DAMALS_Inhalt und Titel
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- Seite 12: Das Passe-vite ist ein von Hand bet
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- Seite 20 und 21: BAKTERIEN UND VIREN Flegelhaft anne
- Seite 22 und 23: MILCHKESSELI Nein. Als ich noch en
- Seite 24: das hellblaue MILCHKESSELI Frühmor
- Seite 28 und 29: 24 Brigitte Bardot auf Velo-Solex
- Seite 30: TRAVELER ‚ S CHECK Zur besten Rei
- Seite 33 und 34: Eine frühe Form des Reiseschecks w
- Seite 36 und 37: Gangster erwirtschaften ihren Leben
- Seite 38: GLÜHBIRNE Wer hätte das gedacht?
- Seite 41 und 42: Verbindungen von Geräten mit dem E
- Seite 44: INDIGENE VÖLKER Ein entscheidendes
- Seite 47 und 48: 43
- Seite 49 und 50: Die Kehrichtabfuhr hat eine lange G
«Schau nach vorne <strong>und</strong> nicht zurück» heisste es meist.<br />
Öfters aber mal den Kopf bewegen <strong>und</strong> hin <strong>und</strong><br />
wieder einen Blick zurück werfen schadet gar nicht,<br />
denn in der Vergangenheit liegt die Wurzel<br />
unseres Erfolges.<br />
Zusammen mit Ihnen als Mitarbeiter <strong>und</strong> mit unseren<br />
K<strong>und</strong>en haben wir unserer Errungenschaften erfolgreich<br />
positioniert.<br />
Herzlichen Dank!
<strong>DAMALS</strong><br />
1
vorangehende Doppelseite<br />
links<br />
Diese Sicherungen wurden zu Beginn des letzten Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
verwendet. In den 60er-Jahren waren diese noch ganz<br />
vereinzelt in Betrieb. Mit einer 2-A-250-V-Stecksicherung<br />
konnte man gerade mal 2 oder 3 Glühlampen gleichzeitig<br />
brennen lassen. Elektrische Haushaltgeräte waren zu dieser<br />
Zeit noch sehr rar.<br />
rechts<br />
Eine Schmelzsicherung ist eine Überstromschutzeinrichtung,<br />
die durch das Abschmelzen eines Leiters den Stromkreis unterbricht,<br />
wenn die Stromstärke während einer ausreichenden<br />
Zeit einen bestimmten Wert überschreitet.<br />
Dieses System wurde in der neueren Zeit beibehalten, aber<br />
durch die effizienteren Kippsicherungen ersetzt.<br />
© Martin Bührer<br />
1. Auflage 150 Exemplare<br />
2. Auflage 1 000 Exemplare<br />
Mai 2015<br />
ISBN 978-3-033-04906-2<br />
2<br />
www.illustro.ch
<strong>Titel</strong>bild<br />
Die Tapete ist Synonym für Veränderung. Sie bewahrt Spuren<br />
des Lebens, ohne dass wir es bewusst wahrnehmen, verpackt<br />
unser Refugium in eine subjektive Wohlfühloase, kaschiert<br />
Vergangenes <strong>und</strong> lässt es vergessen. Man hat oft die eine<br />
über die andere geklatscht, hat Risse, Löcher, Flecken, Unstimmigkeiten,<br />
ja sogar Dummheiten verhüllt. Die Tapete ist<br />
Zeitzeuge unseres Lebens in der Neuzeit.<br />
In den eigenen vier Wänden versucht man mit einer neuen<br />
Tapete Vergängliches <strong>und</strong> Altmodisches zu unterdrücken <strong>und</strong><br />
sich so offenbar der Neuzeit zu verpflichten. Sie ist Ausdruck<br />
der momentanen Lebenslage <strong>und</strong> unterbindet somit Gedanken<br />
an das, was mal war.<br />
Ein Tapetenmuster lenkt unsere Emotionen, macht verrückt,<br />
melancholisch, gibt unbewusst Anlass zu Streit, beruhigt<br />
aber auch wieder <strong>und</strong> kann versöhnlich stimmen.<br />
Oft denkt man, da gefällt es mir nicht, in diesem Raum ist es<br />
mir nicht wohl, <strong>und</strong> – man glaubt es kaum – es kann durchaus<br />
die Tapete sein, die nicht passt. Man kann Möbel davorstellen,<br />
Bilder <strong>und</strong> anderen Wandschmuck aufhängen,<br />
abdunkeln oder hell erleuchten – die Tapete ist Gr<strong>und</strong> <strong>und</strong><br />
Basis für unsere Art der Befindlichkeit.<br />
Ihren Ursprung hat die Tapete im Orient. Bevor man günstige<br />
Papiertapeten benutzte, schmückten Sultane, Kalifen<br />
<strong>und</strong> Emire ihre Wände vor allem mit grossen Wandteppichen.<br />
Bis ins 18. Jahrh<strong>und</strong>ert nannte man diese deshalb auch<br />
«türkische Tapeten». Da diese überaus teuer waren, nahmen<br />
die arabischen Fürsten im Mittelalter <strong>und</strong> auch danach ihre<br />
wertvollen Teppiche bei Reisen zu ihren Residenzen mit.<br />
Lichtschalter waren zu Beginn des elektrischen Zeitalters<br />
durchwegs aus Porzellan <strong>und</strong> Keramik. Das Material war von<br />
ausserordentlicher Härte, nicht leitend <strong>und</strong> folglich ideal für<br />
Drehschalter. Später verwendete man für Lichtschalter meist<br />
den robusten ersten vollsynthetisch hergestellten Kunststoff<br />
Bakelit.<br />
3
• Sicherungen<br />
• Tapete<br />
• Passe-vite<br />
• Schreibmaschine<br />
• Telefon mit Wählscheibe<br />
• Milchkesseli<br />
• Velo-Solex<br />
• Traveler‘s-Check<br />
• Flasche mit Bügelverschluss<br />
• Glühbirne<br />
• indigene Völker<br />
• Güdderchübel<br />
• LP <strong>und</strong> Plattenspieler<br />
• Fotoapparat<br />
• Peace-Zeichen<br />
• Kassette<br />
• Floppy Disk<br />
• das Fräulein<br />
• Reissnagel<br />
• magisches Auge<br />
• Super-8-Kamera<br />
• Filterkaffee<br />
• Wäscheschleuder<br />
• Hotelschlüssel<br />
• alte Währungen<br />
• Kommunismus<br />
• Luftpost<br />
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3 / <strong>Titel</strong><br />
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Das waren noch Zeiten!<br />
Vor gar nicht allzu langer Zeit – gerade gestern noch oder<br />
vorgestern – denkt man oft…<br />
Herrgott, wie war das doch damals mit der alten Hermes<br />
Baby, dem Tipp-Ex <strong>und</strong> den übervollen Papierkörben – oder<br />
ganz früher, als wir Kinder jeweils am Abend mit dem hellblauen,<br />
ultramodernen Plastik-Milchkesseli mit rotem Henkelgriff<br />
zum Milchhüsli geschickt wurden – in den 80ern mit<br />
dem Lenco Plattenspieler, den LPs von David Bowie, Santana…<br />
der Super-8-Kamera oder dem Velo-Solex – <strong>und</strong> war<br />
da nicht eben noch die Floppy Disk…?<br />
Produkte, Objekte <strong>und</strong> Ereignisse von «gerade eben noch»<br />
in Form von grossformatigen Illustrationen, zusammen mit<br />
amüsanten Texten <strong>und</strong> Angaben darüber sind die Hauptakteure<br />
in diesem Bilder-Buch.<br />
Aus einer fast unendlichen Fülle von Themen sind die 27<br />
gewählten in diesem Buch meist erlebte Angelegenheiten.<br />
Sie entsprechen dem Empfinden des Autors <strong>und</strong> sind die Basis<br />
zu diesem Buch – Wahrheit, Dichtung oder abgeänderte<br />
Begebenheiten sind aber keinesfalls auszuschliessen.<br />
Auch wenn verschiedene nostalgische Tendenzen, wie zum<br />
Beispiel der Hang zum Plattenspieler mit den LPs, vorhanden<br />
sind, ist es Tatsache, dass diese Objekte fast unwiderruflich<br />
der Vergangenheit angehören <strong>und</strong> immer mehr<br />
vergessen werden. Das Filterkaffee-System, so wie es hier<br />
beschrieben wird, ist zwar sehr interessant <strong>und</strong>, wie es in<br />
seiner Verschiedenheit gebraucht wurde, auch oft zum<br />
Schmunzeln, ist aber in unserer gehetzten Zeit kaum mehr<br />
anzuwenden.<br />
Kaffee wird bei uns, sei es bei der Arbeit oder zu Hause,<br />
vermehrt aus Kapseln, Sachets, der vollautomatischen Kaffeemaschine<br />
oder allenfalls mit der alten italienischen Espressoschraube<br />
zubereitet.<br />
Die deutsche Sprache ist sehr blumig <strong>und</strong> facettenreich. Sie<br />
ist womöglich eine der detailliertesten Sprachen auf der<br />
Welt überhaupt <strong>und</strong> sollte einerseits in den Bestandteilen<br />
gepflegt <strong>und</strong> bewahrt werden, andererseits ist die Sprache<br />
auch ausbaufähig <strong>und</strong> soll der aktuellen Zeit sinnvoll angepasst<br />
werden.<br />
Der Begriff «Fräulein» wurde zu Beginn der Emanzipation<br />
der Frau in den 70ern im deutschen Sprachraum gewissermassen<br />
getilgt; zu Recht oder zu Unrecht ist die Frage.<br />
Die Gleichberechtigung der Frau gegenüber dem Mann beruht<br />
sicher nicht auf dieser Form des Ansprechens. In Frankreich,<br />
Italien, Spanien, England <strong>und</strong> vielen andern Sprachgebieten<br />
gibt es das Fräulein noch – Mademoiselle, Signorina,<br />
Señorita, Miss etc.<br />
Eine der wichtigsten philosophischen Weltanschauungen war<br />
der Kommunismus. Die soziale Auslegung wäre im Zeichen<br />
der wachsenden Weltbevölkerung für den Menschen genial<br />
gewesen, das falsche Verständnis <strong>und</strong> die fragliche Ausführung<br />
durch die meisten Protagonisten verurteilten den Kommunismus<br />
jedoch zum Scheitern.<br />
Es gibt aber auch Erzeugnisse von gestern <strong>und</strong> vorgestern,<br />
welche trotz übler Diffamierungen <strong>und</strong> Verbannungsversuche<br />
überlebt haben <strong>und</strong> heute einen enormen Kultstatus erreicht<br />
haben – zum Beispiel Blue Jeans…<br />
5
PASSE-VITE hoffnungslos<br />
Ich schreibe Passe-vite hartnäckig mit Bindestrich,<br />
schon dieser Umstand allein verrät meine unabänderliche<br />
Liebe zu diesem aussterbenden Küchengerät.<br />
Es ist alles andere als passé, wenn Sie mich fragen –<br />
wenn auch von der Mehrheit vergessen oder ignoriert.<br />
Der Mixer fegte das bescheidene Passe-vite in den<br />
1960er-Jahren wie ein Tornado fast vollständig aus<br />
den Küchen. Er kann Gemüse <strong>und</strong> Früchte ungleich<br />
schneller <strong>und</strong> feiner pürieren <strong>und</strong> erst noch ohne Kraftaufwand.<br />
ABER haben Sie schon einmal Kartoffeln mit<br />
dem Mixer püriert? Bei dieser Masse kriegen Sie den<br />
M<strong>und</strong> vor Staunen nicht mehr auf, denn damit liesse<br />
sich problemlos eine Tapete an die Wand kleistern.<br />
passé?<br />
Nur Kartoffelstock oder Gnocchi – nein – das kann man<br />
damit niemals zubereiten! Der Mixer mit seiner hohen<br />
Drehzahl erzeugt Reibungswärme <strong>und</strong> so kann sich<br />
die Kartoffelstärke mit Wasser zu einer beeindruckend<br />
klebrigen Masse verbinden. Da entstehen also mitnichten<br />
hübsche, kleine Würmchen, die – beträufelt mit<br />
flüssiger Butter – als Kartoffelschnee zu Gulasch oder<br />
Voressen serviert werden können. Oder die mit Butter<br />
<strong>und</strong> Milch verrührt zu einem luftigen hausgemachten<br />
Kartoffelstock werden. Darum beweine ich nicht das<br />
Verschwinden des guten alten Passe-vites, sondern<br />
bemitleide diejenigen, die es vorschnell der Altmetallsammlung<br />
überlassen haben.<br />
Ihr wisst ja nicht, was ihr verpasst!<br />
Betty Bossi<br />
6
7
Das Passe-vite ist ein von Hand betreibbares Küchengerät,<br />
das zum Passieren von Früchten, Gemüse oder anderen Lebensmitteln<br />
dient.<br />
Das Utensil besteht aus einem siebartigen, meist leicht abgeschrägten<br />
Boden, über den eine Welle mit rotorartigen<br />
Blättern bewegt wird. Mit einer Kurbel werden die Blätter<br />
in eine Drehbewegung versetzt <strong>und</strong> pressen so die ins Gerät<br />
gelegten Lebensmittel durch den Siebboden. Bei einigen<br />
Geräten lässt sich das Bodensieb wechseln <strong>und</strong> so die Feinheit<br />
variieren.<br />
1928 liess Victor Simon in Belgien ein Gerät mit dem Namen<br />
«Passoire d‘action rapide pour légumes et autres comestibles»<br />
patentieren. Möglicherweise war diese Bezeichnung<br />
etwas zu ausschweifend, als dass das Gerät in den francophonen<br />
Küchen sofort den Einzug geschafft hätte.<br />
Im Jahr 1932 wurde der Franzose Jean Mantelet von enormem<br />
Mitleid ergriffen, als er seiner Frau zusehen musste,<br />
wie sie mit der Gabel die Kartoffeln zu Brei zerdrückte. Dem<br />
sonntäglichen Küchen-Prozedere der französischen Madame<br />
sollte zumindest in dieser Hinsicht eine gewisse Erleichterung<br />
gewährt werden.<br />
Nach dem Prinzip «da muss es durch» erfand Jean die erste<br />
Gemüse-Mühle <strong>und</strong> meinte somit, das Instrument zur weiblichen<br />
Emanzipation erf<strong>und</strong>en zu haben. Die Kraftanwendungen<br />
wurden durch dieses Gerät zwar minimiert, das Reinigen<br />
des Gerätes war aber umso aufwändiger.<br />
Der minimale Zugewinn von Freiheit war für die gallische<br />
Madame so klein, dass die echte Emanzipation der Frau verständlicherweise<br />
für Jahre auf später verschoben wurde.<br />
Die modernen germanischen Hausfrauen wollten aber bezüglich<br />
dieser Erleichterungen in der Küche keineswegs<br />
hintanstehen <strong>und</strong> liessen sich vor siebzig Jahren von den<br />
Gebrüdern Funke die Flotte Lotte erfinden.<br />
Passe-vite, Passe-tout, Presse-Purée, Pürierchef, Passiermühle,<br />
Gemüsemühle, Passiergerät oder Flotte Lotte – eine ganze<br />
Armada verschiedener Namen für dasselbe Gerät zeugt von<br />
dessen Beliebtheit. Jean Mantelet verkaufte zeitweilig bis<br />
zu zwei Millionen «Presse-Purée» pro Jahr <strong>und</strong> nannte das<br />
Gerät später «Moulinex», so wie seine Firma.<br />
Wer wem was abgeschaut, geklaut <strong>und</strong> neu patentiert hat,<br />
ist hier kaum belegt <strong>und</strong> beschäftigt heute nur noch linientreue<br />
