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12 Politik - <strong>Al</strong>ice Weidel. Macht. Hungrig.<br />
Titel - <strong>Al</strong>ice Weidel Macht-Hungrig?<br />
13<br />
لقاءات لم يع<br />
سياسة - اليس فايدل طامعة ؟<br />
<strong>Al</strong>ice Weidel. Macht. Hungrig.<br />
Mit der “<strong>Al</strong>ternative für Deutschland”<br />
könnte ab dem 24. September eine rechte<br />
Partei in den Bundestag einziehen, die<br />
Migration bekämpfen will und deren Mitglieder<br />
immer wieder durch homophobe<br />
Äußerungen auffallen. Spitzenkandidatin<br />
<strong>Al</strong>ice Weidel scheint diesem Profil zu<br />
widersprechen. Aber ist sie wirklich so<br />
gemäßigt?<br />
TEXT VON JULIAN DAUM<br />
<strong>Al</strong>ice Weidel spricht in einer angenehmen<br />
Geschwindigkeit, ruhig und extrem<br />
pointiert. Wenn sie eine Pointe<br />
zum Abschluss bringt, zieht sie gerne die linke<br />
Braue nach oben und grinst süffisant mit<br />
leicht heruntergezogenen Mundwinkeln den<br />
ersten Reihen entgegen wie eine gönnerhafte<br />
Gutsherrin ihrem Gesinde. Doch die bewusst<br />
zur Schau getragene Arroganz richtet sich<br />
nicht gegen ihre Zuhörer, die ihr im Juni in<br />
Rheinfelden gegenübersitzen. Denn bei der<br />
Wahlkampfveranstaltung sieht sie vor allem<br />
Parteifreunde vor sich. Sie gilt den Medien,<br />
die alltäglich ein Zerrbild der AfD zeichnen<br />
würden. Das Bild einer rassistischen und<br />
minderheitenverachtenden Nazipartei. Demgemäß<br />
stünde sie natürlich täglich vor dem<br />
Spiegel und überlege dabei, “gegen welche<br />
Minderheiten ich heute wieder hemmungslos<br />
hetzen möchte”, sagt sie ironisch.<br />
<strong>Al</strong>ice Weidel ist 38 Jahre alt, hoch gebildet,<br />
promovierte Unternehmensberaterin und<br />
Startup-Gründerin. Offen lesbisch, Partnerin<br />
mit Migrationshintergrund, Kind. Diese Frau<br />
wurde, nachdem Bundessprecherin Frauke<br />
Petry den internen Machtkämpfen unterlag,<br />
im April von der AfD zur Spitzenkandidatin<br />
für die Bundestagswahl gewählt. Und das<br />
sollte eigentlich ein Widerspruch sein. Für<br />
die Partei, die in ihrem Programm Migration<br />
wie fast kein anderes Thema bekämpft, die<br />
Gleichstellung von Homosexuellen ablehnt,<br />
und deren Mitglieder immer wieder durch<br />
rassistische, homophobe und sexistische<br />
Aussagen auffallen, die zum Teil auch als<br />
Volksverhetzung verurteilt wurden. Vor allem<br />
aber: Sollte es nicht ein Widerspruch für sie<br />
selbst sein? Für die Weitgereiste, die in Hongkong<br />
für ihre Promotion in Nationalökonomie<br />
forschte. Die früher die Grünen und die<br />
FDP gewählt hatte, wie der Journalist Malte<br />
Henk von ihr erfuhr. Die, wie Henk schreibt,<br />
erst von ihrer Partnerin zur AfD geschickt<br />
wurde, “als neuen Zeitvertreib”. 2013 Eintritt<br />
in die Partei, zwei Jahre später Wahl in den<br />
Bundesvorstand. Dann kamen die Niederlagen,<br />
zuerst 2015, als sie in Baden Württemberg<br />
bei der Landtagswahl kandidierte. Auch<br />
innerhalb der Partei unterlag sie 2016 bei der<br />
