09/2017

Fritz + Fränzi Fritz + Fränzi

08.09.2017 Aufrufe

Dossier >>> sein. Wir dachten, Papa brauche uns mehr, als unsere Kollegen uns beim Feiern brauchten. Wir mussten schneller erwachsen und selbständig werden. Schlimm fanden wir das aber nicht. Georges Morand: Das war wiederum meine Hauptsorge! Dass sie etwas verpassen, weil sie zu viel Verantwortung übernehmen wollen, anstatt einfach jung zu sein und zu pubertieren. Nicola: Wir hatten immer diese Angst: Schafft unser Papa das? Hält er das durch? Da dachten wir, wir müssen ihm möglichst viel abnehmen. Was hat euch in dieser Krise am meisten geholfen? Nadine: Gespräche mit Freunden, Ablenkung, Gott und unser Umfeld unterstützten uns. Wir hatten Freunde von meinen Eltern, die sofort eingesprungen sind. Sie haben uns zum Beispiel die Wäsche gemacht und sogar monatlich etwas zur Wohnungsmiete beigesteuert. Dafür sind wir sehr dankbar! Viola: Unsere Freunde haben sich bewusst darum bemüht, dass wir abgelenkt werden, Schönes erleben und weg von zu Hause kommen. Somit hatte auch unser Vater mal etwas Ruhe und Zeit für sich. Das hat mir viel Kraft gegeben. «Es war schön, dass die Kinder sich für mich entschieden hatten. Aber auch schön schwer.» Nicola: Für uns war auch die Vereinsmitgliedschaft im Cevi (YMCA) ein wichtiger Teil. Das hat uns ein Fundament gegeben und auch Ablenkung – mit Freunden etwas erleben. Es war wie ein zweites Zuhause. Viola: Meine älteste Schwester Na ­ dine lernte in dieser Zeit ihren heutigen Mann kennen. Auch er nahm eine wichtige Rolle ein. Er gab anfangs seine Wohnung für unsere Mutter frei, damit sie ausziehen konnte, und zog zu uns. Er wurde schnell zu einem wichtigen Mitglied der Familie. Nadine: Er ist humorvoll und brachte uns in dieser Zeit viel zum Lachen. Oft hat er einzeln etwas mit uns Geschwistern unternommen. Wir gingen grillieren, Fussball spielen oder setzten uns in den Golf und fuhren durch die Gegend. Wie war es unter euch Geschwistern? Viola: Für uns war klar, wir möchten als Geschwister zusammenbleiben und bei Papa wohnen. Wir sind in dieser Zeit zu einer unzertrennlichen Einheit zusammengewachsen. Wir konnten gemeinsam heulen und wütend sein, aber auch lustige Momente erleben. Das hat mir das Gefühl gegeben, dass es weitergeht und dass wir es schaffen. Patric: Es ist ein Geschenk, dass wir mit Papa ein Team waren und einander geholfen haben. Es war wichtig, zu wissen, dass wir diesen Zu ­ sammenhalt nicht verlieren. Georges Morand: Die Küche wurde in dieser Zeit sehr viel genutzt, ebenso die Stube. Jeder suchte Nestwärme. Stundenlang haben wir zu Abend gegessen oder am Sonntag gebruncht und geredet. Nicht nur über schwierige Dinge, auch über viel Schönes. Die Einzelzimmer waren in dieser Zeit nicht so beliebt (lacht). Georges Morand, Sie waren voll berufstätig, hatten vier Kinder zu versorgen und eine Trennung zu verarbeiten. Wie sind Sie damit zurechtgekommen? Georges Morand: Es war schön, dass sich die Kinder für mich entschieden hatten, aber auch schön schwer. Ich wusste nicht, wie ich das alles bewältigen sollte. Die Scheidung habe ich als persönliches Scheitern erlebt. Aber wir gaben unser Bestes, und mehr und mehr gelang es uns, wieder Boden zu gewinnen. Nach zehn Monaten – als vieles wieder rundlief – brach ich zusammen, hatte eine Erschöpfung. Zehn Wochen war ich krankgeschrieben, mit an ­ schliessender langsamer Aufbauphase. Hilfreich war in dieser Zeit die therapeutische Begleitung, um die Situation aus mehr Distanz zu reflektieren. «Es gibt Menschen, die haben viel Schlimmeres erlebt und haben es auch geschafft.» Was haben Sie in der Therapie erfahren? Ein wichtiger Gedanke, den ich aus der Therapie mitgenommen habe, war: «Sie sind nicht dafür verantwortlich, Ihre Kinder vor jeglichen Nöten zu schützen.» Ebenso waren auch einige Männerfreundschaften für mich sehr wichtig. Zudem habe ich viel gelesen. In einem Buch stiess ich auf die Sätz «Sie können an Ihrer Scheidung wachsen» und «Auch Ihre Kinder können an Ihrer Scheidung wachsen». Das hat mir eine neue Sicht eröffnet. Und schliesslich war Tagebuch schreiben enorm hilfreich. In Ihrem Buch sprechen Sie auch von einer Art Urvertrauen, das Sie in sich tragen. Ich meine dieses Gefühl: «Ich weiss momentan zwar nicht, wie es weitergehen soll, aber es geht weiter. Es gibt Menschen, die haben viel Schlimmeres erlebt und haben es auch geschafft.» Woher ich dieses Urvertrauen habe, weiss ich nicht. Von meinen Eltern habe ich das nicht mitbekommen. Aber schon als Kind hatte ich etwas in mir, von dem ich dachte, dass ich mir das nicht nehmen und von niemandem kaputt machen lasse. Es ist eine Art innerer Bunker. Später habe ich bei Anselm 30 September 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi

Grün gelesen, dass man dies den inneren Raum nennt – die Würde des Menschen. Gab es einen speziellen Wendepunkt für euch? Viola: Ich empfand es als Befreiung, dass mit Papas neuer Partnerin nach Jahren wieder jemand da war, der die engste Bezugsperson in seinem Leben sein konnte. Nicola und ich spürten, dass wir das nun nicht mehr abzudecken brauchten. So war es leichter, wieder loszulassen. Dann konnten wir auch endlich in Ruhe pubertieren (lacht). Patric: Mir war es sehr wichtig, dass Mama und Papa beide glücklich sind. Ich bin froh, dass es heute wieder jemanden gibt, der in Papas Herzen einen besonderen Platz hat. Was würdet ihr anderen Familien raten, die in einer Krise stecken? Patric: Gebt einander Kraft, stützt euch gegenseitig und schaut, dass alle Beteiligten zu Freunden gehen können und auch schöne Dinge erleben können. Das gibt Halt. Viola: Rückblickend hat es mir sehr geholfen, dass unser Vater authentisch war. Er zeigte offen seine Gefühle, hat auch ab und zu geweint, war wütend und hat uns offen ge ­ sagt, was er momentan verträgt und was nicht. So wussten wir immer, «Es bleibt viel Gutes in Kinderherzen haften und wird gespeichert.» woran wir sind. Und er gab zu, wenn er am Ende war und nicht mehr konnte. Dadurch war es auch für mich leichter, zu meinen Gefühlen zu stehen und Schwäche zu zeigen. Gleichzeitig wusste ich, es gibt auch Platz, um Glücksgefühle auszudrücken. Georges Morand: Den Kindern den Rücken zu stärken, dass sie ausdrücken können, was sie möchten und was nicht. Mir war es wichtig, dass wir alle ehrlich zu unseren Gefühlen stehen können. Viola: Es braucht die Akzeptanz untereinander, dass jeder eine schwierige Lebenssituation anders verarbeitet. Den anderen zugestehen können, dass es beim einen länger dauert, bis er/sie bereit ist für gewisse Schritte, und dass einen gewisse Themen stärker beschäftigen als andere. Georges Morand: Dieser Respekt für die Gefühle der anderen war immer wichtig für uns. Es geht auch darum, die Jahre davor zu würdigen; zu merken, dass nicht alles kaputt ist, dass so viel Gutes in Kinderherzen haften bleibt und gespeichert ist. Eine Scheidung schafft es nicht, all das zu zerstören. Ich habe anfangs so gefühlt, aber heute weiss ich es besser. >>> Interviewpartner: Georges Morand, 57, ist Theologe und Coach. Nadine, 32, aktuell in Elternzeit und Mutter zweier Kinder. Patric, 30, wohnt und arbeitet als Gärtner in der Stiftung Brunegg, die Wohn-, Arbeits- und Ausbildungsplätze für Menschen mit einer Behinderung anbietet. Viola, 26, ist Erzieherin in einer Kindertagesstätte. Nicola, 26, ist Sozialpädagoge in Ausbildung. Im nächsten Heft: Digitale Schule Bild: Salvatore Vinci / 13 Photo Programmieren in der Primarschule, Vorträge am Tablet in der Sek: die Schweizer Schulen werden immer multimedialer. Wie verändert sich dadurch das Lernen? Und wie viel digital ist zu viel? Mehr dazu in unserem grossen Dossier im Oktober. Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi September 201731

