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Der neue Newsroom von Kölner Stadt-Anzeiger und EXPRESS

Im neuen Newsroom von "Kölner Stadt-Anzeiger" und EXPRESS wird moderner Journalismus für alle Kanäle gemacht.

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12 DER NEUE NEWSROOM Donnerstag,9.November 2017 Donnerstag,9.November 2017 DER NEUE NEWSROOM 13<br />

August 1988, Breite Straße in Köln: Dieter Degowski, einer der beiden<br />

Geiselgangster <strong>von</strong> Gladbeck, hält der 18-jährigen Silke B. im<br />

Auto eine Pistole an den Hals. <strong>Der</strong> Wagen ist <strong>von</strong> Schaulustigen<br />

<strong>und</strong> Journalisten umlagert –<strong>von</strong> der Polizei keine Spur.<br />

Bilder Silvester zu 2015,Bahnhofsvorplatz einem Ereignis... in Köln: H<strong>und</strong>erte teils angetrunkene<br />

Männer bestehlen Passanten, belästigen Frauen. Es sind<br />

die Medien, vor allem „<strong>Kölner</strong> <strong>Stadt</strong>-<strong>Anzeiger</strong>“ <strong>und</strong> <strong>EXPRESS</strong> die in<br />

den Tagen danach das wahreAusmaß der Ereignisse aufdecken.<br />

Juni 1977 bei Groningen, Niederlande: Schaulustige betrachten einen<br />

beschädigten Zug, in dem Aktivisten der molukkischen Minderheit<br />

Geiseln gehalten hatten. Günther Braun war damals als<br />

Reporter vor Ort. Heute sperrt die Polizei Tatorte weiträumig ab.<br />

Zwei Generationen Polizeireporter beim „<strong>Kölner</strong> <strong>Stadt</strong>-<strong>Anzeiger</strong>“: Tim Stinauer (l.) <strong>und</strong> Günther Braun<br />

Türauf –„Tach zusammen,<br />

wie isset?“<br />

„<br />

FOTOS: THOMAS BANNEYER, DPA<br />

Früher konnten Journalisten die BürosimPolizeipräsidium abklappern– heute istdas <strong>und</strong>enkbar.<br />

Günther Braun, früher Polizeireporter des „<strong>Kölner</strong> <strong>Stadt</strong>-<strong>Anzeiger</strong>“,<br />

<strong>und</strong> sein Nachfolger Tim Stinauer sprechen über ihren Beruf im Wandel der Zeit<br />

Auf dem Tisch liegen zwei Smartphones.<br />

Rotes Licht zeigt eine laufende<br />

Aufnahme an. Die beiden<br />

Männer am Tisch diskutieren über<br />

ihren Beruf: Polizeireporter. Seit<br />

zehn Jahren erfüllt Tim Stinauer<br />

beim „<strong>Kölner</strong> <strong>Stadt</strong>-<strong>Anzeiger</strong>“<br />