Wahl zum Landesvorsitz. Nun, ein Jahr später,<br />
Spitzenkandidatur, denn alle hassen Frauke.<br />
Das ist nicht der Weg einer Frau, die zunächst<br />
als “Zeitvertreib” bei der AfD mitmacht<br />
und dann mal weitersieht. So landet<br />
man nicht an einer Parteispitze. Das zeugt<br />
von von jemandem, der kämpft, Niederlagen<br />
wegsteckt, weiter will, nach oben will.<br />
Genau dort sitzt sie nun. Und muss aushalten,<br />
dass der ebenfalls zum AfD-Spitzenkandidaten<br />
gewählte <strong>Al</strong>exander Gauland, bei einer<br />
Pressekonferenz nach Weidels Familie gefragt,<br />
“das Wort Familie anders definieren” würde.<br />
Dazu sagte <strong>Al</strong>ice Weidel bisher: nicht viel. Die<br />
Haltung ihrer Partei, dass gleichgeschlechtliche<br />
Beziehungen nicht dem gesellschaftlichen<br />
Leitbild entsprechen, sei jedenfalls mit<br />
ihr vereinbar, wie sie seither an verschiedener<br />
Stelle erklärte.<br />
Kann sie dazu keine klare Stellung, weil sie<br />
sich sonst eingestehen müsste, dass sie ihre<br />
Prinzipien einer erfolgversprechenden Karriere<br />
in einer Partei geopfert hat, die ihren Lebensentwurf<br />
eigentlich ablehnt?<br />
Oder bedeutet Weidels Kandidatur vielmehr,<br />
dass wir es vor der Bundestagswahl<br />
tatsächlich mit einer sich wandelnden, offeneren<br />
AfD zu tun haben, die an ihrem rechten<br />
Ende eben noch an der ein oder anderen Stelle<br />
ausfranst? Anders gefragt: Ist der AfD-Rassist<br />
bald nur noch ein bedauerlicher Einzelfall<br />
einer sich zunehmend mäßigenden Partei,<br />
die offene Hetze gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen<br />
nicht mehr duldet? Weidel<br />
jedenfalls hat sich bereits gegen solche<br />
Hetzer positioniert und forderte etwa den<br />
Ausschluss des Thüringer AfD-Fraktionsvorsitzenden<br />
Björn Höcke, der unter anderem<br />
biologisch einen “Ausbreitungstyp” bei der<br />
Fortpflanzung von Afrikanern herbei argumentierte<br />
und damit bewusst eine Nähe zur<br />
menschenverachtenden Rassentheorie der<br />
Nazis herstellte. Dasselbe forderte sie für den<br />
Berliner Abgeordneten Kay Nerstheimer, der<br />
Homosexuelle auf Facebook als “Fehler” bezeichnete,<br />
als “Gendefekt”, “degeneriert” und<br />
“widernatürlich”.<br />
Ja, von Hetze ist <strong>Al</strong>ice Weidel weit entfernt.<br />
Die AfD verkauft sie, wie sie sich selbst, als<br />
moderate Konservative und liberale Ökonomin.<br />
Sie soll das bürgerliche Gesicht einer Partei<br />
sein, die sich von den Medien und anderen<br />
Parteien zu Unrecht in eine rechtsradikale<br />
und homophobe Ecke gedrängt fühlt. Aber<br />
sind die Bestrebungen, allzu extreme Äußerungen<br />
öffentlich einzudämmen nicht bloße<br />
Kosmetik?<br />
Auch Weidel sagt “sogenannte Flüchtlinge”,<br />
wenn sie über die Boote voller Menschen im<br />
Mittelmeer spricht oder “Steinzeit-Scharia”,<br />
wenn sie allgemein über den Islam spricht.<br />
Sie benutzt hin und wieder das heute oft als<br />
Schimpfwort gebrauchte “Asylant”, fordert<br />
eine Obergrenze für Asylbewerber und würde<br />
gerne eine Abschiebequote von 100 Prozent<br />