Dossier<br />

>>> sein. Wir dachten, Papa brauche<br />

uns mehr, als unsere Kollegen<br />

uns beim Feiern brauchten. Wir<br />

mussten schneller erwachsen und<br />

selbständig werden. Schlimm fanden<br />

wir das aber nicht.<br />

Georges Morand: Das war wiederum<br />

meine Hauptsorge! Dass sie etwas<br />

verpassen, weil sie zu viel Verantwortung<br />

übernehmen wollen,<br />

anstatt einfach jung zu sein und zu<br />

pubertieren.<br />

Nicola: Wir hatten immer diese<br />

Angst: Schafft unser Papa das? Hält<br />

er das durch? Da dachten wir, wir<br />

müssen ihm möglichst viel abnehmen.<br />

Was hat euch in dieser Krise am<br />

meisten geholfen?<br />

Nadine: Gespräche mit Freunden,<br />

Ablenkung, Gott und unser Umfeld<br />

unterstützten uns. Wir hatten<br />

Freunde von meinen Eltern, die<br />

sofort eingesprungen sind. Sie<br />

haben uns zum Beispiel die Wäsche<br />

gemacht und sogar monatlich etwas<br />

zur Wohnungsmiete beigesteuert.<br />

Dafür sind wir sehr dankbar!<br />

Viola: Unsere Freunde haben sich<br />

bewusst darum bemüht, dass wir<br />

abgelenkt werden, Schönes erleben<br />

und weg von zu Hause kommen.<br />

Somit hatte auch unser Vater mal<br />

etwas Ruhe und Zeit für sich. Das<br />

hat mir viel Kraft gegeben.<br />

«Es war schön, dass<br />

die Kinder sich für<br />

mich entschieden<br />

hatten. Aber auch<br />

schön schwer.»<br />

Nicola: Für uns war auch die Vereinsmitgliedschaft<br />

im Cevi (YMCA)<br />

ein wichtiger Teil. Das hat uns ein<br />

Fundament gegeben und auch<br />

Ablenkung – mit Freunden etwas<br />

erleben. Es war wie ein zweites<br />

Zuhause.<br />

Viola: Meine älteste Schwester Na ­<br />

dine lernte in dieser Zeit ihren heutigen<br />

Mann kennen. Auch er nahm<br />

eine wichtige Rolle ein. Er gab<br />

anfangs seine Wohnung für unsere<br />

Mutter frei, damit sie ausziehen<br />

konnte, und zog zu uns. Er wurde<br />

schnell zu einem wichtigen Mitglied<br />

der Familie.<br />

Nadine: Er ist humorvoll und brachte<br />

uns in dieser Zeit viel zum Lachen.<br />

Oft hat er einzeln etwas mit uns<br />

Geschwistern unternommen. Wir<br />

gingen grillieren, Fussball spielen<br />

oder setzten uns in den Golf und<br />

fuhren durch die Gegend.<br />

Wie war es unter euch Geschwistern?<br />

Viola: Für uns war klar, wir möchten<br />

als Geschwister zusammenbleiben<br />

und bei Papa wohnen. Wir sind in<br />

dieser Zeit zu einer unzertrennlichen<br />

Einheit zusammengewachsen.<br />

Wir konnten gemeinsam heulen<br />

und wütend sein, aber auch lustige<br />

Momente erleben. Das hat mir das<br />

Gefühl gegeben, dass es weitergeht<br />

und dass wir es schaffen.<br />

Patric: Es ist ein Geschenk, dass wir<br />

mit Papa ein Team waren und einander<br />

geholfen haben. Es war wichtig,<br />

