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Mixology - Magazin für Barkultur 5-17

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5/20<strong>17</strong> —— 15. Jahrgang<br />

Einzelverkaufspreis: [D] 8,50 € — [A, LUX] 9,50 € — [CH] 10 CHF


CHILI CHOCOLATE MAI TAI


JABBERWOCKY


LE GURK


APERITIF<br />

VEREHRTE LESER!<br />

Was mir im Zuge einer Recherche wieder mal in<br />

den Sinn kam: Es gibt ja so bestimmte Äußerungen<br />

und Standpunkte, die man in der Barszene<br />

kaum von sich geben darf, ohne Gefahr zu laufen,<br />

sich selbst nachhaltig zu diskreditieren. Ich mache<br />

das jetzt trotzdem mal: Ich finde Bloody Marys<br />

ganz entsetzlich! So, jetzt ist’s raus. Puuuh! Fühlt<br />

sich gut an.<br />

objektiv« umgestellt, auf Balance geachtet, bewertet<br />

und danach das gustatorische Kurzzeitgedächtnis<br />

kurz re-formatiert. Ich denke, ich habe damals<br />

fair bewertet (schließlich mochte ich ja keinen<br />

der Drinks). Ein flaues Gefühl hatte ich aber dennoch,<br />

weil ich damals keinem der Anwesenden<br />

gesagt hatte, dass Tomatensaft und ich eine, sagen<br />

wir mal, bestenfalls höfliche Beziehung pflegen.<br />

Es liegt übrigens nicht am Vodka, sondern daran,<br />

dass ich Tomatensaft einfach scheue wie der Teufel<br />

das Weihwasser. Das ist an sich ja auch keine<br />

Schande. Andererseits ist es total abstrus: Denn<br />

ich liebe Tomaten in sonst jeder Form – kalt,<br />

warm, als Sauce, gegrillt, karamellisiert, auf Bruschette,<br />

rot, gelb, grün, braun. Auch meine frühesten<br />

Kindheitserinnerungen sind schon von<br />

Tomaten geprägt, denn meine Mutter ist genau so<br />

ein Tomatenjunkie wie ich. Es kann also nicht an<br />

mangelnder oder verspätet vollzogener Tomatensozialisation liegen,<br />

dass ich Tomatensaft nicht leiden kann. Und überhaupt: Da steht der<br />

Wrage voll auf Tomaten, da laboriert er seit der Jugend fortwährend<br />

am Fine-Tuning der Marinara-Sauce. Aber Tomatensaft bleibt ein<br />

Buch mit sieben Siegeln.<br />

Dabei versuche ich ja von Zeit zu Zeit immer mal wieder, Tomatensaft<br />

zu mögen, weiß ich doch um die Verpflichtung, als Redakteur eines<br />

Barmagazins souverän im Tomatensaftdschungel wildern können zu<br />

müssen. Allein, es klappt nicht. Mir wird davon nicht übel oder so,<br />

aber es schmeckt mir ganz <strong>für</strong>chterlich. Ich musste sogar einst bei<br />

einem Cocktailwettbewerb in der Jury sitzen, bei dem die Teilnehmer<br />

u.a. einen Red Snapper zubereiten mussten. Gut, Gaumen auf »strikt<br />

Nils Wrage<br />

Chefredakteur<br />

Warum ich das hier schreibe? Nicht, weil mich<br />

meine Tomatensaftablehnung so fasziniert, sondern<br />

weil mich folgender Umstand verwundert:<br />

So gut wie niemals sagt mal ein Bartender, dass er<br />

irgendetwas nicht mag (abgesehen natürlich von<br />

den Produkten, die kollektive Ungnade genießen).<br />

Das mutet <strong>für</strong> mich skurril an. Trotzdem<br />

heißt es immer nur: »Das finde ich großartig …<br />

ich mag das unheimlich gern … mit XYZ beschäftige<br />

ich mich schon seit Langem …« So Worthülsen<br />

eben. Ich würde mich daher unheimlich freuen, wenn ich mal<br />

lesen dürfte: »Mezcal finde ich echt widerlich.« Oder »Chartreuse<br />

schmeckt grässlich.« Oder wenigstens »Ich trinke grundsätzlich keine<br />

Drinks mit Bourbon.« Man muss auch mal was nicht mögen dürfen,<br />

obwohl die meisten anderen einem das Gegenteil suggerieren. Alles<br />

andere ist Diktat. Und wer weiß: Ich mochte ja mit 12 auch noch keinen<br />

Spargel. Vielleicht hat der Tomatensaft also noch eine Chance …<br />

Viel Freude, Erkenntnis und Ärger mit dieser Ausgabe<br />

Ihr Nils Wrage<br />

DIE BESONDERE DRINK-SITUATION<br />

Fotos Bildstrecke: Tim Klöcker<br />

Wir sind sehr froh, dass wir Tim Klöcker haben. Schon lange begleitet Tim unser <strong>Magazin</strong> als Fotograf. Mit<br />

seinen kreativen, kraftvollen Szenen und Motiven prägt er die Bildsprache von MIXOLOGY und MIXOLOGY ONLINE<br />

seit Jahren entscheidend mit, er gehört mittlerweile zu den führenden Fotografen in Deutschland, wenn es um<br />

die Inszenierung von Cocktails und Drink-Themen geht.<br />

Die Bildstrecke dieser Ausgabe wollen wir daher nutzen, um einigen Motiven zeitgenössischer Drinks, die Tim<br />

<strong>für</strong> unsere Website gemacht hat, eine größere Fläche zu bieten – weg vom kleinen Bildschirm, rauf auf die große<br />

Bühne. Genießen Sie den Anblick dieser dynamischen, lebendigen und kunstvollen Aufnahmen. Wir jedenfalls<br />

bekommen schon wieder Durst!<br />

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Bars & Menschen<br />

MIXOLOGY INTERN<br />

Unsere Highlights der kommenden Bar Week<br />

................................................................................ 8<br />

ZEHN<br />

Zehn Champagnerhäuser zum Perlentauchen<br />

.............................................................................. 22<br />

STADTGESCHICHTEN<br />

Frankfurt: Boomtown, Bars und Bembel-Kult<br />

.............................................................................. 26<br />

NEUE BARS<br />

Coupette – Gehobene Gemütlichkeit<br />

.............................................................................. 36<br />

NACHTRAUSCHEN<br />

Bargeschichte in Barcelona: die Dry Martini Bar<br />

.............................................................................. 38<br />

AUF EIN GLAS MIT …<br />

… Stefan Gabányi<br />

.............................................................................. 40<br />

Foto: Flickr/Kiefer/Frankfurt Skyline<br />

Flüssiges<br />

MIXTUR<br />

Neue Produkte aus dem Baruniversum<br />

.............................................................................. 10<br />

MEINUNG<br />

Bartender über ihr liebstes französisches Produkt<br />

.............................................................................. 20<br />

