Quintessenz 03 | 2017 - quintessenz3.pdf
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L.<br />
nächsten Wiederauferstandenen aus der<br />
Erdgemüse-Riege, dem Topinambur. Bis<br />
vor wenigen Jahren fand das süßlich-nussige<br />
Wurzelgemüse kaum auf eine Speisekarte,<br />
dabei erfreute sich die beige-rosafarbene<br />
Knolle jahrhundertelang enormer Beliebtheit.<br />
Beim nordamerikanischen Indianerstamm,<br />
SCHWERTMUSCHEL/ROTE BETE/DILL/RETTICH<br />
VON RONNY EMBORG<br />
dem der Topinambur seinen Namen verdankt,<br />
ebenso wie später bei den Franzosen,<br />
die die Indianerkartoffel 1612 nach Europa<br />
brachten. Die ingwerartigen Verzweigungen<br />
der Knolle und die Menge an Erdmaterial,<br />
die ihr für gewöhnlich noch anhaftet, haben<br />
Topinambur den Ruf als „kompliziertes“<br />
Gemüse eingebracht. Dabei, betont<br />
Leo Aichinger, kann man sich das<br />
Schälen auch getrost sparen,<br />
denn die Schale ist viel dünner<br />
als die einer Kartoffel und stört<br />
kaum. Ein weiterer Vorteil gegenüber der<br />
Kartoffel: Topinambur ist im Rohzustand<br />
nicht giftig, was ihn – mit etwas Zitronensaft<br />
mariniert – perfekt für<br />
Salate und Rohkostgerichte<br />
macht.<br />
SUGAR AND SPICE<br />
Theoretisch kann<br />
man auch eine andere<br />
Erdbewohnerin, nämlich<br />
die Süßkartoffel,<br />
roh verzehren. Derlei<br />
unzubereitet macht<br />
die Urmexikanerin<br />
aber zumindest dem<br />
europäischen Gaumen<br />
weitaus weniger<br />
Freude als geschmort,<br />
frittiert oder püriert<br />
in Kombination mit<br />
Trüffeln, Dry-Aged-<br />
Beef, Lamm oder gebratenen<br />
Walnüssen.<br />
Für die subtropische<br />
Gefilde bevorzugende,<br />
mittlerweile auch in<br />
Österreich angebaute<br />
Batate gilt übrigens<br />
bei der Zubereitung<br />
ausnahmsweise: Mehr<br />
ist mehr. Wenn man<br />
sie mit kräftigen asiatischen und indischen<br />
Gewürzen, Edelschimmelkäse, Ingwer<br />
oder geschmacksintensiven Pilzen zusammenbringt,<br />
kann sie mehr, als man denken<br />
möchte. In der gemüselastigen Patisserie hat<br />
sich die süße Wurzel übrigens auch längst<br />
DIE ROTE BETE IST MIT DER ZUCKERRÜBE UND<br />
DEM MANGOLD VERWANDT UND IST EINE<br />
KULTURFORM DER GEMEINEN RÜBE. DER<br />
TRADITIONELLE KINDERSCHRECK IST EXTREM<br />
REICH AN VITAMINEN UND MINERALSTOFFEN.<br />
IN NORDEUROPÄISCHEN KÜCHEN WIE JENER<br />
DES DÄNISCHEN 2-STERNE-KOCHS RONNY<br />
EMBORG GENIESST DIE FARBENFROHE SEIT<br />
JEDER EINEN HOHEN STELLENWERT.<br />
als Zutaten-Fixstarter etabliert – und zwar<br />
nicht nur bei den für einen harmonischeren<br />
Menübogen konzipierten Pre-Desserts,<br />
wie sie der deutsche Gemüse-Cross-Over-<br />
Patissier Christian Hümbs perfektioniert hat,<br />
sondern auch als echt süßer Abschluss.<br />
Im Berliner mit zwei Michelin-Sternen geadelten<br />
„Restaurant Horváth“, wo mit Sebastian<br />
Frank ein Österreicher dem Herd vorsteht,<br />
spielen Pastinake & Co. nicht nur im<br />
Dessert (beispielsweise als „Mohn-Pastinake-<br />
Rettich“) eine tragende Rolle, sondern Wurzelgemüse<br />
ganz allgemein. Gschmalzte Bete<br />
mit geröstetem Mohn und Gurke, in Zimt<br />
und Vanille gebeizter Kürbis mit Holunder-<br />
Wurzelgemüsesauce, gebackene Gelbe Bete<br />
mit Knoblauch-Gurkenwasser-Emulsion<br />
und gefrorenem Dillauszug stehen etwa bei<br />
Frank auf der Karte. Fleisch und Fisch geraten<br />
da schnell zur Nebensache. Und genau<br />
darin, findet Leo Aichinger, liegt für Köche<br />
der vielleicht größte Reiz der Wurzelwerke.<br />
„Ein Steak braten kann jeder. Ein unscheinbares<br />
Knöllchen wie die Haferwurzel oder<br />
Knollensellerie zu einem geschmacklichen<br />
Highlight veredeln, nicht.“ Amen.<br />
Fotos Shutterstock, beigestellt<br />
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