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Hinz&Kunzt 293 Juli 2017

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Das Hamburger<br />

Straßenmagazin<br />

Seit 1993<br />

N O <strong>293</strong><br />

<strong>Juli</strong>.17<br />

2,20 Euro<br />

Davon 1,10 Euro<br />

für unsere Verkäufer<br />

Heiße<br />

Luft?<br />

Der Gipfel, das Klima<br />

und was das mit<br />

Hamburg zu tun hat.


Ihr kleiner<br />

gr ner Kaktus<br />

Gesucht<br />

Die schönsten Geschichten<br />

veröffentlichen wir in<br />

unserem neuen<br />

Sonderheft,<br />

das im November<br />

erscheinen wird.<br />

Schreiben Sie an<br />

info@hinzundkunzt.de<br />

Einsendeschluss:<br />

28. <strong>Juli</strong> <strong>2017</strong>.<br />

Oder haben Sie eine andere Lieblingspflanze?<br />

Erzählen Sie uns von ihr und warum Sie sie so lieben!<br />

Dabei ist es egal, wo Ihre Pfl anze wächst – im Topf, im Garten,<br />

im Park – und ob sie jung, alt oder gar verkümmert ist.<br />

Hauptsache, sie hat eine besondere Bedeutung für Sie.<br />

FOTO: ISTOCK


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Editorial<br />

Unser Vertrieb zeigt Gesicht<br />

Tresenmann Spinne,<br />

Hinz&Künztler Wojciech<br />

und Vertriebsleiter Christian<br />

(von links) beim Selfie in<br />

unserem Hinterhof. Unsere<br />

Verkäufer tragen alle sichtbar<br />

einen Verkäuferausweis.<br />

Darauf: das Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />

Logo in unseren Farben,<br />

die individuelle Verkäufernummer<br />

und ein Passfoto.<br />

TITELBILD: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

Detlef Scheele spricht<br />

Hamburgs Ex-Sozialsenator<br />

ist seit <strong>2017</strong> Chef der<br />

Bundesagentur für Arbeit.<br />

Wie der Sozialdemokrat<br />

die Langzeitarbeitslosigeit<br />

bekämpfen will, lesen Sie<br />

ab S. 12<br />

Schaluppe schippert<br />

Die Jungfernfahrt hat<br />

das Kulturfloß mit dem<br />

lustigen Namen bestanden.<br />

Der „Verein für mobile<br />

Machenschaften“ bietet<br />

fortan unkommerzielle<br />

Kultur – zu Wasser. S. 30<br />

Geschichten<br />

aus unserem Alltag<br />

Woran erkennt man eigentlich einen echten<br />

Hinz&Künztler? Wojciech (Foto oben, Mitte) kennt<br />

die Antwort: am Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Ausweis, deshalb trägt<br />

er ihn auch mit Stolz. Leider bekommen unsere<br />

Verkäufer immer öfter Konkurrenz durch Personen<br />

ohne Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Ausweis. Unsere 530 Verkäufer<br />

