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Politik - Den Zahltricksern das Handwerk legen سياسة - وضع نهاية وحد لعدد من الحيل Politik - Den Zahltricksern das Handwerk legen سياسة - وضع نهاية وحد لعدد من الحيل 20<br />
21<br />
Wo und wie wird besonders gern mit<br />
Zahlen manipuliert?<br />
Ein klassisches Beispiel sind Daten zur Arbeitslosigkeit.<br />
Per Definition tauchen viele<br />
Arbeitsuchende in der Statistik nicht auf. Offiziell<br />
haben wir in Deutschland zurzeit rund<br />
2,6 Millionen Arbeitslose. Für Ökonomen<br />
bedeutet das schon fast Vollbeschäftigung.<br />
Nicht mitgezählt werden allerdings Personen,<br />
die längere Zeit dem Arbeitsmarkt nicht zur<br />
Verfügung standen – wie etwa Mütter, die<br />
nach der Geburt ihrer Kinder viele Jahre aus<br />
der bezahlten Erwerbsarbeit ausgestiegen<br />
sind. Das gilt auch für diejenigen, die krank<br />
sind, die von externen Arbeitsvermittlern<br />
betreut werden oder die sich weiterbilden.<br />
Auch Kurzarbeiter oder viele über 58-Jährige<br />
fallen aus der Statistik. Das Ganze hat System:<br />
Zwischen 1986 und 2009 gab es 16 Änderungen<br />
zur Messung der Arbeitslosigkeit – 14 davon<br />
reduzierten die offizielle Arbeitslosenzahl.<br />
Wie verhält es sich mit Meinungsumfragen?<br />
Man muss bei Meinungsumfragen Befragungen<br />
unterscheiden, bei denen man wirklich<br />
wissen will, was die Menschen denken, von<br />
denen, mit deren Hilfe Meinung gemacht<br />
werden soll. Oder auch Werbung – gerade<br />
Unternehmen setzen Positiv-Befragungen zu<br />
ihren Produkten gern ein. Wie ich Fragen formuliere,<br />
welche Fragen ich davor stelle, also in<br />
welche Stimmung ich den Befragten versetze,<br />
all das ist entscheidend für das Ergebnis einer<br />
Umfrage. Es gibt Erkenntnisuntersuchungen,<br />
bei denen der Auftraggeber wirklich wissen<br />
will, was die Menschen denken. Sobald aber<br />
eine öffentliche Wirkung erzielt werden soll,<br />
gilt das Motto: Bestätige meine Meinung,<br />
damit ich damit in die Öffentlichkeit gehen<br />
kann.<br />
„Die Zahlentrickser“, das neue<br />
Buch von Gerd Bosbach und Jens<br />
Jürgen Korff, deckt „das Märchen<br />
von den aussterbenden Deutschen<br />
und andere Statistiklügen“<br />
auf (Heyne Verlag, 272 Seiten,<br />
19,99 €). Gemeinsam haben die<br />
beiden Autoren 2011 den Bestseller<br />
„Lügen mit Zahlen“ veröffentlicht<br />
(Heyne, 8,99 €).<br />
Welchen Wert haben dann Meinungsumfragen<br />
überhaupt, wenn sie gezielt manipuliert<br />
werden?<br />
Wichtig ist, die Tricks zu kennen. Wer durchschaut,<br />
wann und wie und in wessen Interesse<br />
gefragt wird, lässt sich schlechter manipulieren.<br />
Ein schönes Beispiel, wie durch gezielte<br />
Fragestellungen zum gleichen Thema ganz<br />
unterschiedliche Ergebnisse erzielt werden<br />
können, gab es in den 1980er Jahren. Damals<br />
befragte das gleiche Meinungsforschungsinstitut<br />
die Deutschen zu ihrer Haltung zur<br />
Nachrüstung – einmal im Auftrag des <strong>Magazin</strong>s<br />
