10/2017
Fritz + Fränzi
Fritz + Fränzi
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Fr. 7.50 <strong>10</strong>/Oktober <strong>2017</strong><br />
Jesper Juul<br />
Wie man als Eltern<br />
eine erfüllte<br />
Paarbeziehung lebt<br />
Fabian Grolimund<br />
Was Eltern wissen<br />
müssen, wenn das<br />
Kind ein Träumer ist<br />
Digitale<br />
Revolution<br />
im Klassenzimmer
Inspirationen für Familien auf<br />
famigros.ch/ausflug<br />
Super<br />
Sonntag!<br />
Super<br />
Idee!<br />
Famigros verschönert das Familienleben mit vielen Ausflugsideen<br />
und wertvollen Tipps. Als Mitglied unseres Familienclubs<br />
profitieren Sie zudem von einem <strong>10</strong>x Cumulus-Vorteilcoupon<br />
als Willkommensgeschenk und vielen weiteren Vorteilen.
Editorial<br />
Bild: Geri Born<br />
Nik Niethammer<br />
Chefredaktor<br />
Jetzt mal ehrlich: Wann haben Sie das letzte Mal der Lehrerin, dem Lehrer Ihres<br />
Kindes Danke gesagt? Danke für die Leidenschaft, Ihrem Dreikäsehoch die Neunerreihe<br />
beizubringen? Danke für die Geduld mit Ihrer pubertierenden Tochter,<br />
deren Hormone seit Wochen verrückt spielen? Danke für die Bereitschaft, auch<br />
mit sperrigen Eltern konstruktiv zusammenzuarbeiten?<br />
Eben!<br />
«Der wichtigste Ort, an dem<br />
junge Menschen all jene<br />
Erfahrungen sammeln, die<br />
darüber bestimmen, ob sie<br />
sich später im Leben etwas<br />
zutrauen, ist die Schule.»<br />
Gerald Hüther, Neurobiologe und Buchautor<br />
Liebe Leserin, lieber Leser<br />
Eine Lehrperson habe ihm kürzlich erzählt, sie bekomme nur Anrufe von Eltern,<br />
wenn etwas nicht gut laufe, sagt Urs Gfeller von der Pädagogischen Hochschule<br />
Bern in unserem Monatsinterview (ab Seite 36). «Es gibt nie eine positive Rückmeldung.»<br />
Gfeller leitet ein Internetforum für Lehrpersonen; 1700 Lehrkräfte<br />
sind registriert und können sich beraten lassen. Der erfahrene Coach appelliert<br />
auch an die Lehrpersonen, sich wenigstens einmal im Jahr mit einer ausschliesslich<br />
positiven Nachricht an die Eltern zu wenden. «Über einen solchen Anruf<br />
freut sich jede Mutter und jeder Vater.»<br />
Meine Frau und ich haben das übrigens gleich mal ausprobiert<br />
und der Lehrerin unseres Sohnes nach den Sommerferien<br />
eine Mail geschickt: «Wir wünschen Ihnen und der 2. Klasse<br />
ein glückliches und vielseitiges neues Schuljahr. Das Zeugnis<br />
fanden wir sehr treffend und einfühlsam formuliert. Wie<br />
schön, dass Sie unseren Sohn so differenziert wahrnehmen.<br />
Lassen Sie uns gerne weiterhin im Gespräch bleiben.»<br />
Sie glauben ja gar nicht, wie sehr sich die Lehrerin unseres<br />
Sohnes über diese Nachricht gefreut hat. Wollen Sie die Lehrperson<br />
Ihres Kindes auch strahlen sehen? Dann greifen Sie<br />
zum Hörer oder in die Tasten!<br />
***<br />
Bald benötigen wir in 90 Prozent aller Berufe digitale Kompetenzen. Wie bereiten<br />
die Schulen unsere Kinder darauf vor? Warum ist es so schwierig, digitales<br />
Lernen einzuführen? Wann macht der Einsatz eines Tablets Sinn? Und braucht<br />
es, um mit der technologischen Entwicklung mithalten zu können, ein eigenes<br />
Schulfach Informatik? Diesen Fragen geht meine Kollegin Bianca Fritz in unserem<br />
Dossier «Digitale Revolution im Klassenzimmer» auf den Grund. Eines<br />
ist gewiss: Ohne Lehrpersonen gelingt der digitale Wandel nicht. Auf sie kommt<br />
vieles zu. Nicht alle haben Lust darauf. Das Zauberwort heisst: Fortbildung.<br />
Ich wünsche Ihnen spannende Einsichten mit dieser Ausgabe. Ausgewählte<br />
Geschichten aus dem Heft sowie Texte, die wir nur online publizieren, finden<br />
Sie wie immer auf unserer Website unter www.fritzundfraenzi.ch.<br />
Herzlichst, Ihr Nik Niethammer<br />
850 Lehrstellen in 25 Berufen | www.login.org
Fr. 7.50 <strong>10</strong>/Oktober <strong>2017</strong><br />
Inhalt<br />
Ausgabe <strong>10</strong> / Oktober <strong>2017</strong><br />
Viele nützliche Informationen finden Sie auch auf<br />
fritzundfraenzi.ch und<br />
facebook.com/fritzundfraenzi.<br />
Psychologie & Gesellschaft<br />
44 Kettenbriefe aufs Handy<br />
Von harmlosen Spässen über<br />
Falschmeldungen bis zu Drohungen:<br />
Kinder sind mit manchen Nachrichten<br />
überfordert. Was Eltern tun können.<br />
Augmented Reality<br />
Dieses Zeichen im Heft bedeutet, dass Sie digitalen Mehrwert<br />
erhalten. Hinter dem ar-Logo verbergen sich Videos und<br />
Zusatzinformationen zu den Artikeln.<br />
<strong>10</strong><br />
Dossier: Medien<br />
und Schule<br />
<strong>10</strong> Die digitale Schule<br />
Der Lehrplan 21 bringt «Medien und<br />
Informatik» in die Volksschule.<br />
Doch wie weit sind unsere Schulen<br />
in Sachen Digitalisierung?<br />
Bild: Salvatore Vinci / 13 Photo<br />
30 Keine Angst vor neuen Medien!<br />
Philippe Wampfler ist Lehrer und<br />
berät Kollegen beim Thema<br />
«digitaler Unterricht». Ein Interview.<br />
32 Wer soll das bezahlen?<br />
Jürg Brühlmann vom LCH über die<br />
Anforderungen, die auf die Schule der<br />
Zukunft zukommen.<br />
Jesper Juul<br />
Wie man mit Kindern<br />
eine erfüllte<br />
Paarbeziehung lebt<br />
Fabian Grolimund<br />
Was Eltern tun können,<br />
wenn das Kind ein<br />
Träumer ist<br />
Digitale<br />
Revolution<br />
im Klassenzimmer<br />
Cover<br />
Rico, 12, schreibt viel<br />
lieber auf dem Tablet<br />
als im Heft – «weil<br />
da Fehler gleich<br />
korrigiert werden».<br />
Bilder: Christian Aeberhard / 13 Photo, Raffael Waldner / 13 Photo, Sibylle Dubs, Désirée Good / 13 Photo<br />
4
36<br />
50<br />
68<br />
Urs Gfeller, womit haben Lehrpersonen<br />
heute am meisten zu kämpfen?<br />
Du musst noch üben! – Dieser Satz verdirbt<br />
Kindern die Freude am Musizieren.<br />
Lilani ist das Nesthäkchen unter drei älteren<br />
Brüdern – und trotzdem immer dabei.<br />
Erziehung & Schule<br />
46 Wie ein Fisch im Wasser?<br />
Schwimmen lernen ist<br />
bubileicht? Nicht für jeden, sagt<br />
Schwimm lehrerin Nadja Winter<br />
und erklärt im Interview, wieso.<br />
50 Kinder und Musik<br />
Ihr Kind will auf seinem Instrument<br />
nicht üben? 15 Tipps, die wirklich<br />
helfen.<br />
56 Kindesunterhalt<br />
eues eht neue Pflihte<br />
60 Lernen und Üben der Schrift<br />
Spiele mit Buchstaben und Wörtern<br />
motivieren.<br />
68 Grossfamilien<br />
Viele junge Paare wünschen sich<br />
wieder mehr als zwei Kinder.<br />
Wie fühlt sich das Leben zu sechst<br />
an? Ein Hausbesuch.<br />
Digital & Medial<br />
78 Kinder besser schützen<br />
Der Bundesrat verlangt für Games<br />
und Videos einen schweizweit<br />
einheitlichen Rahmen für<br />
Altersbeschränkungen. Ist das<br />
sinnvoll?<br />
Rubriken<br />
03 Editorial<br />
06 Entdecken<br />
36 Monatsinterview<br />
Urs Gfeller berät Lehrer, die sich<br />
im Berufsalltag Unterstützung<br />
wünschen. Ein Gespräch über neue<br />
Anforderungen im Lehrerberuf.<br />
42 Jesper Juul<br />
Wie können aus Verliebten Liebende<br />
werden? Der Familientherapeut<br />
antwortet einer Mutter.<br />
57 Mikael Krogerus<br />
nser lumnist ndet es an der eit<br />
Jungs feministisch zu erziehen.<br />
58 Fabian Grolimund<br />
Verträumte Kinder sind kreativ und<br />
fantasievoll, aber oft vom Alltag<br />
überfordert. Tipps für Eltern.<br />
64 Leserbriefe<br />
67 Stiftung Elternsein<br />
Ellen Ringier macht sich Gedanken<br />
zum Thema Loslassen und über den<br />
Herbst als Erntezeit.<br />
82 Eine Frage – drei Meinungen<br />
Aufräumen, mehr üben, Tisch decken –<br />
was tun, wenn die Tochter jede Bitte<br />
als Kritik auffasst?<br />
Service<br />
76 Verlosung<br />
80 Sponsoren/Impressum<br />
81 Buchtipps<br />
83 Abo<br />
Die nächste Ausgabe erscheint<br />
am 2. November <strong>2017</strong>.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Oktober <strong>2017</strong> 5
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Lass uns reden!<br />
3 FRAGEN<br />
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die aktuelle<br />
Fritz+Fränzi-App,<br />
scannen Sie diese Seite<br />
und sehen Sie einen<br />
Beitrag von Caroline Märki<br />
und familylab.<br />
Paare, die Konflikte lösen wollen,<br />
sollten versuchen, das während eines<br />
gemeinsamen Spaziergangs zu tun.<br />
Dies ist das Ergebnis einer US-Studie.<br />
Demnach entspannt synchrones<br />
Gehen offenbar die Konfliktsituation:<br />
Es verbessert die Stimmung, setzt<br />
Kreativität frei und fördert so die<br />
Bereitschaft zur Versöhnung. Ausserdem<br />
scheint Spazierengehen beide<br />
Partner in die Lage zu versetzen,<br />
wieder konsensfähige Standpunkte<br />
einzunehmen und weniger zu konkurrieren,<br />
schreiben die Autoren.<br />
an Caroline Märki, Leiterin von Familylab Schweiz<br />
«Auf die innere Haltung kommt es an»<br />
2004 gründete der dänische Familientherapeut Jesper Juul das<br />
Elternberatungsprojekt «Familylab – Familienwerkstätten». Das Netzwerk<br />
ist inzwischen in 21 Ländern aktiv. Das Schweizer Familylab wird von der<br />
Elternbildnerin Caroline Märki geleitet.<br />
Interview: Evelin Hartmann<br />
Frau Märki, Familylab bietet neben Familienberatung und Elternkursen<br />
auch Elterngruppen an. Worin unterscheiden sich diese von<br />
anderen Elterngruppen?<br />
Statt eine bestimmte Erziehungsmethode zu lehren, vermitteln wir den<br />
Eltern, dass es auf eine innere Haltung gegenüber ihren Kindern und sich<br />
selbst als Mutter oder Vater ankommt. Der Austausch mit anderen Eltern<br />
unter fachlicher Leitung und die theoretischen Inputs sollen die Eltern<br />
stärken und zu mehr Sicherheit und Klarheit führen. Als Ausgangspunkt<br />
für die gemeinsame Arbeit sollen die Fragen, Konflikte oder Probleme<br />
dienen, die die Eltern im Umgang mit ihren Kindern erleben.<br />
Patentrezepte für klassische Konfliktsituationen gibt es also nicht.<br />
Wie laufen diese Elterngruppen organisatorisch ab?<br />
Die Teilnehmer treffen sich alle zwei bis drei Monate, an insgesamt fünf<br />
Terminen. Nach einem halben Jahr gibt es dann ein sechstes Treffen, eine<br />
Art Supervision, bei der wir fragen, wie es ihnen nun in ihrem Familienalltag<br />
ergeht.<br />
Und wie sind die Rückmeldungen?<br />
Mehrheitlich sehr positiv! Leider ist unser Angebot nicht überall bekannt,<br />
weshalb einige Gruppen in manchen Regionen nicht zustande kommen.<br />
Das ist für Interessierte immer sehr frustrierend. Daher arbeiten wir daran,<br />
von offiziellen beziehungsweise staatlichen Stellen anerkannt und dadurch<br />
bekannter zu werden.<br />
Alle Infos auf www.familylab.ch<br />
114 Franken zahlen Schweizer<br />
Eltern im Schnitt pro Monat<br />
für das Hobby ihres Kindes.<br />
(Quelle: Umfrage unter 300 Eltern,<br />
in Auftrag gegeben vom Kleinanzeigenportal tutti.ch)<br />
Auf ins grösste<br />
Aquarium<br />
Europas!<br />
Piranhas, Leopoldrochen,<br />
Alligatorhechte – die spannendsten<br />
Fische leben im<br />
Meer? Von wegen: In diesen<br />
Tagen eröffnet in Lausanne das<br />
grösste Süsswasser-Aquarium<br />
Europas – mit spektakulären<br />
Einblicken in die Süsswasser-<br />
Welt. AQUATIS Aquarium –<br />
Vivarium heisst es und lädt Besucher auf eine Süsswasser-Odyssee<br />
durch fünf Kontinente ein. In 46 Aquarien, Vivarien und Terrarien<br />
tummeln sich an die <strong>10</strong> 000 Fische und mehr als <strong>10</strong>0 Reptilien und<br />
Amphibien. Ziel sei es, den Menschen das Wasser und die Süsswasser-Lebensräume<br />
näherzubringen. Denn was man kennt und<br />
liebt, das schützt man.<br />
www.aquatis.ch<br />
Bilder: iStockphoto, ZVG<br />
6 Oktober <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
«Die grosse Mehrheit der<br />
Jugendlichen erlernt einen<br />
positiven Umgang mit dem<br />
Smartphone. Sie entwickeln zum<br />
Teil neue Verhaltensformen<br />
und legen das Handy auch mal<br />
bewusst weg.»<br />
(Gregor Waller in einem Interview auf tagesanzeiger.ch)<br />
Gregor Waller ist Psychologe<br />
und forscht an der Zürcher<br />
Hochschule für Angewandte<br />
Wissenschaften. Er leitet den<br />
Schwerpunkt<br />
Medienpsychologie.<br />
Mutig, mutig!<br />
Bibbern, Staunen und ganz<br />
viel Gänsehauteffekt.<br />
«Mutig, mutig!» lautet das<br />
Motto der diesjährigen<br />
Schweizer Erzählnacht,<br />
wenn sich am <strong>10</strong>. November<br />
in der ganzen Schweiz<br />
Kinder, Jugendliche und<br />
Erwachsene in literarische<br />
Abenteuer stürzen. Initiiert wird die Schweizer<br />
Erzählnacht als Leseförderprojekt vom Schweizerischen<br />
Institut für Kinder- und Jugendmedien SIKJM<br />
in Zusammenarbeit mit Bibliomedia und Unicef.<br />
Schulen, Bibliotheken, Buchhandlungen, Jugendtreffs<br />
und andere Organisationen sind herzlich eingeladen,<br />
teilzunehmen und sich auf www.sikjm.ch anzumelden.<br />
Schule im Koffer<br />
Sie würden gerne mal auf Weltreise<br />
gehen, aber das Kind muss in die<br />
Schule? Kein Problem! Das Angebot<br />
«Schule im Koffer» will Eltern die<br />
Möglichkeit bieten, ihre Kinder auch<br />
auf Reisen zu unterrichten – und zwar<br />
mit auf die Bedürfnisse ihres Kindes<br />
angepasstem Lernmaterial. Und da<br />
Familien meist keinen Platz für noch<br />
mehr Gepäck haben, ersetzt das iPad<br />
den (symbolischen) Koffer voller<br />
schwerer Schulbücher.<br />
Alle Infos auf www.schuleimkoffer.ch<br />
Fit für die Zukunft Was macht eigentlich eine Zimmerin? Oder ein<br />
Logopäde oder ein Visagist? Ja, das Geschlecht ist bewusst gewählt, auch wenn die<br />
meisten bei diesen Berufsbezeichnungen jeweils eine Frau oder eben einen Mann vor<br />
Augen haben eim ationalen ukunftstag, der dieses ahr am ovember stattfindet,<br />
sollen Mädchen und Buben die Seiten wechseln und so untypische Arbeitsfelder und<br />
ebensbereiche kennenlernen So sollen sie den ut finden, ihre ukunft losgelst von<br />
starren Geschlechterbildern in die Hand zu nehmen.<br />
www.nationalerzukunftstag.ch<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Oktober <strong>2017</strong> 7
Anzeige<br />
Wer Skiferien<br />
sagt, muss auch<br />
Tirol sagen<br />
Zauberteppich? Geschenkt! Spezialisierte<br />
Tiroler Regionen haben weit über die Minimalanforderungen<br />
an Familienskigebiete<br />
hinaus gedacht und liebevoll gestaltete Erlebniswelten<br />
geschaffen. Wir haben eine<br />
Skischule besucht und herausgefunden,<br />
dass Skifahren nicht nur cool ist, sondern<br />
auch fordert und fördert – und sogar<br />
schlau machen soll.<br />
Gerhard Told wirft den Drachen an. Röhren,<br />
Kindergeschrei. Langsam fährt Told los. Hinter<br />
sich zieht er einen Schlitten, der aussieht wie<br />
ein Zugwaggon, nur steht er auf Kufen statt<br />
auf Rädern. Ein Dutzend Kinder hängt an den<br />
offenen Seiten, winkt, lacht. „Das lieben sie“,<br />
hatte Told vorhin versichert. Jetzt, auf dem mit<br />
Holz und Pappmaché als Drache verkleideten<br />
Ski-Doo, lächelt er. Auch Told scheint diese Momente<br />
zu lieben. Mit den Kindern im Schlepptau<br />
dreht er eine Runde auf den verschneiten Gipfel.<br />
Dann hält er an. Aussteigen! Der Skiunterricht<br />
geht weiter.<br />
Früher waren Skikurse für Kinder fast eine<br />
Selbstverständlichkeit. Inzwischen hat sich<br />
das geändert, seit Jahren sinkt die Zahl junger<br />
Menschen, die den Sport erlernen. Was schade<br />
ist: Denn Skifahren fordert und fördert. Manche<br />
Experten sagen sogar: Macht schlau.<br />
Eine Frage der Motorik<br />
In Spitzenzeiten üben in einer Skischule wie<br />
jener von Told jede Woche bis zu 200 Kinder.<br />
Die meisten beginnen das Skifahren mit etwa<br />
vier Jahren. Ein gutes Alter, sie stehen dann<br />
schon recht sicher auf den Beinen, lernen<br />
gleichzeitig schnell neue Bewegungsabläufe.<br />
Und die zu beherrschen, ist beim Skifahren<br />
entscheidend. Schon ein einfacher Parallelschwung<br />
erfordert eine Menge Motorik: Der<br />
Fahrer muss im richtigen Moment die Hüfte<br />
knicken und den Stock einsetzen, ohne dabei<br />
Balance und Geschwindigkeit zu verlieren.<br />
Mediziner verweisen ausserdem darauf, dass<br />
sich beim Skifahren schnell Muskulatur aufbaut,<br />
in den Schultern, im Rücken, in den Beinen<br />
und im Gesäss. Vor allem starke Rückenund<br />
Gesässmuskeln sind wichtig: Sie können<br />
Haltungsschäden vorbeugen, weil sie helfen,<br />
den Oberkörper in einer aufrechten Position<br />
zu halten. Die Bewegung an der frischen Luft<br />
kurbelt den Kreislauf an.<br />
Wer sich bewegt, ist besser in der Schule<br />
Skiahren soll sogar schlau machen. Sagt jeden<br />
falls Frieder Beck, Hirnforscher und Lehrer.<br />
Beck war Trainer der deutschen Nationalmannschaft<br />
im Ski-Freestyle und ist überzeugt:<br />
409_17 Advertorial Winter <strong>2017</strong>/18 Fritz und Fränzi DU 08.09. 2-seitig wie 405_17.indd 1 20.07.17 15:41
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unterwegs sind, beschäftigen wir uns selten mit<br />
schulischen oder anderen Problemen. Trotzdem<br />
unterstützt uns der Sport bei deren Lösung“ – eben<br />
wegen der positiven Effekte auf unser Arbeitsgedächtnis.<br />
Rücksichtnahme und Vertrauen<br />
Physisch fitter, psychisch aufgeräumter – und<br />
sozial? Auch da können Kinder was dazulernen,<br />
sobald sie sich die Bretter anschnallen. Etwa Rücksichtnahme<br />
auf andere Menschen, schliesslich<br />
sind sie selten allein auf der Piste unterwegs. Auch<br />
Vertrauen in sich selbst, in die eigenen Fähigkeiten<br />
kann man aus dem Skifahren mitnehmen. Mit<br />
jeder Abfahrt schätzen Kinder ihr Können und<br />
ihre körperlichen Möglichkeiten realistischer<br />
ein. Erfolge stärken zudem das Selbstbewusstsein<br />
und motivieren zum Weitermachen.<br />
„Wer sich bewegt, ist besser in der Schule. Das<br />
ist statistisch erwiesen.“ Warum das so ist, liegt<br />
laut Beck am Aufbau des menschlichen Gehirns,<br />
das sich seit der Urzeit nicht mehr nennenswert<br />
verändert habe. Unsere Vorfahren seien immer<br />
in Bewegung gewesen, sie mussten raus aus ihrer<br />
Höhle, eine Wasserstelle suchen, Beeren oder<br />
Wild. Wer sich dabei ganz auf seine Aufgabe konzentrieren<br />
konnte, hatte einen evolutionären<br />
Vorteil, sagt Beck. Das führte dazu, dass Gehirnleistung<br />
und Bewegung quasi Hand in Hand gingen.<br />
„So wie damals reagiert unser System heute<br />
noch auf Bewegung.“ Heisst: Eine Sportart wie<br />
Skifahren, in der komplexe Bewegungsabläufe<br />
gesteuert werden müssen, hilft dabei, die Leistungsfähigkeit<br />
des Arbeitsgedächtnisses zu<br />
steigern – und damit die Konzentration. „Kinder,<br />
die sich besser konzentrieren können, können<br />
besser lernen und schreiben bessere Noten“,<br />
sagt Beck.<br />
Mit Schlauwerden allein ist es aber für Beck<br />
nicht getan. Er sieht im Skifahren noch einen<br />
weiteren Vorteil: die Umgebung. „Ein Wintertag<br />
mit Bergpanorama und glitzerndem Schnee<br />
steckt voller Glücksmomente, das gibt es so nirgends“,<br />
sagt er. Deshalb helfe Skifahren dabei,<br />
im Alltagsleben organisierter und psychisch aufgeräumter<br />
zu werden. „Wenn wir auf der Piste<br />
Bei Gerhard Told lässt sich das gut beobachten.<br />
Anfangs weinen manche Kinder noch, sie fremdeln<br />
mit der unbekannten Umgebung, ihnen<br />
fehlen die Eltern. Nach den ersten Übungen ändert<br />
sich das in der Regel schnell. Sie freuen sich über<br />
jede gelungene Fahrt, über jedes Lob des Skilehrers.<br />
Manche kommen dann aus dem Strahlen gar nicht<br />
mehr heraus. „Spass ist das Wichtigste“, wiederholt<br />
Told. „Wer die Lust am Skifahren verliert, ist mindestens<br />
für die Saison verloren.“ Vielleicht auch<br />
für immer. Dann geht Told noch einmal zu seinem<br />
umgebauten Ski-Doo hinüber, wirft den Drachen<br />
an. Röhren. Die Kinder antworten mit begeistertem<br />
Geschrei. Noch eine Runde. Skifahren macht<br />
ja Spass.<br />
Die Skischule von Gerhard Told ist eine der qualitätsgeprüften<br />
Tiroler Skischulen, die das Programm<br />
„Spielplatz Schnee“ anbieten. Kinder ab drei Jahren<br />
machen hier auf spielerische Art und Weise ihre<br />
ersten Versuche auf Skiern. Und damit das Skifahren<br />
lernen kinderleicht fällt und ganz ohne Stress passiert –<br />
gerade sehr jungen Skianfängern ist ein ganzer Tag<br />
auf den Brettern ohnehin zu anstrengend – werden<br />
den jüngsten Gästen auch abseits der Pisten alle<br />
möglichen Abenteuer im Schnee geboten, ob Tierspurensuche,<br />
Rutschtellerrutschen oder das gute alte<br />
Schneemannbauen.<br />
www.tirol.at/familie<br />
409_17 Advertorial Winter <strong>2017</strong>/18 Fritz und Fränzi DU 08.09. 2-seitig wie 405_17.indd 2 20.07.17 15:41
Die digitale<br />
Schule<br />
Schon bald benötigen wir in 90 Prozent<br />
aller Berufe digitale Kompetenzen.<br />
Wie bereiten die Schweizer Schulen<br />
unsere Kinder auf diese Berufswelt vor?<br />
Warum ist es so schwierig, digitales<br />
Lernen einzuführen? Und lernt man am<br />
Tablet besser als mit dem Schulheft?<br />
Eine Spurensuche.<br />
Text: Bianca Fritz, Virginia Nolan (Porträts)<br />
Bilder: Rita Palanikumar / 13 Photo<br />
Programmierende<br />
Primarschüler?<br />
An der Bläsi-Schule<br />
Basel ist das<br />
bereits Realität.<br />
<strong>10</strong> Oktober <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
Bild: Christian Aeberhard / 13 Photo<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Oktober <strong>2017</strong> 11
Dossier<br />
12<br />
Oktober <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
Die einen recherchieren fix<br />
am eigenen Smartphone,<br />
die anderen streng überwacht<br />
am langsamen Schul-PC.<br />
Bild: Salvatore Vinci / 13 Photo<br />
Im Hofmatt-<br />
Schulhaus in<br />
Arth arbeiten<br />
die Kinder am<br />
eigenen Tablet.<br />
Planarbeit im Hofmatt- Grunder. «Wenn die Schildkröte 360<br />
Schulhaus Arth, einer Mal einen Schritt macht und sich<br />
Projektschule für «Bring um ein Grad dreht, dann bekommen<br />
wir einen Kreis. Welchen<br />
your own device»<br />
(«Bring dein eigenes Befehl müssen wir nun der Schildkröte<br />
Gerät mit»): Auf den Tischen der<br />
5. Klasse liegen Tablets und Smartphones<br />
neben Heften und Stiften.<br />
Viele der meist 12-jährigen Schüler<br />
tragen Kopfhörer. Ein Schüler lümmelt<br />
auf dem Fensterbrett, scannt<br />
einen QR-Code mit seinem Tablet,<br />
schaut sich ein Youtube-Video an<br />
und beantwortet Fragen dazu.<br />
Ein anderer hört einen Text auf<br />
Französisch, den der Lehrer in der<br />
virtuellen Cloud hinterlegt hat.<br />
Gleichzeitig liest er den Text im<br />
Arbeitsheft mit und stoppt, um in<br />
einer Vokabel-App Wörter nachzuschlagen.<br />
Diese schreibt er wiederum<br />
mit Bleistift ins Heft.<br />
Nebenan hören Schülerinnen mit<br />
Kopfhörern gemeinsam ein Diktat<br />
auf dem Tablet und schreiben von<br />
Hand mit. Ob alles richtig ist, können<br />
sie anschliessend selbst kontrollieren<br />
– die Datei dazu liegt in der<br />
Cloud.<br />
Szenenwechsel, Primarschule<br />
Bläsi in Basel. Die Lehrerin Ursula<br />
Grunder eröffnet die Programmierstunde.<br />
Die Primarschüler sollen<br />
mit einer virtuellen Schildkröte eine<br />
Blume auf dem Bildschirm zeichnen.<br />
«Wer kann mir helfen, mit dem<br />
Repeat-Befehl eine Blumenform zu<br />
programmieren?» Rascheln. Niemand<br />
meldet sich. Sie versucht es<br />
anders: «Wie viel Grad macht die<br />
Schildkröte, wenn sie sich viermal<br />
um 90 Grad dreht?» Jetzt schnellen<br />
die Hände in die Höhe. «360 Grad»,<br />
geben, damit sie einen Kreis<br />
zeichnet?» Wieder schnellen ein<br />
paar Hände hoch. «repeat360 Klammer<br />
fd 1 rt 1 Klammer!», tönt es aus<br />
der anderen Ecke. «Genau! Super<br />
gemacht!» Ursula Grunder dreht<br />
sich zur Wandtafel und schreibt den<br />
Befehl auf. So geht es weiter, bis die<br />
Schüler den ganzen Code haben –<br />
dann hopsen die Kinder vom Stuhlkreis<br />
zurück an die Rechner, um den<br />
Befehl auszuprobieren.<br />
Noch ist das digitale Lernen keine<br />
Selbstverständlichkeit in Schweizer<br />
Schulhäusern. Aber Projektschulen<br />
wie die beiden oben genannten<br />
weisen die Richtung, in die es geht:<br />
ein selbstverständliches Hin und<br />
Her zwischen Heft und Tablet, Primarschüler,<br />
die mit ihrer eigenen<br />
Programmiersprache die Regeln der<br />
Programmierung verstehen lernen.<br />
Wie digital sind die Schweizer<br />
Schulen heute schon? Was können<br />
Eltern erwarten? Während in vielen<br />
Primarschulen noch analog gelernt<br />
wird, kommen Schweizer Schülerinnen<br />
und Schüler spätestens in der<br />
Sek I und Oberstufe wohl überall<br />
mit digitalen Medien in Berührung.<br />
Wie viel und was die Kinder am<br />
Computer machen, ob sie auf alte<br />
Schulgeräte im Computerraum oder<br />
das Handy zugreifen und wie schnell<br />
ihre Internetverbindung ist, ist allerdings<br />
extrem unterschiedlich. Es<br />
hängt von der Schule und vor allem<br />
von der jeweiligen Lehrperson und<br />
ruft ein Mädchen. «Sehr gut!», sagt ihrer Technikaffinität ab. >>><br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Oktober <strong>2017</strong> 13
Dossier<br />
Bald lernen bereits<br />
Primarschüler das<br />
Hinterfragen von Medien.<br />
>>> Mit der Einführung des<br />
Moduls «Medien und Informatik»<br />
des Lehrplans 21 werden Lernziele<br />
rund um digitale Medien allerdings<br />
fest in der Volksschulbildung verankert.<br />
Ein grosser Teil der Kantone<br />
hat diesen Lehrplan unterzeichnet<br />
und setzt ihn Schritt für Schritt um.<br />
Demnach lernen Schülerinnen und<br />
Schüler künftig schon in der Primarstufe<br />
Anwendungskompetenzen<br />
und das kritische Hinterfragen von<br />
Medien. Und sogar der Bereich<br />
Informatik ist mit Grundkenntnissen<br />
von Programmiersprachen enthalten.<br />
(Mehr dazu unter «Medien<br />
und Informatik» auf Seite 28.) Diese<br />
digitale Bildung wird im Lehrplan<br />
als eine Notwendigkeit beschrieben,<br />
um die Schülerinnen und Schüler<br />
auf die immer stärker digitalisierte<br />
Berufswelt vorzubereiten. Nach EU-<br />
Schätzungen erfordern bald 90 Prozent<br />
aller Berufe digitale Kompetenzen.<br />
Die pädagogischen Hochschulen<br />
(PH) bieten eine Weiterbildung für<br />
Lehrpersonen an, die «Medien und<br />
Informatik» unterrichten werden<br />
und oft gerade im Bereich Informatik<br />
Wissenslücken aufweisen. Laut<br />
Rahel Tschopp, Bereichsleiterin<br />
Medienbildung und Informatik an<br />
der PH Zürich, füllen sich die Plätze<br />
für diese Weiterbildung sehr schnell,<br />
und auch in der Grundausbildung<br />
für neue Lehrpersonen erhält der<br />
Bereich einen immer grösseren Stellenwert.<br />
Ziel sei, dass mittelfristig<br />
alle Lehrpersonen über die erforderlichen<br />
Kompetenzen verfügen,<br />
Inhalte aus Medienbildung und<br />
Informatik in den Unterricht einzubringen.<br />
Momentan würden dies<br />
vor allem Lehrerinnen und Lehrer<br />
>>><br />
mit einer Affinität für Medien<br />
«Im Unterricht<br />
herrscht<br />
Handyverbot»<br />
Sarina Blöchlinger, 11, aus<br />
Dürnten ZH verbringt zu Hause<br />
viel Zeit vor dem Bildschirm.<br />
In der Schule arbeitet die<br />
Sechstklässlerin regelmässig<br />
am Computer, würde aber auch<br />
Tablets und Smartphones<br />
im Klassenzimmer begrüssen.<br />
«Wir haben zu Hause haufenweise elektronische<br />
Geräte: Tablets, Laptops und<br />
Smartphones, auch die Apple-Watch.<br />
Wahrscheinlich liegt das daran, dass<br />
mein Papa Informatikspezialist ist.<br />
Ich kann mich schon gar nicht mehr<br />
erinnern, wann ich mein erstes Handy<br />
bekommen habe. Den Umgang damit<br />
habe ich mir mehrheitlich selbst beigebracht,<br />
das ist ja auch nicht schwer.<br />
Wenn ich Fragen habe, gehe ich damit<br />
zu meinem Vater oder zu meinen älteren<br />
Geschwistern. In der Klasse arbeiten<br />
wir pro Woche ein bis zwei Mal am<br />
Computer, jeweils in unterschiedlichen<br />
Fächern, wo es gerade passt. So dürfen<br />
wir uns beim Zeichnen Inspiration aus<br />
dem Internet holen, auch in Mathe üben<br />
wir oft am Computer. Auf der Website<br />
des Lehrmittelverlags Zürich gibt es<br />
viele Zahlenspiele und gute Übungen<br />
für logisches Denken. Bei Vorträgen<br />
lassen uns die Lehrerinnen die Wahl, ob<br />
wir Informationen aus Büchern zusammentragen<br />
oder uns im Internet schlaumachen<br />
wollen. Ich mache meist beides,<br />
bevorzuge aber eigentlich das Internet.<br />
Man kommt schneller zu seinen Infos.<br />
Allerdings sind es so viele, dass es nicht<br />
einfach ist, den Überblick zu behalten.<br />
Wenn ich Angaben aus dem Internet<br />
nutze, achte ich darauf, dass unterschiedliche<br />
Webseiten zu einem Thema<br />
mehr oder weniger das Gleiche sagen.<br />
Dann wirds schon stimmen. Ich würde<br />
mich freuen, wenn wir nicht nur Laptops,<br />
sondern auch Tablets oder Smartphones<br />
zum Arbeiten nutzen könnten. Im Unterricht<br />
herrscht aber leider Handyverbot.<br />
Dafür verbringe ich privat viel Zeit damit.<br />
Ich surfe am liebsten auf Youtube,<br />
schaue mir Pferdefilme an oder Videos<br />
von Dagi Bee, da geht es um Styling und<br />
Mode. Zum Gamen benutze ich meinen<br />
Laptop oder Papas iPad. Meine Eltern<br />
machen mir wenig Vorschriften. Bei<br />
schlechtem Wetter darf ich allerdings<br />
höchstens eine halbe Stunde gamen,<br />
weil meine Eltern nicht wollen, dass ich<br />
dann den ganzen Tag vor dem Bildschirm<br />
rumhocke. Wenn die Sonne scheint, gehe<br />
ich lieber raus.»<br />
14
Dossier<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Oktober <strong>2017</strong> 15
Dossier<br />
«Ich selbst habe<br />
kein Handy,<br />
was echt nervt»<br />
Noé Gächter aus Fehraltorf ZH ist<br />
in die Oberstufe übergetreten und<br />
hofft, dass digitale Medien dort<br />
auch auf dem Stundenplan stehen.<br />
In der sechsten Klasse übte<br />
sich der 13-Jährige bereits im<br />
Programmieren.<br />
«In der sechsten Klasse hatte ich das<br />
Glück, dass unser Klassenlehrer seinen<br />
Kollegen mit den digitalen Medien weit<br />
voraus war. Wir arbeiteten vier Stunden<br />
pro Woche am Computer, zwei davon<br />
u fien eien eder chler hae<br />
einen ccoun auf rofaonlinecom o<br />
ir eorafie und eusch en Vom<br />
Karteikärtchen über Grammatikspiele<br />
bis zur interaktiven Landeskarte gibt es<br />
ganz verschiedene Lernvarianten. Wir<br />
gestalteten auch Plakate zu Lernthemen,<br />
vermischten Handschriftliches mit<br />
ildern und eelemenen aus dem<br />
Internet. Unser Lehrer zeigte uns auch<br />
Aussergewöhnliches: So realisierten<br />
wir mit der Software Audacity ein Hörspiel,<br />
auch die Programmiersprache<br />
crach lernen ir ennen as ane<br />
hat natürlich nichts mit der Art von<br />
Programmieren zu tun, wie sie Papa als<br />
Informatiker kennt. Für Scratch braucht<br />
es eine schierien eefehle man<br />
programmiert mit bunten Blöcken, zum<br />
Beispiel Spiele oder Animationen. Mit<br />
unserem Lehrer diskutierten wir auch<br />