wären Ihnen darum sehr dankbar, wenn Sie beim<br />

Kauf auf unseren Ausweis achten. Damit schützen<br />

Sie die Hinz&Künztler vor unfairem Wettbewerb.<br />

Die Redaktion ist mitten in den Vorbereitungen<br />

auf den G20. Wir haben einen offenen Brief an den<br />

Innensenator, die Sozialsenatorin und den Bürgermeister<br />

geschrieben. Alle drei behaupten, dass die<br />

Obdachlosen während des Gipfels auf ihren Platten<br />

bleiben können. Schon der gesunde Menschenverstand<br />

sagt, dass das unwahrscheinlich ist. Einerseits<br />

werden Gullis verplombt und Buslinien umgeleitet –<br />

andererseits soll es erlaubt sein, dass Menschen mit<br />

Sack und Pack unter Brücken oder auf bestimmten<br />

Straßen sitzen? Falls es Probleme gäbe, sollten „individuelle<br />

Lösungen“ gefunden werden, sagt die Polizei<br />

(Seite 20). Genau das würden wir gerne vermeiden.<br />

Das Hickhack hat Puppenspieler und Autor<br />

Sven Knüppel dazu herausgefordert, unser neues<br />

Maskottchen, Comic-Held Dodo Dronte, schon in<br />

diesem Monat zum Leben zu erwecken (Seite 56).<br />

Danke übrigens für die vielen Namensvorschläge,<br />

demnächst wird der Vogel auch offiziell getauft. •<br />

Ihre Birgit Müller<br />

Chefredakteurin<br />

(Wir freuen uns über Post von Ihnen.<br />

Schreiben Sie uns doch an info@hinzundkunzt.de)<br />

Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk<br />

Tschüss, Peter!<br />

Hinz&Künztler Peter<br />

gehörte bis zu seinem<br />

Tod fest zu St. Pauli.<br />

Nun nahm der<br />

Kiez auf rührende Art<br />

Abschied. S. 6<br />

Inhalt<br />

Stadtgespräch<br />

04 Gut&Schön<br />

06 Trauermarsch für Peter<br />

10 Zahlen des Monats<br />

12 Detlef-Scheele-Interview<br />

15 Bahn gegen Bettler<br />

16 Besser-Verdiener: Tricargo<br />

20 G20: Offener Brief<br />

30 Kulturfloß Schaluppe<br />

38 Kunst: Open Access<br />

Der G20 und das Klima<br />

23 Fakten zum Klimawandel<br />

Freunde<br />

44 Wendula von Platen<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

48 Musik: Carsten Friedrichs<br />

52 20 Tipps für den <strong>Juli</strong><br />

56 Comic mit Dodo Dronte<br />

58 Momentaufnahme<br />

Rubriken<br />

05, 51 Kolumnen<br />

22, 36 Meldungen<br />

46 Leserbriefe<br />

57 Rätsel, Impressum


Schüler im Museum<br />

Einfach mal<br />

machen<br />

Immer ist etwas falsch oder richtig<br />

oder stimmt noch nicht. Nicht so bei<br />

den Kunstkursen, die der Hamburger<br />

Fotograf André Luetzen Kindern<br />

gibt. Er lässt sie schauen – und<br />

machen. Und sie fotografieren in<br />

Museen den Fußboden oder<br />

die Aufsicht. Ihre eigenen Schatten.<br />

Oder ihre Nasen. Den Schülern<br />

der Grundschule Hasselbrook<br />

ist so ein tolles Fotobuch gelungen:<br />

gespickt mit frischen und<br />

ungewöhn lichen Bildern. FK<br />

•<br />

Buchpräsentation, Mi, 12.7., 14.30 Uhr,<br />

Altonaer Museum, Museumstraße 23


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Gut&Schön<br />

Behördenbegleiter<br />

Den Rücken<br />

stärken<br />

Stefan Büngens, Caritas<br />

FOTOS: ANDRÉ LÜTZEN (S. 4), AFGHANISTAN SCHULEN E.V. (OBEN),<br />

MARIE LUISE PREISS/DEUTSCHE STIFTUNG DENKMALSCHUTZ (UNTEN LINKS),<br />

STARTSOCIAL E.V./THOMAS EFFINGER, KOLUMNE: MICHAEL KOTTMEIER/K-FILM<br />

Afghanistan<br />

Langsame Fortschritte bei der Schulbildung<br />

Mehr als 50 Schulen hat der Verein „Schulen in<br />

Afghanistan“ seit 1988 am Hindukusch aufgebaut.<br />

Für Jungs und Mädchen. Längst bildet man eigene<br />

Lehrer aus. Die Vorsitzende Marga Flader (weißes<br />

Kopftuch) bereist das Land regelmäßig, trotz vieler<br />

Gefahren. Ihr Resümee: „Wir brauchen Geduld.“ FK<br />

•<br />

Mehr Infos: www.afghanistan-schulen.de<br />

Zukunft für eine Villa<br />

Es drohte der Abriss. Denn nur<br />

ein Mieter wohnte in den letzten<br />

Jahren in der Villa Mutzenbecher<br />

im Niendorfer Gehege. Nun wird<br />

das ramponierte Haus saniert:<br />

Jugend liche ohne Schulabschluss<br />

und Geflüchtete sollen dabei das<br />

Handwerken lernen. Unterstützt<br />

von Architekturstudenten der<br />

Hafencity Universität. Die späteren Brücke ins Zuhause<br />

Nutzer: eine Kita, ein Stadtteilarchiv<br />

und eine Forschungsstation. burg eine Wohnung zu finden. Zum<br />

Schwierig, als Flüchtling in Ham-<br />

2020 soll alles fertig sein. FK<br />

•<br />

Glück gibt es die Wohnbrücke. Der<br />

Verein vermittelt Wohnungen und<br />

stellt Wohnungslotsen. Die helfen<br />

dem neuen Mieter und beraten<br />

Vermieter und Nachbarn, sollte es<br />

Probleme geben. Für dieses Engagement<br />

gab es jetzt den startsocial-<br />

Preis. Einen Sonderpreis erhielt<br />

die Kleiderkammer für Geflüchtete,<br />

Hanseatic Help. Überreicht von<br />

Kanzlerin Angela Merkel. FK<br />

•<br />

Da ist ein 19-jähriges Mädchen.<br />

Endlich hat sie eine<br />