MADE IN GSA<br />

Frisches aus dem heimischen Barkosmos<br />

.............................................................................. 24<br />

FOOD & DRINK<br />

Austern: von wildem Meer und Sommertagen<br />

.............................................................................. 44<br />

ESSAY<br />

Was kommt nach der Revolution?<br />

.............................................................................. 46<br />

ALCHEMIST<br />

Essig: die »Mutter« aller Säuren<br />

.............................................................................. 54<br />

BACK TO BASICS<br />

Bunt ist der Herbst:<br />

Schlehe, Rote Bete & Quitte an der Bar<br />

.............................................................................. 60<br />

MIXOLOGY TASTE FORUM<br />

Textrunde mit New Western Dry Gin<br />

und Blanc-de-Blancs-Champagner<br />

............................................................................. 64<br />

FOUR OF A KIND<br />

Viermal Bourbon mit mehr als 50 %<br />

...............................................................................74<br />

TRINKWELT<br />

Frankreich: Auf einen Pastis am Nachmittag<br />

.............................................................................. 76<br />

MARKENPORTRÄT<br />

Rémy-Martin<br />

.............................................................................. 84<br />

COCKTAIL<br />

Benton’s Old Fashioned: Klassiker und Wegweiser<br />

.............................................................................. 88<br />

26 STADTGESCHICHTEN<br />

Frankfurt am Main eilt ein ganzer Haufen Vorurteile voraus. Doch die Stadt<br />

besitzt eine Barszene, mit der sich auf nationaler Ebene keine andere vergleichen<br />

kann. Schnöselige Bankerstadt oder schnodderige Baustelle – eine Großstadt<br />

zwischen Verruf und Versprechen.<br />

ESSAY 46<br />

Was kommt nach der großen<br />

Bar-Revolution? Aufstieg führt<br />

zu Zerfall und Wachstum zu<br />

Wachstumsschmerzen. Eine Branche,<br />

die teilweise nur noch mit Detail<br />

um des Details Willen befasst ist.<br />

Sechs Kapitel und eine Möglichkeit,<br />

den Niedergang der barocken<br />

Barlandschaft aufzuhalten.<br />

Foto: Verena Borell<br />

AUF EIN GLAS MIT 40<br />

Stefan Gabányi: Eine Reise durch die<br />

letzten Jahrzehnte Münchner <strong>Barkultur</strong><br />

bei einem »Indian Summer«<br />

6


MIXOLOGY<br />

TASTE FORUM 64<br />

»Irgendwann kommt der Moment<br />

im Leben einer jeden Frau, wo<br />

das Einzige, das hilft, ein Glas<br />

Champagner ist. « Western Dry<br />

Gin und Blanc-de-Blancs-Champagner<br />

im Test<br />

HOW TO COCKTAIL<br />

Der perfekte Mint Julep<br />

.............................................................................. 92<br />

MARKENPORTRÄT<br />

Wild Turkey: Brenner-Dynastie im Interview<br />

.............................................................................. 93<br />

WHISK(E)Y NEWS<br />

Die wichtigsten Neuheiten der Whiskywelt<br />

.............................................................................. 94<br />

KLIMEKS KAUFBEFEHL<br />

Ab ins Vipava-Tal<br />

.............................................................................. 96<br />

KAFFEE<br />

»Fair Trade«: Label oder Lüge?<br />

.............................................................................. 98<br />

KAFFEENOTIZEN<br />

Die wichtigsten Neuheiten der Kaffeewelt<br />

........................................................................... 100<br />

BIERNOTIZEN<br />

Hopfige Innovationen <strong>für</strong> den Herbst<br />

........................................................................... 102<br />

BIER<br />

Das Festbier: Eine Maß voll Kultur<br />

........................................................................... 104<br />

108 GLOBAL<br />

PLAYER<br />

Die Sache mit der Nachhaltigkeit<br />

ist in der Theorie<br />

super. Wie allerdings gelingt<br />

die Umsetzung an der Bar?<br />

Und was sind wir <strong>für</strong> unsere<br />

Ansprüche in Zukunft zu<br />

leisten imstande? Ein Panoptikum<br />

zwischen Mülleimern,<br />

Muddlern und Mixologen.<br />

Foto: Flickr/Shella Sund/Repeel<br />

Wirtschaft & Kultur<br />

GLOBAL PLAYER<br />

Zero Waste: Eine zukunftsträchtige<br />

Idee auch <strong>für</strong> die Bar?<br />

........................................................................... 108<br />

DIE FLASCHE IN ZAHLEN<br />

Altos Tequila<br />

........................................................................... 113<br />

BUSINESS<br />

Der ironische Trash: Beginnt die Demontage der Bar?<br />

........................................................................... 114<br />

TIEFENRAUSCH<br />

Zuckerrohrschnaps: Suff und Sühne auf Haiti<br />

........................................................................... 118<br />

HOMEBAR<br />

Jigger 2.0<br />

........................................................................... 120<br />

MUSIK<br />

Anna Forsberg: »Take my Waltz«<br />

........................................................................... 122<br />

ESSENTIAL CULTURE<br />

Neue Schätze <strong>für</strong> Augen und Ohren<br />

........................................................................... 124<br />

88 COCKTAIL<br />

Der Benton’s Old Fashioned<br />

gilt in den USA als Klassiker.<br />

Eine Bezeichnung, die hierzulande<br />

Irritation hervorruft.<br />

Über einen fulminanten<br />

Cocktail, der eher als abstrakter<br />

Impulsgeber betrachtet<br />

werden muss.<br />

Neues & Notizen<br />

VERANSTALTUNGEN & WETTBEWERBE<br />

Alle wichtigen Termine der vergangenen<br />

und kommenden Wochen<br />

........................................................................... 126<br />

IMPRESSUM<br />

........................................................................... 135<br />

7


26


STADTGESCHICHTEN<br />

STÖFFSCHE<br />

UND HÖHENRAUSCH<br />

Text Markus Orschiedt<br />

Frankfurt ist heißes Pflaster, himmelstürmende Boomtown<br />

und erdiger Bembel-Kult in einem.<br />

Wer sich in Frankfurt die Nacht stürzt,<br />

kann wählen zwischen Metropolenelend,<br />

kosmopolitischer Sinneswucht und einer<br />

<strong>Barkultur</strong>, die den ehemals kränkelnden<br />

Mainmoloch zur deutschen Hauptstadt<br />

dieser Genussdisziplin macht. Oder, wie<br />

der grübelnde Bartender einer renommierten<br />

Bar den Besucher fragte: »Sind<br />

wir eine Säuferstadt?«<br />

Manchmal fühlt sich Frankfurt an wie Offenbach. Das ist dann die<br />

schlimmste aller Beleidigungen, die man den Bewohnern der Mainmetropole<br />

machen kann. Jedenfalls an einem Freitag nach dem Donnerstag,<br />

an dem die berüchtigte Bahnhofsviertelnacht zum zehnten Mal stattgefunden<br />

hat. Punk, Prunk und Porno, Unorte und geheime Schätze,<br />

Drogen, Rotlicht, Lifestyle, Balkan und Orient lauten in diesem Zusammenhang<br />