den Umgang mit Hasskommentaren<br />
oder die Frage, welche Informationen<br />
vertrauenswürdig sind. Ich persönlich<br />
setze auf Wikipedia, den herkömmlichen<br />
edien hineen raue ich nich Vor<br />
einigen Monaten lösten Freunde von mir<br />
ver sehentlich einen schlimmen Unfall<br />
aus als sie mi euer eerimenieren<br />
Im Internet kursierten daraufhin Falschmeldungen,<br />
die mich traurig machten.<br />
Unser ehemaliger Klassenlehrer war<br />
überzeugt davon, dass digitale Medien in<br />
der Schule der Zukunft immer wichtiger<br />
werden. Ich hoffe es! Ich werde wohl<br />
nicht mehr erleben, wie wir mit Tablets<br />
und Smartphones lernen. Ich sehe viele<br />
Kinder mit Smartphone, die gar nicht<br />
wissen, was sie da in der Hand haben.<br />
Ich selbst habe kein Handy, was echt<br />
nervt. Meine ältere Schwester bekam ihr<br />
erstes mit 12, ich bin jetzt 13 und warte<br />
immer noch darauf.»<br />
16 Oktober <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
«Online<br />
lernt man<br />
vielseitiger»<br />
Noés Bruder Luc spielt gern mit<br />
Mathe-Apps, allerdings eher zu<br />
Hause als in der Schule. Die dürfte<br />
digitale Medien ruhig öfter<br />
einsetzen, wenn es nach dem<br />
11-Jährigen ginge.<br />
«Mathe ist mein Lieblingsfach. Ich rechne<br />
sogar in der Freizeit gerne, am meisten<br />
Spass macht es mir mit Apps wie Math<br />
Attax oder König der Mathematik, das<br />
ist mein liebstes Rechenspiel. Dabei<br />
sammelt man Punkte und kämpft mit<br />
anderen Nutzern um den Königstitel. Ich<br />
spiele solche Spiele meist auf dem iPad<br />
meiner Mutter, selten auf dem Tablet,<br />
das meinem Lehrer gehört. Manchmal<br />
dürfen wir es als Belohnung benutzen,<br />
wenn wir einen Auftrag gut erledigt<br />
haben. Ich besuche eine kleine Privatschule,<br />
da gibts natürlich auch Computer.<br />
Wir nutzen sie vielleicht einmal pro<br />
Woche. Online lernt man vielseitiger als<br />
mit Büchern. Ich hasse Bücher, weil mir<br />
Lesen Mühe macht. In Deutsch machen<br />
wir Übungen online. Wir Schüler nutzen<br />
den Computer meist, um Vorträge zu<br />
schreiben. Recherchieren im Internet<br />
ist einfacher als in der Biblio thek. Mir<br />
gefällt, dass Google Informationen so<br />
schnell finde nd doch sind es u iele<br />
Wenn ich wählen könnte, würde ich<br />
lieber Menschen befragen, die auf einem<br />
bestimmten Gebiet Experten sind. Ich<br />
habe gehört, dass gewisse Architekten<br />
mein Lieblingsgame Minecraft nutzen,<br />
um ihre Modellhäuser zu basteln. Das<br />
finde ich ech cool ein ruder o<br />
und ich lieben es, Minecraft zu spielen.<br />
Wir haben beide einen eigenen Laptop,<br />
den Papa mit seinen vielen Sicherheitseinstellungen<br />
kontrolliert. Wer mir den<br />
man mi dem nerne eierach<br />
hat? Ich selbst, da gibts ja auch nicht<br />
viel beizubringen. Ein paar Mal darüberwischen,<br />
und drin bist du. Sowas<br />
muss man einfach können, sonst ist das<br />
ziemlich uncool. Es ist auch ziemlich<br />
uncool, kein Handy zu haben.»<br />
Beim Programmieren haben<br />
auch sprachlich schwache<br />
Schüler Erfolgserlebnisse.<br />
>>> und Informatik oder einer<br />
abgeschlossenen Weiterbildung<br />
umsetzen, so Rahel Tschopp.<br />
Digitales Lernen ist individuell<br />
und integrativ<br />
Die Digitalisierung der Schule hat<br />
viele Fürsprecher, zum Beispiel den<br />
ETH-Informatikprofessor Juraj<br />
Hrom kovič: «Die Informatik fördert<br />
wichtige Grundkompetenzen wie<br />
eigenständiges und kritisches Denken.<br />
Darum ist sie für mich so wichtig<br />
wie Sprach- und Matheunterricht»,<br />
sagte er in einem Interview<br />
mit Fritz+Fränzi Online. Lehrpersonen<br />
wie der Zürcher Gymnasiallehrer<br />
Phi l ippe Wampfler, die digitale<br />
Medien schon selbstverständlich<br />
im Unterricht nutzen, sind überzeugt:<br />
Das Digitale macht die Schulen<br />
besser.<br />
Ein Argument für die digitale<br />
Schule: Digitale Lernprogramme<br />
passen sich individuell an den Leistungsstand<br />
des einzelnen Schülers<br />
an und senden gleichzeitig die Er -<br />
gebnisse an die Lehrperson, die<br />
dann besser auf Stärken und Schwächen<br />
eingehen kann.<br />
Jörg Dräger von der Bertelsmann-Stiftung<br />
sieht darin gar einen<br />
Schritt hin zu mehr Gerechtigkeit in<br />
der Schule: «Die Digitalisierung<br />
macht gute Bildung für alle möglich.»<br />
In der Basler Primarschule<br />
Bläsi betonen die Lehrpersonen den<br />
integrativen Aspekt: Beim Programmieren<br />
können auch Schülerinnen<br />
und Schüler mit schwachen Sprachkenntnissen<br />
Erfolgserlebnisse<br />
haben. Die Schweizer Schülerinnen<br />
und Schüler seien für einmal nicht<br />
im Vorteil.<br />
Doch längst nicht alle sehen die<br />
Entwicklung hin zur digitalen Schule<br />
so positiv. Während so manchen<br />
Eltern die Entwicklung gar nicht<br />
schnell genug gehen kann, verstehen<br />
andere nicht, dass das Kind jetzt<br />
auch noch in der Schule am Handy<br />
hängen soll, wenn es das doch zu<br />
Hause schon zwei bis drei Stunden<br />
>>><br />
am Tag macht. Die Zahl<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Oktober <strong>2017</strong> 17
Dossier<br />
>>> stammt aus der repräsentativen<br />
JAMES-Studie 2016, in der<br />
Schweizer Jugendliche zu ihrem<br />
Medienverhalten befragt wurden.<br />
Als in den Schulgebäuden leistungsstarke<br />
WLAN-Geräte installiert<br />
werden sollten, regte sich an<br />
einigen Orten sehr starker Widerstand,<br />
weil die Eltern eine grosse<br />
Strahlenbelastung der Kinder fürchteten.<br />
«Dafür haben wir inzwischen<br />
eine Lösung gefunden», sagt Schulleiterpräsident<br />
Bernard Gertsch:<br />
Statt einem starken Gerät werden<br />
mehrere schwächere Geräte installiert,<br />
die sich nur einschalten, wenn<br />
sie genutzt werden.<br />
Wenn die Schule bestimmt, welche<br />
Geräte die Kinder nutzen<br />
Für andere Reibungspunkte mit dem<br />
Elternhaus gibt es allerdings keine so<br />
einfache Lösung. «Wir sind uns<br />
bewusst, dass die Mediennutzung<br />
neben den Hausaufgaben der zweite<br />
grosse Bereich ist, in welchem Schule<br />
in den privaten Bereich übergreift<br />
– und wir sind hier auf die Mitarbeit<br />
der Eltern angewiesen», sagt Bernard<br />
Gertsch. Für «Bring your own device»-Unterricht<br />
zum Beispiel brauchen<br />
die Kinder ein eigenes Gerät.<br />
Besitzen sie keines, dürfen sie Schultablets<br />
mit nach Hause nehmen und<br />
nutzen – selbst dann, wenn die Eltern<br />
noch warten wollten mit der Einführung<br />
eines solchen Gerätes.<br />
Anderseits bekommen die Lehrpersonen<br />
so auch mit, ob die Kinder<br />
zu Hause einen vernünftigen, regulierten<br />
Umgang mit den Medien<br />
erlernt haben.<br />
Bei der Medienbildung<br />
ist die Schule auf<br />
die Mithilfe der<br />
Eltern angewiesen.<br />
Bis vor Kurzem noch ging man<br />
davon aus: Medienerziehung ist<br />
Elternsache. Zu Hause wird demnach<br />
geklärt, welche Webseiten und Programme<br />
genutzt werden dürfen und<br />
wann das Gerät ausgeschaltet sein<br />
muss. Die Schule hingegen unterstützt<br />
die Eltern, indem sie Schülerinnen<br />
und Schülern Medienkompetenz<br />
beibringt. Hier klärt man<br />
Fragen wie: Welche Mechanismen<br />
stecken hinter den Programmen und<br />
Internetanwendungen? Wo findet<br />
man verlässliche Informationen und<br />
wie erkennt man Fake-News?<br />
So weit die Theorie. In der Praxis<br />
aber sind die Grenzen längst flies -<br />
send: Lehrpersonen fordern auf,<br />
bestimmte Programme zu installieren,<br />
die sie für die gemeinsame<br />
Arbeit brauchen, und sie sprechen<br />
mit den Kindern darüber, welche<br />
Regeln sinnvoll sind, damit die Ge -<br />
räte keinen Stress auslösen. Gleichzeitig<br />
haben sie damit zu kämpfen,<br />
wenn Schülerinnen und Schü- >>><br />
«Ich bestimme<br />
das Tempo»<br />
Flurin Meier, 8, fällt Mathe<br />
leichter, wenn er auf dem Tablet<br />
üben kann. Im Schulunterricht<br />
habe das Gerät aber nichts<br />
erloren finde der eilssler<br />
aus erne <br />
echnen is an schn schieri<br />
Manchmal stellt uns die Lehrerin eine<br />
ufae und hrend ich noch am<br />
Nachrechnen bin, ist sie schon bei der<br />
nchsen anelan o schnell eh<br />
das. Auf dem Tablet meiner Mama<br />
mach echnen mehr ass auch<br />
eil ich das emo sels esimmen<br />
ann nd lusi sind die ahesiele<br />
auch ich hae schon eine ene<br />
miles esammel ein ruder und<br />
ich dürfen Mamas Tablet manchmal<br />
auch fr omuersiele nuen ir<br />
sielen dann eo oder auernhofsiele<br />
die efallen mir esonders u<br />
a muss man sich um einen anen<br />
of und die iere mmern nlich<br />
aussäen und ernten. Meine Mutter<br />
mche aer eeils dass ich uers<br />
ein aar ahlenunen mache eor<br />
ich ein iel einne as is oa<br />
Das Tablet ist cool – in der Schule<br />
mche ich edoch eines haen ch<br />
sse nich ou i dem om-<br />
uer haen ir im nerrich isher<br />
nie eareie s ineressier mich<br />
auch nicht so besonders, ich habe<br />
andere os um eisiel in ich<br />
eine asserrae und schimme frs<br />
een ern<br />
18 Oktober <strong>2017</strong>
Dossier<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Oktober <strong>2017</strong> 19
Dossier<br />
20 Oktober <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
Wenn das Internet mehr weiss als<br />
der Lehrer, ändert sich auch<br />
dessen Rolle. Das ist nicht immer<br />
leicht für Lehrpersonen.<br />
«Digitales sollte<br />
Bücher nicht<br />
ersetzen»<br />
Chiara Caviezel, 15, aus Rapperswil<br />
finde dass diiale edien<br />
einem das Lernen vereinfachen.<br />
Dennoch ist die Schülerin der<br />
dritten Oberstufe dagegen, dass<br />
Tablets und Co. Bücher und Papier<br />
ersetzen.<br />
ch finde es sinnoll enn die chule<br />
digitale Medien im Unterricht einsetzt,<br />
mit ihnen lernt es sich manchmal echt<br />
einfacher n eorafie eschiche<br />
oder für politische Themen nutzen wir<br />
zum Beispiel toporopa.eu, da gibts<br />
interaktive Quizspiele um Europa und<br />
die EU. So fallen einem diese Themen<br />
leichter. Auch Mathe übe ich oft online,<br />
bei uns hat jeder Schüler einen Account<br />
auf der Plattform mathbuch.info, die<br />
eine Ergänzung zu unserem Mathebuch<br />
darstellt. In der Schule arbeiten wir<br />
durchschnittlich zweimal pro Woche am<br />
Computer. Wenn der Computerraum<br />
besetzt ist, erlauben uns manche Lehrer,<br />
Infos auch übers Handy zu recherchieren.<br />
Das hat mich zunächst ganz<br />
schön erstaunt – erwischen sie einen<br />
in der Pause mit dem Gerät, ist es weg.<br />
Wie und wo wir recherchieren, ist uns<br />
überlassen. Welchen Informationen ich<br />
vertraue? Das haben wir im Unterricht<br />
noch nie diskutiert. Zu Hause verbringe<br />
ich zwei bis drei Stunden pro Tag am<br />
Bildschirm, je nachdem, wie viel es für<br />
die Schule zu erledigen gibt. Was mir<br />
auffll Prfunssoff lei mir hufi<br />
besser im Kopf, wenn ich Zusammenfassungen<br />
handschriftlich aufschreibe, statt<br />
sie im Laptop einzugeben. Ich arbeite<br />
gerne mit digitalen Medien, wünsche mir<br />
aber nicht, dass sie in der Schule Bücher<br />
und Paier erseen ch finde es u<br />
wenn wir zwischendurch auch mit etwas<br />
Handfestem arbeiten, wo wir sonst<br />
schon die ganze Zeit am Bildschirm<br />
hängen. Die Vorstellung, dass im Unterricht<br />
alle nur noch ein Tablet brauchen,<br />
mag ich nicht. Ich verbringe auch viel<br />
Zeit am Handy, für den Umgang damit<br />
gibts zu Hause aber klare Regeln: An<br />
einem Abend pro Woche darf ich mich<br />
damit ins Zimmer zurückziehen, an zwei<br />
Abenden kann ich es im Wohnzimmer<br />
benutzen. Die restlichen zwei Abende<br />
sind handyfrei und gehören der Familie<br />
– zum gemeinsamen Essen, Reden oder<br />
Filmeschauen. Am Wochenende schauen<br />
wir jeweils, wie es gerade passt. Das<br />
finde ich an u so<br />
>>> ler von klein auf Mediengeräte<br />
unreguliert nutzen konnten. Diese<br />
haben oft wenig Verständnis dafür,<br />
wenn sie einmal etwas im Kopf rechnen<br />
oder etwas von Hand schreiben<br />
sollen.<br />
Neben den Eltern sind auch viele<br />
Lehrpersonen skeptisch bis kritisch,<br />
wenn es um die Nutzung von digitalen<br />
Medien im Unterricht geht.<br />
Das liegt zum einen daran, dass sich<br />
laut einer Studie von Ralf Biermann<br />
(2009) häufig gerade die Menschen<br />
für den Lehrberuf entscheiden, die<br />
Medien ohnehin schon kritisch ge -<br />
genüberstehen. «Sie haben selbst<br />
positive Erfahrungen mit der analogen<br />
Schule gemacht und werden<br />
Lehrerinnen, um das weiterzugeben.<br />
Nicht um etwas zu ändern», fasst<br />
Philippe Wampfler, Lehrer und<br />
Medienpädagoge, die Situation zu -<br />
sammen (siehe Interview Seite 30).<br />
Für die Lehrpersonen ändert sich<br />
mit der Digitalisierung der Schulwelt<br />
auch ihre Rolle: Sie sind nicht<br />
mehr die einzige Wissensquelle,<br />
sondern Begleiter und Coach, wenn<br />
Kinder sich Wissen selbst aneignen<br />
und Aufgaben lösen. Sie zeigen Kindern,<br />
wie man Informationen be -<br />
wertet und verarbeitet, müssen aber<br />
auf der anderen Seite akzeptieren,<br />
dass viele Kinder und Jugendliche<br />
ihnen in der flinken Handhabung<br />
der digitalen Geräte voraus sind.<br />
Der Kulturkrieg um die<br />
Digitalisierung verunsichert Eltern<br />
In den konträren Meinungen von<br />
Eltern und Lehrpersonen spiegelt<br />
sich ein Kulturkrieg wider, der rund<br />
um die Digitalisierung tobt. >>><br />
21
Dossier<br />
>>> Auf der einen Seite stehen die<br />
Technikbegeisterten, die davon<br />
schwärmen, dass dank spielerischer<br />
Programme auf dem Smartphone<br />
sogar unbeliebte Aufgaben gerne<br />
gelöst werden. Auf der anderen Seite<br />
Psychiater und Kinderärzte, die<br />
vor den Folgen von zu hohem Me -<br />
dien konsum warnen.<br />
Der bekannteste Kritiker, Hirnforscher<br />
Manfred Spitzer, schreibt in<br />
Büchern wie «Digitale Demenz»<br />
und «Cyberkrank», dass Computer<br />
die Auseinandersetzung mit der<br />
wirklichen Welt und damit das<br />
wichtigste geistige Training verhindern.<br />
«Wenn ich Informationsverarbeitung<br />
nicht im Gehirn, sondern<br />
Mathe und Physik machen<br />
als Lern-App, die piept und<br />
blinkt, einfach mehr Spass.<br />
im Computer betreibe, hat das<br />
Gehirn nichts gelernt», sagte er in<br />
einem Interview mit dem Deutschlandfunk.<br />
Unter Wissenschaftlern<br />
jedoch sind seine Thesen umstritten.<br />
Und mehr noch die Schlüsse, die er<br />
daraus zieht, nämlich, dass Computer<br />
in Schulen nichts verloren hätten.<br />
>>><br />
Voll motiviert<br />
schreiben diese<br />
Schülerinnen<br />
ihre ersten<br />
Programme.<br />
«Es mangelt<br />
an Aufklärung»<br />
efan ien finde dass die<br />
Schule das Potenzial digitaler<br />
Medien zu wenig ausschöpft. Der<br />
Vater zweier Teenager aus<br />
Rapperswil SG wünscht sich, dass<br />
man vorwärtsmacht – nicht nur,<br />
was die Nutzung digitaler Medien<br />
angeht, sondern auch in Sachen<br />
Risikoaufklärung.<br />
«Ich bin Fotograf und war früher Informatiker<br />
– beide Berufe bedingen, dass<br />
ich mich stark mit digitalen Medien<br />
beschäftige. Ich sehe in der Schule<br />
grosses Potenzial dafür, aber da gibt es<br />
viel Luft nach oben. Es beginnt schon<br />
damit, dass Kinder und Jugendliche<br />
mit Rucksäcken unterwegs sind, die<br />
so schwer beladen sind, als ginge man<br />
damit auf Weltreise. Ist das noch zeitgemäss,<br />
wo eigentlich sämtliche Lehrbücher<br />
auf ein Tablet geladen werden<br />
könnten? Wohl kaum. Einige werden<br />
jetzt argumentieren, das käme zu teuer.<br />
ieser einun in ich definii nich ch<br />
denke sogar, die elektronische Lösung<br />
würde auf lange Sicht weniger kosten<br />
als Bücher, sie würde – als weiterer<br />
Vorteil – zudem eine einfachere Aktualisierung<br />
der Lehrmittel erlauben. Es<br />
muss auch niemand Ablenkung durchs<br />
Internet befürchten, wenn das Tablet<br />
entsprechend eingestellt wird. Ich persönlich<br />
bin dafür, dass es ausschliesslich<br />
als Arbeitsinstrument genutzt wird. Die<br />
meisten Kinder beschäftigen sich gerne<br />
mit digitalen Medien. Das hat einen<br />
motivierenden Effekt, der umso stärker<br />
ist, wenn interaktiv und spielerisch<br />
gelernt wird. Dieses Potenzial sollte die<br />
Schule besser ausschöpfen. Mir scheint,<br />
unsere Tochter Chiara lerne motivierter,<br />
wenn sie Mathe am Computer üben<br />
kann, auch die Plattform Toporopa, die<br />
sie in eorafie nu is oll ie inder<br />
schulen ihr Wissen in einem Quiz, wo sie<br />
Länder-, Fluss- oder Städtenamen per<br />
Mausklick zuordnen. Wenn ich daran<br />
dene ie mhsam eorafielernen u<br />
meiner chulei ar aren oieren<br />
Ländernamen abdecken, alles neu<br />
einzeichnen – das macht keinen Spass.<br />
Elektronische Medien sind ergiebig,<br />
der Computer kann ständig neue Aufgaben<br />
generieren, wo ein Übungsbuch<br />
irgendwann durchgearbeitet ist. Bei<br />
Chiara ist derzeit die Lehrstellen-<br />
suche aktuell. Mich erstaunt, wie viele<br />
Betriebe bereits eine Online-Bewerbung<br />
erwarten. Dokumente einscannen, PDFs<br />
generieren und zusammenfügen – wir<br />
als Eltern mussten unserer Tochter<br />
zeigen, wie es geht. Das wäre doch<br />
Aufgabe der Schule. Ich frage mich,<br />
was Kinder machen, denen zu Hause<br />
niemand weiterhelfen kann. Ich bin<br />
digitalen Medien gegenüber in jeder<br />
Hinsicht aufgeschlossen, woran es mir<br />
in der Schule aber ganz klar mangelt,<br />
ist Aufklärung. In der Schule unserer<br />
Tochter musste es zuerst zu einem<br />
tragischen Vorfall von Cybermobbing<br />
kommen, damit das Thema überhaupt<br />
auf den Tisch kam und auch die Eltern<br />
vorbeikommen mussten, um sich etwas<br />
über Risiken im Internet anzuhören.<br />
Kindern ist nicht bewusst, dass das<br />
Internet nichts vergisst. Dass ihnen<br />
zum Verhängnis werden kann, was sie<br />
von sich preisgeben. Auch Eltern sind<br />
zu wenig sensibilisiert. Meine Frau und<br />
ich versuchen, es unseren Kindern so<br />
u erlren Verschic nur nhale die<br />
ihr ohne Bedenken auch ans schwarze<br />
Brett beim Hauseingang hängen würdet.<br />
Alles andere gehört ins persönliche<br />
Gespräch.»<br />
ild oen hrisian eerhard Phoo<br />
22
Dossier<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Oktober <strong>2017</strong> 23
Dossier<br />
Medien können dick,<br />
dumm und faul machen.<br />
Oder kreativ und schlau.<br />
Es kommt darauf an,<br />
wie man sie nutzt.<br />
>>> Kritiker wie Befürworter der<br />
Digitalisierung führen sich widersprechende<br />
Studien ins Feld und<br />
werfen der jeweils anderen Seite vor,<br />
bestechlich und tendenziös zu sein.<br />
Das verunsichert Eltern zusätzlich.<br />
Wer in der Diskussion etwas genauer<br />
hinsieht, bemerkt allerdings, dass<br />
die Seiten häufig von verschiedenen<br />
Annahmen ausgehen. Medienpädagogen<br />
und technikbegeisterte Lehrer<br />
sprechen oft davon, dass Schüler die<br />
Medien als Hilfsmittel nutzen sollen,<br />
um etwas zu produzieren: Präsentationen<br />
vorbereiten, Informationen<br />
zusammentragen, Aufgaben lösen<br />
und sofort Feedback erhalten. Kritiker<br />
hingegen sprechen vom Me -<br />
dienkonsum zur Unterhaltung, der<br />
dick, dumm und unglücklich macht.<br />
Tatsächlich zeigt auch die<br />
JAMES-Studie, dass viele Jugendliche<br />
in ihrer Freizeit Medien hauptsächlich<br />
passiv konsumieren. Die<br />
internationale Vergleichsstudie zur<br />
Medienkompetenz eines unabhängigen<br />
Verbunds wissenschaftlicher<br />
Institutionen für Bildungsforschung<br />
(ICILS) zeigte 2013: Die Digitalkompetenz<br />
der «Digital Natives»<br />
Bild: Christian Aeberhard / 13 Photo<br />
24 Oktober <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
Digital und<br />
Analog vereint:<br />
Ein<br />
Programmcode<br />
auf der<br />
Wandtafel.<br />
vention zu betreiben, so der Hirnforscher.<br />
«Ein völlig verkürztes Verständnis<br />
von Medienbildung», meint<br />
dazu Thomas Merz, Medienpädagoge<br />
und Prorektor der Pädagogischen<br />
Hochschule Thurgau.<br />
Schulleiterpräsident Bernard<br />
Gertsch sieht die ganze Diskussion<br />
unaufgeregt: «Die Digitalisierung<br />
betrifft uns alle, die Schule ist als Teil<br />
der Gesellschaft verpflichtet mitzumachen.<br />
Wir wollen den Mediengebrauch<br />
der Kinder nicht forcieren,<br />
sondern Medien dort verwenden,<br />
wo sie Sinn machen», sagt er. Rahel<br />
Tschopp von der PH Zürich sagt, sie<br />
möchte die Eltern mit ins Boot holen<br />
und sie von der Wichtigkeit von<br />
digitalen Medien in der Schule überzeugen:<br />
«Die Kinder nutzen die<br />
Geräte ohnehin. In der Schule können<br />
Lehrpersonen sie dafür sensibilisieren,<br />
dies kompetenter und<br />
bewusster zu tun, und ihnen Wissen<br />
zur Funktionsweise von Medien vermitteln.»<br />
Schulsponsoring: Wenn Firmen<br />
Geräte und Software bezahlen<br />
Unbestritten ist, dass sich mit dem<br />
Einsatz neuer Medien in der Schule<br />
auch neue Fragen stellen. Wie geht<br />
man zum Beispiel mit den Unternehmen<br />
um, die im Schulzimmer einen<br />
neuen Markt wittern und grosszügige<br />
Sponsoring-Angebote an die<br />
Schulhäuser schicken? Potenzial gibt<br />
es in der Schweiz genug. Laut Schulleiterpräsident<br />
Gertsch herrscht tendenziell<br />
ein Stadt-Land-Gefälle, was<br />
die technische Ausstattung der Schulen<br />
angeht. Mittel zur Ausstattung<br />
machen grosse Firmen schnell und<br />
unkompliziert locker. Die Finanzierung<br />
mit Geldern aus Schulgemeinde<br />
und Kanton ist hingegen komplex<br />
und langwierig. Spezielle Bundesmittel<br />
für die Umsetzung des Lehrplans<br />
21 gab es bisher nicht (mehr<br />
dazu auf Seite 32).<br />
Für die Konzerne ist Schulsponsoring<br />
eine gute Sache: Ihre Namen<br />
werden schon früh in den Köpfen<br />
der Kinder verankert, und die Firmen<br />
können sich die Finanzierung<br />
gleichzeitig als gesellschaftliches<br />
Engagement auf die Fahnen schreiben.<br />
Laut New York Times gibt es in<br />
den USA einige Schulen, die sich<br />
ihre PC- und Internetausstattung<br />
komplett von Google finanzieren<br />
lassen. Das Ergebnis: Die Schüler<br />
haben Google als Synonym für «gute<br />
Technologie» abgespeichert. In der<br />
Schweiz gibt Samsung nach SRF-<br />
Informationen zum Beispiel pro<br />
Jahr etwa eine halbe Million Franken<br />
aus, um Schüler mit Tablets auszustatten,<br />
eine Studie zu finanzieren,<br />
die untersucht, wie sich dadurch der<br />
Unterricht verändert, und die Lehrerausbildung<br />
an der PH Zürich zu<br />
unterstützen. Swisscom sponsere<br />
den Schulen Leistungen im Wert<br />
von jährlich 20 Millionen Franken,<br />
unter anderem den schnellen Internetanschluss.<br />
Wenn die Schülerinnen und<br />
Schüler sich erst einmal an ein be -<br />
stimmtes Gerät oder Programm gewöhnt<br />
haben, dürfen sich die Hersteller<br />
Hoffnungen machen, dass sie<br />
dieses auch nach ihrer Schulzeit<br />
kaufen werden. Microsoft beispielsweise<br />
stellt Lehrpersonen und Schülerinnen<br />
neben Schulungen auch<br />
kostenlose Office-Pakete zur Verfügung.<br />
Diese laufen mit Ende der<br />
Schulzeit aus. «Das ist eine Winwin-Situation»,<br />
sagt Marc Weder,<br />
Geschäftsbereichsleiter Bildungskunden<br />
bei Microsoft Schweiz.<br />
Wie viel Schulsponsoring erlaubt<br />
ist und ob die Schulen das tatsächlich<br />
nutzen, ist sehr unterschiedlich,<br />
und noch wird keine Statistik darüber<br />
geführt. In der Romandie ist<br />
die Gesetzgebung sehr viel strenger<br />
als in der Deutschschweiz, in der<br />
Waadt ist das Schulsponsoring<br />
gesetzlich komplett verboten.<br />
Um einer Vereinnahmung der<br />
Schulen durch Unternehmen entgegenzuwirken<br />
haben der Dachverband<br />
Lehrerinnen und Lehrer<br />
Schweiz LCH, die Jacobs Foundation<br />
und die Mercator-Stifgeht<br />
über das Öffnen einer E-Mail<br />
nur selten hinaus. Davon, gefährliche<br />
Inhalte zu erkennen oder selbst<br />
eine Webseite zu gestalten, sind viele<br />
Jugendliche weit entfernt.<br />
Spricht das nicht umso mehr<br />
dafür, Kindern in der Schule einen<br />
kritischen und kreativen Umgang<br />
mit Medien beizubringen? Manfred<br />
Spitzer tut dieses Argument in<br />
einem «Zeit»-Interview mit den<br />
Worten ab: «Medienbildung? Hier<br />
geht es doch nur darum, die Kinder<br />
anzufixen.» Man gebe Kindern doch<br />
auch keinen Alkohol, um Suchtprä- >>><br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Oktober <strong>2017</strong> 25
«Ich sehe das<br />
kritisch»<br />
Manuela Krattiger aus Arlesheim<br />
BL glaubt, dass der Umgang mit<br />
digitalen Medien eine gewisse<br />
Reife voraussetzt. Ihre Buben hält<br />
sie darum davon fern. Sie ist gegen<br />
den Einsatz von Tablets und Co.<br />
schon in der Primarschule.<br />
«Ich bin Mutter eines Kindergärtlers<br />
und eines Drittklässlers. Als mein älterer<br />
Sohn in der ersten Klasse nach Hause<br />
kam und mir erzählte, er arbeite im<br />
Unterricht am Computer, staunte ich<br />
nicht schlecht. Gerade, weil wir Eltern<br />
nicht informiert worden waren. Die<br />
Schüler übten Rechnen am Computer.<br />
ir missfiel dass sie diesen nich nur als<br />
Arbeitsinstrument nutzten: Wer schnell<br />
mit Mathe fertig war, durfte Computergames<br />
spielen. Auch in der zweiten<br />
Klasse kam der Computer zum Einsatz,<br />
nicht ständig, aber regelmässig. Mir<br />
geht das gegen den Strich, weil ich die<br />
Kinder zu Hause von digitalen Medien<br />
fernhalte – noch jedenfalls. Ich bin nicht<br />
weltfremd, nutze entsprechende Geräte<br />
selbst. Den Umgang der Kinder damit<br />
sehe ich aber kritisch. Wie können wir<br />
von ihnen erwarten, massvoll mit digitalen<br />
Medien umzugehen, wenn selbst<br />
Erwachsene das Handy kaum beiseitelegen<br />
können? Damit ein junger Mensch<br />
sich diesem Sog mit der nötigen Kraft<br />
entgegenstellen kann, braucht er eine<br />
gewisse Reife. Vor dem zehnten, zwölften<br />
Lebensjahr dürfte die, wie ich vermute,<br />
noch nicht erreicht sein. Ich besuche<br />
hufi lernildunsurse a erlee ich<br />
Mütter und Väter, die berichten, dass sie<br />
ihre zehnjährigen Kinder nicht vom Bildschirm<br />
wegkriegen. Ich glaube, dass eine<br />
entsprechend konsequente Haltung der<br />
Eltern dem entgegenwirken kann. Es ist<br />
aber schwierig, wenn die Schule untergräbt,<br />
was einem wichtig ist. Natürlich<br />
ist es normal, dass in der Zusammenarbeit<br />
von Schule und Elternhaus auch<br />
onie ensehen chieri irds<br />
wenn es um Grundwerte geht, und da<br />
gehört für mich der Umgang mit digitalen<br />
Medien dazu. Unsere Gemeinde<br />
plant, die Primarschule mit iPads aus-<br />
ursen as finde ich unanemessen<br />
weil die Geräte Kinder um wertvolle<br />
sinnliche und feinmotorische Erfahrungen<br />
bringen. Man weiss auch, dass<br />
LED-Displays zu Überreizung führen<br />
können – sicher nicht das Beste für<br />
Kinder, die ohnehin Schwierigkeiten<br />
haben mit Stillsitzen. Mein älterer Sohn<br />
besucht seit dem neuen Schuljahr die<br />
Steiner-Schule. Für mich ist es eine<br />
Erleichterung, dass digitale Medien<br />
dort explizit nicht erwünscht sind,<br />
zumindest auf Primarstufe. Das gibt<br />
mir als Mutter einen besseren Rückhalt.<br />
Selbstverständlich werde ich meinen<br />
Söhnen später erlauben, den Computer<br />
zu nutzen. Sollten dann auch Games zur<br />
eae sehen finden ir eine sun<br />
26 Oktober <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
>>> tung eine Charta aufgesetzt,<br />
die viele Firmen unterzeichneten,<br />
die mit Schulen zusammenarbeiten.<br />
Darin verpflichten sie sich, unter<br />
anderem auf Product Placement<br />
und das Verteilen von Vergünstigungen<br />
für Produkte zu verzichten.<br />
So soll eine zu starke Werbewirkung<br />
durch Kooperationen ausgeschlossen<br />
werden.<br />
Der gläserne Schüler?<br />
Eine weitere sensible Frage lautet:<br />
Wie werden die Daten in einer digitalisierten<br />
Schule geschützt? Solange<br />
Klassenarbeiten nur in Hefte geschrieben<br />
wurden und auch Einträge<br />
bei schlechtem Benehmen nur im<br />
Klassenbuch der Lehrperson zu finden<br />
waren, bedurfte es noch eines<br />
grossen Aufwandes, diese Daten zu<br />
kopieren und zu verbreiten. Heute<br />
haben einige Kantone eine digitale<br />
Viele Lehrpersonen<br />
verwenden Programme,<br />
die aus Datenschutzsicht<br />
sehr kritisch sind.<br />
ID eingeführt, die jedem Schüler und<br />
jeder Lehrperson seine/ihre Daten<br />
eindeutig zuordnet. Die ID soll einen<br />
Schulwechsel erleichtern, auch kantonsübergreifend.<br />
Hier gibt es klare<br />
Regeln, welche Daten verschlüsselt<br />
sein müssen und welche nicht (mehr<br />
dazu auf Seite 34).<br />
Wenn Schülerinnen und Schüler<br />
allerdings im Unterricht ins Internet<br />
gehen, ob für eine Recherche oder<br />
um bestimmte Programme in einer<br />
internetbasierten Cloud zu nutzen,<br />
hinterlassen sie auch dort eine Datenspur.<br />
Marc Weder von Microsoft versichert,<br />
dass Daten in der Microsoft-<br />
Cloud Office 365 entsprechend den<br />
Richtlinien des Verbandes Schweizer<br />
Datenschützer gespeichert werden.<br />
Nur: Lehrerinnen und Lehrer benutzen<br />
an Schweizer Schulen auch sehr<br />
oft Programme von Firmen, die keine<br />
Charta unterzeichnet haben oder<br />
nicht den Datenschutzrichtlinien der<br />
Schulen entsprechen – Google,<br />
Dropbox oder die iCloud zum<br />
Datenaustausch zum Beispiel. Diese<br />
haben ihre Datenserver in den >>><br />
tel.Dr.<br />
Mehr Infos auf<br />
visana.ch/telemedizin<br />
Medizinische Beratung am Telefon durch eine Fachperson,<br />
jeden Tag rund um die Uhr. Im Akutfall oder bei Unsicherheit.<br />
Das ist Service.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Oktober <strong>2017</strong> 27
Dossier<br />
Bild: Salvatore Vinci / 13 Photo<br />
«Medien und<br />
Informatik»<br />
im Lehrplan 21<br />
Der Lehrplan 21 legt die Kompetenzen<br />
fest, die die Schülerinnen und Schüler in<br />
ihrer Volksschulzeit, vom Kindergarten<br />
bis und mit 9. Klasse, erlernen sollen. Im<br />
Modul «Medien und Informatik» geht es<br />
zum einen darum, den Mediengebrauch<br />
ausserhalb der Schule aufzugreifen<br />
und u reeieren um anderen sollen<br />
Schüler mit Anwendungskompetenzen<br />
und grundlegenden Informatikkenntnissen<br />
auf die Berufswelt vorbereitet<br />
werden, da diese heute «praktisch in<br />
jedem Beruf erforderlich» seien, so die<br />
Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz.<br />
Thomas Merz von der PH<br />
Thurgau, der am Lehrplan mitgearbeitet<br />
hat, weist darauf hin, dass der Lehrplan<br />
weit mehr als die Nutzung von Medien<br />
im Unterricht fordert: «Es geht darum,<br />