Wohnung gefunden. Jetzt<br />

müsste nur die Arge die Genossenschaftsanteile<br />

übernehmen<br />

– was der jungen<br />

Frau zusteht. Doch sie kann<br />

den Arge-Bearbeiter nie erreichen.<br />

„Hier muss einer<br />

den Rücken gerade machen<br />

für jemanden, der klein ist“,<br />

sagt Stefan Büngens von der<br />

Hamburger Caritas. Der<br />

50-Jährige leitet das Projekt<br />

„Behördenbegleiter“, zusammen<br />

mit Peter Ludt. Im<br />

Falle der 19-Jährigen schickte<br />

er einen der Begleiter mit<br />

zum Amt. Der half und gab<br />

dem Mädchen das Gefühl<br />

zurück: „Du hast nichts<br />

falsch gemacht“, so Büngens.<br />

Zehn Behördenbegleiter<br />

sind bei der Caritas ehrenamtlich<br />

aktiv. Sie wurden ins<br />

Hamburger Hilfesystem eingewiesen<br />

und haben Konflikttraining<br />

erhalten. Oft<br />

begleiten sie Klienten aus<br />

den Caritas-Abteilungen, die<br />

mit Armut, Obdachlosigkeit<br />

und Migration zu tun haben.<br />

Wenn psychische, sprachliche<br />

oder kulturelle Probleme<br />

den Behördengang erschweren.<br />

Büngens: „Damit ein<br />

normaler Gang normal abläuft.<br />

Gemeinsam reingehen,<br />

gemeinsam erledigen, gemeinsam<br />

rausgehen.“ ABI<br />

•<br />

Kontakt: Stefan Büngens oder<br />

Peter Ludt, Tel. 28 01 40-170<br />

oder -280, Di und Fr, 9–12 Uhr<br />

5


Peters<br />

letzte Tour<br />

Für Hinz&Künztler Peter war der Kiez seine Heimat. Nach seinem Tod ehrten<br />

Freunde, Kollegen und Nachbarn ihn mit einem Trauermarsch durch St. Pauli. Die<br />

Tour endete in der Kneipe Silbersack – so wie früher auch Peters Verkaufsrunden.<br />

TEXT: BENJAMIN LAUFER, SIMONE DECKNER<br />

FOTOS: LENA MAJA WÖHLER<br />

Das Herz von<br />

St. Pauli schlug beim<br />

Trauerzug für Peter<br />

besonders laut.<br />

Viele trugen Plakate<br />

mit dem Foto des<br />

Hinz&Künztlers.<br />

So war er auch an<br />

diesem Tag präsent<br />

auf seinem Kiez.


Sogar der Himmel weinte, als Pastor<br />

Wilm den Trauerzug über den Kiez<br />

führte – zum Erstaunen der Nachbarn.<br />

Früher war das Peters tägliche<br />

Route, 15 Jahre lang. Vom<br />

Operettenhaus am Spielbudenplatz<br />

durch die Straßen<br />

links und rechts der Reeperbahn. Unterwegs<br />

Abstecher in Kiezkneipen und<br />

Tabledance-Bars. Jeden Abend endete<br />

seine Tour im Silbersack, gegen halb<br />

eins. Überall durfte der Hinz&Künztler<br />

rein – und darauf war er mächtig stolz.<br />

Gerne erzählte er immer wieder: „Ich<br />

bin der einzige Mann, der mit mehr<br />

Geld aus dem Dollhouse rauskommt,<br />

als er reingegangen ist.“ Weil er sogar<br />

dort das Straßenmagazin verkaufte.<br />

Peter und der Kiez, die gehörten einfach<br />

zusammen.<br />

Seit April macht Peter diese Tour<br />

nicht mehr. Nach einem schweren Sturz<br />

kam er ins Krankenhaus. Am 21. April<br />

starb er. Er wurde 67 Jahre alt. Ein großer<br />

Verlust für seine Freunde, das<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Team und viele Menschen<br />

auf dem Kiez. Viel zu oft passiert<br />

es bei armen Menschen, dass sie nach<br />

ihrem Tod einfach vergessen werden.<br />

Aber nicht so bei Peter: Um ihn zu ehren<br />

und zu verabschieden, treffen sich<br />

am 30. Mai etwa 50 Freunde, Kollegen<br />

und Wegbegleiter auf dem Spielbudenplatz.<br />

In einem Trauermarsch ziehen<br />

sie gemächlich durch St.-Pauli-Süd, die<br />

Das Verkaufen<br />

der Zeitung<br />

hat Peter eine<br />

Heimat gegeben.<br />

Davidstraße hoch, vorbei an der Hans-<br />

Albers-Statue bis zu Peters Lieblingskneipe,<br />

den Silbersack. Viele halten<br />

Schilder mit einem Foto von Peter hoch.<br />

Vorweg schreitet langsam Pastor<br />

Sieghard Wilm. Die Kapelle Tuten und<br />

Blasen spielt Musik aus der Heimat des<br />

Jazz – New Orleans. Mal traurig, mal<br />

fröhlich und etwas schräg. Würdevoll<br />

bewegt sich der Tross durch die verreg-<br />

8<br />

neten Straßen St. Paulis. Fenster und<br />

Türen öffnen sich, Anwohner und Wirte<br />

schauen heraus. Jemand hat auf ein<br />

Schild geschrieben: „Auf St. Pauli sagt<br />

man Tschüss.“ Das hätte Peter gefallen.<br />

Pastor Wilm war es, der die Idee<br />

hatte, einen Trauermarsch für Peter zu<br />

organisieren. Seine dünnen Sommerschuhe<br />

werden von der weißen Robe<br />

bedeckt, die er sich übergeworfen hat.<br />

Der Regen, der direkt zu Beginn des<br />

Marsches einsetzte, kann ihn nicht beirren.<br />

Und auch sonst niemanden.<br />

Als die Trauergemeinde nach einer<br />

halben Stunde den Silbersack betritt,<br />

hört der Regen plötzlich auf und die<br />

Sonne kommt heraus. „Der Himmel<br />

hat sich ausgeweint“, sagt Wilm. In der<br />

berühmten Kneipe an der Silbersackstraße<br />

werden Geschichten über Peter<br />

erzählt. Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Sozialarbeiter<br />

