LE GURK
APERITIF VEREHRTE LESER! Was mir im Zuge einer Recherche wieder mal in den Sinn kam: Es gibt ja so bestimmte Äußerungen und Standpunkte, die man in der Barszene kaum von sich geben darf, ohne Gefahr zu laufen, sich selbst nachhaltig zu diskreditieren. Ich mache das jetzt trotzdem mal: Ich finde Bloody Marys ganz entsetzlich! So, jetzt ist’s raus. Puuuh! Fühlt sich gut an. objektiv« umgestellt, auf Balance geachtet, bewertet und danach das gustatorische Kurzzeitgedächtnis kurz re-formatiert. Ich denke, ich habe damals fair bewertet (schließlich mochte ich ja keinen der Drinks). Ein flaues Gefühl hatte ich aber dennoch, weil ich damals keinem der Anwesenden gesagt hatte, dass Tomatensaft und ich eine, sagen wir mal, bestenfalls höfliche Beziehung pflegen. Es liegt übrigens nicht am Vodka, sondern daran, dass ich Tomatensaft einfach scheue wie der Teufel das Weihwasser. Das ist an sich ja auch keine Schande. Andererseits ist es total abstrus: Denn ich liebe Tomaten in sonst jeder Form – kalt, warm, als Sauce, gegrillt, karamellisiert, auf Bruschette, rot, gelb, grün, braun. Auch meine frühesten Kindheitserinnerungen sind schon von Tomaten geprägt, denn meine Mutter ist genau so ein Tomatenjunkie wie ich. Es kann also nicht an mangelnder oder verspätet vollzogener Tomatensozialisation liegen, dass ich Tomatensaft nicht leiden kann. Und überhaupt: Da steht der Wrage voll auf Tomaten, da laboriert er seit der Jugend fortwährend am Fine-Tuning der Marinara-Sauce. Aber Tomatensaft bleibt ein Buch mit sieben Siegeln. Dabei versuche ich ja von Zeit zu Zeit immer mal wieder, Tomatensaft zu mögen, weiß ich doch um die Verpflichtung, als Redakteur eines Barmagazins souverän im Tomatensaftdschungel wildern können zu müssen. Allein, es klappt nicht. Mir wird davon nicht übel oder so, aber es schmeckt mir ganz <strong>für</strong>chterlich. Ich musste sogar einst bei einem Cocktailwettbewerb in der Jury sitzen, bei dem die Teilnehmer u.a. einen Red Snapper zubereiten mussten. Gut, Gaumen auf »strikt Nils Wrage Chefredakteur Warum ich das hier schreibe? Nicht, weil mich meine Tomatensaftablehnung so fasziniert, sondern weil mich folgender Umstand verwundert: So gut wie niemals sagt mal ein Bartender, dass er irgendetwas nicht mag (abgesehen natürlich von den Produkten, die kollektive Ungnade genießen). Das mutet <strong>für</strong> mich skurril an. Trotzdem heißt es immer nur: »Das finde ich großartig … ich mag das unheimlich gern … mit XYZ beschäftige ich mich schon seit Langem …« So Worthülsen eben. Ich würde mich daher unheimlich freuen, wenn ich mal lesen dürfte: »Mezcal finde ich echt widerlich.« Oder »Chartreuse schmeckt grässlich.« Oder wenigstens »Ich trinke grundsätzlich keine Drinks mit Bourbon.« Man muss auch mal was nicht mögen dürfen, obwohl die meisten anderen einem das Gegenteil suggerieren. Alles andere ist Diktat. Und wer weiß: Ich mochte ja mit 12 auch noch keinen Spargel. Vielleicht hat der Tomatensaft also noch eine Chance … Viel Freude, Erkenntnis und Ärger mit dieser Ausgabe Ihr Nils Wrage DIE BESONDERE DRINK-SITUATION Fotos Bildstrecke: Tim Klöcker Wir sind sehr froh, dass wir Tim Klöcker haben. Schon lange begleitet Tim unser <strong>Magazin</strong> als Fotograf. Mit seinen kreativen, kraftvollen Szenen und Motiven prägt er die Bildsprache von MIXOLOGY und MIXOLOGY ONLINE seit Jahren entscheidend mit, er gehört mittlerweile zu den führenden Fotografen in Deutschland, wenn es um die Inszenierung von Cocktails und Drink-Themen geht. Die Bildstrecke dieser Ausgabe wollen wir daher nutzen, um einigen Motiven zeitgenössischer Drinks, die Tim <strong>für</strong> unsere Website gemacht hat, eine größere Fläche zu bieten – weg vom kleinen Bildschirm, rauf auf die große Bühne. Genießen Sie den Anblick dieser dynamischen, lebendigen und kunstvollen Aufnahmen. Wir jedenfalls bekommen schon wieder Durst! 5