Gemüsemühlendreherinnen <strong>und</strong> -dreher. Ist es die<br />
französische Moulinex oder die deutsche Flotte Lotte?<br />
8
10<br />
Schreibmaschine<br />
…Hermes Baby
Die Hermes Baby war eine der weltweit beliebtesten Kleinschreibmaschinen.<br />
1935 erstmals hergestellt, wurde sie bald<br />
mal zum absoluten Renner <strong>und</strong> bis in die 1980er-Jahre mehr<br />
als 4,5 Millionen Mal verkauft. Im Wesentlichen blieb sie mechanisch<br />
praktisch unverändert. Im englischsprachigen Raum<br />
ist sie als «Featherweight» <strong>und</strong> «Hermes Rocket» bekannt.<br />
Dank ihrem Erfolg wurde die Schweiz 1938 mit 42000 ausgeführten<br />
Exemplaren hinter den USA <strong>und</strong> Deutschland zum<br />
drittgrössten Exportland für Schreibmaschinen.<br />
Der amerikanische Schriftsteller-Zampano Ernest Hemingway<br />
hatte verschiedene Schreibmaschinen, die Hermes Baby aber<br />
war sein steter Reisebegleiter; seine amerikanischen Schriftstellerkollegen<br />
John Steinbeck <strong>und</strong> William S. Borroughs<br />
hatten ebenfalls eine Baby. Gordon Lee streichelte, traktierte<br />
<strong>und</strong> quälte seine Hermes <strong>und</strong> hatte dadurch einen grossen<br />
Baby-Verschleiss. Pro Roman zerhackte er durchschnittlich<br />
ein Gerät. Als die Produktion der Hermes Baby 1989 schliesslich<br />
eingestellt wurde, kaufte sich der ältere Herr noch ein<br />
Dutzend davon auf Vorrat.<br />
Es war vor allem die künstlerische Gilde der tippenden Gesellschaft,<br />
welche die Hermes Baby schätzte. Das praktische <strong>und</strong><br />
preiswerte Gerät wurde aber auch von Vereinsaktuaren, Buchhaltern,<br />
in Sekretariaten <strong>und</strong> in Haushalten sehr geschätzt.<br />
Zu Beginn des Jahres 1935 kündigte die Herstellerfirma<br />
Paillard die neue Schreibmaschine wie folgt an:<br />
«Einem Bedürfnis Rechnung tragend, das bisher nur Wunsch<br />
war, hat die Firma Paillard & Co. in aller Stille einen vollständig<br />
neuen Typ einer Schreibmaschine geschaffen, dessen Erscheinen<br />
auf dem Markt in wenigen Wochen erfolgen wird.<br />
Diese neue Maschine, die Hermes Baby, repräsentiert eine<br />
schöpferische Leistung der schweizerischen Schreibmaschinen-Industrie<br />
<strong>und</strong> wird zweifellos dem Geschäfte der Kleinmaschinen<br />
einen ganz neuen Impuls geben. Hermes Baby<br />
wiegt ca. 3 kg, ist so hoch wie eine Zündholzschachtel, bringt<br />
eine vollwertige Arbeitsleistung zustande <strong>und</strong> wird zu einem<br />
Preis verkauft werden, der weniger als die Hälfte des Preises<br />
der gewöhnlichen Portable betragen wird.»<br />
Die Hermes Baby r<strong>und</strong>ete das von Paillard angebotene Sortiment<br />
an Schreibmaschinen ab. Sie sei zwar nicht die erste<br />
«Portable», jedoch deutlich kleiner <strong>und</strong> kompakter als<br />
das Vorgängermodell <strong>und</strong> bei einem Preis von damals 160<br />
Schweizer Franken äusserst günstig <strong>und</strong> spreche somit eine<br />
neue Käuferschicht an.<br />
An der Basler Mustermesse von 1935 wurde die Hermes<br />
Baby als «das Weltw<strong>und</strong>er für jedermann» angekündigt.<br />
12
WÄHLSCHEIBE<br />
Zur Telefon-Wählscheibe können gr<strong>und</strong>sätzlich drei Themenbereiche<br />
erwähnt werden.<br />
Der erste Bereich ist die Erfindung <strong>und</strong> technische Entwicklung:<br />
vom Trommelwählschalter, der Fingermuldenscheibe<br />
bis hin zur Fingerlochscheibe. Die Fingerlochscheibe<br />
bildete die eigentlich letzte <strong>und</strong> bekannteste<br />
Version des sogenannten Nummernschalters mit Fliehkraftreglersystem.<br />
Dieses System wurde in den 80er-Jahren<br />
des letzten Jahrh<strong>und</strong>erts mehrheitlich durch den Tastenwahlblock<br />
verdrängt.<br />
In den meisten Fällen war nach sechs- oder siebenfacher<br />
Rotation der Wählscheibe die Kommunikation, das Gespräch<br />
eigentlicher Sinn <strong>und</strong> Zweck des Telefonierens.<br />
Da das allgemeine Telefongespräch gr<strong>und</strong>legend in nur<br />
zwei Bereiche gefasst werden kann, nämlich in «wichtig»<br />
<strong>und</strong> in «belanglos», kann diese Angelegenheit schnell<br />
übergangen <strong>und</strong> sofort zum dritten, viel interessanteren<br />
Themenbereich gewechselt werden.<br />
Die Wählscheibe, genauso wie die Sprechmuschel, ist<br />
ein gewaltiges Tummelfeld für Bakterien <strong>und</strong> Viren.<br />
Vergleichsweise dazu werden Veranstaltungen wie Super<br />
Bowl, Carneval in Rio, Woodstock oder das Fest auf<br />
der Wiesn zu bedeutungslosen Ringelreihen degradiert.<br />
Bazillen sind unbequem, meist bösartig <strong>und</strong> vermehren<br />
sich prächtig in geschlossenen Räumen wie vielbenutzten<br />
Telefonkabinen.<br />
14
BAKTERIEN UND VIREN<br />
Flegelhaft annektierte jemand Sek<strong>und</strong>en vor dir das Telefonhäuschen<br />
<strong>und</strong> es ist dir nichts anderes übrig geblieben, als dem<br />
folgenden Prozedere völlig unauffällig zuzuschauen.<br />
Münzen aus einem schäbigen Portemonnaie kullerten erstmal<br />
in physikalischer Norm <strong>und</strong> gepaart mit unkontrolliertem<br />
Gebaren dieses dreisten Geschöpfes über den schmierigen<br />
Boden der Kabine <strong>und</strong> wurden dann nach dem System einer<br />
gewissen Salamitaktik in den längst zuvor schon kontaminierten<br />
Schlitz geworfen. Mit der Vielzahl von Krankheitserregern,<br />
die auf jeder Fingerkuppe<br />
nachweisbar sind, wurde danach mit<br />
dem Drehen in der Wählscheibe ein<br />
grandioses Symposium von Bazillen<br />
zusammengeführt. Je nach Gemüt<br />
<strong>und</strong> Verfassung dieses unverschämten<br />
Individuums konntest<br />
du zuschauen,<br />
wie Tränen, Rotze <strong>und</strong> Speichel als prickelndes Potpourri dem<br />
Griff des Telefonhörers beigemischt wurden.<br />
Weil du wusstest, dass Tränen der Freude <strong>und</strong> des Glücks vom<br />
spezifischen Gehalt her nicht besser sind als Tränen von Trauer<br />
<strong>und</strong> Verzweiflung, griffst du später in der frei gewordenen<br />
Kabine tapfer nach dem Hörer <strong>und</strong> wähltest mit deinem zuvor<br />
schon andersartig kontaminierten Zeigefinger die Nummer.<br />
Der extremen Seuchengefahr warst du dir zwar bewusst <strong>und</strong><br />
grübeltest deshalb nicht kurz danach in der Nase <strong>und</strong> hast<br />
auch bald mal die Hände gewaschen, bist aber der Ansicht,<br />
solche Szenen seien zwar ekelerregend, aber umgebracht habe<br />
es dich bis heute noch nicht.<br />
Die grössten Überträger von Millionen Keimen sind ungewaschene<br />
Hände. Weil sich Menschen im Schnitt alle vier Minuten<br />
ins Gesicht greifen, gelangen Krankheitserreger<br />
über die Schleimhäute von M<strong>und</strong>, Augen<br />
<strong>und</strong> Nase in den Körper <strong>und</strong> breiten sich aus.<br />
16
Technik<br />
Ein Nummernschalter war eine Fingerlochscheibe mit zehn<br />
Löchern. Jeder Ziffer von 1 bis 9 sowie der 0 ist je ein Loch<br />
zugeordnet. Eine Ziffer wurde gewählt, indem der Benutzer<br />
den Zeigefinger in das entsprechende Loch der Fingerlochscheibe<br />
steckte <strong>und</strong> ihn durch Rechtsdrehung bis zum<br />
Anschlag bewegte. Hinter der Wählscheibe wurde dadurch<br />
eine Rückdrehfeder gespannt. Dann wurde der Finger herausgezogen<br />
<strong>und</strong> die Rückdrehfeder drehte, abgebremst<br />
durch einen speziellen Fliehkraftregler, die Fingerlochscheibe<br />
in ihre Ursprungslage zurück. Bei diesem Vorgang wurde<br />
durch den Nummernschalter eine der gewählten Ziffer entsprechende<br />
Anzahl von Unterbrechungen (Impulse) der Telefonleitung<br />
mit einer durch den Fliehkraftregler definierten<br />
Geschwindigkeit übermittelt. So entstand die gewünschte<br />
Telefonnummer als Kombination verschiedener Ziffern.<br />
17
MILCHKESSELI<br />
Nein. Als ich noch en chline Goof war, ging man nicht<br />
in die Migros oder den Coop goge Milch poschte. Dafür<br />
gab es das Milchchesseli <strong>und</strong> den Milchchaschte. Der<br />
Milchkasten heisst beim Briefkasten zwar immer noch<br />
so, doch darin hat es schon lange keinen Platz mehr für<br />
einen Milchkessel, den es praktisch auch nicht mehr gibt.<br />
Es war meine heilige Aufgabe, diesen jeweils abends<br />
sauber gewaschen in den Milchkasten zu stellen.<br />
Und es vergingen doch ein paar Monate, bis ich<br />
herausfand, wie <strong>und</strong> von wem denn die Milch in<br />
das Kesseli kam. Am früene Morge schlich ich<br />
mich jeweils runter zum Kasten, um nachzuschauen,<br />
ob denn das Kesseli schon voll frischer<br />
Milch war. Ein guter Doppelliter<br />
hatte Platz in dem erst blechigen, später<br />
aus Plastik hergestellten Eimer. War<br />
der Deckel drauf, wusste ich, dass er voll<br />
war. Sorgfältig trug ich ihn nach oben in<br />
die Küche, wo mich bereits meine Mutter<br />
erwartete. E heissi Ovi gabs zum Zmorge.<br />
Mit der frischesten Milch der Welt. Die<br />
hät no nach Milch gschmöckt! Nicht wie diese halbteilentrahmtpasteurisierthomogenisierte<br />
Tunke, die heute<br />
verkauft wird. Die Milch kam direkt von der Kuh! Sind<br />
wir davon krank geworden? Sicher nöd! Gibt es heute<br />
mehr Allergien? Und ob! Alles klar? Also ich vermisse<br />
s‘Milchchesseli <strong>und</strong> de Milchma …<br />
Eva Grdjic<br />
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19
das hellblaue<br />
MILCHKESSELI<br />
Frühmorgens, wenn die meisten Menschen noch im Bett<br />
liegen <strong>und</strong> sich kurz vor dem Erwachen ein letztes Mal drehen,<br />
um auch die andere Seite des Traumes zu ergründen,<br />
heult ein jäher «Quietsch» mit doppeltem kurzem Nachhall<br />
durch den angegrauten Schwanz der Nacht. Ein Ton wie Fingernägel<br />
auf Schiefertafel – blankes Metall, gestockt von<br />
steinharten, trockenen Gummibremsklötzen.<br />
Frau Wey, die Milchfrau, ist angekommen. Mit dem schweren,<br />
klapprigen Fahrrad hat sie zu dieser Zeit bereits schon<br />
das ganze Unterdorf mit Milch, Butter <strong>und</strong> Käse versorgt.<br />
Auf dem riesigen Anhänger hat sie mindestens drei grosse<br />
Kannen mit Milch geladen, darüber auf Metallgestänge<br />
ein grosser, blauer Holzkasten für Butter, Käse, Joghurt <strong>und</strong><br />
Zigerstöckli. Gekühlt? Das gab‘s damals nicht, zu diesem<br />
Zweck reichte die sommerliche Morgenfrische. Mit Portioneneimer,<br />
gefüllt mit einigen Litern Milch in der einen<br />
Hand, eine breite Ledertasche für Butter, Käse, Joghurt <strong>und</strong><br />
Zigerstöckli, mit dickem Riemen an der Schulter, die Unterlippe<br />
zwischen die Zähne geklemmt, balancierte sie die<br />
ganze Last ums Haus herum zu den Milch- <strong>und</strong> Briefkästen.<br />
Dort warteten dann Dutzende von Milchkesseli; die meisten<br />
noch aus Aluminium, die neuen – quasi eine schweizerische<br />
Antwort auf Tupperware – viereckig, aus hellblauem,<br />
halbdurchsichtigem Polyethylen, mit rotem Henkelgriff. Im<br />
Milchkasten, neben dem leeren Milchkesseli, war auch das<br />
Milchbüechli, in dem die neue Bestellung drinstand, die von<br />
Frau Wey gewissenhaft ausgeführt <strong>und</strong> quittiert wurde.<br />
Die Auswahl an Milch <strong>und</strong> Milchprodukten war bescheiden.<br />
Es gab eine Sorte Milch, nämlich die von der Kanne, <strong>und</strong><br />
was in der Kanne war, kam ohne Umweg vom Euter <strong>und</strong> war<br />
die sogenannte Rohmilch. Dann gab es noch die Tafelbutter<br />
in blau bedrucktem Alupapier, Emmentaler, Tilsiter <strong>und</strong><br />
Glarner Zigerstöckli.<br />
20
VELO-SOLEX<br />
Mit Wind im Haar, einem neuartigen, vagen Gefühl<br />
von Freiheit, Geschwindigkeit <strong>und</strong> Revolution brauste<br />
ich mit Mutters Solex von einem Mopedhändler zum<br />
anderen auf der Suche nach dem ominösen Rollenharz,<br />
welches, laut meinen Töfflifre<strong>und</strong>en, dazu dienen sollte,<br />
aus der lahmen Ente ein pfeilschnelles, heisses Geschoss<br />
zu machen.<br />
Nur einer der Mopedhändler meinte mit einem sarkastischen<br />
Lächeln: Das gibt es wohl kaum.<br />
Da merkte ich, dass ich meinen Kollegen auf den Leim<br />
gekrochen war.<br />
22
24<br />
Brigitte Bardot auf Velo-Solex
25
TRAVELER ‚ S CHECK<br />
Zur besten Reisezeit sind die Nächte im hochgelegenen<br />
Cusco sehr kühl. Keiner der anwesenden Gäste des billigsten<br />
Hotels am Platz wollte deshalb <strong>und</strong> möglicherweise<br />
auch wegen der nächtlichen Ratten-Attacken das<br />
«Incatambo», die Kneipe am Plaza de Armas, schon<br />
frühzeitig verlassen.<br />
Pisco Sour, das peruanische Schnapsgetränk mit seinen<br />
aphrodisierenden Zutaten wie dem Angostura, den Limetten<br />
<strong>und</strong> dem Zimt, ist denn auch zu süffig <strong>und</strong> gelüstete<br />
die einen oder andern öfters nach mehr. Zudem<br />
gab der geplante Trip an den folgenden vier Tagen, auf<br />
dem über 50 km langen Inca-Trail nach Machu Picchu,<br />