Stephan Karrenbauer berichtet von<br />

dessen ersten Tagen bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

Wie das Zeitungsverkaufen auf dem<br />

Kiez Peter nicht nur eine Arbeit, sondern<br />

auch eine Heimat gegeben hat.<br />

Wie gut ihm die Anerkennung und der


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Stadtgespräch<br />

Respekt getan haben, die ihm auf St.<br />

Pauli entgegengebracht wurden. Wie er<br />

es dadurch geschafft hat, von den Drogen<br />

loszukommen und Stabilität in sein<br />

Leben zu bringen.<br />

Peter liebte die Frauen. Sein größter<br />

Wunsch war es, eine Frau für immer<br />

zu finden. Gemeinsam wären sie dann<br />

in einem kleinen Wohnmobil um die<br />

Welt gereist. „Davon hat er immer geträumt“,<br />

sagt Karrenbauer. Doch dazu<br />

ist es nicht mehr gekommen. Im Gegenteil,<br />

Peters letzte große Liebe endete<br />

tragisch: Die Frau war drogenkrank,<br />

und so baute auch Peter nach langen<br />

Jahren einen Rückfall.<br />

viele, die Peter kannten: alteingesessene<br />

Kiezianer. Kollegen von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

Studentinnen aus der Nachbarschaft,<br />

die Peter stets freundlich grüßte. Und<br />

vier Rocker aus Baden-Württemberg,<br />

die zufällig im Silbersack waren, als die<br />

Trauergesellschaft einmarschierte. Sogar<br />

ihnen war Peter bekannt. Einer erzählt,<br />

dass er jedes Mal, wenn er in<br />

Hamburg war, eine Zeitung bei ihm gekauft<br />

hat. „Ich habe noch nie einen Zeitungsverkäufer<br />

erlebt, der so dankbar<br />

war“, erzählt er.<br />

Peters letzter Abend geht erst nach<br />

Stunden zu Ende. Pastor Sieghard<br />

Wilm ist gerührt: „Das gehört zu den<br />

schönsten Momenten, die ich als Pastor<br />

erleben kann. Dass Leute jemanden<br />

nicht vergessen, der gestorben ist.“ •<br />

Kontakt: benjamin.laufer@hinzundkunzt.de<br />

Video vom Trauermarsch:<br />

www.hinzundkunzt.de/thema/peter<br />

Die Jukebox<br />

spielte Lieder,<br />

die Peter sich<br />

gewünscht hatte.<br />

Dabei war Peter einer, der sich nicht<br />

leicht unterkriegen ließ: Nach einer<br />

Operation konnte er sich nicht mehr<br />

gut bewegen. Sein Halswirbel war versteift,<br />

seitdem ging er gebückt. Danach<br />

wollte er alles geregelt wissen, fertigte<br />

sogar ein Testament an, für den Fall der<br />

Fälle. Weiter ging es für ihn dennoch:<br />

Mit Gehwagen und Elektroroller konnte<br />

er noch verkaufen.<br />

Als ihm sein Rolli eines Tages geklaut<br />

worden war, zeigte sich, wie gut<br />

Peter auf dem Kiez vernetzt war: Seine<br />

Nachbarn vom Schmidt Theater sammelten<br />

für ihn und schenkten ihm einen<br />

neuen Rolli.<br />

Im Silbersack schwelgen die Gäste<br />

in Erinnerungen. Die Jukebox spielt dazu<br />

Lieder, die sich Peter in seinem Testament<br />

für seine Trauerfeier gewünscht<br />

hatte. Auf den dunklen Holztischen im<br />

verrauchten Silbersack stehen pinkfarbene<br />

und gelbe Rosen in mit Wasser gefüllten<br />

Saftflaschen. Drumherum sitzen<br />

Tschüss, Peter! Im Silbersack<br />

saßen alle noch lange zusammen,<br />

die dem Verkäufer das Geleit gaben.<br />

Die Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Kollegen Sigi,<br />

Jens und Sergej (oben, von links)<br />

nahmen genauso Abschied wie<br />

Studenten aus der Nachbarschaft.<br />

9


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Stadtgespräch<br />

Zahlen des Monats<br />

Mit besserem<br />

Gewissen fliegen<br />

13 Euro<br />

sollten Sie mindestens spenden, wenn Sie diesen Sommer mit dem Ferienflieger nach<br />

Mallorca reisen – und kein schlechtes Gewissen haben wollen. Das ergibt sich aus<br />

Berechnungen der Umweltschutzorganisation „Atmosfair“. Mithilfe eines<br />

Online-Emissionsrechners können Flugreisende ermitteln, welchen Schadstoffausstoß<br />

sie (mit)verursachen und welche Geldsumme nötig ist, um ihn auszugleichen.<br />

119 Euro<br />

kostet es demnach, einen Hin- und Rückflug nach Kapstadt (Südafrika) zu kompensieren.<br />

Wer sich für eine achttägige Kreuzfahrt entschieden hat, ist mit 41 Euro dabei.<br />

Mit den Spenden finanziert Atmosfair Klimaschutzprojekte in<br />

Entwicklungsländern, etwa den Bau von kleinen Biogasanlagen in Nepal.<br />

Die Organisation „Naturefund“, die einen ähnlichen Rechner anbietet, hilft<br />

bolivianischen Kleinbauern bei der Wiederaufforstung von Regenwald.<br />

Die Umweltschützer weisen allerdings darauf hin, dass klimaneutrales Fliegen<br />

nicht möglich ist: „Die Kondensstreifen verschwinden schließlich nicht, wenn wir in Südafrika<br />

Windräder bauen“, sagt Atmosfair-Geschäftsführer Dietrich Brockhagen.<br />

Laut Deutschem Reiseverband buchten die Bundesbürger vergangenes Jahr 68,7 Millionen<br />

Urlaubsreisen von mindestens fünf Tagen Dauer. 39 Prozent davon waren Flugreisen.<br />

Wie viele Deutsche nach einer Buchung für die Umwelt spenden, ist nicht bekannt.<br />

Bei Atmosfair wird etwa jeder 1000. Flug kompensiert. Inzwischen bieten aber auch<br />

einzelne Fluggesellschaften und sogar Flughäfen ihren Kunden an, Umweltschutzprojekte<br />

zu unterstützen und so die Folgen des Fliegens für das Klima abzumildern. •<br />

TEXT: ULRICH JONAS<br />

ILLUSTRATION: ESTHER CZAYA<br />

Mehr Infos unter www.atmosfair.de, www.naturefund.de und www.huklink.de/reisemarkt<br />

Kontakt: ulrich.jonas@hinzundkunzt.de<br />

11


Detlef Scheele ist seit 2015<br />

Vorstandsmitglied der<br />

Bundesagentur für Arbeit (BA).<br />

Im April <strong>2017</strong> löste der<br />

Hamburger Frank-Jürgen Weise als<br />

BA-Chef ab. Von 1995 bis 2008<br />

leitete er die HAB, eine Hamburger<br />

Beschäftigungs gesellschaft für<br />

Langzeitarbeitslose, 2008<br />

wurde der SPD-Politiker<br />

Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium<br />

unter dem<br />

damaligen Minister Olaf Scholz.<br />

2011– 2015 war er Sozial- und<br />

Arbeitssenator in Hamburg.