die Schlagworte. Sie sprechen aus, was den Reiz dieses noch<br />

vor wenigen Jahren nur durch seine Verrufenheit bekannten Quartiers<br />

ausmacht. Gleichzeitig verschweigen sie, welche treibenden Kräfte<br />

hinter dieser Entwicklung stehen, die nicht nur das Viertel, sondern<br />

auch seine Peripherie schwingen lässt. Es ist das Zusammenspiel aus<br />

einer einzigartigen kulturellen Vielfalt und einem Hedonismus, der das<br />

Böse-Verlockende nicht – noch nicht – als Eventdeko an ein indifferentes<br />

Stadtmarketing verloren hat. Als Mahnung dürfen St. Pauli oder Berlin-Mitte<br />

und Prenzlauer Berg genannt werden, die immer wieder allen<br />

Ernstes als Szene-Bezirke an den Besucher verkauft werden. Solcherart<br />

wird er zum Sucher gemacht, zum Strandgut- und Perlensammler, wo<br />

er doch pralles Leben erwartet hat. Trotz der heterogenen Mischung<br />

aus Geld, Geist, Avantgarde und Mainstream spürt man beim Wandern<br />

durch das Bahnhofsviertel noch immer das autochthone Frankfurterische.<br />

Sogar Sachsenhausen ist noch – und seit Neuestem immer mehr<br />

– als Original zu erkennen.<br />

Foto: Steve Herud<br />

27


Die Bauwut kennt in Frankfurt keine Grenzen und wird hier gnadenlos<br />

der Entwicklung angepasst. Neueste Studien prophezeien weitere<br />

unglaubliche 90.000 Arbeitsplätze in der Stadt. Die Banker aus London<br />

werden kommen und kommen schon, Chinesen, Araber und Russen<br />

kaufen das neue »Europaviertel« in Grund und Boden. Gentrifizierung,<br />

Mietwucher, Spekulantentum inklusive – uncoole Stadträume, in denen<br />

noch in 100 Jahren kein wahres Leben sein wird. Wenn es einen angesichts<br />

der sozialen Kälte und gesichtslosen Ästhetik dieser Entwicklung<br />

fröstelt, dann baut man eben rund um den Römer wieder Giebel und<br />

Fachwerk auf. Wollsocke statt Wolkenkratzer.<br />

Dieses ganze Konglomerat an Eindrücken äußert sich in der beeindruckenden<br />

Zahl an Bars, an sehr guten Bars. Frankfurt kann ohne Zweifel<br />

als die Barhauptstadt Deutschlands angesehen werden. Auch wenn<br />

andere Städte Orte aufweisen, die in der Spitze mithalten können, manche<br />

Frankfurt vielleicht auch übertreffen – in der Breite dieses Qualitätsstandards<br />

können sie nicht konkurrieren. Schon gar nicht, was die<br />

durchgehend professionelle und angenehme Gastorientiertheit angeht.<br />

Schlechte Laune am Gast scheint man hier als Zeitverschwendung anzusehen.<br />

In keiner anderen deutschen<br />

Stadt ist die Qualität der<br />

Bars in einer solchen Breite<br />

vorhanden.<br />

Maxie Eisen<br />

Münchener Str. 18, 60329 Frankfurt<br />

+49 69 7675 8362<br />

— maxieeisen.com<br />

Aperitif ohne Essensbegattung<br />

Auch nicht an einem Freitag nach der Bahnhofsviertelnacht. Obwohl<br />

am Abend zuvor die halbe Stadt unter »Stöffsche« stand, also mithilfe<br />

von Alkohol, gepaart mit dem Lebensmittel »Äbbelwoi« öder »Äppler«,<br />

den Parcours durch Fixpunkte aus Handel, Handwerk, Bildung, Soziales,<br />

Bars und Sex <strong>für</strong> Bares genommen hat, herrscht schon wieder reges<br />

Treiben in den Straßen, wenn auch im Agens ein wenig verdumpft. Die<br />

obligatorische Grußformel »Gude« klingt noch mehr nach Hangover als<br />

sonst und verheißt noch nichts Gutes.<br />

Jenseits des Mains beginnt der Abend daher im Thai & Turf, einer<br />

gebretterten Bonanza <strong>für</strong> klassisches Thai-Food, Burger, Meeresgetier<br />

und Steaks aus eigenen Reiferäumen. Hier wird der Gast auf angenehm<br />

überbordende Art <strong>für</strong> die anstehende Nacht zugerichtet. Die Qualität<br />

ist überragend, ohne sich im Edelchichi zu verlieren. Das Großod in der<br />

Einöde kann vor Kraft kaum laufen und serviert Nightdining bis drei<br />

Uhr früh. Die Wucht wird begleitet von einer Bar, die ihren Namen verdient.<br />

Auf den Nachbartischen tummeln sich zahlreiche Cocktailschalen<br />

und in der Tat: Der empfohlene, asiatisch inspirierte Long Thailand<br />

Iced Tea schrumpft das Original, den Long Island Iced Tea, zur Dekadenz.<br />

Volumen lässt sich sehr gut mit Frische, Leichtigkeit und Exotik<br />

verbinden, und wenn man diesem Getränk wirklich Tee statt Cola als<br />

Filler gönnt, versteht man auch, warum wir von Geschmacksknospen<br />

sprechen, die es eben zu öffnen und nicht zu verkleben gilt. Lässig auch<br />

der Espresso Martini, gehobener Standard guter Bars und auch er ein<br />

wahrer Aperitif, der Lust auf das Essen macht, ohne es im Voraus zu<br />

begatten.<br />

Foto: Steve Herud<br />

Sieht eher weniger nach »Eisen« aus, ist es aber<br />

28 Stadtgeschichten — Frankfurt


Echokammer des Unkorrekten<br />

»Alle wollen ins Roomers heut’, was soll denn des?«, gibt sich die Taxifahrerin<br />

echauffiert. Ja, das Roomers, ein spezieller Fall. Die Hotelbar<br />

ist so etwas wie ein Avantgardist, dessen Magie eine höchst divergente<br />

Schnittmenge erobert hat. Mit schrillem Design statt brokatiger Trittschallästhetik<br />

herkömmlicher Hotelbars war man schnell der letzte<br />

Schrei der Stadt und internationaler Ideengeber <strong>für</strong> dieses Konzept.<br />

