06 Telemedizin in der Schlaganfallversorgung

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Leitthema MedKlinIntensivmedNotfmed2017 ·112:687–694 https://doi.org/10.1007/s00063-017-0344-3 Eingegangen: 11. Juli 2017 Angenommen: 17. August 2017 Online publiziert: 14. September 2017 © Springer Medizin Verlag GmbH 2017 Redaktion S. Schwab, Erlangen M. Köhrmann, Essen L. Breuer · S. Schwab Neurologische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Deutschland Telemedizin in der Schlaganfallversorgung Mit mehr als 15 Mio. Patienten pro Jahr stellt der Schlaganfall weltweit sowohl medizinisch als auch wirtschaftlich eine große Herausforderung dar. Außerhalb der Ballungsräume halten viele Kliniken weder eine Neurologische Abteilung noch eine spezialisierte Stroke-Unit vor, sodass nicht alle Patienten in gleicher Weise von den verfügbaren Schlaganfallakuttherapien profitieren. Telemedizin ermöglicht die rasche Überbrückung großer räumlicher Distanzen und macht neurologische Expertise dort verfügbar, wo sie gerade gebraucht wird. Im Rahmen von Schlaganfallnetzwerken findet die telemedizinische Schlaganfallversorgung bereits breite Anwendung in der Routineversorgung. Nach erfolgreicher Etablierung der telemedizinbasierten Thrombolysetherapie ergibt sich nun mit der Einführung der flächendeckenden mechanischen Thrombektomie eine neue Herausforderung. Telestroke – Geschichtlicher Hintergrund Ausgangssituation Bis Mitte der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts existierte keine zugelassene Therapie des akuten Schlaganfalls. Mit der Zulassung der i. v.-Thrombolysetherapie und dem Nachweis der Wirksamkeit der Behandlung auf einer spezialisierten Stroke-Unit zeigte sich, dass nicht alle Patienten gleichermaßen von diesen Therapien profitierten [21]. Damit ergab sich die Notwendigkeit, die Schlaganfallakuttherapien flächendeckend für alle Patienten verfügbar zu machen. Erste Erfahrungen mit der Thrombolysetherapie zeigten, dass diese in der Hand von Unerfahrenen zu höheren Komplikationsraten führt [16]. Gerade in Flächenstaaten mit ländlichen und medizinisch unterversorgten Regionen bestand außerhalb vonBallungsgebietenhäufigeinMangel an neurologischer/neurovaskulärer Expertise und an spezialisierten Stroke- Units. Auch heute sind die mittlerweile mehr als 300 zertifizierten Stroke- Units in Deutschland nicht gleichmäßig geographisch verteilt (. Abb. 1) und lange Sekundärtransporte zur nächsten regionalen oder überregionalen Stroke- Unit verzögern eine adäquate Diagnostik und Therapie in vielen Fällen. An diesem Punkt setzt das Konzept der telemedizinischen Schlaganfallbehandlung an. Der Begriff „telestroke“ wurde 1999 durch Levine und Gorman geprägt. Diese formulierten damals eine erste Vision zur telemedizinischen Schlaganfallbehandlung von Patienten entfernter Kliniken mittels Videountersuchung und Fernzugriff auf deren Schnittbilder [20]. Technische Verbesserungen, insbesondere die breite Verfügbarkeit eines schnellen Internets mit höheren Bandbreiten, haben diese Entwicklung mit vorangetrieben und überhaupt erst möglich gemacht. Die Behandlung des akuten Schlaganfalls war eine der ersten Anwendungen der Telemedizin, wobei mehrere begünstigende Faktoren dazu beigetragen haben, dass der Schlaganfall heute als Modellerkrankung für die Telemedizin gilt (. Infobox 1). Entstehung telemedizinischer Schlaganfallnetzwerke Anfang der 2000er-Jahre begann die praktische Umsetzung des Konzepts der Telemedizin in der Schlaganfallbehandlung [28]. Mit dem telemedizinischen Projekt zur integrierten Schlaganfallversorgung in der Region Süd-Ost- Bayern (TEMPiS) und der Telemedizin für Schlaganfall in Schwaben (TESS) entstanden in den Jahren 2002 und 2003 die ersten größeren deutschen telemedizinischen Schlaganfallnetzwerke [1, 32]. Seither wurde nicht nur in Deutschland, sondern weltweit eine Vielzahl solcher Netzwerke gegründet. » Weltweit wurde eine Vielzahl telemedizinischer Schlaganfallnetzwerke gegründet So gab es im Jahr 2009 bereits 56 Telestroke-Netzwerke in den USA [29]. Es haben sich verschiedene Modelle entwickelt, die entweder einer rein teleneurologischen Beratung entsprechen, der alleinigen Steigerung der Thrombolyserate dienen oder auf der Integration der TelemedizinineinneurovaskuläresNetzwerk basieren. Neben kommerziellen Telekonsildienstanbietern hat sich vielerorts v. a. das sog. „Hub-and-spoke-Modell“ in der Praxis durchgesetzt. Dabei bieten ein oder mehrere Schlaganfallzentren („hubs“) innerhalb ihres Einzugsgebiets einen Telekonsilservice für mehrere telemedizinisch angeschlossene Kliniken („spokes“) an. Derzeit gibt Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 8 · 2017 687

Leitthema<br />

MedKl<strong>in</strong>IntensivmedNotfmed2017 ·112:687–694<br />

https://doi.org/10.1007/s00<strong>06</strong>3-017-0344-3<br />

E<strong>in</strong>gegangen: 11. Juli 2017<br />

Angenommen: 17. August 2017<br />

Onl<strong>in</strong>e publiziert: 14. September 2017<br />

© Spr<strong>in</strong>ger Mediz<strong>in</strong> Verlag GmbH 2017<br />

Redaktion<br />

S. Schwab, Erlangen<br />

M. Köhrmann, Essen<br />

L. Breuer · S. Schwab<br />

Neurologische Kl<strong>in</strong>ik, Universitätskl<strong>in</strong>ikum Erlangen, Erlangen, Deutschland<br />

<strong>Telemediz<strong>in</strong></strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Schlaganfallversorgung</strong><br />

Mit mehr als 15 Mio. Patienten pro Jahr<br />

stellt <strong>der</strong> Schlaganfall weltweit sowohl<br />

mediz<strong>in</strong>isch als auch wirtschaftlich e<strong>in</strong>e<br />

große Herausfor<strong>der</strong>ung dar. Außerhalb<br />

<strong>der</strong> Ballungsräume halten viele Kl<strong>in</strong>iken<br />

we<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Neurologische Abteilung<br />

noch e<strong>in</strong>e spezialisierte Stroke-Unit vor,<br />

sodass nicht alle Patienten <strong>in</strong> gleicher<br />

Weise von den verfügbaren Schlaganfallakuttherapien<br />

profitieren. <strong>Telemediz<strong>in</strong></strong><br />

ermöglicht die rasche Überbrückung<br />

großer räumlicher Distanzen und macht<br />

neurologische Expertise dort verfügbar,<br />

wo sie gerade gebraucht wird. Im Rahmen<br />

von Schlaganfallnetzwerken f<strong>in</strong>det<br />

die telemediz<strong>in</strong>ische <strong>Schlaganfallversorgung</strong><br />

bereits breite Anwendung <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Rout<strong>in</strong>eversorgung. Nach erfolgreicher<br />

Etablierung <strong>der</strong> telemediz<strong>in</strong>basierten<br />

Thrombolysetherapie ergibt sich nun<br />

mit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> flächendeckenden<br />

mechanischen Thrombektomie e<strong>in</strong>e<br />

neue Herausfor<strong>der</strong>ung.<br />

Telestroke – Geschichtlicher<br />

H<strong>in</strong>tergrund<br />

Ausgangssituation<br />

Bis Mitte <strong>der</strong> 90er-Jahre des letzten<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts existierte ke<strong>in</strong>e zugelassene<br />

