<br />
werden muss (siehe Seite 22).<br />
Wenn der Spagat zu gross wird<br />
«Keine Leergänge», dieser Leitsatz<br />
aus dem Gastroservice könnte Jasmin<br />
Dubois’ persönlicher Wahlspruch<br />
sein. Bis zu ihrem 36. Lebensjahr,<br />
in dem ihre zweite Tochter zur<br />
Welt kam, arbeitete die Gastronomin<br />
Vollzeit. Danach pausierte sie mehrere<br />
Jahre, um schliesslich mit zwei<br />
halben Tagen pro Woche wieder einzusteigen.<br />
Durch die Erkrankung<br />
ihrer Mutter musste sie diese Teilzeitstelle<br />
jedoch aufgeben. Seitdem<br />
zahlt sie nur noch ein Mini- >>><br />
Lücken in der Altersvorsorge<br />
können die Existenz von<br />
pflegenden Angehörigen<br />
bedrohen.<br />
18
Dossier<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2017</strong> / Januar 201819
20 <br />
Dezember <strong>2017</strong> / Januar 2018 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
>>> mum in ihre 3. Säule ein. Um<br />
sowohl den Bedürfnissen ihrer Töchter<br />
als auch denen ihrer älteren Familienmitglieder<br />
gerecht zu werden,<br />
stellt Jasmin Dubois ihre eigenen<br />
hintan. Die einzigen «Leergänge»,<br />
die sie sich zurzeit erlaubt, sind kurze<br />
Kaffeepausen auf ihrer Terrasse.<br />
Ihr Mann arbeitete bis vor kurzem<br />
in Solothurn, sodass er erst spätabends<br />
zu Hause war. Wichtige Dinge<br />
konnten sie unter der Woche oft<br />
nur telefonisch besprechen.<br />
Das Verständnis ist begrenzt<br />
Ähnlich erging es Sidonia Gianella.<br />
Als hauswirtschaftliche Betriebsleiterin<br />
führte sie 40 bis 70 Mitarbeiter.<br />
Auch für sie stand bis zur Geburt<br />
ihres Sohnes – zu diesem Zeitpunkt<br />
war sie 38 – der Beruf an erster Stelle.<br />
Danach pausierte sie drei Jahre<br />
und stieg mit einer Teilzeitstelle im<br />
Spielwarenfachhandel wieder in die<br />
Erwerbstätigkeit ein. Diesen Job<br />
behielt sie zunächst auch bei, als bei<br />
ihrer Mutter eine Demenz diagnostiziert<br />
wurde. «Um flexibel in einem<br />
Teilzeitpensum arbeiten zu können,<br />
habe ich darauf verzichtet, in meinem<br />
erlernten Beruf zu arbeiten, und<br />
war bereit, mich auf Stundenlohnbasis<br />
anstellen zu lassen.» Ein Jahr<br />
später kündigte jedoch auch sie: Der<br />
Spagat zwischen den beruflichen<br />
und den privaten Anforderungen<br />
wurde zu gross. «Wenn eine Mutter<br />
mit ihrem Kind ins Spital muss, hat<br />
man am Arbeitsplatz Verständnis.<br />
Muss man dies mit einem Elternteil,<br />
ist das Verständnis nur begrenzt», so<br />
Gianella.<br />
Bei Absenzen für kranke und<br />
pflegebedürftige Angehörige über<br />
15 Jahren sind Erwerbstätige gemäss<br />
Arbeitsgesetz auf freiwillige Vereinbarkeitsarrangements<br />
ihres Arbeitgebers<br />
angewiesen. Daraus resultierende<br />
Einkommenseinbus sen oder<br />
Vorsorgelücken können für pflegende<br />
Angehörige jedoch existenzgefährdend<br />
sein. Betreuende Angehörige<br />
entwickeln Kompetenzen in der<br />
Care-Arbeit. Manche gewin >>><br />
Um den Bedürfnissen<br />
ihrer Familie gerecht zu<br />
werden, stellt Jasmin<br />
Dubois ihre eigenen<br />
Bedürfnisse hintan.<br />
Literaturtipps<br />
Ich kann doch nicht immer für dich<br />
da sein: Wege zu einem besseren<br />
Miteinander von erwachsenen<br />
Kindern und ihren Eltern C. Kazis,<br />
B. Ugolini, Piper Verlag München, 2010<br />
Berufstägige erzählen aus ihrem<br />
Alltag mit pflegebedürftigen<br />
Angehörigen K. van Holten, M. Schäfer,<br />
I. Bischofberger; Hrsg. Careum<br />
F+E Forschungsinstitut Kalaidos,<br />
Fachhochschule Departement<br />
Gesundheit, Careum Verlag Zürich, 2011<br />
Pflegend begleiten: Ein Ratgeber für<br />
Angehörige und Freunde<br />
pflegebedürftiger Menschen – In<br />
Kooperation mit Pro Senectute und<br />
dem Schweizerischen Roten Kreuz,<br />
Careum Verlag Zürich, 2010<br />
Irgendwie kriegen wir das schon hin:<br />
Betroffene erzählen vom<br />
Pflegealltag in den Familien E. Worg ;<br />
Pattloch Verlag München, 2013<br />
Die Vereinbarkeit von häuslicher<br />
Pflege und Beruf W. Keck; Verlag<br />
Huber Bern, 20<strong>12</strong><br />
Wohnen und Pflege im Alter Katrin<br />
Stäheli Hass, Beobachter-Edition, 2011<br />
21
Dossier<br />
Betreuende Angehörige<br />
entwickeln Kompetenzen in<br />
der Care-Arbeit – viele setzen<br />
diese auch beruflich um.<br />
>>> nen Freude daran, diese fachlich<br />
zu vertiefen und ihre Erfahrungen<br />
weiterzugeben. «Dies kann<br />
ihnen neue Perspektiven für ihre<br />
berufliche Entwicklung eröffnen»,<br />
so Iren Bischofberger.<br />
Sidonia Gianella hat diese Chance<br />
ergriffen: Mitte 2016 fasste sie den<br />
Entschluss, sich beruflich neu zu<br />
orientieren. «Wenn nicht jetzt, dann<br />
nicht mehr», kommentiert sie ihr<br />
Vorhaben. Nach Abschluss einer<br />
Pflegehelfer-Schulung lässt sie sich<br />
nun zur «Fachperson Aktivierung<br />
und Kognitionstraining für De -<br />
menzkranke» ausbilden. Parallel<br />
dazu arbeitet sie mit einem 60-Prozent-Pensum<br />
als Alltagsgestalterin<br />
in der Demenzstation eines Seniorenheimes.<br />
Dadurch hat sie gelernt,<br />
noch besser mit dem Verhalten ihrer<br />
Mutter umzugehen. Auch Betroffenen<br />
in späteren Krankheitsstadien<br />
eine feste Umarmung oder ein Danke<br />
zu entlocken, gibt ihr ein gutes<br />
Gefühl.<br />
Während Gianella arbeitet, kümmert<br />
sich einmal pro Woche eine<br />
Mitarbeiterin von Dementia Care,<br />
einem speziellen Betreuungsdienst<br />
des Schweizerischen Roten Kreuzes,<br />
um ihre Mutter. An einem weiteren<br />
Wochentag besucht ihre Mutter eine<br />
Tagesstätte des SRK. «Diesmal hat es<br />
geklappt», erklärt Sidonia Gianella<br />
«Aktionsplan»<br />
des Bundesrats<br />
In den letzten Jahren wurden verschiedene<br />
parlamentarische Initiativen beim Bundesrat<br />
eingereicht, um pflegende Angehörige finanziell<br />
und zeitlich zu entlasten. Daraufhin<br />
hat das Bundesamt für Gesundheit eine<br />
schweizweite Bestandsaufnahme der Betreuungszulagen<br />
und Entlastungsangebote durchführen<br />
lassen. Auf dessen Basis erstellte der<br />
Bundesrat im Dezember 2014 einen «Angehörigenbericht»<br />
sowie einen «Aktionsplan<br />
zur Unterstützung von betreuenden und<br />
pflegenden Angehörigen». Im Februar dieses<br />
Jahres beauftragte er das Innendepartement,<br />
bis Ende <strong>2017</strong> eine Vernehmlassungsvorlage<br />
vorzubereiten, wie Angehörige sich für ältere<br />
Familienmitglieder engagieren können, ohne<br />
sich zu überfordern oder in finanzielle Engpässe<br />
zu geraten: Arbeitnehmer sollen das<br />
Recht erhalten, sich an ihrem Arbeitsplatz<br />
kurzzeitig freistellen zu lassen, um ein Familienmitglied<br />
zu pflegen. Dabei soll eine Variante<br />
mit Lohnfortzahlung ausgearbeitet werden. Ein<br />
längerer Betreuungsurlaub wird nur für Eltern<br />
schwer kranker Kinder diskutiert. Um Lücken<br />
in der Altersversorgung abzumildern, soll das<br />
Gesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung<br />
ergänzt werden: Künftig sollen<br />
auch jene Personen Betreuungsgutschriften<br />
erhalten, die Verwandte mit leichter Hilflosigkeit<br />
betreuen oder pflegen. Entlastungsangebote,<br />
wie etwa die Unterstützung durch<br />
Freiwillige oder das Bereitstellen von Ferienbetten<br />
in Alters- und Pflegeheimen, sollen ausgebaut<br />
werden. Hierzu hat das Bundesamt für<br />
Gesundheit im Rahmen der Fachkräfteinitiative<br />
das Förderprogramm «Entlastungsangebote<br />
für pflegende Angehörige <strong>2017</strong>–2020» lanciert.<br />
Es soll dazu dienen, die Situation und die<br />
Bedürfnisse der pflegenden Angehörigen zu<br />
erforschen, gute Praxisbeispiele für Unterstützungsangebote<br />
zu sammeln und zu dokumentieren.<br />
Erste Ergebnisse werden 2018 erwartet.<br />
22 Dezember <strong>2017</strong> / Januar 2018 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
lächelnd. Was ihren Mann und<br />
ihren Sohn betrifft, so stehen beide<br />
hinter ihrer neuen Tätigkeit. Nur<br />
manchmal beschwert sich ihr Sohn,<br />
dass er sie wenigstens einmal im<br />
Monat einen Tag für sich haben<br />
möchte.<br />
Auch Jasmin Dubois ist mittlerweile<br />
wieder berufstätig. Sie arbeitet<br />
zwei Tage pro Woche bis 16 Uhr in<br />
einem Personalrestaurant. Damit<br />
ihre Töchter mittags versorgt sind,<br />
kocht sie ihnen das Essen vor. Am<br />
Nachmittag haben beide Unterricht.<br />
Danach eilt die Mutter nach Hause,<br />
um sie beim Lernen zu unterstützen<br />
und sich um ihren Haushalt zu<br />
kümmern. Und alle zwei Wochen<br />
steht – wie bisher – der «Besuch» bei<br />
ihren Eltern in Mulhouse an.<br />
Grenzen abstecken<br />
Es tue gut, die von den Eltern erfahrene<br />
Unterstützung zurückzugeben,<br />
da sind sich beide Frauen einig. Dennoch<br />
räumen beide ein, dass sie aufgrund<br />
ihrer Mehrfachbelastung<br />
bereits gesundheitliche Probleme<br />
hatten. «Moralische Wertvorstellungen,<br />
Dankbarkeit und Verant- >>><br />
Sidonia Gianella und Jasmin<br />
Dubois sind sich einig:<br />
«Es tut gut, die Unterstützung<br />
zurückzugeben.»<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2017</strong> / Januar 201823
In die Betreuungssituation<br />
rutschen viele Angehörige<br />
hinein – ohne zuvor die<br />
eigenen Grenzen abzustecken.<br />
>>> wortungsgefühl dürfen die<br />
betreuenden Angehörigen nicht<br />
dazu verleiten, ihre eigenen Belastbarkeitsgrenzen<br />
zu überschreiten»,<br />
warnt Bettina Ugolini, Leiterin der<br />
psychologischen Beratungsstelle<br />
«Leben im Alter» (LiA) des Zentrums<br />
für Gerontologie der Universität<br />
Zürich. Nehmen Frauen einen<br />
Job an, prüfen sie zuvor genau, ob<br />
sie diesen tatsächlich leisten können.<br />
In die Betreuungssituation geraten<br />
viele Angehörige jedoch einfach hinein,<br />
ohne sich zuvor deren Umfang<br />
bewusst zu machen und die eigenen<br />
Grenzen abzustecken.<br />
«Mögliche Schicksalsschläge der<br />
Eltern mit ihnen gemeinsam auszuhalten<br />
und Beistand zu leisten, be <br />
deutet nicht, diese durch Selbstaufgabe<br />
kompensieren zu müssen»,<br />
sagt Bettina Ugoli ni. Nur wenn es<br />
gelinge, ein Gleichgewicht zwischen<br />
den Anforderungen des älteren<br />
Familienmitglieds und den eigenen<br />
Bedürfnissen zu finden, könne eine<br />
längere Betreuungsphase zusammen<br />
gemeistert werden. Dazu brauche es<br />
jedoch Kompromisse von beiden<br />
Seiten (siehe Interview auf Seite 28).<br />
Werden die beiden Frauen ge <br />
fragt, was sie sich für die Zukunft am<br />
meisten wünschen, so ist es etwas<br />
mehr Zeit für sich selbst sowie mit<br />
ihrer gesamten Familie. «Dass die<br />
verschiedenen Generationen einer<br />
Familie heute eine grössere Lebensspanne<br />
miteinander teilen dürfen,<br />
ist ein Privileg», so Philippe Gnaegi.<br />
Nur schade, wenn im streng getakteten<br />
Alltag keine Zeit dafür bleibe,<br />
dies auch zu geniessen.<br />
Unabhängig davon, welche<br />
Lö sungswege der Bundesrat zur<br />
Entlastung der betreuenden Angehörigen<br />
anstreben wird, ist sicher<br />
entscheidend, dass Angehörige<br />
nicht nur zum «Defizitausgleich im<br />
Gesundheitssystem» genutzt werden,<br />
resümiert Iren Bischofberger.<br />
«Niemand darf gezwungen sein, seine<br />
Gesundheit und wirtschaftliche<br />
24 Dezember <strong>2017</strong> / Januar 2018 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
Existenz für ältere Angehörige zu<br />
opfern, weil keine bezahlbaren,<br />
bedarfsgerechten oder qualitativ<br />
ausreichenden Unterstützungsangebote<br />
zur Verfügung stehen.»<br />
Es bleibt ein Balanceakt<br />
Jasmin Dubois’ Schwiegermutter hat<br />
sich mittlerweile von ihrem Schlaganfall<br />
erholt. Doch es bleibt ein<br />
Balanceakt: Seit mehreren Jahren<br />
betreut die betagte Dame mit Hilfe<br />
einer Pflegerin ihren Mann, der<br />
durch einen Schlaganfall halbseitig<br />
gelähmt ist. Er sitzt im Rollstuhl und<br />
kann nur noch Flüssignahrung zu<br />
sich nehmen. Um die Pflege zu Hause<br />
zu erleichtern, haben ihre Söhne<br />
die Dusche umbauen und einen<br />
Hebelift am Bett anbringen lassen.<br />
Die Schwiegermutter hat sich vom<br />
Schlaganfall erholt – und betreut<br />
nun wieder ihren halbseitig<br />
gelähmten Mann.<br />
Die Familie hofft, dass sich die betagte<br />
Dame mit der Pflege ihres Mannes<br />
nicht erneut übernimmt. Sonst wäre<br />
der Umzug in ein Heim auf Mallorca<br />
oder in der Schweiz vermutlich<br />
unvermeidbar. Denn eine weitere<br />
Betreuungsaufgabe kann Jasmin<br />
Dubois nicht schultern.<br />
*Name der Redaktion bekannt<br />
>>><br />
Yvonne<br />
Kiefer-Glomme<br />
ist Biologin und arbeitet als freie<br />
Journalistin. Die 44-Jährige kennt das<br />
Thema Sandwich-Generation aus eigener<br />
Erfahrung: Zusammen mit ihrer 7-jährigen<br />
Tochter und ihrem Mann wohnt sie im<br />
Aargau. Parallel zu Beruf und Familie<br />
kümmerte sie sich in den letzten fünf Jahren<br />
um ihren sehbehinderten Vater.<br />
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Dossier<br />
«Kneif mich, wenn ich wie<br />
ein Erstklässler mit dir rede»<br />
Mehrmals pro Woche fährt Sidona Gianella zu ihrer demenzkranken Mutter<br />
und begleitet sie zu Arztterminen, trifft Absprachen mit den Dienstleistern,<br />
die ihr die Bewältigung ihres Alltags ermöglichen. Oder sie hört ihr einfach<br />
zu. «Ich weiss nie, was mich erwartet, jeder Tag ist anders», sagt die Tochter.<br />
Ein Protokoll. Aufgezeichnet: Yvonne Kiefer-Glomme<br />
Sobald mein Sohn in der<br />
Schule ist und ich dienstfrei<br />
habe, fahre ich zu meiner<br />
Mutter. Wenn kein<br />
Arzt- oder Coiffeurtermin<br />
ansteht, können wir uns erst einmal<br />
unterhalten. Meist sind es banale<br />
Dinge, über die wir reden. Doch<br />
dabei kann ich abtasten, in welcher<br />
Stimmung sie ist.<br />
Manchmal erzählt mir meine<br />
Mutter zwei- oder dreimal das Gleiche,<br />
und ich muss versuchen, unserer<br />
Unterhaltung eine Struktur zu<br />
geben. Ich mache uns einen Kaffee<br />
und versuche die Punkte anzusprechen,<br />
die ich heute mit ihr besprechen<br />
möchte. Bei manchen Themen<br />
blockt sie erst einmal ab. «Mama, es<br />
wird einmal die Woche eine Dame<br />
vom Roten Kreuz zu dir kommen,<br />
damit du nicht alleine bist, während<br />
ich arbeite.» In solchen Fällen brauche<br />
ich drei bis vier Besuche bei ihr<br />
und muss mich immer wieder zu<br />
dem kritischen Thema vortasten.<br />
«Ich habe gehört und verstanden,<br />
was du mir gesagt hast», sagt sie<br />
dann irgendwann.<br />
Meine Mutter hat eine seltene<br />
Form von Demenz. Ihr Zustand<br />
kann von einer Minute auf die andere<br />
wechseln. «Kneif mich in den<br />
Arm, wenn ich wie ein Erstklässler<br />
mit dir rede», habe ich daher mit ihr<br />
vereinbart. In diesen klaren Momenten<br />
bin ich die Tochter, die mit ihr<br />
spricht, sie tröstet, ihr Mut macht,<br />
wenn sie ihren Gesundheitszustand<br />
realisiert. Ich sage ihr, dass sie nun,<br />
mit 77, einfach Leute hat, die für sie<br />
denken.<br />
Ist sie in ihrer eigenen Welt, ist es<br />
besser, ich wechsle in die Rolle der<br />
Betreuerin. Diese Distanz tut mir<br />
gut. So kann ich ihr helfen, ohne zu<br />
stark mitzuleiden. Gegen das zunehmende<br />
Vergessen kann ich nichts<br />
tun. Es ist ein Abschiednehmen auf<br />
Raten.<br />
Die meiste Zeit verbringen wir<br />
damit, ihre Termine in ihre Agenden<br />
einzutragen. Dafür hat meine Mutter<br />
einen grossen Wandkalender,<br />
einen Tischkalender und eine Handtaschenagenda.<br />
Die Agenden helfen<br />
ihr, sich zeitlich zu orientieren. Diese<br />
Fähigkeit möchte ich ihr so lange<br />
wie möglich erhalten. In alle drei<br />
trägt sie mit Bleistift ihre Termine<br />
ein und markiert sie jeweils mit<br />
einem Leuchtstift. Das Gedächtnistraining<br />
ist gelb, die Besuche der<br />
Spitex-Mitarbeitenden grün.<br />
Pro Be such nehmen wir uns<br />
meist nur einen bestimmten Wo -<br />
chentag vor. Das kann bis zu fünf<br />
Stunden dauern. Oft kann sie nur<br />
zwanzig Minuten am Stück bei der<br />
Sache bleiben.Wenn ihre Konzen-<br />
«Gegen das zunehmende<br />
Vergessen meiner Mutter kann<br />
ich nichts machen. Es ist ein<br />
Abschiednehmen auf Zeit.»<br />
26 Dezember <strong>2017</strong> / Januar 2018 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
«Manchmal wird alles zu viel.<br />
Dann fahre ich in die oberste<br />
Etage eines Parkhauses,<br />
schaue in den Himmel.<br />
Zehn Minuten nur für mich.»<br />
tration nachlässt, schauen wir uns<br />
draussen Blumen an oder sehen<br />
nach ihrer Katze. Manchmal hat sie<br />
zwischendurch eine depressive Phase.<br />
Dann versuche ich sie zu trösten<br />
und abzulenken. In solchen Momenten<br />
fragt sie mich manchmal, ob sie<br />
nun ihre Koffer packen und in ein<br />
Heim ziehen muss. Natürlich möchte<br />
ich ihr das ersparen. Es ist schwer,<br />
sich abzugrenzen. Sobald ihr das<br />
Mittagessen gebracht wird, versuche<br />
ich mich zu verabschieden. «Wie, du<br />
gehst schon?», fragt sie manchmal,<br />
auch wenn wir schon Stunden<br />
zusammensitzen. Ich darf ihr nicht<br />
böse sein.<br />
Zu Hause wartet mein 14-jähriger<br />
Sohn. Ich weiss, dass er sich<br />
mehr Zeit mit seiner Mutter<br />
wünscht, er hat es mir gesagt. Ich<br />
merke, wie ich seine Bedürfnisse<br />
vernachlässige – und fühle mich oft<br />
schuldig deswegen. Meine Mutter,<br />
mein Sohn, mein Mann: Einer muss<br />
immer auf mich warten. Aber meine<br />
neue Stelle wieder aufgeben? Das<br />
möchte ich nicht. Die Arbeit im<br />
Seniorenheim ist ein wichtiger Ausgleich<br />
für mich und hilft mir, Grenzen<br />
gegenüber meiner Mutter abzustecken.<br />
Und sie gibt mir die<br />
Selbstbestätigung, die ich brauche.<br />
Denn von meiner Mutter kann ich<br />
keine Dankbarkeit mehr erwarten.<br />
Hierzu ist sie aufgrund ihrer Erkrankung<br />
nicht mehr in der Lage.<br />
Sobald mein Sohn am Nachmittag<br />
Besuch von Freunden hat, kümmere<br />
ich mich um all das, was im<br />
Haushalt liegen geblieben ist. Und<br />
trotzdem habe ich immer das Ge -<br />
fühl, meiner To-do-Liste hinterherzuhinken.<br />
Manchmal wird alles zu viel.<br />
Dann muss ich für einen kurzen<br />
Moment aus meinem «festen Stundenplan»<br />
ausbrechen und irgendwo<br />
hinfahren. Nach dem Einkauf für<br />
eine Tasse Kaffee. Oder ich fahre in<br />
die oberste Etage eines Parkhauses<br />
und schaue in den Himmel. Zehn<br />
Minuten nur für mich, durchatmen,<br />
niemandem Rechenschaft ablegen.<br />
Dann bin ich wieder einsatzbereit.<br />
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«Die Betreuung von Angehörigen<br />
bringt viele aus dem Tritt»<br />
Jeder fünfte Erwerbstätige würde sein Berufsleben anders organisieren, wenn die Betreuung<br />
für kranke und pflegebedürftige Angehörige besser gelöst wäre. Iren Bischofberger, Leiterin des<br />
Forschungs- und Entwicklungsprogramms «work & care», über Eltern, die bei der Care-Arbeit<br />
an ihre Grenzen stossen – und wie sie besser unterstützt werden können. Interview: Yvonne Kiefer-Glomme<br />
Frau Bischofberger, warum kommen<br />
Angehörige betreuungsbedürftiger<br />
älterer Menschen trotz des bisherigen<br />
Entlastungsangebots häufig an ihre<br />
Grenzen?<br />
Manche Angehörige geraten plötzlich<br />
– andere eher schleichend – in<br />
die Pflege- und Betreuungsrolle.<br />
Wichtig ist immer, dass sie ihre Aufgaben<br />
nicht allein schultern müssen.<br />
Dazu brauchen sie jedoch eine passgenaue<br />
und finanzierbare Unterstützung.<br />
Je länger Angehörige alles<br />
selber machen, desto schwieriger<br />
wird das Delegieren an andere Personen.<br />
Manchmal scheitert dieses<br />