durchsetzen. Kurzum: Natürlich trägt Weidel<br />
die Kernforderungen der AfD vorbehaltlos<br />
mit. Und an denen hat sich, bei aller öffentlichen<br />
Kritik an den Höckes oder Nerstheimers<br />
in ihrer Partei, nichts geändert: Die “Präsenz<br />
von über 5 Millionen Muslimen” sei, so das<br />
Programm, “eine große Gefahr” für Deutschland.<br />
Außerdem solle sich jeder Migrant und<br />
jeder Eingebürgerte assimilieren, das bedeutet<br />
eine vollständige Anpassung unter Aufgabe<br />
der eigenen Kultur. Wobei das ohnehin Ausnahme<br />
bleiben sollte, denn eigentlich ist nur<br />
derjenige deutsch, dessen Eltern es sind. Weiterhin<br />
gilt auch das gesellschaftliche Leitbild<br />
einer Verbindung zwischen Mann und Frau.<br />
Auch die Wahl <strong>Al</strong>ice Weidels zur Spitzenkandidatin<br />
ändert daran nichts, im Gegenteil: als<br />
Mitglied und zeitweise Vorsitzende der Bundesprogrammkommission<br />
trägt sie die Inhalte<br />
nicht nur mit, sondern ist auch maßgeblich<br />
für ihre Formulierung verantwortlich.<br />
<strong>Al</strong>ice Weidel mag im vergangenen Jahr das<br />
neue Gesicht in der AfD gewesen sein. Jene<br />
Unbekannte, die plötzlich da war und die so<br />
ganz anders redete als so mancher Parteifreund,<br />
und mit der bisweilen Hoffnungen auf<br />
eine sich mäßigende Rechtsaußenpartei verbunden<br />
wurden. Doch auch ihr moderater<br />
Stil ändert nichts am Gesicht der AfD, das<br />
unverändert am rechten bis rechtsextremen<br />
Rand zu verorten ist. Auf der anderen<br />
Seite ist sie keinesfalls nur die publikumswirksame<br />
Quotenlesbe, die den Abgeschreckten<br />
eine falsche Toleranz gegenüber<br />
alternativen Lebensentwürfen vorgaukeln<br />
soll. <strong>Al</strong>ice Weidel lässt sich nicht lenken.<br />
Denn eine Frau wie sie, die bei Goldman<br />
Sachs arbeitete, als Beraterin in der Startup-Szene<br />
für Rocket Internet tätig war und<br />
selbst Unternehmen hochzog, ist kein politischer<br />
Spielball. Sondern eine Karrierefrau<br />
aus der Unternehmensbranche: fähig, zielstrebig<br />
und machthungrig. Das unterscheidet<br />
sie nicht unbedingt von vielen anderen<br />
Politikern. Doch treten die meisten Politiker<br />
aufgrund ihrer Überzeugungen und<br />
Prinzipien in eine Partei ein. <strong>Al</strong>ice Weidel,<br />
die von ihrer Freundin zur AfD geschickt<br />
wurde, beschloss offenbar zugunsten eines<br />
Aufstiegs auf einige dieser Prinzipien, die sie<br />
persönlich betreffen, zu verzichten.<br />
Sie ist keine Populistin. Und genau das<br />
macht sie für die Volksparteien gefährlich<br />
und für die Wähler attraktiv. <strong>Al</strong>ice Weidel ist<br />
ein rechtsaußen-Wolf im konservativ-bürgerlichen<br />
Schafspelz. Und ob sie selbst tatsächlich<br />
den moderaten Flügel ihrer Partei vertritt,<br />
ist letztlich egal. Denn mit ihr wird vielleicht<br />
ein Rudel in den Bundestag einziehen, das<br />
nicht einmal den Schafspelz für nötig hält.<br />
<strong>Al</strong> <strong>Ard</strong> - 2/2017 - #5 #5 - 02/2017 - <strong>Al</strong> <strong>Ard</strong>