Wer die Tür öffnet, wird empfangen von markerschütternden Hip-<br />

Hop-Beats und einem Publikum, das sonst nur bei WM-Boxkämpfen<br />

zu finden ist. Show, Politik, Musik, Unterwelt. Was habe ich <strong>für</strong> Laster<br />

auf mich geladen, dass ich keine Flasche Champagner vor mir stehen<br />

habe, keinen Cognac <strong>für</strong> 120 Euro als Shot wegputze? Faszinierte und<br />

schauernde Hotelgäste betrachten das ausgelassene Treiben der bemuskelten<br />

Milieuoffiziere. Das sichere Auftreten und das dominante Spiel<br />

der Milleniums-Nitribitts wird von den weiblichen Gelddamen mit<br />

Abenteuerlust sowie einer Mischung aus Neid und Bewunderung genau<br />

registriert. Die Börsenmongolen sind auch immer noch da und werfen<br />

Stil mit Kohle zu. Überdrehte Geldprolls feixen um die Wette mit Angeberzigarren,<br />

die zusätzlich den Blick vernebeln. Eine Mischung von Sex<br />

und Adrenalin liegt zum Schneiden in der Luft. Ein Schreikabinett<br />

aus Parfum, Testosteron, Geilheit und Höhenrausch. Wie ein Fels in<br />

der Brandung dieses Untergangs des Abendlandes stabilisiert die fulminante<br />

Bartender-Crew den Taumel. Freundlich, aber bestimmt wird<br />

der Verkehr geregelt. Wie ein Uhrwerk arbeiten sie gegen die Feiernden<br />

an, die doch nur die Zeit verschlucken wollen. Mit Konzentration wird<br />

gegen alle Hektik der Boulevardier auf den Weg geschickt, der Sazerac<br />

erst dann serviert, als er auf Niedertemperatur gebracht und der Cognac<br />

wieder in sein Recht gesetzt ist. Die Gedanken nehmen wieder Abfahrt<br />

auf. Der Sinn solcher Institutionen, solcher Echokammern des gesellschaftlich<br />

Unkorrekten, besteht darin, am nächsten Morgen wieder den<br />

Unterschied zwischen Gut und Böse genau zu kennen. Aber es immer<br />

wieder tun zu wollen. Und vor allem: Nie wieder auf die verwegene Idee<br />

zu kommen, Frankfurt mit Offenbach zu vergleichen.<br />

__<br />

Weitere Bar-Adressen<br />

barhundert<br />

Stiftstraße 34<br />

60313 Frankfurt<br />

+49 69 9288 2757<br />

— barhundert.de<br />

Bar ohne Namen<br />

Eschenheimer Tor 3<br />

60318 Frankfurt<br />

+49 69 2575 5388<br />

Drinksmith<br />

Wallstr. 14<br />

60594 Frankfurt<br />

+49 69 4699 4443<br />

— drinksmithbar.com<br />

Old Fashioned Bar<br />

Klappergasse 35<br />

60594 Frankfurt<br />

+49 <strong>17</strong>3 6102 534<br />

— facebook: Old Fashioned Frankfurt<br />

Sullivan<br />

Kaiserstraße 12<br />

60311 Frankfurt<br />

+49 69 9288 4900<br />

— sullivan-bar.de<br />

<br />

amarolucano.it<br />

<br />

Mixt <strong>für</strong> uns: Lucus.<br />

ZUTATEN: 60 ml Amaro Lucano Anniversario<br />

65 ml Wermutmilch • 45 ml Senfschaum.<br />

• Head Bartender - Oriole, London •<br />

Maßvoll genießen.<br />

ZUBEREITUNG: Wermutmilch und Senfschaum getrennt zubereiten.<br />

In einem mit Eis gefüllten Rührglas mit Amaro Lucano Anniversario<br />

vermischen und shaken. Das Ganze in einen Tumbler mittlerer Größe<br />

(oder in ein Trinkhorn) gießen. Mit Madeirakuchen-Krümeln,<br />

Marzipan und Selimkörnern dekorieren.<br />

Besuchen Sie uns am 10. und 11. Oktober<br />

beim Bar Convent Berlin.<br />

Halle 7 • Stand P08a<br />

Import und Vertrieb:<br />

Weinland Ariane Abayan GmbH & Co. KG<br />

+49 (0) 40 48 00 350 • weinland@abayan.de


NEUE BARS<br />

LA PLUS BELLE<br />

DU QUARTIER<br />

Text Kit Kriewaldt<br />

Übersetzung Marianne J. Strauss<br />

Fotos: Hue & Cry London<br />

Es wäre <strong>für</strong> Chris Moore ein Leichtes gewesen, die Londoner<br />

Barszene mit einer weiteren, durchkonzeptuierten High-End-Bar zu<br />

bereichern. Stattdessen setzt der begnadete Gastgeber auf<br />

unprätentiöses Nachbarschaftstum und serviert im Coupette erfinderische<br />

Drinks, liebgewonnene Klassiker und viel Wohnzimmerflair.<br />

36


FOOD & DRINK<br />

AUSTER<br />

GEWÖHNLICH!<br />

44


DIE<br />

BAROCKE<br />

BLASE<br />

Bild: akg-Images, Eugène Delacroix: »Die Freihet führt das Volk«, 1830<br />

47


Manche sprechen von einem neuen Goldenen Zeitalter der Bar.<br />

Doch allmählich zeigt sich, dass das Wachstum der Barszene nicht<br />

auf ewig derart weiterläuft. Was jeder Unternehmer kennt, zeigt<br />

sich nun auch <strong>für</strong> die Bar: Wachsen kann zu Wachstumsschmerzen<br />