Schülerinnen und Schüler auf die<br />
neuen Herausforderungen der digitalen<br />
Gesellschaft vorzubereiten. Da gehört<br />
viel Hintergrundwissen dazu, da setzen<br />
sich Schülerinnen und Schüler mit den<br />
inssen on edien auf die esellschaft<br />
auseinander, mit Risiken in ihrer<br />
Nutzung, mit der Bedeutung digitaler<br />
Medien für die Demokratie, mit neuen<br />
eruichen omeenen mi der lle<br />
an negativen Nachrichten, deren Wir-<br />
unen und ielem mehr ielseunen<br />
des Moduls «Medien und Informatik»<br />
sind,<br />
1. dass Schülerinnen und Schüler<br />
Medien und ihre Bedeutung für die<br />
Gesellschaft verstehen, kritisch hinterfragen<br />
und kompetent und verantwortungsvoll<br />
nutzen;<br />
2. dass Schülerinnen und Schüler<br />
verstehen, welche grundsätzlichen<br />
technischen Mechanismen hinter den<br />
digitalen Medien stecken, damit sie<br />
diese Grundkonzepte der Informatik<br />
nutzen können, um eigene Probleme<br />
zu lösen;<br />
3. dass Schülerinnen und Schüler Hardund<br />
Software kompetent nutzen, um<br />
Informations- und Kommunikationstechnologien<br />
in der Schule, im Alltag<br />
und im Berufsleben einzusetzen.<br />
Im Zyklus I, der die ersten vier Jahre<br />
einschliesslich Kindergarten umfasst,<br />
soll die Medienkompetenz nicht in einem<br />
eienen ach ermiel erden sondern<br />
immer wieder fächerübergreifend dort<br />
auferiffen erden o es ass iele<br />
des ersen lus sind um eisiel<br />
dass die Schülerinnen und Schüler ein<br />
Gerät einschalten und sich anmelden<br />
können oder dass sie lernen, Medien<br />
stufengerecht kreativ zu nutzen und sich<br />
über ihre eigene Medienerfahrung auszutauschen.<br />
In den Zyklen II ( 3.– 6. Schuljahr)<br />
und III (Sekundarstufe) emfiehl der<br />
Lehrplan, dass die Kinder mindestens<br />
zwei Jahreswochenstunden Medien<br />
und Informatik besuchen, um zentrale,<br />
rundleende hemen ssemaisch u<br />
erareien und ie diese eien eingehalten<br />
werden, entscheiden die jeweiligen<br />
Kantone. Mit den Schülern wachsen<br />
auch die Kompetenzziele. So sollen sie<br />
im drien lus uner anderem lernen<br />
die Absicht hinter Medienbeiträgen zu<br />
erkennen, Medien zur Veröffentlichung<br />
eigener Ideen zu nutzen und Algorithmen<br />
für Computerprogramme mit Variablen<br />
und Unterprogrammen zu erstellen.<br />
Auf Gymnasialstufe is das ach<br />
Informatik ein wählbares Ergänzungsfach.<br />
Die Erziehungsdirektorenkonferenz<br />
berät derzeit, ob es hier<br />
Pichfach erden soll n den Berufsschulen<br />
ist das Bild noch heterogener<br />
als an anderen Schulen, weil die Integration<br />
neuer Medien hier stark vom angestrebten<br />
Berufsbild abhängt.<br />
28 Oktober <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
Nicht jeder, der Lehrer wird,<br />
ist ein Freund der neuen<br />
Medien und kennt sich<br />
darin gut aus.<br />
>>> USA. In einer Schweizer Schule<br />
dürften sie daher offiziell nicht<br />
verwendet werden.<br />
Ein weiteres Problem: Der einzelnen<br />
Lehrperson wird beim Unterrichten<br />
nicht auf die Finger geschaut.<br />
Und wie bereits erwähnt, ist nicht<br />
jeder, der den Lehrberuf ergreift, ein<br />
Freund des Einsatzes neuer Medien<br />
und kennt sich gut aus. Leitfäden zu<br />
den Themen Datenschutz und<br />
Sponsoring geben eine Orientierungshilfe,<br />
aber die tatsächliche<br />
Umsetzung liegt bei der einzelnen<br />
Lehrperson. Sie entscheidet darüber,<br />
ob die Geräte sicher, gewinnbringend<br />
und pädagogisch sinnvoll eingesetzt<br />
werden. Oder um es mit den<br />
Worten von Schulleiterpräsident<br />
Bernard Gertsch zu sagen: «Es gibt<br />
bisher keine überzeugenden Langzeitstudien,<br />
die uns zeigen, dass man<br />
mit digitalen Medien besser lernt –<br />
aber sehr viele, die zeigen, dass eine<br />
gute Lehrperson einen Unterschied<br />
macht.»<br />
Da die Digitalisierung der Schulen<br />
in vollem Gang ist, wird sich eine<br />
gute Lehrperson mindestens genauso<br />
stark mit den Chancen und Risiken<br />
der «Generation Smartphone»<br />
auseinandersetzen müssen wie die<br />
Eltern der Kinder. Denn die digitale<br />
Welt ist zu komplex und zu wichtig,<br />
als dass wir unsere Kinder damit<br />
alleine lassen sollten.<br />
>>><br />
Scannen Sie<br />
die Seite mit der<br />
Fritz+Fränzi-App, und<br />
sehen Sie ein Video-<br />
Interview mit Professor<br />
Beat Döbeli zum Thema<br />
digitale Schule.<br />
Bianca Fritz<br />
leitet die Online-Redaktion von Fritz+Fränzi.<br />
In ihrer Schulzeit hat sie nur wenige Stunden<br />
IT-Unterricht im muffeligen Computerraum<br />
verbracht. Die strenge Aufsicht des Lehrers<br />
ar daei eienlich erssi denn die<br />
Internetverbindung war ohnehin viel zu<br />
lansam um im e u surfen<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Oktober <strong>2017</strong> 29
Dossier<br />
« Kinder lernen Sprache<br />
und Bilder digital kennen»<br />
Er arbeitet mit digitalen Tafeln, Smartphones und lässt seine<br />
Schülerinnen und Schüler Youtube-Videos drehen: der Lehrer<br />
Philippe Wampfler über die Vorurteile von Kolleginnen<br />
und Kollegen und die Grenzen des Digitalen. Interview: Bianca Fritz<br />
err apfler ie aren eine er ersten<br />
ehrpersonen er cheiz ie<br />
igitale eien i nterricht eingesetzt<br />
haben. haben ie ein uch<br />
über soziale eien in er chule<br />
geschrieben it elcher otiation<br />
Wir hatten an unserer Schule eine<br />
sehr theoretische Fortbildung zum<br />
Thema soziale Medien mit externen<br />
Experten. Was dabei zu kurz kam,<br />
war die Frage, wie Jugendliche diese<br />
Netzwerke nutzen. Da gibt es eine<br />
Wissenskluft zwischen Schülerinnen<br />
und Schülern und Lehrpersonen.<br />
Kurz darauf bin ich in Weiterbildungsferien<br />
gegangen, habe einen<br />
Blog zum Thema begonnen, Tagungen<br />
besucht und das erste Buch zum<br />
Einsatz von Social Media in Schulen<br />
geschrieben. Seither werde ich selbst<br />
als Experte zu Weiterbildungen in<br />
Schulen eingeladen. Wobei ich den<br />
Schulen sage: «Ihr könnt die Verantwortung<br />
nicht dauerhaft an Externe<br />
delegieren. Ihr müsst euch selbst mit<br />
neuen Medien auseinandersetzen.»<br />
achen igitale eien en nterricht<br />
grunstzlich besser<br />
Ein Unterricht ohne den Einsatz von<br />
Medien ist gar nicht möglich. Auch<br />
die Wandtafel ist ein Medium. Digitale<br />
Medien sind einfach zeitgemässe<br />
Medien. Ein Unterricht ohne<br />
diese wirkt künstlich. Ich brauche<br />
die Tafel noch oft – manchmal digitalisiere<br />
ich sie. Ich schaue immer,<br />
was didaktisch sinnvoll ist.<br />
o ist er insatz on igitalen<br />
eien nicht sinnoll<br />
Zum Beispiel, wenn sich die Schülerinnen<br />
und Schüler zusammensetzen,<br />
um einen Konflikt zu lösen. Da<br />
wäre es problematisch, wenn es digitale<br />
Aufzeichnungen geben würde.<br />
Oder wenn die Motorik wichtig ist:<br />
Was beim Von-Hand-Schreiben in<br />
der Primarschule passiert, kann mit<br />
digitalen Medien nicht gefördert<br />
werden.<br />
in ie auf ierstne bei Kollegen<br />
gestossen als ie neue eien i<br />
nterricht eingesetzt haben<br />
Im Prinzip war den anderen egal,<br />
was ich im Klassenzimmer machte.<br />
Nach und nach hat aber die Schulleitung<br />
gemerkt, dass sie auf den<br />
Mediengebrauch der Kinder reagieren<br />
muss. Zunächst hat man es mit<br />
einem Handyverbot probiert. Das<br />
liess sich aber nicht umsetzen. Also<br />
wurde umgeschwenkt auf «Bring<br />
your own device»: Die Geräte, welche<br />
die Jugendlichen ohnehin dabei<br />
hatten, sollten im Unterricht genutzt<br />
werden. Das hat zu einigen negativen<br />
Reaktionen geführt.<br />
as sin enn ie orurteile oer<br />
ngste ie i ehrerkollegiu<br />
erbreitet sin<br />
Manche Lehrpersonen an Gymnasien<br />
unterrichten ihr Fach noch so,<br />
wie sie es im Studium gelernt haben.<br />
Gerade in den Sprachwissenschaften<br />
heisst das: in Bibliotheken gehen,<br />
Bücher suchen und lesen. Dann<br />
kommen Schüler und sagen: «Ich<br />
finde das aber alles im Netz!» Das<br />
kann bei der Lehrperson zu einer<br />
Sinnkrise führen. In einer digitalisierten<br />
Welt ändert sich auch deren<br />
Rolle. Sie ist nicht mehr die einzige<br />
Wissensquelle. Zudem begibt man<br />
sich mit den neuen Medien auf ein<br />
Feld, auf dem die Schülerinnen und<br />
Schüler souveräner sind. Damit verschieben<br />
sich die Machtverhältnisse.<br />
ber es gibt a auch üngere ehr<br />
personen ie selbst schon seit ahren<br />
igitale eien benutzen.<br />
Ja, das ist ein Grund, warum sich die<br />
Lage langsam entspannt. Allerdings<br />
zeigen Untersuchungen auch, dass<br />
die Menschen, die sich für den Lehrerberuf<br />
ausbilden lassen, dem Einsatz<br />
der digitalen Medien in der<br />
Schule generell eher kritisch gegenüberstehen.<br />
ie kot as<br />
Sie haben selbst positive Erfahrungen<br />
mit der analogen Schule gemacht<br />
und werden Lehrerin oder Lehrer,<br />
um das weiterzugeben. Nicht um<br />
etwas zu ändern.<br />
ibt es auch on eiten er ltern<br />
egenin<br />
Eltern sind eine sehr heterogene<br />
Gruppe. Die einen sagen: «Ich kämpfe<br />
ja zu Hause schon gegen das Gerät,<br />
warum wollt ihr es jetzt auch noch<br />
in der Schule einsetzen?» Andere<br />
30 Oktober <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
arbeiten selbst mit digitalen Medien<br />
und finden die Schule völlig veraltet.<br />
Die meisten Eltern aber stehen dem<br />
Thema unaufgeregt gegenüber. Ganz<br />
anders als noch vor fünf oder zehn<br />
Jahren. Sie haben inzwischen eigene<br />
Erfahrung mit Smartphones und<br />
Computern gesammelt und sich eine<br />
Vorstellung davon geschaffen, welche<br />
Regeln es im Umgang mit den<br />
Geräten geben soll. Trotzdem gibt es<br />
natürlich einen Legitimationsdruck,<br />
wenn Schulen digitaler werden. Und<br />
das ist gut so.<br />
Warum?<br />
Weil wir immer wieder überlegen<br />
und begründen müssen, was wir tun.<br />
Das tut uns gut, Lehrpersonen sind<br />
ja keine Halbgötter.<br />
ie beeinflussen ie eienregeln<br />
aus e lternhaus en nterricht<br />
Kinder aus einem Elternhaus mit<br />
hohem Bildungsstand haben oft<br />
strenge Regeln und die Kinder<br />
bekommen meist auch erst spät ein<br />
Smartphone, zum Beispiel mit Übertritt<br />
in die Oberstufe. Bei niedrigem<br />
Bildungsstand wird das Handy hingegen<br />
häufig früher gegeben und mit<br />
weniger Regeln verbunden, zum<br />
Beispiel, damit das Kind ruhig ist.<br />
Die Kinder, die schon jung, mit sechs<br />
oder sieben, ein Handy besitzen,<br />
haben also oft keine Mediennutzungsregeln<br />
gelernt. Das sehen dann<br />
die Lehrpersonen und sagen: «Also<br />
bei so jungen Kindern sollte man<br />
Handys nicht einsetzen.»<br />
n ie sehen ie as ollte es<br />
schon in er Priarschule Kontakte<br />
it igitalen eien geben<br />
Ganz klar ja. Nicht als Ersatz für den<br />
Wald und motorische Erlebnisse,<br />
aber zusätzlich. Die Primarschule<br />
prägt unser Verständnis von Schule<br />
und Wissensaneignung stark. Sie ist<br />
– bis auf ein paar Vorzeigeprojekte<br />
– stark analog geprägt. Dabei lernen<br />
Kinder in der Welt ausserhalb der<br />
Schule Sprache und Bilder oft digital<br />
kennen. Meine Kinder haben das<br />
Schreiben an den Tram-Automaten<br />
gelernt, wo sie Buchstaben eingegeben<br />
haben.<br />
ie iel igital re zu iel<br />
Es gibt dieses amerikanische Modell,<br />
eine echte Schreckensvision: Jeder<br />
Schüler ist abgetrennt hinter dem<br />
PC, und für <strong>10</strong>0 Schüler hat es vielleicht<br />
drei Lehrpersonen, alles andere<br />
regeln individuell angepasste<br />
Lernprogramme. Und hinter denen<br />
steht eine mächtige Industrie. Der<br />
wichtigste Aspekt von Schule ist<br />
doch der soziale. Man muss hier<br />
Beziehungen knüpfen können.<br />
hre chülerinnen un chüler sin<br />
u ie ahre alt un haben alle ein<br />
eigenes artphone. ie setzen ie<br />
neue eien i nterricht ein<br />
Nehmen wir den Deutschunterricht<br />
als Beispiel: Ich könnte einfach an<br />
die Wandtafel schreiben, was «erlebte<br />
Rede» ist. Oder ich lasse es die<br />
Schülerinnen und Schüler selber mit<br />
dem Smartphone suchen, erstelle ein<br />
Google Doc und darin tragen die<br />
Schüler verschiedene Informationen<br />
zusammen. Anschliessend können<br />
sie vergleichen: Was ist eine gute<br />
Quelle? Dabei stellen sie fest, dass es<br />
verschiedene Definitionen gibt, also<br />
keine Einigkeit herrscht. Ich bin<br />
überzeugt, dass sie es sich so besser<br />
merken können, als wenn ich es<br />
ihnen nur erzähle.<br />
aben ie noch ein eispiel<br />
Alles Organisatorische läuft über<br />
einen WhatsApp-Chat. Hier können<br />
mir die Schülerinnen und Schüler<br />
Fragen zu den Hausaufgaben stellen<br />
und ich weiss, wo sie stehen. Daran<br />
kann ich im Unterricht anknüpfen.<br />
as heisst ie als ehrer üssen<br />
tunen erreichbar sein<br />
Nein, da muss man eine Kommunikationskultur<br />
finden. Ich habe feste<br />
Zeiten, wann ich bei WhatsApp<br />
online bin und Fragen beantworte.<br />
Man entwickelt auch eine Filterkompetenz<br />
und sieht, auf welche Nachrichten<br />
man sofort antworten muss.<br />
ine Kopetenz ie auch ie chüler<br />
erlernen sollten.<br />
Ja klar, darüber sprechen wir im<br />
Unterricht. Es gibt unterschiedliche<br />
Erwartungen, wie schnell jemand<br />
antworten muss. Das kann in Stress<br />
ausarten. Vor Prüfungen haben manche<br />
meiner Schülerinnen und Schüler<br />
die Strategie entwickelt, den Klassenchat<br />
stumm zu schalten. Damit sie<br />
sich nicht gegenseitig verrückt<br />
machen können.<br />
üssen ans in hren Prüfungen<br />
ausgeschaltet bleiben<br />
Klassische Prüfungen mache ich persönlich<br />
nicht. Ich arbeite kompetenzorientiert.<br />
Zum Beispiel habe ich<br />
Schülerinnen und Schülern gerade<br />
einen Kommentar zu einem Roman<br />
schreiben lassen – in Google Docs.<br />
Dazu geben dann andere Schülerinnen<br />
und Schüler und ich nach strengen<br />
Regeln Feedback. Danach können<br />
sie ihren Text fertig schreiben.<br />
Wir arbeiten zusammen daran, einen<br />
Text zu verbessern. Das wird auch<br />
dem heutigen Textverständnis ge -<br />
recht: Digitale Texte sind nie einfach<br />
fertig. Ich möchte, dass die Schülerinnen<br />
und Schüler bei mir so arbeiten<br />
lernen, wie sie es später in der<br />
Berufswelt brauchen.<br />
ber geben sie sich nicht eniger<br />
ühe it eine et enn sie issen<br />
ass es nur eine erste ersion ist<br />
Bei Aufsätzen hat es schon immer<br />
Texte gegeben, die eher unüberlegt<br />
schienen und die man besser noch<br />
einmal überarbeitet hätte. Der Wille,<br />
einen bereits fertigen Text zu verbessern,<br />
war hingegen eher noch kleiner.<br />
Wie gehen Wampflers Schüler<br />
damit um, dass er in den sozialen<br />
Medien so bekannt ist? Wie<br />
beurteilt er die Medienkompetenz<br />
an den Schulen? Die lange Version<br />
des Interviews finden Sie auf<br />
fritzunfraenzi.ch oder in der AR-<br />
App – einfach damit diese<br />
Seite scannen.<br />
Philippe Wampfler<br />
ist Gymnasiallehrer für Deutsch und<br />
Philosophie, Dozent für Fachdidaktik<br />
Deutsch und Autor mehrerer Bücher zum<br />
Thema Schule und Social Media. Er wohnt<br />
in Zürich und hat drei Kinder.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Oktober <strong>2017</strong> 31
Die Schule von morgen<br />
Jürg Brühlmann vom Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH ist überzeugt:<br />
Die Digitalisierung wird die Volksschule grundlegend verändern. Text: Jürg Brühlmann<br />
«Das Sponsoring wird<br />
forciert, bezahlt wird mit den<br />
Daten unserer Kinder.»<br />
Jürg Brühlmann, lic. phil., ist Primar-,<br />
Sekundar- und Sonderklassenlehrer und leitet<br />
die Pädagogische Arbeitsstelle des<br />
Dachverbandes Lehrerinnen und Lehrer<br />
Schweiz LCH.<br />
Der Lehrplan 21 bringt<br />
den Unterricht zu<br />
den Informationsund<br />
Kommunikationstechnologien<br />
(ICT) und Medien in die Volksschule.<br />
Kinder recherchieren Informationen<br />
und lernen sie zu bewerten,<br />
können Bildsprache interpretieren<br />
und hinterfragen, nutzen selbstver-<br />
Recherchieren, Bewerten,<br />
Programmierlogik – das<br />
alles lernen Kinder in<br />
Zukunft in der Schule.<br />
ständlich unterschiedlichste Programme<br />
und lernen, zu verstehen,<br />
wie die Programmierlogik funktioniert.<br />
Solche Inhalte und Kompetenzen<br />
lernen die Kinder in Zukunft in<br />
der Schule. Bis die Schulen so weit<br />
sind, kann es noch einige Jahre dauern:<br />
je nachdem, wie rasch der jeweilige<br />
Kanton den Lehrplan 21<br />
einführt, ob genug Zeit und Geld<br />
zur Verfügung gestellt werden für<br />
die Weiterbildung der Lehrpersonen,<br />
ob die Lehrmittel aktualisiert<br />
werden und ob die Schule ausreichend<br />
mit Hard- und Software ausgerüstet<br />
wird.<br />
Digitalisierung kostet<br />
In Winterthur wurden auf das neue<br />
Schuljahr hin 40 Schulhäuser für 2,5<br />
Millionen Franken mit 2000 Notebooks<br />
und 900 Tablets ausgerüstet.<br />
Jedes Kind erhielt einen USB-Stick<br />
mit Linux-Betriebssystem, Lernund<br />
Softwareprogrammen, die auch<br />
zu Hause laufen sollen. Es scheint,<br />
als ob nun in den Gemeinden das<br />
grosse Aufrüsten beginnt. Die schulische<br />
Infrastruktur wird nicht vom<br />
Kanton gestellt, sondern muss von<br />
den Gemeinden finanziert werden,<br />
teilweise mit Beiträgen des Kantons.<br />
Die Volksschule ist gemäss Bundesverfassung,<br />
Artikel 19 unentgeltlich.<br />
Daher ist es richtig, dass die Eltern<br />
nicht mit Anschaffungen oder Abokosten<br />
belastet werden.<br />
Kinder wollen als Individuen<br />
gesehen und gefördert werden. Ers-<br />
te öffentliche Schulen setzen als Pioniere<br />
für alters- und leistungsdurchmischte<br />
Lerngruppen voll auf die<br />
Personalisierung mit digitalem<br />
Lernwegmanagement und digitalen<br />
Lernaufgaben einschliesslich Lernmaterial<br />
im Hintergrund. Das Lernen<br />
jedes Kindes kann auf übersichtlichen<br />
Kompetenzrastern im<br />
Auge behalten werden und bleibt für<br />
Lehrpersonen und Eltern nachvollziehbar.<br />
Andere Schulen stellen um<br />
auf flexible Stundenpläne, erste private<br />
Schulen verzichten sogar auf<br />
fixe Ferienzeiten und bieten Ferncoaching<br />
für die Hausaufgaben oder<br />
bei Abwesenheiten.<br />
Gelernt werden kann immer,<br />
auch abends, Auszeiten und Ferien<br />
sind jederzeit möglich. Elternbussen<br />
aufgrund von unentschuldigten<br />
Absenzen werden abgelöst durch<br />
Lernzielvereinbarungen im Dreieck<br />
Kind – Eltern – Schule. Die Lehrpersonen<br />
fördern als Coaches die Kinder,<br />
damit sie die gewünschten standardisierten<br />
Tests bestehen, welche<br />
anstelle der Lehrpersonen die promotionswirksame<br />
Beurteilung und<br />
Selektion übernehmen.<br />
Digitalisierung bringt völlig neue<br />
Zukunftsszenarien<br />
Im Hintergrund warten bereits grosse<br />
Unternehmen, die all dies im<br />
Abonnement anbieten: Cloud-<br />
Lösungen, Social Media, interaktive<br />
Webseiten, alle Arten Apps und<br />
Lernprogramme, Videotutorials,<br />
32 Oktober <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
modulares Lernmaterial, Lernwegtracking<br />
und internationale Tests.<br />
Vielleicht umfassen die Pakete bald<br />
auch spezialisierte Lehrpersonen,<br />
die teilweise vor Ort sind und anderes<br />
im Ferncoaching abdecken. Korrekturen<br />
können weitgehend automatisiert<br />
erledigt werden. Schreiben<br />
wird unwichtiger, weil den Computern<br />
Texte diktiert werden können.<br />
Menschenähnliche Roboter können<br />
Fragen beantworten, emotionale Be -<br />
dürfnisse abdecken, singen oder<br />
erzählen.<br />
Derartige Angebote verlangen<br />
einen enormen Investitionsbedarf<br />
und sind dafür nach oben skalierbar.<br />
Nur die immer noch notwendige<br />
soziale Betreuung der Kinder muss<br />
lokal sichergestellt werden, entweder<br />
professionell gegen Bezahlung<br />
durch die Eltern oder kostengünstiger<br />
mit Freiwilligen. Regionale<br />
Lehrmittelverlage und einzelne<br />
Kantone können mit Eigenentwicklungen<br />
da nicht mehr mithalten.<br />
Digitalisierung erfordert politische<br />
Willensbildung<br />
Mit derartigen Szenarien werden<br />
wir uns bald schon politisch als<br />
Wahl- und Stimmberechtigte, aber<br />
auch persönlich als Eltern auseinandersetzen<br />
müssen. Die Bildungskosten<br />
sind neben den Gesundheitskosten<br />
die auffälligsten Ausgaben in<br />
den Gemeinden und Kantonen. Um<br />
in Kantonen und Gemeinden weiter<br />
Steuern senken zu können, schlagen<br />
führende Politiker und Medien eine<br />
Menschenähnliche Roboter<br />
können Fragen beantworten,<br />
emotionale Bedürfnisse<br />
abdecken, singen und erzählen.<br />
massive Senkung der Kosten auch<br />
im Bildungswesen vor. Wie in den<br />
USA bereits zu sehen ist, sind auch<br />
digitale Billigstlösungen möglich:<br />
Das Sponsoring wird forciert, be -<br />
zahlt wird mit den Daten und der<br />
Beeinflussung der Kinder, Kosten<br />
werden nach dem Prinzip BYOD<br />
(bring your own device) und über<br />
Gebühren auf die Eltern abgewälzt,<br />
einfach testbare Fächer bilden die<br />
Grundbildung, der Rest muss privat<br />
dazugekauft werden.<br />
Wir sehen im Gesundheitswesen<br />
bereits ähnliche Entwicklungen, wo<br />
Menschen nach Betreuungsintensität<br />
«taxiert» werden. Das Verursacherprinzip<br />
kennen wir bereits.<br />
Das Prinzip der Finanzierung von<br />
Grundangeboten via progressive<br />
Steuern wird abgelöst durch das<br />
Verursacherprinzip, wie bereits bei<br />
den TV/Internet-Gebühren, den<br />
Autobahnvignetten, beim Wasser<br />
oder beim Kehricht.<br />
Heute ist noch kaum vorstellbar,<br />
dass eines Tages auch die heute noch<br />
vielfältigen Berufsaufgaben der<br />
Lehrpersonen auf andere Berufsgruppen,<br />
Laien und Assistenzpersonal<br />
aufgeteilt und damit modularisiert<br />
werden könnten: die Planung<br />
von Unterricht, das Vermitteln von<br />
prüfungsfähigen Kompetenzen (das<br />
«Lehren»), das Trainieren und Üben,<br />
die soziale Betreuung und die Führung<br />
der Gruppen, das Herstellen<br />
von Lernmaterial, das Prüfen, Testen<br />
und Beurteilen. Schauen wir uns in<br />
anderen Berufen und Wirtschaftszweigen<br />
um, geschieht aber genau<br />
das.<br />
Digitalisierung schafft die<br />
Allrounderin ab<br />
Die Vorstellung der Allrounderin,<br />
die neun Fächer möglichst in dividual<br />
isiert unterrichtet, eine maximal<br />
heterogene Klasse führt, die sozialen<br />
und personalen Kompetenzen jedes<br />
Kindes fördert, rund um die Uhr auf<br />
die Sorgen der Eltern eingeht und<br />
auch abends online bei Aufgaben<br />
hilft, Kinder beurteilt und für spätere<br />
schulische und berufliche Karrieren<br />
selektioniert – von diesem Bild<br />
werden wir uns vielleicht schon bald<br />
verabschieden müssen, wenn sich die<br />
Trends fortsetzen.<br />
Alles nur Utopien? Vermutlich<br />
nicht, wenn wir schauen, was um<br />
uns herum gerade passiert.<br />
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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Oktober <strong>2017</strong> 33
Dossier<br />
«Schulen sollen nur Clouds<br />
aus Europa brauchen»<br />
Macht die Digitalisierung aus unseren Kindern gläserne<br />
Schüler? Markus Willi von von der eidgenössischen Fachstelle<br />
educa.ch erklärt, was mit deren Daten passiert. Interview: Bianca Fritz<br />
Weiterführende<br />
Informationen<br />
Um Datenschutz an Schulen geht<br />
es im Leitfaden für Lehrpersonen<br />
und Schulleiter auf www.mediendatensicherheit-schulen.info.<br />
Dieser wurde in trinationaler<br />
Zusammenarbeit (Deutschland,<br />
Österreich, Schweiz) unter Mitarbeit<br />
des Dachverbands Lehrerinnen<br />
und Lehrer Schweiz LCH erstellt.<br />
Herr Willi, immer mehr Schüler<br />
beantworten Testfragen digital oder<br />
schreiben in Google Docs. Wie werden<br />
diese Daten geschützt?<br />
Das kommt ganz auf die Schule und<br />
ihre IT-Infrastruktur an – da lassen<br />
sich keine generellen Aussagen<br />
machen. Manche Schulen speichern<br />
ihre Daten auf lokalen Festplatten,<br />
andere nutzen dafür webbasierte<br />
Cloud-Dienste.<br />
Aber es gibt ja sicher Empfehlungen.<br />
Absolut. So sollen die Schulen beispielsweise<br />
nach Empfehlung der<br />
Konferenz der Schweizerischen<br />
Datenschutzbeauftragten privat nur<br />
Cloud-Dienste verwenden, die ihre<br />
Server im europäischen Datenraum<br />
stehen haben. Und besonders schützenswerte<br />
Personendaten wie zum<br />
Beispiel über Religionszugehörigkeit,<br />
Gesundheitszustand oder Massnahmen<br />
der Sozialhilfe, dürfen nur<br />
verschlüsselt in der Cloud abgespeichert<br />
werden.<br />
Und Testergebnisse der Schüler?<br />
Wenn es sich nicht um besonders<br />
schützenswerte Daten handelt, dürfen<br />
diese gespeichert werden. Aus<br />
unserer Sicht ist das aber bei den<br />
meisten Tests nicht der Fall.<br />
Sie unterstützen die Kantone dabei,<br />
Schüler- beziehungsweise Bildungs-<br />
IDs anzulegen und diese kantonsübergreifend<br />
zu vereinheitlichen. Was hat<br />
es mit diesen IDs auf sich?<br />
Um einen sicheren Zugang zu<br />
Online-Diensten zu gewährleisten,<br />
sollen alle Schülerinnen, Schüler und<br />
Lehrpersonen zukünftig eine digitale<br />
Identität erhalten. In einigen Kantonen<br />
bestehen bereits solche zentralen<br />
Lösungen, etwa in Genf oder<br />
Basel-Stadt. Wir versuchen, auf nationaler<br />
Ebene alle diese Lösungen<br />
zusammenzufassen, sodass die Da-<br />
ten bei einem Wohnortswechsel über<br />
die Kantonsgrenzen hinaus mitgenommen<br />
werden können.<br />
Dürfen Eltern diese ID sehen?<br />
Sie dürfen nicht nur, sie müssen der<br />
Speicherung zustimmen. Zudem<br />
haben sie ein Anrecht auf Einsicht<br />
in die Daten ihres Kindes und dürfen<br />
auch deren Löschung veranlassen.<br />
Damit können Kinder wohl nicht mehr<br />
behaupten, dass sie eine bessere Note<br />
geschrieben haben ...<br />
(lacht) Da finden gewitzte Schüler<br />
bestimmt andere Wege.<br />
Markus Willi<br />
arbeitet bei educa.ch, der eidgenössischen<br />
Fachagentur für Informations- und<br />
Kommunikationstechnologien (ICT) und<br />
Bildung.<br />
Im nächsten Heft:<br />
Ernährung<br />
Zuckerfrei und ohne Kohlenhydrate, dafür<br />
vegetarisch oder sogar vegan: Ernährungstrends<br />
gibt es viele. Doch welcher ist der richtige Weg zu<br />
einer gesunden Ernährung? Und wer gibt diesen<br />
vor? Das Dossier-Thema im November.<br />
Bild: iStockphoto<br />
34 Oktober <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Oktober <strong>2017</strong> 35
Monatsinterview<br />
« Es braucht ein Bündnis<br />
mit den Eltern»<br />
Vielen Lehrpersonen machen die hohen Anforderungen an ihren Beruf zu schaffen, sie sind<br />
Burn-out-gefährdet, steigen aus. «Es reicht heute nicht mehr, eine ambitionierte Lehrperson<br />
zu sein, die ihren Beruf liebt», sagt Urs Gfeller von der Pädagogischen Hochschule Bern.<br />
Der Pädagoge über den allgemeinen Autoritätsverlust, zu hohe Ideale und wichtige Sätze<br />
am ersten Elternabend. Interview: Evelin Hartmann Bilder: Raffael Waldner / 13 Photo<br />
Ein heller Raum in der<br />
Pädagogischen Hochschule Bern.<br />
Zusammengeschobene Tische sollen<br />
kleinen Gruppen die gemeinsame<br />
Arbeit ermöglichen, Loungemöbel das<br />
Entspannen. Hinter einem Raumteiler<br />
erwartet den Besucher das Herzstück<br />
des grossen Zimmers: ein alter,<br />
wunderschöner Holztisch. «So etwa<br />
soll der Klassenraum von morgen<br />
aussehen», sagt Urs Gfeller,<br />
Bereichsleiter Berufsbiografie,<br />
Beratung und Unterstützung an der<br />
PH Bern. «Wollen wir uns setzten?»<br />
selbst an sich stellen und die von<br />
aussen auf sie zukommen, nicht<br />
gewachsen. Andere haben das Lehramtsstudium<br />
von Anfang an als<br />
Grundausbildung gesehen, auf der<br />
sie weiter aufbauen möchten.<br />
Sie leiten an der Pädagogischen Hochschule<br />
Bern den Bereich Berufsbiograe<br />
eratung un nterstützung.<br />
Dieser bietet unter anderem ein<br />
«Viele Lehrer<br />
nutzen solche<br />
Beratungsangebote<br />
wie unsere recht<br />
spät.»<br />
durch die Schulleitung über Rechtsfragen<br />
bis hin zu Fragen zur Elternarbeit.<br />
Leider machen wir die Beobachtung,<br />
dass viele Lehrpersonen<br />
solche Beratungsangebote wie unseres<br />
recht spät nutzen ...<br />
… und diese tauchen dann in den Statistiken<br />
als ieenigen ehrpersonen<br />
auf ie ihren ob nach oer sogar<br />
ahren an en agel hngen.<br />
aru<br />
Sagen wir, manche von ihnen. Einige<br />
haben das Gefühl, dass sie selbst<br />
immer älter und die Kinder immer<br />
jünger werden. Die Digitalisierung<br />
schreitet immer weiter voran, viele<br />
Lehrpersonen meinen, mit den neuen<br />
Fähigkeiten und Fertigkeiten<br />
ihrer Schüler diesbezüglich nicht<br />
Schritt halten zu können. Sie können<br />
sich schlichtweg nicht vorstellen, mit<br />
diesem Beruf in Pension zu gehen.<br />
Einen anderen Grund sehe ich in den<br />
gesellschaftlichen Veränderungen<br />
der letzten Jahrzehnte.<br />
Die da wären?<br />
Ich spreche insbesondere den allgemeinen<br />
Autoritätsverlust an. Früher<br />
galten Ärzte, Pfarrer und auch Lehrpersonen<br />
als die unumstösslichen<br />
Instanzen auf ihrem Gebiet. Heute<br />
err feller tuien zufolge gibt ee<br />
fünfte ehrperson in en ersten ier<br />
ahren ihren eruf auf. in es irklich<br />
so iele<br />
Ich kenne diese Studien auch. Ob<br />
dies viele sind oder ob dies vergleichbar<br />
mit andern Berufsgattungen ist,<br />
kann ich nicht mit Bestimmtheit<br />
sagen.<br />
ber elches sin ie rüne für iesen<br />
frühen usstieg aus e eruf<br />
Trotz einer guten Grundausbildung,<br />
trotz ausgebauten Praktika, trotz<br />
speziellen Angeboten für Berufseinsteigende<br />
ist der Schritt zur selbstverantwortlich<br />
handelnden Lehrperson<br />
noch immer gross. Viele fühlen<br />
nternetforu an über as sich ehrpersonen<br />
beraten lassen knnen.<br />
ittlereile sin ort run ehrpersonen<br />
registriert. as brennt ehrerinnen<br />
un ehrern heute unter en<br />
Nägeln?<br />
Das Spektrum an Themen, mit<br />
denen Lehrpersonen auf uns zukommen,<br />
ist sehr breit und reicht von<br />
schwierigem Schülerverhalten oder<br />
anspruchsvollen Unterrichtssituationen,<br />
gibt es das Internet. Wir können uns<br />
sich all den Ansprüchen, die sie fehlender Unterstützung zu jeder Zeit über alles inforgibt<br />
>>><br />
36 Oktober <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Monatsinterview<br />
Urs Gfeller leitet ein<br />
Internetforum für<br />
Lehrpersonen. Rund<br />
1700 Lehrkräfte sind<br />
dort registriert und<br />
können sich beraten<br />
lassen.