Therapie des akuten Schlaganfalls.<br />

Mit <strong>der</strong> Zulassung <strong>der</strong> i. v.-Thrombolysetherapie<br />

und dem Nachweis <strong>der</strong><br />

Wirksamkeit <strong>der</strong> Behandlung auf e<strong>in</strong>er<br />

spezialisierten Stroke-Unit zeigte sich,<br />

dass nicht alle Patienten gleichermaßen<br />

von diesen Therapien profitierten<br />

[21]. Damit ergab sich die Notwendigkeit,<br />

die Schlaganfallakuttherapien<br />

flächendeckend für alle Patienten verfügbar<br />

zu machen. Erste Erfahrungen<br />

mit <strong>der</strong> Thrombolysetherapie zeigten,<br />

dass diese <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hand von Unerfahrenen<br />

zu höheren Komplikationsraten<br />

führt [16]. Gerade <strong>in</strong> Flächenstaaten<br />

mit ländlichen und mediz<strong>in</strong>isch unterversorgten<br />

Regionen bestand außerhalb<br />

vonBallungsgebietenhäufige<strong>in</strong>Mangel<br />

an neurologischer/neurovaskulärer<br />

Expertise und an spezialisierten Stroke-<br />

Units. Auch heute s<strong>in</strong>d die mittlerweile<br />

mehr als 300 zertifizierten Stroke-<br />

Units <strong>in</strong> Deutschland nicht gleichmäßig<br />

geographisch verteilt (. Abb. 1) und<br />

lange Sekundärtransporte zur nächsten<br />

regionalen o<strong>der</strong> überregionalen Stroke-<br />

Unit verzögern e<strong>in</strong>e adäquate Diagnostik<br />

und Therapie <strong>in</strong> vielen Fällen. An<br />

diesem Punkt setzt das Konzept <strong>der</strong> telemediz<strong>in</strong>ischen<br />

Schlaganfallbehandlung<br />

an. Der Begriff „telestroke“ wurde 1999<br />

durch Lev<strong>in</strong>e und Gorman geprägt.<br />

Diese formulierten damals e<strong>in</strong>e erste<br />

Vision zur telemediz<strong>in</strong>ischen Schlaganfallbehandlung<br />

von Patienten entfernter<br />

Kl<strong>in</strong>iken mittels Videountersuchung<br />

und Fernzugriff auf <strong>der</strong>en Schnittbil<strong>der</strong><br />

[20]. Technische Verbesserungen,<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die breite Verfügbarkeit<br />

e<strong>in</strong>es schnellen Internets mit höheren<br />

Bandbreiten, haben diese Entwicklung<br />

mit vorangetrieben und überhaupt erst<br />

möglich gemacht. Die Behandlung des<br />

akuten Schlaganfalls war e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> ersten<br />

Anwendungen <strong>der</strong> <strong>Telemediz<strong>in</strong></strong>, wobei<br />

mehrere begünstigende Faktoren dazu<br />

beigetragen haben, dass <strong>der</strong> Schlaganfall<br />

heute als Modellerkrankung für die<br />

<strong>Telemediz<strong>in</strong></strong> gilt (. Infobox 1).<br />

Entstehung telemediz<strong>in</strong>ischer<br />

Schlaganfallnetzwerke<br />

Anfang <strong>der</strong> 2000er-Jahre begann die<br />

praktische Umsetzung des Konzepts <strong>der</strong><br />

<strong>Telemediz<strong>in</strong></strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schlaganfallbehandlung<br />

[28]. Mit dem telemediz<strong>in</strong>ischen<br />

Projekt zur <strong>in</strong>tegrierten <strong>Schlaganfallversorgung</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Region Süd-Ost-<br />

Bayern (TEMPiS) und <strong>der</strong> <strong>Telemediz<strong>in</strong></strong><br />

für Schlaganfall <strong>in</strong> Schwaben (TESS)<br />

entstanden <strong>in</strong> den Jahren 2002 und 2003<br />

die ersten größeren deutschen telemediz<strong>in</strong>ischen<br />

Schlaganfallnetzwerke [1, 32].<br />

Seither wurde nicht nur <strong>in</strong> Deutschland,<br />

son<strong>der</strong>n weltweit e<strong>in</strong>e Vielzahl solcher<br />

Netzwerke gegründet.<br />

» Weltweit wurde e<strong>in</strong>e<br />

Vielzahl telemediz<strong>in</strong>ischer<br />

Schlaganfallnetzwerke<br />

gegründet<br />

So gab es im Jahr 2009 bereits 56 Telestroke-Netzwerke<br />

<strong>in</strong> den USA [29]. Es<br />

haben sich verschiedene Modelle entwickelt,<br />

die entwe<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er re<strong>in</strong> teleneurologischen<br />

Beratung entsprechen, <strong>der</strong><br />

alle<strong>in</strong>igen Steigerung <strong>der</strong> Thrombolyserate<br />

dienen o<strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Integration <strong>der</strong><br />

<strong>Telemediz<strong>in</strong></strong><strong>in</strong>e<strong>in</strong>neurovaskuläresNetzwerk<br />

basieren. Neben kommerziellen Telekonsildienstanbietern<br />

hat sich vielerorts<br />

v. a. das sog. „Hub-and-spoke-Modell“<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxis durchgesetzt. Dabei<br />

bieten e<strong>in</strong> o<strong>der</strong> mehrere Schlaganfallzentren<br />

(„hubs“) <strong>in</strong>nerhalb ihres E<strong>in</strong>zugsgebiets<br />

e<strong>in</strong>en Telekonsilservice für<br />

mehrere telemediz<strong>in</strong>isch angeschlossene<br />

Kl<strong>in</strong>iken („spokes“) an. Derzeit gibt<br />

Mediz<strong>in</strong>ische Kl<strong>in</strong>ik - Intensivmediz<strong>in</strong> und Notfallmediz<strong>in</strong> 8 · 2017 687


Leitthema<br />

Abb. 1 8 Durch die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) zertifizierte Stroke-Units <strong>in</strong> Deutschland(Stand:Juli<br />

2016;Quelle:StiftungDeutsche Schlaganfall-Hilfe).Ergänzung<strong>der</strong>telemediz<strong>in</strong>ischen<br />

Schlaganfallnetzwerke durch L. Breuer. Es besteht ke<strong>in</strong> Anspruch auf Vollständigkeit; das län<strong>der</strong>übergreifende<br />

HELIOS Neuronet ist aus Übersichtsgründen nicht dargestellt. RoterKreis regionale Stroke-<br />

Units, Grünes Quadrat überregionale Stroke-Units, Blaues Kreuz telemediz<strong>in</strong>isch vernetzte Stroke-<br />

Units, NEVAS neurovaskuläres Versorgungsnetzwerk, SATELIT Schlaganfall <strong>Telemediz<strong>in</strong></strong> <strong>in</strong> Thür<strong>in</strong>gen,<br />

SOS-NET <strong>Schlaganfallversorgung</strong> <strong>in</strong> Ost- Sachsen Netzwerk, STENO Schlaganfallnetzwerk mit <strong>Telemediz<strong>in</strong></strong><strong>in</strong>Nordbayern,TASC<br />

Telemedical Acute Stroke Care, TEMES-RLP telemediz<strong>in</strong>isches Schlaganfallnetzwerk<br />

Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz, TEMPiS telemediz<strong>in</strong>isches Projekt zur <strong>in</strong>tegrierten <strong>Schlaganfallversorgung</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Region Süd-Ost-Bayern, TESAURUS <strong>Telemediz<strong>in</strong></strong>-Arbeitsplatz Schlaganfall-Netzwerk,TESSA telemediz<strong>in</strong>isches<br />

Schlaganfallnetzwerk Nordwestsachsen, TNS-NET teleneuromediz<strong>in</strong>ische Schlaganfallnetzwerk,<br />

TRANSIT transregionales Netzwerk für Schlaganfall<strong>in</strong>tervention mit <strong>Telemediz<strong>in</strong></strong>. (Mit<br />

freundl. Genehmigung <strong>der</strong> Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe)<br />

es deutschlandweit m<strong>in</strong>destens 15 aktive<br />

telemediz<strong>in</strong>ische Schlaganfallnetzwerke<br />

(. Abb. 1).<br />

<strong>Telemediz<strong>in</strong></strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Rout<strong>in</strong>eversorgung<br />

Viele Aspekte <strong>der</strong> telemediz<strong>in</strong>ischen<br />

<strong>Schlaganfallversorgung</strong> s<strong>in</strong>d bereits kl<strong>in</strong>ische<br />

Rout<strong>in</strong>e. Dies betrifft nicht nur<br />

den mittlerweile selbstverständlichen<br />

Eisatz <strong>der</strong> entsprechenden Technik, son<strong>der</strong>n<br />

u. a. auch das Konzept <strong>der</strong> Telethrombolyse<br />

und <strong>der</strong> Telestroke-Units.<br />

Der E<strong>in</strong>satz <strong>der</strong> <strong>Telemediz<strong>in</strong></strong> ermöglicht<br />

dem Fernuntersucher e<strong>in</strong>e schnelle diagnostische<br />

E<strong>in</strong>ordnung <strong>der</strong> kl<strong>in</strong>ischen<br />