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Stadtgespräch<br />

„Wir bezahlen<br />

lieber Arbeit“<br />

In Deutschland gibt es deutlich zu viele<br />

Langzeitarbeitslose. Das findet auch der neue Chef der<br />

Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele.<br />

Der Sozialdemokrat will mindestens 100.000 staatlich<br />

geförderte Jobs schaffen. Jetzt sucht er Geldgeber.<br />

TEXT: BIRGIT MÜLLER<br />

FOTOS: ANDREAS HORNOFF<br />

Es gibt da eine Schlüsselszene<br />

zum Thema Langzeitarbeitslose,<br />

sagt Detlef Scheele. Das<br />

war 2015, als er seinen Job<br />

als Sozial- und Arbeitssenator in Hamburg<br />

aufgegeben hatte und gerade<br />

frisch Vorstandsmitglied in der Bundesagentur<br />

für Arbeit (BA) geworden war.<br />

Da hielt er einen Vortrag vor Chefs der<br />

Job center. „Das war eine schöne Rede“,<br />

sagte damals die Chefin der Agenturen<br />

in Nordrhein-Westfalen. „Sie passt vielleicht<br />

nach Hamburg. Hier ist etwas<br />

anderes angesagt. Fahren Sie mal nach<br />

Gelsenkirchen!“<br />

Er ist dann wirklich nach Gelsenkirchen<br />

gefahren, nach Oberhausen<br />

und in andere Ruhrgebietsstädte. „Das<br />

muss man sagen, wenn man Hamburger<br />

Arbeitssenator war: Das Ruhrgebiet ist<br />

an einigen Stellen echt anders.“<br />

In welchem Sinne? „Es gibt sehr<br />

viele Menschen aus Südosteuropa, was<br />

uns ja auch in Hamburg bewegt hat.“<br />

Aber im Ruhrgebiet sei die Zahl sehr<br />

viel höher. „Zumal es dort viele Wohnungsleerstände<br />

gibt – und sehr viele<br />

Menschen in Abrisswohnungen leben“,<br />

sagt der 60-Jährige. „Und es gibt viele<br />

Gebiete, die den Strukturwandel nicht<br />

überstanden haben. Das sieht man den<br />

Städten ehr licherweise auch an.“<br />

Im Januar war er dann in Bremerhaven.<br />

Da habe ihm der Jobcenterchef<br />

gesagt: 70 Prozent der Arbeitslosen<br />

haben keine Berufsausbildung und 30<br />

Prozent davon keinen Schulabschluss,<br />

aber neue Industrie und Arbeitsplätze<br />

gibt es nur im Bereich Offshore. „Da<br />

hat man nur zwei Möglichkeiten: Entweder<br />

alimentieren bis zum Eintritt in<br />

den Ruhestand, der ja dann auch nicht<br />

spaßig ist, oder öffentlich geförderte Beschäftigung“,<br />

sagt Scheele.<br />

Schwer auszuhalten ist es für ihn,<br />

wenn Kinder im Haushalt von Langzeitarbeitslosen<br />

leben. „Kinder sollen sehen,<br />

dass ihre Eltern zur Arbeit gehen“, sagt<br />

der dreifache Vater. „Es ist besser, einer<br />

regelmäßig wiederkehrenden befristeten<br />

Beschäftigung nachzugehen, als nur<br />

rumzusitzen.“ Er will „fürsorgliche Belagerung“<br />

betreiben. Eine echte Scheele-Wortschöpfung.<br />

„Ich habe ja schon<br />

tausendmal gesagt: Wir bezahlen lieber<br />

Arbeit als Arbeitslosigkeit.“<br />

Deshalb soll endlich wieder das her,<br />

was es in Hamburg mal gab, aber trotz<br />

lautem Protest der Sozialverbände mit<br />

Billigung der SPD wieder abgeschafft<br />

wurde: ein staatlich geförderter, sogenannter<br />

zweiter Arbeitsmarkt. Und<br />

zwar im großen Stil mit 100.000 bis<br />

200.000 Jobs. Zum Vergleich: Bislang<br />

gibt es bundesweit rund 20.000. „Unsere<br />

Vorstellung ist“, sagt Scheele und<br />

meint damit Bundesarbeitsministerin<br />

Andrea Nahles (SPD) und sich, „ein<br />

vernünftiges sozialversicherungspflichtiges<br />

Beschäftigungsverhältnis mit<br />

Kranken- und Rentenversicherung.“<br />

Und die neuen Zauberwörter heißen<br />

Vermittlung, Qualifizierung – und<br />

Prävention. „Wir bezahlen auch das<br />

13


Stadtgespräch<br />

Detlef Scheele zu<br />

Besuch bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>:<br />

Der Chef der Bundesagentur<br />

für Arbeit in<br />

Nürnberg will etwas<br />

wieder aufleben lassen,<br />

was lange ein<br />

Tabuthema war, auch<br />

bei Sozial demokraten:<br />

einen großen staatlich<br />

geförderten Arbeitsmarkt<br />

für Langzeitarbeitslose.<br />

Entgeld während der Qualifizierung.“<br />

Dadurch wird der Lohn subventioniert<br />

und man käme auf Zeiträume von bis<br />

zu fünf Jahren.<br />

Scheele geht davon aus, dass die<br />

meisten geförderten Jobs nicht in der<br />

freien Wirtschaft entstehen, sondern in<br />

Beschäftigungsgesellschaften. „Die werden<br />

einen Teil des Geldes selbst erwirtschaften<br />

müssen.“ Eine ganz schöne<br />

Aufgabe! Gut für die Arbeitslosen:<br />

„Man kann in Projekten mitarbeiten<br />

und sich anders vernetzen, als wenn<br />

man allein zu Hause sitzt.“<br />

Auch die Behörden untereinander<br />

will er besser vernetzen. Wie in Hamburg.<br />

Da hat er die Jugendberufsagentur<br />

mit auf den Weg gebracht. Laut<br />

Hamburger Jobcenter sind früher etwa<br />

30 Prozent der Schüler an der Schnittstelle<br />

von Schule und Beruf „verloren<br />

gegangen“. Heute wisse man von etwa<br />

99 Prozent der Jugendlichen, welchen<br />

Weg sie einschlagen – und könne sie entsprechend<br />

begleiten. „Mit einer guten<br />

Kooperation kann man Dinge bewegen,<br />

ohne dass man viel Geld braucht“, sagt<br />

er. Seine Mitarbeiter sollen deshalb in<br />

Zukunft noch mehr die Lebensumstände<br />

ihrer Klienten beleuchten. „Ihr<br />

„Zweifeln Sie<br />

nicht zu sehr an<br />

sich!“ DETLEF SCHEELE<br />

müsst eine Familie, die schlecht deutsch<br />

spricht, fragen, ob das Kind in die Kita<br />

geht. Denn wir wissen: Wenn du in die<br />

Kita gehst, kannst du in der 1. Klasse<br />

Deutsch, wenn nicht, bist du in der 2.<br />

Klasse draußen.“<br />

Rund 993.000 Langzeitarbeitslose<br />

gibt es in Deutschland. In etwa so viele<br />

14<br />

wie vor den Hartz-Reformen. Hätte er<br />

sich vorstellen können – 2005, als die<br />

Agenda 2010 unter Kanzler Gerhard<br />

Schröder (SPD) ausgearbeitet wurde –,<br />

dass mal so viele Menschen abgehängt<br />

bleiben würden? Er ist da ein guter Gesprächspartner.<br />

Schließlich war Scheele<br />

damals Chef der Beschäftigungsgesellschaft<br />

Hamburger Arbeit (HAB) und zuständig<br />

für Hunderte Langzeitarbeitslose.<br />

2008 wurde er Staatssekretär im<br />

Bundesarbeitsministerium – unter einem<br />

Bundesarbeitsminister Olaf Scholz<br />

(SPD), dem heutigen Hamburger<br />

Bürgermeister.<br />

„Vor den Hartz-Reformen waren<br />

die Leute genauso abgehängt“, sagt der<br />

BA-Chef. Aber er räumt ein: „Natürlich<br />

wollten alle, dass mehr Menschen in<br />

Arbeit vermittelt werden.“ Aber immer<br />

mehr Menschen wurden in den Niedriglohnsektor<br />

gedrängt. Sieht er das? „Der<br />

größte Fehler der Hartz-Reformen: Man<br />

hätte den Mindestlohn miteinführen<br />

müssen“, kritisiert Scheele heute.<br />

Trotzdem ist er ein Befürworter:<br />

„Mit der Agenda 2010 hat der Bund die<br />

Kosten der Arbeitslosigkeit übernommen.<br />

Bremerhaven und andere Städte<br />

wären abgesoffen, wenn Hartz IV nicht<br />

gekommen wäre.“<br />

Derzeit ist Scheele noch auf Werbetour<br />

für sein Großprogramm für Langzeitarbeitslose<br />

– in ganz Deutschland<br />

und medial auf allen Kanälen. Das ist<br />

auch dringend nötig. Denn wie viele<br />

Menschen überhaupt in den Genuss eines<br />

der neuen Jobs kommen könnten,<br />

hängt vom Ausgang der Bundestagswahl<br />

ab – und davon, wie viel Geld eine<br />

neue Regierung dafür in die Hand<br />

nimmt. Für die Arbeitslosen bedeutet<br />

das: Geduld haben!<br />

Bis es endlich so weit ist, würde<br />

Scheele ihnen am liebsten sagen: „Zweifeln<br />

Sie nicht zu sehr an sich! Verlieren<br />

Sie nicht den Mut. Auch wenn es schwer<br />

ist.“ Dass die SPD das Thema auf der<br />

Agenda hat, ist offensichtlich. Aber<br />

wohl nicht nur sie. Nach seinem Besuch<br />

bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist Scheele in Berlin<br />