Monatsinterview<br />
>>> mieren und ausgewiesene<br />
Experten mit unserem (Halb-)Wissen<br />
konfrontieren.<br />
Was bedeutet das für den Schulalltag?<br />
Es reicht heute nicht mehr aus, eine<br />
ambitionierte Lehrperson zu sein,<br />
die ihren Beruf liebt. Lehrpersonen<br />
müssen sich als Fachkräfte, als Pädagoginnen<br />
und Pädagogen ausweisen.<br />
Gegenüber den Eltern?<br />
Vor allem gegenüber den Eltern, ja.<br />
Als Lehrperson muss ich überzeugt<br />
sein von mir und meiner Art, zu<br />
unterrichten, und ich muss meinen<br />
Auftrag als Lehrperson klar kommunizieren<br />
können. Und das bereits<br />
am ersten Elternabend: «Liebe<br />
Eltern, von diesem Menschenbild<br />
gehe ich aus, dies verstehe ich unter<br />
Lernen, ich wende diese oder jene<br />
Didaktik an, dies erwarte ich von<br />
Ihnen, liebe Eltern, und das können<br />
Sie von mir erwarten. Meine Elterninformation<br />
ist wie folgt. Zu diesen<br />
Zeiten können Sie mich telefonisch<br />
erreichen, zu jenen nicht.» Wenn<br />
eine Lehrperson heute nicht genau<br />
sagen kann, was sie unter Lernen<br />
versteht, haben Eltern sehr schnell<br />
das Gefühl, dass sie es anstelle von<br />
ihr sagen müssen. Wer sich vor den<br />
Eltern nicht klar definiert, wird verständlicherweise<br />
von ihnen definiert.<br />
Familien stehen heute unter einem<br />
hohen wirtschaftlichen Druck. Und<br />
viele Eltern haben Sorge, dass ihr Kind<br />
den Anschluss in dieser globalisierten<br />
Welt nicht schafft.<br />
Das ist oft so. Dazu kommt noch,<br />
dass viele Eltern ein schlechtes<br />
Gewissen plagt, für ihre Kinder zu<br />
wenig Zeit zu haben. Und dieses<br />
schlechte Gewissen projiziert man<br />
auf die Schule: Wenigstens dort muss<br />
ihr Kind zu dem kommen, was es<br />
braucht. Dass dem so ist, ist absolut<br />
verständlich.<br />
Mit welchen Folgen?<br />
Sehen Sie, es geht darum, zum Wohle<br />
des Kindes ein Wir-Gefühl zu<br />
schaffen. Es braucht ein Bündnis mit<br />
den Eltern, das aufzeigt, was ihre<br />
Aufgabe und was Aufgabe der Schu-
le ist. Wenn sich Eltern aber nur<br />
kritisch gegenüber der Schule positionieren,<br />
dann ist das eine sehr<br />
schwierige Aufgabe. Lehrpersonen<br />
müssen sich das Vertrauen der Eltern<br />
heute verdienen, es ist nicht mehr<br />
«kraft ihres Amtes» gegeben.<br />
Die Elternarbeit kommt heute immer<br />
noch zu kurz?<br />
Meiner Ansicht nach ja. Dabei ist die<br />
Elternarbeit ein Schlüssel zum Lernerfolg<br />
der Kinder. Und zur Gesunderhaltung<br />
der Lehrperson. Es gilt, die<br />
Eltern in einem für sie möglichen<br />
Mass einzuladen, am Entwicklungsprozess<br />
ihrer Kinder im Rahmen der<br />
Schule teilzunehmen und Mitverantwortung<br />
zu übernehmen. Es gilt, die<br />
«Es geht darum,<br />
ein Wir-Gefühl zu<br />
erzeugen», sagt<br />
Urs Gfeller.<br />
Eltern als Partner auf Augenhöhe<br />
ernst zu nehmen. Als Partner, der uns<br />
sein Liebstes anvertraut, seine Kinder.<br />
Das ist sehr wichtig. Dort verharren<br />
wir oft noch zu sehr in alten<br />
Formen.<br />
Nun stellen wir uns eine Klasse mit<br />
20 Schülern vor, von denen sich 3<br />
gegen die Lehrperson verschworen<br />
haben. Deren Eltern wollen die Fehler<br />
aber nicht beim eigenen Kind sehen.<br />
Was wollen Sie denn da machen? Das<br />
ist doch alles andere als einfach!<br />
Da haben Sie recht. Und so etwas<br />
kommt nicht selten vor. Aber es<br />
kommt auch auf das Verhalten der<br />
Lehrperson an. Kinder und Jugendliche<br />
sehnen sich danach, so angenommen<br />
zu werden, wie sie sind.<br />
Wenn ein Kind aggressiv handelt,<br />
dann ist das nicht per se ein aggressives<br />
Kind, sondern das Verhalten<br />
ist immer an ein Setting gebunden.<br />
Dieses Kind ist nicht rund um die<br />
Uhr aggressiv. Oft steht hinter der<br />
Aggression eine Not, die von der<br />
Lehrperson gesehen werden sollte.<br />
Wenn dies geschieht, ist im Verhältnis<br />
Lehrperson - Schüler oder Schülerin<br />
schon viel gewonnen.<br />
Können Sie ein Beispiel nennen?<br />
Als ich vor vielen Jahren selbst unterrichtet<br />
habe, gab es in meiner Klasse<br />
einmal einen Reto. Der 17-Jährige<br />
hat alles sabotiert, was ich gemacht<br />
habe, reingeschwatzt, die Klasse zur<br />
Unruhe verführt. Er hat meine komplette<br />
Aufmerksamkeit auf sich gezogen.<br />
Was haben Sie unternommen?<br />
Wir haben einen Lernvertrag aufgesetzt,<br />
den Reto, seine Eltern und ich<br />
unterschrieben haben. Doch das hat<br />
alles nichts gebracht. Irgendwann<br />
habe ich ihn dann durch Zufall Fussball<br />
spielen sehen. Am Wochenende,<br />
fernab vom Schulhaus. Ich war verblüfft.<br />
War dieser talentierte Bub der<br />
Reto, der mir das Lehrerleben so<br />
schwer macht? Am Montag habe ich<br />
ihn dann angesprochen: «Reto, ich<br />
habe dich Fussball spielen sehen und<br />
ich war tief beeindruckt.» Es mag<br />
kitschig klingen aber von diesem<br />
Moment an gab es keine Probleme<br />
mehr mit ihm. Ich hatte Reto dort<br />
erlebt, wo er jemand ist, wo er seine<br />
Begabung lebt. Er fühlte sich von mir<br />
in seinem Wert erkannt.<br />
«Über ein Kind, das<br />
fleissig seine Arbeit<br />
macht, weiss die<br />
Lehrperson meist<br />
wenig zu sagen.»<br />
Was heisst das für die Beziehung von<br />
Lehrpersonen zu ihren Schülern?<br />
Dort, wo Lehrpersonen in die Beziehung<br />
zu ihren Schülern investieren,<br />
können Dinge, die nicht gut laufen,<br />
undramatischer angesprochen und<br />
gelöst werden. Ein «Bis hierhin und<br />
nicht weiter» wird von Kindern und<br />
Jugendlichen letztendlich geschätzt.<br />
Es muss aber auf der Ebene des<br />
«Angenommenseins» passieren.<br />
Nicht umsonst heisst es, dass «Beziehung<br />
vor Erziehung kommt». Doch<br />
in unserer Kultur sind wir oft zu<br />
defizitorientiert.<br />
Wie meinen Sie das?<br />
Wir schauen vor allem auf das, was<br />
schlecht läuft. Es gibt Untersuchungen,<br />
die zeigen, dass im Elternhaus<br />
zigmal mehr sanktioniert wird als<br />
gelobt. Wie oft weisen wir ein Kind<br />
zurecht, das sich beim Znacht unangepasst<br />
benimmt: «Zapple nicht so<br />
herum», «Benutz Messer und Gabel»,<br />
«Sprich nicht mit vollem Mund» und<br />
so weiter. Ebenso in der Schule. Über<br />
das Kind, das unauffällig und fleissig<br />
seine Arbeit macht, weiss die Lehrperson<br />
oft wenig zu sagen – aber auch<br />
dieses Kind möchte wahrgenommen<br />
werden. Oder stellen Sie sich einen<br />
Elternabend vor: 18 Elternpaare sind<br />
zufrieden mit der Lehrerin, 2 be -<br />
schweren sich über ihren Unterrichtsstil<br />
– worüber denkt die Lehrperson<br />
wohl nach, wenn sie nach<br />
Hause geht? >>><br />
39
Monatsinterview<br />
>>> Wahrscheinlich über das, was<br />
sie vermeintlich falsch gemacht hat –<br />
und eigentlich besser machen müsste.<br />
Eine wesentliche Aufgabe von Lehrpersonen<br />
ist, ein Kind zu beGUTachten,<br />
das Gelingende in den Fokus zu<br />
nehmen. Dadurch entstehen Be ziehung<br />
und das Vertrauen, Defizitäres<br />
angehen zu können. So entsteht auch<br />
eine andere Stimmung in der Klasse.<br />
Sie erwähnten zu Beginn unseres<br />
Gesprächs das Verhältnis zwischen<br />
Lehrpersonen und Schulleitung.<br />
Das ist in unserer Beratung häufig<br />
ein Thema. Ich erlebe Lehrpersonen,<br />
die beklagen, dass die Schulleitungen<br />
vor den Eltern kuschen. Andere<br />
Lehrpersonen gehen Kollegen, die<br />
unter Beschuss stehen, aus dem Weg,<br />
weil sie nicht selbst in die Schusslinie<br />
geraten möchten. Wir raten betroffenen<br />
Lehrpersonen, sich in diesen<br />
Fällen Hilfe zu holen, damit das geklärt<br />
wird. Das passiert leider zu<br />
selten.<br />
Mit welchen Folgen?<br />
Es besteht die Gefahr, in die Einsamkeit<br />
abzudriften, weder von der<br />
Schulleitung noch von Kollegen oder<br />
den Eltern verstanden zu werden. Oft<br />
führt dies in die Krankschreibung.<br />
Sprechen Sie von Einzelfällen?<br />
Nein, eine von 15 Lehrpersonen<br />
fühlt ähnlich. Das Einzelkämpfertum<br />
ist immer noch ein grosses Thema.<br />
Dabei können nur in kooperierenden<br />
Teams die vielfältigen<br />
Aufgaben erfüllt werden, die an die<br />
Schule gestellt werden.<br />
«Das Gefühl, ich<br />
werde von manchen<br />
Eltern nicht<br />
gemocht, weil ich in<br />
ihren Augen ihrem<br />
Kind nicht gerecht<br />
werde, tut weh.»<br />
Welche Persönlichkeiten laufen am<br />
meisten Gefahr auszubrennen?<br />
Diejenigen, die ihre Bestätigung<br />
hauptsächlich von aussen suchen.<br />
Die hohe Ideale haben, wenig Ambiguitätstoleranz,<br />
das heisst, eine ge -<br />
wisse «Unsicherheitstoleranz», kaum<br />
selbstregulative Fähigkeiten und<br />
wenig soziale Kontakte. Ausserdem<br />
sind natürlich Menschen gefährdet,<br />
die perfektionistisch veranlagt sind,<br />
die es allen recht machen wollen. Das<br />
Gefühl, ich werde von manchen<br />
Eltern nicht gemocht, weil ich in<br />
ihren Augen ihrem Kind nicht ge -<br />
recht werde, tut weh. Das muss man<br />
aushalten können. Wer das nicht<br />
kann, kommt ins Rechtfertigen. Ich<br />
kann erklären, informieren, aber wer<br />
rechtfertigt, der hat verloren.<br />
Was kann ich denn als Mutter beziehungsweise<br />
Vater für ein gutes Verhältnis<br />
zur Lehrperson meines Kindes<br />
tun?<br />
Wichtig ist, Achtung und Respekt zu<br />
zeigen. Auch vor der Grösse der Aufgabe,<br />
mit 20 Kindern unterwegs zu<br />
sein. Das verdient höchste Achtung,<br />
vor allem wenn spürbar ist, dass diese<br />
Lehrperson ihren Beruf – natürlich<br />
– nicht fehlerfrei, aber doch von<br />
ganzem Herzen ausübt. Ich habe vor<br />
Kurzem mit einer Lehrperson ge -<br />
sprochen, die gesagt hat, es sei schon<br />
traurig, sie bekomme nur Anrufe<br />
von Eltern, wenn etwas nicht gut<br />
laufe. Es gebe nie eine positive Rückmeldung.<br />
Was haben Sie dieser Lehrperson<br />
gesagt?<br />
Fritz+Fränzi-Autorin<br />
Evelin Hartmann<br />
im Gespräch mit<br />
Urs Gfeller an der<br />
Pädagogischen<br />
Hochschule in Bern.<br />
Zur Person<br />
Urs Gfeller, M. A., war Primar- und<br />
Sekundarlehrer, studierte Theologie<br />
und Psychologie und liess sich zum<br />
Coach/Supervisor BSO und zum<br />
Ehe- und Familientherapeuten<br />
weiterbilden. Heute leitet er den<br />
ereich erufsiorafie eraun<br />
und Unterstützung an der<br />
Pädagogischen Hochschule Bern.<br />
Er ist Vater dreier erwachsener<br />
Kinder und wohnt in Bern.<br />
40 Oktober <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Ich habe sie gefragt, ob sie denn die<br />
Eltern anrufe, wenn etwas Schönes<br />
vorgefallen sei. Wie gesagt, Eltern<br />
haben nicht viel Zeit. Aber über<br />
einen Anruf im Jahr, in dem die<br />
Lehrperson ausschliesslich etwas<br />
Positives über ihr Kind berichtet,<br />
darüber würde sich jede Mutter,<br />
jeder Vater freuen. So würden Eltern<br />
die Schule auch noch einmal anders<br />
kennenlernen. Es ist doch so, dass<br />
wir die Schule über die Schilderungen<br />
unserer Kinder wahrnehmen.<br />
Und die Kinder erzählen auch<br />
manchmal Dinge, die objektiv<br />
betrachtet nicht so gelaufen sind.<br />
Weil sie dann gut dastehen oder sich<br />
Freiraum erkämpfen möchten. Das<br />
Bild von der Schule wird vom Kind<br />
vermittelt.<br />
Ein Klassiker wäre der Satz: «Ich kann<br />
die Hausaufgaben nicht machen, weil<br />
die Lehrerin das schlecht erklärt hat,<br />
erklär du es mir.»<br />
Dann geht es nicht darum, als Vater<br />
oder Mutter noch einmal die Aufgabe<br />
zu erklären, sondern zu sagen:<br />
«Dann geh doch morgen noch einmal<br />
zur Lehrerin und sag, du hättest<br />
es nicht begriffen.» Dies machen<br />
aber viele Eltern nicht. Was auch<br />
nachvollziehbar ist. In der Pubertät<br />
sind die Momente, in denen Eltern<br />
und Kinder gemeinsam über die<br />
Schule schimpfen, oftmals die einzigen,<br />
in denen sie sich noch einig sein<br />
können.<br />
Was längerfristig gesehen für das Wir-<br />
Gefühl zwischen Elternhaus und Schule<br />
nicht besonders förderlich ist.<br />
Das ist so. Wenn es Eltern aber gelingen<br />
würde, der Lehrperson wertneutral<br />
zuzuhören und das ernst zu<br />
nehmen, was sie sagt, und wenn sich<br />
an derseits die Lehrperson bewusst<br />
machen würde, dass sie das Kostbarste<br />
dieser Eltern in die Zukunft<br />
hinein begleitet, dann wäre viel<br />
gewonnen. Denn Kinder brauchen<br />
eine Gemeinschaft, die sie trägt, sie<br />
brauchen Herausforderungen, an<br />
denen sie wachsen können, und sie<br />
brauchen Vorbilder, an denen sie<br />
sich orientieren können.<br />
>>><br />
Life-Domains<br />
in Balance ?<br />
Dies sind zuge lassene Arznei -<br />
Selbsttest: Wie steht es um<br />
mittel. Lassen Sie sich von einer<br />
Fachperson beraten und lesen Sie<br />
Ihre Life-Domain-Balance ?<br />
die Packungs beilagen. Max Zeller<br />
Söhne AG, 8590 Romanshorn<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Oktober <strong>2017</strong> 41<br />
www.zellerag.ch<br />
www.zellerag.ch/a4<br />
Natürlich aus<br />
der Schweiz.
Kolumne<br />
Eltern oder Liebende sein – oder beides?<br />
Eltern haben ein Recht auf Zweisamkeit, denn es sollten nicht immer nur die Kinder<br />
im Zentrum stehen. Wie kann man mit Kindern in einer erfüllten Paarbeziehung<br />
bleiben? Und wann ist es besser, getrennte Wege zu gehen?<br />
Jesper Juul<br />
ist Familientherapeut und Autor<br />
zahlreicher internationaler Bestseller<br />
zum Thema Erziehung und Familien.<br />
1948 in Dänemark geboren, fuhr er<br />
nach dem Schulabschluss zur See, war<br />
später Betonarbeiter, Tellerwäscher<br />
und Barkeeper. Nach der<br />
Lehrerausbildung arbeitete er als<br />
Heimerzieher und Sozialarbeiter<br />
und bildete sich in den Niederlanden<br />
und den USA bei Walter Kempler zum<br />
Familientherapeuten weiter. Seit 2012<br />
leidet Juul an einer Entzündung der<br />
cenmarsssiei und si<br />
im Rollstuhl.<br />
Jesper Juul hat einen erwachsenen<br />
Sohn aus erster Ehe und ist in zweiter<br />
Ehe geschieden.<br />
Frage einer Mutter: «Seit<br />
Längerem haben mein<br />
Mann und ich keine gute<br />
Beziehung mehr. Wir sind<br />
sehr jung zusammengekommen<br />
und waren verrückt nacheinander.<br />
Seit unsere zwei Buben,<br />
drei und sechs Jahre alt, auf der Welt<br />
sind, existiert unsere Beziehung fast<br />
nicht mehr. Ich gehe voll auf in der<br />
Mutterrolle und in der Liebe zu<br />
unseren Kindern. Sex hatten wir seit<br />
meinen Schwangerschaften kaum<br />
mehr, auch nicht auf meine Initiative<br />
hin. Ich fühle mich von meinem<br />
Mann schlecht behandelt. Er kritisiert<br />
mich oft, verspottet mich und<br />
gibt mir, wenn überhaupt, einsilbige<br />
Antworten. Er ist unfreundlich zu<br />
meiner Familie und oft gereizt.<br />
Für unsere Buben ist mein Mann<br />
ein wunderbarer Vater. Er spielt mit<br />
ihnen und tollt mit ihnen im Wald<br />
herum. Aber er kann dann ganz<br />
plötzlich sehr wütend und laut werden,<br />
etwa, wenn die Jungs am Morgen<br />
etwas länger haben, um sich<br />
anzuziehen.<br />
Eine Beziehung braucht<br />
dringend die Aufmerksamkeit<br />
beider Erwachsenen,<br />
um zu überleben.<br />
Im Beisein von unseren Kindern<br />
versuchen mein Mann und ich uns<br />
zu beherrschen. Wir organisieren<br />
uns gut, sodass die Kinder nicht zu<br />
viel mitbekommen. Ich halte mich<br />
zurück mit meiner Meinung, weil ich<br />
Angst habe, dass er dann gemeine<br />
Kommentare fallen lässt. Wir streiten<br />
eigentlich nicht, aber es herrscht<br />
eine unruhige Stimmung.<br />
Es gibt aber immer wieder Zeiten,<br />
in denen alles völlig normal<br />
abläuft. Wir erledigen unseren Alltag,<br />
und mein Mann sagt vor den<br />
Kindern, dass er glücklich sei und er<br />
die Welt in Ordnung finde. Er ist<br />
kein Mann der grossen Worte, und<br />
es fällt ihm schwer, Gefühle und<br />
Gedanken zu äussern. Ich habe meinem<br />
Mann eine gemeinsame Gesprächstherapie<br />
vorgeschlagen. Das<br />
will er aber ganz klar nicht.<br />
Ich bin bereit, an unserer Beziehung<br />
zu arbeiten, denn ich weiss,<br />
wie wichtig das für das Umfeld<br />
unserer Kinder ist. Aber wenn mein<br />
Mann das nicht will, frage ich mich,<br />
ob es nicht besser wäre, mich zu<br />
trennen, solange die Kinder noch so<br />
klein sind. Ich möchte unseren Kindern<br />
während ihres Aufwachsens<br />
eine sichere Umgebung geben, im<br />
Idealfall mit Vater und Mutter. Ich<br />
empfinde es als Niederlage und habe<br />
Angst davor, den Kindern emotional<br />
zu schaden, wenn sie mit getrennt<br />
lebenden Eltern aufwachsen müssen.<br />
Die Vorstellung, getrennt zu<br />
sein, macht mich unendlich traurig.<br />
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren<br />
42 Oktober <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Ich wünsche mir so sehr, dass wir als<br />
Familie bestehen, als Eltern gemeinsam<br />
am Leben unserer Kinder teilnehmen<br />
können, und ich kann mir<br />
nicht vorstellen, mit einem anderen<br />
Partner all das zu erleben. Ich möchte<br />
auch nicht daran denken, wie es<br />
wäre, wenn unsere Kinder eine<br />
«Stiefmutter» hätten.<br />
Antwort von Jesper Juul<br />
In der Fachwelt wird seit vielen Jahren<br />
darüber geschrieben, dass die<br />
Eltern in modernen Familien zwischen<br />
Fürsorge für die Kinder und<br />
dem Versuch, die intime Paarbeziehung<br />
miteinander weiterzuleben,<br />
hin- und hergerissen sind. Das zeigt<br />
Ihr Beispiel ganz gut. Klar ist: Im<br />
Familienleben beeinflussen alle Mitglieder<br />
einander – sowohl in guten<br />
als auch in schlechten Zeiten.<br />
Dass die Beziehung zu Ihrem<br />
Mann gerade jetzt, nach zwei Kindern,<br />
in der Krise steckt, ist normal.<br />
Sie sind zwei Erwachsene mit unterschiedlichen<br />
Bedürfnissen, wobei<br />
meist die Kinder im Zentrum des<br />
Familienlebens stehen. Das ist<br />
schlecht für alle Beteiligten. Das<br />
Leben der Erwachsenen ist auf diese<br />
Weise gefährlich auf ein Minimum<br />
und auf bestimmte Rollen reduziert<br />
– das ist ungesund für die ganze<br />
Familie.<br />
Sie haben völlig recht damit, dass<br />
es nicht gut für die Kinder ist, wenn<br />
sie in einem Zuhause aufwachsen,<br />
in dem die Liebe zwischen den<br />
Erwachsenen verblasst ist und zusehends<br />
verschwindet. Es tut den Kindern<br />
nicht direkt «weh», aber es<br />
raubt ihnen die Möglichkeit, wichtige<br />
Erfahrungen zu machen, die sie<br />
in ihrem eigenen Erwachsenenleben<br />
benötigen werden.<br />
Immer mehr Paare lassen sich<br />
zwei bis vier Jahre nach der Geburt<br />
des ersten Kindes scheiden. Der<br />
Übergang vom Verliebtsein zur Liebe<br />
gelingt ihnen kaum oder gar<br />
nicht. Ich empfehle Ihnen, sich<br />
selbst zu fragen, ob Sie Sehnsucht<br />
nach Ihrem Mann verspüren. Nicht<br />
nur, was sexuelles Verlangen betrifft,<br />
sondern als «Herzenswunsch».<br />
Ist diese Sehnsucht da, gibt es<br />
Hoffnung, und Sie könnten Ihrem<br />
Mann in Ihren eigenen Worten etwa<br />
Folgendes sagen: «Ich bin unglücklich<br />
mit dir, kann aber selbst nicht<br />
herausfinden, warum oder was ich<br />
anders machen kann. Deshalb<br />
möchte ich professionelle Hilfe. Diese<br />
bekomme ich nur, wenn du mit<br />
dabei bist. Wenn du das nicht möchtest,<br />
müssen wir uns trennen.»<br />
Oder Sie suchen sich einen erfahrenen<br />
Familientherapeuten, der sich<br />
auf die Beziehung der Erwachsenen<br />
konzentriert. Denken Sie daran,<br />
dass Ihre Beziehung quasi Ihr erstes<br />
gemeinsames «Baby» war und dass<br />
dieses Baby dringend die Aufmerksamkeit<br />
beider Elternteile braucht,<br />
um zu überleben und sich weiterzuentwickeln.<br />
Ihre Gedanken und Sorgen über<br />
das Wohlergehen Ihrer Kinder<br />
nach einer Trennung oder Scheidung<br />
sind verständlich und auch<br />
realistisch. Aber auch wenn Sie mit<br />
Ihrem Mann nicht zusammenleben<br />
können, hängt das Wohlergehen<br />
Ihrer Söhne von Ihrer beider<br />
Bereitschaft und Fähigkeit ab, miteinander<br />
zu kooperieren und zu<br />
kommunizieren.<br />
Ihre Kinder können bestimmt<br />
über Jahre mit dem emotionalen<br />
Abstand zwischen ihren Eltern<br />
leben. Dagegen würde eine destruktive<br />
Kommunikation zwischen<br />
Ihnen und Ihrem Mann das<br />
Leben Ihrer Kinder für Jahre beeinflussen.<br />
Der Übergang vom Verliebtsein<br />
zur Liebe gelingt immer mehr<br />
Paaren kaum oder gar nicht.<br />
Es gibt Menschen, die nicht zusammenleben<br />
können, obwohl sie sich<br />
tief lieben. Und es gibt Bedingungen,<br />
unter denen der Wille zur Intimität<br />
und für den Kampf für die Entwicklung<br />
beider verloren gegangen ist. In<br />
beiden Fällen gibt es keinen direkt<br />
«Schuldigen». Beide Parteien sind<br />
meist gleichermassen, also 50:50,<br />
verantwortlich für ihr gegenwärtiges<br />
Leben – einschliesslich der Tatsache,<br />
dass Kinder vielleicht durch ein<br />
bestimmtes Verhalten seitens dieser<br />
Erwachsenen leiden.<br />
Haben auch Sie eine Frage an Jesper Juul,<br />
die er persönlich beantworten soll?<br />
Dann schreiben Sie uns eine E-Mail an<br />
redaktion@fritzundfraenzi.ch oder<br />
einen Brief an: Schweizer ElternMagazin<br />
Fritz+Fränzi, Dufourstrasse 97,<br />
8008 Zürich<br />
Die Kolumnen von Jesper Juul entstehen<br />
in Zusammenarbeit mit<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Oktober <strong>2017</strong> 43
