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WALLIS Magazine - Winter 2017/18

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Fotos AP / Keystone (2)<br />

Heutzutage ist fast alles für fast jeden<br />

eine Challenge. Jeder Buchhalter<br />

vermeldet auf Social Media<br />

wie Facebook oder Linkedin die Herausforderung,<br />

der er sich stellt – wenn<br />

er die Firma wechselt. Die Zehnkilometer-Strecke<br />

beim Silvesterlauf vor sich?<br />

Challenge! Ein neues Kuchenrezept ausprobieren?<br />

Challenge! Herausforderungen<br />

für Sterbliche. Und dann gibt es<br />

noch das: Stellen Sie sich vor, Sie sind<br />

<strong>18</strong> Jahre alt und werden vor einem Millionenpublikum<br />

als weltgrösstes Talent<br />

Ihres Jahrgangs in Ihrer Branche geadelt.<br />

Und Sie müssen sich ab sofort dreimal<br />

pro Woche mit den Besten der Welt in<br />

den grössten Stadien messen, obwohl<br />

Sie das noch nie auf diesem Niveau getan<br />

haben. Sie wissen auch: Nur Wunderdinge<br />

sind gut genug, oder die werden<br />

früher oder später über mich herfallen.<br />

Die Zuschauer, die Medien und<br />

am Ende vielleicht auch der Chef. Verspüren<br />

Sie ein bisschen Druck? Willkommen<br />

in der Welt von Nico Hischier, dem<br />

weltgrössten Eishockeytalent seines<br />

Jahrgangs, Stürmer der New Jersey De-<br />

vils. In der besten Liga, der NHL. Das<br />

Spannende an solchen Menschen – in<br />

diesem Fall von Athleten – ist nicht etwa<br />

die Beschaffenheit ihrer Hände und<br />

Füsse, Arme und Beine, nicht die optimalen<br />

Hebel, mit welchen sie die Natur<br />

vielleicht ausgestattet hat, sondern das,<br />

was in diesen Köpfen vor sich geht.<br />

Schwierige Aufgaben lösen bei ihnen<br />

keine Depression, sondern einen Reiz<br />

aus. Und sie sind hartnäckig oder stur<br />

genug, etwas so lange zu probieren, bis<br />

sie es können. Als Bub spielt Nico nicht<br />

nur Eishockey, sondern parallel auch<br />

Fussball, Tennis und Unihockey. Er fährt<br />

Skateboard, Ski, Snowboard, geht ins<br />

Judo, ins Kunstturnen, ins Schwimmen.<br />

Er balanciert auf der Slackline, lernt Einradfahren.<br />

Seine Mutter Katja sagt: «Er<br />

wollte alles ausprobieren. Und er wollte<br />

auch immer den Weg zum Ziel kennen.<br />

Er beobachtete ganz genau.»<br />

Als seine Schwester Nina am Klavier wochenlang<br />

ein Lied einübt, beobachtet<br />

Nico sie. Und sagt: «Ich kann es auch.»<br />

Er übt ein paar Tage wie verrückt – dann<br />

spielt er es vor. Während vielen das<br />

Leben wie eine Aneinanderreihung von<br />

Tests erscheint, ist es für ihn ein Spiel.<br />

Nur: Wie viel er, die Eltern und die<br />

Gross eltern investieren, sehen die meisten<br />

nicht. Das ist als Kind so, als er von<br />

Naters nach Visp ins Training und in die<br />

Sportschule will und ständig hin- und<br />

hergefahren wird, das ist so als Teenager,<br />

als er mit 15 Jahren das Wallis verlässt,<br />

um im Nachwuchs des SC Bern zu spielen,<br />

das ist mit 17 so, als er alleine nach<br />

Nordamerika zu einer Gastfamilie zieht,<br />

um sich in Halifax einem Juniorenteam<br />

anzuschliessen. Er ist einer, der alles von<br />

sich verlangt. Und alles dafür tut, damit<br />

sein Team nicht verliert. Als Kind geht<br />

er bei einem Turnier vor einem Spiel<br />

zu seinem Trainer und sagt ihm, wer wo<br />

zu spielen hat, damit sie gewinnen. Der<br />

Trainer hört auf ihn. Sie gewinnen. Spass<br />

und Perfektionismus gehen bei ihm zusammen.<br />

«Es stimmt, wenn ich im Eishockey<br />

etwas verbessern muss, versuche<br />

ich es so lange, bis ich es kann», sagt<br />

er. «Wenn der Trainer sagt, ihr macht<br />

20 Kniebeugen, mache ich nicht 19.<br />

Wenn wir Kreisel drehen, gibt es keine<br />

Abkürzung.» Die Experten sind hingerissen<br />

von ihm. «Es gibt viele smarte Spieler,<br />

aber bei Nico ist alles fliessend», sagt<br />

etwa Craig Button vom kanadischen<br />

Sportsender TSN. «Er ist automatisch<br />

immer am richtigen Ort. Wenn man ein<br />

Video von ihm anschaut, sagt man nur<br />

noch: ‹Wow!› Seine Hände sind so gut,<br />

er bringt die Gegner automatisch aus<br />

dem Gleichgewicht.»<br />

Hischier, der sein Können seit Anfang<br />

Oktober am Hudson River demonstriert,<br />

sieht seine Heimat seit drei Jahren nur<br />

an Wochenenden oder in den Ferien.<br />

«Ich bin glücklich, ein Walliser zu sein»,<br />

sagt er. Er erzählt von den Wanderungen<br />

mit der Familie. Mit Vater Rino, Mutter<br />

Katja, Schwester Nina und Bruder Luca,<br />

der jetzt Profi beim SC Bern ist. Blatten,<br />

Belalp, Riederalp, Aletschgletscher. Vom<br />

Baden im Baggilla, dem kleinen Weiher<br />

bei Raron. Alles eingebrannte Bilder.<br />

Sosehr er in Gedanken mit der Heimat<br />

verbunden ist, so unschweizerisch kompromisslos<br />

geht er seinen Weg. Keine<br />

Zweitausbildung, keine Rückfallposition,<br />

kein Sicherheitsnetz. Es ist die Konsequenz,<br />

welche die Handvoll Weltstars im<br />

Schweizer Sport gemein hat. Und während<br />

man den meisten Menschen keinen<br />

Gefallen tut, sie mit Tennisstar Roger Federer<br />

zu vergleichen, ist es dieser Ausnahmeerscheinung<br />

nicht nur zuzumuten,<br />

es drängt sich richtiggehend auf. Denn<br />

beide vereinen Demut, Opferbereitschaft,<br />

einen peniblen Arbeitseifer und<br />

eine fast schon kindliche Liebe zum<br />

Spiel. Und während sie den gleichen<br />

Sport wie Millionen andere betreiben,<br />

tun sie es so kunstvoll wie nur wenige.<br />

Die Challenge, der nächste Schweizer<br />

Weltstar zu werden: Eigentlich ist es bei<br />

Hischier keine Frage, ob er es schafft.<br />

Nur wie schnell.<br />

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