aber auch am Widerstand des zu<br />
betreuenden Familienmitglieds.<br />
Hinzu kommt, dass bestimmte Hilfsangebote<br />
und finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten<br />
nicht bekannt<br />
sind oder im Informationsdschungel<br />
nicht gefunden werden.<br />
Was braucht es also?<br />
Angehörige benötigen alltagsnahe<br />
und mehrsprachige Informationsangebote<br />
in Form von Internetplattformen<br />
und individueller Beratung<br />
am Telefon, im betreffenden Haushalt<br />
oder in Schulungen. Auch der<br />
Austausch mit Gleichgesinnten in<br />
Angehörigengruppen, die von<br />
geschulten Personen geleitet werden,<br />
kann hilfreich sein.<br />
Welche Rolle spielen die Kosten und<br />
die Verfügbarkeit der Angebote?<br />
Die Kosten für Hilfsangebote beziehungsweise<br />
der hohe Eigenanteil<br />
sind ein häufiges Problem. Beratungsangebote,<br />
betreutes Wohnen,<br />
alltägliche Handreichungen im<br />
Haushalt, Fahr- und Entlastungsdienste,<br />
die nach Hause kommen,<br />
und der Verleih von Hilfsmitteln<br />
sind in der Regel kostenpflichtig und<br />
werden nur bedingt subventioniert.<br />
Dabei wäre es sowohl sozial als auch<br />
volkswirtschaftlich wünschenswert,<br />
wenn ältere Menschen möglichst<br />
lange in ihrem gewohnten Umfeld<br />
verbleiben können. Werden Kosten<br />
übernommen, sind die Anspruchsbedingungen<br />
oft restriktiv und die<br />
Antragsverfahren bedeuten eine<br />
zusätzliche Hürde. Dafür haben<br />
Angehörige oft weder Zeit noch<br />
Kraft.<br />
Gibt es weitere Hürden?<br />
Auch die mangelnde regionale und<br />
zeitliche Verfügbarkeit bestimmter<br />
Dienstleistungen und deren fehlende<br />
Koordination können die Annahme<br />
externer Hilfe erschweren. Angehörige<br />
benötigen bedarfsgerechte,<br />
flexible und aufeinander abgestimmte<br />
Angebote, die auch kurzfristig<br />
genutzt werden können.<br />
Was sollte bei der Unterstützung von<br />
Angehörigen verbessert werden?<br />
In manchen Gemeinden können sich<br />
pflegende Angehörige bei der Spitex<br />
anstellen lassen. Dies ermöglicht<br />
ihnen ein Einkommen und Sozialleistungen.<br />
Da die Stellenprozente<br />
nur für Pflegeleistungen vergeben<br />
werden, die gemäss dem Krankenversicherungsgesetz<br />
anerkannt sind,<br />
bringt eine solche Anstellung jedoch<br />
nur eine geringe Stundenzahl. Der<br />
hauswirtschaftliche und betreuerische<br />
Teil der Care-Arbeit der Angehörigen,<br />
der eine Bewältigung des<br />
Alltags ermöglicht, kann bisher leider<br />
nicht angerechnet werden.<br />
Ein Teil der Angehörigenbetreuung<br />
besteht aus organisatorischen Aufgaben,<br />
die nicht zwingend vor Ort<br />
erbracht werden müssen – wie etwa<br />
die Suche nach Dienstleistern und<br />
deren Koordina tion.<br />
Bisher wurde noch kaum erkannt,<br />
welcher zeitliche Aufwand mit diesen<br />
koordinativen Aufgaben verbunden<br />
ist. Und was es bedeutet, wenn<br />
diese zusätzlich zu Beruf, eigenem<br />
Haushalt und der Kinderbetreuung<br />
28 Dezember <strong>2017</strong> / Januar 2018 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
geleistet werden müssen. Entlastungsangebote<br />
und ihre finanzielle<br />
Unterstützung müssen ein modernes<br />
Familienbild berücksichtigen und<br />
daher breiter angelegt sein. Sie sollten<br />
auch für Angehörige gelten, die<br />
aus grösserer räumlicher Entfernung<br />
ihre älteren Familienmitglieder<br />
unterstützen.<br />
Wie kann ich mich aktiv auf die<br />
Versorgung eines älteren Angehörigen<br />
vorbereiten?<br />
Setzen Sie sich mit Ihrem Angehörigen<br />
zusammen, um dessen Unterstützungsbedarf<br />
und seine Erwartungen<br />
zu eruieren. Erstellen Sie<br />
gemeinsam einen typischen Zeitplan,<br />
in dem alle seine Aufgaben<br />
aufgeführt sind, und besprechen Sie,<br />
welche ihm am schwersten fallen.<br />
Listen Sie alle Familienmitglieder,<br />
Freunde und Nachbarn auf, die mithelfen<br />
könnten. Besprechen Sie diesen<br />
Plan vorausschauend mit allen<br />
Beteiligten. Analysieren Sie auch<br />
Ihre eigenen Stärken und Grenzen.<br />
Dann können Sie – nach Absprache<br />
mit ihrem Partner und ihren Kindern<br />
– entscheiden, welche Aufgaben<br />
Sie leisten können und welche<br />
andere übernehmen sollten.<br />
Gibt es institutionelle Unterstützung?<br />
Informieren Sie sich bei der örtlichen<br />
Spitex, dem Sozialdienst oder<br />
einer anderen Fachstelle, welche<br />
Aufgaben delegiert werden und welche<br />
Organisationen diese übernehmen<br />
können. Dazu gehört auch die<br />
Abklärung von Hilfsmitteln und<br />
gegebenenfalls die Anpassung der<br />
Wohnsituation. Schlagen Sie Ihrem<br />
Angehörigen verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten<br />
vor und<br />
beziehen Sie falls nötig eine Fachkraft<br />
als Vermittlerin ins Gespräch<br />
mit ein. Im Idealfall übernimmt diese<br />
dann die Absprachen mit den<br />
Dienstleistern sowie den Kostenträgern.<br />
Ausserdem sollte die Fachperson<br />
den Betreuungs- oder Pflegeprozess<br />
begleiten und in Abständen<br />
immer wieder eine Standortbestimmung<br />
mit allen Beteiligten vornehmen.<br />
Pflegeexperten, die die Funktion<br />
eines solchen Gesundheitslotsen<br />
übernehmen können, bezeichnet<br />
man als «Case Manager» oder<br />
«Angehörigen-Supporter».<br />
Woran erkennen Angehörige, dass sie<br />
sich überfordern?<br />
Hilfreich kann ein sogenanntes<br />
Belastungsinventar sein. Dieser spezielle<br />
Fragebogen sollte gemeinsam<br />
mit einer Fachperson ausgefüllt und<br />
besprochen werden. Dieses Instrument<br />
ist auch nützlich, wenn sich ein<br />
Elternteil noch um den anderen<br />
kümmert, aber Anzeichen von<br />
Erschöpfung zeigt oder Mühe hat,<br />
den Alltag zu bewältigen.<br />
Was ist im Umgang mit dem Arbeitgeber<br />
zu beachten?<br />
Bevor erwerbstätige Angehörige<br />
Unterstützungsaufgaben übernehmen,<br />
sollten sie frühzeitig mit Ihrem<br />
Arbeitgeber abklären, ob eine Änderung<br />
der Arbeitszeiten respektive des<br />
Arbeitsmodells oder notfalls ein längerer<br />
unbezahlter Urlaub möglich<br />
sind. Allerdings muss der Arbeitnehmer<br />
genau prüfen, welche langfristige<br />
Festlegung mit den einzelnen<br />
Arbeitszeitmodellen verbunden ist.<br />
Zur Person<br />
Iren Bischofberger ist Pflegefachfrau<br />
und studierte betriebliches<br />
Gesundheits management und<br />
Pflegewissenschaft an der Universität Basel,<br />
wo sie auch doktorierte. Heute arbeitet sie<br />
als Prorektorin an der Kalaidos<br />
Fachhochschule Gesundheit in Zürich,<br />
leitet den Studiengang Master of Science in<br />
Nursing und ist seit zehn Jahren<br />
verantwortlich für das Programm «work &<br />
care» am departementseigenen<br />
Forschungsinstitut Careum Forschung.<br />
Im nächsten Heft:<br />
Familie der Zukunft<br />
Bild: iStockphoto<br />
Gleichgeschlechtliche Partnerschaft, Co- Parenting,<br />
Leihmutterschaft: Ist die traditionelle bürgerliche<br />
Kleinfamilie ein Auslaufmodell? Unser Dossier im<br />
Februar 2018.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2017</strong> / Januar 201829
Psychologie & Gesellschaft<br />
Mehr Zeit mit der Familie<br />
Zeit ist ein rares Gut geworden. Umso wichtiger ist es, sich bewusst<br />
Freiräume mit der Familie zu gönnen: Zeit zum Ausspannen, zum Spielen,<br />
zum Zuhören. Gemeinsame Momente mit den Kindern schaffen Nähe<br />
und helfen, den Alltag besser zu meistern. Text: Susan Edthofer<br />
Ständig stehen wir unter Zeitdruck und hetzen<br />
von Termin zu Termin. Gedanklich befinden<br />
wir uns immer ein Stück weit in der Zukunft.<br />
Weil wir so eingespannt sind, wünschen wir<br />
uns mehr Freiräume – ein Wunsch, den auch<br />
Kinder hegen. Sie möchten sich mit Freundinnen und<br />
Freunden treffen und unverplant in den Tag hineinleben.<br />
Auch Zeit zum Spielen ist notwendig, und es ist<br />
schön, wenn Mama oder Papa einfach mal mitspielt.<br />
Auf die Bedürfnisse der Kinder achten<br />
Vor allem jüngere Kinder geniessen es, wenn sich die<br />
Eltern mit ihnen abgeben oder die Familie gemeinsam<br />
etwas unternimmt. Bei den älteren Kindern verändern<br />
sich die Bedürfnisse: Teenager streben zwar nach mehr<br />
Unabhängigkeit, schätzen es aber ebenfalls, wenn sich<br />
Eltern für ihre Belange interessieren. Trotz Berufstätigkeit<br />
und voller Agenda nehmen sich Eltern heutzutage<br />
mehr Zeit für ihre Kinder als beispielsweise vor fünfzig<br />
Jahren. Wichtig ist jedoch, die gemeinsame Zeit auch<br />
kindgerecht zu nutzen. Gemeinsame Erlebnisse stärken<br />
die Bindung zwischen Eltern und Kindern und schaffen<br />
eine Vertrauensbasis. Auf einer soliden Grundlage fällt<br />
es leichter, schwierige Themen anzusprechen.<br />
Zeitfresser im Alltag<br />
Eine zentrale Aufgabe der Eltern besteht darin, den<br />
Familienalltag zu managen. Arbeits- und Stundenpläne<br />
müssen koordiniert werden, und man hat sich mit Gegebenheiten<br />
zu arrangieren, die Zeit wegfressen. Geplant<br />
werden muss auch, welcher Elternteil für die Betreuung<br />
der Hausaufgaben zuständig ist, wer einkauft, die Kinder<br />
zum Training oder Musikunterricht bringt und dort<br />
abholt. Auch inhaltlich fallen anspruchsvolle Aufgaben<br />
an. Weil es nicht allen Eltern möglich ist, das Kind etwa<br />
beim Hausaufgabenmachen zu unterstützen, braucht es<br />
Angebote, die für alle Kinder zugänglich sind.<br />
Familienzeit bewusst einplanen<br />
Nicht jede Familie verfügt über die entsprechenden Mittel,<br />
um dem Kind jede Art von Freizeitbeschäftigung zu<br />
ermöglichen. Der Anspruch auf Familienzeit ist also<br />
auch eng verknüpft mit den finanziellen<br />
Möglichkeiten. Statt teure Geschenke<br />
unter den Weihnachtsbaum zu legen,<br />
könnte man sich zum Jahresende vornehmen,<br />
die Momente mit der Familie<br />
bewusster zu gestalten. Vielleicht schenkt<br />
man einander nur ein kleines Päckchen<br />
und fügt Zeitgutscheine hinzu, die man<br />
übers Jahr einlösen darf. Im Vorfeld könnte man die<br />
Anzahl der Gutscheine in einem Familienrat festlegen<br />
und sie mit der Auflage verknüpfen, dass die Aktivitäten<br />
nichts kosten dürfen. So wird das Budget geschont und<br />
die Fantasie der Familienmitglieder angeregt. Zudem<br />
profitieren alle, wenn innerhalb der Familie mehr<br />
Gemeinsamkeiten gepflegt werden.<br />
Was Eltern tun können – vier Tipps<br />
«Schenken Sie<br />
Ihrem Kind<br />
spontan ungeteilte<br />
Aufmerksamkeit.»<br />
Susan Edthofer ist Redaktorin<br />
im Bereich Kommunikation<br />
von Pro Juventute.<br />
• Achten Sie darauf, die Zeit, die Sie mit Ihrem Kind verbringen, nach<br />
seinen Wünschen zu gestalten. Lassen Sie sich von seinen<br />
Bedürfnissen leiten, machen Sie aber auch Einschränkungen, damit<br />
Sie Ihr Programm realistisch planen können.<br />
• Schenken Sie Ihrem Kind immer mal wieder spontan einen Moment<br />
ungeteilter Aufmerksamkeit. Lassen Sie diese Augenblicke durch<br />
nichts unterbrechen. Kinder freuen sich, wenn Eltern sich<br />
unerwartet für sie Zeit nehmen, um mitzuspielen oder zuzuhören.<br />
• Überlegen Sie zusammen mit Ihren Kindern, wie gemeinsame<br />
Zeitgefässe gefüllt werden könnten.<br />
• Schenken Sie einander Zeitgutscheine, die mit der Auflage<br />
verbunden sind, dass die Aktivitäten nichts kosten dürfen. So regen<br />
Sie die Fantasie Ihres Kindes an. Zudem lernt Ihre Tochter, Ihr Sohn,<br />
sich aktiv an der Freizeitplanung zu beteiligen.<br />
Pro Juventute Elternberatung<br />
Bei Pro Juventute Elternberatung können Eltern und Bezugspersonen von<br />
Kindern und Jugendlichen jederzeit telefonisch (058 261 61 61) oder online<br />
(www.projuventute-elternberatung.ch) Fragen zum Familienalltag, zu<br />
Erziehung und Schule stellen. Ausser den normalen Telefongebühren fallen<br />
keine Kosten an. In den Elternbriefen und Extrabriefen finden Eltern<br />
Informationen für den Erziehungsalltag. Mehr Infos: www.projuventute.ch<br />
30 Dezember <strong>2017</strong> / Januar 2018 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Psychologie & Gesellschaft<br />
Inspirationen für Familien auf<br />
famigros.ch/ausflug<br />
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Dezember <strong>2017</strong> / Januar 201831
Monatsinterview<br />
>>>
Monatsinterview<br />
«Mein Ding ist<br />
die Provokation»<br />
Jesper Juul ist einer der bedeutendsten Familientherapeuten Europas.<br />
Millionen Menschen kennen seine Bücher, suchen seinen Rat. Was nur<br />
wenige wissen: Der 69-Jährige ist vom Brustkorb abwärts gelähmt. Mit<br />
uns sprach Jesper Juul über seine Arbeit nach dem grossen<br />
Schicksalsschlag, den Zwang nach Harmonie – und er erklärt, warum<br />
Erziehung nicht funktioniert. Interview: Caroline Märki, Evelin Hartmann, Nik Niethammer<br />
Übersetzung: Claudia Landolt Bilder: Franz Bischof<br />
Jesper Juul auf der<br />
Dachterrasse seiner<br />
Penthousewohnung<br />
im 3. Stock eines<br />
Backsteinhauses in<br />
Odder im Osten<br />
Dänemarks.
Monatsinterview<br />
Odder südlich von Aarhus im Osten<br />
Dänemarks. Eine Kleinstadt mit knapp<br />
<strong>12</strong> 000 Einwohnern. Einzige Sehenswürdigkeit:<br />
die Odder-Kirche von 1150<br />
n. Chr., die älteste Gemeindekirche<br />
des Landes.Jesper Juul wohnt in<br />
einem Backsteinhaus im dritten Stock.<br />
Die Besucher gelangen über eine<br />
Aussentreppe nach oben. Auf der<br />
Dachterrasse stehen Kräuterbeete. An<br />
der grauen Wohnungstür ist ein Schild<br />
angebracht: Jesper Juul.<br />
Die Tür öffnet sich automatisch.<br />
Jesper Juul rollt in seinem elektrischen<br />
Rollstuhl heran. Der Familientherapeut<br />
lebt allein. Die Wohnung ist<br />
rollstuhlgängig, hell, aufgeräumt,<br />
modern. Parkett, kaum Möbel, viele<br />
Dachschrägen. Auf dem Esstisch<br />
liegen Medikamente, an einer Wand<br />
hängen Bilder von seinen Enkelkindern.<br />
Jesper Juul kann nicht am<br />
Tisch arbeiten. Er hat sich ein Tablett<br />
auf den Schoss gelegt. Darauf ist sein<br />
Notebook. So schreibt er seine Bücher<br />
und Kolumnen.<br />
Es ist kurz nach 18 Uhr. Die Medikamente<br />
wirken und machen Jesper Juul<br />
müde. Er hat Mühe, sich zu konzentrieren.<br />
Trotzdem hört er aufmerksam zu,<br />
beantwortet geduldig unsere Fragen.<br />
Erzählt von seiner Hoffnung auf weniger<br />
Schmerzen. Und seiner Idee, seinen<br />
70. Geburtstag im nächsten Frühjahr<br />
mit vielen Freunden zu feiern.<br />
Herr Juul, für viele Eltern sind Sie<br />
Europas bedeutendster Pädagoge,<br />
eine Art Übervater der Erziehung.<br />
Wie fühlt sich das an?<br />
Es ist nichts, was ich anstrebe. Als<br />
ich 1975 mit Familien zu arbeiten<br />
begann, hat niemand über Erziehungsmethoden<br />
gesprochen. Deshalb<br />
unterscheidet sich mein Ansatz<br />
auch von jenen der anderen Experten.<br />
Meine Gedanken entspringen<br />
der Ansicht, dass nicht ich, sondern<br />
die Millionen Mütter und Väter auf<br />
der Welt die besten Experten für ihre<br />
Kinder sind. Sie verdienen diesen<br />
Titel mehr als ich.<br />
Also all jene, die Ihren Rat suchen und<br />
Ihre Bücher kaufen.<br />
Sie sind es, die täglich ihr Bestes<br />
geben. Genau deshalb interessieren<br />
mich die rein intellektuellen Debatten<br />
über Erziehung nicht. Wir sind<br />
alle grundverschieden. Wir sind von<br />
unserer eigenen Geschichte, von<br />
unserer Herkunftsfamilie, von Konventionen,<br />
Kultur und Gesellschaft<br />
beeinflusst. Stellen Sie in einer Familie<br />
eine Kamera auf und beobachten<br />
Sie die Eltern, wenn sie jeweils alleine<br />
mit ihren Kindern sind. Sie werden<br />
staunen! Nicht einmal innerhalb<br />
«Europas<br />
bedeutendster<br />
Pädagoge?<br />
Millionen Mütter<br />
und Väter<br />
verdienen diesen<br />
Titel mehr als ich.»<br />
der Familie ist man sich über Erziehung<br />
einig, selbst wenn man dieselben<br />
Wertvorstellungen hat und sich<br />
auf der gleichen intellektuellen Ebene<br />
befindet. Wie soll man da allgemeingültige<br />
Ratschläge geben?<br />
Man bezeichnet Sie auch als Familienflüsterer.<br />
Diese Bezeichnung mag ich. Ich verstehe<br />
sie als ein Kompliment.<br />
Für einige klingt sie provokativ.<br />
Mein Ding ist die Provokation. Darin,<br />
glaube ich, bin ich erfolgreich. Ich<br />
provoziere, weil ich mir erhoffe, dass<br />
Erzieher und Eltern so über den eigenen<br />
Tellerrand blicken und eine<br />
andere Perspektive einnehmen können.<br />
Im Englischen nennt man dies<br />
«out of the box»-Denken.<br />
Sie bedauerten Kinder, die von ihren<br />
Eltern nach dem juulschen Gedankengut<br />
erzogen würden, sagten Sie in<br />
einem Interview. Warum?<br />
Weil ich stark der Meinung bin, dass<br />
zwischen zwei Menschen, die sich in<br />
einer liebesbasierten Beziehung zueinander<br />
befinden, keine intellektuel-<br />
le Methode stehen soll. Auch keine<br />
Juul-Methode. Ich möchte gar keine<br />
Methode. Ich glaube vielmehr, dass<br />
wir spontan im Hier und Jetzt agieren<br />
und aus unseren ureigenen<br />
Erfahrungen lernen sollten. Wollen<br />
wir uns verändern und etwas lernen,<br />
müssen wir unser Tun reflektieren<br />
und in einen Dialog treten mit den<br />
Personen, die wir lieben.<br />
Sie sagten einmal, es sei furchtbar<br />
gewesen, Kind zu sein. Was war an<br />
Ihrer Kindheit furchtbar?<br />
Furchtbar war, dass weder meine<br />
Eltern noch meine Lehrpersonen<br />
sich für mich interessierten; dafür,<br />
wer ich war und wie ich mich fühlte,<br />
was ich dachte und welche Ideen ich<br />
34
hatte. Sie interessierten sich einzig<br />
für mein Verhalten – wie ich mit der<br />
Aussenwelt agierte und kooperierte.<br />
Über Ihre Mutter äusserten Sie sich<br />
so: «Sie war wie viele Mütter, sie dachte<br />
nur an sich und nie daran, was für<br />
diesen Jungen gut wäre.» Das klingt<br />
sehr hart.<br />
Meine Mutter gehörte zu einer Generation,<br />
in der Mütter zu ihren Kindern<br />
eine viel engere Bindung hatten<br />
als zu ihren Männern. Diese Frauen<br />
kamen emotional zu kurz, waren<br />
ausgehungert nach Zuneigung und<br />
Liebe. Unter anderem deshalb wurden<br />
ihre Kinder zu ihren engsten<br />
Verbündeten. Diese Beziehungen<br />
zwischen Müttern und Kindern<br />
waren aber oft auch befrachtet mit<br />
Erlebnissen und Emotionen, die in<br />
die Erwachsenenwelt gehörten und<br />
nicht in die Kinderwelt.<br />
Sie haben einen erwachsenen Sohn,<br />
Nicolai, aus erster Ehe. Er ist heute<br />
44 Jahre alt. Was ist das Wichtigste,<br />
das Sie ihm mitgegeben haben?<br />
Ich habe gerade kürzlich mit ihm<br />
darüber geredet. Er sagt, das Wichtigste<br />
sei für ihn gewesen, dass seine<br />
persönliche Integrität immer unangetastet<br />
geblieben sei und er seine<br />
Persönlichkeit habe frei entfalten<br />
können. Da bin ich mit ihm gleicher<br />
Meinung. Ich habe nicht versucht,<br />
ihn nach meinen Vorstellungen zu<br />
Wie ist heute Ihr Verhältnis zu Ihrem<br />
Sohn?<br />
Wir haben eine enge, aber entspannte<br />
Beziehung. Wir sind beide eher<br />
introvertierte Menschen. Wir lieben<br />
es zusammenzusitzen, zu kochen<br />
und zu schweigen. Wir können stundenlang<br />
zusammen sein und keiner<br />
sagt ein Wort.<br />
Welchen Erziehungsstil haben Sie<br />
vertreten, eher partnerschaftlich oder<br />
antiautoritär?<br />
Als wir eine Familie gründeten,<br />
waren meine Frau und ich uns einig,<br />
dass wir das patriarchale Familienkonzept<br />
für uns nicht wollen. Ich war<br />
vielleicht der erste oder mindestens<br />
erziehen. einer der wenigen Väter, der >>><br />
Jesper Juul hat<br />
mehr als zwei<br />
Dutzend Bücher<br />
geschrieben.<br />
Dennoch sagt er:<br />
«Ich gebe keine<br />
Ratschläge.»