führen. Eine Analyse darüber, warum die Jugend der Barwelt<br />

Hilfe braucht. Und warum sie sich in Demut üben muss, damit sie<br />

die Revolution des Cocktails weiterführen kann.<br />

Text Nils Wrage<br />

1. Die stille Revolution<br />

Ich stand als Jugendlicher ganz heftig auf alles, was mit dem Barock<br />

zu tun hatte. Damit meine ich nicht, dass ich mit Schnallenschuhen,<br />

gepuderter Perücke und buntem Gehrock durch die Gegend lief, aber<br />

es gab eine lange Phase meiner Adoleszenz, in der ich begeistert war von<br />

den Idealen der barocken Kunst. Das Überbordende, Übersteigerte, das<br />

quasi Über-Lebendige, die Detailversessenheit um des Details Willen<br />

einerseits, andererseits in Spannung gesetzt durch die formale Strenge,<br />

die sich überall noch dicht manifestierte: in Lyrik, Musik, Architektur<br />

oder Kunst. Der Barock passt somit als Epoche auch ganz zu einem<br />

Jugendlichen (besonders zu einem mit künstlerischen Ambitionen),<br />

denn allein das genannte Spannungsverhältnis zeigt: Der Barock war<br />

eine Epoche, die nicht wirklich wusste, was oder wohin sie will. Passend<br />

dazu bedeutet der ursprüngliche, namensgebende portugiesische<br />

Begriff barocco auch »schiefe Perle«; irgendwie ästhetisch, irgendwie<br />

wertvoll, irgendwie erstrebenswert – aber andererseits auch außerhalb<br />

der Balance. Und das wiederum passt hier ganz gut. Denn es wird viel<br />

um Jugend gehen heute, um Unausgeglichenheit, um die Suche an sich,<br />

um Findungsphasen. Und um Revolution, dieses Kind der jugendlichen<br />

Seele.<br />

Die Begriffe »Revolution« und »Barock« kamen vor einigen Wochen<br />

zusammen. Mitte Juli brachte das US-Kulinarikportal Thrillist einen<br />

vielbeachteten Artikel des renommierten Autors Kevin Alexander<br />

mit dem schmissigen Titel »The Craft Cocktail Revolution ist Over. Now<br />

What?« Alexander lieferte mit diesem Beitrag eine wichtige und umfassende<br />

Bestandsaufnahme, mit welchen Problemen und Mechanismen<br />

die Barwelt aktuell zu kämpfen hat. Denn es gibt Probleme. Und in der<br />

Mitte des Textes gab es ein Zitat des Barbetreibers Neal Bodenheimer<br />

aus New Orleans, der meint: »Die Bar-Industrie befindet sich derzeit in<br />

ihrer Barockphase.«<br />

Revolutionen werden meist mit Gewalt, Umsturz, Blut assoziiert.<br />

Revolutionen sind laut, sie brüllen, sie lechzen nach Beachtung. Ohne<br />

Beachtung und Lärm wären sie gar keine Revolutionen, denn sie sind<br />

eine Frage der Perspektive.<br />

Ein zentrales Ereignis dessen, was Kevin Alexander als »Craft Cocktail<br />

Revolution« bezeichnet, war jedenfalls alles andere als lärmend oder<br />

schrill. Es trug sich zu in der Silvesternacht 1999/2000, als die halbe<br />

Welt sich fragte, ob das be<strong>für</strong>chtete Y2K-Problem die Zivilisation in den<br />

Abgrund reißen würde. Nichts passierte (allerdings wurde Wladimir<br />

Putin – Stichwort Abgrund – in dieser Nacht erstmals russischer Präsident,<br />

aber das ist ein anderes Thema). In jener Nacht aber eröffnete ein<br />

recht kleiner Mann mit akuratem Seitenscheitel und melancholischen<br />

Augen seine erste eigene Bar in einer günstig gemieteten Immobilie in<br />

der Lower East Side von Manhattan. Die Bar war ein Gegenentwurf zu<br />

dem, was die allermeisten Menschen mit dem Begriff verbanden: leise,<br />

dezent, mit einer Türklingel und strengen Benimmregeln versehen,<br />

überdies nur zu besuchen per Reservierung über eine halbgeheime, sich<br />

stetig ändernde Telefonnummer. Und zu trinken gab es Cocktails aus<br />

besten Spirituosen und ausschließlich frischen Zutaten. Es war Sasha<br />

Petraskes Vision einer Bar, er nannte sie Milk & Honey, und wenn<br />

auch die Bar still und leise öffnete und nie die große Bühne suchte,<br />

wenn auch Petraske selbst vor dem Milk & Honey so gut wie unbekannt<br />

in der Szene war, so trug die Bar doch zu einem Erdrutsch in der Barlandschaft<br />

bei.<br />

Zwar hatten bereits etwa zehn Jahre davor Männer wie Dale DeGroff<br />

und Dick Bradsell damit begonnen, alte Rezepturen wiederzubeleben<br />

und in ihren Cocktails wieder auf frische Zutaten zu achten, der<br />

sogenannte »Craft Cocktail« nahm also mit ihnen seinen Anfang. Aber<br />

Petraskes (der seit der ersten Lektüre von American Bar zu den glühendsten<br />

Bewunderern Charles Schumanns gehörte) Milk & Honey war<br />

nach heutigem Stand der Meilenstein, das Fanal, um die Bar an sich<br />

als einen Ort mit eigener Würde zu re-definieren. Einen Ort, der nicht<br />

einem Zweck untergeordnet ist, sondern der sich selbst dient und der<br />

seine Würde auf den Menschen überträgt, der in ihm arbeitet: den Bartender.<br />

48<br />

Titel — Die barocke Blase


54


ALCHEMIST<br />

ALLES ESSIG<br />

Text Reinhard Pohorec<br />

Fotos Tim Klöcker<br />

Kleopatra löste damit einst zehn Millionen<br />

Sesterzen in nichts auf, heute zaubern Bartender<br />

damit komplexe Getränke in die Gläser –<br />

eine Hommage an Essig, die wieder erstarkende<br />

»Mutter« aller Säuren.<br />

55


MIXOLOGY TASTE FORUM<br />

NEW WESTERN<br />

FRENCH 75<br />

New Western Dry Gin und Blanc de Blancs Champagner. Neue Strömung<br />

eines Klassikers einerseits, Spezialistenkategorie beim Schaumwein andererseits.<br />

Reizthema Gin, Bartenderliebling Schaumwein. Das MIXOLOGY TASTE<br />

FORUM schaut genau hin und kürt die besten ihrer Art.<br />

Text Peter Eichhorn<br />

»Irgendwann kommt der Moment im Leben einer jeden Frau, wo<br />

das Einzige, das hilft, ein Glas XY ist.« So sprach Bette Davis in der<br />

Rolle der Kit Marlowe im Filmklassiker In Freundschaft verbunden<br />

aus dem Jahr 1943. Für XY bietet das <strong>Mixology</strong> Taste Forum (MTF)<br />

<strong>für</strong> diese Ausgabe zwei Optionen an: prickelnden Blanc de Blancs<br />

Champagner und modern interpretierten Gin in der Variante New<br />

Western Style.<br />

In besagtem Hollywood-Streifen schwebte Bette Davis Champagner<br />

vor, deshalb blicken wir zunächst auf die französische Schaumweinspezialität.<br />

Natürlich nicht, ohne an eine weitere wichtige Dame der<br />

Champagner-Welt zu erinnern, Lily Bollinger. 1961 weilte sie in<br />

London anlässlich der Präsentation des 1955er-Jahrgangs aus dem<br />

Hause Bollinger. Als ein Journalist der »Daily Mail« sie fragte, zu<br />

welchen Gelegenheiten sie denn zu Champagner greifen würde, gab<br />

sie die legendäre Replik: »Ich trinke Champagner, wenn ich froh bin.<br />

Und wenn ich traurig bin. Manchmal trinke ich davon, wenn ich<br />

allein bin; und wenn ich Gesellschaft habe, dann darf er nicht fehlen.<br />

Wenn ich keinen Hunger habe, mache ich mir mit ihm Appetit,<br />

und wenn ich hungrig bin, lasse ich ihn mir schmecken. Sonst aber<br />

rühre ich ihn nicht an. Außer, wenn ich Durst habe.«<br />

65


DIE GRANDE<br />

NATION HAT DURST<br />

Text Marianne Julia Strauss<br />

Auch wenn die Franzosen es wohl nicht gerne hören:<br />

Bei der Entwicklung der modernen, derzeitigen <strong>Barkultur</strong> lief die<br />