Symptomatik. E<strong>in</strong> Telekonsil basiert<br />

dabei im Wesentlichen auf 3 Säulen:<br />

1. Audio-/Videountersuchung: Per Videokonsil<br />

kann <strong>der</strong> Fernuntersucher<br />

mit dem Patienten und den ärztlichen<br />

Kollegen <strong>der</strong> telemediz<strong>in</strong>isch<br />

angebundenen Kl<strong>in</strong>ik direkt <strong>in</strong> Kontakt<br />

treten. Er erhält so sämtliche<br />

Informationen aus erster Hand. In<br />

Zusammenarbeit mit den Kollegen<br />

vor Ort erfolgen e<strong>in</strong>e Anamnese<br />

und e<strong>in</strong>e standardisierte neurologische<br />

Untersuchung des Patienten <strong>in</strong><br />

Echtzeit (. Abb. 2 und 3).<br />

2. Digitale Übertragung und Beurteilung<br />

externer Schnittbil<strong>der</strong>: Die extern<br />

angefertigten Schnittbil<strong>der</strong> (kraniale<br />

Computertomographie [cCT]/CT-<br />

Angiographie, kraniale Magnetresonanztomographie<br />

[cMRT]) werden<br />

im Digital-imag<strong>in</strong>g-and-commu-<br />

nications-<strong>in</strong>-medic<strong>in</strong>e(DICOM)-<br />

Format telemediz<strong>in</strong>isch an den Fernuntersucher<br />

übermittelt, von diesem<br />

e<strong>in</strong>gesehen und umgehend bewertet.<br />

3. Telekonsildokumentation: Nach Abschluss<br />

des Telekonsils erfolgen e<strong>in</strong>e<br />

schriftliche Dokumentation sowie<br />

die elektronische Übermittlung <strong>der</strong><br />

Therapieempfehlung an die konsilanfor<strong>der</strong>nde<br />

Kl<strong>in</strong>ik.<br />

Trotz räumlicher Entfernung des PatientenkanndieIndikationfürspezielleTherapien(z.B.i.v.-Thrombolyse)soschnell<br />

gestellt und die Behandlung rasch begonnen<br />

werden. Das Motto lautet: „Expertise<br />

zum Patienten anstatt den Patienten zum<br />

Experten br<strong>in</strong>gen.“<br />

Konzept <strong>der</strong> Telestroke-Units<br />

Als beson<strong>der</strong>s erfolgreich hat sich <strong>in</strong><br />

Deutschland die Integration <strong>der</strong> konsiliarischen<br />

<strong>Telemediz<strong>in</strong></strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Stroke-<br />

Unit-System <strong>in</strong>nerhalb von Schlaganfallnetzwerken<br />

erwiesen [3, 5, 7, 9].<br />

Dieses Konzept geht weit über e<strong>in</strong>en<br />

re<strong>in</strong>en Telekonsildienst h<strong>in</strong>aus. Kernelement<br />

ist die Etablierung lokaler Stroke-<br />

688 Mediz<strong>in</strong>ische Kl<strong>in</strong>ik - Intensivmediz<strong>in</strong> und Notfallmediz<strong>in</strong> 8 · 2017


Zusammenfassung · Abstract<br />

Units <strong>in</strong> den telemediz<strong>in</strong>isch angebundenen<br />

Netzwerkkl<strong>in</strong>iken mit e<strong>in</strong>em auf<br />

den Schlaganfall spezialisierten Team<br />

aus Ärzten, Pflegekräften und Therapeuten<br />

(Physiotherapie, Ergotherapie,<br />

Logopädie). Es erfolgen dort e<strong>in</strong> regelmäßiges<br />

Monitor<strong>in</strong>g des neurologischen<br />

Patientenstatus und <strong>der</strong> Vitalparameter;<br />

Computertomographie (CT) und CT-<br />

Angiographie s<strong>in</strong>d rund um die Uhr verfügbar.<br />

Regelmäßige Schulungen aller<br />

an <strong>der</strong> Schlaganfallbehandlung beteiligten<br />

Berufsgruppen s<strong>in</strong>d dabei essenziell.<br />

Meist s<strong>in</strong>d mehrere Telestroke-Units <strong>in</strong>nerhalb<br />

e<strong>in</strong>es Netzwerks an e<strong>in</strong>e o<strong>der</strong><br />

mehrere überregionale Stroke-Units angeschlossen,<br />

die als Beratungszentren<br />

fungieren. Dort stehen spezialisierte<br />

vaskuläre Neurologen rund um die Uhr<br />

beratend zur Verfügung, wenn entsprechende<br />

Expertise vor Ort nicht verfügbar<br />

ist. Das Telestroke-Unit-Konzept stärkt<br />

dielokaleInfrastrukturun<strong>der</strong>möglicht<br />

so e<strong>in</strong>e heimatnahe qualifizierte Versorgung<br />

<strong>der</strong> meisten Schlaganfallpatienten.<br />

» In Telestroke-Units<br />

behandelte Patienten haben<br />

signifikant seltener e<strong>in</strong> schlechtes<br />

Outcome<br />

Med Kl<strong>in</strong> Intensivmed Notfmed 2017 · 112:687–694<br />

https://doi.org/10.1007/s00<strong>06</strong>3-017-0344-3<br />

© Spr<strong>in</strong>ger Mediz<strong>in</strong> Verlag GmbH 2017<br />

L. Breuer · S. Schwab<br />

<strong>Telemediz<strong>in</strong></strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schlaganfallversorgung</strong><br />

Zusammenfassung<br />

<strong>Telemediz<strong>in</strong></strong> wird bereits <strong>in</strong> vielen Schlaganfallnetzwerken<br />

e<strong>in</strong>gesetzt und gewährleistet<br />

e<strong>in</strong>e heimatnahe <strong>Schlaganfallversorgung</strong><br />

auch <strong>in</strong> ländlichen, mediz<strong>in</strong>isch unterversorgten<br />

Regionen. Dies gel<strong>in</strong>gt <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

dort, wo die <strong>Telemediz<strong>in</strong></strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Stroke-Unit-<br />

Konzept <strong>in</strong>tegriert ist. Die telemediz<strong>in</strong>basierte<br />

Thrombolyse gehört bereits seit vielen Jahren<br />

zur Rout<strong>in</strong>e. Neue Herausfor<strong>der</strong>ungen für<br />

telemediz<strong>in</strong>ische Schlaganfallnetzwerke<br />

ergeben sich mit <strong>der</strong> Implementierung<br />

<strong>der</strong> flächendeckenden mechanischen<br />

Thrombektomie und den damit verbundenen<br />

Telemedic<strong>in</strong>e <strong>in</strong> stroke care<br />

Abstract<br />

Telemedic<strong>in</strong>e is already widely used <strong>in</strong> many<br />

telestroke networks and ensures stroke<br />

treatment close to the patient’s home <strong>in</strong> rural<br />

and medically un<strong>der</strong>served areas. This is<br />

particularly effective when telemedic<strong>in</strong>e is<br />

<strong>in</strong>tegrated <strong>in</strong>to a stroke unit concept. While<br />

telemedically based thrombolysis therapy<br />

has become rout<strong>in</strong>e practice for many years,<br />

practical implementation of comprehensive<br />

mechanical thrombectomy and the related<br />

Prozessen. Wichtige Aufgaben für die<br />

Zukunft stellen zudem die Entwicklung e<strong>in</strong>er<br />

strukturierten Schlaganfallnachsorge <strong>in</strong><br />

neurologisch unterversorgten Gebieten sowie<br />

die dauerhafte Sicherung e<strong>in</strong>er gleichmäßig<br />

hohen Schlaganfallbehandlungsqualität<br />

<strong>in</strong> den telemediz<strong>in</strong>isch angeschlossenen<br />

Kl<strong>in</strong>iken dar.<br />

Schlüsselwörter<br />

Schlaganfall · Thrombektomie · Thrombolyse ·<br />

Qualitätsmanagement· Nachsorge<br />

processes rema<strong>in</strong>s challeng<strong>in</strong>g. The ma<strong>in</strong><br />

tasks for the future further <strong>in</strong>clude development<br />

of a structured stroke aftercare system<br />

<strong>in</strong> neurologically un<strong>der</strong>served areas and<br />

permanent assurance of high-quality stroke<br />

care <strong>in</strong> telemedically connected sites.<br />

Keywords<br />

Cerebral stroke · Thrombectomy · Thrombolysis<br />

· Quality management · Aftercare<br />

Bereits im Jahr 20<strong>06</strong> wurde gezeigt, dass<br />

<strong>in</strong> Telestroke-Units behandelte Patienten<br />

signifikant seltener e<strong>in</strong> schlechtes<br />

Outcome hatten als die Patienten aus<br />

Vergleichskl<strong>in</strong>iken ohne telemediz<strong>in</strong>ische<br />

Anb<strong>in</strong>dung [3]. Mit <strong>der</strong> Maßnahme<br />

gemäß Operationen- und Prozedurenschlüssel<br />

(OPS) 8-98b (an<strong>der</strong>e neurologische<br />

Komplexbehandlung des akuten<br />

Schlaganfalls)bzw.<strong>der</strong>OPS8-98b.01(mit<br />

Anwendung e<strong>in</strong>es Telekonsildiensts)<br />

wurde <strong>der</strong> Rahmen geschaffen, die telemediz<strong>in</strong>ische<br />