Monatsinterview
Monatsinterview<br />
Jesper Juul<br />
leidet an einer<br />
Entzündung des<br />
Rückenmarks. Die<br />
Krankheit kam<br />
ohne Vorwarnung.<br />
>>> die Geburt des eigenen Kindes<br />
im Gebärsaal miterlebte. Das war<br />
eine sehr lehrreiche und prägende<br />
Erfahrung für mich! Sicher hatte<br />
meine Entscheidung, als Vater zu<br />
Hause zu bleiben, damit zu tun.<br />
Sie sind zu Hause geblieben?<br />
Als mein Sohn zehn Monate alt wurde,<br />
blieb ich tagsüber zu Hause bei<br />
ihm. Zwei Jahre lang. Meine Frau<br />
studierte damals noch und ging zur<br />
Universität. Sie kam gegen 15 Uhr<br />
nach Hause. Meine Arbeit in einem<br />
Kinderheim begann um 16 Uhr und<br />
dauerte bis 23 Uhr.<br />
Was war das für ein Kinderheim?<br />
Dort wurden Kinder platziert – von<br />
der Gemeinde oder vom Staat – , die<br />
nicht mehr zu Hause bei den Eltern<br />
bleiben und auch keine Regelschule<br />
besuchen konnten. Sie waren zwischen<br />
9 und 15 Jahre alt und blieben<br />
8 bis 24 Monate.<br />
«Ich provoziere,<br />
weil ich mir erhoffe,<br />
dass Erzieher und<br />
Eltern so über den<br />
Tellerrand blicken.»<br />
Sie und Ihre damalige Frau haben<br />
Ihren Sohn gemeinsam erzogen.<br />
War das für Sie stimmig?<br />
Zum damaligen Zeitpunkt war es<br />
stimmig. Aber ich war nie zufrieden<br />
mit meiner Vaterrolle.<br />
Warum?<br />
Ich war ein weicher, vielleicht sogar<br />
fauler Vater – in dem Sinne, dass ich<br />
viel weniger eingriff, als man das<br />
von Vätern erwartet hätte. Ich<br />
erkannte, dass Nicolai Dinge für<br />
sich selbst herausfand, wenn ich ein<br />
paar Minuten wartete. Oder ein paar<br />
Stunden. Oder Tage. Ohne meine<br />
Besserwisserei entstanden Konflikte<br />
gar nicht erst. Ich hatte allerdings<br />
auch Angst, dass ich Nicolai schaden<br />
könnte. Deshalb war ich sicher<br />
manchmal passiver, als ich es hätte<br />
sein sollen.<br />
Inwiefern?<br />
Mein Sohn war ein talentierter Badmintonspieler.<br />
Er trat auch bei Turnieren<br />
an. Doch plötzlich wollte er<br />
nicht mehr spielen, weil sein Trainer<br />
ihn zu sehr unter Druck setzte.<br />
Damals verstand ich seine Gründe.<br />
Heute glaube ich, ich hätte ihn stärker<br />
überzeugen sollen, weiterzumachen.<br />
Aber ich hatte eben Angst, den<br />
Druck, den er eh schon gespürt hatte,<br />
noch zu verstärken.<br />
Wie haben Sie Ihren ganz persönlichen<br />
«Erziehungsstil» gefunden?<br />
Wie alle Eltern: nach dem Prinzip<br />
Versuch und Irrtum. Also die<br />
Methode, bei der so lange zulässige<br />
Lösungsmöglichkeiten ausprobiert<br />
werden, bis die gewünschte Lösung<br />
gefunden wird. Oder sich die eigene<br />
Sicht auf das Ganze verändert hat.<br />
Fehlschläge gehören dazu. Was bei<br />
uns noch hinzukam, war der<br />
Wunsch, es besser zu machen als die<br />
Generation vor uns.<br />
Gibt es etwas, das Sie heute als Vater<br />
anders machen würden?<br />
Ich würde in den ersten Jahren weniger<br />
tyrannisch sein.<br />
Wie meinen Sie das?<br />
Wenn wir in den ersten drei bis vier<br />
Jahren mit unseren Dickköpfen aneinandergeraten<br />
sind, habe ich meinen<br />
Sohn hart am Arm gepackt. Ich war<br />
auch zornig und laut. Diese Jahre<br />
waren für mich sehr lehrreich – für<br />
Nicolai eher weniger, fürchte ich.<br />
Was ist das Beste, das Ihnen im Leben<br />
passiert ist?<br />
Ich mache in meinem Leben keine<br />
Unterscheidungen zwischen gut und<br />
schlecht. Jede Erfahrung war und ist<br />
wertvoll und hat mein Leben bereichert.<br />
Auch die schmerzvollen.<br />
Sie haben über zwei Dutzend Bücher<br />
geschrieben, in denen Sie Eltern Erziehungsratschläge<br />
geben.<br />
Ich gebe keine Ratschläge. Ich plädiere<br />
für Dasein, nicht für Pädagogik.<br />
Ich habe oft gesehen, dass Eltern<br />
ihre eigenen Maximen einfach durch<br />
meine Werte und Prinzipien ersetzt<br />
haben. Das ist nie meine Absicht<br />
gewesen.<br />
Welches Buch möchten Sie unbedingt<br />
noch schreiben?<br />
Ich möchte unbedingt eine neue Version<br />
meines 1996 erschienenen<br />
Buches «Das kompetente Kind» verfassen.<br />
Ein Buch über Selbstwert und<br />
Selbstvertrauen liegt mir ganz be <br />
«Ich will nicht, dass<br />
Eltern ihre eigenen<br />
Maximen durch<br />
meine Werte und<br />
Prinzipien ersetzen.»<br />
sonders am Herzen. Beides sind ganz<br />
essenzielle Fähigkeiten in der heutigen<br />
Gesellschaft und wichtige Voraussetzungen<br />
für die psychische<br />
Gesundheit.<br />
Ihre Kolumnen, auch in diesem Magazin,<br />
sind nach wie vor sehr gefragt.<br />
Wie schwer fällt Ihnen heute, angesichts<br />
Ihrer Krankheit, das Schreiben?<br />
Kolumnen oder Texte zu verfassen,<br />
die Fragen von Eltern zu beantworten,<br />
die Alltagssituationen oder Probleme<br />
betreffen, ist für mich nie<br />
anstrengend. Auch heute nicht.<br />
Sie haben nur noch wenig persönlichen<br />
Kontakt zu Eltern und Kindern.<br />
Woher nehmen Sie die Gewissheit,<br />
dass Ihre Tipps und Empfehlungen<br />
«aktuell» sind?<br />
Die grösste Veränderung ist, dass<br />
immer mehr Eltern Erziehung nicht<br />
mehr nach dem Prinzip Belohnung<br />
und Strafe verstehen. Das bedeutet,<br />
dass sie ganz tief innen interessiert<br />
sind, neue Wege zu gehen und eine<br />
neue Sprache mit ihren Kindern zu<br />
sprechen. Sie sind also an einem sehr<br />
kreativen und fruchtbaren Punkt<br />
angelangt, in dem Inputs wie meine<br />
nicht einfach per se abgelehnt werden,<br />
sondern auf mehr Interesse<br />
stossen. Nur so wird ein Perspektivenwechsel<br />
möglich. >>><br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2017</strong> / Januar 201837
Monatsinterview<br />
>>> Wurden Sie je missverstanden? man Gefahr, den Kontakt zu sich<br />
1997 schrieb ich über Gleichwürdigkeit.<br />
Dieses Wort bringt zum Ausdruck,<br />
dass Kindern von Geburt an<br />
die gleiche Würde innewohnt wie<br />
Erwachsenen. Viele verstanden dies<br />
falsch und meinten, dass Kinder im<br />
demokratischen Sinne gleich sind<br />
wie Erwachsene.<br />
Was ist denn der Unterschied<br />
zwischen Gleichheit und Gleichwürdigkeit?<br />
In einer Familie haben die Erwachsenen<br />
die ganze Macht, auch wenn<br />
sie sich dessen nicht bewusst sind<br />
und diese gar nicht haben wollen.<br />
Gleichwürdigkeit heisst, dass Eltern<br />
ihre Kinder genauso ernst nehmen<br />
wie sich selbst, indem sie deren<br />
Bedürfnisse, Wünsche, Träume und<br />
Ambitionen einbeziehen und nicht<br />
auf den Hinweis des Geschlechtes,<br />
des Alters oder der Behinderung<br />
abtun.<br />
selbst und seinem Gegenüber zu verlieren.<br />
Können Sie ein Beispiel nennen?<br />
Eltern wollen wissen, was man mit<br />
einem acht Monate alten Baby macht,<br />
das nicht schlafen will. Sie fragen<br />
mich, was man mit diesem Kind<br />
machen soll, und setzt es so einem<br />
Objekt gleich. Sie sagen: Herr Juul,<br />
geben Sie mir eine Methode, ein<br />
Werkzeug. Aber so etwas gibt es<br />
nicht. Die Frage ist vielmehr: Bin ich<br />
bereit, dieses Kind als Mensch wahrzunehmen,<br />
oder will ich ein Funktionskind?<br />
Eine Ihrer Kernthesen lautet:<br />
Erziehung funktioniert nicht.<br />
Kinder werden mit allen sozialen<br />
und menschlichen Eigenschaften<br />
geboren. Um diese weiterzuentwickeln,<br />
brauchen sie nichts als die<br />
Gegenwart von Erwachsenen, die<br />
sich menschlich und sozial verhalten.<br />
Jede Methode ist nicht nur überflüssig,<br />
«Kinder brauchen sondern kontraproduktiv.<br />
Reicht es als Eltern nicht, sich auf ihr<br />
Gefühl zu verlassen?<br />
nichts als die<br />
Das geht nur, wenn man Herz und<br />
Gegenwart von Verstand gebraucht. Und zwar in<br />
dieser Reihenfolge. Sich nur auf das<br />
Erwachsenen, die<br />
Gefühl zu verlassen, reicht nicht.<br />
sich menschlich und Was brauchen Kinder heute?<br />
Kinder brauchen Rückenwind von<br />
sozial verhalten.»<br />
ihren Eltern. So sagt man es in Dänemark.<br />
Es bedeutet: eine liebevolle<br />
Warum ziehen Eltern den Ausdruck<br />
Gleichheit vor?<br />
Weil vermutlich viele den Begriff<br />
Gleichwürdigkeit nicht kennen. Sie<br />
hören sofort das Wort Gleichheit<br />
und interpretieren es so, dass Kinder<br />
den Erwachsenen gleichgestellt sind.<br />
Aber darum geht es ja nicht. Es geht<br />
um Gleichwürdigkeit. Kinder von<br />
Anfang an als gleichwürdige Menschen<br />
zu akzeptieren, heisst, sie als<br />
Subjekt wahrzunehmen, statt sie<br />
zum Erziehungs-, Liebes- oder<br />
andersartigen Objekt zu machen.<br />
Das müssen Sie genauer erklären.<br />
Erziehungsmethoden zielen auf eine<br />
Verhaltensänderung und machen<br />
Menschen zu Objekten. Damit läuft<br />
Begleitung, kein Zurechtweisen.<br />
Kinder brauchen so viel Selbstwertgefühl<br />
wie möglich. Das ist das Allerwichtigste.<br />
Warum?<br />
Es liegt daran, dass Erwachsene die<br />
Kinder von klein auf schubladisieren.<br />
Sie haben ein Bild von ihrem Kind<br />
und sagen: «So bist du!» Es ist hyperaktiv,<br />
schüchtern, sensibel oder<br />
aggressiv. Das Kind als solches, ohne<br />
Attribute und Schablonen, existiert<br />
nicht mehr. Aus Kindersicht braucht<br />
es sehr viel Kraft, sich dagegenzustemmen.<br />
Dazu wiederum ist es nicht<br />
fähig, wenn es sich nicht gut kennt.<br />
Was bedeutet ein gutes Selbstwertgefühl<br />
im juulschen Sinne?<br />
Trotz seiner<br />
schweren<br />
Erkrankung hat<br />
Jesper Juul nicht<br />
aufgehört zu<br />
arbeiten.<br />
Es bedeutet: Ich kenne mich und<br />
nehme mich mit allen Ecken und<br />
Kanten an. Ein gutes Selbstwertgefühl<br />
ist wie ein soziales Immunsystem:<br />
Es wehrt Angriffe auf die eigene<br />
Persönlichkeit von aussen ab. Denn<br />
Eltern, Lehrpersonen und auch Therapeuten<br />
gehen oft von einem universalen<br />
Kind aus: So solltest du sein,<br />
und wenn du nicht so bist, bist du<br />
falsch.<br />
Sie halten nichts davon, Kindern<br />
Grenzen zu setzen?<br />
Heute meinen alle, man müsse Grenzen<br />
setzen. Das hat für mich so einen<br />
halbreligiösen Touch. Kinder brauchen<br />
keine Grenzen. Sie haben doch<br />
schon überall Grenzen. Was wichtig<br />
ist: Jeder Mensch hat seine eigenenen<br />
38 Dezember <strong>2017</strong> / Januar 2018 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Monatsinterview<br />
Grenzen, die er nach aussen hin wahren<br />
muss – auch gegenüber Kindern.<br />
Können Sie ein Beispiel nennen?<br />
Ich habe gerade eine Familie in<br />
Deutschland mit einer fünfjährigen<br />
Tochter beraten. Das Mädchen war<br />
für die Eltern und die grosse Schwester<br />
sehr provozierend. Die Eltern<br />
haben immer Ja zu ihm gesagt, weil<br />
sie einem Konflikt aus dem Weg<br />
gehen wollten. Und manchmal<br />
haben sie versucht, Nein zu sagen.<br />
Aber Nein sagen kann man nicht<br />
versuchen. Man kann «Vielleicht»<br />
sagen oder «Bitte warte, ich muss<br />
darüber nachdenken» – aber ein<br />
Nein sagen, ohne es auch wirklich so<br />
zu meinen, geht nicht.<br />
Was haben Sie ihnen geraten?<br />
Diese Eltern mussten lernen, dass<br />
sich das Kind abgelehnt fühlt und<br />
wütend oder traurig wird, wenn sie<br />
Nein sagen. Dass diese Gefühle in<br />
Ordnung sind und ihre Berechtigung<br />
haben. So ist das Leben eben, manchmal<br />
fühlt man sich abgelehnt.<br />
Wie war es für das Mädchen?<br />
Wenn Eltern Nein sagen, bedeutet<br />
es einfach Nein. Das zu erkennen<br />
und es nicht als unangenehm zu<br />
empfinden, war für alle in der Familie<br />
eine grosse Erleichterung, weil die<br />
Mutter in der Familie eine Kultur<br />
definiert hatte, die eine Harmonie<br />
anstrebte.<br />
Ist Harmonie unmöglich?<br />
Sagen wir: Es ist möglich, aber es<br />
nicht immer Harmonie zu haben. Ich<br />
plädiere dafür, sich zu fragen: Will<br />
ich in ständiger Harmonie leben<br />
oder mit ganz normalen, lebenden<br />
Menschen aufwachsen?<br />
Welche Motivation gibt es, sich von<br />
diesem Harmoniezwang zu befreien?<br />
Ist es der Leidensdruck?<br />
Die Anregung kann aus einer Frustration<br />
kommen. Wenn Eltern oder<br />
das Kind frustriert sind, kommt ein<br />
Impuls, etwas anderes zu probieren.<br />
Meine eigene Motivation und auch<br />
die von meiner damaligen Frau war,<br />
es nicht so machen zu wollen wie<br />
unsere eigenen Eltern. Wir wollten<br />
modern sein. Aber was das heissen<br />
soll, wussten wir nicht. Das gilt auch<br />
kostet uns alle viel. Nein sagen heisst, für Lehrpersonen. Sie sollten >>><br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2017</strong> / Januar 201839
Monatsinterview<br />
Zur Person<br />
Jesper Juul wurde am 18. April 1948 in<br />
Dänemark geboren. Mit 16 Jahren fuhr er als<br />
Koch zur See. Sie wurde sein Zufluchtsort.<br />
Der Zeit in der Kombüse folgten Jobs als<br />
Tellerwäscher in Bars und als Beton arbeiter<br />
auf dem Bau. Später erinnerte ihn sein<br />
Vater daran, dass er in jungen Jahren Lehrer<br />
werden wollte. Juul war sich unsicher. In der<br />
Bar, in der er jobbte, holte er den Oberkellner<br />
und würfelte. Das Schicksal entschied für<br />
den Lehrerberuf.<br />
Er arbeitete in einem Kinderheim mit<br />
verhaltensauffälligen und kriminellen<br />
Jugendlichen. Dort wurde ihm bewusst, wie<br />
wichtig die Beziehung zwischen Eltern und<br />
Kindern ist.<br />
Auf einer Fortbildung lernte er den<br />
amerikanischen Psychiater und Familientherapeuten<br />
Walter Kempler kennen. Dessen<br />
Einfluss führte zu vielen der Methoden und<br />
Ansichten, die Therapeut Juul bis heute<br />
vertritt. Gemeinsam gründeten Kempler und<br />
Juul 1979 das «Kempler Institute of<br />
Scandinavia», das Juul 25 Jahre später<br />
verliess, um in Dänemark die erste Familien <br />
werkstatt familylab aufzubauen.<br />
Familylab ist eine gemeinnützige Organisation,<br />
die inzwischen in 21 Ländern aktiv<br />
ist. «Mit familylab wollen wir die psychosoziale<br />
Gesundheit und das Wohlergehen der<br />
heutigen und zukünftigen Eltern und Kinder<br />
wie auch der Fachpersonen verbessern»,<br />
sagt Jesper Juul. «Ziel ist es, eine optimale<br />
Umgebung für ein gemeinsames, soziales,<br />
emotionales, kreatives und akademisches<br />
Lernen zu schaffen.»<br />
Jesper Juul ist Autor von mehr als zwei<br />
Dutzend Büchern, die in viele Sprachen<br />
übersetzt wurden. Zu seinen bekanntesten<br />
Werken gehören: «Pubertät. Wenn Erziehen<br />
nicht mehr geht», «Wem gehören unsere<br />
Kinder?», «Die kompetente Familie»,<br />
«Leitwölfe sein» und «Grenzen. Nähe.<br />
Respekt».<br />
Privat lebt Juul zurückgezogen in seiner<br />
Wohnung in Odder, Dänemark. Er ist zweimal<br />
geschieden und heute Single. 20<strong>12</strong> erkrankte<br />
Jesper Juul an Transverser Myelitis, einer<br />
Entzündung des Rückenmarks. Er verbrachte<br />
16 Monate in Rehabilitation in einem<br />
dänischen Krankenhaus und sitzt seither im<br />
Rollstuhl. Seit 2014 schreibt er wieder.
Monatsinterview<br />
>>> sich fragen: Fühle ich mich<br />
erfolgreich und zufrieden damit, wie<br />
ich die Konflikte mit meinen Schülern<br />
löse? Wenn man diese Frage mit<br />
Ja beantworten kann, muss man<br />
nichts ändern.<br />
Was wäre Ihre ideale Welt?<br />
Familien, Institutionen und Gesellschaften<br />
mit viel weniger Gewalt,<br />
Missbrauch, Sucht und Vernachlässigung.<br />
Ich möchte, dass Familien,<br />
Organisationen und die Gesellschaft<br />
dazu inspiriert werden, sich und ihr<br />
Gegenüber ernst zu nehmen, liebevolle<br />
Beziehungen zu leben und sich<br />
gegenseitig von innen heraus mit<br />
Respekt zu behandeln.<br />
Was ist, wenn Sie einmal nicht mehr<br />
da sind?<br />
Mir ist es wichtig, dass meine Prinzipien<br />
auch ohne mich weiterleben.<br />
Ich will nicht, dass diese Haltung<br />
alleine an mir hängt. Wenn meine<br />
Person wichtiger wird als die Vision<br />
meiner Organisation familylab, ist<br />
das nicht gut. Ich mag die Personenzentriertheit<br />
nicht. Sie ist mir unangenehm.<br />
Mein Wunsch ist es, dass<br />
«Mein Wunsch ist<br />
es, dass Werte gelebt<br />
werden und<br />
Menschen anständig<br />
miteinander<br />
umgehen.»<br />
Werte gelebt werden und Menschen<br />
anständig miteinander umgehen.<br />
Stellen Sie sich vor, man trifft sich in<br />
zehn Jahren und streitet noch immer<br />
über den Wert Gleichwürdigkeit,<br />
statt diesen Wert zu leben und einen<br />
gleichwürdigen Dialog zu führen.<br />
Ich hoffe, es wird nicht so sein. Aber<br />
vielleicht ist das naiv. Ich weiss es<br />
nicht.<br />
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Dezember <strong>2017</strong> / Januar 201841
Erziehung & Schule<br />
«Ich lebe bei Mami –<br />
und bei Papi»<br />
Seit Anfang dieses Jahres ist die alternierende Obhut als mögliche Betreuungsform explizit im<br />
Zivilgesetzbuch aufgeführt. In diesem Fall leben die Kinder nach einer Scheidung abwechselnd bei<br />
der Mutter und beim Vater. Das hat Vorteile. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Text: Gisela Kilde<br />
Bild: iStockphoto<br />
42 Dezember <strong>2017</strong> / Januar 2018 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Beim Nestmodell bleiben die<br />
Kinder in derselben Wohnung,<br />
und die Eltern wechseln sich<br />
dort mit der Betreuung ab.<br />
Als werdendem Vater<br />
war Robert klar, dass<br />
er seine Tätigkeit als<br />
Informatiker reduzieren<br />
wird. Seine Frau<br />
Mara wollte in ihrem Beruf als<br />
Buchhalterin in einem kleinen KMU<br />
Teilzeit weiterarbeiten. Bei der Ge <br />
burt des ersten Kindes reduzierte<br />
Robert sein Arbeitspensum auf 80<br />
Prozent, Mara senkte ihre Tätigkeit<br />
zuerst auf 20 Prozent, stockte später,<br />
nachdem für das zweite Kind die<br />
obligatorische Schulzeit begonnen<br />
hatte, auf 40 Prozent auf. An einem<br />
von Maras beiden Arbeitstagen blieb<br />
Robert zu Hause bei den Kindern,<br />
den zweiten verbrachten die Kinder<br />
bei einer Tagesmutter, die in der<br />
Nachbarschaft wohnt.<br />
Verschiedene Modelle der<br />
Kindesobhut<br />
an sich in der Gestaltung sehr frei.<br />
Sind sie sich einig, wird das Gericht<br />
oder die Kindesschutzbehörde die<br />
Betreuungsaufteilung nicht infrage<br />
stellen – soweit nicht ersichtlich ist,<br />
dass das Kindeswohl darunter leiden<br />
wird. Gemeinhin wird unterschieden<br />
zwischen dem Residenzmodell,<br />
dem Nestmodell und der alternierenden<br />
Obhut.<br />
Das Residenzmodell vermittelt<br />
dem Kind einen klaren Lebensmittelpunkt<br />
bei einem Elternteil. Zu<br />
bestimmten Zeiten «besucht» das<br />
Kind den anderen Elternteil bei ihm<br />
zu Hause und verbringt in den Ferien<br />
Zeit mit ihm. Viele Scheidungseltern<br />
wählen das Residenzmodell,<br />
etwa weil es der zuvor gelebten Rollenverteilung<br />
entspricht oder weil<br />
die geografische Distanz zwischen<br />
den Wohnorten der Eltern kein an <br />
deres Betreuungsmodell er laubt.<br />
Beim sogenannten Nestmodell<br />
bleiben die Kinder in derselben<br />
Wohnung respektive in demselben<br />
Haus, und die Eltern wechseln sich<br />
dort mit der Betreuung der Kinder<br />
ab. Gleichzeitig tragen die Eltern<br />
also Verantwortung für zwei Haushalte<br />
– denjenigen der Kinder und<br />
den jeweils eigenen. Dieses Modell<br />
wäre für die Kinder von Vorteil, da<br />
sie immer in derselben Umgebung<br />
bleiben dürfen. Für die Eltern stehen<br />
jedoch hohe Anforderungen im<br />
Raum: Mutter und Vater müssen<br />
einerseits über grosszügige finanzielle<br />
Ressourcen verfügen, andererseits<br />
eine ausserordentlich gute<br />
Kooperationsfähigkeit mitbringen,<br />
müssen sie doch abwechselnd, in<br />
permanenter Absprache miteinander,<br />
den Kinderhaushalt weiterfüh<br />
ren. Daher wählt kaum eine Familie<br />
diese Betreuungsform.<br />
Die alternierende Obhut zielt auf<br />
eine zeitlich ausgewogene Betreuung<br />
der Kinder durch beide Elternteile.<br />
Die Kinder wechseln in regelmässigem<br />
Abstand – häufig alle paar<br />
Tage oder jeweils nach einer Woche<br />
– vom einen zum anderen Elternteil.<br />
Von den Kindern verlangt diese<br />
Lösung eine gewisse Flexibilität, die<br />
je nach Persönlichkeit mehr oder<br />
weniger vorhanden ist. Durch die<br />
häufigen Wechsel zwischen den<br />
Elternteilen muss vor allem bei jungen<br />
Kindern ebenfalls eine konfliktfreie<br />
Übergabe möglich sein.<br />
Antragsrecht für alternierende<br />
Obhut<br />
Mit den Bestimmungen zum Kindesunterhalt,<br />
die seit dem 1. Januar<br />
<strong>2017</strong> gelten, wurde ein ausdrückliches<br />
Antragsrecht für die alternierende<br />
Obhut in das Zivilgesetzbuch<br />
eingeführt. Stellt ein Elternteil einen<br />
entsprechenden Antrag, ist dieser<br />
von den Gerichten zu prüfen. Dabei<br />
hat das Gericht oder die Behörde<br />
eine Prognose zu fällen, ob die von<br />
den Eltern gewählte Betreuungslösung<br />
dem Kindeswohl entspricht.<br />
Um diese Prognose fällen zu können,<br />
zieht das Gericht einen breiten<br />
Katalog an Kriterien heran. Auf der<br />
Elternseite müssen Vater und Mutter<br />
ihre Kinder den Be dürfnissen<br />
und Fähigkeiten entsprechend erziehen<br />
können. Sie müssen in dem<br />
Ausmass gemeinsam Ab sprachen<br />
treffen und zusammen arbeiten können,<br />
das eine gemeinsame (Kinder-)<br />
Alltags bewältigung erlaubt. Eine<br />
abwechselnde Betreuung ver<br />
Mittlerweile sind die Kinder zehn<br />
und sieben Jahre alt, und die Ehe<br />
ihrer Eltern kriselt: Robert und Mara<br />
wollen sich trennen. Nachdem diese<br />
wichtige Entscheidung gefallen ist,<br />
beginnt die Diskussion um die Re <br />
organisation ihres Familienlebens.<br />
Robert will auch zukünftig seinen<br />
«Papitag» wahrnehmen. Noch lieber<br />
würde er jedoch seine Betreuungszeit<br />
ausweiten und sein Arbeitspensum<br />
weiter reduzieren. Mara ist zwar<br />
froh um seine Unterstützung, ist sich<br />
aber auch im Klaren darüber, dass<br />
durch die Trennung Zusatzkosten<br />
für zwei getrennte Haushalte anfallen<br />
werden.<br />
Trennen sich die Eltern, steht<br />
nebst den finanziellen Sorgen häufig<br />
die Reorganisation der Kinderbetreuung<br />
im Raum. Die Eltern sind >>><br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2017</strong> / Januar 201843
Erziehung & Schule<br />
Eine abwechselnde Betreuung<br />
verlangt in höherem Mass<br />
organisatorische Absprachen<br />
und gegenseitige Information.<br />
>>> langt in höherem Mass organisatorische<br />
Absprachen und gegenseitige<br />
Information als die anderen<br />
Betreuungsformen. Je höher der<br />
Koordinationsbedarf – vor allem bei<br />
jüngeren Kindern – ist, desto höher<br />
sind die Anforderungen an die<br />
Eltern.<br />
Der Schulweg muss bewältigt<br />
werden können<br />
Robert und Mara stellen die Erziehungsfähigkeit<br />
des anderen nicht<br />
infrage. Sie sind sich ebenfalls be <br />
wusst, dass sie ihre Eheprobleme<br />
nicht auf die Kinder übertragen wollen.<br />
Insofern können sie sich sachlich<br />
über ihre Kinder austauschen und<br />
dem anderen die notwendigen Informationen<br />
mitteilen. Weiter muss die<br />
geografische Distanz zwischen den<br />
Wohnorten so gering sein, dass die<br />
Kinder den Schulweg von beiden<br />
Wohnorten bewältigen können.<br />
Robert ist gern bereit, im gleichen<br />
Quartier eine Wohnung zu suchen,<br />
damit die Kinder problemlos zwischen<br />
den Wohnungen pendeln<br />
können.<br />
Mit dem Verbleib im gleichen<br />
Quartier würde auch einem weiteren<br />
Kriterium, nämlich der Stabilität<br />
im sozialen Umfeld und einer möglichst<br />
persönlichen Be treuung durch<br />
die Eltern, entsprochen. Für die<br />
Kinder wären immer noch dieselben<br />
Betreuungspersonen verantwortlich.<br />
Ist für Kinder bereits die<br />
Trennung der Eltern eine Belastung,<br />
erschwert darüber hinaus ein allfälliger<br />