diesen Job. Günther Braun hatte<br />

ihn in den 1970er <strong>und</strong> 1980er Jahren<br />

inne. In diese Zeit fiel unter anderem<br />

das Geiseldrama <strong>von</strong>Gladbeck<br />

<strong>von</strong>1988. Die Reporter fachsimpeln<br />

über das Abhören des Polizeifunks.<br />

Sie sprechen über Bilder,<br />

die sie nie mehr vergessen<br />

werden, über den ständigen<br />

Kampf gegen die Uhr –<strong>und</strong> über<br />

den Wandel der Technik. So wird<br />

auch das Handy auf demTisch, das<br />

als Diktiergerät fungiert, gleich<br />

zum Thema.<br />

Günther Braun: So haben wir das<br />

früher nicht gemacht. Ich musste<br />

alles mitschreiben. Irgendwann<br />

habe ich mir ein Bandgerät angeschafft<br />

–sogroß, dass ich es nur<br />

mit Mühe <strong>und</strong> Not in die Tasche<br />

stecken konnte.Aber davorhieß es<br />

immer nur: schreiben, schreiben,<br />

schreiben.<br />

Tim Stinauer: Wie seid ihr denn<br />

damals –soganz ohne unsere heutigen<br />

technischen Hilfsmittel –an<br />

eure Geschichten gekommen?<br />

Braun: Wir haben kontinuierlich<br />

den Polizeifunk abgehört. Manchmal<br />

Tag<strong>und</strong> Nacht. Ich hatte zu<br />

Hause einen Scanner <strong>von</strong>der Größe<br />

einer kleinen Zigarrenkiste.<br />

<strong>Der</strong> musste mit Quarzen programmiert<br />

werden. Bei uns gab esnur<br />

einen Kollegen, der die Quarzfrequenzen<br />

für die einzelnen Kanäle<br />

ausrechnen konnte.<br />

Stinauer: Ich hatte als Jugendlicher<br />

einen kleinen, ollen Schwarz-<br />

Weiß-Fernseher mit eingebautem<br />

Radio. Da landete man, wenn man<br />

den Regler bis ganz nach links<br />

drehte, auch beim Polizeifunk.<br />

Heute bekommst du über diesen<br />

Wegnichts mehr mit, weil alles digital<br />

läuft.<br />

Braun: Überhaupt nichts mehr?<br />

Stinauer: Die Polizei funkt nur<br />

noch digital.<br />

Juli 2007, Gertrudenstraße in Köln: Nach einem Leichenf<strong>und</strong> in der<br />