genügend Gesprächsstoff <strong>und</strong> so quasselte man bis<br />
spät in die Nacht. Der Morgen danach war dann schon<br />
ein wenig strapaziös <strong>und</strong> eine gewisse Katerstimmung<br />
blieb bei anderen Reisebegleitern nicht unbemerkt.<br />
Nach einem kargen Frühstück beim Bahnhof San Pedro<br />
bot sich für mich die letzte Gelegenheit, vor der Reise<br />
meine Traveler‘s Checks gegen den hoch inflationären<br />
peruanischen Soles einzutauschen. Für meine restlichen<br />
50-Dollar-Checks bekam ich beim «Cambio» einen<br />
ziemlich grossen Stapel verschiedener Noten. Diese<br />
stopfte ich vorübergehend <strong>und</strong> wahrscheinlich sehr<br />
nachlässig in die rechte hintere Tasche meiner Jeans,<br />
wo diese auch nicht sehr lange darin blieben, sondern<br />
sehr schnell von meiner Tasche am Hintern in eine andere,<br />
fremde Tasche gesteckt wurden.<br />
Der Besitzer der anderen Tasche war zweifellos über<br />
meine vielen Soles sehr erfreut, ich hingegen änderte<br />
meine Reiseroute augenblicklich – in Richtung nach<br />
Hause.<br />
26
28<br />
Das ursprüngliche American Express-Emblem war eine weisse<br />
Bulldogge auf einem Tresor, was zwar vom Bild her als<br />
sehr sicher schien, aber vom Symbolgehalt her nicht allzu<br />
vertrauenserweckend galt. Ein neues Corporate Identity sollte<br />
Vertrauen, Qualität <strong>und</strong> Sicherheit für zufriedene K<strong>und</strong>en<br />
symbolisieren. Ein starker Mann mit Rüstung <strong>und</strong> klarem<br />
Blick schien die wahre Identität der Firma zu visualisieren.<br />
Mit der Herkunft dieser Figur hatte man das damals nicht so<br />
genau genommen <strong>und</strong> so kam es, dass der Mann mit Helmbusch<br />
mal ein Wikinger oder ein Gladiator, ein Hauptmann<br />
der römischen Armee, ein Trojaner oder sogar ein spartanischer<br />
Krieger war.<br />
Als dann zu Beginn dieses Jahrh<strong>und</strong>erts der Illustrator Steven<br />
Noble dem Logo ein Redesign verpasste, machte man<br />
dem Rätselraten über die Zugehörigkeit des Kriegers ein<br />
Ende <strong>und</strong> gab ihm den Rang eines Zenturios in der römischen<br />
Legion, was aber auch nicht stimmte.<br />
Einfache Legionäre der römischen Armee hatten die «Crist»,<br />
den Kamm aus gefärbtem Rosshaar, längs über dem Helm,<br />
Zenturios trugen den Kamm quer über dem Helm.<br />
Illustration/Logo: Steven Noble
Eine frühe Form des Reiseschecks waren die 1874 ausgegebenen<br />
Circular Notes des Reiseunternehmers Thomas Cook. Der erste<br />
Reisescheck in heutiger Form mit Gegenzeichnung wurde von<br />
American Express entwickelt. Nach einer Europareise hatte sich<br />
ein Angestellter der Firma beklagt, dass er ausserhalb der europäischen<br />
Hauptstädte kein Bargeld eintauschen konnte. Daraufhin<br />
wurden von American Express «Traveler‘s Checks» entwickelt <strong>und</strong><br />
die erarbeitete Methode, welches eine Gegenzeichnung vorsah,<br />
bald mal patentiert.<br />
Für grössere Reisen über mehrere Länder hinweg waren die Traveler‘s-Checks<br />
ein sehr angenehmes System. Wenn sie abhanden<br />
kamen, wurden sie bei rechtzeitiger Meldung gesperrt <strong>und</strong> ersetzt.<br />
Das System mit der Gegenzeichnung wurde von den meisten Banken<br />
<strong>und</strong> Wechselstuben sehr ernst genommen <strong>und</strong> war daher für<br />
das Einlösen zusammen mit Ausweispapieren des Reisenden eine<br />
sichere Sache.<br />
Der Scheck wurde vom Käufer vorerst einmal signiert <strong>und</strong> beim<br />
Einlösen gegen die bestehende Währung unter Kontrolle des jeweiligen<br />
Bankangestellten ein zweites Mal signiert.<br />
Die Traveler‘s Checks haben mit der weltweiten Verwendung der<br />
Kreditkarte sehr an Bedeutung verloren. Verschiedene Geldinstitute<br />
haben den Verkauf <strong>und</strong> die Produktion der Schecks eingestellt.<br />
29
BÜGELFLASCHE<br />
Der dumpf-verhaltene Ton, der das elegant-lässige Öffnen<br />
der Bügelflasche begleitete, war Synonym für Bier, Durst,<br />
Erfrischung, Heiss, Kühl, Fre<strong>und</strong>schaft, Schaum, Prost,<br />
Skol, Chin Chin, Salut, Nastrovje, 干 杯 (Mandarin), Skål,<br />
Cheers, Kippis, Santé, Jámas, Kasugta, Mahalu, Le‘chájim,<br />
Op uw gezonheid, Slàinte, Salute, Kanpai, Mazel tov, Uz<br />
veselibu, I sueikata, Mogba, Salam ati, Saúde, Tim-tim,<br />
Viva, Noroc, ´ivjeli, Auguryo, Mabuhay, Chokdee, Na<br />
zdraví, Serefe, Egészségére, Djam, Iechyd da, Osasuna,<br />
Genatsoot, Gëzuar, Shereve, Terviseks, Vakhtanguri, Mubarik,<br />
Kesak, I sueikata, Sacha Aviva…<br />
30
Gangster erwirtschaften ihren Lebensunterhalt durch kriminelle<br />
Machenschaften wie Diebstahl, Raub, Erpressung <strong>und</strong> Handel mit<br />
Undurchsichtigem <strong>und</strong> Durchsichtigem. Sie arbeiten sehr intensiv<br />
<strong>und</strong> müssen in ihrem Gewerbe mit der Substanz ganz oben in ihrer<br />
Erscheinung sehr haushälterisch umgehen. Wenn sie liederlich<br />
hantieren, werden sie für ihre Arbeit oft hart bestraft.<br />
Unter den Gangstern herrscht eine ganz klare Rangordnung, welche<br />
sich bei manchen Gruppierungen nicht nach der Konsistenz der<br />
Hirnmasse richtet, sondern nach dem Volumen anderer Körperteile.<br />
Es gibt die Gangster-Bosse, welche sich in den meisten Fällen<br />
eine Gangsterbraut leisten können, es gibt die normalen Gangster,<br />
die kleinen Gangster – die sogenannten Ganoven, <strong>und</strong> ganz am<br />
Schluss die kleinen Fische – die Unbrauchbaren. Alle zusammen<br />
bilden die eigentliche Gang <strong>und</strong> mit dieser Konstellation kann<br />
mehr oder weniger erfolgreich gehandelt werden.<br />
Auch dieses Metier will gelernt sein <strong>und</strong> an den verschiedenen<br />
Techniken muss immer wieder gefeilt werden. Je früher die Bildung,<br />
desto besser die Beute. Diese Jungsters sind die Strolche<br />
<strong>und</strong> unterscheiden sich schon in ihrer Erscheinung enorm von den<br />
richtigen Gangstern, müssen aber mit ähnlichem Esprit um Achtung,<br />
Ehre <strong>und</strong> um das Diebesgut kämpfen.<br />
Grosse Gangster handeln zwar sehr <strong>und</strong>urchsichtig, aber meist mit<br />
fester <strong>und</strong> oft wertvoller Materie; wir kleinen Gangster beschlossen,<br />
dass Klares <strong>und</strong> Transparentes viel besser zu unserem Metier<br />
passte. Unsere Losung war unmissverständlich <strong>und</strong> naheliegend:<br />
doppelt entsorgen.<br />
Beim Eindunkeln, kurz bevor zu Hause zum Appell gepfiffen wurde,<br />
stahlen wir die leeren Bügelflaschen hinter der alten Mosterei<br />
aus den Harassen, verschoben sie in unseren Adlerhorst <strong>und</strong> gaben<br />
dieselben am nächsten Tag vorne in der neu angelegten Getränkehandlung<br />
ab. Der Gewinn von 30 Rappen als Depot war enorm.<br />
Betont arglos lümmelten wir über das Areal der Mosti, plauderten<br />
ganz auffällig <strong>und</strong> ungezwungen mit dem alten Huwiler, dem<br />
Schnapsbrenner, ein paar Worte, hielten den Finger unters tropfende<br />
Schnapshähnchen <strong>und</strong> freuten uns über unser Husarenstück.<br />
Das Frühlingsgeschäft lief hervorragend, die Tage wurden länger<br />
<strong>und</strong> womöglich hat uns der Getränkehändler wegen des nicht<br />
mehr so diffusen Lichtes überführt.<br />
Beim nächsten Coup lud er uns ganz fre<strong>und</strong>lich, aber sehr bestimmt<br />
dazu ein, die Flaschen doch selber, in seiner Begleitung, in<br />
die Harasse hinter seiner Mosterei zu deponieren.<br />
32
Wie bei manchen Erfindungen gibt es auch beim Bügelverschluss<br />
fast gleichzeitig mehrere Erfinder. In den USA erhielt Charles de<br />
Quillfeldt 1875 ein Patent für den Bügelverschluss.<br />
In Deutschland wurde die Erfindung des Berliners Carl Dietrich<br />
1877 von Nicolai Fritzner weiterentwickelt, der eine Fabrik für Bügelverschlüsse<br />
gründete. 1877 liess sich der aus Magdeburg stammende<br />
Hermann Grauel den Klappdeckelverschluss patentieren.<br />
Unter der Bezeichnung «Seltersverschluss» blieb er bis 1969 der<br />
vorherrschende Verschluss für Mineralwasser. Karl Hutter kaufte<br />
das Patent dem New Yorker Charles de Quillfeldt Ende des 19.<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts ab <strong>und</strong> verhalf dem Bügelverschluss mit viel unternehmerischer<br />
Tatkraft zum weltweiten Siegeszug.<br />
Die ersten Drahtbügel wurden mit einer Manschette am Flaschenhals<br />
befestigt. Ab 1885 wurden im Flaschenglas zwei gegenüberliegende<br />
Vertiefungen angebracht, in denen der Bügel sicher<br />
verankert werden konnte. Damit wurden die bis dahin wenig<br />
erfolgreichen Versuche beendet, Ton- <strong>und</strong> Glasflaschen mit dem<br />
schäumenden Bier transportsicher zu verschliessen. Weder Korken<br />
noch Gummizapfen konnten ausreichend <strong>und</strong> ohne zusätzliche<br />
Sicherung mit Schnur oder Draht dem inneren Druck der Kohlensäure<br />
im Bier standhalten.<br />
Flaschen mit Bügelverschluss erfreuen sich nicht nur aus<br />
nostalgischen Gründen <strong>und</strong> wegen des charakteristischen<br />
Geräuschs beim Öffnen steigender Beliebtheit. Die Möglichkeit,<br />
die Flasche wieder zu schliessen <strong>und</strong> das Bier dadurch<br />
frisch zu halten, wurde als Vorteil wiederentdeckt – wenn<br />
denn das Zeug solange drinbleibt.<br />
33
GLÜHBIRNE<br />
Wer hätte das gedacht?<br />
Thomas Alva Edison ganz sicher nicht, dass seine Erfindung,<br />
welche die Welt um einiges heller erscheinen<br />
liess, so lange verwendet würde. 1879 liess Edison die<br />
Dampfglühlampe patentieren.<br />
34
Thomas Alva Edison, ein amerikanischer Erfinder <strong>und</strong> Unternehmer<br />
mit dem Schwerpunkt auf dem Gebiet der Elektrizität<br />
<strong>und</strong> Elektrotechnik.<br />
Seine Verdienste gründen vor allem auf der Marktfähigkeit<br />
seiner Erfindungen, die er mit Geschick zu einem ganzen<br />
System von Stromerzeugung, Stromverteilung <strong>und</strong> innovativen<br />
elektrischen Konsumprodukten verbinden konnte.<br />
Edisons gr<strong>und</strong>legende Erfindungen <strong>und</strong> Entwicklungen in<br />
den Bereichen elektrisches Licht, Telekommunikation sowie<br />
Medien für Ton <strong>und</strong> Bild hatten einen grossen Einfluss auf<br />
die allgemeine technische <strong>und</strong> kulturelle Entwicklung. In<br />
späteren Jahren gelangen ihm wichtige Entwicklungen der<br />
Verfahrenstechnik für die Bereiche Chemie <strong>und</strong> Zement.<br />
Seine Organisation der industriellen Forschung prägte die<br />
Entwicklungsarbeit späterer Unternehmen.<br />
Edisons Leistung bei der Elektrifizierung von New York <strong>und</strong><br />
der Einführung von Elektrolicht markiert den Beginn der<br />
umfassenden Elektrifizierung der industrialisierten Welt.<br />
36
Verbindungen von Geräten mit dem Element Elektrizität<br />
waren ein für Edison wichtiges Anliegen, wie etwa die<br />
Glühlampe <strong>und</strong> das Konservieren von Tönen. Seine Virtualität<br />
im Erkennen <strong>und</strong> der Nutzbarmachung von Materie <strong>und</strong><br />
auch deren Vermarktung waren Gr<strong>und</strong>lage seiner enormen<br />
gesellschaftlichen Vernetzung.<br />
In einer Glühlampe lässt man einen elektrischen Strom<br />
durch einen dünnen, aus einem leitenden Material<br />
bestehenden Faden fliessen. Dank geeignet gewähltem<br />
Material, z. B. Wolfram, schmilzt dieser nicht. Der<br />
Metall-Faden hat die Form einer Glühwendel. Fliesst<br />
ein ausreichend starker elektrischer Strom durch den<br />
Faden, wird dieser so stark erhitzt, dass er glüht. Die<br />
Temperatur der Glühwendel beträgt je nach Bauart zirka<br />
1500 – 3000 °C, sodass sie gemäss dem planckschen<br />
Strahlungsgesetz elektromagnetische Strahlung emittiert,<br />
die vor allem im Bereich der Infrarotstrahlung <strong>und</strong><br />
des sichtbaren Lichts liegt.<br />
Die aufgenommene elektrische Leistung wird jedoch<br />
nur zu einem sehr geringen Teil als sichtbares Licht erkennbar.<br />
Ein weit grösserer Teil dieser Energie wird im<br />
infraroten Bereich als Wärmestrahlung merkbar.<br />
37
INDIGENE VÖLKER<br />
Die Vertreibungen indigener Menschen von<br />
ihrem Land zur Gründung von Nationalparks<br />
sind ein grosses Problem in vielen afrikanischen<br />
Staaten.<br />
Nach einem richterlichen Urteil, welches die<br />
Rückkehr eines Urvolkes auf sein Land erlaubte,<br />
hat die Regierung eines afrikanischen Staates<br />
das einzige Wasserloch im Reservat zerstört,<br />
sodass diese Menschen weite Strecken zurücklegen<br />
mussten, um an Wasser zu gelangen.<br />
Ironischerweise wurde in dem Reservat ein Urlaubsresort<br />
mit eigenem Pool für Touristen errichtet.<br />
38
INDIGENE VÖLKER<br />
Ein entscheidendes Ereignis in der Geschichte der südamerikanischen<br />
Völker ist die Ankunft der Europäer vor 500<br />