Wechsel ihres sozialen Umfelds<br />
und ihrer Betreuungsstrukturen die<br />
Verarbeitung dieser herausfordernden<br />
Neuorganisation der Familie.<br />
Robert und Mara besprechen<br />
gemeinsam mit ihren Kindern ihre<br />
Vorlieben und Wünsche. So berücksichtigen<br />
sie in ihrer Betreuungslösung<br />
etwa, dass ihr Sohn auch<br />
weiterhin am Samstag und zweimal<br />
unter der Woche Fussball spielen<br />
will. Auch die Gerichte haben bei<br />
einer hoheitlichen Entscheidung die<br />
Wünsche der Kinder zu berücksichtigen.<br />
Können sich Robert und<br />
Mara gemeinsam auf eine Vereinbarung<br />
einigen, die auch den Bedürfnissen<br />
und den Wünschen der Kinder<br />
entspricht, so wird eine wichtige<br />
Grundlage für eine nachhaltige<br />
Lösung gelegt.<br />
>>><br />
Gisela Kilde<br />
Dr. iur., ist Koordinatorin und<br />
Lehrbeauftragte am Institut für<br />
Familienforschung und -beratung an<br />
der Universität Freiburg.<br />
Ideale Voraussetzungen für alternierende Obhut<br />
• Vater und Mutter können ihr Kind an dessen Bedürfnissen und Fähigkeiten orientiert erziehen.<br />
• Die Eltern können betreffend Fragen der Kinder zusammenarbeiten und miteinander sprechen.<br />
• Die geografische Distanz zwischen den Eltern lässt eine alternierende Betreuung zu.<br />
• Die persönliche Betreuung der jungen Kinder beziehungsweise bei zunehmendem Alter die<br />
Stabilität des sozialen Umfelds wird durch diese Lösung gewahrt.<br />
• Der Wunsch des Kindes darf ebenfalls in den Entscheid einfliessen.<br />
Je nach Alter erhalten die verschiedenen Voraussetzungen ein anderes Gewicht. Der Entscheid hat<br />
sich nicht an den Interessen der Eltern, sondern am Wohl des Kindes auszurichten.<br />
44 Dezember <strong>2017</strong> / Januar 2018 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Erziehung & Schule<br />
Buchhalter? Malerin? Pilot?<br />
Es ist eine der wichtigsten Entscheidungen im Leben: Welchen Beruf will ich lernen? Ein Lehrer<br />
erzählt, wie die Schule die Jugendlichen in der Berufswahl begleitet und wie die Eltern ihre<br />
Kinder am besten unterstützen. Text: Samuel Zingg<br />
«Die Jugendlichen müssen<br />
sich von Gruppendynamiken<br />
lösen – dann gelingt die<br />
Berufswahl meist.»<br />
Samuel Zingg ist Lehrperson an der<br />
Sekundarstufe I in Buchholz GL und Mitglied<br />
der Geschäftsleitung des LCH. Der Vater einer<br />
vierjährigen Tochter und eines zweijährigen<br />
Sohnes wohnt in Mollis GL.<br />
Meist wissen Jugendliche beim<br />
Besuch eines Betriebs bereits<br />
nach zwei Stunden, ob ihnen ein<br />
Beruf zusagt oder nicht.<br />
Arbeiten Sie noch in<br />
dem Beruf, den Sie<br />
einst gelernt haben?<br />
Wenn ja, sind Sie<br />
heute eher die Ausnahme.<br />
Die Zeiten, als man Schreiner,<br />
Lehrer, Maurer oder Kaufmann<br />
lernte im Glauben, diesen Beruf bis<br />
zur Pensionierung auszuüben, sind<br />
vorbei. Auch definiert man sich in<br />
der heutigen Gesellschaft zunehmend<br />
nicht mehr nur über den<br />
Beruf. Der Druck auf Jugendliche,<br />
sich für den einen richtigen Beruf zu<br />
entscheiden, müsste also abgenommen<br />
haben.<br />
Meine Erfahrung ist eine andere.<br />
Ich bin Klassenlehrperson einer<br />
zweiten Sekundarklasse und stehe<br />
mit den Jugendlichen gerade mitten<br />
im Berufswahlprozess. Es zeigt sich:<br />
Aus über 230 Berufen den richtigen<br />
zu wählen, stellt immer noch eine<br />
grosse Herausforderung dar. Was<br />
machen wir in der Schule? Und was<br />
können Eltern zu einem gelungenen<br />
Berufswahlprozess beitragen?<br />
Auch Fächer wie Musik, Werken und<br />
Sport sind wichtig<br />
Die «Berufliche Orientierung», so<br />
heisst das Fach im neuen Lehrplan,<br />
startet im Frühling der ersten Sekundarschulklasse<br />
und dauert bis in den<br />
Herbst des letzten obligatorischen<br />
Schuljahres. Bis dann sollten sich die<br />
meisten Schülerinnen und Schüler<br />
in einem Bewerbungsprozess befinden.<br />
Bis dahin sollten sie wissen, was<br />
sie können und was sie mit ihren<br />
Voraussetzungen machen wollen.<br />
In einem ersten Schritt habe ich<br />
versucht, den Schülern viele Möglichkeiten<br />
zu geben, um sich selbst<br />
kennenzulernen: Worin bin ich gut?<br />
Was mache ich gerne? Welches sind<br />
meine Stärken und Schwächen? Die<br />
Schule fördert die persönlichen<br />
Kompetenzen der Schülerinnen und<br />
Schüler, um sie zu befähigen, eine<br />
gute Entscheidung zu treffen: Sie<br />
schreiben über sich selbst, lernen<br />
Ad jektive und Verben, werden –<br />
auch provokativ – mit persönlichen<br />
Fragen konfrontiert, be kommen<br />
verschiedene Aufgaben, die unterschiedliche<br />
Kompetenzen wie Fingerspitzengefühl,<br />
logisches Denken<br />
oder Handgeschick erfordern.<br />
Wir versuchen, an der Schule ein<br />
Umfeld zu schaffen, in welchem die<br />
Jugendlichen ihre Fähigkeiten und<br />
Fertigkeiten entdecken können.<br />
46 Dezember <strong>2017</strong> / Januar 2018 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Wichtig sind auch Fächer wie Musik,<br />
Werken, Handarbeit, Kochen und<br />
Sport, die ich als Klassenlehrperson<br />
nicht oder nur selten mit allen unterrichte<br />
– ich vernetze mich dafür mit<br />
den anderen Lehrpersonen. Gelingt<br />
der Prozess der ersten Selbstfindung<br />
gut, können sich die Jugendlichen in<br />
der Regel gut auf die Berufswahl<br />
einlassen. Können sie sich von Gruppendynamiken<br />
lösen, dann kommen<br />
sie meist auch zu einer guten Entscheidung.<br />
Jugendliche unter Druck<br />
Oftmals stehen die Jugendlichen<br />
jedoch unter Druck – oder sie empfinden<br />
es zumindest so: von den<br />
Peers, von den Eltern, die sie zufriedenstellen<br />
wollen, und nicht zuletzt<br />
von sich selber, weil sie noch nicht<br />
wissen, was sie überhaupt wollen,<br />
und weil sich dies in den hormonellen<br />
Schwankungen jeden Tag anders<br />
anfühlt.<br />
In diesem Prozess sind Sie, liebe<br />
Eltern, wichtige Ansprechpersonen.<br />
So können Sie Ihr Kind unterstützen:<br />
• Seien Sie Ihrem Kind ein Sparringpartner,<br />
interessieren Sie sich<br />
für seine Fragen und Gedanken.<br />
• Formulieren Sie Ihre Erwartungen:<br />
Die Jugendlichen können<br />
mit klaren Erwartungen besser<br />
umgehen als mit einer vermeintlichen<br />
Freiheit.<br />
• Eltern haben eine Vorbildfunktion,<br />
was das berufliche Engagement<br />
betrifft. Eine positive Einstellung<br />
zum Arbeiten hilft den<br />
Jugendlichen, auch selber den<br />
Schritt ins Berufsleben positiv<br />
anzugehen.<br />
• Gelassenheit hilft: Es nützt nichts,<br />
Ihr Kind zu drängen. Umgekehrt<br />
sollten Sie auch nicht einfach<br />
zuschauen, wie es sich nicht mit<br />
der Berufswahl befasst. Auf die<br />
richtige Mischung aus Vertrauen<br />
und sanftem Druck kommt es an.<br />
• Unterstützen Sie ihr Kind bei der<br />
Organisation seiner Schnuppertage<br />
oder Schnupperwochen.<br />
Nehmen Sie ihm aber die Arbeit<br />
nicht ab: Zu telefonieren, vorbeizugehen,<br />
sich Situationen mit<br />
Erwachsenen zu stellen, stärkt das<br />
Selbstbewusstsein.<br />
• Unterstützen Sie die Berufswünsche<br />
Ihres Kindes. Oft sind die<br />
ersten Traumberufe nicht diejenigen,<br />
welche die Jugendlichen<br />
dann auch wirklich erlernen wollen<br />
– doch sie weisen auf Interessen<br />
hin. Fragen Sie nach: Was<br />
macht diesen oder jenen Beruf<br />
für dich spannend?<br />
Nachdem der Prozess der Selbstfindung<br />
gestartet ist, ist das Kennenlernen<br />
der Berufswelt der nächste wichtige<br />
Schritt. Selten kennen wir<br />
Er wachsenen mehr als 40 Ausbildungsberufe,<br />
bei Jugendlichen sind<br />
es meist noch weniger. An Berufsmessen<br />
und bei Besuchen von Grossunternehmen<br />
können sie viele verschiedene<br />
Berufe kennenlernen.<br />
Meist wissen die Jugendlichen<br />
bereits nach zwei Stunden, spätestens<br />
jedoch nach einem halben Tag,<br />
ob ihnen ein Beruf zusagt oder nicht.<br />
Diese Kurzbesuche, auch Berufserkundungen<br />
genannt, sind wichtig,<br />
um in einer nächsten Phase die zwei<br />
bis drei interessantesten Berufe weiterzuverfolgen<br />
und in einer Berufswahlschnupperlehre,<br />
die etwa zwei<br />
bis drei Tage dauert, zu erleben.<br />
Lehrpersonen in Sorge<br />
Erst im dritten Oberstufenjahr finden<br />
die Bewerbungsschnupperlehren<br />
statt. Hier geht es um das gegenseitige<br />
Kennenlernen in einem<br />
Be trieb. Dabei wird entschieden, ob<br />
die Lehrstelle passt oder nicht. Wir<br />
Lehrpersonen beobachten mit Sorge,<br />
dass Lehrstellen teilweise bereits im<br />
zweiten Oberstufenschuljahr vergeben<br />
werden. Oft folgt dann im<br />
dritten Jahr die Ernüchterung. Wir<br />
be stehen deshalb darauf, dass der<br />
1. November als Stichtag für die<br />
Lehrstellenvergabe eingehalten wird.<br />
Heute können wir in fast allen Situationen<br />
noch beinahe jeden Beruf<br />
erlernen. Sogar ein Universitätsstu<br />
Es gibt zwar gute Gründe,<br />
das Gymnasium zu besuchen,<br />
doch damit ist der<br />
Berufsfindungsprozess<br />
nur aufgeschoben.<br />
dium kann einer Lehre noch folgen.<br />
Es gibt zwar gute Gründe, das Gymnasium<br />
zu besuchen, oft aber erliegen<br />
Eltern dem Irrtum, dass die<br />
Matura der höchste Abschluss sei.<br />
Denn in Tat und Wahrheit beginnt<br />
der Berufsfindungsprozess erst nach<br />
dem Gymi-Abschluss.<br />
Lehrabschliessende mit Berufsmatura<br />
hingegen haben nicht nur<br />
die Reifeprüfung in der Tasche, sondern<br />
auch bereits einen Beruf er <br />
lernt. An den Berufsweltmeisterschaften<br />
WorldSkills Ende Oktober<br />
<strong>2017</strong> konnte man den Wert einer<br />
Schweizer Berufslehre deutlich<br />
sehen: Unsere Berufsleute holten<br />
13 Weltmeistertitel!<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2017</strong> / Januar 201847
Elterncoaching<br />
«Bei Papa dürfen wir<br />
das aber!»<br />
Unterschiedliche Erziehungsstile in einer Familie können<br />
Bereicherung und Belastung sein. Konflikte entstehen dann,<br />
wenn die Eltern Extrempositionen einnehmen.<br />
Fabian Grolimund<br />
ist Psychologe und Autor («Mit<br />
Kindern lernen»). In der Rubrik<br />
«Elterncoaching» beantwortet<br />
er Fragen aus dem Familienalltag.<br />
Der 37-Jährige ist verheiratet<br />
und Vater eines Sohnes, 4,<br />
und einer Tochter, 1. Er lebt<br />
mit seiner Familie in Freiburg.<br />
www.mit-kindern-lernen.ch<br />
www.biber-blog.com<br />
Meine Kinder und<br />
ich sitzen im Bus.<br />
Nach einem Blick<br />
in die Einkaufstaschen<br />
gibt mir<br />
mein damals dreijähriger Sohn in<br />
voller Lautstärke den Tarif durch:<br />
«Papa! Das ist Weissbrot! Und<br />
Chips! Das ist schlecht für den<br />
Bauch! Das kaufst du nie mehr!»<br />
Während ich ziemlich verdattert<br />
dasitze, können sich die anderen<br />
Leute das Lachen nicht verkneifen.<br />
Danach fügt er hinzu: «Du kannst<br />
Mama sagen, dass ich schon mit dir<br />
geschimpft habe. Dann muss sie es<br />
nicht mehr machen.»<br />
Das Essen sorgt bei uns immer<br />
wieder für Diskussionen. Während<br />
meine Frau auf die Gesundheit achtet,<br />
hat mein Essen oft mehr E-Nummern<br />
als Vitamine. Sagt mir je mand,<br />
ich sehe jünger aus, als ich sei, kann<br />
ich es mir nicht verkneifen, das den<br />
Konservierungsstoffen zuzuschreiben,<br />
die mir die Fertig-Lasagnen<br />
über die Jahre geliefert haben.<br />
Wahrscheinlich geht es Ihnen in<br />
Ihrer Partnerschaft ähnlich, und es<br />
Kinder haben kein Problem,<br />
sich auf unterschiedliche<br />
Bezugspersonen einzustellen.<br />
Sie wissen, was bei wem gilt.<br />
gibt Dinge, die Sie im Umgang mit<br />
den Kindern unterschiedlich handhaben.<br />
Meist entzünden sich Diskussionen<br />
an Punkten wie Ernährung,<br />
Schlafenszeiten, Strukturen,<br />
Grenzen und Ritualen. Wie soll man<br />
mit diesen Unterschieden umgehen?<br />
Benötigen Kinder die oft beschworene<br />
«gemeinsame Front» oder darf<br />
die individuelle Persönlichkeit der<br />
Eltern auch in der Erziehung Ausdruck<br />
finden?<br />
Kinder können mit Unterschieden<br />
umgehen<br />
Generell lässt sich sagen, dass Kinder<br />
kein Problem damit haben, sich auf<br />
unterschiedliche Bezugspersonen<br />
einzustellen. Sie wissen, was bei Mutter<br />
und Vater, den Grosseltern oder<br />
der Lehrerin gilt, und können sich<br />
danach ausrichten.<br />
Gleichzeitig sind Unterschiede<br />
eine Bereicherung. Sie sorgen dafür,<br />
dass Kinder verschiedene Modelle<br />
erhalten. Wenn Eltern diese Vielfalt<br />
zulassen können, erweitert sich der<br />
Erfahrungsspielraum des Kindes. Es<br />
kann mit Eltern, Grosseltern und<br />
weiteren Bezugspersonen unterschiedliche<br />
Erfahrungen sammeln<br />
und verschiedene Aspekte seiner<br />
Persönlichkeit entdecken. Dabei<br />
gestalten Kinder ihre Entwicklung<br />
aktiv mit, indem sie sich Modelle<br />
und Vorbilder suchen, die zu ihnen<br />
passen.<br />
Unterschiede werden dann problematisch,<br />
wenn sie zu unüber-<br />
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren<br />
48 Dezember <strong>2017</strong> / Januar 2018 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
windbaren Konflikten zwischen<br />
Eltern führen. Wenn sich Mutter<br />
und Vater nicht mehr respektieren,<br />
sich gegenseitig abwerten oder ein<br />
Elternteil an den Rand gedrängt<br />
wird, weil seine Erziehungskompetenz<br />
scheinbar nicht genügt. Oft<br />
sind die Konflikte und Machtspiele<br />
und deren Folgen für die Partnerschaft<br />
für das Kind viel schwerer<br />
auszuhalten als die unterschiedlichen<br />
Erziehungsstile der Eltern.<br />
Konflikte entstehen häufig, wenn<br />
die Eltern in der Erziehung Extremposi<br />
tionen einnehmen. Wenn er<br />
spontan und chaotisch ist und sie<br />
auf klare Strukturen und Abläufe<br />
Wert legt. Wenn sie den Kindern<br />
vieles durchgehen lässt und er darauf<br />
beharrt, dass Kinder klare Grenzen<br />
brauchen und Konsequenzen<br />
spüren müssen. Wenn sie verantwortungsbewusst<br />
ist und den Kindern<br />
das Motto «ohne Fleiss kein<br />
Preis» mitgeben möchte, während<br />
er sein Leben nach dem Lustprinzip<br />
gestaltet.<br />
Unterschieden auf die Schliche<br />
kommen<br />
Es ist hilfreich, wenn man sich be <br />
wusst wird, dass extreme Positionen<br />
oft eher eine Reaktion als eine Entscheidung<br />
sind. Sie können als Folge<br />
der eigenen Kindheit entstehen. Sind<br />
wir etwa mit strengen und strafenden<br />
Eltern aufgewachsen, können<br />
wir diese An sichten übernehmen<br />
(«das hat uns auch nicht geschadet!»)<br />
oder versuchen, alles anders<br />
zu machen.<br />
Unser Umgang mit dem Kind<br />
kann auch eine Reaktion auf den<br />
anderen Elternteil sein. Ist der eine<br />
eher autoritär und fordernd, kann<br />
dies beim anderen den Wunsch auslösen,<br />
dies durch Nachsicht auszugleichen.<br />
Sieht der strenge Elternteil,<br />
wie nachsichtig der andere mit den<br />
Kindern umgeht, verstärkt dies seine<br />
Ängste: «Die Kinder tanzen dir<br />
auf der Nase rum!» Es entsteht das<br />
Bedürfnis, dem durch noch mehr<br />
Härte entgegenzuwirken.<br />
Dieses «Ausgleichen» ist jedoch ab<br />
einem bestimmten Punkt für alle<br />
Beteiligten ungesund. Die Kinder<br />
beginnen, die Eltern gegeneinander<br />
auszuspielen, während sich diese<br />
gegenseitig immer weniger respektieren<br />
oder sogar das Gefühl entwickeln,<br />
die Kinder vor dem negativen<br />
Einfluss des anderen schützen zu<br />
müssen.<br />
Wieder in die Mitte finden<br />
Wie finden Eltern in dieser Situation<br />
wieder zueinander? Wenn beide<br />
noch offen miteinander reden können,<br />
ist mit einem Gespräch ein<br />
guter Anfang gemacht. Die Eltern<br />
können miteinander die folgenden<br />
Fragen durchgehen:<br />
• Was macht dir Angst oder welche<br />
Befürchtungen hast du, wenn du<br />
siehst, wie ich mit den Kindern<br />
umgehe?<br />
• Was wünschst du dir von mir?<br />
• Wie wollen wir mit unseren Differenzen<br />
umgehen?<br />
So könnte der «strenge» Elternteil<br />
befürchten, dass der andere die Kinder<br />
verzieht und diese in der Folge<br />
zu Egoisten werden, die sich nicht<br />
an Regeln halten können und nur<br />
ihre eigenen Bedürfnisse im Kopf<br />
haben. Vielleicht stört er sich auch<br />
daran, dass die Bedürfnisse der<br />
Eltern vernachlässigt werden.<br />
Der «nachlässige» Elternteil be <br />
fürchtet vielleicht, dass die strenge<br />
Erziehung dazu führt, dass die Kinder<br />
Ängste entwickeln, ihre Lebensfreude<br />
verlieren und mit ihren<br />
Bedürfnissen nicht gesehen werden.<br />
Es ist hilfreich, diese Befürchtungen<br />
auszusprechen, vielleicht sogar aufzuschreiben<br />
und sich zu fragen, ob<br />
die Einschätzung des anderen nicht<br />
ein Körnchen Wahrheit enthält.<br />
Es lohnt sich auch nachzufragen,<br />
ob sich das Gegenüber in seiner Rolle<br />
wohlfühlt. Vielleicht möchte der<br />
strenge Teil auch einmal nachgiebig<br />
sein und nicht immer den «Bösen»<br />
spielen müssen – wenn er sich darauf<br />
verlassen kann, dass der andere<br />
wichtige Regeln mitträgt. Und viel<br />
Oft sind die Konflikte und<br />
Machtspiele der Eltern für das<br />
Kind schwerer auszuhalten als<br />
verschiedene Erziehungsstile.<br />
leicht ist es für den nachgiebigen<br />
Elternteil befreiend, wenn er lernt,<br />
sich ab und zu abzugrenzen und den<br />
Kindern nicht alles durchgehen zu<br />
lassen – im Wissen, dass auch der<br />
andere Elternteil ab und zu ein Auge<br />
zudrückt und die Kinder insgesamt<br />
auf ihre Kosten kommen.<br />
Einfach mal die Rolle wechseln<br />
Falls das Thema Erziehung so belastet<br />
ist, dass ein Gespräch kaum mehr<br />
möglich ist, kann ein Experiment für<br />
Veränderung sorgen. Dabei übernimmt<br />
man einfach in bestimmten<br />
Situationen die Rolle des anderen.<br />
Ein nachgiebiger Vater könnte beispielsweise<br />
ganz bewusst auf die<br />
Einhaltung einer Regel bestehen:<br />
«Wir haben abgemacht, dass ihr diese<br />
Sendung sehen dürft und nicht<br />
mehr. Jetzt machen wir den Fernseher<br />
aus.» Er könnte den Protest der<br />
Kinder stoisch ertragen, anstatt wie<br />
sonst nachzugeben, und schauen,<br />
wie sich das für ihn anfühlt – und<br />
wie seine Partnerin darauf reagiert.<br />
In der nächsten Ausgabe:<br />
Warum es so wichtig ist, dass Schule<br />
und Elternhaus zusammenarbeiten.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2017</strong> / Januar 201849
In Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Post<br />
Erziehung & Schule<br />
Frohes Schreiben!<br />
Festtage sind Familientage. Das gemeinsame Basteln und Backen, Singen und Geschichtenerzählen<br />
bietet auch Gelegenheiten, spielerisch das Schreiben zu entdecken. Einige Ideen zur Weihnachtszeit.<br />
Text: Johanna Oeschger<br />
Weihnachts-Faltgeschichten<br />
Dieses gemeinsame Geschichtenschreiben<br />
kann zu überraschenden Wendungen<br />
in der Handlung führen: Der erste<br />
Schreiber notiert den Anfangssatz einer<br />
Weihnachtsgeschichte auf ein Blatt und<br />
reicht es an den nächsten Schreiber weiter.<br />
Dieser liest den Satz, faltet das Blatt<br />
so, dass der erste Satz nicht mehr zu<br />
sehen ist, schreibt einen Fortsetzungssatz<br />
und reicht das Blatt weiter.<br />
Briefwichteln<br />
Bei dieser Wichtelvariante werden statt<br />
Geschenke liebe Botschaften oder gute<br />
Wünsche getauscht: Jeder Teilnehmer<br />
zieht den Namen eines anderen Familienmitglieds<br />
(jüngere Familienmitglieder<br />
ziehen mit einem «Co-Wichtel»)<br />
und beschenkt dieses mit einem selbst<br />
gestalteten Brief. Um es spannend zu<br />
machen, können die Botschaften über<br />
eine Woche hinweg jeden Tag irgendwo<br />
«versteckt» werden (im Zahnglas, zwischen<br />
den Buchseiten usw.). Am Weihnachtsabend<br />
wird aufgelöst, wer der<br />
Wichtel war.<br />
Süsse Grüsse<br />
So werden die Weihnachts-, Neujahrsoder<br />
Dankesgrüsse zu einer ganz per-<br />
sönlichen Überraschung: Mit den Kindern<br />
gemeinsam eine kleine Botschaft<br />
an den Götti, das Grosi oder den Onkel<br />
ausdenken (z. B. einen Wunsch zum<br />
neuen Jahr, «DANKE» …) und die passenden<br />
Buchstaben aus Guetsli-Teig<br />
formen oder mit Buchstabenförmchen<br />
ausstechen. Auf dem Begleitkärtchen<br />
kann ein Hinweis zum «Buchstaben-Guetsli-Rätsel»<br />
mitgeschickt werden<br />
(«Wir wünschen dir … zum neuen<br />
Jahr!»).<br />
Kooperatives Schreiben<br />
Wenn man gemeinsam einen Text verfasst, gibt es nicht<br />
nur zu schreiben, sondern auch einiges zu besprechen<br />
und auszuhandeln: Wie gehen wir vor? Was gehört<br />
un bedingt in den Text, was können wir weglassen? Wie<br />
könnte man das besser formulieren? Im Team kommen<br />
die Schreibenden auf neue Ideen und entwickeln eigene<br />
Strategien zum Verfassen von Texten. Das «kooperative<br />
Schreiben» wird deshalb als wirkungsvolle Methode zur<br />
Förderung der Schreibkompetenz eingesetzt.<br />
App-Tipp<br />
Die grosse Wörterfabrik<br />
Ein lebendig gewordenes Bilderbuch mit wunderschönen<br />
Illustrationen zum spielerischen Erlernen von neuen Wörtern.<br />
Für Kinder ab Vorschulalter. Erhältlich für iOS und Android.<br />
Kosten: ca. 3 Franken.<br />
Johanna Oeschger<br />
ist Literatur- und Sprachwissenschaftlerin,<br />
unterrichtet Deutsch und Englisch<br />
auf der Sekundarstufe II und arbeitet als<br />
Mediendidaktikerin bei LerNetz.<br />
Bild: iStockphoto<br />
50 Dezember <strong>2017</strong> / Januar 2018 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Rubrik<br />
Haben Kind und Karriere<br />
genug Platz in einer Familie?<br />
Wir denken an Familien. Zum Beispiel, indem wir<br />
Ange bote auf deren Bedürfnisse zuschneiden und sie<br />
ausserhalb der Bürozeiten beraten, familienfreundliche<br />
Arbeitszeitmodelle bieten oder beim Wiedereinstieg<br />
ins Berufsleben helfen. Zeit für eine neue Bank. cler.ch<br />
Zeit, über Geld zu reden.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2017</strong> / Januar 201851
Erziehung & Schule<br />
«Hochsensible können<br />
schüchtern und<br />
extrovertiert sein»<br />
Die Grenze zwischen AD(H)S und Hochsensibilität ist schwammig. Der These, dass<br />
AD(H)S-betroffene Kinder eigentlich «nur» extrovertierte Hochsensible seien, stimmt<br />
Corinne Huber, Expertin für beide Bereiche, jedoch nicht zu. Die Erscheinungsbilder seien<br />
so vielfältig und vielschichtig wie die Menschen selbst. Interview: Irena Ristic<br />
52 Dezember <strong>2017</strong> / Januar 2018 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Frau Huber, was unterscheidet hochsensible<br />
Kinder von anderen Kindern?<br />
Zuerst einmal sind wohl alle Kinder<br />
zu Beginn ihres Lebens feinfühlig.<br />
Doch einige Kinder bringen neuronale<br />
Veranlagungen mit, die sie in<br />
der Wahrnehmung und im Denken<br />
sensibler machen. Hochsensible<br />
sind viel reizoffener als andere. Das<br />
bedeutet gleichzeitig, dass das<br />
Gehirn länger braucht, um alle Sinneseindrücke<br />
zu verarbeiten. Dies<br />
kann zu einer Reizüberflutung führen.<br />
Die Folge: Betroffene Kinder<br />
sind oft zappeliger, zurückgezogener<br />
und ermüden schneller.<br />
Wie erleben Sie hochsensible Kinder<br />
in Ihrer Praxis?<br />
Oft sehnen sie sich nach mehr innerer<br />
Ruhe und sind tief dankbar fürs<br />
Verstandenwerden. Für reizoffene<br />
Kinder ist unsere schnelllebige und<br />
stetig Reize produzierende Umwelt<br />
eine noch grössere Herausforderung,<br />
als sie es für die meisten ohnehin<br />
ist. Sich zu orientieren, Halt zu<br />
finden und nicht auszubrennen, ist<br />
für sie besonders anstrengend. Das<br />
ist es für hochsensible Erwachsene<br />
übrigens ebenso.<br />
Es gibt die Ansicht, dass Kinder und<br />
Jugendliche, bei denen AD(H)S diagnostiziert<br />