Schlaganfallbehandlung<br />

im System <strong>der</strong> diagnosebezogenen Fallgruppen<br />

(DRG) abzubilden [11]. Dies<br />

wird bereits <strong>in</strong> mehreren größeren telemediz<strong>in</strong>ischen<br />

Schlaganfallnetzwerken<br />

<strong>in</strong> Bayern, Baden-Württemberg, Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz,<br />

Sachsen und Thür<strong>in</strong>gen umgesetzt.<br />

Telethrombolyse<br />

E<strong>in</strong> zentrales Ziel war die Steigerung <strong>der</strong><br />

i. v.-Thrombolyseraten <strong>in</strong> neurologisch<br />

unterversorgten Gebieten. Dies konnte<br />

mithilfe <strong>der</strong> <strong>Telemediz<strong>in</strong></strong> bereits <strong>in</strong> vielen<br />

Schlaganfallnetzwerken erreicht werden<br />

[1, 9, 23–26]. Die Indikation für e<strong>in</strong>e<br />

Thrombolysetherapie kann durch e<strong>in</strong>en<br />

neurovaskulär erfahrenen Neurologen<br />

imRahmene<strong>in</strong>erVideokonferenzgenauso<br />

sorgfältig gestellt werden wie vor Ort.<br />

Die Qualität des so erhobenen Scores gemäß<br />

National Institute of Health Stroke<br />

Scale (NIHSS) ist vergleichbar mit e<strong>in</strong>er<br />

Untersuchung am Bett [13]. Die per<br />

Fernuntersuchung <strong>in</strong>dizierte und <strong>in</strong> den<br />

jeweiligen Schlaganfallzentren durchgeführte<br />

Thrombolyse ist mit vergleichbar<br />

niedrigen Raten an <strong>in</strong>trazerebralen Blutungen<br />

(ICB; [2, 23, 25–27]) assoziiert<br />

und zeigte e<strong>in</strong> vergleichbares kl<strong>in</strong>isches<br />

Outcome [2, 3, 25–27]. Dies bestätigt<br />

auch e<strong>in</strong>e Metaanalyse aus dem Jahr<br />

2016, die <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e für das 3 h-Zeitfenster<br />

ke<strong>in</strong>e signifikanten Unterschiede<br />

bezüglich <strong>der</strong> symptomatischen <strong>in</strong>trakraniellen<br />

Blutungsraten, <strong>der</strong> Mortalität<br />

und <strong>der</strong> funktionalen Unabhängigkeit<br />

nach 3 Monaten fand [19]. Zur telemediz<strong>in</strong>isch<br />

e<strong>in</strong>geleiteten Thrombolysetherapie<br />

liegen <strong>der</strong>zeit für das 3 h- bis 4,5 h-<br />

Zeitfenster kaum prospektive Daten vor.<br />

Sekundärverlegungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />

Schlaganfallzentrum<br />

Mittels Telekonsil kann zudem rasch<br />

e<strong>in</strong>e klare Entscheidung darüber getroffen<br />

werden, ob e<strong>in</strong> Patient <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

telemediz<strong>in</strong>isch angebundenen Kl<strong>in</strong>ik<br />

weiter behandelt werden kann o<strong>der</strong> ob<br />

für die weitere Diagnostik und Therapie<br />

e<strong>in</strong>e Verlegung <strong>in</strong> e<strong>in</strong> maximalversor-<br />

Mediz<strong>in</strong>ische Kl<strong>in</strong>ik - Intensivmediz<strong>in</strong> und Notfallmediz<strong>in</strong> 8 · 2017 689


Leitthema<br />

Infobox 1 Der Schlaganfall<br />

als Modellerkrankung für die<br />

<strong>Telemediz<strong>in</strong></strong><br />

Begünstigende Faktoren für den E<strong>in</strong>satz <strong>der</strong><br />

<strong>Telemediz<strong>in</strong></strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schlaganfallversorgung</strong>:<br />

4 Der Schlaganfall hat e<strong>in</strong>e hohe Inzidenz<br />

und weite geographische Verbreitung.<br />

4 Die Therapie des akuten Schlaganfalls ist<br />

extrem zeitkritisch.<br />

4 Neurovaskulär erfahrene Neurologen s<strong>in</strong>d<br />

vielerorts nicht verfügbar.<br />

4 Mittlerweile gibt es mehrere evidenzbasierte<br />

Therapien zur Behandlung des<br />

akuten Schlaganfalls, von denen alle<br />

Schlaganfallpatienten gleichermaßen<br />

profitieren sollen:<br />

jBehandlung auf e<strong>in</strong>er spezialisierten<br />

Stroke-Unit,<br />

ji. v.-Thrombolysetherapie,<br />

jmechanische Thrombektomie,<br />

jHemikraniektomie.<br />

4 E<strong>in</strong>e schnelle und standardisierte<br />

Erfassung kl<strong>in</strong>isch-neurologischer<br />

Defizite ist mithilfe des NIHSS-Scores<br />

(National Institute of Health Stroke<br />

Scale) sowohl via <strong>Telemediz<strong>in</strong></strong> als auch<br />

für nichtneurologische Kollegen <strong>der</strong><br />

telemediz<strong>in</strong>isch angeschlossenen Kl<strong>in</strong>iken<br />

vor Ort möglich.<br />

4 Unter telemediz<strong>in</strong>ischer Anleitung e<strong>in</strong>es<br />

neurovaskulär erfahrenen Neurologen ist<br />

e<strong>in</strong>e systemische Thrombolysetherapie<br />

auch <strong>in</strong> Kl<strong>in</strong>iken ohne dauerhafte<br />

neurologische Vor-Ort-Expertise sicher<br />

durchführbar.<br />

4 Die telemediz<strong>in</strong>ische Untersuchung<br />

bietet e<strong>in</strong>e gute Möglichkeit, Patienten<br />

zu identifizieren, die für e<strong>in</strong>e erweiterte<br />

Diagnostik o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e spezielle Therapie<br />

aus e<strong>in</strong>er telemediz<strong>in</strong>isch angebundenen<br />

Kl<strong>in</strong>ik <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Schlaganfallzentrum verlegt<br />

werden müssen.<br />

gendes Schlaganfallzentrum <strong>in</strong>diziert<br />

ist. Diese Form <strong>der</strong> Triage birgt mehrere<br />

Vorteile. Komplexe Fälle, die e<strong>in</strong>er<br />

erweiterten Diagnostik und Therapie bedürfen,<br />

können mit hoher Trennschärfe<br />

rasch erkannt, <strong>in</strong> e<strong>in</strong> spezialisiertes Zentrum<br />

verlegt und dort e<strong>in</strong>er geeigneten<br />

Therapie zugeführt werden.<br />

Daten aus dem Schlaganfallnetzwerk<br />

mit <strong>Telemediz<strong>in</strong></strong> <strong>in</strong> Nordbayern (STE-<br />

NO) zeigen e<strong>in</strong>e seit mehreren Jahren<br />

mit etwa 12 % konstant niedrige Verlegungsrate<br />

(. Abb. 4). Im Umkehrschluss<br />

kann e<strong>in</strong> Großteil <strong>der</strong> Patienten heimatnahversorgtwerden.Im<br />

Falle<strong>in</strong>ersekundären<br />

neurologischen Verschlechterung<br />

kann bei Bedarf je<strong>der</strong>zeit e<strong>in</strong> Retelekonsil<br />

erfolgen. Zeitraubende, teils belastende,<br />

unnötige und teure Transporte werden<br />

vermieden.<strong>Telemediz<strong>in</strong></strong>trägtsodazubei,<br />

Ressourcen zu sparen und Spezialkompetenzen<br />

<strong>der</strong> Zentren s<strong>in</strong>nvoll zu bündeln<br />

und gezielt dort e<strong>in</strong>zusetzen, wo sie<br />

gebraucht werden. Dies gilt <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

für erweiterte diagnostische Maßnahmen<br />

und Interventionen wie die mechanische<br />

Thrombektomie.<br />

Aktuelle Entwicklungen und<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

Mit Implementierung <strong>der</strong> Technik und<br />

e<strong>in</strong>er Vielzahl bereits <strong>in</strong> die kl<strong>in</strong>ische<br />