Jahren. Zu dieser Zeit existierten schätzungsweise 1 000<br />
verschiedene Völker, die sich aus zehn Millionen Menschen<br />
zusammensetzten. Heute gibt es nur noch 350000 indigene<br />
Menschen, die in etwa 215 Völkern in Südamerika zusammenleben.<br />
Bereits im 17. Jahrh<strong>und</strong>ert gab es so wenige Ureinwohner,<br />
dass Sklaven aus Afrika eingeführt wurden, um der Nachfrage<br />
gerecht zu werden.<br />
Zu Beginn des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts sank die Zahl der rein indigenen<br />
Bevölkerung Brasiliens erstmals unter eine Million.<br />
In den 1950er-Jahren war ihre Bevölkerung auf nur noch<br />
100000 gesunken. Dazu trug auch der Kautschukboom bei,<br />
in dessen Folge zehntausende Angehörige indigener Völker<br />
durch Gewalt <strong>und</strong> Sklaverei ums Leben kamen. Durch die<br />
Rodung des Regenwaldes wird ihr Lebensraum immer stärker<br />
verkleinert. Die Brandrodung des Regenwaldes ist auch<br />
für Epidemien, Umsiedlung <strong>und</strong> die Zerstörung ihrer Kultur<br />
verantwortlich.<br />
Die Pygmäen in Afrika gehören zu einer Minderheit, die relativ<br />
isoliert lebt <strong>und</strong> von anderen ethnischen Gruppen wie<br />
Sklaven gehalten werden. Weiter ist ihr natürlicher Lebensraum<br />
durch uneinsichtige Abholzungen stark gefährdet. Die<br />
Lebenserwartung liegt bei den Pygmäen mit 40 Jahren deutlich<br />
tiefer als bei ihren Nachbarn, den Bantu. Auch konnte<br />
bisher kein Pygmäe die Universität besuchen <strong>und</strong> beim<br />
Zugang zum Markt oder auf Arbeitsstellensuche werden sie<br />
von anderen ethnischen Gruppierungen diskriminiert.<br />
Ein weiteres Problem haben indigene Völker auf der ganzen<br />
Welt mit dem Tourismus. Luxus-Resorts mit breitem Adventure-Angebot<br />
erfreuen sich zunehmend grosser Beliebtheit.<br />
Safari-Tours, zusammen mit Besuchen der Eingeborenendörfer<br />
in der Savanne oder im Dschungel, mit anschliessendem<br />
Wellness, Spa <strong>und</strong> exklusivem Dinner, serviert vom Sohn des<br />
Häuptlings, sind begehrte Angebote für unsere Gesellschaft.<br />
Eingeborene Völker gibt es nur noch wenige auf der Welt.<br />
Vermutlich werden diese Völker in ein paar Jahren ihr Blasrohr<br />
oder ihren Pfeilbogen gegen eine Kreditkarte <strong>und</strong> ein<br />
iPad eintauschen.<br />
40
Güdderchübel<br />
In der permanenten Feuchtigkeit damaliger Küchen,<br />
ganz unten, hinter dem kleinkarierten Vorhängli, in<br />
Nachbarschaft des stets tropfenden Siphons stand das<br />
«Patent Ochsner» mit eisernem Willen <strong>und</strong> imitierte<br />
unablässig David Copperfield.<br />
Die Show dieser Systeme hiess «Verschwindibus».<br />
Ein- bis zweimal wöchentlich durfte der Kübel sein<br />
feuchtes Verlies unter dem Schüttstein verlassen <strong>und</strong><br />
man bot ihm die Gelegenheit, sich der grausigen Last<br />
zu entledigen. Er wurde frühmorgens von starker Männerhand<br />
an den Trottoirrand gestellt <strong>und</strong> wartete zusammen<br />
mit seinen grösseren <strong>und</strong> kleineren Kumpanen<br />
auf seine Erlösung. Flink, unzimperlich <strong>und</strong> mit lautem<br />
Geschepper wurde das vermeintlich «Copperfieldsche<br />
Gut» vom Chübelmaa in den Chübelwagen umsortiert<br />
<strong>und</strong> zum nahen Stinkberg chauffiert.<br />
Meist durch zarte Kinderhände wurde der eiserne Geselle<br />
dann abends innerhalb seiner eigenen Wand mit<br />
alten Zeitungen neu ausgekleidet <strong>und</strong> wieder auf seine<br />
dunkle Bühne unter dem Schüttstein gestellt.<br />
42
43
Der Name «Patent Ochsner» steht in der Schweiz für Abfallentsorgung<br />
schlechthin. Während Jahrzehnten gab es kaum<br />
einen Schweizer Haushalt ohne den typischen «Güdderchübel»<br />
mit dem unverkennbaren Deckel mit ausgeprägtem<br />
Schweizerkreuz <strong>und</strong> der Bezeichnung «System Ochsner». Das<br />
im Jahre 1902 entwickelte Entsorgungssystem der Zürcher<br />
Firma J. Ochsner AG bestand aus normierten Mülleimern sowie<br />
den dazugehörenden LKW-Aufbauten <strong>und</strong> war ab Mitte<br />
des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts in der Schweiz weit verbreitet.<br />
1928 wurde das Ochsner-System in Zürich eingeführt. Die<br />
Haushalte wurden mit regelkonformen Kübeln, die auf den<br />
«Chübelwagen» zugeschnitten waren, ausgerüstet. Nach<br />
dem Zweiten Weltkrieg wurde das System Ochsner mit seinen<br />
Produkten <strong>und</strong> Lizenzen europaweit bekannt.<br />
Der sogenannte Ochsnerkübel war ein feuerverzinkter Blecheimer,<br />
später auch aus Kunststoff. Herausragendes Konstruktionsmerkmal<br />
war der Klappdeckel, an welchem eine Lasche<br />
mit Loch befestigt war.<br />
Die Kehrichtwagen für dieses System besassen Schiebedeckel,<br />
welche über einen seitlich angebrachten Hebel geöffnet<br />
werden konnten. Der «Chübelmaa» hängte die Deckellasche<br />
des Ochsnereimers an einen Haken am Schiebedeckel. Bei<br />
der anschliessenden Hebelbetätigung öffnete sich der Eimer,<br />
kippte <strong>und</strong> entleerte seinen <strong>Inhalt</strong> in den Kehrichtwagen.<br />
In den meisten Regionen der Schweiz wurde Kehricht ab den<br />
1920er-Jahren nach dem System Ochsner entsorgt. Das bedeutete,<br />
dass jeder Haushalt einen Ochsnereimer besitzen<br />
musste. Vorschriften <strong>und</strong> Reglemente stellten sicher, dass die<br />
Benutzer die Eimer mit Zeitungspapier auskleideten.<br />
Das System Ochsner wurde mit der zunehmenden Verbreitung<br />
der Müllsäcke in den 1970er-Jahren aufgegeben.<br />
Über h<strong>und</strong>ert Jahre nach seiner Erfindung ist der Ochsner-Kübel<br />
in der Bevölkerung noch immer ein Begriff.<br />
Die alten Eimer sind zu Sammlerobjekten geworden. Das System<br />
wird heute durch ein angemessenes Redesign neu produziert.<br />
(s. www.patent-ochsner.com/der-kult-eimer)<br />
44
Die Kehrichtabfuhr hat eine lange Geschichte. Sie begann<br />
schon im Mittelalter: Haus- <strong>und</strong> Gewerbeabfälle sowie Exkremente<br />
wurden auf Feldern der Umgebung entsorgt. Damals<br />
schon funktionierte das nicht reibungslos <strong>und</strong> führte oft zu<br />
Beschwerden. Viele Bürger wussten aber nicht mit dem Müll<br />
jeglicher Art umzugehen <strong>und</strong> deponierten diesen auf Müllhalden<br />
bis ins 20. Jahrh<strong>und</strong>ert hinein. Erste Müllverbrennungsanlagen<br />
baute man vor 1900 in England <strong>und</strong> in Deutschland.<br />
Nachdem der Müll erst mit Pferdewagen aus den Städten gekarrt<br />
worden war, übernahmen dies zu Beginn des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
zunehmend motorgetriebene Fahrzeuge.<br />
Als die Müllberge mit der Industrialisierung immer mehr<br />
wuchsen, beschäftigte man sich mit der Frage, wie die Müllabfuhr<br />
für wiederverwertbare Rohstoffe organisiert werden<br />
konnte.<br />
Am besten funktionierte das System Mülltrennung in der<br />
ehemaligen DDR. Müll war das eine, wiederverwertbare<br />
Rohstoffe wie Gläser, Metall, Papier etc. übernahm aber ein<br />
eigens dafür autorisierter Wirtschaftszweig. Müllvermeidung<br />
wurde honoriert, Altstoffe sammeln belohnt <strong>und</strong> war womöglich<br />
eine der positiven sozialistischen Errungenschaften<br />
der DDR.<br />
Auf dem Schulweg habe ich viele von ihnen kennengelernt<br />
– auch von innen. Sie standen jeden Dienstag <strong>und</strong><br />
Freitag an der Strasse vor Häusern, auf dem Trottoir <strong>und</strong><br />
in Vorgärten. Und sie hiessen alle gleich wie ich.<br />
Es gab die kleinen, die in mittlerer Grösse, aber auch ganz<br />
grosse. Zu Beginn meiner Schulzeit waren diese grossen<br />
Ochsner-Kübel sogar um einiges grösser als ich, denn ich<br />
war ja ein kleiner Knirps. Nicht umsonst hatte man mich<br />
in der Pfadi «Stumpe» getauft.<br />
Es gab schöne, neu glänzende, aber auch fürchterlich zerbeulte.<br />
Viele mit fast offenen Deckeln, mit überquellendem<br />
<strong>Inhalt</strong> – <strong>und</strong> die meisten stanken entsetzlich. Katzen<br />
<strong>und</strong> H<strong>und</strong>e konnten den <strong>Inhalt</strong> der Kübel noch riechen,<br />
der lag offen drin. Plastiksäcke waren damals noch ein<br />
Fremdwort. Und sie haben sich bedient, die armen Tiere,<br />
die ja sonst nichts zum Futtern hatten. Die Abfallreste lagen<br />
danach weit verteilt auf der Strasse herum <strong>und</strong> nicht<br />
mehr dort, wo sie eigentlich sein sollten.<br />
So war es denn, dass ich viel mehr gleichnamige Kollegen<br />
hatte als alle meine anderen Schulkollegen. Die waren<br />
natürlich eifersüchtig <strong>und</strong> nannten mich «Ochsner-<br />
Chübel». Sechs Jahre lang musste ich mir dieses neidische<br />
Geschwätz von den Meiers, Müllers <strong>und</strong> Hubers anhören.<br />
Wer hatte denn schon einen so bekannten Namen wie ich?<br />
Max Ochsner alias Ochsner-Chübel alias Stumpe<br />
45
LP<br />
Schellack-Schallplatte – das war einmal…<br />
Ab Mitte des letzten Jahrh<strong>und</strong>erts, mit der anbrechenden<br />
Neuzeit im Bereich der Musik, entwickelte man mit<br />
neuem Material das alte System der Schellack-Schallplatte<br />
– Vinyl.<br />
Der enthusiastische Vinylist aber glaubt die Unbeflecktheit<br />
der Musik aus der schwarzen Scheibe herauszuhören.<br />
Ein natürliches Knistern, die angeblichen Obertöne,<br />
die Wärme des Tones der analogen Schallplatte bringen<br />
ihn zur Ekstase. Schallplatten-Fans sind Geniesser, die<br />
der Platte auf dem Teller gern beim Rotieren zusehen.<br />
Schallplatten aus Vinyl werden durch häufiges Abspielen<br />
aber nicht besser, verkratzen leicht <strong>und</strong> Staub ist ihr<br />
grösster Feind. Ungeachtet dieser Argumente steht Vinyl<br />
aber für sehr viel Lebensgefühl.<br />
46
Schellack<br />
Lackschildläuse ernähren sich von den Pflanzensäften zahlreicher<br />
Baumarten im Mittleren <strong>und</strong> Fernen Osten. Die befruchteten<br />
ungeflügelten Weibchen der Lackschildlaus scheiden<br />
ihren Pflanzensaft so aus, dass er an den Zweigen der<br />
Bäume zu harzartigen Krusten austrocknet. Sie selbst werden<br />
von dem Harz vollständig eingehüllt <strong>und</strong> sterben ab, während<br />
sich in den toten Körpern 20 bis 30 Larven entwickeln, die<br />
schliesslich durch zylindrische Bohrlöcher das Harz verlassen.<br />
Das Harz, der sogenannte Gummilack, wird als Naturprodukt<br />
gewonnen, durch Auswaschen werden die natürlichen<br />
Farbstoffe Scharlachrot <strong>und</strong> Karmesinrot gewonnen, die oft<br />
auf Baumwolle <strong>und</strong> Seide intensive Nuancen bilden. Der Rest<br />
wird danach zu Schellack verarbeitet.<br />
Schieferpulver, Baumwollflock <strong>und</strong> Schellack waren die Bestandteile<br />
der sogenannten Schellackplatten. Schellack war<br />
ein strapazierfähiges Material für die Rillen <strong>und</strong> verbesserte<br />
die Klangqualität <strong>und</strong> Haltbarkeit der Platten gegenüber bisherigen<br />
Materialien enorm. Die Schellackplatte war geboren.<br />
Vinyl<br />
Mit der boomenden Musikindustrie ab den 60er-Jahren<br />
musste das teure Naturprodukt Schellack durch preiswertere<br />
synthetische Kunststoffe ersetzt werden. Schallplatten aus<br />
Vinyl waren dazu am besten geeignet. «Vinyl» tönt sehr interessant,<br />
ist aber eher eine hochtrabende Bezeichnung für<br />
PVC (Polyvinylchlorid).<br />
48
KODAK<br />
INSTAMATIC<br />
50<br />
Man konnte sie drehen, wie man wollte, die Nase<br />
rümpfen, die M<strong>und</strong>winkel verziehen, die Augen zukneifen<br />
oder die Stirn runzeln – ein Hochformat mit der<br />
Instamatic war schlicht unmöglich.<br />
Instamatic ist der Name für eine 1963 eingeführte kleine,<br />
einlinsige Fotokamera. Die eigens dafür bestimmten<br />
Kassettenfilme waren so «dubelsicher», dass sie von jedermann<br />
schnell <strong>und</strong> ohne Materialverlust in die Kamera<br />
eingelegt werden konnten.<br />
Hersteller dieser billigen Kamera hatten sich aus Gründen<br />
der Bildqualität auf ein quadratisches Format geeinigt.<br />
Die Kamera war für damalige Zeiten relativ günstig, der<br />
Preis für Filme teuer. Wenn sonntags also beim Zoobesuch<br />
alle Tiere abgelichtet werden sollten, musste schon<br />
einiges in dieses Filmmaterial investiert werden, zumal<br />
von scheuen Tieren beim Klick oft nur noch das Hinterteil<br />
oder gar nichts mehr zu sehen war.<br />
Die volle Kassette gab man in der Drogerie, in der Kleiderreinigung<br />
oder im Fotofachgeschäft ab <strong>und</strong> bekam<br />
nach deren Entwicklung in den Fotolabors den Negativ-Film<br />
zurück. Anhand eines meist im Preis eingerechneten<br />
Positiv-Kontaktabzuges wurden dann weniger<br />
attraktive Hinterteile der Zootiere getilgt <strong>und</strong> die imposanteren<br />
Vorderteile in einem weiteren Prozess <strong>und</strong> mit<br />
zusätzlichen Kosten zur Vergrösserung fürs Fotoalbum<br />
in Auftrag gegeben.