Entwicklung des Landes sehr eng vergleichbar mit jener in Deutschland<br />

ab. Gleichzeitig werden die heimischen Traditionen lässiger und<br />

selbstverständlicher gewahrt. Oder können Sie sich etwas Französischeres<br />

vorstellen als einen Pastis am frühen Nachmittag? Eben.<br />

Ein Streifzug durch die Trinksitten eines Landes, das schon immer<br />

Vergangenheit, Gegenwart und Tradition in einen unverkrampften<br />

Dialog zu stellen wusste.<br />

76


TRINKWELT<br />

Illustrationen: Inga Israel<br />

77


COCKTAIL<br />

DIE PERSPEKTIVE<br />

DER FETTECKE<br />

In Nordamerika gehört der Benton’s<br />

Old Fashioned beinahe zum Standardrepertoire<br />

jeder besseren Bar.<br />

Das setzt eine gewisse Nachfrage voraus.<br />

Doch haben wir es wirklich mit einem<br />

»modernen Klassiker« zu tun oder eher<br />

mit einem abstrakten Pionierwerk?<br />

Text Nils Wrage<br />

Foto Tim Klöcker<br />

Don Lee also kam in der damals noch blutjungen und bis heute wegweisenden<br />

New Yorker Bar Please Don’t Tell (PDT) auf die Idee, den<br />

Bourbon <strong>für</strong> einen Old Fashioned im Vorfeld mit Baconfett zu versetzen.<br />

Es liest sich eigenartig, wenn es so formuliert ist. Denn die Barwelt<br />

kennt dieses Verfahren heute relativ flächendeckend als »Fat-Washing«.<br />

Aber zwischen 2007 und 20<strong>17</strong> liegt in der Bar ein veritables Zeitalter.<br />

Damals jedenfalls war das noch so abgefahren, dass sogar Lees Chef,<br />

Jim Meehan, die Idee <strong>für</strong> dermaßen bescheuert hielt, dass er seine Bar<br />

nicht wirklich da<strong>für</strong> hergeben mochte: Er erlaubte Lee zwar, seinen<br />

Bourbon derart zu behandeln und ihn anzubieten, verlangte aber von<br />

ihm, das Fat-Washing daheim zu vollziehen und den fertigen Schnaps<br />

dann mitzubringen.<br />

2011 schließlich wurde das PDT zur »World’s Best Bar« gewählt. Der<br />

meistverkaufte Drink in der besten Bar der Welt? Der »Benton’s Old<br />

Fashioned«, Lees simple Abwandlung des Klassikers aus Bitters, Ahornsirup<br />

– und fat-washed Bourbon. Irgendwann erlaubte Meehan übrigens<br />

dann doch, dass der Bourbon in der Bar hergestellt wird.<br />

Schnaps und Fett und Fleisch bedingen sich in gewisser Weise. Fast<br />

nichts ruft einen so starken Fleischappetit hervor wie eine Handvoll<br />

Drinks, das weiß jeder, der nach der Bar noch – fast wie ferngesteuert<br />

– schnell am nächsten Burgerladen anhalten musste. Oder es werden<br />

Gedanken ans letzte Katerfrühstück wach, das eher selten geprägt ist<br />

von Quinoa, Müsli und Obstsalat. Der Nachdurst, er will Deftiges.<br />

Gleichwohl gab (und gibt) es noch immer eine ziemlich starre Trennlinie<br />

im Zusammenspiel von Fett, Fleisch und Deftigem einerseits und<br />

Drinks andererseits: Sie liegt im klassischen Nebeneinander begründet.<br />

Drinks mussten (und müssen) prinzipiell geprägt sein durch Aspekte<br />

von Säure, Süße und Bitterem. Da kann man noch so viel darüber sprechen,<br />

dass eine Zitrone auch in minimalem Ausmaß die Umami-Rezeptoren<br />

auf der Zunge triggert oder davon, dass viele Spirituosen Rauch<br />

und Würze mitbringen.<br />

Wenn sogar der Chef noch am Speck zweifelt<br />

Daher verwundert es auch nicht, dass es 2007 Don Lee war, der quasi<br />

als erster ein Stück Fleisch in seinen Bourbon legte: Denn westlich des<br />

Atlantiks, vor allem in den USA, war (und ist) man auch wahrhaft herzhaften<br />

Drinks gegenüber schon immer aufgeschlossener gewesen. Die<br />

»Bloody Mary« – beispielsweise in Deutschland salopp formuliert immer<br />

ein Zaungast des alkoholischen Geschehens geblieben – als Dauergast<br />

bei jedem besseren Brunch ist da der beredte, stillschweigende Zeuge.<br />

88<br />

Ein Weltwunder? Oder eine Pflichtsache?<br />

Im selben Jahr, 2011, nahm der britische Bar-Experte Angus Winchester<br />

im Rahmen eines Artikels eine informelle Auflistung vor, die er schmissig<br />

als die »Sieben Cocktail-Weltwunder« der Bar-Renaissance deutete.<br />

Also jene sieben Drinks aus der Zeit seit ca. 1990, die wirklich mehr oder<br />

weniger global zu stehenden Begriffen, zu selbstverständlichen Drinks<br />

geworden waren. Dazu zählte er den Benton’s Old Fashioned.<br />

Natürlich sind solche Listen sowieso immer blöd. Erstens sind sie<br />

subjektiv, ganz gleich, wie erfahren jene sind, die sie aufstellen. Zweitens<br />

bleiben sie Momentaufnahmen. Aus heutiger Sicht mutet es etwa<br />

geradezu abstrus an, dass auf Winchesters Liste zwar der »Penicillin«<br />

(ein ewiger Bartender-Liebling) oder der »Sweet Heat« (von dem wirklich<br />

keine Sau spricht) stehen, aber weder »Old Cuban«, »Richmond<br />

Gimlet« oder ein gewisser »Gin Basil Smash« (der mittlerweile so sehr<br />

Klassiker ist, dass man in Berlin ramschige Derivate davon <strong>für</strong> fünf Euro<br />

angeboten bekommt). Und all diese Drinks gab es damals schon. Dennoch<br />

liegt es nah, warum Winchester den Benton’s Old Fashioned in<br />

seine Liste aufnahm, aus zweierlei Gründen:<br />

1. In die Liste musste ein Drink, der eine Old-Fashioned-Architektur<br />

besitzt.<br />

2. Der Drinks steht dort nicht nur um seiner selbst Willen, sondern um<br />

seiner Signalhaftigkeit in Bezug auf die Technik des Fat-Washings.<br />

Foto: Tim Klöcker


89


KLIMEKS KAUFBEFEHL<br />

Nach der slowenischen Steiermark gibt es noch das renommierte Weinbaugebiet<br />

