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FINDORFF GLEICH NEBENAN Nr. 3

FINDORFF GLEICH NEBENAN ist das Magazin für Handel, Dienstleistung, Kultur & Politik im Stadtteil. Jetzt online lesen!

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q DER SPIELPLATZ AN DER CORVEYSTRASSE<br />

Märchenhaft<br />

E<br />

s war einmal ein verwunschener Spielplatz,<br />

der hatte wunderschöne, große, alte Bäume,<br />

in denen die Vögel zwitscherten, die Blätter<br />

raschelten und der Specht klopfte. Etwas<br />

entfernt konnte man irgendwo das Rattern der<br />

Züge und Rauschen der Autos hören, aber das<br />

störte nicht weiter. Auf dem Platz selbst gab<br />

es viele, viele Kinder, die – na, was wohl ? –<br />

natürlich spielten ! Die Wasserpumpe quietschte, ein Ball traf<br />

die neue Torwand und auf dem Klettergerät ließ man sich faul<br />

hängen oder bestieg mutig unsichtbare Berge in luftigen Höhen.<br />

Kurzum: Auf diesem Spielplatz tobte tatsächlich noch das echte,<br />

wilde Leben, aber es gab auch stille Ecken zum Verstecken.<br />

Jeden Tag galt es, neue Abenteuer zu bestehen. Kein Wunder,<br />

denn was kaum jemand nach ungezählten Sonnenaufgängen<br />

noch wusste: Der verwunschene Spielplatz hatte ein Geheimnis.<br />

Er war einst in den goldenen 70er Jahren des letzten Jahrhunderts<br />

als einer der ersten »Abenteuerspielplätze« anglegt worden;<br />

zu einer längst vergangenen Zeit, als die üblichen Plätze<br />

zum Spielen für Kinder oft noch ein bisschen »uncool« waren.<br />

Dieser Spielplatz aber war von Anfang an ein ganz besonderer<br />

Ort, der vom ersten Tag an von emsig-eifrigen Menschen in<br />

sogenannten »Spielplatzinitiativen« betreut wurde – und für sie<br />

waren auch die damals noch sehr langweiligen Spielgeräte absolut<br />

tabu. Stattdessen wurde viel lieber begeistert selbst gebaut,<br />

Feuer gemacht, im Gebüsch gespielt und auf Bäume geklettert.<br />

Damals, als die Erwachsenen von heute selbst noch Kinder waren,<br />

– und ja, das waren sie tatsächlich einmal – der Fernseher<br />

tagsüber schweigend nur ein Testbild zeigte und niemand sich<br />

etwas wie Internet und Smartphones überhaupt vorstellen konnte,<br />

wurden im kleinen Spielhaus am Vormittag des 24. Dezembers<br />

zu Weihnachten spannende Filme gezeigt, damit die Eltern<br />

für ihre Kinder zu Hause in Ruhe den Heiligabend vorbereiten<br />

konnten. Solche witzigen Aktivitäten gibt es heute nicht mehr,<br />

aber die Spielplatzinitiative mit verschiedenen Spielangeboten<br />

und Kaffee und Tee ist immer noch da – auch nach dem Abriss<br />

des nach vielen Jahren sehr alt gewordenen Spielhauses, das<br />

eigentlich flugs ersetzt werden sollte. Doch eines Tages geschah<br />

etwas Seltsames, was sich heute niemand mehr so richtig erklären<br />

kann. Einige Leute in den großen Behörden verfolgten eine<br />

schier unglaubliche Absicht: Weil es wie aus dem Nichts wieder<br />

mehr Kinder in der Stadt gab, wollten sie nun unbedingt statt<br />

eines kleinen Spielhauses eine Riesenkita bauen. Und wo wollte<br />

man die bauen ? Ausgerechnet auf dem verwunschenen Spielplatz,<br />

dessen eine Hälfte von dem riesigen Bau für immer und<br />

ewig verschluckt worden wäre. Ja, so hätte<br />

es kommen können. Aber als die Pläne für<br />

die schon riesige Riesenkita immer noch<br />

riesiger und riesiger und riesiger wurden,<br />

machte das viele BewohnerInnen im Stadtteil sehr wütend<br />

– und die Kinder vom Spielplatz sowieso. Sie riefen »Etwas<br />

besseres als diesen Unsinn findest du überall !« und sie fragten<br />

»Was soll das ? Es gibt bei uns doch schon viel zu wenig Platz<br />

zum Spielen !«<br />

Schnell wie der Wind sammelte man auf dem Dorffmarkt ganz<br />

viele Unterschriften gegen den Bau, Kinderreporter drehten<br />

ein Protest-Video und die Erwachsenen trafen sich an einem<br />

runden Tisch, um zu diskutieren. Vielleicht weil es Vollmond<br />

war, vielleicht aber auch, weil man der Spielplatznot im Stadtteil<br />

mit den dichten Häusern und Straßen voller Autos doch noch<br />

LIEBLINGSORTE<br />

gewahr wurde, wollte man den verwunschenen Spielplatz von<br />

einem Tag auf den anderen doch nicht mehr bebauen. Was auch<br />

immer der Grund gewesen sein mag: Keiner hat es je erfahren<br />

– und schlussendlich ist es ja auch egal. Der verwunschene Spielplatz<br />

mit den großen, alten Bäumen war noch einmal gerettet<br />

worden. Nur diese Rettung zählte am<br />

Ende – und wie ja jedes Kind weiß: Ein<br />

verwunschener Spielplatz ist nicht nur<br />

für die Kinder, sondern als grüne Oase<br />

auch für alle anderen BewohnerInnen im Stadtteil da. Wie zum<br />

Beispiel für jene ältere Frau, die man an tropisch heißen Sommerabenden<br />

manchmal auf dem Spielplatz treffen kann, weil es<br />

in ihrer Wohnung viel zu heiß ist. Stattdessen sitzt sie lieber mit<br />

einem guten Buch und einer kühlen Wasserflasche auf der<br />

schattigen Bank, um die Stimmung der wunderschönen Dämmerung<br />

mit Vogelgezwitscher und Blätterrascheln zu genießen.<br />

Und wenn sie noch nicht ausgelesen hat und heute wieder einmal<br />

ein lauer Abend sein sollte, sitzt sie wohl auch diesmal da.<br />

Du kannst ja einfach hingehen und nachsehen.<br />

Text: Kai Grimmich, Foto: Ercan Yildirim, www.ey-fotografie.de ▲<br />

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