Rout<strong>in</strong>eversorgung übergegangener ProjekteistdiePionierphase<strong>der</strong>telemediz<strong>in</strong>ischen<br />

<strong>Schlaganfallversorgung</strong> weitgehend<br />

abgeschlossen. Der bisherige<br />

Fokus lag dabei auf <strong>der</strong> akuten Schlaganfallbehandlung.<br />

Nach <strong>der</strong> erfolgreichen<br />

Etablierung <strong>der</strong> seit vielen Jahren<br />

praktizierten Telethrombolyse ergeben<br />

sich nun neue Herausfor<strong>der</strong>ungen. Aufgrund<br />

<strong>der</strong> überwältigenden Evidenz für<br />

die mechanische Thrombektomie [12]<br />

rückt <strong>der</strong>en flächendeckende Implementierung<br />

seit dem Jahr 2015 immer mehr<br />

<strong>in</strong> den Fokus. Außerhalb <strong>der</strong> Ballungsräume<br />

und <strong>in</strong> weniger dicht besiedelten<br />

Flächenstaaten bietet sich hierfür <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>satz <strong>der</strong> <strong>Telemediz<strong>in</strong></strong> an. Die Identifizierung<br />

potenzieller Thrombektomiekandidaten<br />

und die Organisation ihrer<br />

schnellstmöglichen Versorgung stellen<br />

dabei e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

für telemediz<strong>in</strong>ische Netzwerke dar. Dies<br />

hat zu e<strong>in</strong>er zunehmenden Komplexität<br />

<strong>der</strong> notwendigen Abläufe geführt.<br />

Identifizierung potenzieller<br />

Thrombektomiekandidaten<br />

Die telekonsiliarische i. v.-Lyse erfor<strong>der</strong>t<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel nur e<strong>in</strong> Nativ-CT<br />

und kann von den Ärzten <strong>der</strong> telemediz<strong>in</strong>isch<br />

angebundenen Kl<strong>in</strong>iken selbst<br />

durchgeführt werden. Demgegenüber<br />

erfor<strong>der</strong>t die Organisation <strong>der</strong> mechanischen<br />

Thrombektomie deutlich mehr<br />

Ressourcen. Diese müssen zudem rund<br />

um die Uhr vorgehalten werden, obwohl<br />

diese Therapie nur für e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en<br />

Teil <strong>der</strong> Schlaganfallpatienten <strong>in</strong>frage<br />

kommt [8]. Konkret erfor<strong>der</strong>t dies<br />

sowohl e<strong>in</strong>e stärkere E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung <strong>der</strong> Radiologie<br />

und Anästhesie als auch bessere<br />

neurologische Kenntnisse <strong>der</strong> telekonsilanfor<strong>der</strong>nden<br />

Ärzte. Zum Nachweis<br />

e<strong>in</strong>es proximalen Gefäßverschlusses ist<br />

zusätzlich zum nativen CT m<strong>in</strong>destens<br />

e<strong>in</strong>e Gefäßdarstellung (meist CT-Angiographie)<br />

nötig. Diese muss schnell<br />

und technisch gut durchgeführt sowie<br />

rasch befundet werden. Letzteres kann<br />

entwe<strong>der</strong> durch die Radiologie vor Ort<br />

o<strong>der</strong> telekonsiliarisch/teleradiologisch<br />

erfolgen.<br />

» Die Implementierung <strong>der</strong><br />

Thrombektomie erfor<strong>der</strong>t e<strong>in</strong>e<br />

zusätzliche Diagnostik und<br />

erweitertes Wissen<br />

Um zu erkennen, welcher Patient potenziell<br />

für e<strong>in</strong>e mechanische Thrombektomie<br />

<strong>in</strong>frage kommt bzw. überhaupt e<strong>in</strong>e<br />

zusätzliche Gefäßdarstellung bekommen<br />

soll, muss <strong>der</strong> Arzt vor Ort selbst<br />

e<strong>in</strong>e vere<strong>in</strong>fachte neurologische Untersuchung<br />

(z.B. <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es NIHSS-<br />

Scores) durchführen und bestimmte<br />

Cut-off-Werte erkennen können [15].<br />

Aufgrund des <strong>in</strong> Notfallambulanzen üblichen<br />

Schichtbetriebs und <strong>der</strong> Personalfluktuation<br />

muss <strong>in</strong> je<strong>der</strong> telemediz<strong>in</strong>isch<br />

angeschlossenen Kl<strong>in</strong>ik regelmäßig e<strong>in</strong>e<br />

Vielzahl von Ärzten geschult werden.<br />

Erschwerend für die Entwicklung e<strong>in</strong>er<br />

Rout<strong>in</strong>e kommt h<strong>in</strong>zu, dass die absolute<br />

Zahl potenzieller Thrombektomiekandidaten<strong>in</strong>kle<strong>in</strong>erenKl<strong>in</strong>ikenmit<br />

niedrigen<br />

Gesamtfallzahlen sehr ger<strong>in</strong>g ausfällt.<br />

Praktische Organisation <strong>der</strong><br />

Thrombektomie<br />

S<strong>in</strong>d die Patienten für e<strong>in</strong>e mechanische<br />

Thrombektomie identifiziert, stellt sich<br />

die Frage, wie diese im <strong>in</strong>dividuellen Fall<br />

am schnellsten durchgeführt werden<br />

kann. Die wenigsten <strong>der</strong> telemediz<strong>in</strong>isch<br />

angebundenen Kl<strong>in</strong>iken halten dafür<br />

rund um die Uhr Interventionsmöglichkeiten<br />

vor. Grundsätzlich ergeben sich 2<br />

Herangehensweisen.<br />

1. Zentrales Versorgungskonzept. Nach<br />

Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> i. v.-Lyse <strong>in</strong> <strong>der</strong> telemediz<strong>in</strong>isch<br />

angeschlossenen Kl<strong>in</strong>ik (bei<br />

690 Mediz<strong>in</strong>ische Kl<strong>in</strong>ik - Intensivmediz<strong>in</strong> und Notfallmediz<strong>in</strong> 8 · 2017


Abb. 2 8 Durchführung e<strong>in</strong>er Videountersuchung im Schlaganfallzentrum<br />

<strong>der</strong>NeurologischenKl<strong>in</strong>ik,Universitätskl<strong>in</strong>ikumErlangen(Schlaganfallnetzwerk<br />

mit <strong>Telemediz<strong>in</strong></strong> <strong>in</strong> Nordbayern, STENO). (© Mit freundl. Genehmigung<br />

von L. Breuer 2017, „all rights reserved“)<br />

Abb. 3 8 <strong>Telemediz<strong>in</strong></strong>isch assistierte neurologische Patientenuntersuchung<br />

im Kl<strong>in</strong>ikum Kulmbach (Schlaganfallnetzwerk mit <strong>Telemediz<strong>in</strong></strong> <strong>in</strong><br />

Nordbayern, STENO). (Mit freundl. Genehmigung des Kl<strong>in</strong>ikum Kulmbach)<br />

vorliegenden Kontra<strong>in</strong>dikationen ggf.<br />

ohne i. v.-Lyse) erfolgt die schnellstmögliche<br />

Weiterverlegung des Patienten<br />

<strong>in</strong> das nächstgelegene Zentrum mit<br />

entsprechen<strong>der</strong> Kapazität zur mechanischen<br />

Thrombektomie („Drip-andship-Konzept“).<br />

Vorteile dieses <strong>der</strong>zeit<br />

breit angewendeten Ansatzes s<strong>in</strong>d die <strong>in</strong><br />

den Zentren bestehende Infrastruktur,<br />

e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>gespieltes Team (Neurologe, Anästhesist,<br />

Interventionalist, Pflegekraft<br />

und mediz<strong>in</strong>isch-technische Rötgenassistenz<br />

[MTRA]), die hohe Fallzahl <strong>der</strong><br />

durchgeführten Interventionen und die<br />

Möglichkeit<strong>der</strong>neurologischen<strong>in</strong>tensivmediz<strong>in</strong>ischen<br />