Psychologie & Gesellschaft<br />
Nachrichten, die Panik auslösen<br />
Heute kommen Kettenbriefe übers Smartphone. Längst nicht all diese<br />
Nachrichten sind harmlos: Kinder brauchen die Begleitung ihrer Eltern,<br />
um damit richtig umzugehen. Text: Susan Edthofer<br />
Via WhatsApp, Instagram oder andere<br />
Social-Media-Kanäle werden Menschen<br />
blitzschnell informiert oder mobilisiert.<br />
Nicht verwunderlich, dass der Versand<br />
von Kettenbriefen, die früher per Post<br />
verschickt wurden, neuen Aufschwung erhält. Umso<br />
wichtiger ist es, Kinder im Umgang mit Nachrichten<br />
sorgfältig zu begleiten. Denn es gibt Inhalte, die Angst<br />
und Panik auslösen können.<br />
Das Spektrum von Kettenbriefen reicht von harmlosen<br />
Mitteilungen über Schreckensmeldungen bis zu<br />
üblen Drohungen. In jedem Fall sind die Inhalte aus der<br />
Luft gegriffen und schlicht falsch. Absichtlich in Umlauf<br />
gebrachte Falschmeldungen bezeichnet man auch als<br />
Hoax (neuerdings als Fake News). Im Englischen steht<br />
dieser Begriff für Scherz oder Schwindel.<br />
Falschmeldungen erkennen lernen<br />
Aufgabe von Eltern und Lehrpersonen ist es, Kindern<br />
zu helfen, solche Hoaxes zu erkennen und ihnen zu<br />
erklären, dass die Drohungen oder Prophezeiungen<br />
haltlos sind. Das klingt einfacher, als es ist. Dass Kinder<br />
ob solchen Meldungen erschrecken, ist nicht verwunderlich.<br />
Zu lesen, dass man sterbe oder Angehörige in<br />
den Tod treibe, wenn man eine Nachricht nicht weiterleite,<br />
kann verständlicherweise Panik auslösen. Auch<br />
wenn sich bloss ein mulmiges Gefühl breitmacht, diese<br />
Art von Mitteilungen bleibt nicht wirkungslos. Mittlerweile<br />
gibt es Hoax-Datenbanken wie www.hoaxmap.org<br />
oder www.mimikama.at, die helfen, Gerüchte und<br />
Falsch meldungen zu erkennen.<br />
Meldungen, die kursieren<br />
Kettenbriefe lassen sich in verschiedene Kategorien einteilen:<br />
Vor Gefahren zu warnen, gehört zu den Klassikern.<br />
Durch die Verbreitung von Gerüchten und Hassmeldungen<br />
Empörung auszudrücken, ist ebenfalls ein<br />
beliebtes Mittel. Mit Wenn-dann-Drohungen werden<br />
Ängste geschürt. Klickköder oder Clickbaiting möchte<br />
die Neugierde wecken und bewirken, dass etwas angeklickt<br />
wird. Ankündigungen, dass Gebühren erhöht<br />
würden oder ein Account gelöscht werde, sollen Verunsicherung<br />
auslösen. Harmlosere Kettenbriefe<br />
sind sogenannte Sozialbarometer.<br />
Wer zum Beispiel viele Herzchen<br />
be kommt, kann so die eigene Beliebtheit<br />
messen. Auch Eventorganisation geschieht<br />
immer häufiger via Kettenmeldungen.<br />
Dazu gehören Aufrufe wie «Morgen<br />
kommen alle Mädchen in Pink in die Schule» oder<br />
«Nach dem Unterricht treffen sich alle Fussball spielenden<br />
Jungs auf dem Pausenplatz». Punkto Vielfalt scheint<br />
die Kreativität keine Grenzen zu kennen. Schade, wenn<br />
dieses Ideenpotenzial für angst einflössenden Blödsinn<br />
genutzt wird.<br />
Was Eltern tun können – vier Tipps<br />
Pro Juventute Elternberatung<br />
«Mit Wenn-dann-<br />
Drohungen werden<br />
Ängste geschürt.»<br />
Susan Edthofer ist Redaktorin<br />
im Bereich Kommunikation<br />
von Pro Juventute.<br />
• Bringen Sie Ihrem Kind bei, nicht alle WhatsApp-Meldungen zu<br />
glauben. Regen Sie Ihr Kind an, Dinge zu hinterfragen und skeptisch<br />
zu sein. Oft deuten reisserische Formulierungen und drastische<br />
Bilder auf Falschmeldungen hin.<br />
• Erklären Sie Ihrem Kind, was Kettenbriefe bezwecken und wie man<br />
sie erkennen kann. Weisen Sie darauf hin, dass mit erfundenen<br />
Meldungen Leute erschreckt und verängstigt werden sollen.<br />
• Schauen Sie sich gemeinsam solche Inhalte an und lassen Sie Ihren<br />
Sohn oder Ihre Tochter entscheiden, welche Meldungen gelöscht<br />
oder weitergeleitet werden. So trägt Ihr Kind dazu bei, dass andere<br />
Kinder und Jugendliche nicht ebenfalls unnötig erschreckt werden.<br />
• Nutzen Sie Hoax-Datenbanken wie www.hoaxmap.org oder<br />
www.mimikama.at, um zusammen mit Ihrem Kind die Richtigkeit<br />
von Meldungen zu überprüfen.<br />
Bei Pro Juventute Elternberatung können Eltern und Bezugspersonen von<br />
Kindern und Jugendlichen jederzeit telefonisch (058 261 61 61) oder online<br />
(www.projuventute-elternberatung.ch) Fragen zum Familienalltag, zu<br />
Erziehung und Schule stellen. Ausser den normalen Telefongebühren fallen<br />
eine osen an n den lernriefen und rariefen finden lern<br />
Informationen für den Erziehungsalltag. Mehr Infos: www.projuventute.ch<br />
44 Oktober <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Für alle, die mitreden wollen.
«Schwimmen ist nicht so einfach!»<br />
ach erkehrsunfllen ist rtrinken die hufigste nfalltodesursache für Kinder in der Schweiz<br />
wischen und sind Kinder unter ahren in den hiesigen Seen, Flüssen und dern<br />
ertrunken ie wichtig und wie schwierig Schwimmen sei, werde vllig unterschätzt, sagt<br />
Schwimmlehrerin ada inter eshalb muss sie manchmal sogar ltern retten Interview: Bianca Fritz<br />
46 Oktober <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Erziehung & Schule<br />
Kinder sollten auch tauchen,<br />
die Augen unter Wasser öffnen<br />
und im Wasser schweben<br />
können.<br />
Bilder: Evi Gwerder, Glarus<br />
Im Wasser<br />
machen Kinder<br />
oft intuitiv die<br />
richtigen<br />
Bewegungen,<br />
wenn man sie zu<br />
nichts zwingt.<br />
Frau Winter, warum ertrinken immer<br />
wieder Kinder in der Schweiz?<br />
Bei kleinen Kindern ist das Problem,<br />
dass Eltern oft denken, dass es reicht,<br />
wenn die Kleinen Schwimmflügel<br />
anhaben. Sie wiegen sich in Sicherheit<br />
und schauen nicht mehr genügend<br />
hin. Aber die Luft kann aus den<br />
Schwimmflügeln entweichen, und<br />
Kinder können umfallen. Kleine<br />
Kinder bleiben dann einfach mit<br />
dem Gesicht im Wasser liegen. Sie<br />
kommen nicht mehr hoch und können<br />
innert 20 Sekunden im flachen<br />
Kinderbecken ertrinken.<br />
Und was ist das Problem bei grösseren<br />
Kindern?<br />
Dass sie sich falsch einschätzen. Insbesondere<br />
bei Teenagern kommen<br />
Mutproben, waghalsige Sprünge und<br />
Schwimmen unter Alkoholeinfluss<br />
dazu. Es ertrinken viel mehr Buben<br />
als Mädchen. Auch Eltern überschätzen<br />
die Schwimmfähigkeiten ihrer<br />
Kinder sehr oft. Sie denken, dass ihr<br />
Kind schwimmen kann, wenn es ein<br />
paar Züge Brustschwimmen am<br />
Stück hinkriegt. Aber Schwimmenlernen<br />
ist so viel mehr.<br />
Nämlich?<br />
Zum einen sollten Kinder tauchen.<br />
Sie müssen unter Wasser die Augen<br />
aufmachen und lernen, die Orientierung<br />
wiederzugewinnen. Ausserdem<br />
sollten sie im Wasser schweben<br />
können – den natürlichen Auftrieb<br />
des Wassers nutzen. So können sie<br />
eine Pause machen, wenn sie müde<br />
werden. Auch ein kräftesparender<br />
Schwimmstil, bei dem die Kinder<br />
viel gleiten, ist wichtig.<br />
Das klingt jetzt nicht so schwierig.<br />
Täuschen Sie sich nicht! Nicht nur<br />
Kinder überschätzen ihre Schwimmfähigkeiten<br />
gerne, sondern auch<br />
deren Eltern. Wenn ich die Eltern<br />
aber in meinen Kursen bitte, die<br />
Übungen mitzumachen, sieht es<br />
ganz anders aus. Neulich ist ein Vater<br />
beim Versuch, auf dem Rücken zu<br />
schweben, untergegangen. Er hatte<br />
unterschätzt, wie viele Muskeln es<br />
braucht, um auf dem Wasser flach<br />
liegen zu bleiben.<br />
Wann können Eltern Ihre Kinder mit<br />
gutem Gefühl in der Badi alleine<br />
lassen?<br />
Hier empfehle ich den BFU-Wassersicherheitscheck.<br />
Kinder müssen da<br />
recht viel können: ein Purzelbaum<br />
unter Wasser, 1 Minute im tiefen<br />
Wasser auf der Stelle treten, ohne<br />
unterzugehen, und anschliessend<br />
noch 50 Meter schwimmen. Damit<br />
sind auch viele Erwachsene überfordert.<br />
Viele Kinder sind im Alter von<br />
8 bis <strong>10</strong> Jahren so weit, dass sie den<br />
Test bestehen können.<br />
Warum macht man den Test nicht verbindlich<br />
in der Schule?<br />
In manchen Kantonen funktioniert<br />
das. Aber was Schwimmunterricht<br />
angeht, fehlt ein flächendeckendes<br />
Angebot. Mit dem Lehrplan 21 soll<br />
zwar allen Kindern in der Primarschule<br />
Schwimmunterricht zur Verfügung<br />
stehen, aber für manche<br />
Schulen wird die Umsetzung sehr<br />
schwierig. Gerade wenn es weit und<br />
breit kein Hallenbad gibt. Ich kenne<br />
Schulen, wo nur einmal jährlich ein<br />
einwöchiger Schwimmkurs angeboten<br />
werden kann. Dann gibt es solche,<br />
die gerade mal eine Stun- >>><br />
47
Erziehung & Schule<br />
>>> de im Stundenplan eingeplant<br />
haben – inklusive umziehen und<br />
föhnen. Da ist effizienter Schwimmunterricht<br />
sehr schwierig. Auch sind<br />
nicht immer Fachpersonen da, dann<br />
übernehmen manchmal einfach die<br />
Klassenlehrer den Schwimm -<br />
unterricht.<br />
Wie gut sind die Schwimmkenntnisse<br />
der Kinder, wenn sie in die Schule<br />
kommen?<br />
Da haben wir die ganze Bandbreite.<br />
Je nach Wohnort, Bildungsstand<br />
und auch religiösen Überzeugungen<br />
der Eltern sind die Kinder entweder<br />
schon recht passable Schwimmer,<br />
oder das Element Wasser ist<br />
ihnen noch fremd und sie haben<br />
vielleicht sogar Angst davor. In meinen<br />
Kursen sind hauptsächlich<br />
Schwimmen ist in unserem<br />
Land nicht ein Plausch oder<br />
ein nettes Hobby, sondern<br />
überlebenswichtig.<br />
Kinder aus Familien, denen das<br />
Schwimmenlernen sehr wichtig ist<br />
und die sich einen Schwimmkurs<br />
leisten können.<br />
So ein Kurs ist natürlich auch eine<br />
nanzielle elastung.<br />
Das stimmt. Aber ich habe schon<br />
Fälle gehabt, wo das Sozialamt den<br />
Kurs übernommen hat, wenn es für<br />
die Familie schwierig war. Das Problem<br />
ist eher, dass Eltern Schwimmen<br />
als Plausch sehen, als nettes<br />
Hobby und nicht als das, was es ist:<br />
überlebenswichtig in einem Land, in<br />
dem so viel gebadet wird wie in der<br />
Schweiz.<br />
Was macht man, wenn Kinder Angst<br />
vor dem Wasser haben?<br />
Wir lassen den Kindern vor allem<br />
viel Zeit und die Möglichkeit, das<br />
Element spielerisch und auf ihre<br />
Weise zu erkunden. Ich baue die<br />
Übungen so auf, dass die Kinder<br />
Freude am Wasser haben und gar<br />
nicht merken, dass sie dabei ganz viel<br />
lernen. Spannend ist, zu beobachten,<br />
dass Kinder oft intuitiv die richtigen<br />
Bewegungen machen, wenn man sie<br />
lässt und sie zu nichts zwingt.<br />
Wie Frösche?<br />
Eben nicht. Das Kraulen ist für Kinder<br />
einfacher, weil sie den Beinschlag<br />
oft schon selbst einbringen und die<br />
Bewegungen nicht in einem so komplexen<br />
Rhythmus koordinieren müssen<br />
wie beim Brustschwimmen.<br />
Ausserdem ist es auch ergonomisch<br />
sinnvoller. Daher lehrt man seit rund<br />
13 Jahren das Kraulen vor dem<br />
Brustschwimmen.<br />
n en eien ist erzeit iel o<br />
sekunren rtrinken ie ee.<br />
Wenn beim reflexartigen Einatmen<br />
unter Wasser grössere Mengen Wasser<br />
in die Lunge strömen und trotz<br />
Abhusten Restflüssigkeit zurückbleibt,<br />
kann dieses zu einer Lungenentzündung<br />
mit Ödem führen. Und<br />
das kann wieder um innert weniger<br />
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assersicherheitscheck<br />
ieo.<br />
Der Unterricht<br />
muss Spass<br />
machen – dann<br />
geschieht das<br />
ernen ganz<br />
nebenbei.<br />
48 Oktober <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
mein<br />
Stunden tödlich sein. Folgende Symptome<br />
können auf Restwasser in der<br />
Lunge hindeuten:<br />
• andauerndes Husten seit dem<br />
Verschlucken;<br />
• das Kind wirkt etwas atemlos,<br />
• dem Kind ist vom verschluckten<br />
Wasser übel;<br />
• das Kind verhält sich seltsam:<br />
es ist müde oder besonders<br />
euphorisch (grössere Kinder);<br />
• die Lippen wirken bläulich;<br />
• Gänsehaut, Zittern oder Frösteln;<br />
• Druckgefühl oder Schmerz<br />
hinter dem Brustbein (Achtung:<br />
kleine Kinder können das meist<br />
noch nicht klar äussern);<br />
• Zuckungen der Gesichts muskeln.<br />
Bei diesen Symptomen und nach<br />
einer Bewusstlosigkeit oder einer<br />
Reanimation gehört das Kind unbedingt<br />
zur Beobachtung ins Spital,<br />
auch wenn es ihm scheinbar gut geht.<br />
Dies gilt übrigens auch für Erwachsene.<br />
Beim normalen Verschlucken<br />
von wenig Wasser beim Baden<br />
besteht jedoch keine Gefahr. Dieses<br />
Wasser kann von gesunden Kindern<br />
gut abgehustet werden.<br />
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Zur Person<br />
Nadja Winter ist Schwimmschulinhaberin und<br />
Kursleiterin in Glarus. Sie ist Mutter dreier Kinder,<br />
3, 5 und 7, und hat mit swimsports.ch ein Lehrmittel<br />
zum Schwimmen publiziert. facebook.com/<br />
gumpifrosch, gumpifrosch-lernt-schwimmen.ch.<br />
Bianca Fritz<br />
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Sortiment.<br />
erinnert sich noch, wie sie stolz ihr «Seepferdchen»-<br />
Abzeichen auf den Badeanzug nähte. In der Schule<br />
landete sie dann trotzdem bei den Nichtschwimmern,<br />
weil sie – wie heute noch – gemächlich schwamm.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Oktober <strong>2017</strong><br />
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Erziehung & Schule<br />
Spielen statt üben!<br />
Ein Kind möchte ein Instrument lernen. Die Eltern unterstützen diesen Wunsch, mieten<br />
ein Instrument und melden das Kind bei der Musikschule an. Bald folgt die Ernüchterung:<br />
das Kind will nicht üben. Damit zu Hause Musik statt Streit erklingt, brauchen kleine<br />
Anfänger die richtige Unterstützung. Text und Bilder: Sibylle Dubs
Wo die Familie<br />
zusammenkommt,<br />
musiziert sichs<br />
besser.
Erziehung & Schule<br />
Viele Kinder wünschen<br />
sich ein Instrument,<br />
weil sie eine Vorstellung<br />
haben, wie sie<br />
diesem Töne und<br />
Klänge entlocken. Diese Lust und<br />
Neugierde sind die besten Voraussetzungen,<br />
ein Instrument zu lernen.<br />
Oft haben die Kinder mit der<br />
Lehrperson im Unterricht Freude<br />
am Spiel, doch zu Hause wird das<br />
Instrument zur ungeliebten Pflicht.<br />
Eine Ursache dafür ist, dass wir<br />
Erwachsenen zwischen dem Üben<br />
und dem Musizieren, zwischen dem<br />
fehlerhaften und dem perfekt Vorgetragenen<br />
unterscheiden. Es gibt<br />
Eltern, die erzählen, wie schrecklich<br />
es klinge, wenn ihr Kind übe. Der<br />
Zauber der Musik, dem wir uns bei<br />
Konzerten oder Aufnahmen hingeben,<br />
wird beim Anfänger-Üben<br />
nicht gesucht und daher auch nicht<br />
gefunden. Das ist frustrierend für<br />
Kinder, die sich eigentlich wünschten,<br />
sich auf dem Instrument auszudrücken.<br />
Wenn beispielsweise eine kleine<br />
Anfängerin ein Lied wie «Der Mond<br />
ist aufgegangen» mit viel Mühe auf<br />
dem Instrument gelernt hat, wird<br />
das Stück selten zelebriert, sondern<br />
abgehakt. Dabei wären schon die<br />
ersten zwei Takte es wert, sie zu würdigen.<br />
Man kann sie mit viel Hingabe<br />
oder auch mal witzig schnell, laut<br />
oder leise spielen. Das ist nicht kindisch,<br />
sondern das Wesentliche, was<br />
der Musik innewohnt. Wir Erwachsenen<br />
soll ten Anfänger auf dem Weg<br />
zum persönlichen Aus- >>><br />
Wir Erwachsenen<br />
unterscheiden<br />
leider zwischen dem<br />
Üben und dem<br />
Musizieren.<br />
52 Oktober <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
15 Tipps gegen Frust beim Üben<br />
1. Lachen Sie niemals jemanden aus, der<br />
musiziert, schon gar nicht Ihr Kind.<br />
2. Überprüfen Sie den Ort, an dem Ihr Kind<br />
musiziert. Steht das Klavier in einem Abstellraum<br />
oder Keller? Ist der Notenständer<br />
mitten im Chaos platziert? Nehmen<br />
Sie das Instrument in den Wohnraum<br />
oder in die Küche, dort, wo sich die Familie<br />
am wohlsten fühlt.<br />
3. Setzen Sie sich zum Üben zu Ihrem Kind.<br />
Nehmen Sie sich anfangs genauso Zeit,<br />
wie es Ihr Kind tut. Sagen Sie zum Beispiel<br />
«Machst du etwas Musik?» statt<br />
«Du musst noch üben!».<br />
4. Hören Sie aktiv jedem Ton zu und laden<br />
Sie das Kind dazu ein, seinem Spiel zuzuhören.<br />
Bald können dazu die Augen geschlossen<br />
werden.<br />
5. Die Stimme (Ihre oder die des Kindes)<br />
kann mitsingen oder als Echo oder Pausenfüller<br />
erklingen – und schon haben<br />
Sie ein Duett.<br />
6. Viele Kinder beginnen mitten im Üben zu<br />
experimentieren. Versuchen Sie in dem<br />
Moment nicht, es auf den vermeintlich<br />
seriösen Pfad der Noten zurückzubringen.<br />
Halten Sie das wilde Spiel aus. Hören<br />
Sie auch dort aktiv zu und fragen Sie<br />
nachher, was das Kind gesucht und vielleicht<br />
gefunden hat. Berichten Sie auch<br />
darüber, was Ihnen aufgefallen ist.<br />
7. Seien Sie ehrlich zum Kind. Jedes Training<br />
braucht hin und wieder Überwindung.<br />
8. Sorgen Sie dafür, dass Geschwister nicht<br />
stören. So wie man dem Redenden nicht<br />
ins Wort fällt, unterbricht man nicht,<br />
wenn jemand am Instrument spielt. Regelmässiges<br />
Musizieren führt zu einem<br />
neuen Tagesablauf, an den sich die Familie<br />
vielleicht gewöhnen muss.<br />
9. Reduzieren Sie in Krisen Dauer und Inhalt<br />
beim Üben. Manchmal genügt ein<br />
einziger Takt. Vorzugsweise wählt das<br />
Kind die Stelle selber aus. Erklären Sie<br />
Ihrem Kind, dass der Körper das Stück<br />
abspeichert und dass es wichtig ist,<br />
langsam und entspannt zu üben. Der<br />
Körper speichert eben auch den Stress<br />
ab.<br />
<strong>10</strong>. Das Üben muss nicht ausschliesslich mit<br />
dem nsrumen safinden chauen<br />
Sie sich zusammen das Notenheft auf<br />
dem Sofa an. Reden Sie über die Namen<br />
der Stücke. Falls Sie selber Noten lesen<br />
können, reden Sie über die Partitur: Was<br />
ist es für eine Tonart, was für eine Taktart,<br />
wie viele Stellen mit Sechzehntelnoten<br />
hat es, wo muss man die Töne lange halten?<br />
Singen Sie die Melodie zusammen,<br />
hüpfen und klatschen Sie die Rhythmen.<br />
Vergleichen Sie im Internet verschiedene<br />
Aufnahmen des Stücks.<br />
11. Falls Sie selber ein Instrument spielen<br />
können, begleiten Sie Ihr Kind. Das kann<br />
auch ein Geschwister oder Nachbarskind<br />
übernehmen. Viele Musikschulen<br />
bieten Anfängerensembles an. Gemeinsames<br />
Musizieren ist eine tiefgreifende<br />
Erfahrung.<br />
12. Wenn Sie keine Zeit haben, Ihr Kind aber<br />
gerne beim Üben unterstützen möchten,<br />
fragen Sie in der Musikschule, ob ein Jugendlicher<br />
gegen Entgelt regelmässig<br />
vorbeikommt, um mit Ihrem Kind zu musizieren.<br />
13. Führen Sie Ihrem Kind den Fortschritt<br />
vor Augen und freuen Sie sich darüber.<br />
Vielleicht machen Sie regelmässig kleine<br />
Aufnahmen.<br />
14. Nehmen Sie alte Stücke hervor. Es ist<br />
wertvoll, wenn das Kind das eigene Re-<br />
eroire e<br />
15. Ein Anfängerkind in den Unterricht zu<br />
begleiten, signalisiert Interesse und<br />
Wertschätzung. Gerade bei jüngeren<br />
Kindern kann es hilfreich sein, wenn die<br />
Eltern Tipps der Lehrperson mithören.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Oktober <strong>2017</strong> 53
Erziehung & Schule<br />
>>> druck be gleiten, denn dieser<br />
ist so anspruchsvoll wie lustvoll.<br />
Musizieren heisst spielen,<br />
nicht üben<br />
Leider hat ein Instrument zu spielen<br />
in unserer Gesellschaft mehr mit<br />
Leistung als mit Genuss zu tun. Das<br />
beginnt damit, dass wir das Kind<br />
auffordern, «zu üben» – und nicht,<br />
«Musik zu machen». Andreas Zihler,<br />
Musikprofessor an der Zürcher<br />
Hochschule der Künste, mahnt seine<br />
Studentinnen und Studenten: «Es<br />
heisst ‹ein Instrument spielen› und<br />
nicht ‹ein Instrument arbeiten›.»<br />
Wenn das Üben zur Arbeit wird,<br />
Wird das Üben<br />
zur Arbeit,<br />
beginnen die<br />
Kinder sich<br />
zu verweigern.<br />
beginnen die Kinder zu schummeln<br />
und sich zu verweigern, bis schliesslich<br />
der Unterricht gekündigt wird.<br />
Bei so manchem Kind stellt sich<br />
nicht bloss Erleichterung, sondern<br />
auch das Gefühl ein, versagt zu<br />
haben. Musikalisches Versagen ist in<br />
vielen Köpfen schon so eingebrannt<br />
und akzeptiert, dass man diese Ab -<br />
surdität kaum hinterfragt. Wie wäre<br />
es, wenn ein fussballbegeistertes<br />
Kind täglich Konditionstraining und<br />
Balljonglage machen und Spielstrategie<br />
büffeln müsste und es nur selten<br />
einen Match spielen könnte? Es<br />
käme dem Zauber des Spiels gar<br />
nicht mehr auf die Spur. Es würde<br />
wenig Fortschritte machen und diese<br />
selber kaum erkennen. Schliesslich<br />
würde das Kind das Hobby aufgeben,<br />
weil es zu anspruchsvoll ist.<br />
Ein unvorstellbares Szenario. In der<br />
Musik ist es für viele Menschen die<br />
eigene Erfahrung.<br />
Das Üben ist in manchen Familien<br />
ein Streitthema wie die Hausaufgaben.<br />
Während letztere von der<br />
Schule vorgeschrieben sind, hat das<br />
Üben eines Instruments eine<br />
Schuld-Komponente: «Du wolltest<br />
doch Harfe spielen!», «Weisst du,<br />
was die Miete des Klaviers kostet?»,<br />
«Wir haben ein halbes Jahr Klarinettenunterricht<br />
bezahlt, jetzt halte<br />
so lange durch». Von solchen Sätzen<br />
ist nicht viel zu halten. Sie zementieren<br />
die Ansicht, dass ein Instrument<br />
zu spielen etwas für besonders<br />
pflichtbewusste oder hochbegabte<br />
Kinder sei.<br />
Eltern sollten sich fragen: Warum<br />
soll unser Kind ein Instrument lernen?<br />
Um Musik zu leben und zu<br />
erleben, wäre die Antwort der elementaren<br />
Musikpädagogik. Um<br />
dem Kind die Möglichkeit zu geben,<br />
aus sich selbst künstlerisch tätig zu<br />
werden. Dazu gehört auch, dass das<br />
Kind die Technik und das Notenlesen<br />
lernt. Denn damit kann der<br />
Ausdruck differenziert und Musik<br />
zum Teil sogar in Worte gefasst werden.<br />
Wie wird also aus dem täglichen<br />
Üben Musik? Indem die Eltern selber<br />
diese Haltung einnehmen und<br />
das Kind unterstützen. Eltern sollten<br />
ihren musizierenden Kindern aktiv<br />
zuhören. Töne, und seien sie noch<br />
so wacklig und ungenau, werden zur<br />
Musik, wenn ihnen Aufmerksamkeit<br />
geschenkt wird. Dadurch lauschen<br />
die Kinder selber von Beginn<br />
weg ihrem Spiel, welches einen ganz<br />
anderen Wert erhält.<br />
Hören ist auch bei Profimusikern<br />
ein zentrales Thema. In der Musikpädagogik<br />
wird zwischen verschiedenen<br />
Hörarten unterschieden. Eine<br />
davon ist das integrierte Hören. Dieses<br />
bedeutet, die Musik zu geniessen<br />
Wacklige Töne<br />
werden zur Musik,<br />
wenn ihnen<br />
Aufmerksamkeit<br />
geschenkt wird.<br />
und sich von ihr berühren zu lassen,<br />
auch wenn Fehler oder Unsicherheiten<br />
da sind. Hört ein Kind sich selber<br />
auf diese Weise zu, verbessert<br />
sich das Spiel automatisch und es<br />
bleibt motiviert.<br />
Eine Studienfreundin erzählte<br />
mir, ihr sei das Üben als Kind leichtgefallen,<br />
weil ihre Mutter sich mit<br />
der «Lismete» zu ihr hingesetzt und<br />
gestrickt habe, während sie Klavier<br />
spielte. Bei allen drei Töchtern der<br />
Familie war die Mutter täglich die<br />
strickende Zuhörerin. Meine Freundin<br />
spielt heute virtuos und hemmungsfrei<br />
Klavier.<br />
Natürlich kann bei schwierigen<br />
Stücken mit neuen Techniken jede<br />
Motivation einmal zusammenfallen.<br />
Hier ist die Erkenntnis wichtig, dass<br />
es sich beim Lernen eines Instrumentes<br />
um Bewegungslernen handelt<br />
und nicht um analytischen<br />
Denksport. Der Körper lernt subtil<br />
und schnell. Es ist wesentlich, ihm<br />
zu vertrauen, dass er sich Griffe,<br />
Haltung, Anschläge, Ansätze (bei<br />
Blasinstrumenten) automatisch<br />
merkt. Es fasziniert Kinder wie auch<br />
Erwachsene, festzustellen, wie eine<br />
langsam eingeübte Stelle immer besser<br />
geht, weil der Körper diese<br />
54 Oktober <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
«abgespeichert» hat. Dies ist nicht<br />
anders als bei Bewegungsabläufen<br />
im Sport. Den Ball richtig zu werfen<br />
oder zu kicken, braucht Wiederholung<br />
und gelingt unter Druck nicht<br />
besser.<br />
Schliesslich tut es gut, darauf zu<br />
achten, dass künstlerisches Üben<br />
zielorientiert ist. Das Kind soll das<br />
Instrument mit einer Absicht zur<br />
Hand nehmen. Zum Beispiel, um<br />
den Noten auf dem Papier zum ersten<br />
Mal Leben einzuhauchen oder<br />
auch mal eine bestimmte Passage<br />
fehlerfrei zu spielen. Üben bedeutet<br />
nicht Tastendrücken, bis die Zeit um<br />
ist. Eine Tonleiter darf nicht erledigt<br />
werden wie eine Seite Rechnungen.<br />
«Ich zahle so viel Geld in den<br />
Musikunterricht, nun ist es auch<br />
noch meine Aufgabe, mit dem Kind<br />
zu üben?», höre ich nicht selten. Es<br />
braucht diese Investition. Allerdings<br />
mehr in die Haltung, dass die geübten<br />
Töne Musik sind. Dass die Musik<br />
Kommunikation bedeutet zwischen<br />
Ihrem Kind und der Umwelt. So<br />
können schon die ersten sieben Töne<br />
von «Der Mond ist aufgegangen» ein<br />
kleines Konzert werden auf dem Klavier,<br />
der Flöte oder dem Cello Ihrer<br />
Tochter oder Ihres Sohnes.<br />
>>><br />
Sibylle Dubs<br />
übt selber viel mehr, seit das Klavier zu Hause in der<br />
Küche steht. Die ganze Familie der Musikpädagogin<br />
musiziert in der Küche. Der Esstisch wurde ins<br />
Wohnzimmer ausquartiert. Doch auch wenn die<br />
Musik in den Alltag integriert ist, müssen<br />
die Kinder, 7 und <strong>10</strong> Jahre, noch regelmässig ans<br />
Spielen erinnert werden.<br />
Publireportage<br />
Arosa lädt Ihre Sprösslinge ein<br />
«Skischule inklusive» für die Kinder<br />
Ob das erste Mal auf den Skiern<br />
stehen, im Snowpark über die<br />
Kicker springen oder beim Skirennen<br />
eine Medaille holen – am<br />
schönsten geht das in der Skiund<br />
Snowboardschule in Arosa<br />
– und erst noch geschenkt! Denn<br />
alle Kinder bis und mit 17 Jahre<br />
kommen hier in den Genuss von<br />
kostenlosem Gruppenunterricht<br />
bei der Schweizerischen Ski- &<br />
Snowboardschule Arosa und der<br />
ABC Schneesportschule, wenn sie<br />
mindestens während zwei Nächten<br />
in einer der teilnehmenden<br />
Ferienwohnungen oder Hotels<br />
Winterferien geniessen.<br />
In Arosa haben die Kinder die perfekten<br />
Voraussetzungen, um zum<br />
nächsten Gian Simmen oder Roger<br />
Staub – beides Olympiasieger<br />
– heranzuwachsen: 225 Pistenkilometer<br />
für jedes Niveau, zwei<br />
Kinderländer für die Kleinsten und<br />
sympathische Skilehrer, die bei jedem<br />
Kind die Begeisterung für<br />
den Schneesport wecken können.<br />
So lernt man in Arosa kinderleicht<br />
Skifahren oder Snowboarden.<br />
Arosa freut sich, seit der Wintersaison<br />
2012/13 mit der «Skischule<br />
inklusive» einen Beitrag an<br />
die Nachwuchsförderung leisten<br />
zu können und die jüngsten<br />
Gäste zurück auf die Piste zu bringen.<br />
Detaillierte Informationen<br />
zum Angebot finden Sie unter<br />
arosa.ch/skischuleinklusive.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Oktober <strong>2017</strong> 55
In Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Post<br />
Erziehung & Schule<br />
Spielend Schreiben lernen<br />
Beim Spielen lernt es sich wie von selbst. Spiele mit Buchstaben und Wörtern<br />
motivieren Kinder zum Lernen und Üben der Schrift – und machen auch sonst<br />
Spass. Eine Spielauswahl zum Ausprobieren. Text: Johanna Oeschger<br />
Spielen und Lernen gehen Hand in<br />
Hand: Spiele wecken Emotionen, sie<br />
aktivieren und fordern uns. Das sind<br />
ideale Voraussetzungen fürs Lernen.<br />
Beim Spielen eignen sich Kinder ganz<br />
nebenbei soziale, kommunikative und<br />
kognitive Fähigkeiten an. Spiele rund<br />
um die Schrift motivieren zum Schreibenlernen<br />
und regen zum Erkunden von<br />
neuen Buchstaben, Wörtern und<br />
Schreibweisen an.<br />
Schriftmemory<br />
Aus Prospekten werden gleiche Wörter<br />
ausgeschnitten (oder von Schildern,<br />
Plakaten usw. abgeschrieben oder fotografiert)<br />
und auf Karten geklebt. Mit<br />
dieser Memory-Variante lernen Leseanfänger,<br />
erste Schriftbilder zu erkennen.<br />
Buchstaben-Twister<br />
Sechs (oder mehr) Karten werden mit<br />
Buchstaben beschriftet und in einem<br />
3×2-Raster auf den Boden oder Teppich<br />
geklebt. Der Spielleiter nennt nacheinander<br />
Buchstaben, die Spieler stellen<br />
abwechselnd Hand oder Fuss auf der<br />
entsprechenden Buchstabenkarte ab.<br />
Geübten Spielern nennt der Spielleiter<br />
kurze Wörter, die mit Händen und Füssen<br />
buchstabiert werden.<br />
Stadt-Land-Fluss<br />
Oder auch: Süssigkeit-Quatschwort-<br />
Trickfilmheldin. Die Spieler notieren für<br />
jede Kategorie möglichst schnell einen<br />
Begriff zu einem Anfangsbuchstaben,<br />
welcher zu Beginn des Spiels ermittelt<br />
wurde, also zum Beispiel «L» wie «Lebkuchen»,<br />
«Lussel» und «Lillifee».<br />
App-Tipp<br />
Happi Wörter<br />
Was haben Pilz, Baum und Bär gemeinsam? In diesem Assoziationsspiel<br />
für Kinder ab Grundschulalter gilt es, die Gemeinsamkeit<br />
dreier ilder u nden und das Lsunsrt aus den passenden<br />
Buchstaben zusammenzusetzen. Erhältlich für iOS. Kosten: Fr. 2.–.<br />
Johanna Oeschger<br />
ist Literatur- und Sprachwissenschaftlerin,<br />
unterrichtet Deutsch und Englisch<br />
auf der Sekundarstufe II und arbeitet als<br />
Mediendidaktikerin bei LerNetz.<br />
Bild: iStockphoto<br />
56 Oktober <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Kolumne<br />
Wie erziehe ich meinen<br />
Sohn feministisch?<br />
Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren<br />
Es ist eigentlich unglaublich, wenn man darüber nachdenkt,<br />
dass in unserer Welt noch immer Männer den Ton angeben.<br />
Seit Jahrtausenden sitzen wir am Steuer, und unsere Bilanz ist,<br />
gelinde gesagt, eine Katastrophe: In den Konzernzentralen<br />
und auf den Pausenplätzen, in den Terrorzellen und<br />
Kommentar spalten, auf metaphorisch und in echt – Gewalt scheint unser<br />
Ding zu sein. Natürlich sind nicht alle Männer gewalttätig – es gibt<br />
Frauen, die uns punkto Rücksichtslosigkeit in nichts nachstehen –, und<br />
natürlich sind wir Männer nicht an aller Unbill schuld, und doch haben<br />
wir bei vielem, was schiefläuft, unsere Finger im Spiel. Die Gründe<br />
hierfür sind ebenso vielfältig wie komplex. Mindestens einer aber handelt<br />
von uns Eltern. Hat es allenfalls etwas mit der Art zu tun, wie wir unsere<br />
Jungs erziehen?<br />
Die wichtigsten Skills sind heute vermutlich Kommunikation,<br />
Koopera tion, Empathie. Schaut man sich aber in der Welt um, regiert<br />
eine breitbeinige, selbstgefällige Weltmännischkeit, die nie zögert, nie<br />
Fehler begeht, niemals zweifelt, sich nie Unsicherheit oder Ratlosigkeit<br />
eingesteht, niemals anderen Recht gibt. Die Logik dieser Welt: Der<br />
Klügere gibt nicht nach, er setzt sich durch. Es ist nebenbei bemerkt auch<br />
eine Welt, in der Frauen noch immer Nebenrollen spielen. Gleichzeitig<br />
scheinen wir paradoxerweise davon überzeugt, dass Gleichberechtigung<br />
schon lange verwirklicht wurde, weshalb sich Alltagssexismus und<br />
Antifeminismus derzeit wieder ungestört ausbreiten. Dieses Denken und<br />
Gebaren kommt natürlich nicht von ungefähr, denn das sind die Werte,<br />
denen wir Männer seit Jahrtausenden nacheifern und die wir Väter,<br />
bewusst oder unbewusst, auch unseren Söhnen vorleben.<br />
Kleine Idee: Wie wäre es, wenn wir das ändern? Denn ich fürchte, dass<br />
wir die Welt an die Wand fahren, wenn wir an den uralten Männlichkeitsidealen<br />
von Überlegenheit und Unangreifbarkeit festhalten. Als<br />