wurde, eigentlich extrovertierte<br />
Hochsensible sind. Wie sind<br />
Ihre Erfahrungen dazu?<br />
Ich kann nicht sagen, dass der<br />
hyper aktive Hochsensible per se<br />
extrovertiert ist und der hypoaktive<br />
Typus nur introvertiert. Es gibt viele<br />
verschiedene Erscheinungsbilder.<br />
Die Varianten scheinen so vielfältig<br />
zu sein wie der Mensch selbst. Viele<br />
Hochsensible beschreiben sich als<br />
schüchtern – doch in bestimmten<br />
Situationen sind sie manchmal ex <br />
trovertiert. Diese Ambivalenz ist<br />
auffällig und man findet sie nicht<br />
selten auch bei Künstlern.<br />
«Die Ambivalenz<br />
zwischen<br />
Schüchternheit und<br />
extrovertiertem<br />
Verhalten<br />
findet man nicht<br />
selten bei<br />
Künstlern.»<br />
Dennoch: Die Unterscheidung zwischen<br />
AD(H)S und Hochsensibilität ist<br />
nicht immer einfach.<br />
AD(H)S ist besser erforscht als die<br />
Hochsensibilität. Hier steckt die Forschung<br />
noch in den Kinderschuhen.<br />
Zudem scheiden sich in der Fachwelt<br />
die Geister: Die einen anerkennen<br />
deren eigenständige Existenz oder<br />
sehen sie zumindest als Teil-Erscheinungsbild<br />
von AD(H)S. Die anderen<br />
vertreten die Meinung, dass >>><br />
Buchtipp<br />
Elaine Aron: Das hochsensible<br />
Kind. mvg, 20<strong>12</strong>, 350 S., Fr. 25.90<br />
Brigitte Schorr: Hochsensibilität<br />
– Empfindsamkeit leben und<br />
verstehen. SCM Hänssler, 2015,<br />
79 S., Fr. 11.90<br />
Georg Parlow: Zart besaitet.<br />
Festland, 2015, 248 S., Fr. 32.90<br />
FUNCTIONALITY IS<br />
PART OF OUR FAMILY<br />
Genf | Zürich | Brunnen | Luzern<br />
SHOP ONLINE AT VICTORINOX.COM<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2017</strong> / Januar 201853<br />
ESTABLISHED 1884
Erziehung & Schule<br />
>>> Hochsensibilität ein Hype ist<br />
und letztlich nur eine andere Bezeichnung<br />
für AD(H)S – und dass<br />
es darum gehe, dieser Diagnose auszuweichen.<br />
Warum wollen Eltern einer AD(H)S-<br />
Diagnose ausweichen?<br />
Vereinfacht gesagt ist die Diagnose<br />
AD(H)S für Eltern häufig belastend,<br />
während Eltern von als hochsensibel<br />
bezeichneten Kindern eher stolz darauf<br />
sind, ein «aussergewöhnliches»<br />
Kind erziehen zu dürfen. Erzieherische<br />
oder schulische Probleme, die<br />
sich bei Betroffenen beider «Diagnosen»<br />
ergeben können, sind meiner<br />
Erfahrung nach aber oft ähnlich.<br />
Sie coachen auch Eltern und Lehrpersonen<br />
von hochsensiblen Kindern<br />
und von Kindern mit AD(H)S. Was<br />
raten Sie?<br />
«Eltern und<br />
Lehrpersonen sollten<br />
Betroffenen nicht<br />
vermitteln, dass sie<br />
ein Problem hätten –<br />
sonst kultivieren sie<br />
Fehlverhalten und<br />
Versagen.»<br />
Eltern und Lehrpersonen sollten<br />
darauf achten, nicht unbewusst zu<br />
vermitteln, dass die betroffenen Kinder<br />
ein Problem hätten. Was ich<br />
damit sagen will: Fördern Eltern und<br />
Lehrpersonen die Stärken und Bega<br />
bungen, vermittelt dies dem hochsensiblen<br />
Kind und Jugendlichen<br />
eine positive Grundhaltung. Das<br />
stärkt das Selbstwertgefühl und die<br />
Widerstandskraft. Prasseln hingegen<br />
zu viele negative Feedbacks oder<br />
Ablehnung auf ein Kind ein, wird<br />
Fehlverhalten und Versagen kultiviert.<br />
Speziell hochsensible Kinder,<br />
Jugendliche und junge Erwachsene<br />
verzweifeln regelrecht daran, es nie<br />
«richtig» machen zu können.<br />
Welche Tipps geben Sie hochsensiblen<br />
Kindern und Jugendlichen mit?<br />
Ein Aufenthalt in der Natur ist für<br />
hochsensible Kinder und Jugendliche<br />
meiner Erfahrung nach sehr<br />
wohltuend. Auch sich kreativ zu<br />
betätigen, etwa mit Musik und Kunst<br />
oder Sport – fern von Leistungsdruck<br />
–, fördert die körperliche wie<br />
Fragebogen: Diese Aussagen können helfen, ein Kind in Bezug auf<br />
Hochsensibilität einzuschätzen<br />
Mein Kind …<br />
• erschrickt leicht<br />
• hat eine empfindliche Haut,<br />
verträgt keine kratzenden Stoffe<br />
oder keine Nähte in Socken oder<br />
Etiketten in T-Shirts<br />
• mag keine Überraschungen<br />
• profitiert beim Lernen eher durch<br />
sanfte Belehrung als harte Strafe<br />
• hat einen für sein Alter ungewöhnlich<br />
gehobenen Wortschatz<br />
• scheint meine Gedanken lesen zu<br />
können<br />
• ist geruchsempfindlich, sogar bei<br />
sehr schwachen Gerüchen<br />
• hat einen klugen Sinn für Humor<br />
• scheint sehr einfühlsam zu sein<br />
• kann nach einem aufregenden Tag<br />
schlecht einschlafen<br />
• hat Mühe mit grossen<br />
Veränderungen<br />
• findet nasse oder schmutzige<br />
Kleidung unangenehm<br />
• stellt viele Fragen<br />
• ist ein Perfektionist<br />
• bemerkt, wenn andere<br />
unglücklich sind<br />
• bevorzugt leise Spiele<br />
• stellt tiefgründige Fragen, die<br />
nachdenklich stimmen<br />
• ist sehr schmerzempfindlich<br />
• ist lärmempfindlich<br />
• registriert Details (Veränderungen<br />
in der Einrichtung oder im<br />
Erscheinungsbild eines Menschen<br />
usw.)<br />
• denkt über mögliche Gefahren<br />
nach, bevor es ein Risiko eingeht<br />
• erzielt die beste Leistung, wenn<br />
keine Fremden dabei sind<br />
• hat ein intensives Gefühlsleben<br />
Auswertung:<br />
Treffen mindestens 13 Aussagen<br />
auf das Kind zu, kann davon<br />
ausgegangen werden, dass es<br />
hochsensibel ist.<br />
Wichtiger Hinweis:<br />
Der Fragebogen dient als<br />
Orientierungshilfe für Eltern und<br />
Bezugspersonen und kann nicht<br />
mit einer psychologischen<br />
Testdiagnostik verglichen werden.<br />
Ziel der Einschätzung ist es, ein<br />
tieferes Verständnis für das Kind<br />
und seine Verhaltensweisen zu<br />
bekommen. Viele Situationen<br />
können so verstanden und neu<br />
beurteilt werden.<br />
Quelle: Elaine Aron: Das<br />
hochsensible Kind, MVG, 2008.<br />
Weitere Fragebögen finden sich auf<br />
den Websites hochsensibel.org und<br />
zartbesaitet.net.<br />
54 Dezember <strong>2017</strong> / Januar 2018 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
psychische Stabilität. Auf diese Weise<br />
schaffen sich Hochsensible Rückzugsorte,<br />
wo sie Kraft und Energie<br />
tanken können. Sich abzusondern,<br />
ist damit aber nicht gemeint. Im<br />
Gegenteil: Ich empfehle, den Kontakt<br />
mit Gleichaltrigen zu pflegen,<br />
um das Zugehörigkeitsgefühl zu<br />
stärken. Ausserdem können Betroffene<br />
auch in einem Achtsamkeitstraining<br />
oder mit asiatischen<br />
Kampfsportarten ihre Konzentrationsfähigkeit<br />
und Selbstwahrnehmung<br />
trainieren.<br />
>>><br />
Zur Person<br />
Corinne Huber berät in ihrer Praxis in Basel<br />
Erwachsene, Kinder, Eltern und junge Erwachsene<br />
mit Hochsensibilität und AD(H)S. Sie ist eidg. dipl.<br />
Coach, Heilpädagogin, diplomierte Craniosacral-<br />
Therapeutin und Mutter von drei erwachsenen<br />
Kindern. Sie ist zudem als Fachreferentin und<br />
Gastdozentin tätig.<br />
Hochsensibilität<br />
Experten gehen davon aus, dass 15 bis<br />
20 Prozent der Menschen hochsensibel<br />
sind. Sie empfinden äussere Reize wie<br />
Gerüche, Geräusche oder Bilder viel stärker<br />
als ihre Mitmenschen und verarbeiten sie<br />
intensiver. Typisch sind auch<br />
Charakter eigenschaften wie eine Neigung zu<br />
Selbstkritik und Perfektionismus, ein starkes<br />
Harmoniebedürfnis sowie ein ausgeprägter<br />
Gerechtigkeitssinn und eine hohe<br />
Begeisterungsfähigkeit. Erstmals<br />
beschrieben wurde Hochsensibilität von der<br />
amerikanischen Psychologin Elaine Aron, die<br />
das Phänomen in den 90er-Jahren bekannt<br />
machte und den Begriff prägte. Obwohl es<br />
immer mehr empirische Erkenntnisse gibt,<br />
existiert in der Forschung keine einstimmige<br />
neuropsychologische Theorie und somit<br />
auch kein einheitliches Diagnoseverfahren<br />
zur Hochsensibilität. Als wahrscheinlich für<br />
die Ausbildung dieser speziellen<br />
neuronalen Konstitution werden erbliche<br />
und auch entwicklungspsychologische<br />
Faktoren diskutiert. Innerhalb der<br />
Hochsensibilitäts-Forschung wird diese<br />
spezielle neuronale Konstitution nicht als<br />
Krankheit oder psychische Störung gesehen.<br />
www.landesmuseum.ch
In Zusammenarbeit mit der Credit Suisse<br />
Erziehung & Schule<br />
Ist Geld ein<br />
gutes Geschenk?<br />
Bares schenken liegt im Trend. Was Eltern und V erwandte<br />
beachten müssen. Und warum zum Geldverschenken<br />
ein konkreter Anlass bestehen sollte. Text: Florence Schnydrig Moser<br />
Spielkonsole<br />
Smartphone<br />
Velo Töffli<br />
Computer<br />
Lego<br />
Spielzeug<br />
Reitstunden<br />
Kleidung<br />
Der Wunsch nach Geld<br />
zum Geburtstag, zu<br />
Weihnachten oder<br />
anderen Anlässen<br />
nimmt zu, wenn die<br />
Kinder älter werden. Dafür verschwinden<br />
Legos, neue Turnschuhe<br />
und die Barbie-Puppe vom Wunschzettel.<br />
Wie sollen Eltern damit<br />
umgehen? Drei Tipps:<br />
1. Das Gespräch suchen<br />
Äussert das Kind den Wunsch nach<br />
Geld, ist es wichtig, dass Eltern sich<br />
mit der schenkenden Person austauschen.<br />
Dadurch wissen Eltern, wie<br />
viel ihre Kinder von wem geschenkt<br />
erhalten. Auch die Häufigkeit spielt<br />
eine Rolle. Die Situation, dass Kinder<br />
öfter mal vom Grosi oder dem Onkel<br />
ein «Nötli zugesteckt erhalten», kann<br />
die von den Eltern aufgestellten Prin-<br />
Spezielle Geldgeschenke<br />
Geschenksparkonto<br />
Auf das Geschenksparkonto<br />
können Göttis und Co. Geld<br />
einzahlen und so für Kinder<br />
sparen – und das meist zum<br />
Vorzugszins.<br />
Goldvreneli<br />
Die kleine Münze wirft zwar<br />
keinen Ertrag ab – bleibt aber<br />
aufgrund seiner speziellen Form<br />
umso länger in Erinnerung.<br />
zipien der Finanzerziehung untergraben.<br />
Ein klärendes Gespräch<br />
kann helfen.<br />
2. Gemeinsam mit dem Kind über<br />
das Geldgeschenk sprechen<br />
Haben Eltern ein Mitspracherecht<br />
bei der Verwendung des Geldes? Ja.<br />
Am besten sprechen sie mit ihren<br />
Kindern und überlegen, ob und wie<br />
das Geld verwendet werden soll.<br />
Zum Beispiel für die Erreichung<br />
eines Sparzieles oder aber auch für<br />
gemeinsame Unternehmungen mit<br />
dem Schenkenden.<br />
Älteren Kindern können Eltern<br />
nach dem Gespräch Optionen offen<br />
lassen. Damit zeigen sie, dass sie<br />
ihnen vertrauen und ihnen die Verantwortung<br />
überlassen.<br />
Jüngere Kinder benötigen mehr<br />
Unterstützung. Hat ein Kind schon<br />
länger einen Wunsch, können Eltern<br />
ihm beim Sparen helfen, indem sie<br />
das Geld gemeinsam auf das Sparkonto<br />
einzahlen. Erst wenn der<br />
benötigte Betrag erreicht ist, kann<br />
der Wunsch erfüllt werden. So lernt<br />
das Kind eine wichtige Lektion: Sparen<br />
bedeutet, sich in Geduld zu üben<br />
und manchmal auch Bedürfnisse<br />
aufzuschieben. Dafür ist die Freude<br />
über das selbst zusammengesparte<br />
Velo noch grösser.<br />
Wenn Geld für einen bestimmten<br />
Zweck geschenkt wird, soll dieser<br />
auch eingehalten werden. Optimal<br />
ist, wenn der Götti oder das Grosi<br />
bereits vor der Übergabe des Geld-<br />
geschenks mit dem Kind über mögliche<br />
Sparziele gesprochen hat.<br />
3. Geldgeschenke verdanken<br />
Wie bei jedem Geschenk sollten<br />
auch Geldgeschenke verdankt werden.<br />
Die Verdankungen können<br />
ebenfalls dem Alter angepasst werden.<br />
Während bei jüngeren Kindern<br />
vielleicht eine Zeichnung eine schöne<br />
Art des Dankeschöns ist, kann es<br />
bei älteren eine nette Nachricht sein.<br />
Mit der richtigen Begleitung<br />
durch die Eltern sind Geldgeschenke<br />
eine gute Alternative, die sogar<br />
einen Lerneffekt bewirken kann.<br />
Das ist auf jeden Fall besser als<br />
ungewünschte Sachgeschenke, die<br />
ungenutzt auf dem Estrich verschwinden.<br />
Dieser Text entstand mit freundlicher<br />
Unterstützung der Stiftung Pro Juventute.<br />
Florence<br />
Schnydrig Moser<br />
ist Leiterin von Products & Investment<br />
Services bei der Credit Suisse und<br />
Auftraggeberin der Taschengeldstudie.<br />
Dafür sparen<br />
Kinder (aus der<br />
Taschengeldstudie<br />
der Credit Suisse).<br />
In der Viva Kids World der Credit Suisse finden<br />
Eltern Tipps und Tricks für die Finanz erziehung.<br />
Kinder entdecken Finanzthemen gemeinsam<br />
mit der Viva-Kids-Bande.<br />
credit-suisse.com/vivakidsworld<br />
56 Dezember <strong>2017</strong> / Januar 2018 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Kolumne<br />
Was kann dein Kind<br />
besser als alle anderen?<br />
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren<br />
Als Kind wollte ich zuerst Eishockeyprofi werden, dann<br />
Archäologe, dann Detektiv. Allerdings hatte ich weder eine<br />
besonders gute Beobachtungsgabe, noch war ich in Latein<br />
eine Leuchte. Schlittschuhlaufen konnte ich auch nicht.<br />
Meine Mutter sagte nichts; ich glaube, sie wollte mir nicht<br />
das Kostbarste rauben, was ich besass: Illusionen. Es waren halt die<br />
1980er, und man ging davon aus, dass alle Menschen einen Job<br />
bekommen, selbst die, die ausser Träumen nichts können. Ich erinnere<br />
mich nicht daran, je mit meiner Mutter über meine Fähigkeiten oder,<br />
Gott verbitte, meine Talente gesprochen zu haben. Sie sagte angesichts<br />
meiner Berufsvorstellungen bloss: Versuch doch etwas zu finden, was dir<br />
Freude bereitet. Was sie meinte, war: Du musst den Shit 45 Jahre lang<br />
machen, such dir also etwas, was dir wenigstens ein bisschen Spass<br />
macht. Wenn man darüber nachdenkt: ein ziemlich guter Rat.<br />
Heute klingt das alles etwas anders. Die Frage «Was machst du gern?»<br />
ist abgelöst worden von «Worin bist du gut?». Genauer: «Was kannst du<br />
besser als die anderen?»<br />
Wir leben in einer Kultur der konstanten Bewertbarkeit. Alles wird<br />
geliked und gerated. Überall gibt es Empfehlungen, Evaluationen, Kritik,<br />
Kommentare, Abklärungen, Vergleiche: Unter dem Mathetest meiner<br />
Tochter stehen nicht nur ihre Note, der Klassendurchschnitt und ein<br />
trauriger Smiley, nein, sie wird auch noch zur Selbsteinschätzung<br />
aufgefordert. Wie siehst du dich? Im Vergleich zu den anderen? Und wo<br />
im nächsten Jahr? Geübt wird der Blick auf sich selbst von aussen. Das<br />
ist vermutlich gut für den Job, aber ganz sicher schlecht für die Seele.<br />
Denn die Botschaft dahinter lautet: Du bist nie (gut) genug. Du kannst<br />
immer an dir arbeiten. Genauer: Du darfst nicht an dir arbeiten. Es<br />
ist die Sieger-Rhetorik der Exzellenz-Cluster und Talent-Shows, in denen<br />
mittelmässiges Abschneiden, unentschlossenes Herumdrucksen oder gar<br />
Versagen nicht vorgesehen sind. Das Streben bedeutet eine ewige<br />
Aufrechterhaltung von Leistungsbereitschaft bis in die Mikrophysik<br />
unseres Handelns. Denn auf dem Prüfstand stehen ja nicht mehr nur ein<br />
Job oder mathematische Grundlagenkenntnisse, sondern wir als<br />
Menschen, unsere Identität und unser Sein. Und das Feedback ist die<br />
Währung solcher Selbstoptimierung.<br />
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich rede hier nicht einer ambitionslosen<br />
Mittelmässigkeit oder genügsamen Selbstzufriedenheit das Wort.<br />
Ich begrüsse Einsatzwillen, Hartnäckigkeit und Grössenwahn. Aber das<br />
Problem permanenter Bewertung ist noch ein anderes: Was wir unseren<br />
Kindern vorleben, ist eine Welt, in der dein Handeln keinen Sinn macht,<br />
wenn du nicht in einen Resonanzrahmen eingebunden bist. Es ist der<br />
Grund, warum Leute ihr Leben und ihre Leistungen auf Facebook posten:<br />
Du bist nur etwas wert, wenn andere es sehen – und für gut befinden.<br />
Damit rauben wir unseren Kindern etwas, das wir eigentlich von ihnen<br />
lernen könnten: den Antrieb, etwas zu tun, nicht weil wir gut darin sind,<br />
sondern weil es uns wichtig ist.<br />
Mikael Krogerus<br />
ist Autor und Journalist.<br />
Der Finne ist Vater einer Tochter<br />
und eines Sohnes, lebt in Biel<br />
und schreibt regelmässig für<br />
das Schweizer ElternMagazin<br />
Fritz+Fränzi und andere<br />
Schweizer Medien.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2017</strong> / Januar 201857
«Mein autistisches Kind<br />
zeigt mir die wichtigen Dinge»<br />
«Mit Freude verteile ich<br />
das Kindergartenheft»<br />
(Kindergartenheft «Endlich Chindsgi»,<br />
Sommer <strong>2017</strong>)<br />
Herzlichen Dank für das tolle Heft «Endlich Chindsgi». Mit<br />
Freude verteile ich das Heft den neuen Kindergarteneltern und<br />
-kindern. Als Kindergärtnerin (mit 27 Jahren Berufserfahrung)<br />
schätze ich Ihr Heft mit den vielseitigen praktischen Beiträgen<br />
und Tipps. Ich freue mich schon heute auf die nächste Post,<br />
die ich den Kindern mit nach Hause geben kann.<br />
Renate Spahr, Kindergarten Dürrenroth (per Mail)<br />
«Viele Eltern sind verunsichert – trotz<br />
grossem pädagogischem Wissen»<br />
Liebe Frau Ringier<br />
Die Ziele der Stiftung Elternsein sind vollkommen unterstützungswürdig.<br />
Ich bin der Meinung, dass Konflikten im Schulalter<br />
schon schwierige Situationen im Kleinkindalter vorausgehen. Ein<br />
grosses Thema ist meiner Meinung nach Verwöhnung – nicht die<br />
materielle Verwöhnung, sondern die Entmutigung von Kleinkindern,<br />
selbstwirksam zu werden und somit Verantwortung zu<br />
erlernen. Es gibt noch so viele grundlegende Themen für Familien<br />
mit Kleinkindern, dass die Begleitung von Familien auch in dieser<br />
frühen Phase wünschenswert wäre. Ich erlebe immer wieder<br />
Eltern, die sich viel pädagogisches Wissen erlesen haben und<br />
dennoch hoch verunsichert im Umgang mit ihren Kindern sind.<br />
«Ich bilde ehrenamtlich<br />
Begleithunde aus»<br />
(«Ein Hund nach Mass für Joel», Heft 11/<strong>2017</strong>)<br />
Mit grossem Interesse habe ich den Artikel über Joel und seine<br />
Familie gelesen. Ich wünsche ihnen, dass der Spendenaufruf<br />
Wirkung zeigt und der Wunsch nach einem Therapie- und<br />
Begleithund für Joel in Erfüllung geht. Mir ist es ein Anliegen, an<br />
dieser Stelle auf die noch junge Organisation Farah-Dogs mit Sitz<br />
in Siders, Wallis, aufmerksam zu machen. Farah-Dogs bildet<br />
ebenfalls Begleithunde für autistische Kinder sowie Diabetes-<br />
Warnhunde aus. Es werden verschiedene für diese Arbeit<br />
geeignete Rassehunde ausgebildet. Die Welpen, die durch<br />
Farah-Dogs bei entsprechenden Züchtern ausgesucht werden,<br />
werden bei Patenfamilien platziert, welche die Hunde in den<br />
ersten 15 bis 18 Monaten sozialisieren. Eine Begleitung und<br />
Beratung während dieser Zeit durch die Instruktorinnen der<br />
Organisation ist ein wichtiger Bestandteil der Zusammenarbeit,<br />
damit die Hunde später ihre grosse Aufgabe übernehmen<br />
können. Sobald die Hunde ihr Ausbildungsalter erreicht haben,<br />
werden sie in der Organisation durch die Instruktorinnen auf ihre<br />
zukünftige Arbeit als Therapie- und Begleithunde vorbereitet und<br />
geschult.<br />
Ich selbst arbeite seit über zwei Jahren ehrenamtlich für<br />
Farah-Dogs und habe zurzeit bereits meinen zweiten Patenhund,<br />
welchen ich mit grosser Freude auf seine zukünftige Aufgabe<br />
vorbereite. Die Organisation (www.farah-dogs.ch) sucht auch<br />
immer wieder Patenfamilien, die einen Welpen oder Junghund in<br />
den ersten 15 bis 18 Monaten aufnehmen und sozialisieren.<br />
Mirjam Koch-Ritter,<br />
Bremgarten (per Mail)<br />
Jeanette Jutzi (per Mail)<br />
58 Dezember <strong>2017</strong> / Januar 2018 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Leserbriefe<br />
«Danke, mein Kind!»<br />
(«Hilfe, mein Kind ist ein Träumer!», Heft 10/<strong>2017</strong>)<br />
kann ich in der Regel in die Tonne treten: Ich muss mich nur<br />
auf mein Kind einlassen und ausprobieren, wie es ist,<br />
Umwege zu gehen, stehen zu bleiben, mich hinzulegen ...<br />
All das habe ich mir selbst ja nie erlaubt! Danke, mein Kind!<br />
Danke für die weisen Worte von Fabian Grolimund in seiner<br />
Kolumne. Ich bin mit einem verträumten Bruder aufgewachsen,<br />
um den ich mich lange kümmerte. Und nun habe ich ein<br />
verträumtes Kind ... Und obwohl ich immer wieder kurz vor<br />
der Verzweiflung stehe, tut mir genau dieses Kind unglaublich<br />
gut. Es entschleunigt mich und zeigt mir die wirklich<br />
wichtigen Dinge im Leben. Meinen optimal getimten und<br />
durchstrukturierten Tag als alleinerziehende Unternehmerin<br />
Anna Glaubrecht<br />
(auf www.fritzundfraenzi.ch)<br />
Schreiben Sie uns!<br />
Ihre Meinung ist uns wichtig! Was machen wir gut?<br />
Was könnten wir besser machen? Lassen Sie es uns<br />
wissen! Sie erreichen uns über: leserbriefe@fritzundfraenzi.ch<br />
oder Redaktion Fritz+Fränzi, Dufourstrasse 97, 8008 Zürich.<br />
Und natürlich auch über Twitter: @fritzundfraenzi oder<br />
Facebook: www.facebook.com/fritzundfraenzi.<br />
Kürzungen behält sich die Redaktion vor.<br />
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Erziehung Rubrik & Schule<br />
60 Dezember <strong>2017</strong> / Januar 2018 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Erziehung Rubrik & Schule<br />
Alina, 7 Jahre<br />
Diagnose MS<br />
Multiple Sklerose kann zu schweren Behinderungen<br />
führen. Doch nicht jede Diagnose hat ein Leben im<br />
Rollstuhl zur Folge. Dies macht Eltern Mut, deren Kinder<br />
bereits im Schulalter erkranken. Zwei betroffene<br />
Familien erzählen.<br />
Text: Andres Eberhard Bilder: Gabi Vogt / 13 Photo<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2017</strong> / Januar 201861
Zurzeit geht es Alina<br />
gut. Doch auf lange<br />
Sicht führt kein Weg an<br />
einer medikamentösen<br />
Behandlung vorbei.<br />
62 Dezember <strong>2017</strong> / Januar 2018 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Erziehung & Schule<br />
rungen führen kann. Nur wenige<br />
hingegen wissen, dass die Krankheit<br />
bereits bei Kindern und Jugendlichen<br />
auftreten kann. Man geht von<br />
3 bis 5 Prozent pädiatrischer Fälle<br />
aus, bei denen die Diagnose vor dem<br />
16. Lebensjahr gestellt wird. Weil<br />
sich die Kinder aber oft schnell und<br />
vollständig von den ersten Symptomen<br />
erholen, wird MS häufig erst<br />
viele Jahre später diagnostiziert<br />
(siehe Interview auf Seite 64).<br />
Weniger bekannt ist auch, dass<br />
MS-Patienten nicht in jedem Fall ein<br />
Leben im Rollstuhl bevorsteht. In<br />
vielen Fällen leben Betroffene jahrzehntelang<br />
behinderungsfrei. «Die<br />
Krankheit mit den 1000 Gesichtern»<br />
wird MS wegen der sehr unterschiedlichen<br />
Verläufe auch genannt.<br />
Die Krankheit verläuft in Schüben,<br />
wobei ein Schub irgendwann auftreten<br />
kann – am kommenden Tag,<br />
aber auch erst in 20 Jahren. Dies löst<br />
bei Betroffenen Angst und Hoffnung<br />
gleichzeitig aus. Man rechnet mit<br />
dem Schlimmsten. Und hofft doch<br />
immer das Beste.<br />
Nicht minder intelligent, aber<br />
langsamer<br />
Alinas Sehprobleme waren schnell<br />
behoben. Kortison half gegen die<br />
Entzündung, eine Brille gegen die<br />
anhaltende Sehschwäche. Alinas MS<br />
wurde mit «Rebif» therapiert –<br />
einem Präparat, das unter die Haut<br />
gespritzt wird. Doch nicht nur die<br />
dreimal wöchentlichen Prozeduren<br />
wurden für Alina zur Tortur. In den<br />
Kontrollen zeigte sich auch, dass sich<br />
ihr Leberwert erhöht hatte. Erst<br />
reduzierten die Ärzte die Dosierung,<br />
dann verschrieben sie ihr ein neues<br />
Medikament namens Copaxone.<br />
Dieses hatte aber Nebenwirkungen,<br />
die zwar unregelmässig, aber gravierend<br />
waren. Nach der Einnahme<br />
bekam Alina mehrmals Atemnot,<br />
manchmal erbrach sie. «Zwei Minuten<br />
spritzen, 15 Minuten Panik»,<br />
umschreibt es die Mutter.<br />
Für die Ärzte war das eine unangenehme,<br />
aber ungefährliche Reak<br />
An Besuche beim Kinderarzt<br />