Nachsorge, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

auch im Fall von auftretenden Komplikationen.<br />

Nachteile s<strong>in</strong>d die durch die<br />

notwendigen Sekundärtransporte hohen<br />

Zeitverluste. Ursächlich hierfür s<strong>in</strong>d<br />

u. a. <strong>der</strong>en mangelnde Priorisierung und<br />

diee<strong>in</strong>geschränkteVerfügbarkeitbegleiten<strong>der</strong><br />

Notärzte. Gerade bei größeren<br />

Entfernungenzue<strong>in</strong>em Zentrum können<br />

letztere oft nicht ohne weiteres aus <strong>der</strong><br />

verlegenden Kl<strong>in</strong>ik o<strong>der</strong> aus dem jeweiligen<br />

Zuständigkeitsbereich abgezogen<br />

werden.<br />

2. Dezentrales Versorgungskonzept.<br />

Derzeit <strong>in</strong> Erprobung bef<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong><br />

Bayern das alternative Konzept <strong>der</strong> „fly<strong>in</strong>g<br />

<strong>in</strong>terventionalists“, bei dem erfahrene<br />

<strong>in</strong>terventionelle Neuroradiologen rund<br />

um die Uhr auf Abruf zur Verfügung stehen,<br />

um bei Bedarf unverzüglich mittels<br />

Helikopter <strong>in</strong> die jeweilige telemediz<strong>in</strong>isch<br />

angebundene Kl<strong>in</strong>ik zu fliegen und<br />

die mechanische Thrombektomie <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

dortigen Angiographieanlage durchzuführen<br />

[30]. Im Rahmen dieses Konzepts<br />

werden e<strong>in</strong> deutlicher Zeitgew<strong>in</strong>n und<br />

dadurch bessere Behandlungsergebnisse<br />

angestrebt. Als potenzielle Nachteile<br />

könnten sich die zu erwartende sehr<br />

niedrige Fallzahl <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Kl<strong>in</strong>iken,<br />

das weniger e<strong>in</strong>gespielte Team<br />

vorOrt,e<strong>in</strong>eu.U.e<strong>in</strong>geschränkteneurologische<br />

Nachbetreuung und e<strong>in</strong> erschwertes<br />

Komplikationsmanagement<br />

erweisen. Konkrete Studienergebnisse<br />

liegen <strong>der</strong>zeit noch nicht vor.<br />

Zentrale Konzepte bergen die Gefahr,<br />

dass Zentren aufgrund <strong>der</strong> seit<br />

den positiven Thrombektomiestudien<br />

[12] zunehmenden Interventionszahlen<br />

zukünftig an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen<br />

könnten. Dies betrifft beson<strong>der</strong>s die<br />

Intensivstationskapazitäten. Selbst bei<br />

e<strong>in</strong>em positiven Studienergebnis wird<br />

auch das bereits genannte dezentrale<br />

Konzept <strong>der</strong> „fly<strong>in</strong>g <strong>in</strong>terventionalists“<br />

nicht <strong>in</strong> je<strong>der</strong> telemediz<strong>in</strong>isch angebundenen<br />

Kl<strong>in</strong>ik e<strong>in</strong>setzbar se<strong>in</strong>.<br />

E<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er dezentraler Versorgungsansatz<br />

besteht dar<strong>in</strong>, neben den Zentren<br />

weitere Kl<strong>in</strong>iken „thrombektomiefähig“<br />

zu machen. Dabei sollte das periund<br />

postprozedurale Patientenmanagementke<strong>in</strong>esfallsaußerAchtgelassenwerden.<br />

Ebenso wie <strong>der</strong> Akute<strong>in</strong>griff durch<br />

e<strong>in</strong>en erfahrenen Neuro<strong>in</strong>terventionalisten<br />

spielen die neurologische Beurteilung,<br />

Begleitung und Weiterbehandlung<br />

desPatientensowiedieBehandlungmöglicher<br />

Komplikationen durch e<strong>in</strong> neurovaskulär-neuro<strong>in</strong>tensivmediz<strong>in</strong>isch<br />

versiertes<br />

Behandlungsteam e<strong>in</strong>e große Rolle.<br />

Analog zu an<strong>der</strong>en Bereichen <strong>der</strong> Intensivmediz<strong>in</strong><br />

[22] könntedabei<strong>in</strong>Zukunft<br />

auch neurologisch-<strong>in</strong>tensivmediz<strong>in</strong>ische<br />

Schlaganfallexpertise via <strong>Telemediz<strong>in</strong></strong><br />

zum E<strong>in</strong>satz kommen.<br />

Aufgrund <strong>der</strong> von Bundesland zu<br />

Bundesland verschieden geregelten rettungsdienstlichen<br />

Abläufe und <strong>der</strong> regional<br />

sehr unterschiedlichen Voraussetzungen<br />

zwischen Ballungsgebieten<br />

und weniger dicht besiedelten Flächenlän<strong>der</strong>n<br />

muss die Organisation<br />

<strong>der</strong> Thrombektomie und die Wahl des<br />

entsprechenden Versorgungskonzepts<br />

auf lokaler Ebene erfolgen.<br />

Prähospitale <strong>Telemediz<strong>in</strong></strong><br />

E<strong>in</strong> neuerer, auf die prähospitale Phase<br />

gerichteter Ansatz <strong>der</strong> <strong>Telemediz<strong>in</strong></strong> ist<br />

<strong>der</strong>en E<strong>in</strong>satz <strong>in</strong> sog. mobilen Stroke-<br />

Units. Ziel ist es, die Zeit zwischen Symptombeg<strong>in</strong>n<br />

und <strong>der</strong> äußerst zeitkritischen<br />

Akuttherapie zu verkürzen, <strong>in</strong>dem<br />

Schlaganfallpatienten noch vor Ankunft<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Krankenhaus behandelt werden.<br />

Innerhalb von Studien kommt die<br />

<strong>Telemediz<strong>in</strong></strong> dabei <strong>in</strong> speziell umgerüsteten<br />

Notarztfahrzeugen mit <strong>in</strong>tegrierter<br />

CT im Rahmen <strong>der</strong> (neuro-)radiologischen<br />

Diagnostik und ggf. zur E<strong>in</strong>holunge<strong>in</strong>erneurologischenZweitme<strong>in</strong>ung<br />

zum E<strong>in</strong>satz. Es wurde bereits gezeigt,<br />

dass so e<strong>in</strong> größerer Anteil von Schlaganfallpatienten<br />

<strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> ersten Stunde<br />

nach Symptombeg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>e Lysetherapie<br />

Mediz<strong>in</strong>ische Kl<strong>in</strong>ik - Intensivmediz<strong>in</strong> und Notfallmediz<strong>in</strong> 8 · 2017 691


Leitthema<br />

Abb. 4 9 Anzahl <strong>der</strong> Telekonsile<br />

und Verlegungen <strong>in</strong><br />

den Jahren 2010–2016 im<br />

Schlaganfallnetzwerk mit<br />

<strong>Telemediz<strong>in</strong></strong><strong>in</strong>Nordbayern<br />

(STENO).(©Mitfreundl.Genehmigung<br />

von L. Breuer<br />

2017, „all rights reserved“)<br />

erhaltenkann[11].ÄhnlicheProjekteohne<br />

notärztliche Besetzung erproben die<br />

prähospitale Behandlung von Schlaganfallpatienten<br />

mit alle<strong>in</strong>iger teleneurologischer<br />

Anb<strong>in</strong>dung <strong>der</strong> Rettungsfahrzeuge<br />

[18].<br />

Schlaganfallnachsorge<br />

Die telemediz<strong>in</strong>ische <strong>Schlaganfallversorgung</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Akutphase ist mittlerweile<br />

im Rout<strong>in</strong>ebetrieb vieler Telestroke-<br />

Netzwerke etabliert. Es kommt jedoch<br />

gerade <strong>in</strong> ländlichen mediz<strong>in</strong>isch unterversorgten<br />

Regionen auch darauf an, die<br />

Schlaganfallpatienten nach <strong>der</strong> Akutphase<br />

adäquat weiter zu betreuen. Im<br />

Rahmen <strong>der</strong> Sekundärprophylaxe gilt<br />

es, Risikofaktoren zu optimieren sowie<br />

die Rezidivrate, Pflegebedürftigkeit und<br />

Mortalität zu senken. Bisher s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> diesem<br />