zu wissen, dass wir diesen Zu ­<br />

sammenhalt nicht verlieren.<br />

Georges Morand: Die Küche wurde<br />

in dieser Zeit sehr viel genutzt, ebenso<br />

die Stube. Jeder suchte Nestwärme.<br />

Stundenlang haben wir zu<br />

Abend gegessen oder am Sonntag<br />

gebruncht und geredet. Nicht nur<br />

über schwierige Dinge, auch über<br />

viel Schönes. Die Einzelzimmer<br />

waren in dieser Zeit nicht so beliebt<br />

(lacht).<br />

Georges Morand, Sie waren voll<br />

berufstätig, hatten vier Kinder zu<br />

versorgen und eine Trennung zu<br />

verarbeiten. Wie sind Sie damit<br />

zurechtgekommen?<br />

Georges Morand: Es war schön, dass<br />

sich die Kinder für mich entschieden<br />

hatten, aber auch schön schwer.<br />

Ich wusste nicht, wie ich das alles<br />

bewältigen sollte. Die Scheidung<br />

habe ich als persönliches Scheitern<br />

erlebt. Aber wir gaben unser Bestes,<br />

und mehr und mehr gelang es uns,<br />

wieder Boden zu gewinnen. Nach<br />

zehn Monaten – als vieles wieder<br />

rundlief – brach ich zusammen, hatte<br />

eine Erschöpfung. Zehn Wochen<br />

war ich krankgeschrieben, mit an ­<br />

schliessender langsamer Aufbauphase.<br />

Hilfreich war in dieser Zeit<br />

die therapeutische Begleitung, um<br />

die Situation aus mehr Distanz zu<br />

reflektieren.<br />

«Es gibt Menschen,<br />

die haben viel<br />

Schlimmeres erlebt<br />

und haben es auch<br />

geschafft.»<br />

Was haben Sie in der Therapie<br />

erfahren?<br />

Ein wichtiger Gedanke, den ich aus<br />

der Therapie mitgenommen habe,<br />

war: «Sie sind nicht dafür verantwortlich,<br />

Ihre Kinder vor jeglichen<br />

Nöten zu schützen.» Ebenso waren<br />

auch einige Männerfreundschaften<br />

für mich sehr wichtig. Zudem habe<br />

ich viel gelesen. In einem Buch stiess<br />

ich auf die Sätz «Sie können an Ihrer<br />

Scheidung wachsen» und «Auch<br />

Ihre Kinder können an Ihrer Scheidung<br />

wachsen». Das hat mir eine<br />

neue Sicht eröffnet. Und schliesslich<br />

war Tagebuch schreiben enorm hilfreich.<br />

In Ihrem Buch sprechen Sie auch von<br />

einer Art Urvertrauen, das Sie in sich<br />

tragen.<br />

Ich meine dieses Gefühl: «Ich weiss<br />

momentan zwar nicht, wie es weitergehen<br />

soll, aber es geht weiter. Es<br />

gibt Menschen, die haben viel<br />

Schlimmeres erlebt und haben es<br />

auch geschafft.» Woher ich dieses<br />

Urvertrauen habe, weiss ich nicht.<br />

Von meinen Eltern habe ich das<br />

nicht mitbekommen. Aber schon als<br />

Kind hatte ich etwas in mir, von dem<br />

ich dachte, dass ich mir das nicht<br />

nehmen und von niemandem kaputt<br />

machen lasse. Es ist eine Art innerer<br />

Bunker. Später habe ich bei Anselm<br />

30 September <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi

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