»Jerusalem«, dann den Weinbau an der Adriaküste (der eine<br />

völlig andere Art Weine bringt als jener im Landesinneren), das prestigeträchtige<br />

Collio, das sich Slowenien mit Italien teilt und wo – wie in<br />

der Steiermark – die Nationengrenzen querbeet durch die Weingärten<br />

führen. In unmittelbarer Nähe des Collio dann der »Karst« oberhalb<br />

von Triest, und schließlich das Vipava-Tal, das von Vipava, rund 60<br />

Kilometer südlich der Hauptstadt Ljubljana, bis nach Nova Gorica an<br />

die italienische Grenze reicht. Um dieses Vipava-Tal und einen Wein<br />

von dort geht es heute.<br />

Osteuropa-Weinbau<br />

Der anarchische<br />

österreichisch-berlinerische<br />

Wein messias Manfred Klimek erteilt<br />

exklusiv in jeder Ausgabe einen<br />

könig lichen Weinbefehl. Also: Kaufen!<br />

DAS KOMBINAT<br />

In Vipava, einem Tal in Slowenien, machen<br />

zwei Österreicher in einem Riesenbetrieb seit<br />

diesem Jahr den ultimativen Saufwein <strong>für</strong><br />

die Gastronomie. Sogar in der Box.<br />

Jugoslawien. Ein seltsamer Staat. Zwischen den beiden Weltkriegen<br />

als eine der wenigen europäischen Demokratien durchaus erfolgreich;<br />

nach dem zweiten zur kommunistischen Diktatur mutiert und von<br />

»Marschall« Josip Broz, genannt »Tito«, zu einer Art fidelem Militärstaat<br />

transformiert. Ein bisschen Lateinamerika der Siebzigerjahre.<br />

Nur mit etwas liberaleren Lebensregeln und ohne Todesstrafe.<br />

Jugoslawien, und daran können sich wohl die meisten hier noch erinnern,<br />

zerbrach zwischen 1991 und 1996 (Kosovo 1999) in einem unfassbar<br />

blutigen und grausamen Bürgerkrieg. Begonnen hat dieses Schlachten<br />

1991 in Slowenien, jenem Bundesstaat und nun eigenständiger Republik,<br />

die in ihrem Norden an Österreich grenzt. Der »Befreiungskrieg« Sloweniens<br />

dauerte lediglich zehn Tage und forderte rund 120 Tote – bedauerlich,<br />

aber im Vergleich mit Kroatien oder Bosnien ein unglaublich<br />

geringer Blutzoll. Geschichtsstunde beendet. Wir kommen zum Wein.<br />

Wo Grenzen nur auf der Landkarte sind<br />

Slowenien ist eine bedeutende Weinnation mit sechs bedeutenden<br />

Weinbaugebieten. Da ist zuerst die slowenische Steiermark, die – wie<br />

der Name schon sagt – an die österreichische Steiermark direkt anschließt.<br />

Das führt dazu, dass die Nationengrenzen vielerorts tatsächlich<br />

durch die Weingärten führen, ohne diese je zerrissen zu haben.<br />

Und das hat einen Grund. In Vipava, der Hauptstadt der Region, steht<br />

eine riesige Kellerei, die noch im Kommunismus errichtet wurde –<br />

so ein echt hässlicher, aber funktionaler Ost-Weinbaubetrieb, eine<br />

Genossenschaft, ein Kombinat. Der neue slowenische Staat übernahm<br />

den alten jugoslawischen Volksbetrieb, führte ihn nicht ohne Erfolg<br />

weiter, steckte Geld in die Modernisierung, verkaufte ihn dann an<br />

ukrainische Unternehmer, die damit wenig anzufangen wussten und<br />

das Riesending diesen Sommer an zwei Österreicher übergaben: an<br />

einen Investor und an den Winzer Hannes Sabathi.<br />

Hannes Sabathi ist einer der vielen jungen Qualitätswinzer der Steiermark.<br />

Er füllt jährlich zwischen 120.000 und 140.000 Flaschen exzellenter<br />

Weine ab (darunter auch eine bemerkenswerte Scheurebe, eine<br />

Traube, die in Österreich eigentlich keine Tradition hat). Mit dem<br />

Betrieb in Vipava aber steigt Sabathi zu einem richtig großen Weinmacher<br />

auf, denn die Genossenschaft, deren Kellerei er jetzt verwaltet, hat<br />

sagenhafte 508 Hektar in Bewirtschaftung. Das heißt: jede Menge Trauben<br />

und viele Millionen Liter Wein.<br />

Die steirische Traubenschraube<br />

Vipava ist nicht schlecht aufgestellt. Die vielen Vertragswinzer liefern<br />

ordentliche Qualität, Sabathi muss lediglich jene Schrauben anziehen,<br />

von denen die Slowenen nichts wussten – die Schrauben des auch<br />

monetär relevanten Qualitätsweinbaus. Das macht Sabathi gleich bei<br />

der ersten Ernte in diesem Jahr und er macht es vor allem beim Sauvignon,<br />

der ja in seiner Steiermark die regionale Sorte Nummer eins<br />

ist. Beim Sauvignon kennen sich die Steirer aus wie nix.<br />

Vipavas erster Sauvignon (also Jahrgang 20<strong>17</strong>) unter der Ägide von<br />

Hannes Sabathi ist ein klarer, fruchtiger, grasiger, im Geruch leicht<br />

cannabisbetonter Sauvignon, der im Mund spritzig, easy, leicht und<br />

lecker rüberkommt. Der ideale Wein <strong>für</strong> die Bar. Noch dazu kriegt man<br />

ihn in Bag-in-Boxes, denn Vipava exportiert viel nach Skandinavien<br />

und England, wo diese Behälter nicht nur in der Gastronomie, sondern<br />

auch in Privathaushalten sehr beliebt sind. Man kriegt also einen<br />

Wein, zu dem man eine gute Geschichte erzählen kann, der wenig kostet<br />

und alle glücklich macht. Vipavas 20<strong>17</strong>er Sauvignon (ich kostete<br />

eine Probe aus dem Keller) gibt es dann im Spätherbst und frühen<br />

Winter zu kaufen. In ausreichenden Mengen. Und auch in Flaschen –<br />

<strong>für</strong> jene, die mit der Box nicht können. Selten habe ich einen süffigen<br />

Gastro-Wein mit einem so guten Preis-Leistungs-Verhältnis getrunken.<br />

Die Flasche geht runter wie nix.<br />

__<br />

— Zu bestellen vorerst bei: hannessabathi.at<br />

96


GLOBAL PLAYER<br />

LET ME<br />

SUSTAIN YOU!<br />

Text Stefan Adrian<br />

Nachhaltigkeit und Zero Waste halten Einzug in<br />

die Bar. Was aber bedeutet das? Was davon ist<br />

umsetzbar – und was ist sinnvoll? Eine Momentaufnahme<br />

zwischen Mülleimern, Muddlern und<br />

Mixologen.<br />

Nennen wir das Kind gleich mal beim Namen: Ein durchschnittlicher Abend in einer Bar im<br />