Salatbar „Supasalad“ hat die Polizei den Tatort abgesperrt, um ungestört<br />

arbeiten zu können. Anwohner,Passanten oder Journalisten<br />

haben keinen Zugang.<br />

Braun: Und die Feuerwehr?<br />

Stinauer: Feuerwehr <strong>und</strong> Rettungsdienst<br />

funken noch analog.<br />

Aber da läuft natürlich sehr viel<br />

weniger.Wir nutzen das schon lange<br />

nicht mehr.<br />

Braun: Das warfür uns manchmal<br />

trotzdem eine wichtige Quelle.<br />

Zum Beispiel bei großen Bränden:<br />

Wenn sie anfingen, wild durcheinanderzureden,<br />

dann wusstest du,<br />

dass etwas passiertwar.Inmeinen<br />

letzten Jahren als Polizeireporter<br />

habe ich den Polizeifunk bis vier<br />

Uhr morgens laufen lassen.<br />

Stinauer: Deine arme Frau.<br />

Braun: Wir konnten dabei schlafen<br />

–einigermaßen. Wenn die Beamten<br />

anfingen, rumzuschreien,<br />

sind wir allerdings wachgeworden.<br />

Als ich als Polizeireporter<br />

aufgehört habe, fragte mich ein<br />

Kollege, ob ich jetzt nicht etwas<br />

vermissen würde. Da habe ich gesagt:<br />

„Wenn du zum ersten Mal<br />

nach 20 Jahren durchschlafen<br />

kannst, vermisst du nichts.“<br />

Stinauer: Heute werden alle Polizeireporter<br />

–zum Beispiel bei einem<br />

großen Feuer oder einem<br />

schweren Verkehrsunfall –<strong>von</strong> der<br />

Polizei oder der Feuerwehr über<br />

eine SMS informiert. Sie geben<br />

uns das Einsatzstichwort <strong>und</strong> den<br />

Ort durch. Vieles läuft aber auch<br />

über soziale Medien. Wenn du auf<br />

einen Facebook-Eintrag stößt,<br />

Ichhabe den<br />

Polizeifunk bis vier Uhr<br />

morgens laufen lassen<br />

Günther Braun<br />

„Rauchpilz über Holweide“, dann<br />

wirst du hellhörig <strong>und</strong> fragst bei<br />

der Polizei nach.<br />

Braun: Das gab esindieser Form<br />

früher natürlich nicht. Ein Leser,<br />

der unterwegs etwas bemerkte,<br />

musste ja mindestens bis zur<br />

nächsten Telefonzelle laufen, um<br />

uns zu erreichen. Ich selbst bin bei<br />

Geiselnahmen am Tatort oft zum<br />

nächstgelegenen Haus gegangen:<br />

„Hallo, ich bin vom »<strong>Kölner</strong><br />

<strong>Stadt</strong>-<strong>Anzeiger</strong>« –darf ich Ihr Telefon<br />

benutzen?“ Und dann habe<br />

ich mich zu ihnen ins Wohnzimmer<br />

gesetzt.<br />

Stinauer: Wahrscheinlich bist du<br />

danach zum Schreiben in die Redaktion<br />

gefahren? Wenn ich unterwegs<br />

bin, ist das Thema oft so aktuell,<br />

dass es nicht bis zu meiner<br />

Rückkehr an den Schreibtisch<br />

warten kann. Dann tippe ich das<br />

Wichtigste ins Handy, schicke es<br />

in die Redaktion, <strong>und</strong> ein paar Minuten<br />

später steht es schon online.<br />

Auf Großdemonstrationen, wo wir<br />

mit mehreren Kollegen vor Ort<br />

sind, kommunizieren wir direkt<br />

über WhatsApp-Gruppen: Jeder<br />

schreibt seine Infos hinein, <strong>und</strong> in<br />

der Redaktion sitzt jemand,der daraus<br />

einen Live-Ticker macht.<br />

Braun: Wenn bei uns um 10 Uhr<br />

morgens etwas Größeres passierte,<br />

hatten wir im Normalfall bis 19<br />

Uhr Zeit zum Schreiben.<br />

Günther Braun<br />

••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••<br />

Günther Braun (70) begann seine Laufbahn als Redakteur<br />

1969 in der Lokalredaktion Bergisch Gladbach des „<strong>Kölner</strong><br />

<strong>Stadt</strong>-<strong>Anzeiger</strong>“.1971 bis 1973 schrieb er für den EX-<br />

PRESS, ehe er zum „<strong>Stadt</strong>-<strong>Anzeiger</strong>“ zurück wechselte. Er<br />

