INTERNATIONAL. ÜBER DEM TELLERRAND „FOOD FOR SOUL” HEISST DIE VON MASSIMO BOTTURA UND DAVID HERTZ GEGRÜNDETE INITI- ATIVE GEGEN LEBENSMITTELVERSCHWENDUNG. AN DREI FIXEN STANDORTEN, DARUNTER DIE REFETTORIO AMBROSIANO IN MAILAND, BETREIBT „FOOD FOR SOUL” MITTLERWEILE COMMUNITY- KÜCHEN FÜR SOZIAL SCHWACHE. 42
DAS STERNERESTAURANT IST TRADITIONELL EIN TUMMEL- PLATZ FÜR BESSERVERDIENER. EIN ORT, AN DEM MAN LEICHT VERGISST, DASS 795 MILLIONEN MENSCHEN WELT- WEIT UNTERERNÄHRT SIND. ODER 1,3 MILLIARDEN TONNEN AN LEBENSMITTELN JÄHRLICH IM MÜLL LANDEN. EINE WACHSENDE ZAHL INTERNATIONALER SPITZENKÖCHE MÖCHTE DIESEN ENTWICKLUNGEN NUN MIT REVOLUTIO- NÄREN SOZIALPROJEKTEN EINHALT GEBIETEN. Mir ging es nie um Charity oder einfach nur darum, Menschen Essen zu geben. Mir geht es um soziale Integration, um ein Zeichen gegen die kolossale Verschwendung von Lebensmitteln und darum, Leuten Hoffnung zu geben, die keine Hoffnung mehr haben.“ Massimo Bottura, 53 Jahre alt, sternegekrönter Chef der „Osteria Francescana“, italienisches Fine- Dining-Posterchild und 2016 Nummer eins der 50-Best-Restaurants-Liste, sagte diesen Satz in einer ehemaligen Industriehalle mitten in Rio de Janeiro, während ein paar Steinwürfe entfernt die Olympischen Spiele 2016 über die Bühne gingen. Die Eröffnung von Botturas „Refettorio Gastromotiva“ stellte einen neuen Höhepunkt im über Jahre stetig gewachsenen Bestreben internationaler Spitzenköche dar, sich nicht nur am Herd, sondern weit darüber hinaus zu engagieren. Für ökologisch nachhaltige Lebensmittelproduktion, Ressourcenschonung, soziale und wirtschaftliche Chancengleichheit. MEHR ALS NUR EIN GRATISMAHL Mehr als 50 Köche aus aller Welt – darunter Alex Atala, Joan Roca, Virgilio Martínez, Alain Ducasse oder Helena Rizzo – konnte Bottura für seine „Refettorio Gastromotiva“ in Rio gewinnen. In 55 Tagen Umbauzeit entstand aus einem ehemaligen Industriegebäude im Zentrum Rios eine Dinner- Halle, konzipiert als sogenannte „Community Kitchen“. Um sein Herzensprojekt gemeinsam mit dem brasilianischen Spitzenkoch und Initiator des brasilianischen „Gastromotiva“- Ausbildungsprojekts, David Hertz, umzusetzen, musste Bottura jede Menge Klinken putzen – schließlich schlug das Set-up des revolutionären Statements gegen Lebensmittelverschwendung, Mangelernährung und soziale Isolation mit 190.000 Dollar zu Buche. „Aber 'Refettorio Gastromotiva' war niemals nur als Pop-up-Projekt geplant, sondern sollte auch nach den Spielen ein fixer Bestandteil der Stadt bleiben, wofür man die Voraussetzungen schaffen musste“, sagt Bottura. „Heute und für die kommenden zehn Jahre ist es ein Ort, an dem wir mehr tun, als aus übrig gebliebenen Lebensmitteln gesunde Gerichte für die Ärmsten zuzubereiten. Wir geben diesen Menschen auch ein Stück ihrer Würde zurück.“ Zum Start des Projekts improvisierten Bottura und Alex Atala gemeinsam mit einem Heer an Freiwilligen Couscous à la italiana mit sautiertem Rind und Panzanella für 70 Obdachlose – zubereitet ausschließlich aus Lebensmitteln, die bereits einmal in der Mülltonne gelandet waren oder von Caterern, die das olympische Dorf belieferten, gespendet wurden. Mittlerweile werden jeden Abend rund 110 Gratismahlzeiten aus überschüssigen Lebensmitteln des Großhändlers Benassi zubereitet, alleine im Februar <strong>2017</strong> verköstigte die „Refettorio“ so 1200 Menschen. Um das Projekt langfristig zu finanzieren, können zahlende Kunden außerdem mittags zum Lunch kommen. Botturas und Hertz' gemeinsames Engagement nahm übrigens nicht erst in Rio seinen Anfang. Unter dem Dach ihrer QUINTESSENZ NO. <strong>03</strong>/17 43