Jahre 20<strong>17</strong> ist nicht unbedingt das, was Nachhaltigkeits-Aktivisten in einem Modellbeispiel an die<br />

Wand projizieren würden. Vielmehr eher das Gegenteil: Eigelb landet dutzendfach im Müll, Servietten<br />

werden unter jeden neuen Drink geschoben, eine Armada an Plastikstrohhalmen freut<br />

sich darauf, sich zu seinen im Pazifischen Ozean schwimmenden Verwandten zu gesellen; am<br />

Ende türmen sich Müllsäcke voller verbrauchter Früchte und schlapper Kräuter, denn wie jeder<br />

Bartender am Ende einer Schicht weiß: Am Ende bleibt der Dreck.<br />

The Perennial und sein grüner Anspruch<br />

Natürlich gibt es aber auch längst Bars und Bar-Protagonisten, denen diese Verschwendung und<br />

Veruntreuung von Ressourcen ein Dorn im Auge ist. Eine davon ist Jennifer Colliau. Die<br />

Bartenderin aus San Francisco ist Barchefin des The Perennial, eines im Januar dieses Jahres<br />

eröffneten Restaurants mit dem Ziel, »das umweltfreundlichste Restaurant der Welt zu sein«, wie<br />

es das Betreiberpärchen Anthony Myint und Karen Leibovitz ausdrückt.<br />

Im The Perennial sind umweltfreundliche Materialien oder energiesparende Gerätschaften<br />

nichts Besonderes, sondern so bahnbrechend wie das Maß am Oktoberfest. Den Anspruch setzt<br />

man vielmehr durch Projekte wie einer 2000 Quadratmeter großen Indoor-Farm um, wo Larven<br />

und Regenwürmer gezüchtet und an Fische verfüttert werden, deren nährstoffreiches Aquari-<br />

108


Foto: flickr/fdecomite/Five Spiral Strips Orange Peeling<br />

109


EINEN<br />

DRINK<br />

IN DER<br />

LOUNGE?<br />

Foto: Ava Celik<br />

Die MIXOLOGY-Lounge auf dem Bar Convent<br />

Berlin: eine Oase der Ruhe. Und genug zu trinken<br />

gibt es auch. Hereinspaziert!<br />

Für einen Besuch an der <strong>Mixology</strong>-Lounge auf dem Bar Convent<br />

Berlin 20<strong>17</strong> gibt es eine ganze Reihe Gründe. Nicht nur, dass man der<br />

Redaktion im direkten Austausch die Meinung sagen kann, spricht <strong>für</strong><br />

ein kurzes Vorbeischauen. Nein – man hat auch wie jedes Jahr die Gelegenheit,<br />

auf den echten Redaktions-Sofas Platz zu nehmen, auf denen<br />

bereits so manche spätnächtliche Denksession in unmittelbarer Nähe<br />

zur Druckdeadline stattgefunden hat.<br />

Und das vielleicht auch noch mit einem Gläschen Champagner, Pils,<br />

Mezcal, Berliner Weisse, Brandy, Bayerisch Hell oder Pisco? Denn zum<br />

zweiten Mal präsentieren wir an unserer Lounge die kleine, aber feine<br />

Bar des <strong>Mixology</strong> Taste Forum (MTF). Dort haben alle Messebesucher<br />

die Möglichkeit, die jeweiligen bestplatzierten Produkte unseres<br />

Expertengremiums aus dem zurückliegenden <strong>Magazin</strong>jahrgang zu verkosten,<br />

zu vergleichen und natürlich auch zu genießen. An der MTF-<br />

Bar betreuen Sie in diesem Jahr die beiden renommierten Berliner<br />

Bartender Lucia Schürmann (Galander Haifischbar) und Konrad Friedemann<br />

(Das Stue), beide selbst regelmäßig Mitglied der MTF-Runde.<br />

Die MTF-Bar ist an beiden Messetagen durchgehend <strong>für</strong> Sie geöffnet,<br />

Sie erhalten dort auch zu allen angebotenen Produkten weiterführende<br />

Informationen.<br />

Probetrinken an der <strong>Mixology</strong>-Lounge<br />

Ein Hort der Ruhe<br />

AUF DEM BAR CONVENT BERLIN<br />

MIXOLOGY-LOUNGE<br />

UND MTF-BAR<br />

10. & 11. OKTOBER 20<strong>17</strong>, 11 – 19 UHR<br />

HALLE 5 DER STATION BERLIN<br />

Vor allem aber freuen sich das Redaktionsteam und zahlreiche unserer<br />

freien Mitarbeiter darauf, mit Ihnen – unseren Lesern – ein wenig<br />

abseits des hektischen Messetreibens ins entspannte Gespräch zu kommen;<br />

über Trends, <strong>Barkultur</strong>, neue Bars und die wichtigsten Neuheiten,<br />

die auf dem BCB präsentiert werden. Niemals sonst im Jahr bietet sich<br />

ein Anlass da<strong>für</strong>. Diese Gelegenheit liegt uns jedes Mal sehr am Herzen.<br />

Darüber hinaus haben Sie außerdem die übliche Möglichkeit <strong>für</strong> ein<br />

Schnäppchen: So erhalten sie frühere <strong>Mixology</strong>-Ausgaben und den<br />

<strong>Mixology</strong> Bar Guide an unserer Lounge zu exklusiven Messepreisen,<br />

und auch das Abonnement des <strong>Mixology</strong>-<strong>Magazin</strong>s können Sie zu Sonderkonditionen<br />

abschließen. Wenn das alles nicht genügend Gründe<br />

sind. Wir hoffen auf Ihren Besuch und sagen vorsorglich schon einmal<br />

»Cheers, auf Bartenders’ Christmas!«<br />

132 Veranstaltungen & Wettbewerbe


SAVE THE DATE!<br />

International Bar and<br />

Beverage Trade Show<br />

10. & 11. October 20<strong>17</strong><br />

Station Berlin<br />

WWW.BARCONVENT.COM<br />

Organised by<br />

facebook.com/BarConvent<br />

133<br />

twitter.com/BarConventBER


PERFEK<br />

TION<br />

MANIFES<br />

TIERT<br />

D A S J Ä G E R M E I S T E R M A N I F E S T :<br />

E I N S T A T E M E N T U N A N G E P A S S T E N G E S C H M A C K S .<br />

S E I T M I T T E M Ä R Z I N D E N B E S T E N B A R S D E S L A N D E S .<br />

F Ü R V E R A N T W O R T U N G S V O L L E N G E N U S S .<br />

E N T D E C K E M E H R U N T E R : W W W . J A E G E R M E I S T E R . D E / M A N I F E S T<br />

O D E R W W W . H U B E R T U S C I R C L E . C O M / M A N I F E S T

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