arbeitete dort zunächst in der Panorama-Redaktion mit<br />

Schwerpunkt Kriminalberichterstattung. Zwischen 1977<br />

<strong>und</strong> 1989 war Braun Polizeireporter,danach viele Jahre<br />

Redakteur im Ressort Land/Region. Seit 2007 ist er im Ruhestand.<br />

Günther Braun lebt in Bergisch Gladbach.<br />

Stinauer: Das ist ja ein Traum.<br />

Braun: Einmal saß ich am Freitagnachmittag<br />

in der Kantine des Polizeipräsidiums<br />

zusammen mit einem<br />

Kollegen <strong>von</strong>der „Bild“-Zeitung<br />

<strong>und</strong> einem <strong>von</strong>der Deutschen<br />

Presseagentur, glaube ich. Um<br />

16.30 Uhr stellte sich heraus, dass<br />

gerade ein Mordfall aufgeklärt<br />

worden war. Das darf doch wohl<br />

nicht wahr sein, haben wir uns gesagt.<br />

Jetzt noch das Blatt umschmeißen?<br />

Da haben wir kurzerhand<br />

entschieden: Das machen wir<br />

heute nicht mehr.Wir haben dann<br />

den Pressesprecher vergattert. Er<br />

sollte die Geschichte erst am Montag<br />

aufklären. Und so ist es auch<br />

passiert.<br />

Stinauer: Mal angenommen, das<br />

passierte heute: Wir säßen um<br />

16.30 Uhr mit den Kollegen in der<br />

Kantine, <strong>und</strong> so eine Information<br />

käme rein. Um 16.35 Uhr wäre die<br />

erste Eilmeldung draußen.<br />

Braun: Das warauch die absolute<br />

Ausnahme. Wirhaben nicht regelmäßig<br />

Nachrichten verschoben.<br />

Aber in dem Fall: Es war Freitagnachmittag.<br />

Wo wir doch sowieso<br />

alle keine Lust hatten …<br />

Stinauer: Inzwischen kommt ja<br />

längst auch die Konkurrenz aus<br />

dem Internet hinzu: Blogs, soziale<br />

Medien. Ein großer Unterschied<br />

zwischen vielen privaten Einträgen<br />

<strong>und</strong> professionellem Journalismus<br />

ist, dass wir uns –bei aller<br />

gebotenen Eile –immer erst vergewissern,<br />

ob etwas stimmt, bevor<br />

wir damit online gehen. Wir recherchieren<br />

Informationen zum<br />

Beispiel bei der Polizei <strong>und</strong> der<br />

Feuerwehr gegen. Auch, wenn das<br />

zwei, drei Minuten länger dauert.<br />

Gab es zu deiner Zeit überhaupt eine<br />

Pressestelle bei der Polizei?<br />

Braun: Ja, einen Pressesprecher<br />

<strong>und</strong> die Sekretärin.<br />

Stinauer: Eine Sekretärin gibt es<br />

heute nicht mehr. Dafür aber elf<br />

Pressesprecher.<br />

Braun: Elf! Also, wir sind fast jeden<br />

Morgen vor dem Dienst persönlich<br />

im Polizeipräsidium rumgelaufen<br />

…<br />

Stinauer: ... Ihr seid einfach über<br />

die Flure gegangen? Da kommst<br />

du heute ohne Chipkarte garnicht<br />

mehr rein.<br />

Braun: Wir haben systematisch<br />

die Büros abgeklappert. Ich war<br />

normalerweise im Hochhaus am<br />

Waidmarkt unterwegs. Da lagen<br />

die Kommissariate 1bis 14. Ich<br />

habe vom zwölften Stock bis runter<br />

in den ersten die Büros durchgekämmt.<br />

Stinauer: Jeden Tag?<br />

Braun: Fast jeden Tag, ja. Tür auf:<br />

„Tach zusammen, wie isset?“<br />

Stinauer: Heute würde man dich<br />

da hochkant rausschmeißen.<br />

Braun: Das haben sie schon damals<br />

immer wieder versucht. Denen<br />

war esnatürlich auch nicht<br />

recht, dass wir da freihändig rumliefen.<br />

Aber wenn du Glück hattest,<br />

trafst du im Flur jemanden,<br />

der dir gesagt hat: „Hör mal, heute<br />

in der Dienstbesprechung, im<br />

Kommissariat so<strong>und</strong>so, da ist irgendwas.“<br />

So bist du auch auf<br />

Themen gestoßen.<br />

Stinauer: Unsere Hauptinformationsquelle<br />

ist die Pressestelle.Aber<br />

inoffizielle Kontakte sind mindestens<br />

so wichtig. Dass es Beamtinnen<br />

<strong>und</strong> Beamte gibt, die einem<br />

auch an der Pressestelle vorbei etwassagen.<br />

Ohne das geht es nicht.<br />

Braun: Das sind ja auch häufig die<br />

interessantesten Sachen.<br />

Stinauer: Ja. Bei der Aufklärung<br />

der <strong>Kölner</strong> Silvesternacht 2015<br />

zum Beispiel wardas sehr wichtig.<br />

<strong>Der</strong> Eindruck, den am Einsatz beteiligte<br />

Beamte an uns weitergegeben<br />

haben, war ein ganz anderer<br />

als der, den die Behörde nach außen<br />

kommuniziert hat. Und wie<br />

sich schnell herausgestellte, zeichneten<br />

die Beamten das deutlich<br />

realistischere Bild. Damit konnten<br />

wir die Behördenleitung dann<br />

konfrontieren. Das hat die journalistische<br />

Aufklärung dieser Nacht<br />

ungeheuer vorangetrieben.<br />

Braun: Bei uns versuchte die Behördenleitung<br />

immer,solchen Käse<br />

unter der Deckezuhalten: „Das<br />

wird intern aufgearbeitet, da können<br />

wir noch nichts zu sagen.“ So<br />

gingen die Ausreden damals.<br />

Stinauer: Die haben sich bis heute<br />

nicht verändert.<br />

Braun: „<strong>Der</strong> Sachverhalt ist noch<br />

nicht ausermittelt.“<br />

Stinauer: „Laufendes Verfahren.“<br />

Braun: „Unschuldsvermutung.“<br />

Stinauer: Und dann stehst du da.<br />

Braun: Die haben ja auch Angst:<br />

„Hinterher schreibt der was Falsches,<br />

dann krieg ich eins auf die<br />

Zwiebel.“ Die Beamten, die mit<br />

uns sprechen, müssen sich darauf<br />

verlassen können, dass wir ein<br />

Schweigerecht haben. Ich weiß<br />

nicht, wie oft der Polizeipräsident<br />

zu mir gekommen ist: „Wer hat Ihnen<br />

das denn wieder erzählt?“<br />

Stinauer: Ihr habt damals aber<br />

teilweise auch ganz anders –enger<br />

–mit der Polizei zusammengearbeitet,<br />

oder? Ihr habt sogarmanchmal<br />

für sie Tatorte fotografiert?<br />

Braun: Das haben unsere Fotografen<br />

oft gemacht. Welcher Polizist<br />

hatte denn eine Kamera bei sich?<br />

Manchmal haben sie die Kollegen<br />

angerufen in der Hoffnung, einer<br />

<strong>von</strong> denen kommt schnell vorbei<br />

„ „<br />

Manerlebt Situationen,<br />

die einen persönlich<br />

sehr berühren<br />

Tim Stinauer<br />

Tim Stinauer<br />

••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••<br />

Tim Stinauer (40) arbeitete seit 1999 als freier Journalist<br />

für den „<strong>Kölner</strong> <strong>Stadt</strong>-<strong>Anzeiger</strong>“ sowie für Nachrichtenagenturen<br />