eingeladen – bei der Kanzlerin. •<br />

Kontakt: birgit.mueller@hinzundkunzt.de


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Stadtgespräch<br />

Bahn warnt vor<br />

klauenden<br />

Flaschensammlern<br />

Eine Durchsage im ICE empört unsere Leserin. Alles nur,<br />

um Reisende zu schützen, sagt die Bahn. Was ist da los?<br />

D<br />

er ICE, in dem Christiane J.<br />

sitzt, hat sein Ziel an diesem<br />

Montag im Mai fast erreicht.<br />

Der Zug fährt gerade in den Hauptbahnhof<br />

ein, als die Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Leserin<br />

diese Durchsage hört: Die Reisenden<br />

sollten auf ihr Gepäck achtgeben,<br />

da sich auf dem Bahnhofsgelände Flaschensammler<br />

befänden, die häufig<br />

Diebstähle verübten. Christiane J.<br />

stockt: Die Bahn bezeichnet Flaschensammler<br />

pauschal als Diebe? Sie beschwert<br />

sich schriftlich. Darüber, dass<br />

die Bahn „gegen eine sehr sichtbare<br />

Gruppe von Menschen hetzt und diese<br />

unter Generalverdacht stellt“.<br />

Maren Reinsch, Leiterin des Kundendialogs<br />

der Bahn, antwortet: Die<br />

Kritik werde „für die interne Auswertung<br />

den zuständigen Fachbereichen<br />

zur Verfügung gestellt“. Christiane J.<br />

hakt nach, will wissen: Distanziert sich<br />

die Bahn „ausdrücklich“ davon, Flaschensammlern<br />

zu unterstellen, sie<br />

würden klauen? Maren Reinsch wird<br />

nun konkreter, schreibt, es habe entsprechende<br />

Beschwerden gegeben. Darauf<br />

müsse man reagieren, heißt es in<br />

der Mail, die Hinz&<strong>Kunzt</strong> vorliegt. Das<br />

diene „ausschließlich der Sicherheit“.<br />

Flaschensammler<br />

am Bahnhof:<br />

allesamt Diebe?<br />

TEXT: SIMONE DECKNER<br />

FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

Nachfrage bei der Bahn. Sprecher Egbert<br />

Meyer-Lovis sagt, es gebe keine expliziten<br />

Durchsagen zu Flaschensammlern.<br />

„Das ist kein Standard“, versichert<br />

er. Aber: Maren Reinsch hat die Durchsage<br />

ja bestätigt und sogar noch mehr:<br />

Solche Durchsagen würde das Zugpersonal<br />

nicht selbst verfassen, schreibt sie<br />

unserer Leserin. Das spricht gegen den<br />

Ausrutscher eines Einzelnen. Und: Bereits<br />

2015 berichtete „Der Tagesspiegel“<br />

von einer Durchsage in Berlin, die der<br />

aus Hamburg auffallend ähnelt und<br />

Bettler verdächtigt: „Im Bahnhof sind<br />

zurzeit organisierte Bettelgruppen unterwegs.<br />

Seien Sie besonders aufmerksam!“<br />

Wer für die Hamburger Durchsage verantwortlich<br />

ist, beantwortete die Bahn<br />

bis Redaktionsschluss nicht.<br />

Was sagt die Bundespolizei, die die<br />

Sicherheit am Hauptbahnhof kontrolliert:<br />

Gab es zuletzt mehr Diebstähle<br />

durch Flaschensammler? „Solche Erkenntnisse<br />

liegen uns nicht vor“, verneint<br />

Sprecher Rüdiger Carstens. Die<br />

Zahl der angezeigten Taschendiebstähle<br />

ist nach Jahren des Anstiegs<br />

2016 dank einer „Zivilen Fahndungsgruppe“<br />

sogar gesunken: von 4327 in<br />

2015 auf 3566 im vergangenen Jahr. •<br />

S-Bahn<br />

Null Toleranz<br />

für Bettler<br />

Die S-Bahn hat einen neuen<br />

„Service“: Fahrgäste können<br />

bei der Kundendialog-Hotline<br />

Bettler und Musiker melden,<br />

wenn sie sich von ihnen<br />

belästigt fühlen. Bei Bedarf<br />

rücken Securitys aus und greifen<br />

ein. Es gelte eine „Nulltoleranzpolitik“,<br />

verkündet<br />

Stephan Schmidt, Sicherheitschef<br />

der S-Bahn, markig<br />

im „Abendblatt“. Es habe<br />

viele Beschwerden gegeben,<br />

sagt Bahn-Sprecher Egbert<br />

Meyer-Lovis auf Nachfrage<br />

von Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Zahlen<br />

nennt er dazu nicht.<br />

„Eine Denunzierung von<br />

bestimmten Gruppen ist absolut<br />

nicht tragbar“, sagt<br />

Straßensozialarbeiter Johan<br />

Graßhoff, er fürchtet noch<br />

mehr Vertreibung.<br />

Dass es auch anders geht,<br />

zeigt ein Beispiel aus Berlin:<br />

Zwar geht die S-Bahn dort<br />

auch gegen Bettler und Musiker<br />

vor. Aber um Obdachlose<br />

kümmern sich seit Anfang<br />

<strong>2017</strong> zwei Sozialarbeiter der<br />

Stadtmission, finanziert mit<br />

65.000 Euro von der S-Bahn.<br />

Obdachlose mit Security-<br />

Mitarbeitern aus den Zügen<br />

zu holen sei möglich, so der<br />

Berliner Bahn-Sprecher Ingo<br />

Priegnitz, „aber das wäre für<br />

alle Beteiligten unbefriedigend“.<br />

Man wolle lieber dazu<br />

beitragen, „dass Obdachlose<br />

eine neue Lebensperspektive<br />

bekommen“. Sie seien Teil<br />

der Gesellschaft.<br />

„Ein guter Ansatz“, findet<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Sozialarbeiter<br />

Stephan Karrenbauer.<br />

„Warum kann der nicht auf<br />

Hamburg übertragen werden?“<br />

Hamburgs Bahn-Sprecher<br />

Egbert Meyer-Lovis sagt:<br />

„Die S-Bahn ist kein geeigneter<br />

Ort für Obdachlose.“ Sozialarbeiter<br />

sind hier nicht vorgesehen.<br />

SIM/BELA<br />


Sieht anstrengend aus, ist aber dank<br />

Elektromotor gut zu wuppen:<br />

Fahrer David Gerhardt beliefert bei seiner<br />

Morgenrunde bis zu sieben Kitas.