Ausgangspunkt unseres kleinen Umerziehungsversuchs steht der kluge<br />
Satz von Gloria Steinem: «Schön, dass wir angefangen haben, unsere<br />
Töchter wie unsere Söhne zu erziehen. Aber es wird erst funktionieren,<br />
wenn wir auch unsere Söhne mehr wie unsere Töchter behandeln.»<br />
Anders gesagt: Es ist an der Zeit, unsere Jungs feministisch zu erziehen.<br />
Aber was kann man machen? Als Vater zum Beispiel das hier: Begegne<br />
Frauen auf Augenhöhe, besonders jenen, die dir nahestehen – dein Sohn<br />
wird seine Haltung gegenüber Frauen daraus erlernen. Mach das Maul<br />
auf, wenn Männer sexistische Witze reissen – es wird mehr Mut kosten,<br />
als du glaubst. Pflege Freundschaften zu Frauen – überhaupt: beziehe dich<br />
auf Frauen; spreche auch von Sportlerinnen, Politikerinnen, von<br />
Denkerinnen, die dich beeinflussen. Sei zu Hause nicht der Assistent<br />
deiner Partnerin – gehe selbst in die Verantwortung. Erzähle dein Leben<br />
nicht ständig als Erfolgsgeschichte – erwähne auch Niederlagen,<br />
Unsicherheiten, Widerstände. Kurz: Sei respektvoll, sei mutig,<br />
unterwandere rein männliche Bezugssysteme, übernimm Verantwortung<br />
und vor allem: Sei stark, indem du Schwächen zeigst.<br />
Mikael Krogerus<br />
ist Autor und Journalist.<br />
Der Finne ist Vater einer Tochter<br />
und eines Sohnes, lebt in Biel<br />
und schreibt regelmässig für<br />
das Schweizer ElternMagazin<br />
Fritz+Fränzi und andere<br />
Schweizer Medien.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Oktober <strong>2017</strong> 57
Elterncoaching<br />
Hilfe, mein Kind ist<br />
ein Träumer!<br />
Kleine Träumer sind kreativ und fantasievoll, aber oft vom Alltag<br />
überfordert. Und in der Schule wird ihre Neigung zum Problem.<br />
Wie Eltern ihrem verträumten Kind helfen und es unterstützen können.<br />
Fabian Grolimund<br />
ist Psychologe und Autor («Mit<br />
Kindern lernen»). In der Rubrik<br />
«Elterncoaching» beantwortet<br />
er Fragen aus dem Familienalltag.<br />
Der 38-Jährige ist verheiratet<br />
und Vater eines Sohnes, 5,<br />
und einer Tochter, 2. Er lebt<br />
mit seiner Familie in Freiburg.<br />
www.mit-kindern-lernen.ch<br />
www.biber-blog.com<br />
Als Eltern eines verträumten<br />
Kindes hat<br />
man es nicht leicht.<br />
Ständig muss man<br />
das Kind an alles<br />
Mögliche erinnern, mit ihm planen,<br />
es strukturieren und anleiten, kurz<br />
vor knapp noch seine unauffindbaren<br />
Sachen suchen, alles dreimal<br />
sagen und mit dem dabei aufkommenden<br />
Ärger fertig werden.<br />
Vielleicht macht man sich Sorgen:<br />
Was soll nur aus meinem Kind<br />
werden? Wie soll es die Schule<br />
schaffen, wenn es in Gedanken ständig<br />
woanders ist? Wie soll es später<br />
nur im Berufsleben Fuss fassen,<br />
wenn es selbst einfachsten Anweisungen<br />
nicht nachkommt, alles vergisst<br />
und verliert und für simple<br />
Aufgaben Stunden benötigt?<br />
Besonders verunsichernd sind<br />
oftmals die Rückmeldungen der<br />
Schule. Was soll man als Mutter oder<br />
Vater tun, wenn das Kind es in der<br />
Schule «schon könnte, aber einfach<br />
Verträumte Kinder sind<br />
empfindsam. Sie haben das<br />
Gefühl, dass alle dauernd<br />
irgendetwas von ihnen wollen.<br />
nicht zuhört und zu langsam ist»<br />
und «sich im Unterricht ständig<br />
ablenken lässt und vor sich hinträumt»?<br />
Die Eltern stehen unter Druck,<br />
den Kindern geht es nicht besser. Sie<br />
hören den ganzen Tag Sätze wie:<br />
«Geht das auch ein bisschen schneller?»,<br />
«Jetzt ist echt nicht die Zeit<br />
zum Spielen!», «Was starrst du denn<br />
schon wieder Löcher in die Luft?»,<br />
«Jetzt hast du schon wieder deine<br />
Handschuhe verloren! Meinst du<br />
eigentlich, wir sind Millionäre?»,<br />
«Schau, die anderen sind schon fast<br />
fertig und du hast noch gar nicht<br />
angefangen».<br />
Empfindsam, wie viele verträumte<br />
Kinder sind, spüren sie die dauernde<br />
Sorge um ihre Zukunft. Sie<br />
möchten es ihrem Umfeld recht<br />
machen, schaffen es aber nicht. Sie<br />
haben das Gefühl, dass alle dauernd<br />
irgendetwas von ihnen wollen, das<br />
sie nicht leisten können. Daraus<br />
kann ein immenser Leidensdruck<br />
entstehen und das Gefühl, «nicht<br />
richtig» zu sein.<br />
Dieses Leiden wird von Aussenstehenden<br />
oft unterschätzt. Vielleicht<br />
gerade deshalb, weil sich Träumerchen<br />
unter Druck in ihre<br />
Traumwelt zurückziehen und dann<br />
so wirken, als würden sie nichts an<br />
sich heranlassen und die Notwendigkeit<br />
all der Veränderungswünsche,<br />
die an sie herangetragen werden,<br />
nicht sehen.<br />
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren<br />
58 Oktober <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Wenn wir genauer hinschauen,<br />
sehen wir, wie entmutigt und traurig<br />
viele dieser Kinder sind.<br />
Wenn der Alltag müde macht<br />
Für viele verträumte Kinder ist der<br />
Alltag ein Kraftakt. Fast alles, was<br />
unsere moderne Welt von uns fordert,<br />
ist für sie mit einer besonderen<br />
Anstrengung verbunden.<br />
Verträumte Kinder haben selten<br />
Langeweile. Sie können sich oft<br />
stundenlang mit sich selbst beschäftigen<br />
und benötigen nur wenig<br />
Anregung von aussen. Wenn sie<br />
ihren Interessen in ihrem Tempo<br />
nachgehen dürfen, wirken sie<br />
manchmal wie in Trance, so versunken<br />
und konzentriert, dass sie kaum<br />
davon loszureissen sind. Ihre Fantasie<br />
und der Reichtum ihrer Innenwelt<br />
versetzen Aussenstehende<br />
immer wieder in Erstaunen.<br />
Diese Kinder sehen sich einer<br />
Gesellschaft ausgesetzt, die von<br />
ihnen Tempo und rasches Reagieren<br />
erwartet und sie mit Plänen, To-do-<br />
Listen und Aufgabenbergen überhäuft.<br />
Einer Welt, in der man wach<br />
und fokussiert von aussen vorgegebene<br />
Aufträge erledigen soll; in der<br />
die Uhr den Takt vorgibt; in der die<br />
Zeit stets gut genutzt werden soll,<br />
um immer höher gesteckte Ziele zu<br />
erreichen; in der es laut und geschäftig<br />
zu und her geht und man sich<br />
durchsetzen und behaupten muss.<br />
Wie Sie Ihr Kind unterstützen<br />
können<br />
Wie kann man als Eltern ein verträumtes<br />
Kind unterstützen? Sie<br />
können ihm zum einen helfen, mit<br />
den Anforderungen der Aussenwelt<br />
besser zurechtzukommen:<br />
• Visualisieren Sie die einzelnen<br />
Teilschritte von Abläufen wie<br />
«Schulthek packen» oder «Zimmer<br />
aufräumen» zum Beispiel<br />
mittels bebilderter Checklisten.<br />
• Bitten Sie Ihr Kind vor dem Einschlafen,<br />
sich wichtige Abläufe<br />
bildlich vorzustellen, als würde es<br />
einen Film ansehen.<br />
• Weisen Sie unliebsamen Aufgaben<br />
ein begrenztes Zeitbudget<br />
zu und stellen Sie dieses visuell<br />
dar, etwa mithilfe einer Eierkocher-Uhr.<br />
• Führen Sie einfache Ordnungssysteme<br />
ein, beispielsweise verschiedene<br />
Rollkisten für Spielsachen<br />
und Schulmaterial oder<br />
eine Farbkodierung für die Materialien<br />
verschiedener Schulfächer.<br />
• Helfen Sie Ihrem Kind, sein Ar -<br />
beitsgedächtnis zu entlasten, in -<br />
dem Aufgaben und Termine aufgeschrieben<br />
und – je nach Alter<br />
des Kindes – abfotografiert bzw.<br />
ins Handy einprogrammiert werden.<br />
• Planen Sie gemeinsam mit Ihrem<br />
Kind und zerlegen Sie die Aufgaben<br />
in überschaubare Teilschritte.<br />
Noch wichtiger ist jedoch, dass Sie<br />
Ihrem Kind die Möglichkeit geben,<br />
sich selbst zu sein und sich von den<br />
Herausforderungen des Alltags zu<br />
erholen. Falls Ihr Kind nach einem<br />
anstrengenden Schultag nicht auch<br />
noch davon erzählen mag, können<br />
Sie sich bewusst zurücknehmen.<br />
Vielleicht sagen Sie zu ihm: «Ich<br />
glaube, du brauchst ein wenig Ruhe.»<br />
Achten Sie auf genügend Erholungsphasen,<br />
in denen das Kind<br />
nicht auf die Uhr schauen muss und<br />
ungestört seinen Neigungen nachgehen<br />
kann.<br />
Seien sie einfach da: Viele Träumer<br />
geniessen es, wenn sie im gleichen<br />
Raum sein dürfen, ohne interagieren<br />
zu müssen. Wenn sie lesen,<br />
Lego bauen oder malen dürfen,<br />
während die Eltern ebenfalls lesen,<br />
in der Küche hantieren oder ihrer<br />
Arbeit nachgehen.<br />
Und das Wichtigste: Akzeptieren<br />
Sie, dass Sie Ihr Kind nicht ändern<br />
können.<br />
Verträumte Kinder hören immer<br />
wieder die Drohung: «Wenn das so<br />
bleibt, sehe ich schwarz.» Dahinter<br />
steckt der Glaube, dass das Kind<br />
zuerst ein anderer Mensch werden<br />
muss, damit es als Erwachsener<br />
Geben Sie Ihrem Kind die<br />
Möglichkeit, sich selbst zu sein<br />
und sich zu erholen von den<br />
Herausforderungen des Alltags.<br />
Erfolg haben und glücklich werden<br />
kann. Immer wieder begegnen uns<br />
in unserer Arbeit Eltern mit dieser<br />
Haltung.<br />
Dieser Veränderungswunsch ist<br />
nicht nur unerfüllbar, sondern auch<br />
unnötig. Verträumte Kinder bleiben<br />
meist etwas chaotisch, langsam und<br />
zerstreut. Sie werden auch in Zu -<br />
kunft vieles vergessen, zu wenig planen<br />
und vorausdenken.<br />
Und sie können trotzdem zu<br />
zufriedenen Erwachsenen werden.<br />
Dazu müssen sie sich aber nicht<br />
grundlegend verändern, sondern<br />
sich selbst kennen und annehmen<br />
können. Sie müssen wissen, wo ihre<br />
Stärken liegen, und diese kultivieren<br />
und ausbauen. Und sie müssen sich<br />
mit ihren Schwächen auseinandersetzen<br />
und Wege finden, um mit<br />
diesen umzugehen.<br />
In der nächsten Ausgabe:<br />
Wer wohnt da eigentlich unter meinem Dach? – Warum<br />
wir uns immer wieder neu kennenlernen müssen.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Oktober <strong>2017</strong> 59
Erziehung & Schule<br />
Wer zahlt im Falle einer<br />
Scheidung? Und wie viel?<br />
Seit dem 1. Juli dieses Jahres ist der Zivilstand der Eltern für die<br />
elterliche Sorge und die nterhaltsflicht im Falle einer rennung<br />
unerheblich – das verändert einiges. Ein Überblick. Text: Sandra Hotz<br />
Elias ist 12 Jahre alt und<br />
hat Probleme in der<br />
Schule, sodass sich die<br />
Mutter täglich intensiv<br />
um Struktur und Hausaufgabenhilfe<br />
kümmert. Anna ist 15<br />
Jahre alt und eine talentierte Reiterin.<br />
Sie beginnt demnächst eine Lehre<br />
als Tierpflegerin. Mara, 19 Jahre<br />
alt, wohnt seit Herbst in Zürich und<br />
studiert an der ETH Ingenieurswissenschaften.<br />
Die Familie lebt in<br />
Poschiavo GR.<br />
Betreuungsunterhalt<br />
Die Beziehung der Eltern kriselt seit<br />
längerer Zeit. Sie möchten sich trennen,<br />
machen sich aber Sorgen darüber,<br />
wie sie die Mietkosten für eine<br />
zweite Wohnung und das Geld für<br />
den Lebensunterhalt von Mara aufbringen<br />
können, sowie darüber, wer<br />
künftig die Hausaufgabenhilfe für<br />
Elias übernimmt, falls die Mutter ihr<br />
Arbeitspensum als Primarschullehrerin<br />
erhöhen müsste.<br />
Ein Betreuungsunterhalt<br />
verhindert eine Aufstockung<br />
des Arbeitspensums.<br />
Kinder kosten, keine Frage. Eltern<br />
wissen um die Kosten für den<br />
Lebensunterhalt, wie für Essen,<br />
Turnschuhe, Computer, Hobbys<br />
Schul- und Studiengelder. Zum<br />
Unterhalt eines Kindes zählt aber<br />
mehr als dieser Barbedarf (Barunterhalt),<br />
nämlich auch die Pflege<br />
und die Betreuung eines Kindes.<br />
Das Recht spricht neu von einem<br />
Betreuungsunterhalt, der im Falle<br />
einer Trennung geleistet werden<br />
muss.<br />
Der Anspruch des Kindes auf<br />
Pflege und Betreuung soll mit der<br />
Leistung des Betreuungsunterhalts<br />
umgesetzt und gewährleistet werden,<br />
indem der betreuende Elternteil<br />
die Möglichkeit hat, weiterhin zu<br />
Hause präsent sein zu können und<br />
nicht sein Arbeitspensum aufstocken<br />
zu müssen. Doch lassen Sie<br />
mich vorne beginnen.<br />
Alle Eltern haben ihren Kindern<br />
gegenüber eine umfassende Unterhaltspflicht.<br />
Das ist ihre Verantwortung<br />
und die Kehrseite ihres elterlichen<br />
Sorgerechts. Recht und Pflicht<br />
begründen sich mit dem rechtlichen<br />
Kindesverhältnis. Egal also, ob die<br />
Eltern von Elias, Anna und Mara<br />
verheiratet sind oder nicht, die Kinder<br />
haben kraft des Kindsverhältnisses<br />
einen Anspruch auf Unterhalt.<br />
60 Oktober <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Das ist eine beachtliche Rechtsentwicklung:<br />
Der Zivilstand der Eltern<br />
ist für die gemeinsame elterliche<br />
Sorge (seit 1. 7. 2014) und die Unterhaltspflicht<br />
(nun seit 1. 1. <strong>2017</strong>)<br />
unbedeutend geworden.<br />
Individuelle Ansprüche<br />
Elias, Anna und Mara haben je einen<br />
individuellen Anspruch auf Unterhalt,<br />
der sich nach ihren Bedürfnissen<br />
richtet. Für das eine Kind fallen<br />
etwa Studienkosten an, für das andere<br />
mehr Unterstützung bei den<br />
Hausaufgaben. Jede Geburt weiterer<br />
Kinder führt zu neuen Unterhaltspflichten,<br />
die den Unterhaltsanspruch<br />
früherer Kinder wohl etwas<br />
schmälern mögen, aber nicht aufheben.<br />
Eine Ausnahme besteht höchstens<br />
dann, wenn ein Kind seinen<br />
Lebensunterhalt selbständig bestreiten<br />
könnte.<br />
Angenommen, Anna kann künftig<br />
auf einem grossen Hof ihre Lehre<br />
antreten, erhält dort neben Kost und<br />
Logis einen Lehrlingslohn und verdient<br />
sich mit zusätzlichem Reitunterricht,<br />
den sie erteilt, einiges dazu,<br />
könnte es theoretisch sein, dass sie<br />
selbständig für ihren Lebensunterhalt<br />
aufkommen kann. Auf jeden<br />
Fall müssten die Eltern ihre teuren<br />
Reitstunden nicht mehr bezahlen.<br />
Das Recht auf Kindesunterhalt<br />
kann unter Umständen auch über<br />
die Volljährigkeit hinaus bestehen.<br />
Dann, wenn es sich beispielsweise<br />
um eine Erstausbildung handelt wie<br />
im Falle von Mara, die für die nächsten<br />
vier Jahre studieren und in<br />
Zürich leben wird.<br />
Eine Trennung oder Scheidung<br />
sowie eine erneute Heirat der Eltern<br />
ändern im Grundsatz nichts an der<br />
Unterhaltspflicht gegenüber den<br />
Das Recht auf Kindesunterhalt<br />
kann auch über die<br />
Volljährigkeit hinaus bestehen.<br />
drei Kindern. Faktisch ändert sich<br />
aber aufgrund eines getrennten<br />
Haushalts der Eltern deren Zusammenwirken<br />
in der Pflege, Erziehung<br />
und Betreuung der Kinder.<br />
Die persönlichen Betreuungsleistungen<br />
wie Pflege und Hausaufgabenhilfe<br />
werden bei einer Trennung<br />
praktisch aber oft alleine (und<br />
deshalb besonders intensiv) von<br />
jenem Elternteil erbracht, unter dessen<br />
Obhut die Kinder stehen. Der<br />
andere Elternteil kommt dann seinen<br />
Unterhaltspflichten vor >>><br />
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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Oktober <strong>2017</strong> 61
Erziehung & Schule<br />
>>> allem durch Geldleistungen<br />
nach.<br />
Damit die Mutter ihr Arbeitspensum<br />
nicht erhöhen muss, sondern<br />
Elias weiterhin persönlich unterstützen<br />
kann, bekommt Elias neu einen<br />
Betreuungsunterhalt vom Vater.<br />
Es kann aber auch sein, dass die<br />
Eltern sich nach einer Trennung<br />
oder Scheidung in der persönlichen<br />
Pflege und Betreuung abwechseln.<br />
Demnach würde eine «alternierende<br />
Obhut» bestehen und sich der Be -<br />
treuungsunterhalt diesbezüglich<br />
reduzieren.<br />
Wie hoch ist ein<br />
Betreuungsunterhalt?<br />
Grundsätzlich orientiert sich das<br />
Gericht jedoch am während der Ehe<br />
oder in der Beziehung gelebten<br />
Betreuungsmodell. Eine Mutter, die<br />
immer in Teilzeit arbeitete und die<br />
Kinder intensiv betreute, wie im Fall<br />
von Elias, hat gute Chancen, dies<br />
auch nach einer Trennung tun zu<br />
dürfen, ohne ihr Arbeitspensum zu<br />
erhöhen.<br />
Der Gesetzgeber hat leider darauf<br />
verzichtet, genau festzulegen, wie<br />
sich ein Betreuungsunterhalt bemisst.<br />
Er hat festgehalten, dass die<br />
Lebenshaltungskosten der betreuenden<br />
Person gedeckt sein sollen. Was<br />
sind Pflege und Betreuung wert?<br />
Wie viel die Unterstützung bei der<br />
Hausaufgabenhilfe oder das Kü -<br />
chengespräch beim Zvieri? Ist oder<br />
soll die Hausaufgabenhilfe eines<br />
Elternteils in Poschiavo anders<br />
bewertet werden als die in Zürich?<br />
Unverheiratete Väter ohne<br />
Betreuungsaufgaben<br />
sind die Hauptbetroffenen<br />
der neuen Regelung.<br />
Das Kindesunterhaltsrecht in Kürze<br />
Das revidierte Kindesunterhaltsrecht (Art. 277 ff. ZGB), in<br />
Kraft seit 1.1.<strong>2017</strong>, ist der 2. Teil der Familienrechtsrevision<br />
zu gemeinsamer elterlicher Sorge und Verantwortung:<br />
• Das Kindesinteresse steht im Zentrum.<br />
• Der Kindesunterhalt steht dem Kind persönlich zu.<br />
• Der Kindesunterhalt ist unabhängig vom Zivilstand<br />
der Eltern.<br />
• Der Kindesunterhalt richtet sich nach dem Bedarf<br />
des Kindes; unter Umständen auch über die Volljährigkeit<br />
hinaus.<br />
• Der Betreuungsunterhalt wird als Teil des Kindesunterhaltes<br />
anerkannt.<br />
• Der Kindesunterhalt geht anderen familienrechtlichen<br />
Verichunen or<br />
Es ist also noch offen, welches<br />
Gericht den Betreuungsunterhalt<br />
wie berechnen wird: mit genauen<br />
Tabellen, pauschalisierenden Prozentregeln<br />
(zum Beispiel <strong>10</strong> bis<br />
15 Prozent des Nettoeinkommens<br />
der Eltern bei einem Kind, 30 bis<br />
35 Prozent bei drei Kindern) oder<br />
nach Massgabe von Fremdbetreuungskosten?<br />
Doch auch da besteht<br />
eine Vielfalt an Optionen: nach<br />
Mass gabe der Kinderkrippenkosten,<br />
der Pflegekinderkosten oder der<br />
durchschnittlichen Kosten einer<br />
Nanny?<br />
In der Literatur werden derzeit<br />
laufend Ansätze i vorgeschlagen und<br />
diskutiert. Das Zürcher Obergericht<br />
hat einen Leitfaden herausgegeben,<br />
der die «Lebenshaltungskosten», die<br />
durch den Betreuungsunterhalt zu<br />
decken wären, am betreibungsrechtlichen<br />
Minimum ausrichten will.<br />
Mit der Zeit wird es die Rechtsprechung<br />
des Bundesgerichts richten<br />
müssen und richten.<br />
Der nacheheliche Unterhalt be -<br />
steht in Geldleistungen an die ge -<br />
schiedene Ehegattin beziehungsweise<br />
den ge schiedenen Ehegatten, weil<br />
dieser/diese nach Beziehungsende<br />
in seiner/ihrer Kapazität zur Eigenversorgung<br />
eingeschränkt ist, auf-<br />
62 Oktober <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
grund gemeinsam entschiedener<br />
Aufgabenteilung, der Dauer der Ehe,<br />
des Alters, der Berufsbildung und<br />
-entwicklung.<br />
Dazu gehört wesentlich, dass die<br />
Erwerbsfähigkeit wegen der Pflicht<br />
zur Kinderpflege und -betreuung<br />
massiv eingeschränkt war. Ein nachehelicher<br />
Unterhalt dient also dem<br />
Schutz der Ehegatten nach Auflösung<br />
der Ehe. Achtung: Diesen<br />
Schutz gibt es in nichtehelichen<br />
Partnerschaften nicht.<br />
Ziel des Kindesunterhalts ist<br />
dagegen der Schutz des Kindes. Im<br />
Fall des Betreuungsunterhalts ist das<br />
Kind berechtigt, im Fall des nachehelichen<br />
Unterhalts ist es der (ehemals)<br />
betreuende Elternteil. Das<br />
zeigt, dass beide Unterhaltsarten<br />
nicht vermischt und auch nicht<br />
gegeneinander ausgespielt werden<br />
dürfen. Die Frage, wann einem<br />
geschiedenen Elternteil die Erwerbstätigkeit<br />
zur Eigenversorgung zugemutet<br />
werden kann, ist eine Frage,<br />
die den nachehelichen Unterhalt<br />
betrifft, nicht den Betreuungsunterhalt.<br />
>>><br />
Sandra Hotz<br />
ist Juristin und Co-Leiterin des Projekts<br />
«Kinder fördern. Eine interdisziplinäre<br />
Studie zum Umgang mit ADHS» am Institut<br />
für Familienforschung und -beratung der<br />
Universität Freiburg. Sie beschäftigt sich<br />
mit Kinderrecht und Fragen der<br />
Selbstbestimmung von Patienten.<br />
Der nacheheliche Unterhalt<br />
dient dem Schutz der<br />
Ehegatten nach der Ehe,<br />
der Kindesunterhalt<br />
dem Schutz des Kindes.<br />
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das zu Ihnen passt.<br />
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Do sier<br />
Der 9-jährige Emilio<br />
hat Autismus. Rituale<br />
bestimmen sein<br />
Leben. Mehrmals am<br />
Tag geht er in den<br />
Wäscheraum und<br />
beobachtet die<br />
drehenden Trommeln.<br />
Leserbriefe<br />
«Toll, am Leben besonderer<br />
Menschen teilhaben zu können»<br />
«Die komischen Blicke<br />
sind verletzend»<br />
(Dossier «Autismus», Heft 8/<strong>2017</strong>)<br />
Das andere Kind –<br />
leben mit Autismus<br />
Eine Störung für die einen, eine Wesensart für die anderen<br />
und eine Herausforderung für alle. Das ist Autismus.<br />
Jedes hundertste Kind in der Schweiz ist davon betroffen.<br />
Was heisst das für das Kind? Was für seine Eltern?<br />
Und vor allem: Wer hilft?<br />
Text: Sarah King Bilder: Daniel Auf der Mauer / 13 Photo<br />
<strong>10</strong> August <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi August <strong>2017</strong> 1<br />
ir ersnlich ha der riel sehr u efallen ch finde es oll<br />
dass Sie uns am Leben besonderer Menschen teilhaben lassen. Ich<br />
enne runa und milio ersnlich aer es ha mir rodem<br />
ieder aufs eue imonier ie oll runa ihren ohn milio<br />
uners und ie sannend und fasinierend das een eines<br />
Autisten sein kann ... Ich wünsche den beiden Familien alles Gute<br />
in der uunf und den indern iel ean on anderen<br />
Menschen.<br />
Ich selber hatte als Kind eine ADHS-Diagnose und galt selbst in<br />
der amilie als scher eriehar er ahre rund meines<br />
Verhalens ha damals niemanden ineressier und ich urde mi<br />
Medikamenten ruhiggestellt. Durch einige Tests auf freiwilliger<br />
asis als ich ahre al ar urde lar arum ich daumal so<br />
war. Ich selber konnte Erlebnisse meiner frühen Kindheit nicht<br />
verarbeiten und habe vieles mit meinem aufgedrehten und<br />
aufmfien Verhalen ersiel uch onenraionsschieri-<br />
eien die einem ler eien sind amen on den rlenissen<br />
und den damals nicht einfachen Umständen in meiner Familie.<br />
Ich wurde wegen meines Verhaltens und meines Charakters oft<br />
emo und auseren<br />
lern rauchen nersun und die nerennun der<br />
esellschaf auch um eenuelle ehldianosen u ermeiden<br />
ch ann mi milio sehr mifhlen ie es ihm ereh enn er<br />
wegen des Autismus von Gleichaltrigen ausgestossen wird. Ich<br />
ersehe ie erleend all die omischen lice sind ch hae<br />
das auch erlebt.<br />
Auch die Familie Leupold hat mich sehr beindruckt. Ich wünsche<br />
allen Kindern mit Behinderung so starke Eltern.<br />
Der Redaktion gilt mein Dank für diese wertvolle Arbeit.<br />
«Solche Artikel sind wichtig, damit die<br />
Gesellschaft Verständnis entwickelt»<br />
(Dossier «Autismus», Heft 8/<strong>2017</strong>)<br />
erne mche ich hnen mieilen ie u mir der riel er den<br />
neunhrien auisischen unen milio efallen ha er riel<br />
ist sehr ehrlich und emotional.<br />
ch hae iele ahre mi enschen mi ehinderun usammengearbeitet<br />
(in Deutschland) und habe auch einige Autisten<br />
ennenelern ch finde es ichi dass es mehr solche riel u<br />
lesen i dami sich in der esellschaf ein Versndnis dafr<br />
entwickelt.<br />
eier so<br />
Insa Nordhoff (per Mail)<br />
«Danke für Ihre super Arbeit,<br />
die Sie leisten»<br />
(Allgemein)<br />
esen an fr die efe um een und fr die ollen eriche<br />
die ie immer in hrem aain haen ch seler lese das ef<br />
auch immer und oiere mir um eil erne mal as um dies auch<br />
den lern orraen u nnen Von den lern hre ich<br />
eenfalls Posiies er hr aain das sie erne eneen<br />
nehmen und lesen.<br />
Auf jeden Fall wollte ich mich einfach einmal bedanken für Ihre<br />
suer rei die ie da leisen esen an<br />
Regina Borer, Kindergartenlehrperson (per Mail)<br />
Selina Mauch (per Mail)<br />
64 Oktober <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
68 August <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Bild: iStockphoto<br />
uca findet Lesen doof.<br />
Wann immer es geht,<br />
drückt er sich davor.<br />
Auch das Schreiben fä lt<br />
ihm schwer. Er ve rutscht<br />
in den Zeilen, verdreht die Buchstaben<br />
und macht viele Rechtschreibfehler.<br />
Oft hat er Kopfschmerzen<br />
so sehr er sich auch anstrengt, die<br />
Buchstaben «hüpfen» ihm einfach<br />
vor den Augen davon. Hilfe be -<br />
kommt Luca erst, als bei ihm eine<br />
Winkelfehlsichtigkeit als Ursache<br />
seiner Probleme entdeckt wird.<br />
Winkelfehlsichtigkeit ist keine<br />
Fehlsichtigkeit oder Krankheit im<br />
eigentlichen Si ne. «Es handelt sich<br />
vielmehr um eine latente Abweichung<br />
der Augen im Ruhezustand<br />
aus der optimalen Position», erklärt<br />
Daniel Bruun, Augenarzt und<br />
wirkungen auf da simultane beidseitige<br />
Sehen haben.»<br />
Latentes Schielen<br />
Damit ein dreidimensionales Bild<br />
den Augen entstehen, vom Gehirn<br />
gang ne nt man in der Fachsprache<br />
Fusion. «Für eine optimale Fusion<br />
so lten die beiden Augen stets gleich<br />
ausgerichtet sein», wei s Br un. «Bei<br />
der überwiegenden Mehrheit finden<br />
Erziehung & Schule<br />
ste lung von Natur aus kleine Abweichungen<br />
nach innen oder au sen,<br />
seltener auch nach oben oder unten.»<br />
Diese Abweichung vom Idealzustand<br />
ne nt man Winkelfehlsichtigkeit.<br />
In der Augenmedizin spricht<br />
deshalb, weil die leichte Fehlste lung<br />
nur dann sichtbar wird, wenn sich<br />
das Auge im Ruhezustand befindet<br />
– beispielsweise bei Müdigkeit oder<br />
beim abgedeckten Auge», erklärt der<br />
Schielexperte. «Sobald die Augen ein<br />
Objekt foku sieren, justiert das<br />
Gehirn die Abweichung in Sekundenbruchteile<br />
nach, soda s die<br />
Augen wieder synchron geste lt werden.»<br />
Anders als ein echtes Schielen<br />
fä lt das latente Schielen im A ltag<br />
deshalb auch nicht auf.<br />
Rund 80 Prozent a ler Sehenden<br />
die ständige Zusatzarbeit, die Gehirn<br />
und Augenmuskulatur für die opti-<br />
Prozentsatz aber entwickelt Anstren-<br />
Lebensqualität haben können»,<br />
wei s Br un.<br />
Winkelfehlsichtigkeit ka n krank<br />
machen<br />
«Ein deutliches Zeichen für mögliche<br />
Probleme mit dem versteckten<br />
Schielen ist, we n Patienten immer<br />
wieder Do pelbilder sehen», sagt<br />
Augenexperte Daniel Br un. «Auch<br />
häufige Kopfschmerzen, die vor<br />
a lem abends auftreten, kö nen ein<br />
Hinweis darauf sein.» Bei Kindern<br />
zeigen sich zudem Symptome wie<br />
häufiges Stolpern, schlechte Orientierung<br />
im Raum, Probleme beim<br />
Verfolgen von bewegten Objekten<br />
wie Bä len. Aufgaben, die konzentrierte<br />
Augenarbeit erfordern wie<br />
Betroffene Schulkinder leiden oft an<br />
Konzentration schwierigkei-<br />
Symptome durch<br />
Winkelfehlsichtigkeit<br />
Zeitweiliges Do pelbildsehen<br />
• Kopfschmerzen vor a lem<br />
abends<br />
• Konzentrationsschwierigkeiten<br />
• Bei kleinen Kindern auch<br />
Bauchschmerzen<br />
• Stolpern, gegen Hinderni se<br />
laufen, Probleme beim<br />
Ba lfangen<br />
• Vermeidung von Basteln,<br />
Ausmalen, Au schneiden<br />
• Probleme beim Lesen:<br />
Zeilenspringen, stockendes<br />
Lesen, schne le Ermüdung<br />
• Probleme beim Schreiben:<br />
krakelige Schrift, Zeilen<br />
werden nicht gehalten,<br />
Buchstaben werden verdreht<br />
Was ist eine Prismenbri le?<br />
Die Gläser einer Prismenbrille<br />
sind prismatisch. Damit<br />
sehen sie aus wie zwei rund<br />
geschliffene Keile. In der<br />
Augenheilkunde werden<br />
Prismengläser bei bestimmten<br />
Schielerkrankungen eingesetzt,<br />
um Do pelbilder<br />
zusammenzuführen. Bei einer<br />
Winkelfehlsichtigkeit so len sie<br />
die geme sene Abweichung<br />
des Auges im Ruhezustand<br />
ausgleichen. Durch den Mehraufwand<br />
sind Prismenbrilen<br />
teurer als normale Bri len, und<br />
die Gläser sind schwerer.<br />
Monatsinterview<br />
Die in Innsbruck<br />
geborene<br />
Mariam<br />
IreneTazi-Preve<br />
ist Professorin<br />
in den USA.<br />
Frau Tazi-Preve, warum sind Mü ter oft<br />
müde?<br />
Sie sind müde vom Dauerspagat zwischen<br />
Job und Familie, Haushalt und<br />
den vielen Tausend anderen Dingen,<br />
um die sie sich kümmern. Doch das<br />
ist nicht ihre Schuld.<br />
We sen Schuld ist es da n?<br />
Die Schuld trägt unser Lebensmode<br />
l, die Kleinfamilie. Sie ist der<br />
Que l unseres Unglücks.<br />
Monatsinterview<br />
Kö nen Sie das erklären?<br />
Was ist daran falsch?<br />
permanent emotional selbst aufladen<br />
mu s. In diese isolierte Einheit, die<br />
die Politik gern die kleinste Ze le des<br />
St ates ne nt, spe rt man zwei Dinge<br />
zusammen und behauptet, das<br />
müsse so sein.<br />
Welche beiden Dinge?<br />
Erstens die lebenslange romantische<br />
Die ewige Liebe existiert nicht?<br />
gehen.<br />
Trotzdem sehnen wir uns a le nach<br />
romantischer Zweisamkeit.<br />
Das mu s uns nicht verwundern.<br />
Uns wird ununterbrochen su geriert,<br />
da s die romantische, legitimierte<br />
Liebe, die ein Leben lang hält,<br />
die anzustrebende Norm sei. Und<br />
dass jene, die daran scheiterten, selber<br />
schuld seien. Die Ironie dabe ist:<br />
Die romantische Id e von der Ehe<br />
ist historisch erst spät aufgekommen.<br />
Schon die Römer, die das juristische<br />
Fundament für die Ehe- und Familiengesetze<br />
legten, haben sich über-<br />
Beziehung und zweitens das sichere<br />
Aufziehen von Kindern. Nun gibt es >>><br />
haupt keine I lusionen darüber<br />
gemacht, wa sie für die Men-<br />
«Meistens reicht die Verordnung<br />
einer Entlastungsbrille»<br />
Mama, die Buchstaben<br />
enn Kinder hufig über Kofschmerzen klagen, schlecht lesen und krakelig schreiben,<br />
unkonzentriert und motorisch unsicher sind, wird dies nicht selten auf eine eseechtschreib<br />
Schwche oder gar AS zurückgeführt ie rsache knnte aber auch in einem latenten<br />
Schielen, umgang srachlich einer Winkelfehlsichtigkeit, liegen Text: Anja Lang<br />
L<br />
und ist müde. «Mu st halt flei siger<br />
üben», kriegt er oft zu hören. Doch<br />
Augenchirurg aus Kreuzlingen TG.<br />
«Diese Abweichung ka n aber Aus-<br />
entsteht, müssen die zwei Einzelbilder,<br />
die auf den Netzhäuten der bei-<br />
zu einem einzigen räumlichen Bild<br />
verschmolzen werden. Diesen Vor-<br />
man auch von Heterophorie oder<br />
verstecktem Schielen. «Versteckt<br />
haben eine Winkelfehlsichtigkeit.<br />
Die meisten Menschen verkraften<br />
male Fusion leisten mü sen, ohne<br />
grö sere Probleme. «Ein gewi ser<br />
gungsbeschwerden, die mitunter<br />
ma sive Auswirkungen auf die<br />
Basteln, Ausmalen oder Au schneiden,<br />
werden konsequent gemieden.<br />
sich aber in der entspa nten Augen- >>><br />
80 Prozent a ler Menschen<br />
haben ein sogenanntes<br />
verstecktes Schielen, auch<br />
Winkelfehlsichtigkeit genannt.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi August <strong>2017</strong> 69<br />
« Ich will den Müttern das<br />
schlechte Gewissen nehmen»<br />
Das heutige Mu terbild treibt die Frauen in die Erschöpfung, sagt die<br />
österreichische Politikwi senschaftlerin Mariam Irene Tazi-Preve. Schuld sei das<br />
vermeintliche Ideal der Kleinfamilie. Text: Claudia Landolt Bilder: Martin Mischkulnig / 13 Photo<br />
Grosse Ehrfurcht. Ich tre fe Mariam<br />
Irene Tazi-Preve, die Re terin der<br />
(«Winkelfehlsichtigkeit», Heft 8/<strong>2017</strong>)<br />
Frauen. Die österreichische<br />
Politikwi senschaftlerin, die als Erste<br />
die Vereinbarkeitslüge publik<br />
gemacht hat, sitzt im Café Sacher in<br />
I nsbruck, ihrer Geburtsstadt. Lüster<br />
glitzern, das Holz ist poliert, die<br />
Se se laden in rotem Plüsch. An den<br />
Wänden Bilder aus der kaiserlich-<br />
königlichen Zeit Öste reichs. Die<br />
Männer tragen Kaiser-Wilhelm-<br />