war man in<br />
der Familie gewöhnt.<br />
«Alina* hatte immer<br />
etwas», sagt Monika<br />
Baumann*, die Mutter. Das von Zeit<br />
zu Zeit auftretende Kopfweh in den<br />
frühen Morgenstunden erklärten<br />
sich die Ärzte mit dem Heuschnupfen,<br />
die Müdigkeit am Mittag mit<br />
den Medikamenten gegen Asthma<br />
und Neurodermitis.<br />
Als aber das Kopfweh regelmässig<br />
wurde und einmal sogar Erbrechen<br />
dazukam, sagte sich die Mutter:<br />
«Das kann nicht sein.» Auf<br />
Anraten einer befreundeten Arztgehilfin<br />
liess sie Alinas Augen untersuchen.<br />
Alina sah auf dem rechten<br />
Auge nur drei Prozent. Diagnose:<br />
Sehnerventzündung. Drei Monate<br />
und viele Untersuchungen später<br />
war klar: Alina, 6 Jahre alt, eben in<br />
die erste Klasse eingeschult, hat<br />
Multiple Sklerose (MS).<br />
Monika Baumann sitzt auf ihrem<br />
Balkon, Alina spielt in ihrem Zimmer<br />
mit Legoklötzen. «Die Diagnose<br />
war ein Schock», sagt die<br />
Mutter.<br />
Es hätte ein tolles Jahr werden<br />
können für die Familie Baumann:<br />
Im Frühling hatte man sich den<br />
Traum einer Eigentumswohnung in<br />
der Nähe des Sempachersees verwirklicht.<br />
Und Alina freute sich auf<br />
die Schule, die Mitte August beginnen<br />
sollte. Doch die Diagnose veränderte<br />
alles. «Die folgenden Monate<br />
waren die schlimmsten», sagt die<br />
Mutter rückblickend, «das war kein<br />
schönes Jahr.»<br />
Bekannt ist, dass die Nervenkrankheit<br />
MS unheilbar ist. Und<br />
auch, dass sie zu schweren Behindetion.<br />
Für Monika Baumann war sie<br />
angsteinflössend. Sie liess die Therapie<br />
stoppen.<br />
Obwohl MS nicht heilbar ist,<br />
wird die Krankheit mit Medikamenten<br />
behandelt. Diese bewirken, dass<br />
der Verlauf der Krankheit beziehungsweise<br />
der nächste Schub hinausgezögert<br />
wird. «Wir wissen, dass<br />
wiederkehrende entzündliche Attacken<br />
auf das sich noch entwickelnde<br />
Gehirn schwere Auswirkungen<br />
haben können», sagt Oberärztin<br />
Sandra Bigi vom Inselspital Bern,<br />
die einzige Kinderneurologin in der<br />
Schweiz mit Spezialisierung auf MS<br />
bei Kindern und Jugendlichen. Mit<br />
einer Therapie stellt sie jungen MS-<br />
Patienten gute Prognosen: «Es ist ein<br />
sehr realistisches Ziel, eine normale<br />
Jugend zu erleben und ein unabhängiges<br />
Leben zu führen.»<br />
Ohne die Spritzen ging es Alina<br />
besser. «Sie ging wieder raus, spielte<br />
und lachte. Ich dachte: Das ist endlich<br />
wieder mein Kind», sagt die<br />
Mutter. Doch auch sie weiss, dass auf<br />
Dauer kein Weg an der medikamentösen<br />
Therapie vorbeiführt. Derzeit<br />
informiert sie sich über ein neues<br />
Präparat, das einen grossen Vorteil<br />
hat: Es wird per Infusion verabreicht<br />
und nicht gespritzt. Ob Alinas<br />
Immunsystem bei diesem >>><br />
Man rechnet mit dem<br />
Schlimmsten. Und hofft<br />
doch immer das Beste.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2017</strong> / Januar 201863
Erziehung & Schule<br />
>>> dritten Versuch besser reagieren<br />
wird, kann sie allerdings nicht<br />
wissen.<br />
Typisch für pädiatrische MS-<br />
Patienten sind kognitive Probleme<br />
wie Aufmerksamkeits-, Konzentrations-<br />
oder Gedächtnisstörungen.<br />
Kinderneurologin Sandra Bigi<br />
erklärt: «Die Nerven leiten um<br />
Bruchteile von Millisekunden langsamer,<br />
was zur Folge hat, dass die<br />
Betroffenen eine längere Verarbeitungszeit<br />
haben.» Das bedeutet:<br />
«Kinder mit MS sind nicht weniger<br />
intelligent, aber sie brauchen mehr<br />
Zeit, um sich zu organisieren und zu<br />
strukturieren.» In solchen Fällen<br />
werden Schulanpassungen notwendig<br />
– also etwa Nachteilsausgleiche<br />
in Form von mehr Zeit oder reduziertem<br />
Umfang bei Prüfungen.<br />
«Manchmal ist das bei den Schulen<br />
schwierig durchzubringen, da Kindern<br />
und Jugendlichen mit MS<br />
äusserlich häufig nichts anzumerken<br />
ist», sagt die Kinderneurologin.<br />
Erzieherischer Balanceakt<br />
Im vergangenen Jahr absolvierte Alina<br />
zur Abklärung von allfälligen<br />
kognitiven Einschränkungen einen<br />
umfassenden Test. Sie schnitt für ihr<br />
Alter überdurchschnittlich ab. Doch<br />
der Erstklässlerin macht im Schulalltag<br />
anderes zu schaffen. Einerseits<br />
plagt sie häufig eine grosse Müdigkeit<br />
– ein typisches MS-Symptom.<br />
Andererseits leidet sie unter Inkontinenz.<br />
Aus diesen Gründen entschied<br />
sich die Familie dafür, Schule<br />
und Lehrer über die Krankheit zu<br />
informieren. Alina durfte in der<br />
Folge selber entscheiden, ob ihre<br />
Klassenkameraden von der MS<br />
erfahren sollten – sie entschied sich<br />
dafür. Seither sorgt eine Fachperson<br />
für integrierte Förderung dafür, dass<br />
Alina nicht ausgelacht wird, wenn<br />
sie mal in die Hosen machen sollte.<br />
Nicht nur für die Kinder, auch für<br />
die Eltern kann die Diagnose MS<br />
eine grosse Herausforderung sein.<br />
So in der Erziehung, wenn es ums<br />
Ausloten von Über- und Unterforderung<br />
sowie von Verständnis und<br />
autoritärem Anspruch geht. «Alina<br />
sagt mittlerweile bei allem, was sie<br />
nicht will, dass sie müde ist», sagt<br />
Monika Baumann. Ihr, die an sechs<br />
Tagen der Woche bei der Tochter<br />
ist, bereite das keine grossen<br />
Schwierigkeiten. «Ich sehe Alina an,<br />
wenn sie wirklich nicht mehr<br />
kann.» Ihrem Mann, der einen Tag<br />
pro Woche zu Hause bei den Kindern<br />
bleibt, falle das aber schwerer.<br />
Neben diesem erzieherischen<br />
Balanceakt stellt auch der Umgang<br />
mit den eigenen Ängsten Eltern vor<br />
Schwierigkeiten. «Bin ich ängstlich,<br />
überträgt sich das auf das Kind»,<br />
sagt die Mutter. Also versucht sie,<br />
nicht ängstlich zu sein.<br />
Wenn Alina in die Pubertät<br />
kommt, stellen sich neue Pro bleme.<br />
Sandra Bigi, die am Inselspital Bern<br />
viele betroffene Familien berät, >>><br />
«Bin ich ängstlich, überträgt<br />
sich das auf das Kind»,<br />
sagt die Mutter. Also versucht<br />
sie, nicht ängstlich zu sein.<br />
«MS wird häufig zu<br />
spät diagnostiziert»<br />
Im Schnitt sind minderjährige<br />
MS-Patienten 13 Jahre alt, wenn die<br />
Krankheit bei ihnen erkannt wird.<br />
Mädchen seien öfter betroffen als<br />
Jungen, sagt der Mediziner Pasquale<br />
Calabrese. Interview: Andres Eberhard<br />
Wie häufig tritt Multiple Sklerose bereits<br />
im Kindesalter auf?<br />
Die Diagnose wird in rund 10 Prozent der<br />
Fälle vor dem 20. Lebensjahr gestellt.<br />
Meistens befinden sich die Patienten in der<br />
Pubertät, im Schnitt sind sie etwa 13 Jahre<br />
alt. Ausserdem sind mehr Mädchen<br />
betroffen. Man geht davon aus, dass dieser<br />
Geschlechterüberhang genetisch mitbedingt<br />
ist, denn er zeigt sich auch bei erwachsenen<br />
MS-Patienten. Dort ist das Verhältnis<br />
beinahe zwei zu eins.<br />
Das ist nicht wenig. Trotzdem ist kaum<br />
bekannt, dass die Krankheit bereits bei<br />
Minderjährigen auftritt. Warum?<br />
MS kaschiert sich oft hinter alterstypischen<br />
Erscheinungen. Ein typisches Symptom wie<br />
eine Entzündung des Sehnervs kann bei<br />
Kindern auch ganz andere Ursachen haben<br />
– zum Beispiel eine Allergie. Auch Müdigkeit<br />
ist ein typisches Symptom für MS, bei<br />
heranwachsenden Jugendlichen aber ganz<br />
normal. Kommt hinzu, dass sich Kinder viel<br />
besser von Schüben erholen als Erwachsene.<br />
Auf den ersten Schub folgt oft eine lange<br />
behinderungsfreie Krankheitsphase. Aus<br />
diesen Gründen wird MS häufig zu spät<br />
diagnostiziert.<br />
Mit welchen Folgen?<br />
Allgemeine Prognosen lassen sich nicht<br />
anstellen. Sicher ist: Je früher therapiert<br />
wird, desto besser ist die Chance, dass es<br />
nicht oder erst viel später zu einer<br />
relevanten Behinderung kommt. Allgemein<br />
gilt, dass bei Kindern oft bis zu 20 Jahre<br />
64 Dezember <strong>2017</strong> / Januar 2018 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Alina schnitt<br />
bei IQ-Tests sehr<br />
gut ab, leidet<br />
aber oft unter<br />
Müdigkeit.<br />
vergehen, bis es zu bleibenden Beeinträchtigungen<br />
kommt, während dieser<br />
Zeitraum bei Erwachsenen nur etwa die<br />
Hälfte beträgt. Das gilt aber nicht für sogenannte<br />
Risikopatienten. Von solchen<br />
spricht man, wenn bereits in den ersten<br />
Krankheitsjahren Behinderungen sichtbar<br />
werden oder eine hohe Schub frequenz<br />
feststellbar ist.<br />
MS verläuft in Schüben. Wie erkennt man<br />
solche?<br />
Häufig sind Sehnerventzündungen.<br />
Sichtbare Symptome sind zudem Gleichgewichtsstörungen<br />
oder Lähmungserscheinungen<br />
an Armen und Beinen, was eine<br />
verminderte Gehfähigkeit zur Folge hat. Fast<br />
noch problematischer sind unsichtbare<br />
Symptome: Gedächtnis-, Konzentrationsoder<br />
Aufmerksamkeitsprobleme. Auch<br />
Depressivität oder Sprachstörungen<br />
gehören dazu.<br />
Welche Folgen haben diese kognitiven<br />
Störungen für schulpflichtige Kinder?<br />
Betroffene Kinder haben Schwierigkeiten,<br />
den Schulstoff aufzunehmen oder abzuspeichern.<br />
Möglicherweise braucht das Kind also<br />
mehr Pausen oder einen Nachteilsausgleich<br />
bei Prüfungen. Für solche Anpassungen<br />
sowie für eine gezielte Förderung ist eine<br />
Allianz von Kindern, Eltern, den Neuropädiatern<br />
und den betroffenen Schulpädagogen<br />
nötig. Das passiert leider noch viel zu wenig.<br />
Kann es auch ein Nachteil sein, Freunde<br />
und Schule zu informieren?<br />
Stigmatisierung und Diskriminierung<br />
kommen vor. Jugendliche befinden sich in<br />
einer Phase, in der sie sich mit sich selbst<br />
und ihren Peers auseinandersetzen. Sie<br />
wollen dazugehören. Die Krankheit kann hier<br />
grosse Rückschläge zur Folge haben: im<br />
Sport, beim Disco-Besuch, beim Kennenlernen<br />
von Mädchen oder Jungs. Aus diesen<br />
Gründen empfehle ich eine altersadäquate<br />
psychologische Begleitung oder Beratung<br />
als Ergänzung zur medikamentösen<br />
Therapie.<br />
Welche Schwierigkeiten ergeben sich für<br />
betroffene Eltern?<br />
Für Eltern ist es eine Gratwanderung<br />
zwischen Unterforderung und Überforderung.<br />
Viele tun sich schwer damit, trotz der<br />
Erkrankung gewisse autoritäre Ansprüche<br />
geltend zu machen wie die Einhaltung von<br />
Zeiten oder Ordnung. Ist die Erschöpfung<br />
krankheitsbedingt oder ist das Kind zu faul?<br />
Um solche Fragen besser einschätzen zu<br />
können, ist eine Beratung auch für betroffene<br />
Eltern empfehlenswert.<br />
Zur Person<br />
Prof. Dr. Pasquale Calabrese leitet die<br />
Arbeitsgruppe Neuropsychologie und<br />
Verhaltensneurologie der Universität Basel.<br />
Er forscht zu MS bei Kindern und Jugendlichen,<br />
berät aber auch betroffene Familien. Er ist zudem<br />
als Berater für die Schweizerische Multiple<br />
Sklerose Gesellschaft tätig.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2017</strong> / Januar 201865
Nützliche Links und Adressen:<br />
• Die Schweizerische MS-Gesellschaft bietet<br />
für Betroffene, Angehörige, Fachpersonen und<br />
Interessierte eine soziale, medizinische und<br />
pflegerische Telefon- und Videoberatung an:<br />
MS-Infoline 0844 674 636;<br />
www.multiplesklerose.ch<br />
• Auf einer speziellen Kinderwebsite wird MS<br />
kindgerecht erklärt: www.ms-kids.ch<br />
• Das Inselspital Bern treibt unter der Leitung<br />
von Oberärztin Dr. Sandra Bigi zusammen mit<br />
der MS-Gesellschaft die Thematisierung und<br />
Behandlung der pädiatrischen MS in der Schweiz<br />
voran. Eines der Ziele ist, Forschungsergebnisse<br />
zu pädiatrischer MS in anonymisierter Form<br />
in einem Schweizer MS-Register aufzunehmen,<br />
um wirksame Unterstützungs- und<br />
Begleit massnahmen anbieten zu können.<br />
www.kinderkliniken.insel.ch<br />
• Die Arbeitsgruppe Neuropsychologie und<br />
Verhaltensneurologie der Universität Basel unter<br />
der Leitung von Professor Pasquale Calabrese<br />
forscht zu MS bei Kindern und Jugendlichen,<br />
berät aber auch betroffene Familien.<br />
npvn.mcn.unibas.ch<br />
Monika Baumann<br />
möchte ihrer<br />
Tochter eine<br />
normale Kindheit<br />
ermöglichen.<br />
Die Mutter macht sich Sorgen,<br />
dass sich Alinas Bruder<br />
vernachlässigt fühlen könnte.<br />
>>> sagt: «Vielen Jugendlichen<br />
fällt es schwer, in einer Zeit, in der<br />
sie alles andere im Kopf haben, die<br />
Krankheit zu akzeptieren, dass sie<br />
anders sind als ihre Peers.» Ausserdem<br />
würden die Jugendlichen die<br />
Krankheit oft als Rückschritt in<br />
einem Prozess der Ablösung von<br />
den Eltern erleben. Die Kinderneurologin<br />
empfiehlt den betroffenen<br />
Familien jeweils eine psychologische<br />
Begleitung. Zentral sei, dass<br />
die Jugendlichen von sich aus mitmachen,<br />
selber in die Verantwortung<br />
gezogen werden. «Die Aufgabe<br />
der Eltern ist es, sie darin zu be <br />
stärken.»<br />
So weit voraus denkt man bei<br />
Baumanns noch nicht. «Wir müssen<br />
es nehmen, wie es kommt», sagt Alinas<br />
Mutter. Wie für jede Mutter sei<br />
es ihr Ziel, dass die Kinder eine<br />
glückliche Kindheit erleben dürfen.<br />
Sorgen bereitet ihr derzeit, dass sich<br />
wegen der Krankheit das zweite<br />
gemeinsame Kind, der 9-jährige<br />
Marco, vernachlässigt fühlen könnte.<br />
Über solche Dinge würde sich<br />
Monika Baumann gerne mit anderen<br />
betroffenen Eltern austauschen.<br />
Dieser Wunsch ist wegen der geringen<br />
Anzahl an Betroffenen – weniger<br />
als 1 Prozent der MS-Diagnosen<br />
wird unter 10 Jahren gestellt – gar<br />
nicht so einfach zu erfüllen.<br />
«Ich wusste gar nicht, was MS ist»<br />
Tina Furer, eine junge Frau aus dem<br />
Kanton Solothurn, hatte ihren ersten<br />
Schub, als sie <strong>12</strong> Jahre alt war. Sie war<br />
66 Dezember <strong>2017</strong> / Januar 2018 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Erziehung & Schule<br />
Tina weiss nie, wann<br />
der nächste Schub kommen<br />
wird – aber sie weiss,<br />
dass er kommen wird.<br />
damals in der sechsten Klasse und<br />
auf Abschlussreise in Bern. Mitschüler<br />
und Lehrer hätten ihr gesagt, dass<br />
sie schiele. «Selber habe ich das gar<br />
nicht gemerkt.» Der Kinderarzt diagnostizierte<br />
eine Sehnerventzündung,<br />
worauf Tina ins Spital überwiesen<br />
wurde, wo sie eine Woche<br />
blieb. Nach mehreren Untersuchungen,<br />
unter anderem einer Magnetresonanztomografie<br />
(MRI) und einer<br />
sogenannten Lumbalpunktion – der<br />
Entnahme von Nervenwasser aus<br />
der Wirbelsäule –, stand die Diagnose<br />
fest. Dass sie MS habe, habe<br />
sie damals nicht sonderlich bewegt,<br />
sagt Tina. «Ich wusste ja gar nicht,<br />
was MS ist. Ausserdem hatte ich keine<br />
Schmerzen.»<br />
Wie Alina erholte sich auch Tina<br />
Furer vom unmittelbaren Schub<br />
nach der Verabreichung von Kortison<br />
innerhalb weniger Monate. Das<br />
Medikament, das sie zur Therapie<br />
der MS spritzte, vertrug sie gut.<br />
Doch nach zwei Jahren brachte ein<br />
MRI «versteckte Schübe» zum Vorschein,<br />
die Tina gar nicht mitbekommen<br />
hatte. Seither erhält sie ein<br />
neues Medikament, mit dem sie<br />
keine Probleme hatte. Auch die<br />
Untersuchungen, die sie zweimal<br />
jährlich am Kopf und einmal jährlich<br />
am Rückenmark machen lässt,<br />
verliefen positiv.<br />
Heute ist Tina Furer 18 Jahre alt<br />
und lebt das Leben eines normalen<br />
Teenagers. Kognitive Einschränkungen<br />
hat sie keine. Im Gegenteil: Sie<br />
hat eben das Gymnasium abgeschlossen<br />
– mit der Bestnote 6 im<br />
Schwerpunktfach Mathematik. Seit<br />
sechs Jahren und dem ersten Schub<br />
hat sich die MS äusserlich nie mehr<br />
bemerkbar gemacht. An ihre Krankheit<br />
erinnert sie nur, dass sie alle vier<br />
Wochen ins Berner Inselspital fährt,<br />
wo ihr das Medikament zur Therapie<br />
intravenös verabreicht wird. «Im<br />
Alltag merke ich davon nichts», sagt<br />
Tina. Ihre Mutter ergänzt: «Wir<br />
gehen davon aus, dass das auch so<br />
bleibt.» Und der Vater hofft: «Vielleicht<br />
gibt es bald schon ein Medikament,<br />
das MS nicht nur stoppt,<br />
sondern auch heilt.»<br />
Tina weiss, dass der nächste<br />
Schub ganz bestimmt kommt. Aber<br />
sie kann nicht wissen, wann das ist<br />
und in welcher Form er auftritt. Nie<br />
mand weiss, welches der 1000<br />
Gesichter die Krankheit bei ihr zeigen<br />
wird. Und wie MS das Leben,<br />
das Tina für sich im Kopf hat, beeinträchtigen<br />
wird.<br />
«Ich muss es so nehmen, wie es<br />
kommt», sagt Tina. «Ich habe gelernt,<br />
damit zu leben.» Bald beginnt sie ihr<br />
Mathe-Studium mit Nebenfach<br />
Informatik. Vielleicht gehe sie vorher<br />
noch reisen, sagt sie.<br />
>>><br />
* Namen der Redaktion bekannt.<br />
Andres Eberhard<br />
ist freischaffender Reporter und lebt mit<br />
seiner Familie in Zürich. Gelesen hatte er<br />
über MS schon viel. Doch erst durch diese<br />
Recherche wurde ihm klar, welche Ängste<br />
und welches Leid eine Diagnose auslösen<br />
kann – und dies lange bevor die ersten<br />
Beeinträchtigungen eintreten.<br />
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Ernährung & Gesundheit<br />
Mehr als nur<br />
ein bisschen Husten<br />
Der Schweizerische Impfplan empfiehlt ab dem zweiten Lebensmonat eine Impfung gegen<br />
Keuchhusten. Trotzdem erkranken hierzulande jedes Jahr rund 8700 Kinder und Erwachsene an<br />
der Atemwegserkrankung – zum Teil mit schwerem Verlauf. Text: Claudia Füssler<br />
Trockener Reizhusten,<br />
Schnupfen, leichtes Fieber<br />
– die ersten Keuchhustensymptome<br />
erinnern<br />
an eine Erkältung.<br />
Die Kinder werden ins Bett gepackt,<br />
mit Tee, Nastüchern und einer guten<br />
Geschichte versorgt. Erwachsene<br />
ignorieren die Krankheitsanzeichen<br />
meist und schleppen sich angeschlagen<br />
ins Büro. Bis die Symptome –<br />
bei Klein und Gross – schlimmer<br />
und die Hustenattacken so heftig<br />
werden, dass man sich erbricht.<br />
Bestenfalls ist das einfach un <br />
angenehm. Doch für Säuglinge und<br />
Menschen mit einem schwachen<br />
Immunsystem oder einer schweren<br />
Grunderkrankung kann Keuchhusten<br />
schnell lebensgefährlich werden:<br />
Sie leiden unter Atemaussetzern,<br />
und die Lunge kann sich entzünden<br />
oder dauerhaft geschädigt werden.<br />
«Die Erkrankungszeichen sind<br />
anfangs häufig noch untypisch, das<br />
heisst, sie können der Krankheit<br />
Keuchhusten nicht eindeutig zugeordnet<br />
werden, sodass die Diagnose<br />
zu dem Zeitpunkt oft nicht gestellt<br />
wird. Gleichzeitig sind die Erkrankten<br />
genau dann schon hochinfektiös»,<br />
sagt Cornelia Feiterna-Sperling<br />
von der Klinik für Pädiatrie mit<br />
Schwerpunkt Pneumologie und<br />
Immunologie an der Charité Universitätsmedizin<br />
Berlin.<br />
So werden Kranke, die den<br />
Keuchhusten selbst gut wegstecken<br />
und ihn als hartnäckige Erkältung<br />
Bild: zVg<br />
68 Dezember <strong>2017</strong> / Januar 2018 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
oder Bronchitis fehldeuten, zur Ge <br />
fahr für andere. Denn Betroffene<br />
sind mindestens drei Wochen lang<br />
ansteckend und infizieren in dieser<br />
Zeit durchschnittlich 17 weitere Personen.<br />
Hinzu kommt, dass Keuchhusten<br />
häufig atypisch verläuft, die<br />
bekannten Stadien (siehe Infobox<br />
Seite 70) also überhaupt nicht in dieser<br />
Form auftreten.<br />
So macht sich das zweite Stadium<br />
bei Säuglingen unter sechs Monaten<br />
meist nicht mit den charakteristischen<br />
Hustenanfällen, sondern mit<br />
Atemstillständen bemerkbar. «Säuglinge<br />
im ersten Lebensjahr haben<br />
zudem ein erhöhtes Risiko für<br />
schwerwiegende Komplikationen<br />
wie Apnoen, Lungenentzündungen<br />
oder Krampfanfälle», sagt Feiterna-<br />
Sperling. Jugendliche und Erwachsene<br />
werden oft nicht mit Keuchhusten<br />
diagnostiziert, weil sie als einziges<br />
Symptom einen trockenen Husten<br />
haben. Das Problem: In ihrem Blut<br />
ist der Erreger dennoch nachweisbar,<br />
sie können also andere anstecken.<br />
Die Behandlung ist langwierig<br />
Keuchhusten ist weltweit eine der<br />
häufigsten Infektionserkrankungen<br />
der Atemwege. Die Betroffenen husten<br />
über mehrere Wochen oder<br />
sogar Monate. Der Volksmund<br />
nennt die Erkrankung daher auch<br />
den 100-Tage-Husten. Der Erreger<br />
des Keuchhustens heisst Bordetella<br />
pertussis. Dieses Stäbchenbakterium<br />
produziert Giftstoffe, welche die<br />
Schleimhäute der Atemwege schädigen.<br />
Das wiederum verursacht die<br />
Symptome. Zugleich fühlt sich Bordetella<br />
pertussis in diesen Schleimhäuten<br />
sehr wohl und vermehrt sich<br />
dort.<br />
Der Erreger Bordetella parapertussis<br />
kann ebenfalls Keuchhusten<br />
verursachen. Allerdings er kranken<br />
weniger als 20 Prozent der von diesem<br />
Bakterium befallenen Menschen<br />
an Keuchhusten, der Grossteil<br />
bekommt eine einfache akute Bronchitis<br />
oder merkt überhaupt nichts<br />
von der Infektion.<br />
Der Keuchhusten, sagt Ulrich Heininger,<br />
sei auf vielen Ebenen kompliziert.<br />
Der Professor ist Leitender<br />
Arzt in der Pädiatrischen Infektiologie<br />
und Vakzinologie des Universitäts-Kinderspitals<br />
beider Basel und<br />
hat sich zu Pertussis – so der medizinische<br />
Name für Keuchhusten –<br />
habilitiert. «Die Krankheit ist sehr<br />
langwierig. Die Symptome ähneln<br />
anfangs denjenigen einer Erkältung,<br />
die Diagnostik ist deshalb schwierig.<br />
Und eine Therapie muss so früh wie<br />
möglich begonnen werden – dann,<br />
wenn man eigentlich noch gar keinen<br />
Verdacht hat, dass es Keuchhusten<br />
sein könnte», sagt Heininger.<br />
Immerhin: Es gibt Impfstoffe, die<br />
wirksam und gut verträglich sind.<br />
Diese sogenannten azellulären<br />
Keuchhustenimpfstoffe erreichen<br />
einen Wirkungsgrad von 85 Prozent.<br />
Das heisst, von sechs Geimpften<br />
bleibt einer ungeschützt. Um<br />
einen Erreger, der nur bei Menschen<br />
vorkommt, vollständig auszurotten,<br />
wären ein Wirkungsgrad des Impfstoffes<br />
von 95 Prozent und gleichzeitig<br />
eine Durchimpfungsrate von<br />
95 Prozent nötig.<br />
Die Wissenschaft hat bereits in<br />
den 1940er-Jahren einen Impfstoff<br />
gegen Keuchhusten entwickelt, der<br />
einen höheren Wirkungsgrad hat als<br />
die heutigen Varianten. Doch dieser<br />
sogenannte Ganzkörperimpfstoff<br />
war deutlich schlechter verträglich:<br />
Viele Kinder bekamen nach der<br />
Impfung Fieber, Schwellungen und<br />
Schmerzen, in den 1990er-Jahren<br />
kam sogar der Verdacht auf, die<br />
Pertussis-Impfung sei Ursache für<br />
schwere Hirnschäden oder Todesfälle<br />
bei kleinen Kindern.<br />
Der Erreger zirkuliert weiter<br />
«Das wurde intensiv untersucht.<br />
Heute weiss man, dass dem nicht so<br />
ist, doch das alles war Anlass genug,<br />
um neue Impfstoffe zu entwickeln»,<br />
sagt Heininger. Heute werden Kinder<br />
– und in vielen Ländern auch<br />
Erwachsene – mit Ausnahme von<br />
Polen in ganz Europa mit den >>><br />
Keuchhustenkeime können<br />
in der Luft bis zu einem<br />
Meter zurücklegen.<br />
Wie stecke ich mich an?<br />
Der Keuchhustenerreger wird per Tröpfcheninfektion<br />
von Mensch zu Mensch übertragen. Die Bakterien<br />
gelangen von einem Erkrankten über winzige Tropfen<br />
aus Nase oder Rachen zu einem Gesunden – beim<br />
Sprechen, Husten oder Niessen. Bis zu einem Meter<br />
können die Keime dabei in der Luft zurücklegen.<br />
Keuchhusten ist hoch ansteckend, fast jeder Kontakt<br />
zwischen einem erkrankten und einem gesunden<br />
Menschen führt zur Ansteckung. Ist der Gesunde durch<br />
Impfung geschützt, kann er vermutlich dennoch die<br />