SERIE<br />

Die Besser-Verdiener<br />

Kleine, geile Firmen,<br />

die sozial wirtschaften<br />

Tausche Lkw<br />

gegen Fahrrad<br />

Die innerstädtische Revolution hat drei Räder: Mit Lastenrädern<br />

sorgt das Hamburger Unternehmen tricargo dafür, dass Waren in der<br />

Stadt schnell und umweltfreundlich von A nach B kommen. Bis zu<br />

200 Kilogramm können so pro Fahrt am Stau vorbeibewegt werden.<br />

TEXT: JONAS FÜLLNER<br />

FOTOS: LENA MAJA WÖHLER<br />

Freude am Radfahren gehöre<br />

bei solch einem Projekt einfach<br />

dazu, sagt Björn Fischer.<br />

(Foto Seite 19). Der 34-Jährige<br />

hat vor anderthalb Jahren „tricargo“ gegründet,<br />

ein Lastenrad-Service für<br />

Hamburgs Straßen. Zusammen mit<br />

zwei Freunden – alles Fahrradfahrer aus<br />

Überzeugung. „Wir haben uns ganz klischeehaft<br />

bei der Critical Mass (Anm. der<br />

Redaktion: monatliche Fahrradtour, die auf die<br />

Belange der Radfahrer aufmerksam machen<br />

will) kennengelernt“, sagt Fischer und<br />

muss selber lachen.<br />

Die einfache Idee der Fahrrad-<br />

Nerds: größere Lasten von einem Ort<br />

zum anderen transportieren – und das<br />

per Rad. „Man denkt immer, Autos<br />

sind schneller und können mehr transportieren“,<br />

sagt Fischer. „Aber das<br />

stimmt so nicht.“<br />

Für eine Großstadt wie Berlin hatte<br />

2013 eine Forschungsgruppe an der<br />

TU Dresden eine Durchschnittsgeschwindigkeit<br />

von gerade einmal 23,4<br />

Stundenkilometern für den allgemeinen<br />

Automobilverkehr gemessen. Lieferwagen<br />

in der Innenstadt kämen<br />

sogar nur im Schneckentempo voran,<br />

sagt Fischer. Ihre Elektro-Fahrräder<br />

hingegen hält kein Stau auf, und sie<br />

passen selbst durch eng stehende Poller.<br />

Auch die Parkplatzsuche sei hinfällig.<br />

„Und mit unserer Traglast von 200<br />

Kilogramm können wir bis zu sieben<br />

Kitas bei nur einer Tour mit warmem<br />

Essen beliefern.“<br />

Mit unseren<br />

Lastenrädern<br />

stehen wir nie<br />

im Stau.“ BJÖRN FISCHER<br />

Vor einer dieser Kitas wartet Fischer an<br />

diesem Morgen um kurz nach 9 Uhr in<br />

der Weidenallee auf seinen Fahrer<br />

David Gerhardt. Fischer blickt auf sein<br />

Smartphone: „In zwei Minuten müsste<br />

17


Fußgänger aufgepasst: Lastenräder<br />

dürfen auf Radwegen fahren und haben<br />

so in der City den Reifen vorn.<br />

er da vorne um die Ecke biegen.“ Tatsächlich<br />

schiebt sich kurz darauf das<br />

Lastenrad die Straße entlang. Zwei Lieferwagen<br />

blockieren die Straße. Den<br />

ersten überholt Gerhardt, dann wechselt<br />

er auf den Fahrradweg.<br />

„Laut Straßenverkehrsordnung<br />

werden Lastenräder wie Fahrräder behandelt“,<br />

erläutert Fischer. „Unsere<br />

Fahrer haben ein Grinsen im Gesicht,<br />

wenn sich der Verkehr auf der Stresemannstraße<br />

staut und sie gemütlich auf<br />

dem Radweg an allen vorbeifahren.“<br />

Mittlerweile hat Gerhardt längst das<br />

Fahrrad abgestellt, das Essen ausge liefert<br />

und sich bereits wieder in den Sattel<br />

geschwungen. Die nächste Kita wartet.<br />

An insgesamt 15 Kitas liefert sein Unternehmen<br />

derzeit Essen für den Öko-<br />

Lieferservice Wackelpeter. Zusätzlich<br />

übernehmen sie Fahrten für Biobob<br />

und die Biokiste, sagt Fischer, bislang<br />

ausschließlich im Stadtzentrum. Dort<br />

gibt es für den Lastenverkehr praktisch<br />

keine Parkplätze. „Mir hat mal ein<br />

Kunde gesagt, dass er sich für die Kosten<br />

des Falschparkens längst ein Lastenrad<br />

hätte zulegen können“, sagt Fischer<br />

nicht ohne Stolz.<br />

Die Kundenakquise und Öffentlichkeitsarbeit<br />

machte Fischer lange alleine.<br />

Inzwischen unterstützt ihn André Zielitzki.<br />

Der 47-Jährige erklärt: „Es ist kein<br />

Zufall, dass die Hauptkunden von tricargo<br />

unterschiedliche Bio-Lieferdienste<br />

sind.“ Sie bieten Biowaren und faire<br />

Arbeitsbedingungen, müssen aber die<br />

Luft verpesten, um Lieferungen auszufahren.<br />

„Für diese Unternehmen sind<br />

wir das Bindeglied in ihrer ökologischen<br />

Kette, das ihnen bisher fehlte.“<br />

Zielitzki ist sich sicher, dass tricargo<br />

noch deutlich mehr Kunden gewinnen<br />

kann. „Der Markt ist bereit für eine umweltfreundliche<br />

und klimaschonende<br />

Mobilität“, sagt er – und verfällt für einen<br />

Moment ganz dem Werbesprech.<br />

„Viele Unternehmen stellen bereits auf<br />

E-Fahrzeuge um. Aber wir wollen nichts<br />

überstürzen, sondern ein gesundes<br />

Wachstum erreichen“, bei dem neben<br />

Sozialunternehmen tricargo<br />

Standort: Bahrenfeld<br />

Gründung: 2016<br />

Motto: tricargo fördert und gestaltet den Einsatz von Lastenrädern.<br />

Noch in diesem Jahr soll die Gründung einer Genossenschaft<br />

erfolgen, die tricargo weiteres Wachstum ermöglichen und die<br />

Verkehrswende vorantreiben soll.<br />

Material: Mit drei Lastenrädern können in isolierten<br />

Transportboxen jeweils Zuladungen mit maximal 200 Kilogramm<br />

durch das Hamburger Stadtgebiet ausgeliefert werden.<br />

Mitarbeiter: Ein Techniker und fünf Fahrer sind derzeit<br />

bei tricargo in Teilzeit beschäftigt.<br />

Geschäftsführer: Björn Fischer<br />

Bezahlung: Alle Mitarbeiter erhalten denselben Stundenlohn,<br />

der bei 10 Euro liegt. Der Zuschuss pro Kind beträgt 25 Cent.<br />

Mehr Infos: www.tricargo.de<br />

18


Stadtgespräch<br />

Fahrradfahrer aus Überzeugung:<br />

Firmen gründer Björn Fischer<br />

will expandieren. Er plant einen<br />

eigenen Lastenrad-Prototyp.<br />

Gute Beratung<br />

ist die halbe Miete<br />

Unsere Juristen beraten Sie<br />

professionell und engagiert<br />

der ökologischen auch die soziale Ausrichtung<br />

gewahrt bleibe.<br />

„Wir wollen deshalb eine Genossenschaft<br />

gründen und tricargo dorthin<br />

überführen. Das ist meines Erachtens<br />

das demokratischste Modell“, sagt der<br />

Fahrrad-Enthusiast, der – wie könnte es<br />

anders sein – Fischer bei einer alljährlichen<br />

Fahrradsternfahrt kennenlernte.<br />

„Außerdem können sich dann mehr<br />

Menschen am Projekt beteiligen.“<br />

Doch auch so ist das kleine Unternehmen<br />

schnell gewachsen. Drei Lastenräder<br />

mit großen Transportkisten<br />

haben sich Fischer und sein Team inzwischen<br />

zugelegt und damit bereits<br />

mehr als 10.000 Kilometer auf Hamburgs<br />

Straßen zurückgelegt. Zum Vergleich:<br />

Ein Mercedes-Sprinter hätte dabei<br />

800 Liter Diesel verbraucht und 2,2<br />

Tonnen CO 2<br />

in die Atmosphäre<br />

abgegeben.<br />

Der jüngste Erfolg: Ihr Kunde Wackelpeter<br />

baut inzwischen fest auf tricargo<br />

und hat schon einen Kleintransporter<br />

wieder abgeschafft, sagt Fischer.<br />

So könne es gerne weitergehen.<br />

Verbesserungsbedarf sehen die Macher<br />

von tricargo eher bei ihren Fahrrädern.<br />

Auch wenn die Räder einen<br />

elek trischen Antrieb haben, gebe es Optimierungspotenziale<br />

für den Einsatz als<br />

Transportfahrrad, pflichtet Zielitzki seinem<br />

Kollegen bei. „Unser Techniker<br />

Aljoscha Sikora arbeitet deswegen an<br />

einem eigenen Prototyp.“ Wenn dieser<br />

fertig ausgearbeitet ist, soll das Modell<br />

produziert werden und perspektivisch<br />

die aktuellen Räder ersetzen.<br />

„Prinzipiell arbeiten wir zweigleisig:<br />

Logistik und Aufbau der Fahrradmanufaktur“,<br />

erläutert Zielitzki. In den anderthalb<br />

Jahren habe man reichlich Erfahrungen<br />

gesammelt, die jetzt in dem<br />

eigenen Prototyp umgesetzt werden.<br />

Zukünftig wäre tricargo dann nicht<br />

mehr nur der ökologische Lieferant, sondern<br />

auch Hersteller moderner Elektro-<br />

Lastenräder mit großen Transportboxen,<br />

die dann auch von anderen<br />

Lieferanten gekauft und genutzt werden<br />

könnten. „Wenn das gelingt, dann kann<br />

„Unser Modell<br />

ist Türöffner<br />

für eine andere<br />

Mobilität.“ ANDRÉ ZIELITZKI<br />

ich mir vorstellen, dass wir zumindest<br />

die Diesel-Kleintransporter in der Stadt<br />

ablösen werden“, sagt Zielitzki. Und<br />

er ergänzt ganz bescheiden: „Ich halte<br />

unser Modell für einen Türöffner in<br />

eine andere Mobilität.“ Dann denkt er<br />

kurz nach und kleidet seine Überlegungen<br />

doch lieber in größere Worte: „Unser<br />

Ziel ist nichts anderes als eine kleine<br />

innerstädtische Revolution.“ •<br />

Kontakt: jonas.fuellner@hinzundkunzt.de<br />

In dieser Serie bereits erschienen<br />

Bridge&Tunnel (Mai <strong>2017</strong>)<br />

Lemonaid (Juni <strong>2017</strong>)<br />

Mieter helfen Mietern<br />

Hamburger Mieterverein e. V.<br />

www.mhmhamburg.de<br />

040 / 431 39 40<br />

pix & pinsel . madle@pixundpinsel.de . +49 (0<br />

Die<br />

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Bent Borwitzky<br />

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Telefon: 040/298 34 274<br />

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Zur Unterstützung unseres Teams<br />

während unserer medizinischen<br />

Sprechstunden suchen wir ab sofort<br />

ehrenamtliche Helfer/-innen in<br />

folgenden Bereichen:<br />

Internisten, Allgemeinmediziner<br />

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• Krankenschwestern/-pfleger<br />

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und Bulgarisch<br />

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Wir freuen uns auf<br />

Ihre Kontaktaufnahme!<br />

KONTAKT:<br />

Frau Marianne Schaaf<br />

Tel.: 040/ 75 66 64 01<br />

schaaf@hoffnungsorte-hamburg.de<br />

www.aerztederwelt.org<br />

Ein Projekt von<br />

19


Hinz&Künztler<br />

Bernd<br />

Bürgermeister<br />

Olaf Scholz<br />

City Managerin<br />

Brigitte Engler<br />

Der G20 und die<br />

Obdachlosen<br />

Das ist der Gipfel: 895 Container hat die Stadt eingelagert – für teures Geld.<br />

Wenn man die nutzen würde, wären alle Hamburger Obdachlose auf einen Schlag<br />

untergebracht. Aber das will der Bürgermeister wohl nicht, nicht mal zum G20.<br />