PEACE<br />
Wäre das eine nicht, gäbe es das andere auch nicht.<br />
Wie Feuer dem Wasser, Luft der Erde steht Krieg dem<br />
Frieden gegenüber.<br />
Um den verschiedenen friedlichen <strong>und</strong> kriegerischen<br />
Angelegenheiten mehr Ausdruck zu verleihen, hat der<br />
Mensch dafür schon früh visuelle Symbole geschaffen:<br />
gekreuzte Schwerter, das Kreuz, geballte Faust, die weisse<br />
Taube, Kriegsbemalung der Indianer, das Victory-Zeichen,<br />
Totenkopf der Piraten <strong>und</strong> viele mehr.<br />
Der Engländer Gerald Holtom hat wohl eher zufällig<br />
das bekannteste Zeichen für den Frieden entworfen.<br />
Das Zeichen, das stark an eine Rakete oder an das Profil<br />
eines B-52-Bombers erinnert, ist eigentlich dem<br />
Winker-Alphabet entnommen <strong>und</strong> die Visualisierung<br />
eine Wissenschaft für sich.<br />
52<br />
N steht für nuclear / D für disarmament<br />
(Abrüstung). Zu Beginn war es folglich<br />
auch gar kein Friedenszeichen,<br />
sondern ein Symbol der Kernkraftgegner.<br />
Weil damals wie heute Kernkraftgegner<br />
<strong>und</strong> Friedensaktivisten oft deckungsgleich<br />
agieren, wurde es weltweit zu<br />
dem Peace-Zeichen auserkoren.
Friedenszeichen <strong>und</strong> Symbole drücken den Wunsch <strong>und</strong> die Forderung<br />
nach Frieden <strong>und</strong> Völkerverständigung aus. Sie sind vor<br />
allem in der Friedensbewegung als Signal eines pazifistischen oder<br />
antimilitaristischen Selbstverständnisses verbreitet, finden sich<br />
jedoch auch oft im weiteren Kontext der neuen sozialen Bewegungen.<br />
Im Zuge der antirassistischen US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung<br />
der Afroamerikaner in der Mitte des letzten Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
war beispielsweise das aus Grossbritannien stammende<br />
CND-Symbol Ausdruck des gewaltfreien Charakters zur Durchsetzung<br />
der Ziele dieser Bewegung.<br />
Das Zeichen mit der vermeintlichen Rakete hat in den vergangenen<br />
fünfzig Jahren manche Gitarren unserer Rock-Pop-Idole wie<br />
Jimi Hendrix, Alvin Lee oder Johnny Winter geziert. Tausende<br />
Male wurde es auf allen möglichen Stellen der Haut tätowiert, so<br />
auch beim Puls von Lady Gaga.
Friedenstaube<br />
Die Friedenstaube geht unter anderem auf die Sintflut-Erzählung<br />
im Alten Testament zurück: Noah lässt nach der Sintflut eine Taube<br />
frei, die mit einem Olivenzweig im Schnabel zur Arche zurückkehrt.<br />
Olivenzweig<br />
Im antiken Griechenland <strong>und</strong> Rom war ein Kranz aus Ölzweigen die<br />
höchste Auszeichnung des um das Vaterland hochverdienten Bürgers<br />
sowie der höchste Siegespreis bei den Olympischen Spielen.<br />
Schwerter zu Pflugscharen<br />
Eine Skulptur steht vor dem UNO-Gebäude in New York. Ab 1980<br />
wurde sie zum Symbol staatsunabhängiger Abrüstungsinitiativen<br />
in der DDR, das auch Teile der westdeutschen Friedensbewegung<br />
übernahmen.<br />
Victory-Zeichen<br />
Die Handgeste mit gespreiztem Zeige- <strong>und</strong> Mittelfinger wird in der<br />
Regel als Victory-Zeichen aufgefasst. Es wird allerdings auch von vielen<br />
Menschen als Friedenszeichen bzw. Peace-Symbol verstanden.<br />
Dabei muss die Handaussenseite unbedingt zum Ausführenden<br />
zeigen. Wenn der Handrücken vom Ausführenden weg zeigt, ist<br />
das in Grossbritannien, Irland, Australien, Neuseeland <strong>und</strong> Südafrika<br />
eine schwerwiegende Beleidigung, etwa vergleichbar mit<br />
dem Stinkefinger.<br />
Weisse Flagge<br />
Die Parlamentärsflagge ist eine weisse Flagge, die den Unterhändler<br />
als solchen kennzeichnet <strong>und</strong> die Kämpfer zur Wahrung<br />
seiner völkerrechtlich garantierten Unverletzlichkeit verpflichtet.<br />
So bedeutet das Heraushängen von weissen Flaggen oder auch<br />
nur weissen Tisch- oder Leintüchern oder sonstigen rechteckigen<br />
weissen Stoffen aus den Fenstern der Häuser einer Stadt oft die<br />
kampflose Übergabe an feindliche Truppen.<br />
55
KASSETTE<br />
Magst du dich erinnern an die lauen Sommernächte im Freien,<br />
irgendwo an einem Gewässer oder im Park einer verlassenen<br />
Villa? Im nahen Wasser funkelte der Schein des<br />
Feuers mit dem Gestirn am Himmel um die Wette <strong>und</strong> auf<br />
dem Grill neben dem Feuer vertrockneten ein paar angekohlte<br />
Würste.<br />
Mehr oder minder virituos, mit Begleitung von Bongos<br />
<strong>und</strong> Tamburin als Kastagnetten-Ersatz, wurde auf der Gitarre<br />
Paco de Lucía oder «Blowin‘ in the Wind» imitiert,<br />
mit jugendlichem Enthusiasmus <strong>und</strong> viel Wein über Narziss<br />
<strong>und</strong> Goldm<strong>und</strong> oder Ähnliches philosophiert <strong>und</strong> den<br />
entzückenden Gefühlen fürs andere Geschlecht möglichst<br />
ungeniert freien Lauf gelassen.<br />
An einen Abend erinnere ich mich noch ganz genau. Nach<br />
etlichen heissen Nächten <strong>und</strong> turbulenten Beziehungsdramen<br />
war an einem spätsommerlichen Gelage die allgemeine<br />
Stimmung ohnehin im Keller, die Saiten waren gerissen<br />
<strong>und</strong> der billige algerische Wein war so sauer wie noch nie.<br />
Bei aufkommendem Westwind <strong>und</strong> Gewitter konnte ich<br />
mich im kümmerlichen Schein des Feuers ganz meiner<br />
neuen Errungenschaft widmen. Ich entwirrte <strong>und</strong> wickelte<br />
einen fast unendlichen Haufen Band- <strong>und</strong> Tonsalat auf die<br />
Spule der 120er-Kassette.<br />
«Kauf doch noch längere Tapes», bemerkte er zynisch, der<br />
«Paco-Verschnitt» mit den gerissenen Gitarrensaiten.<br />
Gute Musik am laufenden Band, sommerliches Ambiente<br />
<strong>und</strong> fre<strong>und</strong>schaftliche Stimmung waren<br />
wohl an diesem Abend Mangelware.<br />
57
FLOPPY DISK<br />
…Abend für Abend hab ich die Nadeln an der Puppe neu angesetzt, mit<br />
ihnen gedreht, gewühlt <strong>und</strong> gequält, habe meinen Nachbarn in Form<br />
dieser Kreatur wütend durch den Raum katapultiert, immer wieder energisch<br />
aufs Pult gesetzt <strong>und</strong> von Neuem begonnen, das Ding zu malträtieren.<br />
Es nützte nichts. Pünktlich um sechs liess er im ganzen Haus seine<br />
Jalousien mit lautem Geschepper runter. Ich wusste, er stand dahinter<br />
<strong>und</strong> registrierte meine Wut.<br />
Die Puppe mit einer Hülle aus währschaftem Stoff entstand aus voller<br />
Leidenschaft, hab mit voller Hingabe alles Schändliche, was mir in die<br />
Finger kam, hineingestopft, sie fein säuberlich zugenäht, Knöpfe als Augen<br />
angebracht, eine fürchterliche Fratze darauf gemalt <strong>und</strong> die Puppe zu<br />
guter Letzt in eine ordentliche Form gedrückt. Ich hab die Nadeln mit<br />
allerlei Säften, Tinkturen <strong>und</strong> Essenzen präpariert, vor den Stichen ein<br />
Voodoo-ähnliches Hokuspokus vollführt <strong>und</strong> vor der vermeintlichen<br />
Vernichtung hab ich mich feierlich gesammelt <strong>und</strong> immense Ruhe vorgetäuscht.<br />
Eines Abends, nach dem üblichen Prozedere…<br />
Das ist etwa eine halbe Seite eines Romans von einem<br />
Schriftsteller, der sein zweih<strong>und</strong>ertseitiges Buch auf einer<br />
Floppy Disk speicherte. Ziemlich genau so viel, in Universalschrift,<br />
hatte auf einer 3,25er-Disk Platz.<br />
Die ganze emotionale, fiebrige Stimmungslage, wie sie gegenüber<br />
illustriert wurde, würde das Fassungsvermögen einer<br />
kleinen Floppy Disk sprengen.<br />
58
60<br />
FLOPPY DISK<br />
Als typischer Anwender von Software interessierten mich<br />
das Innenleben <strong>und</strong> die technischen Daten von Computern<br />
kaum. Trotzdem war die Zeit reif für ein leistungsfähigeres<br />
Gerät. Das revolutionäre Design des Tuppermac faszinierte<br />
mich sehr. Blau, weiss, halbtransparent <strong>und</strong> futuristisch<br />
– nur, diese neue Generation von Computern hatte keinen<br />
Schlitz mehr. Was mache ich nur mit all meinen Dokumenten<br />
auf den Floppy Disks? Das Fehlen dieses vertrauten<br />
Schlitzes bewog mich, den Wechsel auf ein neues Gerät um<br />
längere Zeit aufzuschieben.<br />
Die prekäre Lage war mir längst klar, konnte ich doch als<br />
Bildverarbeiter meine Arbeiten kaum mehr auf Floppy Disks<br />
sichern, weil sie zu wenig Speicherplatz hatten. So musste<br />
ich mich immer öfter mit grösseren Wechselplatten im Peripherie-System<br />
behelfen.<br />
«Das kannst du vergessen, das war einmal», tönte es von<br />
Seiten innovativer Computer-Freaks. «Kauf dir ein weiteres<br />
Peripherie-Gerät für deine Floppies».<br />
Allmählich erkannte ich, dass dieses vertraute System bald<br />
mal beendet sein würde, <strong>und</strong> ich kaufte den sagenumwobenen<br />
PowerMac. Mit dem integrierten, neuartigen System<br />
von leistungsfähigeren Wechselplatten <strong>und</strong> einem CD-Lese<strong>und</strong><br />
Brennsystem war ich vollumfänglich glücklich.<br />
Textdateien <strong>und</strong> anderer Kleinkram, den man auf einer<br />
Floppy Disk speichern konnte, waren von der Aktualität her<br />
längst wertlos <strong>und</strong> manche Disk war eh ausgeleiert.