Schnäuze, die Frauen rauschende<br />
Roben. Eine Kuli se, die be ser nicht<br />
pa sen kö nte zu Mariam Irene<br />
Tazi-Preve, einer Frau, welche die<br />
Lebensumstände von Mü tern und<br />
Vätern erforscht. Ein Gespräch mit<br />
vielen Do pelmo kas und zwei Stück<br />
Sachertorte.<br />
Die Kleinfamilie ist falsch aufgesetzt.<br />
Familie ist ein weiterer Begriff, er<br />
umfa st Geschwister, Onkel, Tanten.<br />
Doch in der Politik, den Medien, der<br />
Gese lschaft ist stets von der Kleinfamilie<br />
die Rede.<br />
Die Kleinfamilie ist ein winzig kleines,<br />
sehr fragiles Konstrukt, da sich<br />
«Die Kleinfamilie<br />
mus sich immer<br />
wieder emotional<br />
selbst aufladen.»<br />
die lebenslange romantische Zweierbeziehung<br />
nur in Ausnahmefä len.<br />
Su geriert wird aber, sie sei die Normalität.<br />
Nein. Die Statistik zeigt es ja. Die<br />
Hälfte a ler Ehen wird geschieden.<br />
Die P are, die im Konkubinat leben<br />
und sich tre nen, werden statistisch<br />
gar nicht erfa st. Trennungen und<br />
Scheidungen aber werde noch<br />
immer moralisch sanktioniert. Die<br />
Politik spricht von einem Verfa l der<br />
Werte. Oder man beschuldigt die<br />
Frau, die sich anma st, arbeiten zu<br />
32 August <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi August <strong>2017</strong> 3<br />
Winkelfehlsichtigkeit ist keine Diagnose im medizinischen Sinne,<br />
hier müssten wir korrekt von einer Heterophorie sprechen. Jedes<br />
Kind und jeder Erwachsene mit unklaren Sehstörungen muss von<br />
einer geeigneten Fachperson beurteilt werden, in diesem Fall den<br />
Orthoptistinnen und Orthoptisten. Die Heterophorie ist eine<br />
Ausschlussdiagnose, es gilt abzuklären, was die Sehstörungen<br />
verursacht. Meistens reicht bei unauffälligem Befund die<br />
Verordnung einer Entlastungsbrille ohne Prismen.<br />
Christina (auf www.fritzundfraenzi.ch)<br />
«Der Augenarzt hatte das Problem<br />
nicht erkannt»<br />
(«Winkelfehlsichtigkeit», Heft 8/<strong>2017</strong>)<br />
Bei mir hat sich das Problem erst im mittleren Alter gezeigt, als ich<br />
abends immer ein Auge zudecken oder zudrücken musste, wenn<br />
ich lesen wollte. Mit beiden Augen konnte ich nicht mehr scharf<br />
fokussieren. Hinzu kamen Kopfschmerzen und ein ständig leicht<br />
verkniffenes Gesicht. Der Augenarzt, den ich als Erstes aufsuchte,<br />
hatte das Problem nicht erkannt. Erst als ich zwei Jahre später den<br />
Optiker aufsuchte, wurde die Sache klar.<br />
Caroline (auf www.fritzundfraenzi.ch)<br />
«Hier werde ich nie auf die Vereinbarkeit<br />
von Beruf und Familie angesprochen»<br />
(Monatsinterview mit Mariam Irene Tazi-Preve, Heft 8/<strong>2017</strong>)<br />
Herzlichen Dank für diesen wichtigen, glasklaren Artikel. So fundiert und<br />
deutlich spricht selten jemand zu uns Eltern. Ein richtiger Augenöffner, für<br />
Mütter und Väter (hätte gerne etwas mehr über die Väter gehört). Ich<br />
würde gerne wissen, ob das Thema der Vereinbarkeit(slüge) auch<br />
ausserhalb des deutschsprachigen Raums so stark thematisiert wird. Ich<br />
arbeite (<strong>10</strong>0 Prozent und mehr, leitende Funktion, internationale<br />
Tätigkeit) im Ausland, postsowjetischer Kontext, bin Mutter eines kleinen<br />
Kindes, habe einen erwerbstätigen Partner und werde hier NIE auf die<br />
Vereinbarkeit angesprochen (muss auch keine Fragen zu irgendwelchen<br />
Hüten beantworten – Gott sei Dank!). Zu Hause in der Schweiz aber<br />
ständig. Warum ist das so? Warum ist es schon in Frankreich kaum ein<br />
Thema? Ist diese Kleinfamilie als allselig machendes Konzept nur bei uns<br />
verbreitet?<br />
Simonetta (auf www.fritzundfraenzi.ch)<br />
>>><br />
Praktische Ausbildung<br />
Kleinkinderbetreuung<br />
Infos unter www.ibk-berufsbildung.ch
und Pädagogin mit Herzblut.<br />
Wünsche sind?<br />
enn Sie diese<br />
Zeilen lesen,<br />
haben meine<br />
neuen Erstkla<br />
skinder die<br />
Mikael Krogerus<br />
ist Autor und Journalist.<br />
Der Finne ist Vater einer Tochter<br />
und eines Sohnes, lebt in Biel<br />
und schreibt regelmässig für<br />
das Schweizer ElternMagazin<br />
Fritz+Fränzi und andere<br />
Schweizer Medien.<br />
Kindern):<br />
ausgewogen ernährt.<br />
ha te als ich.<br />
Kolumne<br />
Auto zur Schule zu fahren.<br />
Unterstützen Sie Ihr Kind dabei,<br />
Dinge selbst zu tun<br />
hat und ob es die Aufgaben erledigt<br />
hat.<br />
Setzen Sie Regeln und Grenzen<br />
akzeptieren.<br />
Schulerfolg bei.<br />
Suchen Sie das Gespräch<br />
Ihres Kindes.<br />
bauberufe.ch/ste len<br />
bewerben!<br />
Ende nichts hängen bleibe.<br />
Freiheiten la sen als bisher angenommen.<br />
nicht konzentrieren!<br />
Forschung eindrücklich.<br />
ie sieht «richtiges<br />
Lernen»<br />
aus? Dazu gibt<br />
es eine Menge<br />
Vorste lungen<br />
möglichst reizarm sein so l. Neuere<br />
Studien deuten jedoch darauf hin,<br />
hören waren.<br />
einen ist si eine Lernhilfe, für den<br />
anderen eine Belastung und Ablenkung.<br />
gierten Müttern und Vätern pilgern<br />
mit dem Nachwuchs in die Büroabteilungen,<br />
um ergonomisch geformte<br />
Schreibtischstühle, höhenverste l-<br />
Arbeitsstimmung versetzt.<br />
begi nen zu gähnen.<br />
dem Lernen zu verknüpfen.<br />
Leserbriefe<br />
« Was soll ich machen,<br />
wenn ich traurig bin?»<br />
W<br />
a soll ich machen, we n ich traurig bin?» Die Frage kam<br />
etwas unvermi telt, aber meine Tochter ha te sie geste lt,<br />
und nun schaute sie mich fragend an. In ihrem Gesicht<br />
konnte ich nicht eindeutig erke nen, ob e sich um eine<br />
klinische Depre sion handelte, einen frühen Liebeskummer<br />
oder einfach um jene bodenlose Traurigkeit, die uns Menschen in den<br />
merkwürdigsten Momenten anfällt wie ein böser Hund. Ich schluckte. Zu dem<br />
Schock, dass es meinem Kind schlecht gehen kö nte, gese lte sich schleichend<br />
Lernmythen auf dem Prüfstand<br />
Es gibt viele Vorste lungen und Ratschläge darüber, wie Kinder «richtig» lernen. Dabei zeigt die<br />
jüngste Forschung, da s wir unseren Kindern deutlich mehr Freiheiten la sen können als<br />
empfinden. Gerade bei leicht<br />
ablenkbaren Kindern wird oft empfohlen,<br />
da s die Lernumgebung<br />
Erziehung & Schule<br />
Ein Kinderzimmer ist mit<br />
«Nach der Lektüre fühle ich<br />
mich nicht mehr traurig»<br />
(Kolumne von Mikael Krogerus: «Papa, was<br />
mache ich, wenn ich traurig bin?», Heft 8/<strong>2017</strong>)<br />
I lustration: Petra Dufkova / Die I lustratoren<br />
die ungute Einsicht, da s ich, im fortgeschri tenen Alter von 40 Jahren, noch<br />
immer nicht wei s, was Traurigkeit lindert.<br />
Vor vielen Jahren hatte ich der öste reichischen Schriftste lerin Friederike<br />
Mayröcker die gleiche Frage gestellt. Sie war damals tief in der Trauerarbeit<br />
um ihren verstorbenen Lebenspartner Paul Jandl versunken und ha te mit<br />
«Und ich schüttelte einen Liebling» so etwas wie eine persönliche Eri nerung,<br />
einen Nachruf auf Jandl verfa st. Das Buch war ihr Versuch, das Unsagbare<br />
in Worte zu kleiden und ihm so den Schrecken zu nehmen. Ich sa s damals in<br />
einem Wiener Kaff ehaus der alten, gebückten Dame gegenüber und fragte sie:<br />
«Was lindert die Trauer?»<br />
Sie überlegte lange, und da n sagte sie: «Gehen. Seh rasch und viel gehen.<br />
Das ist gut, wenn man einen gro sen Schmerz hat. So ka n man den überbrücken.»<br />
Ich verstand auf Anhieb. Auch mir hat Gehen in so manch dunkler Stunde<br />
geholfen. Paradoxerweise endet beim Gehen das Grübeln und begi nt das<br />
Denken. Und we richtig weit läuft, bei dem hört beides auf. Besonders<br />
gut geht e sich übrigens in Gro sstädten, denn wie viel Kümmerni se du<br />
auch mit dir herumträgst, so genügen doch oft nur wenige Schri te, um auf<br />
jemanden zu sto sen, der im Spiel des Lebens noch schlechtere Karten gezogen<br />
hat als du.<br />
Gleichzeitig ist das kein Ratschlag für eine Zehnjährige. Also fragte ich sie:<br />
«Was machst du, we n du traurig bist?»<br />
Sie dachte kurz nach, da n sagte sie: «Ich weine. Da n gehe ich zu dir oder<br />
zu Mamma. Und dann mache ich etwas, was mir Spa s macht.»<br />
Sie schaute mich an und schaute da n auf ihre Uhr: Es war 14 Uhr, sie<br />
mu ste zum Zirkus. Also sprang sie auf, kü ste mich und ra nte zur Tür<br />
hinaus.<br />
Ich schaute ihr aus dem Fenster hinterher und ha te ihre Worte im Kopf:<br />
Gefühle zula sen; Leute suchen, bei denen du dich aufgehoben fühlst; Dinge<br />
tun, die dir etwas bedeuten. Das waren ziemlich gute Ratschläge. Plötzlich<br />
drehte sie sich um und winkte mir. Ich winkte zurück und dachte bei mir, da s<br />
sie für eines der gro sen Rätsel des Lebens deutlich weniger Zeit gebraucht<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi August <strong>2017</strong> 67<br />
Vielen herzlichen Dank für diesen wunderschönen Artikel.<br />
Kurz und gut. Nach der Lektüre fühle ich mich momentan<br />
nicht mehr traurig, sondern nur noch leicht sentimental,<br />
mi dem nu eines chelns auf dem esich<br />
Irma (auf www.fritzundfraenzi.ch)<br />
«Wenn sie könnten,<br />
würden gewisse Eltern<br />
ihre Kinder in die<br />
Schule hinein fahren»<br />
Erziehung & Schule<br />
Die Wünsche einer Lehrerin an<br />
die Eltern ihrer Erstklasskinder<br />
Unsere Autorin hat nach den Sommerferien eine erste Kla se übernommen. Als Lehrerin mit fast<br />
30 Jahren Erfahrung hat sie klare Erwartungen an die Eltern ihrer Erstkla skinder. Diese gelten im<br />
Grundsatz für die Eltern aller Kinder, bis hin zur Oberstufe. Eine Wunschliste! Text: Marion Heidelberger<br />
«Schulerfolg hat viel<br />
mit der Kooperation<br />
zwischen Elternhaus<br />
und Schule zu tun.»<br />
Marion Heidelberger ist<br />
Vizepräsidentin des Dachverbands<br />
Lehreri nen und Lehrer Schweiz (LCH)<br />
W<br />
erste Schulwoche schon hinter sich.<br />
Ich habe mich sehr auf die Buben<br />
und Mädchen mit ihren viel zu grossen<br />
Theks am Rücken gefreut.<br />
Ob ich a len gerecht werden<br />
kann? Ob mein Unte richt für a le<br />
pa st? Ob mich die Schülerinnen<br />
und Schüler mögen? Ob ich mit<br />
a len Eltern klarkomme? Wie wohl<br />
die einzelnen Erwartungen und<br />
(«Eine Lehrerin schreibt ihre Wunschliste<br />
an Eltern von Erstklässlern», Heft 8/<strong>2017</strong>)<br />
Für mich ist auch nach fast 30<br />
Berufsjahren die Übernahm einer<br />
neuen Kla se ein Abenteuer geblieben.<br />
So wie Kinder und vor a lem<br />
Eltern Wünsche an mich haben, so<br />
habe ich einige an sie. Schulerfolg<br />
hat sehr viel mit der K operation<br />
zwischen Elternhaus und Schule zu<br />
tun. Ein Am-gleichen-Strick-Ziehen<br />
bietet die Grundlage, da s das Kind<br />
sich in der Schule wohl fühlt und<br />
sein ganzes Potenzial entfalten ka n.<br />
Meine Wunschliste an die Eltern<br />
meiner neuen Erstkla skinder (die<br />
Wünsche gelten aber – leicht angepa<br />
st – auch für Eltern von älteren<br />
Sorgen Sie für genügend Schlaf des<br />
Kindes<br />
• Genügend Schlaf erhöht die Leistungsfähigkeit.<br />
• Ihr Kind so lte auf jegliche Bildschirmnutzung<br />
ab 90 Minuten vor<br />
dem Zubettgehen verzichten.<br />
Achten Sie auf eine ausgewogene<br />
Ernährung<br />
• Mit l erem Bauch lernt e sich<br />
schlecht. Achten Sie darauf, da s<br />
Ihr Kind sich am Morgen und<br />
währen des Tages gesund und<br />
La sen Sie Ihr Kind den Schulweg<br />
alleine gehen<br />
• Sorgen Sie dafür, da s Ihr Kind<br />
jeweils früh genug aus dem Haus<br />
kommt. Auf dem Schulweg passieren<br />
die wirklich wichtigen Din-<br />
ge. Nirgends können Freundschaften<br />
be ser gepflegt werden.<br />
Zudem verhindern Sie, da s Ihr<br />
Kind rennen mu s und so den<br />
Verkehr zu wenig beachtet.<br />
• Seien Sie Vorbild, das ist die beste<br />
Verkehrserziehung.<br />
• Kinder lieben Schnee und Regen,<br />
es ist auch an garstigen Tagen<br />
nicht nötig, Ihr Kind mit dem<br />
• Das ist der wichtigste Grundsatz<br />
überhaupt. Nicht Sie packen<br />
Ihrem Kin den Turnsack und<br />
räumen ihm sein Zimmer auf –<br />
da soll es selbst erledigen.<br />
• Machen Si einen Ämtliplan für<br />
einfache Arbeiten zu Hause (Tisch<br />
decken oder abräumen, Haustier<br />
fü tern, Blumen gie sen, Zimmer<br />
aufräumen). So trainieren Sie mit<br />
Ihrem Kind jeden Tag Selbständigkeit,<br />
Pflichtbewu stsein und<br />
Eigenverantwortung, drei wichtige<br />
Faktoren für Schulerfolg.<br />
• Übernehmen Sie nicht die Hausaufgaben<br />
für Ihr Kind! Sie so lten<br />
Sie auch nicht ko rigieren, das ist<br />
mein Job. Aber Sie dürfen Ihr<br />
Kind ruhig fragen, was es zu tun<br />
• Lehren Sie Ihr Kind, Regeln zu<br />
respektieren. Kinder brauchen<br />
Grenzen und Leitlinien. Am bes-<br />
54 August <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
ten geht das, wenn es auch zu<br />
Hause ein p ar Regeln gibt. Lieber<br />
nicht zu viele, dafür werden die<br />
wenigen konsequent durchgesetzt.<br />
So helfen Sie Ihrem Kind,<br />
sich in einer Gru pe zu integrieren.<br />
• Eine gute Sozialkompetenz ist<br />
eine Eigenschaft, die auch in einer<br />
Berufslehr einen hohen Ste lenwert<br />
hat. Je früher ein Kind dies<br />
lernt, desto einfacher ist es. Dazu<br />
gehört auch, Sanktionen für das<br />
Nichtbefolgen von Regeln zu<br />
Zeigen Sie Intere se an der Schule<br />
• Fragen Sie bei Ihrem Kind nach,<br />
was es beschäftigt, was es in der<br />
Schule erlebt hat und was es gerade<br />
lernt.<br />
• Durch aktives Zuhören zeigen Sie<br />
Ihrem Kind, da s für Sie Schule<br />
MACHE KARRIERE<br />
AUF DEM BAU!<br />
wichtig ist. Bei diesem Nachfragen<br />
werden Sie auch merken,<br />
wenn etwas nicht in Ordnung ist<br />
oder es Konflikte gibt.<br />
Vertrauen Sie auf Ihre Fähigkeiten<br />
und die Ihres Kindes<br />
• Haben Si eine positive Haltung<br />
der Schule und der Lehrperson<br />
gegenüber. Denn a le haben ein<br />
gemeinsames Ziel: das Beste für<br />
Ihr Kind.<br />
• Vertrauen Sie auf Ihre Erziehung<br />
und die Fähigkeiten Ihres Kindes.<br />
Das macht Ihr Kind stark. So<br />
unterstützen Sie Ihr Kind am besten<br />
und tragen damit viel zum<br />
• Zögern Sie nicht, die Lehrperson<br />
zu informieren, wenn sich zu<br />
Hause Veränderungen ergeben<br />
(Erwerbslosigkeit, Tre nung, Ge -<br />
burt eines Geschwisters, Krank-<br />
Vertrauen Sie auf Ihre<br />
Erziehung und die<br />
Fähigkeiten Ihres Kindes.<br />
heit, Todesfa l, Umzug, ein neues<br />
Haustier).<br />
• Fragen Sie unbedingt nach, we n<br />
Sie etwas nicht verstehen oder Sie<br />
das Gefühl haben, Ihr Kind fühle<br />
sich nicht wohl. Da n ka n man<br />
gemeinsam eine Lösung suchen.<br />
Oft genug sind es Mi sverständni<br />
se, die schne l geklärt werden<br />
kö nen.<br />
• Eine gute Gesprächskultur zwischen<br />
Schule und Elternhaus ist<br />
das A und O des Schulerfolges<br />
BIST DU AUF DER SUCHE<br />
NACH EINER PASSENDEN<br />
LEHRSTELLE?<br />
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bauberufe.ch/stellen len deinen eigenen,<br />
digitalen Lebenslauf erste len und dich<br />
direkt auf eine spannende Lehrste le<br />
bisher angenommen. Eine Bestandsaufnahme. Text: Stefanie Rietzler und Fabian Grolimund<br />
W<br />
und Ratschläge, die seit Jahrzehnten<br />
weitergegeben werden. Lernt ein<br />
Kind oder Jugendlicher auf eine<br />
andere Art und Weise, wird er rasch<br />
dazu aufgefordert, sich beispielsweise<br />
«ordentlic hinzusetzen und<br />
nicht herumzuhampeln». Es wird<br />
ihm erklärt, dass man sich so «doch<br />
nicht konzentrieren kann» und er<br />
sich nicht wundern mü se, we n am<br />
Doch dürfen wir den gängigen<br />
Lernratgebern trauen, wenn sie<br />
einen festen Arbeitsplatz und Ruhe<br />
verordnen und betonen, da s das<br />
Kin die Hausaufgaben in einer<br />
ordentlichen Arbeitshaltung a leine<br />
in seinem Zimmer machen so l?<br />
Die Forschung zeigt: Wir dürfen<br />
den Kindern und Jugendlichen<br />
guten Gewi sens deutlich mehr<br />
Mythos 1: Mach die Musik<br />
aus! So kannst du dich doch<br />
Dieser Ratschlag ist für viele Menschen<br />
hilfreich. Vor a lem introvertierten<br />
Personen gelingt es besonders<br />
gut, sich zu foku sieren, we n sie in<br />
Ruhe arbeiten kö nen – das zeigt die<br />
Es gibt jedoch auch Menschen,<br />
die das Arbeiten bei Sti le als Qual<br />
42 August <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Bild: Salvatore Vinci /13 Photo<br />
da s dies kontraproduktiv ist. Die<br />
Sti le führt bei unaufmerksamen<br />
Kindern dazu, da s sie innerlich<br />
unruhig werden und unbewu st<br />
nach Ablenkung suchen. In Studien<br />
machten diese Kinder beim Lösen<br />
von Mathematikaufgaben weniger<br />
Fehler, we n sie dazu Musik hören<br />
durften. Sie ko nten sich bei einem<br />
Gedächtnistest auch an mehr erinnern,<br />
we n während der Lernphase<br />
moderate Hintergrundgeräusche zu<br />
Viele Jugendliche berichten zu -<br />
dem, da sie die richtige Musik in<br />
die nötige Stimmung versetze, um<br />
auch unliebsamen Aufgaben zu Leibe<br />
zu rücken. Neben der Konzentration<br />
kann also auch die Motivation<br />
durch die pa sende Musik<br />
gefördert werden.<br />
We n Ihr Kind mit Musik arbeiten<br />
möchte, empfehlen wir Folgendes:<br />
Erste len Sie gemeinsam eine<br />
Playlist mit Liedern, die sich zum<br />
Lernen eignen (ehe ruhige Stücke<br />
ohne Text). Das Drücken der Playtaste<br />
kann von diesem Moment an<br />
zum Startsignal werden und dem<br />
Kind helfen, anzufangen und in die<br />
Arbeit einzutauchen.<br />
Was jedoch stört, sind Geräusche,<br />
die zum Hinhören und Mitmachen<br />
einladen – beispielsweise der<br />
Ton eine spa nenden Films, der im<br />
Hintergrund läuft, eine Radioansage<br />
oder Gespräche von anderen.<br />
Zum Thema Musik gilt also: ausprobieren!<br />
Wir Menschen reagieren<br />
unterschiedlich darauf. Für den<br />
Mythos 2: Kinder benötigen<br />
einen fixen Arbeitsplatz!<br />
Wenn der Schuleintri t bevorsteht,<br />
haben die Möbelhäuser einmal mehr<br />
bare Pulte und augenfreundliche<br />
Leselampen auf Herz und Nieren zu<br />
prüfen. Kurze Zeit später ist der optimale<br />
Arbeitsplatz im Kinderzimmer<br />
eingerichtet. So weit, so gut. Vieles<br />
spricht dafür, die Hausaufgaben stets<br />
im Kinderzimmer zu erledigen: das<br />
Kind ka n sich zurückziehen, wird<br />
nicht von den Geschwistern bei der<br />
Arbeit unterbrochen und so lte nach<br />
und nach lernen, selbständig zu<br />
arbeiten.<br />
Für einen fixen Arbeitsort scheinen<br />
auch Konditionierungseffekte<br />
zu sprechen: Wird immer am gleichen<br />
Ort gearbeitet, verbindet das<br />
Gehirn diesen Ort nach und nach<br />
mit dieser Tätigkeit. Das ka n sehr<br />
nützlich sein: Sobald Sie sich ins<br />
Büro setzen un den Computer<br />
hochfahren, fühlen Sie sich in<br />
Zudem zeigen Studien aus der<br />
Gedächtnisforschung, da s man sich<br />
be ser an Inhalt erinnert, wenn<br />
man diese mehrmals am gleichen<br />
Ort lernt und dort abruft. Zu diesem<br />
Thema wurden einige intere sante<br />
Experimente durchgeführt. So<br />
ko nten beispielsweise Taucher, die<br />
sich unter Wa ser Listen mit Wörtern<br />
eingeprägt ha ten, diese unter<br />
Wa ser be ser eri nern als an Land<br />
und umgekehrt. Diese Wirkung der<br />
Umgebung auf die Lern- und Abrufleistung<br />
wird als kontextabhängiges<br />
Eri nern bezeichnet.<br />
Genau diese beiden Effekte können<br />
aber auch zur Fa le werden. Der<br />
Mechanismus des kontextabhängigen<br />
Erinnern spricht nicht unbedingt<br />
dafür, immer am gleichen Ort<br />
zu lernen. Prägt man sich den Stoff<br />
immer in derselben Umgebung ein,<br />
ka n man sich dort zwar be ser an<br />
Hochkonjunktur. Scharen an enga- >>><br />
das Gelernte erinnern – dafür wird<br />
es an a len anderen Orten schwieriger.<br />
We n man also nicht die Chance<br />
hat, genau dort zu lernen, wo<br />
auch geprüft wird, kann man sich<br />
Freizeitstimmung assoz iert.<br />
Es ist ein denkbar schlechter<br />
Ort zum Lernen.<br />
stärker auf Wi sen verla sen, das<br />
man an unterschiedlichen Orten<br />
gelernt hat.<br />
Ähnlich verhält e sich mit Konditionierungse<br />
fekten: Macht ein<br />
Kind regelmä sig sehr positive<br />
Erfahrungen beim Lernen, hilft ihm<br />
ein fixer Arbeitsort, in seine Arbeitsstimmung<br />
zu kommen. Bei vielen<br />
Kindern, die das Lernen eher mit<br />
Frust und Mühsal verbinden, passiert<br />
genau das Gegenteil. Kaum<br />
sitzen sie auf ihrem Bürostuhl am<br />
Pult, kann man zusehen, wie sie<br />
i nerlich abschalten und körperlich<br />
erschlaffen. Das Gesicht schläft ein,<br />
der Blutdruck sinkt ab und sie<br />
In diesem Fa l kann ein Ortswechsel<br />
einen Neustart mit sich<br />
bringen und dem Kind dabei helfen,<br />
neue, positivere Erfahrungen mit<br />
Konditionierungseffekte machen<br />
auch das eigene Zimmer für viele<br />
Kinder und Jugendliche zum un -<br />
günstigsten Lernort überhaupt.<br />
Denn was tut das Kind normalerweise<br />
in seinem Schlafzimmer?<br />
Spielen! Dieser Ort ist demnach mit<br />
Freizeitstimmung a soz iert. Kaum<br />
ro lt Ihr Kind mit dem ergonomisch<br />
geformten Stuhl an den höhenverste<br />
lbaren Tisch, fa len ihm die<br />
spannenden Spielsachen ins Auge.<br />
Die Sehnsucht, aufzustehen und sich<br />
damit zu beschäftigen, wächst.<br />
Nun benötigt das Kind eine grosse<br />
Portion Selbstdisziplin, um seine<br />
Aufmerksamkeit weiterhin auf die<br />
Aufgaben zu lenken. E sagt sich<br />
vie leicht: «Eigentlich wür-<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi August <strong>2017</strong> 43<br />
«Ich habe es meinen Kindern überlassen,<br />
wie und wo sie die Hausaufgaben machen»<br />
(«Lernmythen auf dem Prüfstand», Heft 8/<strong>2017</strong>)<br />
«Musik aus und setz dich an den Tisch!» Standardspruch meiner<br />
Mutter, denn ich liebte es, meine Hausaufgaben liegend auf dem<br />
Fussboden zu machen – bei … Musik! Denn sie war meine freiwillig<br />
ehle eruschulisse er das alles durfe nich sein eil<br />
«man» das so nicht macht! Auch das habe ich überlebt und vor<br />
allem daraus gelernt. Ich habe es meinen Kindern überlassen, wie<br />
und wo sie ihre Hausaufgaben machen. Denn alles ist erlaubt, was<br />
glücklich macht und hilft, Lernerfolge zu erzielen. Wir sind nun mal<br />
alle Individuen mit unterschiedlichen Bedürfnissen, und die sollten<br />
auch bei Kindern berücksichtigt werden.<br />
Ingrid (auf Facebook)<br />
Unsere Kinder meistern ihren Schulweg schon seit dem<br />
Kindergarten selber. Wir wohnen etwas ausserhalb (3 km<br />
mit dem Velo), am Anfang haben eine Kollegin und ich uns<br />
abgewechselt und sind immer ein Stückchen mit. Bis heute<br />
(1. und 3. Klasse) machen es beide super. Auch bei uns<br />
sehen wir viele, die die Kids mit dem Auto bis fast vor die<br />
chulre chauffieren enn sie nnen rden sie sie<br />
ermulich ins eude hinein fahren die ehrer mussen<br />
schon einmal einen eel an die inansr hnen auf<br />
dem stand, dass die Eltern die Kinder doch bitte wenigstens<br />
die letzten paar Meter alleine gehen lassen sollen. Der<br />
Schulweg ist doch so wichtig: Die Kinder lernen, Verantwortung<br />
zu tragen (Pünktlichkeit), streiten auch manchmal und<br />
lernen, sich wieder zu versöhnen, und nehmen die Natur<br />
wahr (Vögel, Füchse, Schnecken …). Die Verantwortung,<br />
wenn etwas passiert, werden dann wohl wir als Eltern<br />
übernehmen. Aber es kann auch etwas vor dem Schulzimmer<br />
passieren. Zum Beispiel, dass sie von einem Auto<br />
anderer Eltern erfasst werden (ist alles schon passiert!).<br />
Und dass man mit dem Velo mal einen Sturz hat oder die<br />
ee rausfll olche ine assieren und machen die<br />
inder meiner einun nach nur selsndier<br />
Petra (auf Facebook)<br />
«Meine Söhne fanden<br />
Adi & Jess cool»<br />
(«Lernmythen auf dem Prüfstand», Heft 8/<strong>2017</strong>)<br />
Kompliment für Ihre neue Serie Adi & Jess! Habe sie meinen<br />
Söhnen auch gezeigt und sie fanden es cool. Ich warte gespannt<br />
auf die weiteren Episoden. Danke.<br />
Sandy (auf www.fritzundfraenzi.ch)<br />
Schreiben Sie uns!<br />
Ihre Meinung ist uns wichtig! Was machen wir gut?<br />
Was könnten wir besser machen? Lassen Sie es uns<br />
wissen! Sie erreichen uns über: leserbriefe@fritzundfraenzi.ch<br />
oder edaion rirni ufoursrasse rich<br />
Und natürlich auch über Twitter: @fritzundfraenzi oder<br />
Facebook: www.facebook.com/fritzundfraenzi.<br />
runen ehl sich die edaion or<br />
66 Oktober <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Stiftung Elternsein<br />
Herbst ist Erntezeit<br />
Ellen Ringier über das Loslassen.<br />
Bild: Maurice Haas / 13 Photo<br />
Dr. Ellen Ringier präsidiert<br />
die Stiftung Elternsein.<br />
Sie ist Mutter zweier Töchter.<br />
Zwei Monate sind seit meiner Rückkehr<br />
aus den Ferien vergangen. Es war das<br />
erste Mal, dass wir alle – und damit meine<br />
ich beide Töchter, deren Partner und<br />
die beiden Enkel, meine beiden Schwestern,<br />
meinen Schwager mit Nichte und<br />
Neffe, zwei Hunde, meinen Mann und<br />
ich – gemeinsam in die Ferien gefahren<br />
sind!<br />
Ein wenig kam ich mir vor wie die legendäre Rose<br />
Kennedy. Sie war die Mutter des 35. Präsidenten der<br />
USA, John F. Kennedy, des ehemaligen Justizministers<br />
Robert F. Kennedy und des US-Senators Edward Kennedy.<br />
Rose Kennedy hat neun Kindern das Leben<br />
geschenkt! Sie war «berühmt-berüchtigt» dafür, dass<br />
sie jeweils die gesamte Familie in den Sommerferien<br />
in ihr legendäres Sommerhaus in Hyannis Port<br />
be orderte.<br />
Nun, ich habe niemanden beordert, nur allen nahegelegt,<br />
dass es schön wäre, sich am französischen<br />
Strand des Atlantiks zusammenzufinden.<br />
Und: Es war schön, sehr sogar!<br />
Zwischendurch gesellten sich noch zwei Freunde<br />
des Partners meiner älteren Tochter dazu, sie halfen<br />
zusammen mit meinen jungen Erwachsenen und<br />
denen meiner Schwester nach Kräften mit, ein<br />
Geburtstagsfest, mehrere Strandpartys und Grillabende<br />
zu organisieren.<br />
Mein Mann und ich schauten dem fröhlichen Treiben<br />
mit grosser Freude zu, staunend, wie viel Energie<br />
die junge Truppe an den Tag legte. Eine neue Empfindung<br />
machte sich Platz: Gelassenheit.<br />
Es ist vielleicht das erste Mal, dass ich mir bewusst<br />
wurde, wie viel Energie mir im Laufe meines 65-jährigen<br />
Lebens schon abhandengekommen ist. Zum ersten<br />
Mal wurde mir auch bewusst, was es heisst, langsam<br />
loslassen zu müssen.<br />
Bis zu diesem Sommer waren alle anderen, meine<br />
92-jährige Mutter, auch meine gleichaltrigen Freunde,<br />
mehr oder wenig offensichtlich älter geworden. Nur<br />
ich nicht!<br />
Und dann starb, drei Tage nach unserer Rückkehr, aus<br />
heiterem Himmel unser bester Freund, der uns die<br />
letzten 30 Jahre begleitet hatte, von dessen Energie<br />
und beneidenswerter Vitalität wir so unglaublich viel<br />
profitiert hatten. Herzversagen.<br />
Nun will ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser,<br />
selbstverständlich keinen Nachruf zumuten! Vielmehr<br />
liegt mir daran, Ihnen etwas mitzugeben, das ich gerne<br />
schon früher erfahren hätte. Vermutlich hätte ich<br />
mir viele Narben auf der Seele ersparen können.<br />
Ich lebte nach dem Motto «Vertrauen ist gut, Kontrolle<br />
ist besser», und meine Töchter haben mich wohl<br />
als Kontrollfreak erlebt.<br />
Meine Gedanken kreisen seit diesem unvergesslichen<br />
Sommer um das Thema des Loslassens. Es wird<br />
in jedem Leben einmal Herbst. Herbst ist Erntezeit.<br />
Ich empfinde den Frieden, die Freude und Fröhlichkeit<br />
meiner Familie in diesem Sommer gewissermassen<br />
als «Ernte». Die vielen Jahre der Sorgen um unsere<br />
Kinder sind nun der Gewissheit gewichen, dass<br />
diese ihren Weg gehen werden und dass der von<br />
ihnen gewählte Weg ein guter ist. Von nun an ist es<br />
ihr Weg.<br />
Ich wüsste zu gerne, wie schwer es Rose Kennedy<br />
gefallen ist, ihre neun Kinder, eins nach dem anderen,<br />
rechtzeitig loszulassen.<br />
Rose Kennedy hat zu Protokoll gegeben:<br />
«Man sagt, die Zeit heile alle Wunden, dem stimme<br />
ich nicht zu. Die Wunden bleiben. Mit der Zeit<br />
schützt die Seele den gesunden Verstand und bedeckt<br />
ihn mit Narbengewebe und der Schmerz lässt nach.<br />
Aber er verschwindet nie ganz.»<br />
STIFTUNG ELTERNSEIN<br />
«Eltern werden ist nicht schwer,<br />
Eltern sein dagegen sehr.» Frei nach Wilhelm Busch<br />
Oft fühlen sich Eltern alleingelassen in ihren Unsicherheiten,<br />
Fragen, Sorgen. Hier setzt die Stiftung Elternsein<br />
an ie riche sich an lern on schulichien indern<br />
und Jugendlichen. Sie fördert den Dialog zwischen<br />
lern indern ehrern und die Verneun der elern<br />
und erziehungsrelevanten Organisationen in der<br />
deutschs prachigen Schweiz. Die Stiftung Elternsein<br />
gibt das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi heraus.<br />
www.elternsein.ch<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Oktober <strong>2017</strong> 67
Erziehung & Schule<br />
Aus zwei<br />
mach drei.<br />
Oder vier.<br />
Immer mehr junge Menschen wünschen<br />
sich drei oder mehr Kinder. Noch klaffen<br />
Wunsch und Wirklichkeit auseinander –<br />
doch es ist ein Trend weg vom<br />
Zweikindfamilien-Ideal auszumachen.<br />
Aus dem Leben zweier Grossfamilien.<br />
Text: Sandra Casalini Bilder: Désirée Good / 13 Photo<br />
68 68<br />
Oktober <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Ohne Lilani hätte<br />
Andy, Lorin, Nael,<br />
Andris und Mara<br />
Jacob (v. l.)<br />
jemand gefehlt.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Oktober <strong>2017</strong> 69 69
Erziehung & Schule<br />
Ich au! Das sind die beiden<br />
Worte, welche Lilani wohl am<br />
häufigsten ausspricht. Die<br />
Zweijährige will alles machen,<br />
was ihre drei älteren Brüder<br />
tun. Dass diese sieben bis zehn Jahre<br />
älter sind als sie, ist der Kleinen<br />
dabei herzlich egal. Eifrig klettert sie<br />
zu Lorin, 12, Nael, 11, und Andris,<br />
9, in die Hängematte und quetscht<br />
sich zwischen sie. Die Buben kichern<br />
und geben mit den Füssen an, um<br />
hin- und herzuschaukeln.<br />
Klein Lilani tobt heute durch den<br />
Garten des Einfamilienhauses der<br />
Familie in Thalwil ZH – der Excel-<br />
Liste ihrer Eltern Mara und Andy<br />
Jacob zum Trotz. Auf dieser Liste –<br />
die mittlerweile zuvorderst in Lilanis<br />
Fotoalbum prangt – hielten ihre<br />
Eltern alles fest, was für und was<br />
gegen ein viertes Kind spricht. Und<br />
die Kontra-Spalte war bedeutend<br />
länger als die Pro-Spalte. «Aber<br />
wenn Kinderbekommen ein rein<br />
rationaler Entscheid wäre, hätte niemand<br />
welche. Schlussendlich kam<br />
das Ja aus dem Herzen und dem<br />
Bauch», sagt Mara Jacob.<br />
Das war auch bei Familie Wolf<br />
aus St. Antönien GR so. Ohne<br />
Simon, mittlerweile 6 Jahre alt, habe<br />
sich die Familie nicht komplett<br />
angefühlt, sagt Christina Wolf. So<br />
bekamen Ramona, 12, und Mario,<br />
<strong>10</strong>, als Primarschülerin beziehungsweise<br />
Kindergärtler nochmals einen<br />
Bruder. «Ich habe mich uuuuh<br />
gefreut!», sprudelt es aus Ramona<br />
heute noch heraus. «Sie wollte das<br />
Baby ständig herumtragen und<br />
wickeln. Man musste sie fast bremsen»,<br />
erzählt Vater Hansandrea Wolf<br />
lachend. Für Wolfs ist jedenfalls klar:<br />
«Drei sind besser als zwei!»<br />
Mit drei oder gar vier Kindern<br />
sind die Wolfs und die Jacobs hierzulande<br />
zwar nach wie vor eher eine<br />
Ausnahme. Aber langsam lässt sich<br />
eine Trendwende beobachten. Zum<br />
einen geben immer mehr kinderlose<br />
junge Frauen und Männer an, von<br />
mehr als zwei Kindern zu träumen:<br />
2015 waren es laut einer Umfrage<br />
des Bundesamtes für Statistik über<br />