„Stern“, einmal für die Bundeswehr. In der<br />
Befragung für den „Stern“ waren 80 Prozent<br />
dagegen, in der Bundeswehr-Umfrage waren<br />
60 Prozent dafür.<br />
Deshalb misstrauen viele Menschen<br />
grundsätzlich Zahlen und Daten. Was sagen<br />
Sie denen, die sagen, Fakten interessieren<br />
mich nicht, es wird sowieso immer<br />
gelogen?<br />
Ich versuche ihnen klarzumachen, wie sehr<br />
zahlenbasierte Fakten unser Denken, unsere<br />
Argumentationen bestimmen – selbst wenn<br />
man das nicht auf den ersten Blick erkennt.<br />
Das fängt beim Wetterbericht an. Die Prognose,<br />
dass es heute Abend ein Gewitter geben<br />
soll, basiert auf meteorologischen Modellen,<br />
die sich auf zahlreiche Daten aus der<br />
Vergangenheit stützen. Und auch jene, die<br />
allen Statistiken misstrauen, stützen sich in ihrer<br />
Argumentation ständig auf Daten. Nicht<br />
immer sind die Zahlen dabei richtig. Die Annahme<br />
etwa, dass Spinat besonders gesund<br />
ist, beruht auf einer falschen Statistik, bei der<br />
ein Forscher beim Eisengehalt schlicht das<br />
Komma an eine falsche Stelle gesetzt hatte.<br />
Solche einfach nachweislichen Fehler sind<br />
aber doch eher die Ausnahme. Welche<br />
Methoden setzen die Zahlentrickser ein?<br />
Das Repertoire ist immens, 16 beliebte Methoden<br />
stellen wir in unserem neuen Buch<br />
vor (siehe Kasten). Das fängt beim geschickten<br />
Einsatz von relativen und absoluten Zahlen<br />
an. Auch mit der Definition von Begriffen<br />
lassen sich Daten manipulieren – wie die<br />
Arbeitslosenzahlen zeigen. Mit genauen Zahlenangaben,<br />
ohne sie zu belegen, lassen sich<br />
viele Menschen bluffen. Große Wirkungen<br />
zeigen auch Grafiken, wenn gezielt Zeiträume<br />
gewählt werden, für die man Veränderungen<br />
darstellt oder wenn die y-Achse erst bei höheren<br />
Werten statt bei Null einsetzt. Dann<br />
sehen Veränderungen viel dramatischer aus.<br />
Können Sie uns ein Beispiel für wirkungsvolle<br />
Zahlenmanipulationen nennen?<br />
Gerne stelle ich in meinen Vorträgen drei<br />
markante Bildungslügen voran. Lüge 1: <strong>Al</strong>s<br />
Peer Steinbrück (SPD) Ministerpräsident von<br />
Nordrhein-Westfalen (NRW) war, brüstete er<br />
sich damit, 2000 LehrerInnen neu eingestellt<br />
zu haben. Bei genauerer Überprüfung stellte<br />
sich heraus, dass im gleichen Zeitraum 200<br />
Lehrer mehr pensioniert wurden als neu eingestellt.<br />
Wir nennen diesen Trick „Yan und<br />
Ying“ oder die vergessene zweite Seite. Lüge<br />
2: Nicht minder „kreativ“ ging in der Vergangenheit<br />
der künftige NRW-Ministerpräsident<br />
Armin Laschet (CDU) mit Zahlen um. Er<br />
brüstete sich damit, dass während der Regierungszeit<br />
der Union zusätzlich 1000 Lehrer<br />
neu eingestellt worden seien. Klingt gut, aber<br />
die Zahl ist ohne Bezug überhaupt nicht aussagekräftig.<br />
1000 für eine Schule geht nicht,<br />
1000 für die Welt ist gar nichts. Damals gab es<br />
in NRW 7000 Schulen. 1000 neue Lehrer für<br />
7000 Schulen heißt, sieben Schulen mussten<br />