Eines der wohl bekanntesten Zeichen für die Verwendung<br />
von Floppy Disks ist das stilisierte Zeichen des Macintosh<br />
128k – ein lachendes Anlitz im Bildschirm <strong>und</strong> mit Schlitz<br />
für die Floppy. Das Icon war während des Startmodus zu sehen.<br />
Hatte der Mac ein ernsthaftes Problem, zeigte sich ein<br />
Anlitz mit schlechter Laune <strong>und</strong> «Chrüzliaugen».<br />
Die erste Generation von Floppy Disketten war eine flexible<br />
Karton- oder Plastikhülle mit einer magnetisierten<br />
8“-Kunststoffscheibe als Datenträger. Mit gerade mal 180<br />
KB Speicherplatz war die Anwendung sehr minimal <strong>und</strong> doch<br />
revolutionär. Sie löste nämlich ein urtümliches Lochkartensystem<br />
ab, welches anfänglich auch bei Computern zur Datenübertragung<br />
<strong>und</strong> -speicherung üblich war. Wie fast alles<br />
zu dieser Zeit wurde auch die ursprüngliche Floppy Disk redimensioniert,<br />
wies aber immer mehr Speicherkapazität auf.<br />
Nach der 5,25“-Diskette kam bald mal die bekannte 3,25er<br />
mit immerhin schon 1,44 MB auf den Markt. Sie war dann<br />
für längere Zeit Standardformat für viele Systeme, musste<br />
aber vor dem ersten Gebrauch zur Aufnahme von Daten für<br />
das System vorbereitet (formatiert) werden.<br />
Mit einer ganzen Reihe von Floppy Disks wurden damals<br />
komplexe Computerprogramme installiert.<br />
Der Verschleiss der Datenscheibe durch vielfache Benutzung<br />
war beträchtlich <strong>und</strong> die Floppy Disk demzufolge ein unsicheres<br />
Medium.<br />
61
DAS FRÄULEIN<br />
…das ist so eine Sache mit dem Fräulein.<br />
Heute ist die Anrede <strong>und</strong> Bezeichnung «Fräulein» für<br />
junge Frauen im deutschen Sprachraum im Schriftverkehr<br />
<strong>und</strong> im formellen Umgang kaum mehr gebräuchlich.<br />
Überlebt hat das Wort «Fräulein» im Restaurant, aber<br />
auch diese Verwendung wird immer seltener.<br />
Vereinzelte Nachfragen beim Service-Personal im Restaurant<br />
habe ergeben, dass doch die eine oder andere<br />
weibliche Service-Angestellte gerne wieder mit Fräulein<br />
angesprochen würde, weil‘s halt einfach sympathischer<br />
sei. Und weil eh niemand so ganz genau wisse,<br />
wie man denn jetzt sagen soll, rufe man ein formloses<br />
«Hallo», «Tschuldigung» oder «Zalä bitte».<br />
62
In der Zeit um 1900 etablierte sich die Anrede «Fräulein» vor<br />
allem für berufstätige Frauen, da weibliche Berufstätigkeit<br />
damals noch strikt auf die Zeit vor der Ehe beschränkt war.<br />
Im Deutschen Reich, um die Jahrh<strong>und</strong>ertwende, gab es sogar<br />
eine rechtliche Vorschrift, wonach zum Beispiel weibliche<br />
Lehrkräfte unverheiratet sein mussten. Das Fräulein Rottenmeier<br />
aus Johanna Spyris Roman «Heidi» ist eine bekannte<br />
Vertreterin des Typus «Fräulein Lehrerin». In dieser Zeit wurde<br />
das sogenannte Lehrerinnenzölibat angewendet.<br />
Zur Zeit des Nationalsozialismus wurde die Praxis gelockert,<br />
alle weiblichen Personen, unabhängig von ihrem Alter, als<br />
«Fräulein» zu bezeichnen, wenn sie nie verheiratet waren.<br />
Für den öffentlichen Dienstverkehr ab 1937 galt «Frau» als<br />
einheitliche Anrede. Im Zweiten Weltkrieg wurde dieses<br />
Privileg auch unverheirateten Müttern von Adoptivkindern<br />
<strong>und</strong> Verlobten von Kriegsgefallenen zugestanden. Nach dem<br />
Krieg wurde das «Fräulein» von den in Deutschland stationierten<br />
amerikanischen GIs entdeckt <strong>und</strong> das «doitsche<br />
Froilain» benutzten diese als Fremdwort in der englischen<br />
Sprache.<br />
In der DDR war der Gebrauch von «Fräulein» für unverheiratete<br />
Frauen bis zur Wende üblich. In den deutschsprachigen<br />
Teilen Belgiens wird die junge Frau noch immer mit «Fräulein»<br />
angesprochen.<br />
Ab Mitte des vorletzten Jahrh<strong>und</strong>erts bis Mitte der siebziger<br />
Jahre gab es im deutschsprachigen Raum noch etliche<br />
verw<strong>und</strong>erliche amtliche Beschlüsse <strong>und</strong> gesellschaftliche<br />
Gepflogenheiten über die Verwendung des Begriffes «Fräulein».<br />
1972 verfügte das deutsche Ministerium, dass der Gebrauch<br />
des Wortes «Fräulein» bei B<strong>und</strong>esbehörden zu unterlassen sei.<br />
64
Das Problem mit der Sächlichkeit<br />
Frauenbewegungen kritisierten die Geringschätzung<br />
des Begriffes «Fräulein». Gesellschaftliche Werte <strong>und</strong><br />
Vorstellungen der Frau seien mit einer solchen Verniedlichung<br />
nicht haltbar. Die Versachlichung löse die unerwünschte<br />
Assoziation aus, dass weibliche Personen<br />
«Sachen» seien <strong>und</strong> dass der Gebrauch der Definitionen<br />
«Fräulein» <strong>und</strong> «Frau» die Ansicht fördere, eine<br />
weibliche Person sei erst dann erwachsen, wenn sie<br />
heirate, während man einem jungen unverheirateten<br />
Mann/Herrn signalisiere, dass man ihn für einen vollwertigen<br />
Mann halte.<br />
Die Bezeichnung «Junker» (damals sinnesgleich mit<br />
dem Begriff «Fräulein») war schon viel früher nicht<br />
mehr im Sprachgebrauch verwendet worden <strong>und</strong> hatte<br />
auch keine vergleichbare Wortgeschichte bis in unsere<br />
Zeit hinein.<br />
65
REISSNAGEL<br />
…da hatte wohl einer gründlich die Nase voll vom<br />
Chaos in seiner Bude.<br />
Man stelle sich einen allgemein ordnungsliebenden<br />
Uhrmacher vor, mit all seinen Rädchen, Schräubchen,<br />
seinen Requisiten, Plänen <strong>und</strong> Zettelchen, förmlich<br />
entkräftet über den desolaten Zustand in seiner Werkstatt.<br />
So war es denn, dass Johann Kirsten, ein Uhrmacher<br />
aus dem brandenburgischen Lychen, so ganz nebenbei<br />
<strong>und</strong> zum Zwecke seiner eigenen Übersichtlichkeit <strong>und</strong><br />
Systematik die Sache in die Hand nahm <strong>und</strong> Ordnung<br />
machen wollte. Zum Anbringen seiner Pläne auf dem<br />
waagrechten Reissbrett <strong>und</strong> zum Aufhängen an der<br />
Wand erfand er den Reissnagel.<br />
Ein kurzer, spitzer Metallstift mit merkwürdig angeheftetem<br />
Metallplättchen war die Lösung für geordnete<br />
Chronologie in seiner Bude <strong>und</strong> für seine eigene künftige<br />
Plan- <strong>und</strong> Regelmässigkeit – mehr nicht.<br />
Aus purer Geldnot verkaufte Kirsten seine Erfindung an<br />
die Lychener Kurzwarenfabrikanten Lindstedt <strong>und</strong> Flassar,<br />
welche die Reissnägel in ihrem Metallwerk massenhaft<br />
herstellten. Dadurch wurden beide Millionäre.<br />
Johann Kirsten hatte seitdem zwar Ordnung in seiner<br />
Werkstatt – am Erfolg seiner Erfindung wurde er aber<br />
nicht beteiligt.<br />
66
67
MAGISCHES AUGE<br />
Die Radiotaste «Ein» wurde gedrückt. Nach zirka 15<br />
Sek<strong>und</strong>en blendete das magische Auge auf Grün. Der<br />
unausgesprochene Befehl am Tisch war klar: kein Geschepper,<br />
kein Geschmatze – Ruhe.<br />
«Mit dem letzten Zeitzeichen des Observatoriums Neuenburg<br />
ist es jetzt genau zwölf Uhr dreissig – Sie hören<br />
die Nachrichten der Schweizerischen Depeschenagentur».<br />
Mit dieser Ansage kamen damalige Aktualitäten während<br />
des Mittagessens per Radio in die gute Küche…<br />
…zum Beispiel die bevorstehende Abstimmung zum<br />
Frauenstimmrecht in der Schweiz, der Krieg in Vietnam,<br />
die Mauer in Berlin, John F. Kennedy wurde ermordet,<br />
Graham Hill wurde Formel-1-Weltmeister,<br />
Cassius Clay Olympiasieger im Boxen, Sechstagekrieg<br />
zwischen Israel <strong>und</strong> seinen arabischen Nachbarn, Che<br />
Guevara von einem Feldweibel der bolivianischen Armee<br />
erschossen…<br />
68
SUPER 8<br />
Der Fledermaus-Forscher Professor Abronsius, der wegen seiner allzu<br />
kühnen Theorien zum Vampirismus seinen Lehrstuhl an der Universität<br />
von Königsberg verloren hatte, reiste mit seinem Adepten Alfred<br />
in die Südkarpaten, um dort den Vampirismus zu erforschen <strong>und</strong> zu<br />
bekämpfen. Im Dorfgasthof entdeckte Abronsius Knoblauchgirlanden<br />
als erste Hinweise auf Vampire. Er vermutete, ganz in der Nähe müsse<br />
ein Schloss, das Nest der Blutsauger liegen…<br />
Kaum war der durchschlagende Erfolg von Roman Polańskis «Tanz der<br />
Vampire» leicht verklungen, packten wir unser Equipment in einen<br />
Döschwo <strong>und</strong> einen gemieteten Simca <strong>und</strong> reisten quer durch Frankreich<br />
nach Andorra. Weil das Gebiet der rumänischen Karpaten wegen<br />
der politischen Unwägbarkeiten doch etwas zu abwegig war, schien<br />
uns dieser Zwerg- <strong>und</strong> Schmugglerstaat hoch oben in den Pyrenäen für<br />
unser Projekt optimal. Es war ein Abenteuer – <strong>und</strong> die Zeit war reif,<br />
eine weitere Folge über Untote zu produzieren.<br />
Die Reise nach Andorra war kühn <strong>und</strong> imposant zugleich. Mit den insgesamt<br />
neun Personen als Filmcrew sowie dem persönlichen Gepäck<br />
jedes Einzelnen wurden die beiden Karren schon sehr strapaziert. Das<br />
Dach des gemieteten Simcas hatte unter der Last des mit Requisiten<br />
<strong>und</strong> der Campingausrüstung gefüllten Sarges eine erhebliche Delle bekommen.<br />
Herzstück unseres Equipments war natürlich die soeben neu<br />
erstandene Beaulieu, die Göttin unter den Super-8-Kameras.<br />
In einem abgelegenen Seitental des Pyrenäenstaates richteten wir<br />
uns dann für die blutroten Szenen ein – verlegten dreih<strong>und</strong>ert Meter<br />
Stromkabel, passten das Drehbuch der vorhandenen Situation an,<br />
probten alle Szenen nochmals <strong>und</strong> setzten die nötige Staffage ein –<br />
alles schien bereit zu sein. Die erste Nacht war kühl, die zweite Nacht<br />
war kalt <strong>und</strong> sehr feucht. Die Schauspieler begannen zu schlottern <strong>und</strong><br />
bald mal zu meutern. Es war unmöglich, unter diesen Umständen etwas<br />
Brauchbares zu produzieren, zumal, so wie es das Drehbuch verlangte,<br />
die meisten Szenen Nacht- <strong>und</strong> Nebelaktionen waren.<br />
Wir stimmten ab. Das Unterfangen wurde abgebrochen <strong>und</strong> wir fuhren<br />
noch in derselben Nacht hinunter an die sommerliche Mittelmeerküste.<br />
Angenehm warm war‘s da unten in Südfrankreich – nur wurde das Geheimnis<br />
um die sagenumwobenen Vampire auch diesmal nicht gelüftet.<br />
70
71
Die von Eugen Bauer entwickelten Geräte für<br />
die Kinematografie hatten weltweit einen besonders<br />
guten Ruf. In der bauerschen<br />
Werkstatt in Stuttgart wurden schon<br />
vor dem Ersten Weltkrieg Filmprojektoren<br />
produziert.<br />
Ab 1930 tüftelte Eugen Bauer<br />
an Kameras für Amateure. 1953<br />
wurde die Doppelachtkamera auf<br />
den Markt gebracht. Sie <strong>und</strong> die<br />
später entwickelten Super-8-Filmgeräte<br />
begründeten den Aufstieg<br />
Bauers zum weltweit umsatzstärksten<br />
Amateurkamera-Hersteller.<br />
Bild: Kurt Tauber<br />
Deutsches Kameramuseum<br />
www.kameramuseum.de<br />
72
Der gelernte Feinmechaniker Eugen Bauer begann 1905 in<br />
Stuttgart, sich auf dem Gebiet der Wiedergabetechnik von<br />
Filmen zu spezialisieren. Eines Tages reparierte er beim ersten<br />
Stuttgarter Kinobesitzer einen französischen Filmprojektor.<br />
Dabei griff er den Vorschlag des Kinobesitzers auf<br />
<strong>und</strong> begann selbst mit der Entwicklung <strong>und</strong> Herstellung von<br />
Filmprojektoren.<br />
1907 konstruierte Eugen Bauer seinen ersten Filmprojektor.<br />
Bereits im darauffolgenden Jahr bekam er Aufträge für die<br />
technische Ausstattung von Kinos. Die Bauer-Projektoren<br />
überzeugten durch ihre Zuverlässigkeit <strong>und</strong> besassen eine<br />
entscheidende Verbesserung: Der abgedrehte Film wurde<br />
nun auf einer Spule aufgewickelt. 1914 hatte Bauer bereits<br />
zehn Angestellte <strong>und</strong> verkaufte seine Projektoren in<br />
Deutschland <strong>und</strong> auch in anderen europäischen Ländern.<br />
Während des Ersten Weltkriegs wurde die «bauersche»<br />
Werkstatt für den Bau von Rüstungsgeräten verwendet <strong>und</strong><br />
er selber zum Wehrdienst eingezogen. Ab 1919 begann<br />
Bauer wieder seine Firma aufzubauen. Es folgten weitere<br />
Neuentwicklungen im Bereich der Kinoprojektoren.<br />
Vor 1930 wurde der Stummfilm durch den Tonfilm abgelöst.<br />
Die Filme wurden nun von einer Schallplatte begleitet, was<br />
einige Synchronisationsprobleme zwischen Bild <strong>und</strong> Ton mit<br />
sich brachte. Mit dem Lichttonverfahren gelang es schliesslich,<br />
den Ton direkt auf den Film aufzuzeichnen.<br />
Bauer war zum Marktführer im Bereich Kinofilmprojektoren<br />
geworden <strong>und</strong> exportierte circa 75 Prozent der Geräte ins<br />
Ausland. Für die Robert Bosch GmbH war das Unternehmen<br />
damit attraktiv genug, es ab 1932 nach <strong>und</strong> nach zu erwerben.<br />
1939 beschäftigte die Firma 300 Mitarbeiter. Während<br />
des Zweiten Weltkrieges wurde reduziert weiterproduziert,<br />
gegen Ende des Krieges kam die Produktion jedoch ganz zum<br />
Erliegen. Nach dem Krieg begann Bauer 1946 mit 40 Mitarbeitern,<br />
ab 1949 lief die Produktion wieder auf vollen Touren.<br />
In den ersten Nachkriegsjahren war Bauer in Deutschland<br />
der alleinige Hersteller von Kinomaschinen. Die grosse Zeit<br />
des deutschen Kinos war angebrochen <strong>und</strong> mit der Erfindung<br />
des Freilichtkinos in den 1950er-Jahren hatte Bauer erneut<br />
enormen Erfolg, dies durch die Kooperation von Bauer-Projektionstechnik<br />
mit Klangfilmtonanlagen der Firma Siemens.<br />
Das Ende von Bosch-Photokino kam mit dem Einzug des<br />
Fernsehens in die privaten Haushalte in den 1970er-Jahren<br />
<strong>und</strong> dem Massensterben der Grosskinos. Bauer stellte Anfang<br />
der 1980er-Jahre die Produktion von Filmprojektoren<br />
ein. Auch der Absatzmarkt im Amateurfilmbereich brach ab<br />
Ende der 1970er-Jahre ein, als billigere Konkurrenzprodukte<br />
aus dem asiatischen Raum den Markt überschwemmten.<br />
Kino-Bauer reagierte darauf mit einer Restrukturierung, die<br />
Firma wurde eine reine Vertriebsgesellschaft für Filmprojektoren,<br />
Video- <strong>und</strong> Blitzgeräte.<br />
73
74<br />
Filterkaffee<br />
Zichorienwasser, die Lorke oder Muckefuck (Mocca faux),<br />
mit dem der sogenannte Blümchenkaffee gemeint war,<br />
hat damalige Gesellschaften begeistert. Durch das sehr<br />
dünn aufgebrühte Zichorienwasser waren seinerzeit die<br />
Blümchen des Meissner-Porzellans zu sehen. Eine sinnbildliche<br />
Steigerungsstufe zum Blümchenkaffee war der<br />
Schwerterkaffee – dieser «Kaffee» war so dünn, dass<br />
man die auf der Unterseite der Kaffeetasse gekreuzten<br />
Schwerter, das Zeichen der oben genannten Porzellanmanufaktur,<br />
gesehen haben soll.<br />
Seit sich der arabische Muntermacher aus dem 17. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
in Europa zum Lieblingsgetränk gemausert hat,<br />
ist so vieles anders geworden. Längst ist es nicht mehr<br />
st<strong>und</strong>enlang abgestandener Filterkaffee, der auf den<br />
Tisch kommt, sondern w<strong>und</strong>erbar duftender Espresso,<br />
Cappuccino, Cafecino, Latte-Macchiato mit einer<br />
Milchschaumhaube <strong>und</strong> andere Kreationen. Nach neuesten<br />
Erkenntnissen wird der Kaffeegenuss auch immer<br />
gesünder <strong>und</strong> deshalb reissen sich neue Kaffeetechnologien<br />
um Marktanteile.
76<br />
Kaffee war früher sehr teuer <strong>und</strong> deshalb konnten sich nur<br />
gut situierte Bürger <strong>und</strong> Aristokraten das aromatische Getränk<br />
leisten. «Drei Dinge gehören zu einem guten Kaffee:<br />
erstens Kaffee, zweitens Kaffee, <strong>und</strong> drittens nochmals Kaffee»,<br />
soll der Schriftsteller Alexandre Dumas gesagt haben<br />
<strong>und</strong> Ludwig van Beethoven zum Beispiel hatte es sich angewöhnt,<br />
genau 60 Kaffeebohnen abzuzählen, um daraus eine<br />
Tasse Mokka zu brauen.<br />
Zu Grossmutters Zeit wurden dann den wenigen gemahlenen<br />
Kaffeebohnen zünftig geröstete Zichorienwurzeln beigemengt,<br />
was dem hellen Wässerchen immerhin eine dunklere<br />
Farbe verlieh, ziemlich herb schmeckte <strong>und</strong> dem Kaffee-Kränzchen<br />
mit Kuchen, Törtchen <strong>und</strong> je nach Gesinnung<br />
der teilnehmenden Damen eine ziemlich bittersüsse Note<br />
geben konnte.<br />
Neue Aromen <strong>und</strong> nach ausgeklügelter Röstung frisch gemahlener<br />
Bohnenkaffee wurden künftig durchs Filterpapier<br />
gelassen, dessen Papiergeschmack vorgängig mit heissem<br />
Wasser weggespült wurde. 60 Gramm gemahlener Kaffee<br />
pro Liter wurden mit 92 bis 94 Grad heissem Wasser aus<br />
einer Kanne mit dünnem Schwanenhals ganz langsam mit<br />
kreisenden Bewegungen übergossen, <strong>und</strong> zwar – das ist kein<br />
Witz – 2 Minuten 30 Sek<strong>und</strong>en lang.<br />
Diese Darlegungen sind neueren Datums <strong>und</strong> halten sich so<br />
lange, bis aktuellere Erkenntnisse kursieren.
