Quintessenz 03 | 2017 - quintessenz3.pdf
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DAS STERNERESTAURANT IST TRADITIONELL EIN TUMMEL-<br />
PLATZ FÜR BESSERVERDIENER. EIN ORT, AN DEM MAN<br />
LEICHT VERGISST, DASS 795 MILLIONEN MENSCHEN WELT-<br />
WEIT UNTERERNÄHRT SIND. ODER 1,3 MILLIARDEN TONNEN<br />
AN LEBENSMITTELN JÄHRLICH IM MÜLL LANDEN. EINE<br />
WACHSENDE ZAHL INTERNATIONALER SPITZENKÖCHE<br />
MÖCHTE DIESEN ENTWICKLUNGEN NUN MIT REVOLUTIO-<br />
NÄREN SOZIALPROJEKTEN EINHALT GEBIETEN.<br />
Mir ging es nie um Charity oder einfach<br />
nur darum, Menschen Essen<br />
zu geben. Mir geht es um soziale<br />
Integration, um ein Zeichen gegen die kolossale<br />
Verschwendung von Lebensmitteln<br />
und darum, Leuten Hoffnung zu geben, die<br />
keine Hoffnung mehr haben.“ Massimo Bottura,<br />
53 Jahre alt, sternegekrönter Chef der<br />
„Osteria Francescana“, italienisches Fine-<br />
Dining-Posterchild und 2016 Nummer eins<br />
der 50-Best-Restaurants-Liste, sagte diesen<br />
Satz in einer ehemaligen Industriehalle mitten<br />
in Rio de Janeiro, während ein paar Steinwürfe<br />
entfernt die Olympischen Spiele 2016<br />
über die Bühne gingen. Die Eröffnung von<br />
Botturas „Refettorio Gastromotiva“ stellte<br />
einen neuen Höhepunkt im über Jahre stetig<br />
gewachsenen Bestreben internationaler<br />
Spitzenköche dar, sich nicht nur am Herd,<br />
sondern weit darüber hinaus zu engagieren.<br />
Für ökologisch nachhaltige Lebensmittelproduktion,<br />
Ressourcenschonung, soziale und<br />
wirtschaftliche Chancengleichheit.<br />
MEHR ALS NUR EIN GRATISMAHL<br />
Mehr als 50 Köche aus aller Welt – darunter<br />
Alex Atala, Joan Roca, Virgilio Martínez,<br />
Alain Ducasse oder Helena Rizzo – konnte<br />
Bottura für seine „Refettorio Gastromotiva“<br />
in Rio gewinnen. In 55 Tagen Umbauzeit<br />
entstand aus einem ehemaligen Industriegebäude<br />
im Zentrum Rios eine Dinner-<br />
Halle, konzipiert als sogenannte „Community<br />
Kitchen“. Um sein Herzensprojekt<br />
gemeinsam mit dem brasilianischen Spitzenkoch<br />
und Initiator des brasilianischen<br />
„Gastromotiva“- Ausbildungsprojekts, David<br />
Hertz, umzusetzen, musste Bottura jede Menge<br />
Klinken putzen – schließlich schlug das<br />
Set-up des revolutionären Statements gegen<br />
Lebensmittelverschwendung, Mangelernährung<br />
und soziale Isolation mit 190.000 Dollar<br />
zu Buche. „Aber 'Refettorio Gastromotiva'<br />
war niemals nur als Pop-up-Projekt geplant,<br />
sondern sollte auch nach den Spielen ein fixer<br />
Bestandteil der Stadt bleiben, wofür man die<br />
Voraussetzungen schaffen musste“, sagt Bottura.<br />
„Heute und für die kommenden zehn<br />
Jahre ist es ein Ort, an dem wir mehr tun, als<br />
aus übrig gebliebenen Lebensmitteln gesunde<br />
Gerichte für die Ärmsten zuzubereiten. Wir<br />
geben diesen Menschen auch ein Stück ihrer<br />
Würde zurück.“<br />
Zum Start des Projekts improvisierten Bottura<br />
und Alex Atala gemeinsam mit einem Heer an<br />
Freiwilligen Couscous à la italiana mit sautiertem<br />
Rind und Panzanella für 70 Obdachlose<br />
– zubereitet ausschließlich aus Lebensmitteln,<br />
die bereits einmal in der Mülltonne gelandet<br />
waren oder von Caterern, die das olympische<br />
Dorf belieferten, gespendet wurden. Mittlerweile<br />
werden jeden Abend rund 110 Gratismahlzeiten<br />
aus überschüssigen Lebensmitteln<br />
des Großhändlers Benassi zubereitet, alleine<br />
im Februar <strong>2017</strong> verköstigte die „Refettorio“<br />
so 1200 Menschen. Um das Projekt langfristig<br />
zu finanzieren, können zahlende Kunden außerdem<br />
mittags zum Lunch kommen.<br />
Botturas und Hertz' gemeinsames Engagement<br />
nahm übrigens nicht erst in Rio seinen<br />
Anfang. Unter dem Dach ihrer<br />
QUINTESSENZ NO. <strong>03</strong>/17<br />
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