sich einen neuen Lehrer teilen. Ein Witz. Das<br />
ist das Spiel mit den absoluten Zahlen: Die<br />
absolute Zahl imponiert, und die Prozentzahl<br />
ist ein Klops. Lüge 3: Die dritte Bildungslüge<br />
ging von Merkels Bildungs-Gipfel 2009 aus:<br />
Stolz verkündete sie, dass die Bundesregierung<br />
20 Milliarden Euro mehr für Bildung ausgeben<br />
will – eine beeindruckende Zahl. Ging<br />
man aber ins Detail, was damals nur wenige<br />
Zeitungen gemacht haben, stellte sich heraus:<br />
Erstens waren die Mittel nicht nur für Bildung,<br />
sondern auch für Forschung, zweitens sollte<br />
der Betrag nicht in einem Jahr sondern innerhalb<br />
von neun Jahren ausgegeben werden,<br />
Letztendlich ging es um 1,5 Milliarden Euro<br />
jährlich für Bildung. Ich habe den Betrag in<br />
Relation zum jährlichen Bildungsetat von<br />
rund 150 Mrd. Euro gesetzt, gerade mal ein<br />
Prozent betrugen danach die Mehrausgaben.<br />
Und es handelte sich um nominale Zahlen,<br />
die Preissteigerung, die damals rund zwei Prozent<br />
betrug, war nicht berücksichtigt. Danach<br />
wären die zugesagten Mittel statt einer Erhöhung<br />
eine reale Kürzung der Bildungsausgaben<br />
gewesen.<br />
Die Beispiele zeigen drei beliebte Methoden,<br />
mit Zahlen zu tricksen – einmal die vergessene<br />
„zweite Seite“ zum zweiten das Spiel mit<br />
beeindruckenden Zahlen, ohne sie in Bezug<br />
zur Gesamtheit zu setzen, und zum dritten<br />
die Methode, Zahlen aus längeren Zeiträumen<br />
zusammenzufassen – das wirkt dann<br />
viel imposanter.<br />
Es gibt aber auch Bereiche, in denen wir<br />
viel zu wenig aussagefähige Daten haben.<br />
Etwa beim Thema Reichtum in Deutschland.<br />
Welche Daten fehlen?<br />
Die Mängel in der Datenlage zum Thema<br />
Reichtum in Deutschland sind in der Tat<br />
groß und wahrscheinlich auch beabsichtigt.<br />
Es ärgert mich zum Beispiel sehr, dass das<br />
Statistische Bundesamt zwar im Mikrozensus<br />
abfragt, wer monatlich über 18 000 Euro verdient,<br />
das Ergebnis aber nicht veröffentlicht.<br />
Stattdessen werden als Gutverdienende alle<br />
zusammengefasst, die mehr als 4500 Euro<br />
im Monat verdienen. Das ist gerade mal gehobener<br />
Mittelstand. Da wird einfach massiv<br />
versteckt. Auch beim Thema Arbeitslosigkeit<br />
fehlen uns wichtige Daten. Manche Erhebungen<br />
werden eingestellt – etwa im Bereich<br />
Umwelt, immer wieder auch gern mit der<br />
Begründung, Bürokratie abbauen zu wollen.<br />
Haben Sie ein aktuelles Beispiel dafür, wo<br />
Daten nicht erfragt wurden, um Sachverhalte<br />
zu verschleiern?<br />
Die letzte Landesregierung von NRW schaffte<br />
die Statistik über ausgefallene Unterrichtsstunden<br />
an den öffentlichen Schulen ab. Ersetzt<br />
wurde sie durch eine Einzelbefragung<br />
der Schuldirektoren. Begründet wurde der<br />
Verzicht auf die landesweite Datenerhebung<br />
damit, dass sich der Unterrichtsausfall nicht<br />
sauber statistisch erfassen ließe. Wie ließe<br />
sich zum Beispiel abbilden, wenn eine Lehrkraft<br />