Bereich nur e<strong>in</strong>zelne Projekte aktiv<br />

[6]. Die Schlaganfallnachsorge außerhalb<br />

<strong>der</strong> Ballungsgebiete muss zukünftig<br />

mehr <strong>in</strong> den Fokus rücken. Die <strong>Telemediz<strong>in</strong></strong><br />

könnte dazu e<strong>in</strong>en wertvollen<br />

Beitrag leisten.<br />

Dauerhafte Versorgungsqualität<br />

Im Interesse <strong>der</strong> Patienten gilt es, die<br />

Behandlungsqualität telemediz<strong>in</strong>isch<br />

angebundener Kl<strong>in</strong>iken dauerhaft so<br />

nah wie möglich an die neurologisch<br />

geführten Stroke-Units heranzubr<strong>in</strong>gen.<br />

Hierfür reicht <strong>der</strong> alle<strong>in</strong>ige Fokus auf das<br />

Telekonsil und die Thrombolysetherapie<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Akutphase nicht aus. Um auch <strong>in</strong><br />

Kl<strong>in</strong>iken ohne neurologische Abteilung<br />

im weiteren Behandlungsverlauf e<strong>in</strong>e<br />

hochqualitative <strong>Schlaganfallversorgung</strong><br />

zu erreichen, müssen die gesamte Kette<br />

<strong>der</strong> Schlaganfallbehandlung betrachtet<br />

und kont<strong>in</strong>uierliche Qualitätsentwicklung<br />

betrieben werden. Dies umfasst<br />

alle Prozesse von <strong>der</strong> Erkennung <strong>der</strong><br />

Symptome <strong>in</strong> <strong>der</strong> Auff<strong>in</strong>desituation bis<br />

h<strong>in</strong> zur Entlassung des Patienten. Die<br />

For<strong>der</strong>ung e<strong>in</strong>es Qualitätsmanagementsystems<br />

(QMS) für telemediz<strong>in</strong>ische<br />

Schlaganfallnetzwerke besteht bereits<br />

seit Gründung <strong>der</strong> ersten Netzwerke<br />

und wurde im Jahr 2009 durch das<br />

Kompetenznetz Schlaganfall formuliert<br />

[4].<br />

» Für telemediz<strong>in</strong>ische<br />

Schlaganfallnetzwerke wird e<strong>in</strong><br />

Qualitätsmanagementsystem<br />

gefor<strong>der</strong>t<br />

Wichtige Kernelemente e<strong>in</strong>es solchen<br />

Qualitätsmanagements umfassen die<br />

Festlegung e<strong>in</strong>richtungsübergreifen<strong>der</strong><br />

Qualitätsziele und die E<strong>in</strong>führung von<br />

MaßnahmenzurUmsetzungdieserZiele.<br />

Neben <strong>der</strong> Formulierung verb<strong>in</strong>dlicher,<br />

für alle Netzwerkteilnehmer gelten<strong>der</strong><br />

Standard Operat<strong>in</strong>g Procedures (SOP)<br />

zu allen relevanten Prozessen spielt dabei<br />

die kont<strong>in</strong>uierliche Schulung aller<br />

an <strong>der</strong> Schlaganfallbehandlung beteiligten<br />

Berufsgruppen e<strong>in</strong>e wesentliche<br />

Rolle [9]. Die Qualitätskontrolle be<strong>in</strong>haltet<br />

neben <strong>der</strong> Dokumentation aller<br />

relevanten Prozesszeiten, <strong>der</strong> Evaluation<br />

<strong>der</strong> Telekonsile sowie den technischen<br />

Kontrollen regelmäßige <strong>in</strong>terne Audits<br />

<strong>in</strong> allen Netzwerkkl<strong>in</strong>iken, bei denen die<br />

konsequente Umsetzung <strong>der</strong> Qualitätsziele<br />

überprüft wird. Auch die externe<br />

Qualitätssicherung, die e<strong>in</strong> bundeslandweites<br />

Benchmark<strong>in</strong>g anhand verschiedener<br />

Qualitäts<strong>in</strong>dikatoren [17] erlaubt,<br />

leistet e<strong>in</strong>en wichtigen Beitrag zur Qualitätskontrolle.<br />

E<strong>in</strong>e Zertifizierung von<br />

Schlaganfallnetzwerken ist bisher nicht<br />

gesetzlich vorgeschrieben, wird aber<br />

z. B. <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er im Jahr 2016 publizierten<br />

Stellungnahme <strong>der</strong> American Heart Association/American<br />

Stroke Association<br />

(AHA/ASA) klar gefor<strong>der</strong>t [31]. Neben<br />

<strong>der</strong> Zertifizierung e<strong>in</strong>es netzwerkweiten<br />

QMS nach DIN EN ISO [14] gibtes<br />

<strong>in</strong> Deutschland seit dem Jahr 2011 die<br />

Möglichkeit, auch telemediz<strong>in</strong>isch vernetzte<br />

Stroke-Units nach den Standards<br />

<strong>der</strong> Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft<br />

(DSG) zu zertifizieren. Derzeit gibt es<br />

13 solcher zertifizierten telemediz<strong>in</strong>isch<br />

vernetzten Stroke-Units (. Abb. 1). Die<br />

im DSG-Zertifizierungsantrag für Telestroke-Units<br />

gefor<strong>der</strong>ten Kriterien [10]<br />

zielen darauf ab, auch <strong>in</strong> nichtneurologisch<br />

geführten Stroke-Units e<strong>in</strong>e<br />

692 Mediz<strong>in</strong>ische Kl<strong>in</strong>ik - Intensivmediz<strong>in</strong> und Notfallmediz<strong>in</strong> 8 · 2017


gleichmäßig hohe Qualität <strong>der</strong> gesamten<br />

Schlaganfallbehandlung zu erreichen.<br />

Fazit für die Praxis<br />

<strong>Telemediz<strong>in</strong></strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schlaganfallbehandlung...<br />

4 macht neurologische Expertise sofort<br />

dort verfügbar, wo sie gebraucht<br />

wird.<br />

4 ermöglicht e<strong>in</strong>e heimatnahe Versorgung<br />

vieler Schlaganfallpatienten.<br />

4 ermöglicht e<strong>in</strong>en schnelleren Therapiebeg<strong>in</strong>n.<br />

4 ermöglicht e<strong>in</strong>e Steigerung <strong>der</strong><br />

Thrombolyseraten.<br />

4 verbessert die Prognose <strong>der</strong> Patienten.<br />

4 hilft zu triagieren, welche Patienten<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> lokalen Kl<strong>in</strong>ik weiterbehandelt<br />

werden können und welche <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong> Zentrum weiterverlegt werden<br />

müssen.<br />

4 hilft dabei, Ressourcen und Spezialkompetenzen<br />

zu bündeln.<br />

4 trägt dazu bei, lange Patiententransporte,<br />

Sekundärtransporte und<br />

die damit verbundenen Kosten zu<br />

reduzieren.<br />

Aktuelle Herausfor<strong>der</strong>ungen betreffen<br />

u.a....<br />

4 die Implementierung <strong>der</strong> flächendeckenden<br />

mechanischen Thrombektomie<br />

mit allen dafür notwendigen<br />

Prozessen.<br />

4 die Schlaganfallnachsorge <strong>in</strong> neurologisch<br />

unterversorgten Gebieten.<br />

4 die dauerhafte Sicherung e<strong>in</strong>er<br />

gleichmäßig hohen Behandlungsqualität<br />

<strong>in</strong> den telemediz<strong>in</strong>isch<br />

angeschlossenen Kl<strong>in</strong>iken.<br />

Korrespondenzadresse<br />

Dr. L. Breuer<br />

Neurologische Kl<strong>in</strong>ik,<br />

Universitätskl<strong>in</strong>ikum Erlangen<br />

Schwabachanlage 6,<br />

91054 Erlangen, Deutschland<br />

lorenz.breuer@ukerlangen.de<br />

E<strong>in</strong>haltung ethischer Richtl<strong>in</strong>ien<br />

Interessenkonflikt. L. Breuer erhielt Vortragshonorare<br />

und Reisekosten <strong>der</strong> Firma Bayer und Reisekosten<br />

<strong>der</strong>FirmaBoehr<strong>in</strong>gerIngelheim.S.SchwaberhieltVortragshonorare<br />