Bakterien an andere weitergeben und diese infizieren –<br />
die genauen Wege erforscht die Wissenschaft noch.<br />
Was muss ich bei einer Erkrankung<br />
beachten?<br />
Haben Sie den Verdacht, dass Ihr Kind an Keuchhusten<br />
leidet, informieren Sie vor einem Arztbesuch unbedingt<br />
die Praxis, so dass andere Patienten vor einer<br />
Ansteckung geschützt werden können. Gegebenenfalls<br />
verschreibt der Arzt ein Antibiotikum. Das kann die<br />
Hustenattacken aber nur dann mildern, wenn es früh<br />
genommen wird. Ansonsten können Sie nur versuchen,<br />
Ihrem Kind das Durchstehen des Keuchhustens ein<br />
wenig zu erleichtern. Wichtig ist etwa, dass es während<br />
eines Hustenanfalls aufrecht sitzt und den Kopf leicht<br />
nach vorne beugt. Viel trinken hilft, den trockenen<br />
Husten etwas zu lindern. Verteilen Sie das Essen am<br />
besten auf viele kleine Mahlzeiten und Snacks, der<br />
ständige Würgereiz und das Erbrechen machen die<br />
Nahrungsaufnahme in dieser Zeit schwierig. Ihr Kind<br />
sollte frühestens drei Wochen nach Beginn des Hustens<br />
wieder in die Schule oder den Kindergarten gehen, um<br />
Ansteckungen zu vermeiden. Der beste Schutz vor<br />
einer Ansteckung ist eine Impfung.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2017</strong> / Januar 201869
Ernährung & Gesundheit<br />
Die Krankheitsstadien<br />
Keuchhusten ist eine langwierige<br />
Erkrankung, die in der Regel drei<br />
Stadien durchläuft: Stadium<br />
catarrhale, Stadium convulsivum<br />
und Stadium decrementi. Das<br />
Tückische an der Erkrankung ist,<br />
dass es sowohl im Säuglings- und<br />
Kindesalter als auch bei<br />
Jugendlichen und Erwachsenen<br />
häufig atypische Verläufe gibt.<br />
1 Stadium catarrhale<br />
Etwa sieben bis vierzehn Tage<br />
nach der Infektion bekommt der<br />
Erkrankte für ein bis zwei Wochen<br />
grippeähnliche Symptome:<br />
leichtes Fieber, Schnupfen, einen<br />
trockenen Reizhusten. Jetzt ist<br />
der Patient am ansteckendsten.<br />
2 Stadium convulsivum<br />
Zwei bis sechs Wochen lang<br />
treten die charakteristischen<br />
krampfartigen Hustenanfälle auf,<br />
an deren Ende der Betroffene<br />
meist laut keuchend einatmet.<br />
Er würgt Schleim hoch oder<br />
erbricht sich. Die Hustenattacken<br />
sind häufig und werden vor allem<br />
nachts oder bei körperlicher<br />
Anstrengung schlimmer.<br />
3 Stadium decrementi<br />
In dieser mindestens drei bis<br />
sechs Wochen dauernden Phase<br />
werden die Hustenattacken nach<br />
und nach weniger häufig und<br />
schliesslich auch weniger schwer.<br />
Bekommt der Patient keine<br />
Antibiotika, kann sich das dritte<br />
Stadium auch sechs bis zehn<br />
Wochen hinziehen.<br />
>>> azellulären Impfstoffen immunisiert,<br />
die Mediziner haben damit<br />
eine bessere Verträglichkeit gegen<br />
eine etwas schlechtere Wirksamkeit<br />
eingetauscht.<br />
Das hat zur Folge, dass der Erreger<br />
weiter in der Bevölkerung zirkuliert<br />
und es mal hier, mal dort zu<br />
Ausbrüchen kommt. In den Jahren<br />
1994/95 trat laut Bundesamt für<br />
Gesundheit in der Schweiz eine Epidemie<br />
mit insgesamt etwa 46 000<br />
Erkrankten auf. Danach sei eine stetige<br />
Abnahme der Anzahl von Fällen<br />
zu verzeichnen gewesen, seit 2010<br />
sei aber wieder ein steigender Trend<br />
zu beobachten.<br />
Im Zeitraum von 2010 bis 2014<br />
wurden jährlich durchschnittlich<br />
8700 Fälle gemeldet. Der Anteil an<br />
Jugendlichen und Erwachsenen<br />
unter den Patienten stieg in den vergangenen<br />
Jahren tendenziell an.<br />
Aktuell werden in der Schweiz jedes<br />
Jahr rund 30 Kinder aufgrund einer<br />
Vor allem wegen der<br />
Impfmüdigkeit bei Erwachsenen<br />
steigt die Zahl der<br />
Krankheitsfälle wieder an.<br />
Keuchhustenerkrankung hospitalisiert,<br />
davon am häufigsten Säuglinge.<br />
In den letzten 15 Jahren wurden<br />
vier keuchhustenbedingte Todesfälle<br />
gemeldet. «Das ist kein nationaler<br />
Notstand, doch das Tückische am<br />
Keuchhusten ist eben, dass es jederzeit<br />
zu einem grösseren Ausbruch<br />
kommen kann und dann plötzlich<br />
in einem Jahr 15 Säuglinge daran<br />
sterben», sagt Heininger.<br />
Keine reine Kinderkrankheit mehr<br />
In den letzten fünfzig Jahren hat sich<br />
viel getan: Die Zahl der Krankheitsfälle<br />
ist erheblich zurückgegangen.<br />
Dass sie jetzt dennoch wieder steigt,<br />
vor allem bei Jugendlichen und Er <br />
wachsenen, ist der Impfmüdigkeit<br />
zuzuschreiben. Während rund 95<br />
Prozent der Säuglinge geimpft sind,<br />
schätzen Experten, dass die Auffrischungsquote<br />
bei Erwachsenen bei<br />
weniger als acht Prozent liegt. Die<br />
klassische Kinderkrankheit ist also<br />
zu einer Erkrankung geworden, an<br />
der jetzt auch – meist unwissend –<br />
viele Erwachsene leiden. Sicher, für<br />
sie und für ältere Kinder ist ein<br />
Keuchhusten meist nur lästig. Dennoch<br />
können auch hier schwerere<br />
Symptome wie Gewichtsverlust,<br />
Atempausen, Erbrechen auftreten.<br />
Der starke Husten kann zudem<br />
Schlafstörungen, Inkontinenz, Einblutungen<br />
in die Augen oder sogar<br />
Rippen-, Leisten- oder Nabelbrüche<br />
verursachen. Als häufige Komplikationen<br />
sind Krampfanfälle sowie<br />
Lungen- und Mittelohrentzündungen<br />
be kannt.<br />
Nicht auf die leichte Schulter<br />
nehmen<br />
Keuchhusten ist also nichts, was man<br />
unter «ein bisschen Husten» auf die<br />
leichte Schulter nehmen sollte. Das<br />
grösste Risiko besteht jedoch darin,<br />
dass Nichtgeimpfte den Erreger weitergeben<br />
an Menschen, für die der<br />
Keuchhusten lebensgefährlich werden<br />
kann.<br />
Da Neugeborene erst nach dem<br />
vollendeten zweiten Lebensmonat<br />
geimpft werden können, ist es umso<br />
wichtiger, dass sich Kontaktpersonen<br />
gegen Keuchhusten schützen:<br />
Das sind neben Eltern und Ge <br />
schwistern auch Oma und Opa, Tan<br />
70 Dezember <strong>2017</strong> / Januar 2018 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
ten, Onkel oder Erzieher der älteren<br />
Geschwister.<br />
Eine Auffrischung der Keuchhustenimpfung<br />
ist wichtig, weil der<br />
Impfschutz im Laufe der Jahre nachlässt.<br />
«Weder eine durchgemachte<br />
Erkrankung noch eine Impfung<br />
gegen Keuchhusten bietet einen<br />
langfristigen Schutz vor einer Er <br />
krankung oder einer erneuten Infektion<br />
und Erkrankung», sagt Cornelia<br />
Feiterna-Sperling.<br />
Wie lange eine Impfung wirkt,<br />
darüber streiten die Mediziner. Als<br />
Pi-mal-Daumen-Regel gelten derzeit<br />
rund zehn Jahre. Allerdings verschwindet<br />
so ein Impfschutz nicht<br />
einfach über Nacht. Es ist davon<br />
auszugehen, dass er über die Jahre<br />
sukzessive weniger und der Geimpfte<br />
anfälliger für den Erreger wird.<br />
Als Grundimmunisierung empfiehlt<br />
der Schweizerische Impfplan insgesamt<br />
sechs Impfdosen: Im Alter von<br />
2, 4, 6 sowie zwischen 15 und 24<br />
Monaten, dann zwischen 4 und 7<br />
sowie zwischen 11 und 15 Jahren.<br />
Erwachsenen wird zudem eine einmalige<br />
Keuchhustenimpfung im<br />
Alter von 25 bis 29 Jahren empfohlen,<br />
doch Experten gehen davon aus,<br />
dass das zu wenig ist, um einen lang<br />
anhaltenden Schutz zu erreichen.<br />
Eine Möglichkeit, den Erreger<br />
weiter einzudämmen, wäre ein neuer<br />
Impfstoff mit einem höheren Wirkungsgrad.<br />
Die Wissenschaft versucht<br />
derzeit, den immunologischen<br />
Marker für Keuchhusten zu finden<br />
und dort mit der Entwicklung eines<br />
neuen Impfstoffes anzusetzen. Doch<br />
auch der kann nur funktionieren,<br />
wenn man sich impfen lässt.<br />
>>><br />
Erwachsenen wird eine<br />
einmalige Impfung empfohlen.<br />
Experten gehen davon aus,<br />
dass das zu wenig ist.<br />
Claudia Füssler<br />
ist gegen Keuchhusten geimpft. Den<br />
klassischen Erkältungshusten zwingt sie<br />
nach Omas Rezept nieder: mehrmals täglich<br />
zwei Esslöffel selbst gemachten Zwiebelsaft.<br />
Mein Leben, mein Lachen.<br />
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Digital<br />
Wenn Mama bloggt<br />
Über seine Kinder im Internet zu schreiben, liegt im Trend. Ein Grund: An einem Blog kann Mama<br />
von zu Hause aus arbeiten. Aber Blogs zu Geld machen ist ein hartes Geschäft.<br />
Text: Bianca Fritz Bilder: zVg, Bianca Fritz<br />
Während Ellen<br />
Girod ihre<br />
Tochter stillt,<br />
tippt sie auf<br />
ihrem Handy<br />
Textentwürfe. Nachts sitzt sie dann<br />
an ihrem Laptop, überträgt Texte in<br />
ihren Blog, bastelt an Fotos und am<br />
Webdesign und tüftelt an Strategien,<br />
mit denen ihr Blog «Chez Mama<br />
Poule» bekannter werden und Geld<br />
einbringen könnte. Die 33-Jährige<br />
hat einen Traum: «In zwei Jahren<br />
möchte ich vom Bloggen leben können»,<br />
sagt die freie Journalistin und<br />
Mutter. Ein Traum, den viele Mamablogger<br />
und sicher auch einige der<br />
wenigen Papablogger teilen. Denn<br />
Bloggen verspricht Freiheit: «Beim<br />
Bloggen kann ich orts- und zeitunabhängig<br />
arbeiten – und immer<br />
dann für meine Kinder da sein,<br />
wenn sie mich brauchen», erklärt<br />
Ellen Girod.<br />
Ein ähnliches Ziel verfolgt auch<br />
Reisefan und Dreifachmama Andrea<br />
Jansen. Die Journalistin und ehemalige<br />
TV-Moderatorin ist 2016 mit<br />
ihrem Blog gestartet und hatte schon<br />
am ersten Tag 1000 Besucherinnen<br />
72 Dezember <strong>2017</strong> / Januar 2018 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
«In zwei Jahren<br />
möchte ich vom<br />
Bloggen leben<br />
können», sagt<br />
die Mutter und<br />
freie Journalistin<br />
Ellen Girod.<br />
und Besucher. «Wenn man öffentlich<br />
bekannt ist, kann man sich nicht<br />
einfach mal ausprobieren – da muss<br />
jeder Text sitzen – von Anfang an»,<br />
sagt sie. Mit ihrem Blog anyworkingmom<br />
ist sie ein Shootingstar in<br />
der Schweizer Elternblogger-Szene.<br />
Schon nach einem Jahr hat sie rund<br />
30 000 Leserinnen und Leser pro<br />
Monat und mit Anja Knabenhans<br />
eine Partnerin mit an Bord.<br />
Anyworkingmom entstand auch<br />
nie neben dem Wickeltisch. Andrea<br />
Jansen geht zum Schreiben ins Büro<br />
– in ihrem Fall in einen hippen Co-<br />
Working-Space in Zürich. Bloggen<br />
passiert in ihrer offiziellen Arbeitszeit<br />
von etwa 60 Prozent. Der Blog<br />
ist, neben Beratungstätigkeiten,<br />
Vorträgen und journalistischen<br />
Artikeln, zu einem beruflichen Projekt<br />
geworden – und das war auch<br />
von Anfang an so geplant. Nach<br />
einigen Werbekooperationen wollen<br />
die beiden Frauen im nächsten Jahr<br />
auf langfristige Partner setzen und<br />
versuchen, mit innovativen Ideen<br />
den Blog zu finanzieren. So zum<br />
Beispiel mit einem eigenen Produkt:<br />
lustigen Karten für Mütter, die dem<br />
Mutterberuf mit einem Augenzwinkern<br />
huldigen.<br />
gibt es nicht, und sie sind schwierig<br />
zu erheben: Viele Schweizer Blogs<br />
fischen auch in Deutschland nach<br />
Leserinnen und umgekehrt. Über<br />
2000 deutschsprachige Familienblogs<br />
sind in einer Datenbank der<br />
Frauenzeitschrift Brigitte verzeichnet.<br />
In der Schweiz zeigt sich das<br />
wachsende Interesse auch an der<br />
Teilnehmerzahl der speziell für<br />
Familienblogger ins Leben gerufenen<br />
Konferenz Swiss Blog Family:<br />
Kamen 2016 bei der ersten Durchführung<br />
noch knapp 50 Mütter<br />
(Männer gab es keine) zusammen,<br />
um sich über Bildrechte, Privatsphäre<br />
und Vermarktung auszutauschen,<br />
haben die Veranstalter diesmal 100<br />
Plätze locker besetzt.<br />
Obwohl die Familie bei den Bloggern<br />
im Zentrum ihres Schaffens<br />
steht, krabbelt nur ein einziges<br />
Kleinkind durch den grossen Seminarraum<br />
eines Kongresshotels in<br />
Basel – alle anderen haben ihre Kinder<br />
zu Hause gelassen. Die Sponsoren<br />
mit Buntstiften und Malbüchern<br />
warten vergeblich auf gelangweilte<br />
Kinder. Unter den Frauen (und vereinzelten<br />
Männern) herrscht die<br />
fröhliche Stimmung eines grossen<br />
Klassentreffens. Man kennt und liest<br />
ja viel Persönliches voneinander.<br />
Eines wird auf der Konferenz<br />
schnell klar: Wer mit seinem Blog<br />
Geld verdienen oder gar sein Einkommen<br />
bestreiten möchte, muss zu<br />
einem kleinen Medienunternehmen<br />
werden. Mamabloggerinnen müssen<br />
sich mit Webdesign, Suchmaschinenoptimierung<br />
und Social-Media-<br />
Marketing ebenso auskennen wie<br />
mit der Frage, wie man Mediakits<br />
mit relevanten Informationen für<br />
Werbepartner erstellt und mit<br />
potenziellen Geldgebern verhandelt.<br />
Die Kugelschreiber sausen nur so<br />
über das Papier, als Svenja Walter<br />
von meinesvenja.de, einem der er -<br />
folgreichsten deutschen Familienblogs,<br />
über ihre Strategien spricht.<br />
«Ich schreibe schon lange nicht<br />
mehr, worauf ich gerade Lust habe»,<br />
stellt sie klar. «Und wenn ihr eine<br />
grosse Reichweite erzielen wollt,<br />
könnt ihr das auch nicht mehr.» Die<br />
Geschäftsfrau legt ihren beeindruckenden<br />
Verdienst offen und betont<br />
gleichzeitig: «Ja, ich kann mittags für<br />
meine Kinder kochen – aber >>><br />
Mütter ohne Kinder an der<br />
Elternbloggerkonferenz<br />
Elternblogs liegen im Trend – in den<br />
USA und in Deutschland schon lange,<br />
aber auch in der Schweiz werden<br />
es immer mehr. Offizielle Zahlen<br />
«Ich schreibe schon lange nicht mehr,<br />
worauf ich gerade Lust habe», sagt<br />
Svenja Walter, eine der erfolgreichsten<br />
deutschen Familienbloggerinnen.<br />
Praktische Ausbildung<br />
Kleinkinderbetreuung<br />
Infos unter www.ibk-berufsbildung.ch
Digital<br />
Andrea Jansen<br />
hat auf ihrem<br />
Blog<br />
anyworkingmom<br />
bereits nach<br />
einem Jahr<br />
30 000 Leserinnen<br />
pro Monat.<br />
>>> ich arbeite schon seit Jahren und wundert sich. Sie gehört zu den<br />
an sieben Tagen pro Woche.»<br />
Nach dem energiegeladenen Auftritt<br />
von Svenja gibt es spannende<br />
Diskussionen im Foyer. «Ich weiss<br />
nicht, ob ich so strategisch werden<br />
will», sagt eine Mama. «Vielleicht<br />
sollte ich doch endlich mal wieder<br />
mein Layout überarbeiten, wenn ich<br />
sehe, wie professionell die anderen<br />
Seiten wirken», meint eine andere.<br />
Mittendrin steht Karin alias «Frau<br />
Brüllen» von bruellen.blogspot.de<br />
Bloggerinnen, die einfach täglich<br />
ihre Erlebnisse festhalten und teilen<br />
wollen, ohne dafür Geld zu kassieren.<br />
Dass immer mehr Bloggerinnen<br />
das Schreiben zum Beruf machen<br />
möchten, sieht Karin kritisch: «Zum<br />
einen werden sich die Blogs doch<br />
immer ähnlicher, wenn alle strategisch<br />
denken. Zum anderen wird die<br />
Bloglandschaft langweilig und glattgebügelt,<br />
wenn sich immer mehr<br />
Bloggerinnen selbst zensieren und<br />
sich nicht mehr trauen, eine vielleicht<br />
nicht mehrheitsfähige Meinung<br />
zu äussern, um keine Werbekunden<br />
oder Leser zu verschrecken.<br />
Ausserdem kommen viele dieser<br />
Frauen nicht mehr ins ‹richtige›<br />
Berufsleben zurück – und das finde<br />
ich einfach schade.»<br />
Enttäuschte Leserinnen<br />
Was sie anspricht, wird im englischsprachigen<br />
Raum bereits lange diskutiert.<br />
2016 untersuchte die Concordia-Universität<br />
im kanadischen<br />
Montreal den Blog «Get off my internets<br />
(GOMI)», wo Internetnutzer<br />
öffentlich über das Internet jammern,<br />
und stellte fest: Dort wimmelt<br />
es von ehemaligen Mamablog-Leserinnen,<br />
die sich bitter enttäuscht von<br />
ihren geliebten Blogs abwenden.<br />
Weil diese zu Werbeplattformen verkommen<br />
seien, es viele gesponserte<br />
Werbe-Inhalte gebe und der Rest zu<br />
einer viel zu sauberen Welt mit rosa<br />
Zuckerguss verkommen sei.<br />
Noch 2005 hatten sich Mama-<br />
Bloggerinnen weltweit dem Credo<br />
der New Yorker Bloggerin Alice<br />
Breadley angeschlossen, die schrieb,<br />
dass das Verbloggen des Privatlebens<br />
ein «radikaler Akt» sei. Weil<br />
die Frauen hier das Mamasein genau<br />
so darstellen könnten, wie sie es täglich<br />
erleben. Mamablogs seien eine<br />
wichtige Ergänzung zu den von<br />
Männern dominierten Medien, wo<br />
Mütter nur als perfekte Werbeschablonen<br />
oder als zickige Problemwesen<br />
inszeniert würden. Genau<br />
diese «feministische Seite» des Bloggens<br />
gehe verloren, wenn die Mütter<br />
vor allem darauf aus seien, Geld zu<br />
machen, zu diesem Schluss kam<br />
auch die Studie aus Montreal.<br />
Die Schweizer Bloggerinnen und<br />
Blogger scheinen sich zu einem<br />
gros sen Teil noch nicht sicher zu<br />
sein, in welche Richtung sie gehen<br />
wollen. Auf die Frage, wer mit seinem<br />
Blog Geld verdienen wolle oder<br />
sich als Influencerin sehe, also als<br />
jemand, der Kaufentscheidungen<br />
beeinflusst, heben bei der Swiss Blog<br />
Family nur wenige die Hände. Aber<br />
die Workshops am Nachmittag, bei<br />
denen es um Monetisierung geht,<br />
sind besonders gut besucht.<br />
Noch ist die Bloglandschaft in der<br />
Schweiz vielfältig: Einige Blogs sind<br />
tagebuchartige Erlebniserzählungen,<br />
andere beschäftigen sich mit<br />
bestimmten Erziehungsansätzen wie<br />
dem Attachment Parenting und der<br />
Umsetzung im Alltag oder stellen<br />
Themen wie Ernährung oder Basteln<br />
in den Mittelpunkt. Und manche<br />
wollen auch gesellschaftlich<br />
etwas bewirken. So betont Andrea<br />
Jansen, dass ihr primäres Ziel nicht<br />
das Geldverdienen sei, sondern Themen<br />
anzusprechen, über die zu<br />
wenig geredet wird.<br />
Eines der Hauptthemen auf anyworkingmom<br />
ist die Vereinbarkeit.<br />
«Vor allem, aber nicht nur von Beruf<br />
und Familie, sondern auch die Vereinbarkeit<br />
der neuen Situation mit<br />
dem Ich», sagt Andrea Jansen. Sie<br />
will damit nicht nur andere Mütter<br />
erreichen, die mit ähnlichen Themen<br />
zu kämpfen haben, sondern vor<br />
allem junge Frauen, die sich überlegen,<br />
ob sie ein Kind bekommen sollen.<br />
«Ich höre noch immer viel zu oft<br />
den Satz: ‹Ich habe nicht gewusst,<br />
was mit einem Kind auf mich<br />
zukommt.› Das muss sich ändern.»<br />
Wie privat ist zu privat?<br />
Allen Elternblogs gemeinsam ist die<br />
Suche nach dem richtigen Umgang<br />
mit der Privatsphäre – besonders mit<br />
jener der Kinder. Frau Brüllens Kin-<br />
74 Dezember <strong>2017</strong> / Januar 2018 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
der sind alt genug, dass sie Artikel,<br />
in denen es um sie geht, gegenlesen<br />
können – was ihnen nicht gefällt,<br />
wird auch nicht veröffentlicht. Die<br />
Kinder von Andrea Jansen und Ellen<br />
Girod aber sind noch zu klein, um<br />
ihre eigene Meinung zu äussern oder<br />
um mögliche Folgen der Texte abzuschätzen.<br />
Also müssen das ihre Mütter<br />
übernehmen.<br />
Andrea Jansen wählt bewusst<br />
einzelne Bilder ihrer Kinder zur Veröffentlichung<br />
aus und versieht sie<br />
mit einem Wasserzeichen. «Da ich<br />
prominent bin, kann man sowieso<br />
herausfinden, wie meine Kinder<br />
aussehen, wenn man es denn unbedingt<br />
will. Ich finde auch, dass Kinder<br />
im öffentlichen Raum stattfinden<br />
müssen. Aber ich überlege mir<br />
jedes Bild sehr genau», erklärt sie.<br />
Ellen Girod nimmt ihre Kinder<br />
nie frontal auf. Ausserdem überlegt<br />
sie sich bei jedem Text vor der Veröffentlichung:<br />
«Könnte er meinen<br />
Töchtern einmal schaden, im un -<br />
wahrscheinlichen Fall, dass eine von<br />
ihnen Bundesrätin wird?» Andrea<br />
Jansen umgeht diese Frage so gut als<br />
möglich, indem sie über sich und<br />
ihre Gefühle als Mutter schreibt –<br />
peinliche Erlebnisse ihrer Kinder<br />
bleiben draussen. «Man muss die<br />
Hosen runterlassen, damit es ein<br />
guter Text wird», sagt sie. «Aber<br />
doch bitte die eigenen und nicht die<br />
der Kinder.» Blogliste finden Sie eine<br />
Sammlung von Schweizer Mamaund<br />
Papa bloggern, sortiert nach<br />
thematischen Schwerpunkten. Wenn<br />
Sie einen Blog vermissen, schicken<br />
Sie uns bitte den Link an<br />
online@fritzundfraenzi.ch.<br />
Bloggen macht glücklich<br />
Laut einer Studie der Pennsylvania State<br />
University aus dem Jahr 2011 wirkt sich das<br />
Bloggen positiv auf das Wohlbefinden von<br />
Müttern aus. Die Onlinekontakte und der<br />
Austausch über die Unsicherheiten in der<br />
Mutterrolle helfen den 157 befragten<br />
Neu-Müttern, sich eingebunden und sozial<br />
stabil zu fühlen. Nur auf den sozialen<br />
Medien unterwegs zu sein, habe diesen<br />
positiven Effekt nicht – hier erhalten die<br />
Frauen offenbar nicht dieselbe<br />
Unterstützung wie beim Mamabloggen.<br />
Bianca Fritz<br />
leitet die Online-Redaktion von Fritz und<br />
Fränzi. Sie findet, dass Blogs eine wichtige,<br />
weil wunderbar subjektive Ergänzung zu den<br />
klassichen Medien sind.<br />
Jetzt<br />
gewinnen!<br />
Mehr unter: faber-castell.ch<br />
Dezember-Verlosung<br />
Fritz+Fränzi verlost …<br />
edle Schreibsets* für Kinder und Erwachsene<br />
im Wert von Fr. 1000.–<br />
Faber-Castell gehört weltweit zu den<br />
Pionieren für hochwertige Produkte zum<br />
Schreiben, Malen und Gestalten. Die<br />
Bleistifte und Farbstifte von Faber-<br />
Castell sind so bekannt, dass sie in fast<br />
jedem Schüleretui zur Standardausrüstung<br />
gehören. Die Oberfläche<br />
der Farb- und Malstifte ist besonders<br />
schreibfreundlich und lässt jedes<br />
Kinderherz höherschlagen, gelten doch<br />
die Minen der Stifte als beinahe un -<br />
Wettbewerbsteilnahme auf www.fritzundfraenzi.ch/verlosung<br />
Teilnahmeschluss: 31. Dezember <strong>2017</strong>. Teilnahme per SMS: Stichwort FF FABER an 959 senden (30 Rp./SMS)<br />
zerbrechlich und deshalb lange haltbar.<br />
Aber auch Erwachsene erfreuen sich an<br />
den hochwertigen Schreibwaren aus<br />
ausgewählten Materialien – sei es für<br />
sich selbst oder zum Schenken.<br />
* 7 Malsets für Kinder<br />
1 × Filzstifte-Box im praktischen Köfferchen<br />
1 × Metalletui mit 48 Farbstiften<br />
1 × 1 Spitzer in Rot oder Blau<br />
* 3 Schreibsets für Erwachsene<br />
1 Ambition Füllhalter Edelharz Rhombus, M<br />
1 Ambition Kugelschreiber Edelharz Rhombus<br />
Beide Sets können auf Wunsch individuell graviert werden
Digital & Medial<br />
Fernsehserien Ihrer<br />
Kindheit<br />
Wer die Serienhelden seiner Kindheit an einem<br />
lustigen Familienfernsehabend noch einmal<br />
aufleben lässt, hat viel Spass – und einen guten<br />
Anlass, über Medienregeln von damals und<br />
heute zu diskutieren. Text: Michael In Albon<br />
Bild: PeopleImages<br />
Sind Sie ein Kind der 1970er<br />
oder 1980er? Dann erinnern<br />
Sie sich gewiss an die<br />
damaligen Fernsehserien.<br />
Und wenn Ihnen die Ge <br />
schichten nicht mehr in Erinnerung<br />
sind: Die Bilder und Melodien<br />
erkennen Sie sicher wieder. Schauen<br />
Sie mit Ihren Kindern Ausschnitte<br />
daraus an, das ist eine gute Gelegenheit,<br />
sich mit ihnen auszutauschen<br />
über Lieblingsfilme, -figuren, -melodien.<br />
Darüber, wie Figuren wahrgenommen<br />
wurden und werden. Darüber,<br />
welche Medienregeln bei Ihnen<br />
früher galten, an welche Sie sich gern<br />
und leicht hielten und an welche<br />
nicht. Auch das ist Medienbildung.<br />
Und erst noch unterhaltend.<br />
Zwei mal drei macht vier …<br />
Pippi Langstrumpf ist die Tochter<br />
eines Piratenkapitäns, der sich auf<br />
den Weltmeeren tummelt. Deshalb<br />
lebt sie allein in der Villa Kunterbunt<br />
– mit Äffchen Herr Nilsson und<br />
Pferd Kleiner Onkel. Mit den Nachbarskindern<br />
Tommy und Annika<br />
erlebt Pippi Abenteuer um Abenteuer.<br />
Pippi ist ein starkes Mädchen –<br />
unerschrocken, frech, unabhängig.<br />
In einem unbekannten Land, vor<br />
gar nicht allzu langer Zeit<br />
