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09/2017

Fritz + Fränzi

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Kolumne<br />

Im Haus der Zukunft<br />

Michèle Binswanger<br />

Die studierte Philosophin ist Journalistin und<br />

Buchautorin. Sie schreibt zu Gesellschaftsthemen,<br />

ist Mutter zweier Kinder und lebt in Basel.<br />

Einer der schönsten Texte für Eltern ist Kahlil Gibrans Gedicht<br />

«Über Kinder». «Eure Kinder sind nicht eure Kinder (…),<br />

ihre Seelen wohnen im Haus von morgen, das ihr nicht<br />

besuchen könnt, nicht einmal in euren Träumen», so heisst es.<br />

Ich werde also niemals wissen, in welchem Zimmer meine<br />

Kinder im Haus der Zukunft wohnen werden. Aber ich habe eine ganz<br />

gute Vorstellung, was ihre Generation prägt: das Smartphone.<br />

Meine Kinder gehören zur sogenannten iGen. Gemeint sind die Jahrgänge<br />

von 1995 bis 2012, die mit Smartphones und sozialen Medien<br />

aufgewachsen sind. Wie genau die digita le Revolution die Adoleszenz<br />

verändert, hat Psycho logie professorin Jean M. Twenge kürzlich in<br />

einem viel diskutierten Artikel dargelegt. Sie bezieht sich auf Statistiken,<br />

die in Amerika erhoben wurden. Aber die Veränderungen dürften jede<br />

durch Smartphones geprägte Gesellschaft betreffen.<br />

Heutigen Teenagern, beobachtet Twenge, geht es in einigen Hinsichten<br />

besser als vorherigen Generationen. Etwa bauen sie weniger Autounfälle<br />

oder haben weniger Probleme mit Rauchen und Alkohol. Dafür<br />

gehe es ihnen psychisch schlecht, denn Depressions- und Suizidraten<br />

unter Teens seien explodiert. Die Teenager der iGen sind abhängiger von<br />

ihren Eltern als frühere Generationen, sie gehen weniger alleine aus<br />

dem Haus, sie daten weniger, lernen später Autofahren, haben weniger<br />

Ferienjobs. Sexuell sind sie ebenfalls weniger aktiv. Was sie mit ihrer Zeit<br />

anfangen, liegt auf der Hand: Sie liegen alleine im Bett – mit dem Smartphone.<br />

In einer Zeit, in der meine Generation sich nichts sehnlicher<br />

wünschte, als mit anderen Teenagern die Köpfe zusammenzustecken,<br />

steckt die iGen ihren Kopf ins Smartphone. Und es macht sie un glücklich:<br />

Je mehr Zeit Teenager am Handy verbringen, desto weniger glücklich<br />

sind sie. Das betrifft Mädchen noch stärker als Buben, weil diese auch<br />

öfter Opfer von Cyberbullying sind.<br />

Das sind schmerzliche Beobachtungen. Allerdings beleuchtet Autorin<br />

Twenge nur eine Seite der Medaille. Wenn ich mich an meine Jugend<br />

zurückerinnere, hat die digitale Re volution doch auch positive Seiten.<br />

Wie verzweifelt hätte ich mir in den Achtzigerjahren so etwas wie Spotify<br />

gewünscht, um jene Musik zu finden, die ich hören wollte. Stattdessen<br />

harrte ich Stunden um Stunden am Radio aus, um im richtigen Moment<br />

auf Rec zu drücken – dann nämlich, wenn mein Song endlich gespielt<br />

wurde. Mein Sohn kann heute mit dem Smartphone gleich selber Hits<br />

produzieren. Meine These ist deshalb: Bringt ein Kind ein stabiles<br />

soziales Fundament mit und hat es kreative Interessen, dann ist das<br />

Smartphone mehr Segen als Fluch.<br />

Allerdings weiss ich, wie süchtig das ewige Surfen in sozialen Medien<br />

machen kann. Ich weiss zudem, wie schwer es Kindern manchmal fällt,<br />

auf das Smartphone zu verzichten und etwas anderes zu tun. Aber mit<br />

etwas Nachdruck kriegt man das hin. Solange man nicht zu bequem ist,<br />

zu inter venieren – weil man selber dauernd ins Handy starrt –, gibt es<br />

auch für die iGen Hoffnung. Denn auch sie hat Anrecht auf ein hübsches<br />

und helles Zimmer im Haus der Zukunft.<br />

Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren<br />

64 September <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi

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