ein Viertel von 17 000 befragten Personen.<br />
Zum anderen steigt die Ge -<br />
burtenrate der Drittkinder tatsächlich<br />
an – so waren es 20<strong>10</strong> in der<br />
Schweiz 7,5 Prozent mehr als 2007.<br />
Helfende Hände beim Wickeln<br />
und Schöppelen<br />
Christina Wolf ist mit einer Schwester<br />
aufgewachsen, ihr Mann Hansandrea<br />
mit einem Bruder. Beide<br />
sagen, sie hätten als Kinder gern<br />
mehr als nur ein Geschwister gehabt.<br />
So war ziemlich bald nach Marios<br />
Geburt klar: Das war noch nicht<br />
alles. Die Pause zwischen Nummer<br />
zwei und drei habe sie aber genossen,<br />
sagt Christina Wolf. Zumal Ramona<br />
in den ersten paar Wochen ein<br />
Schreibaby war und wegen eines<br />
Blutschwamms an ihrem Ohr einige<br />
Operationen und Spitalaufenthalte<br />
nötig waren. Die Zeit danach mit<br />
Kleinkind und dem zweiten Baby sei<br />
sehr anstrengend gewesen.<br />
Mit Simon nochmals von vorn<br />
anzufangen, nachdem die anderen<br />
beiden bereits aus dem Gröbsten<br />
raus waren, sei dagegen total problemlos<br />
gewesen, sagt Christina<br />
Wolf. «Er war ein sehr pflegeleichtes<br />
Baby, schlief mit zehn Wochen<br />
durch und wachte auch davor nur<br />
ein- oder zweimal auf pro Nacht.<br />
Zudem halfen die Grossen beim<br />
Wickeln und Schöppelen kräftig<br />
Drei sitzen,<br />
einer zieht:<br />
das Viererteam<br />
der Familie<br />
Jacobs.<br />
mit.» Das Geschwistertrio hat von<br />
Anfang an gut harmoniert. Auch<br />
heute ist selten mal eines das fünfte<br />
Rad am Wagen. «Sie können alles<br />
sehr gut zu dritt. Auch streiten»,<br />
erzählt ihre Mutter schmunzelnd.<br />
Keines der beiden älteren Kinder sei<br />
je eifersüchtig gewesen. Im Gegenteil.<br />
Mario freute sich, nicht mehr<br />
das Nesthäkchen zu sein, und<br />
Ramona liebte ihren kleinsten Bruder<br />
von Anfang an heiss. «Ich habe<br />
70 Oktober <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
ihn stundenlang in einer Kiste<br />
durchs Haus gezogen», sagt sie<br />
lachend.<br />
Auch bei Familie Jacob war Eifersucht<br />
nie ein Thema. Für ihn habe<br />
sich mit Lilanis Ankunft nicht viel<br />
verändert, meint Lorin, der Älteste,<br />
schulterzuckend. Andris gefiel es,<br />
nicht mehr der Jüngste zu sein. Nur<br />
Nael, der Zweitälteste, findet, manche<br />
Dinge seien schon ein bisschen<br />
doof gewesen – «zum Beispiel mussten<br />
wir immer ruhig sein, wenn Lilani<br />
Mittagsschlaf hielt.»<br />
Bei der Ruderregatta statt<br />
auf dem Spielplatz<br />
Sie habe die Befürchtung gehabt, die<br />
Jüngste wachse wegen des grossen<br />
Altersabstandes wie ein Einzelkind<br />
auf, sagt Mara Jacob. Das sei aber<br />
überhaupt nicht der Fall: «Sie ist<br />
überall dabei. Natürlich muss man<br />
sich ab und zu mal ihr >>><br />
Ein Viertel aller Kinderlosen<br />
in der Schweiz träumt<br />
von einer Familie mit mehr<br />
als zwei Kindern.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Oktober <strong>2017</strong> 71
«Es braucht mehr<br />
Teilzeitarbeit und<br />
mehr Uni-Kitas»<br />
Autorin, Philosophin und Fünffach-<br />
Mutter Daniela Nagel über ihre<br />
lebendige Grossfamilie, warum sich<br />
junge Leute wieder mehr Kinder<br />
wünschen und die Herausforderung,<br />
allen gerecht zu werden.<br />
Interview: Sandra Casalini<br />
Frau Nagel, das erste Baby verändert<br />
alles. Welches Ihrer vier nachfolgenden<br />
Kinder hat das Familiengefüge am<br />
eisten beeinflusst<br />
Nummer drei und vier sind Zwillinge, daher<br />
war dies rein praktisch die grösste Zäsur.<br />
Weder der alte Kinderwagen noch das Auto<br />
reichten nun aus. Dennoch hatten wir erst<br />
mit dem fünften Kind das Gefühl, eine wirklich<br />
kinderreiche Familie zu sein.<br />
Lange galt die Zweikindfamilie als ideal.<br />
Umfragen zufolge wünschen sich nun<br />
immer mehr junge Leute drei oder mehr<br />
Kinder. Wie erklären Sie sich das?<br />
Zum einen grenzen sich viele jüngere Leute<br />
von den alten Lebensmodellen ab. Zum anderen<br />
scheint das Familienleben immer<br />
weniger ein Widerspruch dazu zu sein, den<br />
eigenen beruflichen eg zu gehen<br />
Die Geburtenrate in der Schweiz liegt<br />
bei 1,5 Kindern pro Frau – trotz dem<br />
Wunsch nach mehr Kindern. Warum?<br />
Die Suche nach dem richtigen Partner, die<br />
Ausbildung und die ersten Berufsjahre ziehen<br />
sich hin. Oft ist das Zeitfenster für viele<br />
Kinder einfach zu klein. Vielleicht würde es<br />
helfen, junge Leute stärker darin zu unter-<br />
stützen, den Kinderwunsch früher umzusetzen,<br />
etwa durch Kitas an der Uni, Teilzeitarbeit<br />
während der Ausbildung und mehr<br />
Anerkennung für die mutige Entscheidung,<br />
nicht zu warten, bis alle Umstände perfekt<br />
sind. Das sind sie nämlich nie.<br />
Wenn das Jüngere von zwei Kindern in<br />
den Kindergarten kommt, kommt bei<br />
vielen Paaren der Wunsch nach einem<br />
dritten Kind auf. Warum gerade dann?<br />
Zum einen werden wieder Kapazitäten frei,<br />
und gerade wenn die ersten Jahre als Familie<br />
schön waren, kommt bei vielen Wehmut<br />
auf, dass es das nun war mit dem Zauber,<br />
einen neuen Menschen willkommen zu<br />
heis sen. So war es bei uns auch.<br />
Der Wunsch nach weiteren Kindern<br />
kommt meist von der Mutter.<br />
Komisch eigentlich, da die Veränderungen<br />
für die Frau ja viel grösser sind als für den<br />
Mann. Vielleicht sind viele Männer nach<br />
72 Oktober <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Erziehung & Schule<br />
Mittendrin statt<br />
nur dabei: Die<br />
Schuhablage bei<br />
den Jacobs steht<br />
symbolisch für das<br />
Zusammenleben<br />
der Geschwister.<br />
Die Vorteile einer Grossfamilie:<br />
Eltern werden mit jedem Kind<br />
gelassener. Und die<br />
Familienphase dauert länger.<br />
chen zu haben. Aber wir hätten uns<br />
genauso über einen Bub gefreut.»<br />
Für Andy Jacob wäre die Familie<br />
auch mit drei Kindern komplett<br />
gewesen. «Aber für Mara war das<br />
viel mehr als ein blosser Kinderwunsch,<br />
sondern ein echtes Bedürfnis.<br />
Es wäre falsch gewesen, meine<br />
Wünsche stärker zu gewichten als<br />
ihre.» Wäre Lilani nicht zur Welt<br />
gekommen, hätte das die Familie<br />
viel stärker belastet, als ihre Geburt<br />
es tat, ist Mara überzeugt: «Nochmal<br />
von vorne anzufangen, war körperlich<br />
und emotional streng. Aber wir<br />
wussten ja auch aus Erfahrung, dass<br />
diese Zeit vorübergeht. Mit einem<br />
ständigen Loch zu leben, wäre<br />
gefühlsmässig viel anstrengender<br />
gewesen – nicht nur für mich.»<br />
Wunsch trifft oft nicht auf Realität<br />
So entschied sich Familie Jacob<br />
schliesslich für Lilani. Trotz >>><br />
>>> anpassen, aber meistens ist<br />
es umgekehrt.» So findet man die<br />
Zweijährige am Wochenende auch<br />
eher am Rande eines Handballfeldes<br />
oder bei einer Ruderregatta, wo sie<br />
ihre Brüder anfeuert, als auf dem<br />
Spielplatz.<br />
Für sie habe lange jemand gefehlt<br />
in der Familie, sagt Mara Jacob. «Ich<br />
habe mir selbst oft die Frage gestellt,<br />
wer das genau ist. Wäre die Antwort<br />
gewesen: ein Mädchen, hätte ich auf<br />
ein weiteres Kind verzichtet. Aber<br />
sie war wirklich: ein viertes Kind.<br />
Natürlich ist es toll, noch ein Mädzwei<br />
Kindern vom Gedanken abgeschreckt,<br />
immer weniger Raum in der Beziehung zu<br />
haben. Glücklicherweise war der Kinderwunsch<br />
bei uns immer ähnlich ausgeprägt.<br />
Sonst hätte ich mich nicht auf dieses Abenteuer<br />
eingelassen.<br />
Was sind die Vorteile, wenn man mehr<br />
Kinder hat als die gängigen zwei?<br />
Die Lebendigkeit in der Familie ist eine ganz<br />
andere. Ausserdem werden die meisten Eltern<br />
mit jedem Kind gelassener. Und die<br />
Familienphase dauert länger. Mein Mann<br />
und ich sind nun gerade vierzig. Wenn wir<br />
nur die beiden Grossen – 16 und 18 Jahre<br />
alt – hätten, wären wir als Eltern bald arbeitslos.<br />
Und das, während manche unserer<br />
Freunde gerade ihr erstes Baby kriegen.<br />
Das wäre irgendwie traurig.<br />
Und die Nachteile?<br />
Nicht nur die schönen, auch die anstrengenden<br />
Familienphasen ziehen sich in die<br />
nge er logistische und der finanzielle<br />
Aufwand wird mit zunehmendem Alter der<br />
Kinder recht hoch. Gleichzeitig wird es mit<br />
vielen Kindern schwerer, Privat- und Berufsleben<br />
unter einen Hut zu bringen. Und<br />
die Herausforderung, allen Kindern gerecht<br />
zu werden, wird höher.<br />
Was hat Ihren Entscheid zu einem<br />
eiteren Kin a eisten beeinflusst<br />
Wir sind da sehr intuitiv und wenig rational<br />
rangegangen. Und wir hatten das Glück,<br />
dass alle fünf die flegeleichtesten und<br />
süssesten Babys waren. Auch die Umstände,<br />
wie etwa die unterstützenden Grosseltern<br />
oder meine Möglichkeit, als Freiberuflerin<br />
relativ fleibel zu arbeiten, haben<br />
uns Mut für viele Kinder gegeben.<br />
Und warum gab es kein sechstes?<br />
Wir haben schon öfter gedacht, dass wir<br />
eigentlich direkt noch ein sechstes hätten<br />
kriegen sollen, weil unser Jüngster manch-<br />
mal fast wie ein Einzelkind dasteht – die<br />
Zwillinge sind fünf Jahre älter und ein eingeschworenes<br />
Team. Aber jeder hat seine persönlichen<br />
Grenzen, und die waren bei uns<br />
nach dem fünften Kind erreicht. Jetzt haben<br />
wir fünf Schulkinder und geniessen die<br />
neu gewonnenen Freiheiten doch sehr.<br />
Zur Person<br />
Daniela Nagel ist studierte Philosophin und<br />
Autorin. «Fünf Kinder? Sie Ärmste!» heisst ihr<br />
«Survivalguide für gelassene Mehrfachmütter» –<br />
so der Untertitel. Die fünffache Mutter schreibt<br />
auch Romane, sowohl unter ihrem echten Namen<br />
als auch unter dem Pseudonym Marie Adams.<br />
Zudem betreibt sie einen Bücherblog und coacht<br />
Autorinnen und Autoren. www.danielanagel.de<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Oktober <strong>2017</strong> 73
Erziehung & Schule<br />
74 Oktober <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Erziehung & Schule<br />
>>> der Negativbilanz auf der<br />
Excel-Liste. Einer der Minuspunkte<br />
auf dieser Liste: Mara war bei Lilanis<br />
Geburt 41 Jahre alt. Das Alter ist<br />
einer der Gründe, warum Wunsch<br />
und Wirklichkeit trotz Trend auseinanderdriften.<br />
Dem Wunsch nach drei<br />
Kindern oder mehr aus der erwähnten<br />
Umfrage steht eine Geburten rate<br />
von 1,54 Kindern pro Frau entgegen<br />
(vor 15 Jahren: 1,38). Und gemäss<br />
einer Erhebung von Euro stat aus<br />
dem Jahr 2015 beträgt das Durchschnittsalter<br />
der Erstgebärenden 30,7<br />
Jahre. Die Schweizerinnen gehören<br />
damit zu den ältesten Müttern Europas.<br />
«Die Suche nach dem richtigen<br />
Partner, die Ausbildung und die ersten<br />
Berufsjahre ziehen sich hin. Oft<br />
ist das Zeitfenster für viele Kinder<br />
einfach zu klein», sagt Daniela Nagel,<br />
Autorin, Philosophin und fünffache<br />
Mutter (siehe Interview auf Seite 68).<br />
Das Bundesamt für Statistik sieht<br />
im Vergleich verschiedener Generationen<br />
Anhaltspunkte dafür, wie<br />
weit Kinderwunsch und die tatsächliche<br />
Anzahl an Kindern auseinanderdriften.<br />
So wünschen sich nur<br />
9 Prozent der 20- bis 29-Jährigen<br />
keine oder ein Kind. Von den 50- bis<br />
59-jährigen Frauen haben 16 Prozent<br />
ein Kind, 20 Prozent sind kinderlos.<br />
65 Prozent der 20- bis 39-jährigen<br />
Frauen befürchten mit jedem<br />
weiteren Kind schlechtere Berufsaussichten,<br />
und drei Viertel aller<br />
Männer und Frauen fürchten, dass<br />
ein weiteres Kind ihre finanziellen<br />
Möglichkeiten einschränke.<br />
Mit einem Durchschnittsalter von<br />
30,7 bei der ersten Geburt<br />
zählen die Schweizerinnen zu den<br />
ältesten Müttern Europas.<br />
älter die Kinder werden, desto mehr<br />
fallen sie auch finanziell ins Gewicht:<br />
Skiausrüstung, Hobbys wie Schwingen<br />
oder Klettern, Musikunterricht<br />
– alles mal drei. «Aber die Finanzen<br />
waren nie ein Grund, kein drittes<br />
Kind zu bekommen», sagt Vater<br />
Hansandrea. Dass bei uns vieles auf<br />
die Zweikindfamilie ausgerichtet ist,<br />
merken die Wolfs je länger, je mehr.<br />
«Zum Beispiel Familienkarten bei<br />
Freizeitangeboten oder in den Ferien<br />
– die gelten immer für zwei<br />
Erwachsene und zwei Kinder», so<br />
Christina Wolf. Und dann ist da<br />
noch die Sache mit ihrem Haus, das<br />
sie geerbt haben. Es hat – natürlich<br />
– nur zwei Kinderzimmer. Simons<br />
Bett steht derzeit noch im Elternschlafzimmer.<br />
Bald werden aber die<br />
Eltern in ein kleineres Zimmer ziehen<br />
und Simon und Mario teilen sich<br />
das grösste Schlafzimmer. Problem<br />
gelöst.<br />
Im Hause Jacob teilen sich gar<br />
alle drei Buben ein Zimmer. Bald<br />
steht aber der Umzug ins eigene<br />
Haus an, dann bekommt >>><br />
Glück zu fünft:<br />
Simon, Christina,<br />
Ramona,<br />
Hansandrea und<br />
Mario Wolf (v. l.).<br />
Wenn das Auto zu klein wird<br />
Familie Wolf kennt das Thema der<br />
finanziellen Einschränkung aus eigener<br />
Erfahrung. Christina Wolf ist<br />
gelernte Bäckerin/Konditorin, seit<br />
Ramonas Geburt kümmert sie sich<br />
hauptsächlich um die Familie. Hansandrea<br />
Wolf ist im Sommer Maurer,<br />
im Winter Skilehrer. Mit Simons<br />
Geburt musste ein grösseres Auto<br />
her. «Das war aber die einzige Neuanschaffung.<br />
Sonst hatten wir alles<br />
noch», sagt Christina Wolf. Aber je<br />
So lernen wir.<br />
Nächste Infoabende<br />
5./6. Primar- und Sekundarstufe:<br />
Do 2. Nov. und Do 7. Dez. <strong>2017</strong>, 18 Uhr<br />
Waldmannstrasse 9, 8001 Zürich<br />
Fachmittelschule und <strong>10</strong>. Schuljahr:<br />
Di 14. Nov. <strong>2017</strong>, 18 Uhr<br />
Kreuzstrasse 72, 8008 Zürich<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Oktober <strong>2017</strong> 75<br />
www.fesz.ch | 043 268 84 84<br />
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Freizeit, selbst das geerbte<br />
Elternhaus: Vieles ist auf die<br />
Zweikindfamilie ausgerichtet.<br />
>>> jedes Kind ein eigenes Zimmer.<br />
Finanziell ist das vierte Kind<br />
für IT-Spezialist Andy Jacob und<br />
seine Frau, die als Doula Geburten<br />
begleitet und auch Doulas ausbildet,<br />
kein riesiger Schritt. Bis jetzt. «Uns<br />
ist schon bewusst, dass sich das mit<br />
den Jahren, je nach Ausbildung der<br />
Kinder, ändern wird», sagt Andy.<br />
Auf gewisse Dinge verzichte man<br />
jedoch eher aus praktischen denn<br />
aus finanziellen Gründen: «Auswärts<br />
essen ist mit vier Kindern<br />
stressig. Und auch Ferien sind zu<br />
sechst in einer Ferien wohnung entspannter<br />
als im Hotel.»<br />
Eine spezielle Organisation verlangen<br />
jeweils Skiferien. «Eine riesige<br />
Materialschlacht!», sagt Andy<br />
Jacob lachend. Er fährt jeweils mit<br />
Lilani und dem Gepäck im Auto,<br />
Mara reist mit den Söhnen im Zug.<br />
«Aber das wird auch wieder besser,<br />
sobald wir keinen Kinderwagen und<br />
keine Windeln für die Nacht mehr<br />
mitschleppen müssen.»<br />
Wenn Jacobs zu sechst unterwegs<br />
sind, werden sie oft angesprochen.<br />
«Die Reaktionen sind immer positiv»,<br />
sagt Mara Jacob. «Oft sagen die<br />
Leute, sie bereuten es, selbst nicht<br />
mehr Kinder zu haben. Uns hat es<br />
auch Mut gekostet, aber wir sind<br />
heute sehr froh, haben wir diesen<br />
Schritt gewagt.»<br />
Dreifach-Mami mit nur zwei Händen<br />
Familie Jacob und Familie Wolf<br />
haben mit drei respektive vier Kindern<br />
ihr Glück gefunden. Richtig viel<br />
Jetzt<br />
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Mama möchte ausspannen, Papa hat endlich mehr Zeit<br />
für Sport, die Grosse will ausschlafen, der Kleine am<br />
liebsten den ganzen Tag ins Hallenbad – jedes Familienmitglied<br />
hat persönliche Ansprüche an die schönste Zeit<br />
im Jahr. Die Reka-Feriendörfer sind so konzipiert, dass<br />
Kinder und Jugendliche in ihren Ferien viel Spass haben<br />
und sich ihre Eltern gleichzeitig erholen können. In<br />
jedem der 12 Reka-Feriendörfer in der Schweiz wird<br />
ein eigenes Thema gelebt und das kostenlose Rekalino-<br />
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Teilnahmeschluss: 1. November <strong>2017</strong>. Teilnahme per SMS: Stichwort FF REKA an 959 senden (30 Rp./SMS)<br />
Bilder: ZVG
durcheinandergebracht haben weder<br />
Simon noch Lilani in ihren Familien.<br />
Am meisten verändert habe das erste<br />
Kind, da sind sich alle Eltern einig.<br />
Vom Paar zur Familie zu werden, ist<br />
eine grössere Herausforderung, als<br />
die Familie zu vergrössern. «Auch<br />
wenn mir als Dreifach-Mami anfangs<br />
öfter eine dritte Hand fehlte», meint<br />
Christina Wolf. Dieses Gefühl kennt<br />
auch Mara Jacob: «Das dritte Kind<br />
hat mehr verändert als das vierte,<br />
zumal die Buben altersmässig sehr<br />
nah beisammen sind. Mit Andris<br />
wurde das strenge Leben zum sehr<br />
strengen Leben. Mit Lilani war das<br />
im Vergleich recht entspannt.»<br />
Und wie siehts aus mit weiteren<br />
Kindern? Bei Familie Jacob ist man<br />
sich einig: «Mit Lilani sind wir angekommen.»<br />
Auch bei den Wolfs findet<br />
zumindest ein Grossteil der<br />
Familie, es sei gut so, wie es ist. Nur<br />
einer meint, ein viertes Baby wäre<br />
gar nicht so verkehrt. «Ich will auch<br />
mal nicht der Kleinste sein!», meint<br />
Simon schmollend.<br />
>>><br />
Simon und Lilani haben nicht<br />
viel durcheinandergebracht in<br />
ihren Familien. Am meisten<br />
verändert hat das erste Kind.<br />
Sandra Casalini<br />
is eifachuer und finde ei inder<br />
ideal schliesslich ha sie auch nur ei<br />
irnhlfen ass diese reelmssi fr ei<br />
weitere Menschen mitdenken müssen, reicht<br />
ihr vollkommen aus.<br />
SBB Kinder-<br />
Reisebegleitung.<br />
Können Sie Ihre Kinder bei einer Reise mit dem ÖV<br />
nicht begleiten? Bei uns sind sie bestens aufgehoben<br />
und kommen sicher an.<br />
Erfahren Sie mehr auf sbb.ch/kinder-reisebegleitung<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Oktober <strong>2017</strong> 77
Digital & Medial<br />
Gesetzliche<br />
Altersbeschränkung?<br />
Der Bund will ein schweizweites Gesetz zum<br />
Jugendmedienschutz. Entscheidend<br />
bleibt aber die Rolle der Eltern.<br />
Text: Michael In Albon<br />
Bild: fotostorm<br />
Der politische Druck,<br />
Kinder mittels Ge -<br />
setz vor ungeeigneten<br />
Inhalten zu<br />
schützen, lässt nicht<br />
nach. Nun verlangt der Bundesrat<br />
bei Games und Videos einen<br />
schweizweit einheitlichen Rahmen<br />
für Altersbeschränkung, Kontrollen<br />
und Sanktionen. Das Eidgenössische<br />
Departement des Innern arbeitet<br />
zusammen mit Branchenverbänden<br />
und Kantonen bis 2018 eine<br />
Vernehmlassungsvorlage aus.<br />
Spricht man mit Eltern, fällt auf,<br />
dass sie Altersvorgaben auf Filmen<br />
und Spielen oft nicht befolgen.<br />
Obwohl einige Experten regelmässig<br />
daran erinnern und dazu aufrufen.<br />
Auch ich. Theorie und Praxis klaffen<br />
also auseinander. Das erstaunt we -<br />
nig. Denn einerseits fehlen Stu dien<br />
zum Umgang mit Altersempfehlungen,<br />
andererseits sind sich Fachleute<br />
nicht einig, ob Altersangaben in<br />
der Medienerziehung sinnvoll sind.<br />
Da verlassen sich Eltern lieber auf<br />
ihre Einschätzung. Können sie Empfehlungen<br />
nicht auf die eigene Situation<br />
übertragen oder weichen diese<br />
von ihrer eigenen Einschätzung ab,<br />
ignorieren sie diese.<br />
Was die einen Eltern als brutal<br />
und ungeeignet für Kinder einschätzen,<br />
ist für andere wenig bedenklich.<br />
Bewertungen unterscheiden sich<br />
von Familie zu Familie – und erst<br />
recht von Kultur zu Kultur. Gerade<br />
in der Schweiz mit ihren vier<br />
Sprachkulturen. Nicht selten werden<br />
Altersfreigaben in der Romandie<br />
anders festgelegt als in der Deutschschweiz<br />
oder im Tessin. Auch geltende<br />
Gesetze sind nicht gleich,<br />
denn das Internet ist bekanntlich ein<br />
globales Medium.<br />
In der EU wird bereits eine neue<br />
Richtlinie über audiovisuelle Me -<br />
diendienste diskutiert. Vorgeschlagen<br />
wurde ein Mechanismus, in dem<br />
Nutzer schädliche Inhalte melden<br />
können. Hinzu kommen Altersüberprüfungssysteme<br />
und ein Verhaltenskodex<br />
für die Branchen. Der<br />
Bundesrat erwägt, entsprechende<br />
Regeln zu erlassen. Es ergibt keinen<br />
Sinn für die Schweiz, einen Sonderzug<br />
zu fahren.<br />
Risiken fallen mit einem Gesetz<br />
aber nicht einfach weg. Ludwig<br />
Gärtner, Leiter Geschäftsfeld «Familie,<br />
Generationen und Gesellschaft»<br />
im Bundesamt für Sozialversicherungen,<br />
betonte in der NZZ: «Um -<br />
gehungsmöglichkeiten der Alterslimiten<br />
wird es immer geben. Das<br />
bedeutet aber nicht, dass man nichts<br />
tun soll.» Gerade Sie als Eltern tragen<br />
besonders viel bei. Der heutige<br />
Stand der Forschung zeigt, dass eine<br />
kombinierte aktive und passive<br />
Elternbegleitung das Risiko im<br />
Internet für Kinder und Jugendliche<br />
erheblich minimiert. Und Kinder<br />
und Jugendliche verpassen weder<br />
Potenziale noch Chancen beim Nutzen<br />
digitaler Medien.<br />
Aktive Elternbegleitung bedeutet:<br />
Eltern erklären Medieninhalte,<br />
unterscheiden zwischen Realität<br />
und Fiktion und begleiten ihr Kind<br />
aktiv, indem sie gemeinsam Angebote<br />
evaluieren. Passiv bedeutet:<br />
Eltern nutzen Medien gemeinsam<br />
mit ihrem Kind. Sie schauen also<br />
etwa zusammen Sendungen oder<br />
Filme am Bildschirm an oder gamen<br />
zusammen.<br />
Michael In Albon<br />
ist Beauftragter Jugendmedienschutz<br />
und Experte Medienkompetenz von<br />
Swisscom.<br />
u edienstar nden ie ipps und interatie<br />
Lernmdule r den mpetenten man mit<br />
diitalen edien im amilienallta<br />
swisscom.ch/medienstark<br />
78 Oktober <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Service<br />
Vielen Dank<br />
an die Partner und Sponsoren der Stiftung Elternsein:<br />
Finanzpartner Hauptsponsoren Heftsponsoren<br />
Dr. iur. Ellen Ringier<br />
Walter Haefner Stiftung<br />
Credit Suisse AG<br />
Rozalia Stiftung<br />
UBS AG<br />
UBS AG<br />
MainFirst Bank AG<br />
Impressum<br />
17. Jahrgang. Erscheint <strong>10</strong>-mal jährlich<br />
Herausgeber<br />
Stiftung Elternsein,<br />
Seehofstrasse 6, 8008 Zürich<br />
www.elternsein.ch<br />
Präsidentin des Stiftungsrates:<br />
Dr. Ellen Ringier, ellen@ringier.ch,<br />
Tel. 044 400 33 11<br />
(Stiftung Elternsein)<br />
Geschäftsführer: Thomas Schlickenrieder,<br />
ts@fritzundfraenzi.ch, Tel. 044 261 01 01<br />
Redaktion<br />
redaktion@fritzundfraenzi.ch<br />
Chefredaktor: Nik Niethammer,<br />
n.niethammer@fritzundfraenzi.ch<br />
Verlag<br />
Fritz+Fränzi,<br />
Dufourstrasse 97, 8008 Zürich,<br />
Tel. 044 277 72 62,<br />
info@fritzundfraenzi.ch,<br />
verlag@fritzundfraenzi.ch,<br />
www.fritzundfraenzi.ch<br />
Business Development & Marketing<br />
Leiter: Tobias Winterberg,<br />
t.winterberg@fritzundfraenzi.ch<br />
Anzeigen<br />
Administration: Dominique Binder,<br />
d.binder@fritzundfraenzi.ch,<br />
Tel. 044 277 72 62<br />
Art Direction/Produktion<br />
Partner & Partner, Winterthur<br />
Bildredaktion<br />
13 Photo AG, Zürich<br />
Korrektorat<br />
Brunner Medien AG, Kriens<br />
flae<br />
(WEMF/SW-beglaubigt 2016)<br />
total verbreitet <strong>10</strong>1 725<br />
davon verkauft 18 572<br />
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Jahresabonnement Fr. 68.–<br />
Einzelausgabe Fr. 7.50<br />
iPad pro Ausgabe Fr. 3.–<br />
Abo-Service<br />
Galledia Verlag AG Berneck<br />
Tel. 0800 814 813, Fax 058 344 92 54<br />
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Für Spenden<br />
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Postkonto 87-447004-3<br />
IBAN: CH40 0900 0000 8744 7004 3<br />
Inhaltspartner<br />
Institut für Familienforschung und -beratung<br />
der Universität Freiburg / Dachverband Lehrerinnen<br />
und Lehrer Schweiz / Verband Schulleiterinnen und<br />
Schulleiter Schweiz / Jacobs Foundation /<br />
Elternnotruf / Pro Juventute / Interkantonale<br />
Hochschule für Heilpädagogik Zürich /<br />
Schweizerisches Institut für Kinder- und<br />
Jugendmedien<br />
Stiftungspartner<br />
Pro Familia Schweiz / Pädagogische Hochschule<br />
Zürich / Elternbildung CH / Marie-Meierhofer-<br />
Institut für das Kind / Schule und Elternhaus<br />
Schweiz / Schweizerischer Verband<br />
alleinerziehender Mütter und Väter SVAMV /<br />
Kinderlobby Schweiz / kibesuisse Verband<br />
Kinderbetreuung Schweiz<br />
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Helfen Sie mit: www.bos-schweiz.ch/pate-inserat<br />
Alles zu unserem Patenschaftsprogramm:<br />
T. 044 3<strong>10</strong> 40 30, bos-schweiz.ch
Buchtipps<br />
Angie Sage:<br />
TodHunter<br />
Moon –<br />
FährtenFinder /<br />
SandReiter /<br />
SternenJäger.<br />
Hanser, <strong>2017</strong>,<br />
je ca. Fr. 25.–,<br />
ab <strong>10</strong> Jahren<br />
Aaron Blabey:<br />
Böse Jungs<br />
Ein Hai, ein Piranha,<br />
eine Schlange und<br />
ein Wolf tun sich in<br />
diesem witzigverrückten<br />
Comic<br />
zusammen, um gute Taten zu<br />
vollbringen: Das kann ja nicht gut<br />
kommen! Bisher sind zwei Bände<br />
auf Deutsch erschienen.<br />
Baumhaus, 2016/<strong>2017</strong>, je ca.<br />
Fr. 15.–, ab 8 Jahren<br />
Serielles ist nicht nur auf Netflix beliebt.<br />
In einer riesigen Auswahl an Buchreihen<br />
für Kinder und Jugendliche lässt<br />
sich mit den Lieblingscharakteren über<br />
viele Bände hinweg mitfiebern.<br />
Lesevergnügen in Serie<br />
TodHunter Moon<br />
Rick Riordan:<br />
Magnus Chase.<br />
Das Schwert<br />
des Sommers /<br />
Der Hammer des<br />
Thors<br />
Rick Riordan stellt<br />
in seiner neuen Serie die nordische<br />
Mythologie mit augenzwinkerndem<br />
Humor auf den Kopf – für Action in<br />
Walhalla und Midgard ist gesorgt!<br />
Carlsen, 2016/<strong>2017</strong>, je ca. Fr. 30.–,<br />
ab 12 Jahren<br />
Bilder:ZVG<br />
Wir alle kennen<br />
sie: «Hanni und<br />
Nanni» und<br />
«Gregs Tagebuch»,<br />
«Conni»<br />
und «Die Schule der magischen<br />
Tiere». Mit den immer gleichen<br />
Figuren erleben wir nicht nur ein<br />
Leseabenteuer, sondern ganz viele<br />
– so viele, wie es Bände gibt.<br />
Während in einer Buchreihe wie<br />
TKKG die Figuren über 120 Folgen<br />
in die 9. Klasse gehen und sich nicht<br />
entwickeln, sieht das bei abgeschlossenen<br />
Serien anders aus: Zum Beispiel<br />
in Angie Sages siebenteiliger<br />
Fantasy-Serie über den jungen Zauberer<br />
Septimus Heap, die von 2005<br />
bis 2013 erschienen ist. Nachdem<br />
der einstige Junge erwachsen und<br />
zum «aussergewöhnlichen Zauberer»<br />
geworden war, war die Geschichte<br />
so weit auserzählt. Doch die<br />
LeserInnen wollten diese fantastische<br />
Welt und ihre Figuren noch<br />
nicht verlassen, und Angie Sage<br />
wusste noch mehr daraus zu berichten:<br />
In der neuen Spin-off-Trilogie<br />
«TodHunter Moon» wird das gewitzte<br />
Mädchen Alice TodHunter<br />
Moon, genannt Todi, ins Zentrum<br />
gestellt.<br />
Im ersten Band muss Todi aus<br />
ihrem Fährtenfinder-Dorf fliehen.<br />
Sie gelangt an den Zaubererturm<br />
und kann mit Unterstützung des<br />
aussergewöhnlichen Zauberers Septimus<br />
Heap, aber auch mit ihren<br />
Freunden Oskar und Ferdie die<br />
Fährtenfinder vor dem bösen Hexer<br />
Oraton-Marr retten. Im nächsten<br />
Band gehen Todis Abenteuer aber<br />
schon weiter – die packende Fantasy-Serie<br />
für Kinder ist zum Glück<br />
noch nicht so schnell zu Ende<br />
erzählt!<br />
Die 65-jährige<br />
Britin Angie Sage<br />
ist die Autorin<br />
der Fantasy-<br />
Reihe mit der<br />
Heldin Todi.<br />
Kate Frey: Cat Deal.<br />
Die Kunst zu<br />
stehlen / Nach<br />
allen Regeln der<br />
Kunst<br />
Cat ist sechzehn,<br />
lebt mit ihrer Ratte<br />
auf einem Hausboot<br />
und ist Londons beste Einbrecherin.<br />
Sie sorgt dafür, dass Raubkunst zu<br />
ihren rechtmässigen Besitzern<br />
zurückkommt. Eine starke Figur in<br />
einem hoch spannenden Setting!<br />
Ueberreuter, <strong>2017</strong>, ca. Fr. 21.–,<br />
ab 12 Jahren<br />
Verfasst von Elisabeth Eggenberger,<br />
Mitarbeiterin des Schweizerischen<br />
Instituts für Kinder- und<br />
Jugendmedien SIKJM.<br />
Auf www.sikjm.ch/rezensionen sind<br />
weitere B uch empfehlungen zu finden.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Oktober <strong>2017</strong> 81
Eine Frage – drei Meinungen<br />
Meine Tochter, 9, nimmt alles wahnsinnig persönlich: Meine Bitte, das<br />
Zimmer aufzuräumen, Flöte zu üben oder den Tisch zu decken,<br />
emfindet sie gleich als Kritik nd reagiert entsrechend aggressiv<br />
Wissen Sie mir einen Rat?<br />
Patricia, 42, Interlaken BE<br />
Nicole Althaus<br />
Haben wir Menschen nicht<br />
alle die Tendenz, Dinge<br />
persönlich zu nehmen, die<br />
uns nicht in den Kram<br />
passen? Vielleicht kommen<br />
wir ja noch einmal davon!<br />
Ihre Tochter versucht sich mit<br />
ihrem Verhalten vor Aufgaben<br />
und «Ämtli» zu<br />
drücken. Fallen Sie nicht darauf herein! Lassen Sie sich<br />
nicht provozieren und sagen Sie ruhig, aber bestimmt,<br />
was die Tochter zu tun hat.<br />
Tonia von Gunten<br />
Geben Sie grundsätzlich<br />
weniger Anweisungen und<br />
lassen Sie Ihre Tochter mehr<br />
selber bestimmen. Wir<br />
Eltern haben die Angewohnheit,<br />
unsere Kinder ständig zu<br />
befragen und Befehle zu<br />
erteilen: «Wie war es in der<br />
Schule? Hast du Haus -<br />
aufgaben? Deck den Tisch! Häng die Jacke auf!» Wenn<br />
es nicht ohne Anweisungen geht, beachten Sie<br />
Folgendes: Lassen Sie Ihrer Tochter genügend Zeit.<br />
Äussern Sie sich klar, werden Sie persönlich: «Du bist<br />
am Spielen, doch wir können in zehn Minuten essen.<br />
Ich will, dass du heute den Tisch deckst. Okay?»<br />
Peter Schneider<br />
Versuchen Sie, vermeidbare<br />
«Kritik» (also das, was Ihre<br />
Tochter als unwichtige Kritik<br />
empfindet) herunterzufahren,<br />
und überlegen Sie, wo Sie ihr<br />
stattdessen etwas Nettes sagen<br />
können. Das ist der nervenschonende<br />
Teil meiner<br />
Antwort. Der andere Teil<br />
lautet: Es hilft nichts, da müssen Sie und Ihre Tochter<br />
durch. Das geht am einfachsten, wenn Sie bei den<br />
wirklich wichtigen Aufgaben (das sind möglicherweise<br />
weniger, als Sie im Moment denken) die besagte<br />
«Kritik» als möglichst simples Kommando durchgeben<br />
und sich von den Aggressionen nicht zu sehr<br />
beeindrucken lassen.<br />
Nicole Althaus, 48, ist Kolumnistin, Autorin<br />
und Mitglied der Chefredaktion der «NZZ am<br />
Sonntag». Zuvor war sie Chefredaktorin von «wir<br />
eltern» und hat den Mamablog auf «Tagesanzeiger.<br />
ch» initiiert und geleitet. Nicole Althaus ist Mutter<br />
von zwei Kindern, 16 und 12.<br />
Tonia von Gunten, 44, ist Elterncoach, Pädagogin<br />
und Buchautorin. Sie leitet elternpower.ch, ein<br />
Programm, das frische Energie in die Familien<br />
bringen und Eltern in ihrer Beziehungskompetenz<br />
stärken möchte. Tonia von Gunten ist verheiratet<br />
und Mutter von zwei Kindern, 11 und 8.<br />
Peter Schneider, 59, ist praktizierender<br />
Psychoanalytiker, Autor und SRF-Satiriker («Die<br />
andere Presseschau»). Er lehrt als Privatdozent<br />
für klinische Psychologie an der Uni Zürich und<br />
ist Professor für Entwicklungspsychologie an<br />
der Uni Bremen. Peter Schneider ist Vater eines<br />
erwachsenen Sohnes.<br />
Haben Sie auch eine Frage?<br />
Schreiben Sie eine E-Mail an:<br />
redaktion@fritzundfraenzi.ch<br />
Bilder: Anne Gabriel-Jürgens / 13 Photo, Pino Stranieri, HO<br />
82 Oktober <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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