60 Kaffeebohnen für den Kaffee von Ludwig van Beethoven<br />
77
SCHWINGE Wäscheschleuder<br />
Ein Körper verharrt im Zustand der Ruhe oder der gleichförmigen<br />
Bewegung, sofern er nicht durch einwirkende<br />
Kräfte zur Änderung seines Zustands gezwungen wird.<br />
Die Geschwindigkeit ist also in Stärke <strong>und</strong> Richtung konstant.<br />
Eine Änderung des Bewegungszustandes kann nur<br />
durch Ausübung einer Kraft von aussen erreicht werden,<br />
beispielsweise durch die Gravitationskraft.<br />
Die Zentrifugalkraft ist eine Trägheitskraft, die radial<br />
von der Rotationsachse nach aussen gerichtet ist. Sie<br />
wird durch die Trägheit des Körpers verursacht…<br />
Der langen Rede kurzer Sinn:<br />
So funktioniert eine Wäscheschleuder.<br />
78
Sinn <strong>und</strong> Zweck der Rotation ist es, dieses physikalische Gesetz<br />
in unserem modernen Leben zu nutzen. Dieses Gesetz<br />
wurde nicht erf<strong>und</strong>en, sondern ist Teil unserer Endlichkeit<br />
<strong>und</strong> wurde von den Herren Kopernikus, Galileo Galilei <strong>und</strong><br />
Isaac Newton im Mittelalter mit einer gewissen Bestimmtheit<br />
erkannt.<br />
Berechnend, klug <strong>und</strong> unbeugsam hat sich einer dieser Herren,<br />
nämlich Galilei, vor etwa fünfh<strong>und</strong>ert Jahren wegen<br />
seiner Behauptung mit den mittelalterlichen Patriarchen,<br />
dem Papst <strong>und</strong> dessen Nuntius angelegt; denn er war der<br />
Ansicht, dass sich die Welt drehe – um sich selbst <strong>und</strong> auch<br />
noch um die Sonne herum.<br />
Ewig lange Zeit vor der Erfindung der Wäscheschleuder war<br />
die Welt in den Köpfen der Obrigkeit <strong>und</strong> folglich auch in<br />
jenen der unteren Schichten noch tellerflach <strong>und</strong> ausser einigen<br />
Erhebungen sehr eben. Erdreistete sich jemand ohne<br />
Gottes Gnaden zu behaupten, dass sich noch anderes drehe<br />
ausser dem Rad, begab er sich in arge Bedrängnis <strong>und</strong> sein<br />
Kopf wurde oftmals so lange drangsaliert, bis er abfiel.<br />
Die Geschichte hat bewiesen, dass sich auch unter den alten<br />
Griechen schon manch ein heller Kopf bewegte. Pythagoras<br />
zum Beispiel hat schon in der Antike die nebulöse These<br />
aufgestellt, dass sich verschiedene Kugeln, wie die Welt auch<br />
eine hätte sein können, in der Sphäre um sich selbst <strong>und</strong> um<br />
andere herumdrehten.<br />
Ähnlich gefährlich, aber doch etwas humaner als im Mittelalter,<br />
als noch wegen angeblich sturer Behauptungen Köpfe abfielen,<br />
war es dann später in der angehenden modernen Zeit.<br />
Mutter war natürlich wie schon immer die Waschfrau <strong>und</strong><br />
wurde vorgeblich aus mitleidigen Gründen von Männern<br />
stets mit frauenfre<strong>und</strong>lichen Erfindungen, wie die Wäscheschleuder,<br />
zur bevorstehenden Emanzipation gedrängt.<br />
Wir Kinder hatten nach dem damaligen System unsere verbindlichen<br />
«Ämtli». Vor dem Nachtessen noch schnell runter<br />
in die Waschküche, den Boden aufwischen <strong>und</strong> die Wäsche<br />
aus der Schwinge in die «Zeine» werfen. Danach wurde die<br />
Wäsche von der Mutter mit «Chlüppli» fein säuberlich an<br />
die Leine gehängt.<br />
Die Wäscheschleuder war das imposanteste Gerät in der<br />
Waschküche, funktionierte nach einem weltlichen Gesetz,<br />
war kraftvoll, schnell <strong>und</strong> sehr offen. Diese Offenheit war<br />
zwar gefährlich, aber sehr faszinierend. Die ersten elektrischen<br />
Wäscheschleudern hatten ein sehr geringes Fassungsvolumen<br />
<strong>und</strong> verfügten noch über keinen verschliessbaren<br />
Deckel.<br />
80
Die Wäscheschleudern von damals sind in Pension. Die kupfernen Gesellen geniessen ihr Dasein meist im Freien <strong>und</strong> sind oft mit allerlei Grünzeug geschmückt.<br />
Bild: Seniorenheim für Wäscheschleudern in Siegershausen TG<br />
81
Hotelschlüssel<br />
Nach einem Zwischenstopp in Chicago spät in der Nacht<br />
kamen wir in einem internationalen Hotel in Midtown<br />
von Austin, Texas, an. Wir waren todmüde, der Concierge<br />
unfre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> sehr wortkarg. Meine neu erstandene<br />
Kreditkarte, mit der ich das Hotel schon von zu Hause<br />
aus gebucht <strong>und</strong> auch bezahlt hatte, akzeptierte er nicht.<br />
Das Lamento des Concierge, das er diesbezüglich vollführte,<br />
war völlig unnötig. «No accept.» Nach längerem<br />
Studium der korrekt übermittelten Buchung huschte ein<br />
widerwilliges «OK» über seine dünnen Lippen <strong>und</strong> er<br />
händigte uns ein anderes Kärtchen mit gross aufgedruckter<br />
Nummer 436 aus. «Was mach ich mit dem?»<br />
Sehr theatralisch <strong>und</strong> mit entsprechender Gestik meinte<br />
er: «Push!»<br />
Im 4. Stock angekommen, bei Tag sicher mit atemberaubender<br />
Aussicht über «Capitol of live music», schleppten<br />
wir das Gepäck durch die langen Gänge <strong>und</strong> steckten<br />
das Kärtchen bei 436, genau so wie der Concierge es<br />
zelebriert hatte, oberhalb des Türknaufes in den schmalen<br />
Schlitz. Wir drehten abwechselnd am Knauf, drückten<br />
<strong>und</strong> zogen, zeterten «Sesam öffne dich» <strong>und</strong> beteten<br />
mit entnervten Blicken zur Decke des Hotelganges immer<br />
wieder «Simsalabim». Die Tür zur wohlverdienten<br />
Ruhe öffnete sich nicht.<br />
Mit dem guten alten Hotelschlüssel hätten wir schon<br />
längst Schäfchen zählen können.<br />
82
ALTE WÄHRUNGEN<br />
Wenn einer eine Reise tut, so kann er was erzählen.<br />
Damals auf Reisen, von der Mitte des Okzidents an den<br />
Rand des Orients, von Nord nach Süd, von Istanbul<br />
quer durch das südöstliche Mediterraneum mit Aufenthalt<br />
in Venedig, Rom, Saint Tropez <strong>und</strong> Marseille, hinunter<br />
ins neu proklamierte spanische Königreich. R<strong>und</strong><br />
um die Iberische Halbinsel in fünf Tagen, den Sprung<br />
nach Biarritz, Bordeaux <strong>und</strong> zu guter Letzt einen Abstecher<br />
in die französische Megalopolis.<br />
Und was tatest du dort als «Stranger in Paris», nachdem<br />
du frühmorgens dem Nachtexpress bei Montparnasse<br />
entkrochen warst <strong>und</strong> bevor du überhaupt den<br />
Kaffee des neuen Landes testen konntest? Nichts anderes<br />
als überall – du machtest dich auf die Suche nach<br />
der nächsten Wechselstube.<br />
Noten <strong>und</strong> Münzen aller Herren Länder, gesammelt in<br />
einer dreckigen Socke, offenbarten sich zu Hause dann<br />
als Duft der grossen weiten Welt.<br />
Es wurde bewusst: Geld stank auch damals – <strong>und</strong> das<br />
nicht nur im sprichwörtlichen Sinne.<br />
85
Banknoten als Ersatz für Münzen aus Edelmetall<br />
Im siebzehnten Jahrh<strong>und</strong>ert wurden in Schweden erstmals auf europäischer Ebene offiziell Banknoten eingeführt. Schweden hatte zwar<br />
reiche Kupfervorkommen, aber der Zahlwert einer Kupfermünze entsprach nur ihrem Materialwert. Deshalb mussten zur Begleichung<br />
grösserer Beträge grosse <strong>und</strong> ausserordentlich schwere Münzen geprägt werden. Unter diesem Aspekt stellte die Erfindung von Papiergeld<br />
eine enorme Erleichterung dar.<br />
Die Peseta wurde 1869 in Spanien eingeführt <strong>und</strong> war wie<br />
viele andere Währungen öfter mal hohen Inflationsraten ausgesetzt.<br />
Die Peseta wurde neben dem Französischen Franc<br />
auch in Andorra als offizielles Zahlungsmittel anerkannt.<br />
Der Name leitet sich vom katalanischen Wort «peceta» ab,<br />
was so viel wie «kleines Stück» heisst.<br />
Die 5-Peseten-Münze wurde in Spanien «un duro» genannt<br />
<strong>und</strong> als Münzeinheit gebraucht.<br />
der BRD <strong>und</strong> löste die Reichsmark als gesetzliche Währungseinheit<br />
ab. Auch nach der Gründung der B<strong>und</strong>esrepublik<br />
Deutschland 1949 blieb die Deutsche Mark die Währungseinheit<br />
in der B<strong>und</strong>esrepublik <strong>und</strong> West-Berlin. Nach dem<br />
Fall der Mauer 1990 löste sie die sogenannte Ost-Mark der<br />
DDR ab <strong>und</strong> war nun im wiedervereinigten Deutschland gesetzliches<br />
Zahlungsmittel. Nach Errichtung der Europäischen<br />
Wirtschafts- <strong>und</strong> Währungsunion wurde die Deutsche Mark<br />
schliesslich am 1. Januar 1999 durch den Euro ersetzt.<br />
Nach den Balkankonflikten wurde die D-Mark vorübergehend<br />
offizielles Zahlungsmittel in Montenegro, Bosnien-Herzegowina<br />
<strong>und</strong> Kosovo.<br />
86<br />
Die Lira war seit der Gründung des italienischen Königreiches<br />
vor 200 Jahren bis 2001 die offizielle Währung Italiens. Sie<br />
war auch in San Marino <strong>und</strong> im Vatikan gesetzliches Zahlungsmittel.<br />
Der Währungsname Lira hat die gleichen Ursprünge<br />
wie das britische Pf<strong>und</strong>, daher wird auch für beide<br />
das Währungszeichen £ benutzt. Die Untereinheit der Lira,<br />
der Centesimo, verlor seine Bedeutung infolge andauernder<br />
Inflation schon bald.<br />
Einh<strong>und</strong>ert Pfennige ergaben eine D-Mark oder kurz Mark.<br />
Diese hiess im englischsprachigen Raum meist «Deutschmark».<br />
Sie war von 1948 bis 2001 die offizielle Währung in<br />
1360 wurden in Frankreich die ersten vom Volk als «Francs»<br />
bezeichneten Goldmünzen eingeführt. Sie trugen ein Bildnis des<br />
Königs Johann II. mit der Aufschrift «Johannes Dei Gratia Francorum<br />
Rex» (Johannes von Gottes Gnaden König der Franken),<br />
aus deren vorletztem Wort die Namensgebung abstammte.<br />
Der Franc wurde 1795 als nationale Währung <strong>und</strong> Nachfolger<br />
des Livre eingeführt <strong>und</strong> damals als Novum dezimal unterteilt:<br />
1 Franc = 100 Centimes. Dieses System hatte einen grossen<br />
Einfluss auf andere Währungen.
Der Schilling war von 1925 bis 1938 <strong>und</strong> von 1945 bis zur<br />
Einführung des Euro am 1. Jänner 1999 die Währung <strong>und</strong> anschliessend<br />
noch bis zum 28. Februar 2002 gesetzliches Zahlungsmittel<br />
der Republik Österreich. Als Folge des österreichischen<br />
Anschlusses an das Deutsche Reich diente zwischen<br />
1938 <strong>und</strong> 1945 die Reichsmark als Währung.<br />
Der holländische Gulden hatte das Währungssymbol ƒ <strong>und</strong><br />
stammte von einer älteren Währung ab, dem Florin aus der<br />
Zeit des 16. Jahrh<strong>und</strong>erts.<br />
Der Gulden bezeichnete ursprünglich eine Goldmünze, später<br />
aber auch eine Silbermünze <strong>und</strong> eine Münze mit Gold-Silbergemisch<br />
als Rechnungseinheit. Daher unterscheidet man<br />
Goldgulden <strong>und</strong> Silbergulden. Goldgulden mit einem hohen<br />
Silberanteil wurden auch «blaue Gulden» genannt. In verschiedenen<br />
Regionen wurde zu Gold <strong>und</strong> Silber auch noch<br />
Kupfer gemischt.<br />
Von der ersten Goldmünze dieser Art, dem Florentiner «Fiorino<br />
d’oro», lateinisch «florenus aureus», leitet sich der Name<br />
«Floren» ab. Demgegenüber setzte sich im Süden <strong>und</strong> Westen<br />
des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation schon früh<br />
der Name «Gulden» durch. Oft wurden ganz allgemein alle<br />
Goldmünzen als Gulden oder Floren bezeichnet.<br />
Der belgische Franc wurde 1832 eingeführt. Da auch Belgien<br />
Mitglied der Lateinischen Münzunion war, wurde er nach<br />
dem Vorbild des französischen Francs geschaffen <strong>und</strong> war lange<br />
im Verhältnis 1:1 an diesen gekoppelt.<br />
Ab 1922 befand sich Luxemburg in einer Währungsunion mit<br />
Belgien. Der belgische <strong>und</strong> der Luxemburger Franc waren in<br />
beiden Ländern offizielle Währungseinheit.<br />
Weitere Länder hatten vor dem Beitritt zur Europäischen Währungsunion eigene Währungen:<br />
Irland<br />
Irisches Pf<strong>und</strong><br />
Portugal<br />
Escudos<br />
Slowenien<br />
Slowenischer Tolar<br />
Griechenland<br />
Griechische Drachmen<br />
Zypern<br />
Zypriotisches Pf<strong>und</strong><br />
Slowakei<br />
Slowakische Krone<br />
Estland<br />
Estnische Krone<br />
Lettland<br />
Lats<br />
Finnland<br />
Finnmark<br />
87
Kommunismus<br />
Der Lack ist ab, die Fassade bröckelt, die Theaterhäuser<br />
sind eingestürzt oder werden nur noch von maroden<br />
Stützen stabilisiert <strong>und</strong> gehalten. Den feudalsten Häusern<br />
gab man über die fehlende Fassade ganz schnell<br />
einen modernen, zeitgemässen Anstrich.<br />
Die Idee der Autoren war fantastisch, das Drehbuch<br />
für das Theaterstück war genial, simpel <strong>und</strong> bekömmlich<br />
zugleich. Das Programm war atemberaubend, triumphal<br />
<strong>und</strong> versprach, ein absoluter Erfolg für alle zu<br />
werden…
89
…Regisseure, Intendanten <strong>und</strong> Hauptdarsteller rissen sich<br />
um das Stück, wollten ganz hoch hinaus, entpuppten sich<br />
aber als Dilettanten <strong>und</strong> kümmerliche Besserwisser. Allesamt,<br />
mit ganz wenigen Ausnahmen, haben den Kern der<br />
Aussage entnommen, ihn verdreht <strong>und</strong> zerstückelt, danach<br />
diametral neu zusammengebastelt <strong>und</strong> einem konsternierten<br />
Publikum neu vorgesetzt.<br />
Gute Schauspieler wurden zu Statisten degradiert, gemobbt,<br />
als nutzloses Gesinde rausgeworfen <strong>und</strong> ausgesperrt. Verbliebene<br />
Stars auf der kuriosen Bühne des Sozialismus vergassen<br />
ihren Text <strong>und</strong> bekamen von der Souffleuse ganz neue Sätze<br />
zugeflüstert, blinde Beleuchter mischten bunte Lichter nach<br />
eigenem Fingerspitzengefühl <strong>und</strong> verursachten so des Öftern<br />
Blackouts. Dem Inspizienten entgleitet die Kontrolle, er verwechselt<br />
den Dirigenten mit dem Maskenbildner. Der Intendant<br />
feuert den Regisseur <strong>und</strong> der Hauptdarsteller glaubt, er<br />
sei nun Direktor, Dramaturg <strong>und</strong> F<strong>und</strong>usverwalter in einem.<br />
90<br />
Die Genossen liebten <strong>und</strong> hassten sich, küssten, lobten,<br />
stritten <strong>und</strong> hätschelten sich gegenseitig <strong>und</strong> merkten dabei<br />
nicht, dass die Bretter der Bühne dünn geworden waren <strong>und</strong><br />
dass sie ihre Schauspielhäuser alle auf Sand gebaut hatten.<br />
Das Theaterstück interessiert längst nicht mehr. Das Publikum<br />
schaut von aussen her zu <strong>und</strong> klatscht reserviert, wenn<br />
das ganze Brim bo ri um in sich zusammenbricht.