Hören Sie auch die Titelmelodie von<br />
Karel Gott, der «goldenen Stimme<br />
von Prag»? Von dieser Biene namens<br />
Maja, von ihren Freunden Willi, Flip<br />
und weiteren Insekten sprachen wir<br />
Kinder damals wirklich oft. Auch<br />
diese drei fliegen und hüpfen von<br />
Abenteuer zu Abenteuer. Dabei zeigt<br />
sich Maja abenteuerlustig, bleibt aber<br />
stets freundlich. Und Willi ist ängstlich,<br />
faul und immer hungrig.<br />
Wer hat an der Uhr gedreht, ist es<br />
wirklich schon so spät?<br />
Der rosarote Panther Paulchen produziert<br />
Chaos, das ist Programm.<br />
Egal, wer ihm über den Weg läuft –<br />
vor dem rosaroten Nervenbündel ist<br />
niemand sicher. Paulchen Panther<br />
ist schlau, gewitzt und für seine Mitmenschen<br />
ein wandelndes Desaster<br />
auf zwei rosa Beinen.<br />
Die rote Zora und ihre Bande<br />
Die Titelheldin Zora führt eine Bande<br />
von Waisenkindern an, die wie<br />
Aussätzige behandelt werden und<br />
sich vereint gegen die alltäglichen<br />
Ungerechtigkeiten zur Wehr setzen.<br />
Die 13-teilige Serie, eine Koproduktion<br />
aus der Schweiz, Deutschland<br />
und Jugoslawien, spielt in der kroatischen<br />
Küstenstadt Senj.<br />
Mutiger Junge, schwarzes Pferd<br />
Der Zirkusjunge Silas flieht vor dem<br />
brutalen Zirkusdirektor Philipp und<br />
erlebt auf seinem schwarzen Hengst<br />
spannende Abenteuer. Er ist die Gutmütigkeit<br />
in Person, keiner Fliege<br />
könnte er etwas zu Leide tun. Teenager<br />
liebten die sechsteilige Weihnachts<br />
serie von 1981 – Jungs bewunderten<br />
Silas, Mädchen schwärmten<br />
für Darsteller Patrick Bach.<br />
Abenteuer aus «Tausendundeiner<br />
Nacht»<br />
Sindbad der Seefahrer erlebt Abenteuer<br />
wie aus den Geschichten aus<br />
«Tausendundeiner Nacht». Im Klassiker<br />
der Weltliteratur nutzt die kluge<br />
Scheherazade ein Stilmittel: Sie<br />
bricht die Geschichten, die sie ihrem<br />
König erzählt, jede Nacht im spannendsten<br />
Moment ab. So verhindert<br />
sie, dass er sie am Morgen hinrichten<br />
lässt. In der Kinderserie aus den<br />
1970er-Jahren ist Sindbad ein kleiner<br />
Junge.<br />
Michael In Albon<br />
ist Beauftragter Jugendmedienschutz<br />
und Experte Medienkompetenz von<br />
Swisscom.<br />
Auf Medienstark finden Sie Tipps und interaktive<br />
Lernmodule für den kompetenten Umgang mit<br />
digitalen Medien im Familienalltag.<br />
swisscom.ch/medienstark<br />
76 Dezember <strong>2017</strong> / Januar 2018 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Digital & Medial<br />
Publireportage<br />
Dank dem breiten Angebot an Schweizer Milchprodukten findet sich für jedes Bedürfnis etwas Passendes.<br />
Das Beste für Eltern und Kinder<br />
Für echte Milch gibt’s keinen Ersatz<br />
Milch ist ein nährstoffreiches, gesundes Grundnahrungsmittel für<br />
alle, besonders aber für Kinder. Glücklicherweise gibt es auch bei<br />
Laktoseintoleranz passende Lösungen, denn auf Milchprodukte<br />
zu verzichten ist keine gute Idee.<br />
Eltern wollen für ihre Kinder natürlich das Beste.<br />
Wenn sie vermuten, dass ihr Kind bestimmte<br />
Lebensmittel nicht verträgt, streichen sie diese oft<br />
in guter Absicht vom Menüplan oder ersetzen sie<br />
durch Alternativen. Das ist aber nicht immer eine<br />
gute Lösung.<br />
Fragen Sie Ihren Arzt<br />
Klagt ein Kind häufig über Bauchweh, liegt die<br />
Vermutung nahe, dass ein Lebensmittel schuld ist.<br />
Oft folgen dann Selbstdiagnosen und individuelle<br />
Ernährungsexperimente. Diese können aber Nährstoffmängel<br />
nach sich ziehen und führen meist<br />
nur kurzfristig zu einer Besserung. Sinnvoller ist es,<br />
die Beschwerden durch eine Fachperson abklären<br />
zu lassen, denn die Gründe können vielfältig sein.<br />
Wenn tatsächlich eine Laktoseintoleranz vorliegt –<br />
die bei Kindern jedoch nur äusserst selten vorkommt<br />
–, dann sollten Milchprodukte nicht gestrichen,<br />
sondern gezielt ausgewählt werden. Es gibt<br />
ein grosses Angebot an passenden, fermentierten<br />
Milchprodukten. Gut verträglich sind Hart- und<br />
Halbhartkäse wie etwa Emmentaler oder Tilsiter<br />
sowie alle Jogurtsorten.<br />
Pflanzendrinks sind kein Milchersatz<br />
Keine gute Lösung ist es, Milch durch Pflanzendrinks<br />
zu ersetzen. Die Ernährungswissenschaft<br />
zeigt immer wieder, dass insbesondere Kinder<br />
von Milch profitieren. Drei Milchportionen täglich<br />
unterstützen den Aufbau und die Entwicklung von<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Knochen und Muskeln. Zudem liefern sie generell<br />
viele Nährstoffe in idealem Verhältnis zueinander,<br />
was für ein gesundes Wachstum äusserst vorteilhaft<br />
ist.<br />
Niemand kann heute abschätzen, wie sich der<br />
Ersatz von Kuhmilch durch Pflanzendrinks langfristig<br />
auf die Gesundheit von Kindern auswirken<br />
wird. Es gibt dafür weder Langzeitstudien noch<br />
genügend Erfahrung. Ernährungsfachpersonen<br />
und Kinderärzte schätzen das Risiko eines Nährstoffmangels<br />
mit Folgen für die körperliche und<br />
geistige Entwicklung der Kinder als hoch ein. Denn<br />
Pflanzendrinks sind nährstoffarm und enthalten<br />
keine Baustoffe für das Wachstum.<br />
!<br />
Milchprodukte bei Laktoseintoleranz<br />
Milch liefert ein reichhaltiges Spektrum an<br />
Inhaltsstoffen. Davon profitieren Personen<br />
jeden Alters, insbesondere aber Kinder.<br />
Milchprodukte tragen viel zu einer gesunden<br />
Ernährung bei. Deshalb sollten sie auch bei<br />
Laktoseintoleranz auf dem Menüplan zu finden<br />
sein. Welche Milchprodukte besonders<br />
geeignet sind, erfahren Sie unter<br />
www.swissmilk.ch/unvertraeglichkeiten ><br />
Laktoseintoleranz > verträgliche Milchprodukte.<br />
Mehr erfahren?<br />
Weitere Informationen<br />
und Tipps bei Unverträglichkeiten<br />
unter<br />
www.swissmilk.ch/<br />
unvertraeglichkeiten<br />
Wer von einer Laktoseintoleranz<br />
betroffen ist, wählt<br />
am besten gereiften Käse.<br />
Auch Jogurt wird häufig gut<br />
vertragen.<br />
Schweizer Milch ist ein<br />
Naturprodukt, sie wird<br />
standortgerecht auf Familienbetrieben<br />
produziert<br />
und braucht nur kurze<br />
Transportwege.<br />
Milch liefert Eiweiss, Kalzium,<br />
Vitamine und Fette für den<br />
Aufbau von Muskeln und<br />
Knochen. Drei Portionen am<br />
Tag sind genau richtig.<br />
Dezember <strong>2017</strong> / Januar 201877
Ein Wochenende …<br />
in Nendaz<br />
Martigny<br />
Rhone<br />
Kinderkrippe<br />
«P’tit Bec»<br />
Piste la Jean Pierre<br />
Eisbahn<br />
Sitten/Brig<br />
Nendaz<br />
Hotel Les Etagnes<br />
Restaurant und<br />
Lac de Tracouet,<br />
Seebar<br />
Piste Siviez<br />
Siviez<br />
… Vollmond heisst in Nendaz: Full Moon Party. Der Abend<br />
beginnt mit einem Themendinner oder einem Entrecôte im<br />
Restaurant de Tracouet, danach ist die Piste «Jean-Pierre»<br />
bis nach 22 Uhr geöffnet, beleuchtet vom Mondschein.<br />
6. Januar: «Racler comme jamais», Raclette à discrétion mit<br />
Konzert von David Charles; 3. Februar: «Rockabilly night»,<br />
Double Steak Burger Royal mit Konzert von den Coconut Kings;<br />
3. März: «Vintage», Paella mit 80er-, 90er- und 00er-Party;<br />
31. März: «Traditions» mit Kilbi-Menü.<br />
Mit Themendinner im Selfservice 43 Franken für Erwachsene<br />
und 31 Franken für Kinder, mit Entrecôte im bedienten<br />
Restaurant 55 bzw.38 Franken. Platzzahl begrenzt, Infos und<br />
Buchung unter 027 289 52 00.<br />
Geniessen …<br />
Erleben …<br />
Mont Fort<br />
… Der vom Schweizerischen Tourismus-Verband mit dem<br />
Label «Family destination» ausgezeichnete Walliser Skiort<br />
Nendaz verfügt über Pisten für jeden Geschmack: von<br />
anspruchsvollen, steilen Pisten für sportliche Eltern und<br />
fortgeschrittene Sprösslinge bis zu Babyliften. Künftigen<br />
Skistars stehen zwei Anfängerparks zur Verfügung: Siviez,<br />
mit Borer-Babylift, Snowtube-Karussell und einer Mini-Slalomstrecke,<br />
und der im Winter gefrorene, ruhige und sonnige<br />
Lac de Tracouet. Auch dort gibt es Snowtubing und ein<br />
Snowtube-Karussell und der Anfängerpark bietet Zauberteppich,<br />
Anfängerlift sowie Borer-Babylift, mit dem auch die<br />
Kleinsten ihre ersten Versuche auf zwei Brettern machen<br />
können. Dies können sie auch unter Anleitung eines Skilehrers,<br />
während sich die Eltern in der Seebar eine Pause gönnen<br />
oder eine Abfahrt vom Mont-Fort (3300 m ü. M.) wagen.<br />
Sind Sie selber noch Anfänger, finden Sie beim Lac de<br />
Tracouet auch flache Einsteigerpisten.<br />
Tageskarte 4 Vallées: Erwachsene: 75 Franken (Nebensaison<br />
71), Jugendliche bis 24: 64 Franken (60), Kinder bis 10:<br />
38 Franken (36), 10 % Rabatt auf Skipässe für Familien.<br />
Snowtubing beim Lac de Tracouet ist im Preis inbegriffen.<br />
… Haben Sie genug von den Pisten gesehen, dann wagen Sie<br />
sich doch aufs Glatteis: Auf der Eisbahn des Sportzentrums<br />
können Sie Pirouetten drehen, dem Puck nachjagen oder an<br />
der Eisdisco tanzen, bis das Eis schmilzt. Die Disco findet in<br />
der Hochsaison einmal pro Woche statt.<br />
Eisbahn täglich offen von 10 bis 11.45 Uhr und von 14 bis<br />
16.30 Uhr. Während der Hochsaison verlängerte Öffnungszeiten<br />
am Abend. Hockeyspielen ist vormittags erlaubt. Erwachsene<br />
6 Franken, Kinder 4 Franken, Schlittschuhmiete 4 Franken.<br />
… Auf sieben ausgeschilderten Schneeschuhrouten können<br />
Sie in die Winterlandschaft abseits der Pisten eintauchen. Eine<br />
davon ist speziell für Kinder geeignet. Auf einer Schatzsuche<br />
erfahren die Jüngsten etwas über die Natur, die Tiere und die<br />
Geschichte von Nendaz.<br />
Eine Karte mit den beschriebenen Routen ist gratis auf dem<br />
Tourismusbüro erhältlich. Dort ist auch Startpunkt der<br />
Schatz suche. Schneeschuhe vermieten alle grösseren<br />
Sport geschäften im Ort für 20 bis 30 Franken pro Tag.<br />
Übernachten …<br />
… Mehrere Agenturen bieten familienfreundliche<br />
Wohnungen in Zentrumsnähe an. Sie sind mit Spielen,<br />
Babyfon, Kinderbetten, -stühlen und -besteck ausgestattet.<br />
Bei Espace-Vacances, Inter Agence und Interhome. Mehrere<br />
Hotels gewähren einen Kinder rabatt. Siehe www.nendaz.ch ><br />
Praktische Infos > Für Familien > Familienunterkunft<br />
78 Dezember <strong>2017</strong> / Januar 2018 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Service<br />
Vergnügen aller Art:<br />
beim Snowtubing<br />
auf Tracouet, beim<br />
Schlittschuhlaufen<br />
auf der Eisbahn im<br />
Zentrum und bei der<br />
Schatzsuche.<br />
Bilder: Etienne Bornet, Florian Bouvet, Aline Fournier<br />
… Neben der Talstation der Gondelbahn befindet sich das<br />
Hotel Les Etagnes. Es bietet acht Zimmer, zuoberst ein<br />
Familienzimmer mit Elternschlafzimmer mit Doppelbett und<br />
Kinderzimmer mit Kajütenbetten. Beide sind mit Fernseher<br />
und DVD-Player ausgestattet.<br />
Hotel Les Etagnes, Route de la Télécabine 69, 078 659 90 <strong>12</strong>.<br />
Das Familienzimmer (35 Quadratmeter) kostet für 4 Personen<br />
320 Franken, für 5 Personen 350 Franken pro Nacht.<br />
Gut zu wissen …<br />
im Voraus gebucht werden kann. Wer am Abend ausschwärmen<br />
will, der kann die Babysitterliste konsultieren, die auf der<br />
Tourismus-Website geführt wird.<br />
Kinderkrippe «P’tit Bec», Route des Ecluses 71, Haute-Nendaz.<br />
Kosten: ein Morgen 35 Franken, Morgen mit Mittagessen<br />
50 Franken, Nachmittag mit Mittagessen 70 Franken, Nachmittag<br />
40 Franken und ein ganzer Tag (8.30 bis 16.45 Uhr)<br />
90 Franken, Anmeldung im Winter bei Nendaz Tourisme,<br />
41 27 289 55 89, info@nendaz.ch.<br />
www.nendaz.ch > Praktische Infos > Für Familien > Kinderhort<br />
& Babysitting<br />
… Wer einmal einen halben oder einen ganzen Tag ohne Kinder<br />
unterwegs sein will: In Nendaz gibt es eine Kinderkrippe, die<br />
ganzjährig von Montag bis Samstag geöffnet ist und einen Tag<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2017</strong> / Januar 201879
Service<br />
Vielen Dank<br />
an die Partner und Sponsoren der Stiftung Elternsein:<br />
Finanzpartner Hauptsponsoren Heftsponsor<br />
Dr. iur. Ellen Ringier<br />
Walter Haefner Stiftung<br />
Credit Suisse AG<br />
Rozalia Stiftung<br />
UBS AG<br />
Happel Foundation<br />
UBS AG<br />
Impressum<br />
17. Jahrgang. Erscheint 10-mal jährlich<br />
Herausgeber<br />
Stiftung Elternsein,<br />
Seehofstrasse 6, 8008 Zürich<br />
www.elternsein.ch<br />
Präsidentin des Stiftungsrates:<br />
Dr. Ellen Ringier, ellen@ringier.ch,<br />
Tel. 044 400 33 11<br />
(Stiftung Elternsein)<br />
Geschäftsführer: Thomas Schlickenrieder,<br />
ts@fritzundfraenzi.ch, Tel. 044 261 01 01<br />
Redaktion<br />
Nik Niethammer (Chefredaktor),<br />
Evelin Hartmann (stv. Chefredaktorin),<br />
Bianca Fritz (Leitung Online),<br />
Florian Blumer, Claudia Landolt,<br />
Irena Ristic, Florina Schwander, Leo Truniger<br />
redaktion@fritzundfraenzi.ch<br />
Verlag<br />
Fritz+Fränzi, Dufourstrasse 97, 8008 Zürich,<br />
Tel. 044 277 72 62,<br />
info@fritzundfraenzi.ch,<br />
verlag@fritzundfraenzi.ch,<br />
www.fritzundfraenzi.ch<br />
Anzeigenverkauf<br />
Corina Sarasin, Tel. 044 277 72 67,<br />
c.sarasin@fritzundfraenzi.ch<br />
Jacqueline Zygmont, Tel. 044 277 72 65,<br />
j.zygmont@fritzundfraenzi.ch<br />
Anzeigenadministration<br />
Dominique Binder, Tel. 044 277 72 62,<br />
d.binder@fritzundfraenzi.ch,<br />
Art Direction/Produktion<br />
Partner & Partner, Winterthur<br />
Bildredaktion<br />
13 Photo AG, Zürich<br />
Korrektorat<br />
Brunner Medien AG, Kriens<br />
Auflage<br />
(WEMF/SW-beglaubigt <strong>2017</strong>)<br />
total verbreitet 102 108<br />
davon verkauft 24 846<br />
Preis<br />
Jahresabonnement Fr. 68.–<br />
Einzelausgabe Fr. 7.50<br />
iPad pro Ausgabe Fr. 3.–<br />
Abo-Service<br />
Galledia Verlag AG Berneck<br />
Tel. 0800 814 813, Fax 058 344 92 54<br />
abo.fritzundfraenzi@galledia.ch<br />
Für Spenden<br />
Stiftung Elternsein, 8008 Zürich<br />
Postkonto 87-447004-3<br />
IBAN: CH40 0900 0000 8744 7004 3<br />
Inhaltspartner<br />
Institut für Familienforschung und -beratung<br />
der Universität Freiburg / Dachverband Lehrerinnen<br />
und Lehrer Schweiz / Verband Schulleiterinnen und<br />
Schulleiter Schweiz / Jacobs Foundation /<br />
Elternnotruf / Pro Juventute / Interkantonale<br />
Hochschule für Heilpädagogik Zürich /<br />
Schweizerisches Institut für Kinder- und<br />
Jugendmedien<br />
Stiftungspartner<br />
Pro Familia Schweiz / Pädagogische Hochschule<br />
Zürich / Elternbildung CH / Marie-Meierhofer-<br />
Institut für das Kind / Schule und Elternhaus<br />
Schweiz / Schweizerischer Verband<br />
alleinerziehender Mütter und Väter SVAMV /<br />
Kinderlobby Schweiz / kibesuisse Verband<br />
Kinderbetreuung Schweiz<br />
Publireportage<br />
Unser Winter in der SkiArena<br />
Andermatt-Sedrun<br />
Neue Bahnen, neue Pisten und die MATTI KidsArena mit Familienrestaurant erwarten Sie.<br />
Das neue MATTI Familienrestaurant bei der Mittelstation<br />
des Gütsch-Express mit einem grossen Spielbereich.<br />
Copyright: pronatour<br />
Skifahren ab 37 Franken (Kinder ab 13 Franken).<br />
Die Ski-Ticketpreise in der SkiArena Andermatt-Sedrun<br />
sind neu von verschiedenen Faktoren<br />
abhängig. Haupt- oder Nebensaison,<br />
Wochentag, Wetter oder Frühbucher-Bonus<br />
beeinflussen den Preis.<br />
Vom 8. – <strong>12</strong>. und 15. – 19. Januar 2018 gibt es<br />
alle Tageskarten für 10 Franken. Die Skitickets<br />
Viel Spass im Schnee ist in Valtgeva garantiert.<br />
Copyright: Christof Sonderegger<br />
können entweder online unter www.skiarena.ch<br />
oder an den Kassen der SkiArena Andermatt-<br />
Sedrun bezogen werden.<br />
Per Saison 17/18 wird das grösste und modernste<br />
Skigebiet der Zentralschweiz eröffnet.<br />
Neu fahren die Gondeln des Gütsch-Express<br />
und die Sessel-Flyer Lutersee und Schneehüenerstock<br />
in die SkiArena. Die Ski-Verbindung<br />
von Andermatt nach Sedrun steht offen. Der<br />
Andermatter Sonnenhang Nätschen-Gütsch ist<br />
perfekt für spannende Abenteuer im Schnee.<br />
Die ganze Familie vergnügt sich neu an der<br />
Mittelstation Nätschen im Restaurant mit<br />
einem grossen Spielbereich und der «MATTI<br />
Bärenhöhle». Rund um die Mittelstation<br />
entsteht die KidsArena von MATTI – dem<br />
Kinderhelden der Arena-Gang. Ein neues<br />
Schneeparadies für Familien und Kinder mit<br />
Übungshängen und Schneespielplatz.<br />
Neu: Allen Restaurants der SkiArena Andermatt-Sedrun<br />
gemeinsam sind die Wasserquellen<br />
mit dem unentgeltlichen Gotthardwasser<br />
«Our Mountain Water». www.skiarena.ch
Buchtipps<br />
Vorbilder für Rebellinnen<br />
Sie gewann<br />
36 Radrennen<br />
gegen Männer<br />
und bestritt 1924<br />
den Giro d’Italia:<br />
Alfonsina Strada.<br />
Starke Mädchen brauchen starke<br />
Vorbilder. Über ausser gewöhnliche und<br />
mutige Frauen der Weltgeschichte<br />
wie Malala Yousafzai, Frida Kahlo<br />
und viele weitere berichten Biografien<br />
für Kinder und Jugendliche.<br />
Monica Brown /<br />
John Parra: Frida<br />
Kahlo und ihre<br />
Tiere<br />
Frida Kahlo war<br />
eine aussergewöhnliche<br />
Künstlerin. Und sie<br />
hatte einen ganzen Zoo von Tieren.<br />
Das Bilderbuch stellt diese ins<br />
Zentrum und hält sich stilistisch an<br />
die Farbenfülle von Kahlos Bildern<br />
– auch für Grössere ein lehrreicher<br />
Augenschmaus!<br />
NordSüd <strong>2017</strong>, Fr. 20.00,<br />
ab 4 Jahren<br />
Malala Yousafzai /<br />
Patricia McCormick:<br />
Malala. Meine<br />
Geschichte<br />
Die Pakistanerin<br />
Malala Yousafzai<br />
wurde zum Symbol<br />
für das Recht der Mädchen auf<br />
Bildung. Zu sammen mit der<br />
Jugendbuchautorin Patricia<br />
McCormick erzählt sie von ihrem<br />
Weg vom Schulmädchen zur<br />
Friedensnobelpreisträgerin.<br />
Fischer KJB 2014, Fr. <strong>12</strong>.00<br />
(Taschenbuch), ab <strong>12</strong> Jahren<br />
Bilder: zVg<br />
Die Mathematikerin<br />
und Philosophin Hy <br />
patia von Alexandria<br />
lehrte um 400 nach<br />
Christus in Alexandria<br />
Astronomie und entwickelte<br />
neue Theorien zu Geometrie und<br />
Arithmetik. Die Schwestern Mirabal<br />
kämpften in den 1950er-Jahren<br />
gegen die Diktatur in der Dominikanischen<br />
Republik. Die irakische<br />
Architektin Zaha Hadid entwarf<br />
Gebäude, die sich niemand ausser<br />
ihr vorstellen konnte.<br />
Sie alle und viele Frauen aus allen<br />
Weltgegenden und Jahrhunderten<br />
werden im Buch «Good night stories<br />
for rebel girls» porträtiert. «Mädchen<br />
müssen wissen, dass sie auf<br />
ihrem Weg mit Hindernissen rechnen<br />
müssen. Doch sie müssen ebenso<br />
wissen, dass Hindernisse überwunden<br />
werden können», schreiben<br />
die Herausgeberinnen Elena Favilli<br />
und Francesca Cavallo im Vorwort.<br />
Ihre Gutenachtgeschichten über die<br />
rebellischen Frauen sind jeweils nur<br />
eine Seite lang, daneben strahlt eine<br />
ganzseitige Porträtillus tration der<br />
Rebellin, geschaffen von einer von<br />
über 60 Illustratorinnen aus der<br />
ganzen Welt.<br />
Die Vielfalt der vorgestellten<br />
Frauen ist eindrücklich und macht<br />
Mut: So viele Frauen aus der ganzen<br />
Welt und in allen Zeiten haben sich<br />
nicht unterdrücken lassen. Zeit, es<br />
ihnen nachzutun: Dazu lädt das<br />
Buch die jungen Leserinnen auch<br />
gleich ein – zuhinterst ist Platz, um<br />
sich mit der eigenen Geschichte und<br />
dem eigenen Bild zu verewigen.<br />
Elena Favilli /<br />
Francesca<br />
Cavallo: Good<br />
night stories for<br />
rebel girls – 100<br />
aussergewöhnliche<br />
Frauen.<br />
Hanser <strong>2017</strong>,<br />
Fr. 35.00,<br />
ab 11 Jahren<br />
Ute Daenschler /<br />
Kerstin Lücker:<br />
Weltgeschichte für<br />
junge Leserinnen<br />
Für einmal rückt ein<br />
Geschichtsbuch jene<br />
ins Rampenlicht, die<br />
sonst in der Weltgeschichte gerne<br />
vergessen werden: die Frauen. Ein<br />
umfangreicher Schmöker für alle<br />
geschichtsinteressierten Leserinnen<br />
– und Leser!<br />
Kein&Aber <strong>2017</strong>, Fr. 30.00,<br />
ab <strong>12</strong> Jahren<br />
Verfasst von Elisabeth Eggenberger,<br />
Mitarbeiterin des Schweizerischen<br />
Instituts für Kinder- und<br />
Jugendmedien SIKJM.<br />
Auf www.sikjm.ch/rezensionen sind<br />
weitere B uch empfehlungen zu finden.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2017</strong> / Januar 201881
Eine Frage – drei Meinungen<br />
Mein Sohn, 17, macht sich grosse Sorgen, weil er noch keine Freundin hat.<br />
Wie kann ich ihn trösten? Simone, 45, Basel<br />
Nicole Althaus<br />
Dass Ihr 17-jähriger Sohn<br />
sein Liebesleben so ehrlich<br />
vor Ihnen ausbreitet, ist ein<br />
Zeichen grossen Vertrauens.<br />
Es spricht für die Sensibilität,<br />
die Offenheit und das<br />
Kommunikationsvermögen<br />
Ihres Sohnes. Alles wichtige<br />
Voraussetzungen für eine<br />
befriedigende romantische Beziehung. Sagen Sie<br />
Ihrem Sohn das. Erinnern Sie ihn daran, dass es kein<br />
Alter gibt, in dem man den ersten Schatz gehabt haben<br />
muss. Und dass manche junge Männer in seinem<br />
Alter einfach gern und laut mit sexuellen Eroberungen<br />
bluffen, ohne dass dahinter viel mehr als ein<br />
schüchternes Lächeln stecken muss.<br />
Tonia von Gunten<br />
Indem Sie das kleine Kind,<br />
das Ihr Sohn einmal war,<br />
loslassen und danach den<br />
jungen Erwachsenen, der Ihr<br />
Sohn heute ist, willkommen<br />
heissen. Geben Sie ihm die<br />
Zeit, die er dazu braucht. Eine<br />
Freundin für ihn herzaubern<br />
können Sie nicht, doch wenn<br />
er zuhören will, erzählen Sie ihm, wie sich Ihr Leben<br />
mit 17 Jahren angefühlt hat. Besuchen Sie zusammen<br />
einen schönen Ort und spendieren Sie ihm etwas<br />
Süsses. Er kann sich dabei ja schon mal ein bisschen<br />
um sehen ...<br />
Peter Schneider<br />
Ich schätze, gar nicht. Es sei<br />
denn, er bittet Sie um Trost.<br />
Und selbst dann wird Ihr<br />
Trost ihn kaum wirklich<br />
trösten, denn was wollen Sie<br />
ihm auch anderes sagen, als<br />
dass man in diesen Dingen<br />
nichts erzwingen kann und<br />
dass ihm nichts anderes übrig<br />
bleibt, als geduldig allzeit bereit zu sein. Am besten<br />
helfen Sie ihm, indem Sie (im Rahmen Ihrer<br />
Möglichkeiten) ein cooles Mami sind, das ihren Sohn<br />
so erwachsen wie möglich nimmt. Die Attraktivität der<br />
Mütter färbt manchmal auf die Söhne ab.<br />
Nicole Althaus, 48, ist Kolumnistin, Autorin<br />
und Mitglied der Chefredaktion der «NZZ am<br />
Sonntag». Zuvor war sie Chefredaktorin von «wir<br />
eltern» und hat den Mamablog auf «Tagesanzeiger.<br />
ch» initiiert und geleitet. Nicole Althaus ist Mutter<br />
von zwei Kindern, 16 und <strong>12</strong>.<br />
Tonia von Gunten, 44, ist Elterncoach, Pädagogin<br />
und Buchautorin. Sie leitet elternpower.ch, ein<br />
Programm, das frische Energie in die Familien<br />
bringen und Eltern in ihrer Beziehungskompetenz<br />
stärken möchte. Tonia von Gunten ist verheiratet<br />
und Mutter von zwei Kindern, 11 und 8.<br />
Peter Schneider, 59, ist praktizierender<br />
Psychoanalytiker, Autor und SRF-Satiriker («Die<br />
andere Presseschau»). Er lehrt als Privatdozent<br />
für klinische Psychologie an der Uni Zürich und<br />
ist Professor für Entwicklungspsychologie an<br />
der Uni Bremen. Peter Schneider ist Vater eines<br />
erwachsenen Sohnes.<br />
Haben Sie auch eine Frage?<br />
Schreiben Sie eine E-Mail an:<br />
redaktion@fritzundfraenzi.ch<br />
Bilder: Anne Gabriel-Jürgens / 13 Photo, Pino Stranieri, HO<br />
82 Dezember <strong>2017</strong> / Januar 2018 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Mimo verlost<br />
15 Farbstift-Sets von<br />
Caran d’Ache.<br />
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Teilnahmeschluss:<br />
31. Dezember <strong>2017</strong><br />
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