<strong>der</strong> Firmen Bayer, Bristol-Myers Squibb,<br />

Pfizer und Boehr<strong>in</strong>ger Ingelheim.<br />

Dieser Beitrag be<strong>in</strong>haltet ke<strong>in</strong>e von den Autoren<br />

durchgeführten Studien an Menschen o<strong>der</strong> Tieren.<br />

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26. Sairanen T, So<strong>in</strong>ila S, Nikkanen M et al (2011) Two<br />

years ofF<strong>in</strong>nish Telestroke: thrombolysis atspokes<br />

equaltothatatthehub.Neurology76:1145–1152<br />

27. Schwab S, Vatankhah B, Kukla C et al (2007) Longterm<br />

outcome after thrombolysis <strong>in</strong> telemedical<br />

strokecare.Neurology69:898–903<br />

28. Schwamm LH, Rosenthal ES, Hirshberg A et al<br />

(2004)Virtual TeleStroke supportfor the emergency<br />

department evaluation of acute stroke. Acad<br />

EmergMed11:1193–1197<br />

29. Silva GS, Farrell S, Shandra E et al (2012) The<br />

status of telestroke <strong>in</strong> the United States: a survey<br />

of currently active stroke telemedic<strong>in</strong>e programs.<br />

Stroke;AJCerebCirc43:2078–2085<br />

30. <strong>Telemediz<strong>in</strong></strong>isches Projektzur <strong>in</strong>tegrierten <strong>Schlaganfallversorgung</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Region Süd-Ost-Bayern<br />

(TEMPiS).www.tempis.de.Zugegriffen:26.August<br />

2017<br />

Mediz<strong>in</strong>ische Kl<strong>in</strong>ik - Intensivmediz<strong>in</strong> und Notfallmediz<strong>in</strong> 8 · 2017 693


Fachnachrichten<br />

31. Wechsler LR, Demaerschalk BM, Schwamm LH<br />

et al (2016) Telemedic<strong>in</strong>e Quality and Outcomes<br />

<strong>in</strong> Stroke: A Scientific Statement for Healthcare<br />

Professionals From the American Heart Association/American<br />

Stroke Association. Stroke; A J Cereb<br />

Circ 48(1):e3–e25 (3 Nov 2016 <strong>in</strong> Stroke volume 48<br />

issue1onpagese3toe25)<br />

32. Wiborg A, Wid<strong>der</strong> B Telemedic<strong>in</strong>e <strong>in</strong> Stroke <strong>in</strong><br />

Swabia P (2003) Teleneurology to improve stroke<br />

care <strong>in</strong> rural areas: The Telemedic<strong>in</strong>e <strong>in</strong> Stroke<br />

<strong>in</strong> Swabia (TESS) Project. Stroke; A J Cereb Circ<br />

34:2951–2956<br />

Robert-Koch-Preis für „Genfer Modell <strong>der</strong> Händehygiene‘‘<br />

Der Schweizer Mediz<strong>in</strong>er Prof. Didier Pittet erhält den Robert-Koch-Preis für<br />

Krankenhaushygiene und Infektionsprävention 2017. Vor 25 Jahren legte <strong>der</strong><br />

Preisträger den Grundste<strong>in</strong> für e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> erfolgreichsten WHO-Kampagnen zum<br />

Schutz <strong>der</strong> Patientensicherheit.<br />

Für se<strong>in</strong>e bahnbrechenden Leistungen bei<br />

<strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung e<strong>in</strong>er besseren Händehygiene<br />

zur Vermeidung nosokomialer Infektionen<br />

wird Professor Didier Pittet mit dem „Preis für<br />

Krankenhaushygiene und Infektionsprävention<br />

2017“ <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er Robert-Koch-Stiftung<br />

ausgezeichnet. Der Leiter <strong>der</strong> Abteilung für<br />

Krankenhaushygiene an den Genfer Universitätskl<strong>in</strong>iken<br />

und Externe Leiter des WHO-<br />

Programms „Clean Care is Safer Care“ ist<br />

nach Professor Helge Karch (Münster) und<br />

Professor<strong>in</strong> Petra Gastmeier (Berl<strong>in</strong>) <strong>der</strong> dritte<br />

Preisträger <strong>der</strong> 2013 geschaffenen und<br />

mit 50.000 Euro dotierten Auszeichnung.<br />

„Durch se<strong>in</strong> unermüdliches Engagement<br />

und se<strong>in</strong>en Enthusiasmus hat <strong>der</strong> Preisträger<br />

maßgeblich dazu beigetragen, dass se<strong>in</strong><br />

,Genfer Modell <strong>der</strong> Händehygiene’ zum globalen<br />

Standard wurde“, sagt Hubertus Erlen,<br />

Vorstandsvorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Robert-Koch-Stiftung.<br />

Die Preisübergabe fand am Mittwoch,<br />

20. September 2017, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>-Brandenburgischen<br />

Akademie <strong>der</strong> Wissenschaften<br />

statt.<br />

Des<strong>in</strong>fektion mit Alkohol<br />

1992 war Pittet als neuer Direktor des Programms<br />

für Infektionskontrolle an den Genfer<br />

Universitätskl<strong>in</strong>iken mit dem Problem<br />

<strong>der</strong> mangelhaften Händehygiene zum ersten<br />

Mal <strong>in</strong> verantwortlicher Position konfrontiert.<br />

Er wollte verstehen, warum die Compliance<br />

auch 150 Jahre nach E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> hygienischen<br />

Händedes<strong>in</strong>fektion durch Ignaz<br />

Semmelweis immer noch <strong>der</strong>maßen zu wünschen<br />

übrig ließ. Damals wusch man sich die<br />

Hände noch mit Wasser und Seife, was e<strong>in</strong> bis<br />

zwei M<strong>in</strong>uten <strong>in</strong> Anspruch nehmen konnte.<br />

Pittet setzte sich mit e<strong>in</strong>em Klickzähler auf<br />

die Intensivstation. Er kam zu dem Schluss,<br />

dass e<strong>in</strong>e Intensivschwester bei <strong>der</strong> großen<br />

Zahl von Patientenkontakten nahezu die<br />

Hälfte ihrer Arbeitszeit mit Händewaschen<br />

beschäftigt wäre, würde sie sich streng an<br />

die Regularien halten. Daraufh<strong>in</strong> führte Pittet<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Genfer Kl<strong>in</strong>ik e<strong>in</strong> alkoholisches Des<strong>in</strong>fektionsmittel<br />

e<strong>in</strong>. Sich damit die Hände<br />

e<strong>in</strong>zureiben, dauerte nur 10 bis 15, maximal<br />

30 Sekunden. Der Erfolg ließ nicht auf sich<br />

warten. Die Compliance bei <strong>der</strong> Händehygiene<br />

verbesserte sich von 48 % auf 66 %<br />

– so das Ergebnis e<strong>in</strong>er im Jahre 2000 im<br />

Fachblatt „Lancet“ veröffentlichten Studie<br />

aufgrund von mehr als 20.000 beobachteten<br />

Situationen, die Maßnahmen zur Händehygiene<br />

erfor<strong>der</strong>ten. Die Rate nosokomialer<br />

Infektionen sank über e<strong>in</strong>en Zeitraum von<br />

drei Jahren um mehr als 40 %; bei Infektionen<br />

durch Methicill<strong>in</strong>-resistente Staphylococcus<br />

aureus (MRSA) betrug <strong>der</strong> Rückgang sogar<br />

mehr als 50 %. Hun<strong>der</strong>te von Menschenleben<br />

wurden auf diese Weise gerettet – und<br />

zugleich Millionensummen e<strong>in</strong>gespart.<br />

WHO: „Unentbehrliches Arzneimittel“<br />

2014 wurde die alkoholische Lösung zur Händedes<strong>in</strong>fektion<br />

<strong>in</strong> die Liste <strong>der</strong> „unentbehrlichen<br />

Arzneimittel“ <strong>der</strong> WHO aufgenommen.<br />

Um die Kosten vor allem <strong>in</strong> den ärmeren<br />

Regionen zu senken, entwickelte Pittet zusammen<br />

mit Fachkollegen <strong>der</strong> WHO e<strong>in</strong>e<br />

lizenzfrei vergebene Rezeptur - die so genannte<br />

WHO-Alkohol-basierte Formulierung<br />

- nach <strong>der</strong> <strong>in</strong> mittlerweile mehr als 60 Län<strong>der</strong>n<br />

alkoholische Händedes<strong>in</strong>fektionsmittel auf<br />

<strong>der</strong> Basis von Bioäthanol aus Anbaupflanzen<br />

wie Zuckerrohr, Mais, Maniok, Reis o<strong>der</strong> Kartoffeln<br />

hergestellt werden. Solche vor Ort fast<br />

umsonst verfügbaren Präparate kamen auch<br />

beim jüngsten Ebola-Ausbruch <strong>in</strong> Liberia zum<br />

E<strong>in</strong>satz.<br />

Quelle: Robert-Koch-Stiftung<br />

www.robert-koch-stiftung.de<br />

694 Mediz<strong>in</strong>ische Kl<strong>in</strong>ik - Intensivmediz<strong>in</strong> und Notfallmediz<strong>in</strong> 8 · 2017

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