mal zwei Klassen gleichzeitig unterrichtet<br />
– Ausfall oder kein Ausfall? Natürlich gibt<br />
es bei jeder Statistik Randbereiche, die man<br />
nicht sauber erfassen kann. Das ist aber kein<br />
Argument gegen die gesamte Erhebung. Im<br />
konkreten Fall wurde das als Vorwand genutzt,<br />
die – vermutlich eher negativen – Zahlen<br />
nicht mehr zu präsentieren. Elternverbände<br />
haben daraufhin ihre eigenen Statistiken<br />
geführt und sind damit in die Öffentlichkeit<br />
gegangen. Nicht zuletzt hat die Bildungspolitik<br />
von Rot-Grün in NRW zur Abwahl der<br />
Landesregierung geführt.<br />
Ein Thema zieht sich wie ein roter Faden<br />
durch Ihre Veröffentlichungen – das sind<br />
Ihre Argumente gegen das „demografische<br />
Gruselkabinett“.<br />
Ja. Demografie muss als Begründung für eine<br />
Vielzahl von neoliberalen Politikentscheidungen<br />
herhalten, und dieses Dauerfeuer<br />
wirkt – befördert durch eine massive Kampagne,<br />
gestartet unter anderem von der Initiative<br />
Neue soziale Marktwirtschaft, einer<br />
vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall gegründeten<br />
Denkfabrik. Es reicht mittlerweile,<br />
das Stichwort zu nennen. Das beginnt beim<br />
Ärztemangel – ausgeblendet wird dabei, dass<br />
seit vielen Jahrzehnten mit einem scharfen<br />
Numerus Clausus junge Menschen daran<br />
gehindert werden, den Arztberuf zu ergreifen.<br />
Es geht bis zur angeblichen Notwendigkeit,<br />
Renten zu kürzen und das Rentenalter heraufzusetzen.<br />
Auch hier gilt: Wem nutzt das?<br />
Ohne die <strong>Al</strong>terung der Gesellschaft infrage<br />
zu stellen, lassen sich eindeutige und einflussreiche<br />
Nutznießer der Demografie-Angst<br />
benennen – etwa die Versicherungsbranche,<br />
die durch Riester- oder Rürup-Rente von den<br />
Kürzungen bei der gesetzlichen Rente profitiert.<br />
Oder die Arbeitgeber, die sich dank<br />
der Demografie-Angst aus der paritätischen<br />
Finanzierung der Sozialkassen verabschieden<br />
konnten. Letztendlich geht es auch in der<br />
alternden Gesellschaft vor allem um Verteilungsfragen.<br />
Sie schreiben: Langzeitprognosen sind<br />
meist moderne Kaffeesatzleserei.<br />
Ja, und deshalb müssen sie auch immer wieder<br />
überprüft werden. <strong>Al</strong>le Prognosen zur<br />
Bevölkerungsentwicklung, die älter als 30<br />
Jahren sind, sind grottenfalsch. Das lässt sich<br />
einfach nachvollziehen. Die Prognosen wurden<br />
erstellt vor der Auflösung des Ostblocks,<br />
vor der Wiedervereinigung, vor den Kriegen<br />
in Afghanistan, im Irak, in Libyen und Syrien.<br />
<strong>Al</strong>l das hatte erhebliche Auswirkungen. Nicht<br />
ohne Grund gibt das Statistische Bundesamt<br />
alle drei Jahre eine neue Rechnung zur Bevölkerungsentwicklung<br />
heraus. Die Abweichungen<br />
können nach drei Jahren durchaus<br />
mehrere Millionen Menschen etwa für das<br />
Jahr 2050 betragen.<br />
<strong>Al</strong> <strong>Ard</strong> - 2/2017 - #5<br />
02/2016 - <strong>Al</strong> <strong>Ard</strong>