Kommunismus bezeichnet eine politische Lehre, die anfänglich<br />
die Gütergemeinschaft zum Ziel hatte, im weiteren<br />
Sinne die klassenlose Gesellschaft, in der das Privateigentum<br />
an Produktionsmitteln aufgehoben ist <strong>und</strong> die Produktion<br />
des gesellschaftlichen Lebens rational <strong>und</strong> gemeinschaftlich<br />
geplant <strong>und</strong> durchgeführt werden sollte.<br />
Die Idee war simpel <strong>und</strong> in seiner Gr<strong>und</strong>struktur für jedermann verständlich.<br />
Schon zu Beginn aber, im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert, hatte die Umsetzung<br />
einer antikapitalistischen Gesellschaft durch die zahlreichen<br />
Protagonisten verschiedene Bedeutungen bekommen.<br />
Der ideologische Gr<strong>und</strong>gedanke von Karl Marx <strong>und</strong> Friedrich Engels<br />
wurde schon bald nach Lenins Machtergreifung in Russland so abgeändert,<br />
dass dieser etliche Gegner mit ähnlichem Konzept hatte. Stalin<br />
errichtete während seiner Regierungszeit unter dem Deckmantel des<br />
Kommunismus eine totalitäre Diktatur mit fatalen Folgen für Millionen<br />
russischer Bürger. Stalin nannte seine Art von Kommunismus «Stalinismus».<br />
Seinen langjährigen Weggefährten Leo Trotzki verfolgte er wegen<br />
kontroverser ideologischer Ansichten r<strong>und</strong> um die Welt <strong>und</strong> liess<br />
ihn in Mexiko meucheln.<br />
Der Kampf zwischen Chruschtschow <strong>und</strong> Mao Zedong um den Führungsanspruch<br />
in der kommunistischen Bewegung endete mit einer<br />
Spaltung <strong>und</strong> führte zu lapidaren Grenzkonflikten. Das chinesische<br />
Programm hiess von da an «Maoismus». Albaniens Enver Hoxha<br />
konvertierte in der Folge vom sowjetischen Kommunismus zum chinesischen<br />
Maoismus. Tito in Jugoslawien betrieb eine halbherzige Art<br />
Kommunismus <strong>und</strong> verbündete sich oft mit westlichen Staaten. Bald<br />
nach seinem Tod zerfiel Jugoslawien nach schweren Kriegswirren in<br />
verschiedene eigenständige Staaten. Todor Schiwkow von Bulgarien<br />
erinnerte sich als einer der wenigen an den kommunistischen Gr<strong>und</strong>gedanken<br />
<strong>und</strong> intensivierte Anstrengungen zur Schaffung des neuen<br />
sozialistischen Menschen. Schiwkow war mit 35 Jahren derjenige mit<br />
der längsten Amtszeit. Er wurde aber nach seiner Absetzung wegen<br />
Plünderung der Staatskasse <strong>und</strong> Korruption zu einer langjährigen Haftstrafe<br />
verurteilt.<br />
Ceausescu in Rumänien liebäugelte mal mit dem Westen, dann wieder<br />
mit dem Ostblock – ganz so wie der Wind wehte –, nannte sich<br />
abwechselnd oder gleichzeitig Titan der Titanen oder Sohn der Sonne,<br />
wollte alles keimfrei haben <strong>und</strong> baute in seinem Wahn Schlösser <strong>und</strong><br />
Paläste um sich herum. Er verbündete sich mit Terroristen <strong>und</strong> Drogenbossen,<br />
zerstörte im Namen einer «Systematisierung» achttausend<br />
Dörfer <strong>und</strong> baute dubiose Kinderheime für «Unwiederbringliche».<br />
Das Volk wandte sich bald mal gegen ihn. Kurz bevor Nicolae Ceausescu<br />
<strong>und</strong> seine Frau Elena von Offizieren hingerichtet wurden, rief<br />
er: «Tod den Verrätern, die Geschichte wird uns rächen», <strong>und</strong> sang<br />
dann die Internationale.<br />
Die Führung der DDR zeigte sich als mustergültig <strong>und</strong> wies seinen<br />
erbarmungslosen Staatssicherheitsdienst an, beim Volk für Ordnung<br />
zu sorgen. Die Tschechoslowakei verspürte unter Alexander Dubcek<br />
einen ganz kurzen «Prager Frühling». In Polen hatte Lech Wałesa mit<br />
seiner «Solidarnosc» das Land bestreikt <strong>und</strong> war eigentlicher Katalisator<br />
für den Fall der Berliner Mauer <strong>und</strong> die spätere Auflösung der<br />
Sowjetunion.<br />
Gorbatchow brachte den grossen Ballon durch Perestrojka <strong>und</strong> Glasnost<br />
zum Platzen – die Luft für einen glaubwürdigen Sozialismus war<br />
plötzlich weg.<br />
China betreibt eine ganz sonderbare Art von kapitalistischem Kommunismus.<br />
Nordkoreas Kim Jong-un, Dritter in der Thronfolge des ewigen<br />
Präsidenten, seines Grossvaters, ist Staatspräsident, oberster Führer,<br />
Regierungschef, Ministerpräsident <strong>und</strong> Chef von vielen gigantischen<br />
Umerziehungslagern etc.<br />
Was Pol Pot in Kambodscha unter kommunistischem System verstand,<br />
war schlichtweg eine absolute Schande. Hô Chí Minh in Vietnam war<br />
zwar unerbittlicher Revolutionär, aber gleichzeitig auch ein positives<br />
Beispiel an Vernunft <strong>und</strong> Verstand gegenüber der sozialistischen Idee.<br />
Als Präsident von Nordvietnam lebte er sehr bescheiden <strong>und</strong> bewohnte<br />
ein einfaches Holzhaus gegenüber des Präsidentenpalastes.<br />
Auf den Antillen hat ein gemischtes Volk namens Kubaner dank Sonne,<br />
Musik <strong>und</strong> purer Lebensfreude dem Kommunismus das Bestmögliche<br />
abgerungen. Die Kubaner haben wohl durch dieses System einiges gelernt,<br />
Traditionen bewahren können, aber letztlich doch viel an Freiheit<br />
<strong>und</strong> moderner Lebensqualität eingebüsst. Nach abgeschlossener Revolution<br />
wurde es «Che» Guevara in Kuba zu langweilig <strong>und</strong> er suchte<br />
mit einer Handvoll Rebellen im Kongo <strong>und</strong> in Bolivien nach neuen<br />
Aufgaben. Fidel Castro zündelte mit 12 000 kubanischen Söldnern <strong>und</strong><br />
der Unterstützung der Sowjetunion in Angola <strong>und</strong> Moçambique.<br />
Der «Máximo Líder» <strong>und</strong> sein Bruder Raúl halten noch immer wie<br />
verbissen am kommunistischen System fest – nur fallen ihnen die<br />
Zähne allmählich aus.<br />
91
LUFTPOST<br />
Zur Zeit der ersten Postflüge war man noch gerne bereit,<br />
hohe Luftpostbeförderungsgebühren in Kauf zu nehmen,<br />
um solch einen speziellen Brief zu verschicken.<br />
Mit der Zeit verlor das Flugzeug jedoch seinen besonderen<br />
Status <strong>und</strong> wurde schliesslich zu etwas ganz Alltäglichem.<br />
Dies führte unter anderem dazu, dass die<br />
Luftpost heute als etwas Selbstverständliches wahrgenommen<br />
wird. In den meisten europäischen Ländern<br />
muss schon lange keine zusätzliche Luftpostgebühr<br />
mehr entrichtet werden. In den Vereinigten Staaten<br />
gibt es jedoch durchaus noch solche zusätzlichen Belastungen.<br />
Um eine schnellstmögliche, aber günstige Postsendung<br />
zu garantieren, kommt heutzutage meist eine Kombination<br />
von Bahn-, Schiffs- <strong>und</strong> Lufttransport zum Zuge.<br />
Die Bedeutung der Luftpost ist in Ländern ohne Bahn<strong>und</strong><br />
Schiffsverkehr ungleich höher als in Mitteleuropa,<br />
da keine wirkliche Alternative zum Lufttransport existiert.<br />
Dies betrifft vor allem Paketsendungen, weil reine<br />
Nachrichtenübertragungen heutzutage nicht mehr auf<br />
den Postweg angewiesen sind.<br />
Mehrheitlich wird die mit Luftpost-, Priority- oder<br />
A-Post gekennzeichnete Post zwischen den europäischen<br />
Ländern auf dem Landweg bewegt. Diese Sendung<br />
trifft oft binnen 48 St<strong>und</strong>en beim Empfänger ein.<br />
Ob die Post dabei per Luft oder per Strasse transportiert<br />
wird, spielt nur noch eine sek<strong>und</strong>äre Rolle.<br />
92
…Blue Jeans sind trotz ihrer robusten Beschaffenheit sehr<br />
verschleissträchtig <strong>und</strong> sollen je nach Betrachtungsweise <strong>und</strong><br />
Verwendung zunehmend «en vogue» <strong>und</strong> auch bequemer<br />
werden, sind aber im eigentlichen Sinne ein Paradebeispiel<br />
für Vergänglichkeit. Bald mal 150 Jahren nach deren Erfindung<br />
sind Jeans keineswegs mehr aus unserer Gesellschaft<br />
wegzudenken <strong>und</strong> implizieren längst Freiheit, Mode <strong>und</strong> sogar<br />
ein bisschen Revolution. Das Phänomen Blue Jeans wäre<br />
ein sehr attraktives Thema in diesem Buch gewesen – aber<br />
eben, weil heute <strong>und</strong> wohl auch künftig fast alle indigoblaues<br />
Denim in verschiedenen Formen <strong>und</strong> Abnützungsstufen<br />
irgendwo am Körper tragen, gehört dieses Thema nicht unter<br />
den Begriff «Damals».<br />
Die Existenzberechtigung verschiedener Produkte, Objekte<br />
<strong>und</strong> Begebenheiten ist ständig einem innovativen Streben<br />
<strong>und</strong> zeitlichen Trends ausgeliefert. Verschiedene Gegenstände<br />
in diesem Buch finden daher bei Traditionalisten wohl<br />
eher schlechtes Gehör <strong>und</strong> werden nach wie vor als vorzüglich<br />
<strong>und</strong> unverzichtbar bezeichnet.<br />
Das gedruckte Buch wird möglicherweise künftig genauso<br />
zu einer Rarität oder sogar eliminiert werden, wie andere<br />
Schöpfungen in vielen Bereichen unseres Lebens.<br />
Martin Bührer<br />
95
Herzlichen Dank:<br />
Urs <strong>und</strong> Käty Weder, Zuzwil / Bigi <strong>und</strong> Roland Häusermann,<br />
Winterthur / Olivia Alinovi, Märwil / Julia Alinovi <strong>und</strong> Luca<br />
Conconi, Bürglen / Silvana Alinovi, Märwil / Patrick Fischer,<br />
Oberhueb, Neftenbach / Erika Meili <strong>und</strong> Alex Ammann, Winterthur<br />
/ Marianne <strong>und</strong> Adolfo Wyss, Aadorf / Miranda <strong>und</strong><br />
Pädi Gilgen, Brasilien / Danj <strong>und</strong> Maria Tonelli, Weinfelden /<br />
Moni <strong>und</strong> Hans Thomann, Märwil / Gabi <strong>und</strong> Oti Hinder, Märwil<br />
/ Claude Jaermann <strong>und</strong> Felix Schaad, Winterthur / Sonja<br />
Luger <strong>und</strong> Christian Meili, Winterthur / Martin Hänni, Holzhäusern<br />
/ Yvonne <strong>und</strong> Max Ochsner, Raperswilen / Rosmarie <strong>und</strong><br />
Albert Kind, Schaffhausen / Annette Golaz Winz, Betty Bossi,<br />
Zürich / Jajaram, Indien / Susanne Gschwend <strong>und</strong> Reto Ginsig,<br />
Elsau / Christoph Bartholdi, Märwil / Merce Sattler-Quinteiro,<br />
Winterthur / Kuno Gantenbein, Märwil / Marion Zimmermann,<br />
Hamburg / Carol Bührer, Winterberg / Andrea <strong>und</strong> Jimmi Widmer,<br />
Weinfelden<br />
96
Bilder <strong>und</strong> Texte:<br />
Martin Bührer<br />
Betty Bossi, Seite 6<br />
Eva Grdjic (Claude Jaermann, Felix Schaad), Seite 18<br />
Max Ochsner, Seite 45<br />
Lektorat:<br />
Sonja Luger<br />
Druck:<br />
www.wir-machen-druck.ch<br />
Verlag:<br />
www.illustro.ch<br />
ISBN 978-3-033-04906-2<br />
Recherchierte <strong>Inhalt</strong>e zu den einzelnen Themen enthalten<br />
Texte oder Textfragmente aus Wikipedia / Die freie Enzyklopädie<br />
Fotos:<br />
Bauer-Kamera, Seite 72, Kurt Tauber, Deutsches Kameramuseum<br />
Brigitte Bardot auf Velo-Solex, Seite 24, Bildrechte unbekannt<br />
97