<strong>und</strong> den WDR. Seit 2007 ist er Redakteur beim<br />

„<strong>Kölner</strong> <strong>Stadt</strong>-<strong>Anzeiger</strong>“, zuständig für die Polizeiberichterstattung<br />

in der <strong>Kölner</strong> Lokalredaktion. Für seine Recherchen<br />

<strong>und</strong> Reportagen wurde Stinauer mehrfach ausgezeichnet,<br />

zuletzt mit dem „Wächterpreis“ (im Redaktionsverb<strong>und</strong>)<br />

für die Berichterstattung über die <strong>Kölner</strong><br />

Silvesternacht sowie mit dem Ralf-Dahrendorf-Preis.<br />

Wenn der Rösner die<br />

Waffe gehoben hat, bin<br />

ich in Deckung<br />

gegangen<br />

Günther Braun<br />

<strong>und</strong> macht die Bilder.<br />

Stinauer: Die Polizei ist heute wesentlich<br />

professioneller aufgestellt,<br />

auch in ihrer Öffentlichkeitsarbeit.<br />

Das hat unter anderem<br />

mit der Geiselnahme <strong>von</strong> Gladbeck<br />

1988 zu tun. Danach hat sich<br />

einiges geändert. Glaubst du, dass<br />

so etwas wie Gladbeck heute noch<br />

einmal passieren könnte?<br />

Braun: Ja. Das muss ich leider sagen.<br />

Stinauer: Ich denke, dass es sehr<br />

viel unwahrscheinlicher ist. Die<br />

Polizei lässt Journalisten <strong>und</strong> Passanten<br />

garnicht mehr so nah an eine<br />

solche Situation heran.<br />

Braun: <strong>Der</strong> Gr<strong>und</strong>satz galt aber<br />

auch damals. Deshalb habe ich<br />

mich so aufgeregt, als die Presse<br />

<strong>und</strong> die Entführer plötzlich losfuhren.<br />

Mir war klar, dass das<br />

schlimm ausgehen würde, na ja,<br />

zumindest schlimm ausgehen<br />

konnte. Von der Bremer Polizei<br />

war weithin bekannt, dass sie bei<br />

großen Lagen nichts auf der Rolle<br />

hatte.<br />

Stinauer: Obwohl die Situation<br />

auf der Breite Straße in Köln auch<br />

nicht optimal gelaufen ist.<br />

Braun: Nein, das war schlimm.<br />

Ich habe oben am Fenster gestanden,<br />

in meinem Büro, <strong>und</strong> konnte<br />

alles haarklein beobachten. Und<br />

wenn der Rösner die Waffe gehoben<br />

hat, bin ich in Deckung gegangen.<br />

Das warbeklemmend.<br />

Stinauer: Ein kollektives Versagen,<br />

auf beiden Seiten, Polizei <strong>und</strong><br />

Medien. Andererseits macht es einen<br />

guten Reporter aus, dass er so<br />

nahe wie möglich an das Geschehen<br />

herankommen will. Um zu gucken,<br />

zu hören, zu fühlen. Ethische,<br />

presse- <strong>und</strong> strafrechtliche<br />

Gr<strong>und</strong>sätze muss er dabei natürlich<br />

auch immer im Kopf haben.<br />

Braun: Wir haben die Pflicht, in<br />

schwierigen Situationen Informationen<br />

zu sammeln.<br />

Stinauer: Dabei kommt man auch<br />

nicht drum herum, Situationen zu<br />

erleben, die einen persönlich sehr<br />

berühren. Bei uns vordem Verlag,<br />

auf der Amsterdamer Straße, gab<br />

es beispielsweise einmal einen<br />

schweren Verkehrsunfall. Als wir<br />

ankamen, war die Leiche abgedeckt,<br />

aber der Kofferrauminhalt<br />

des völlig zerstörtenAutos lag verteilt<br />

auf der Straße: ein Bobbycar<br />

<strong>und</strong> Kinderklamotten. Und sich<br />

dann vorzustellen: Da sitzt jetzt<br />

gerade eine Familie zu Hause, deren<br />

Welt wird in wenigen Minuten<br />

so tief erschüttert…Soetwas finde<br />

ich meistens schlimmer als zum<br />

Beispiel denAnblick einer Leiche.<br />

Braun: Wir erleben traumatische<br />

Dinge. Das bleibt nicht aus. Die<br />

Kunst ist, es das vernünftig aufzuschreiben.<br />

Wenn das gelingt, dann<br />

hat man –damals wie heute –den<br />

Beruf ein Stück weit verstanden.<br />

Aufgezeichnet <strong>von</strong><br />

Eliana Berger

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