TEXT: BENJAMIN LAUFER<br />

W<br />

er während des G20-<br />

Gipfels in Hamburg im<br />

Freien schlafen darf,<br />

war in den vergangenen<br />

Wochen hoch umstritten. Die Gegner<br />

des Gipfeltreffens hatten Camps in<br />

Stadt- und Volkspark angemeldet, die<br />

ihnen verboten worden waren. Zunächst<br />

von den Bezirksämtern, dann<br />

von der Polizei. Gegen die Verbote zogen<br />

die Aktivisten vor Gericht – nicht<br />

ohne zu betonen, dass sie ihre Zelte<br />

notfalls „überall in der Stadt“ aufstellen<br />

würden. Was die Polizei zum Anlass<br />

nahm, eine „Null-Toleranz-Politik“ gegen<br />

wildes Campen auszurufen.<br />

Und mittendrin die Obdachlosen.<br />

Sie haben ohnehin einen schlechten<br />

Stand, ihre Zelte und Platten werden<br />

von den zuständigen Bezirksämtern<br />

häufig nur zähneknirschend geduldet –<br />

wenn überhaupt. Wie sehr sie die angekündigte<br />

Null-Toleranz-Politik treffen<br />

wird, ist unklar. Man werde<br />

Protestler und Obdachlose schon auseinanderhalten<br />

können, heißt es aus der<br />

Innenbehörde. Die Sorgen vor Vertreibung<br />

seien unbegründet.<br />

Das zu glauben fällt vielen schwer, zum<br />

Beispiel Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Sozialarbeiter<br />

Stephan Karrenbauer. „Selbst ich hätte<br />

meine Schwierigkeiten, Obdachlose<br />

von Aktivisten zu unterscheiden“, sagt<br />

er. Wie schon im Mai fordert er von<br />

„Setzen Sie<br />

zum G20 ein<br />

Zeichen!“<br />

BIRGIT MÜLLER<br />

20<br />

der Stadt Unterkünfte oder eine Ausweichfläche<br />

für alle Obdachlosen, die<br />

wegen des G20-Gipfels ihre Platten<br />

räumen müssen.<br />

Diese Forderung hat Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

im Juni noch einmal unterstrichen – mit<br />

einem offenen Brief an den Ersten Bürgermeister<br />

Olaf Scholz, Sozialsenatorin<br />

Melanie Leonhard und Innensenator<br />

Andy Grote (alle SPD). „Der Gipfel löst<br />

bei Normalbürgern ja schon Unsicherheit<br />

und Ängste aus“, schreibt Chefredakteurin<br />

Birgit Müller darin. „Vielleicht<br />

können Sie dann ermessen,<br />

welche Verunsicherung und Ängste das<br />

zu erwartende Polizeiaufgebot und die<br />

Vorkehrungen bei Menschen auslösen<br />

können, die physisch wie psychisch an<br />

der Wand stehen.“ Müllers Wunsch:<br />

Die adressierten Politiker mögen ein<br />

Zeichen setzen, „indem Sie zeigen, dass<br />

Hamburg sich gerade jetzt um seine<br />

schwächsten Bürger kümmert“.<br />

Zumal das ganz einfach wäre: Das<br />

Winternotprogramm am Schaarsteinweg<br />

steht leer – und die Stadt lagert<br />

derzeit 895 Container ein. „Wenn man<br />

die nutzen würde, hätte Hamburg keine<br />

Obdachlosen mehr“, sagt Sozialarbeiter<br />

Karrenbauer.<br />

Schutz der Obdachlosen zum G20,<br />

mit dieser Forderung steht Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

nicht alleine da. Auch das City Management,<br />

ein Zusammenschluss von<br />

Hamburger Geschäftstreibenden, sieht<br />

Handlungsbedarf: „Die Innenstadt ist<br />

auch ein Lebensraum für Obdachlose“,<br />

sagt Geschäftsführerin Brigitte Engler<br />

im Gespräch mit Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Sie sei-<br />

FOTOS (VON LINKS): DMITRIJ LELTSCHUK, FLORIAN JAENICKE, CITY MANAGEMENT,<br />

G2 BARANIAK, BINA ENGEL, AMBULANTE HILFE HAMBURG E. V.


Hauptpastorin<br />

Astrid Kleist<br />

Innensenator<br />

Andy Grote<br />

Ambulante Hilfe:<br />

Bettina Reuter<br />

Schon in der Mai-Ausgabe hat<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> Angebote für Obdachlose<br />

während des G20 gefordert.<br />

2,20 Euro<br />

Davon 1,10 Euro<br />

für unsere Verkäufer<br />

Das Hamburger<br />

Straßenmagazin<br />

Seit 1993<br />

N O 291<br />

Mai.17<br />

en den Aus wirkungen des Gipfels unmittelbar<br />

ausgeliefert und müssten deshalb<br />

besser geschützt werden.<br />

„Diese Menschen können nicht<br />

schnell reagieren, einfach aufstehen,<br />

ihre Tasche nehmen und gehen“, sagt<br />

Engler. „Sie benötigen eine Unterkunft<br />

ähnlich dem Winternotprogramm, die<br />

auch schon in den Tagen vor dem Gipfel<br />

geöffnet hat.“<br />

Eine Forderung, der sich auch der<br />

Runde Tisch St. Jacobi anschließt. An<br />

ihm kommen regelmäßig zahlreiche<br />

Akteure aus der Innenstadt zusammen.<br />

Astrid Kleist, Hauptpastorin von St. Jacobi,<br />

sagt: „Wir haben gemeinsam in<br />

der Stadt dafür Sorge zu tragen, dass<br />

sich auch die Wohnungslosen in ihren<br />

berechtigten Ängsten und konkreten<br />

Befürchtungen im Blick auf die Tage<br />

rund um den G20-Gipfel ernst genommen<br />

und gehört fühlen.“<br />

Dabei geht es nicht nur um Sicherheitsvorkehrungen,<br />

von denen Obdachlose<br />

betroffen sein könnten. Auch<br />

möglichen Ausschreitungen wären sie<br />

schutzlos ausgeliefert. Das City Management<br />

rechnet für den Bereich um<br />

die Mönckebergstraße zwar nicht mit<br />

Krawallen, auch weil die Polizei dort alle<br />

Demonstrationen verboten hat.<br />

„Mindestens für den Bereich<br />

Reeperbahn gehen wir allerdings<br />

davon aus, dass die Obdachlosen<br />

besser geschützt werden müssen“,<br />

sagt Engler.<br />

Ähnlich sehen es auch die<br />

Unterzeichner eines Aufrufs,<br />

den Bettina Reuter von der Beratungsstelle<br />

Ambulante Hilfe<br />

initiiert hat. „Die Vertreibung<br />

und Ausgrenzung derjenigen<br />

Menschen, die ohnehin schon<br />

als ‚Verlierer‘ unserer Gesellschaft<br />

gelten, stehen einer<br />

weltoffenen und toleranten<br />

Stadt schlecht zu Gesicht“,<br />

befinden zahlreiche Träger<br />

der Wohlfahrtspflege wie Diakonie,<br />

Caritas und Paritätischer<br />

Wohlfahrtsverband<br />

Hamburg. Sie fordern sowieso,<br />

„dass dauerhafte Lösungen<br />

geschaffen werden“.<br />

Werden all diese Stimmen<br />

gehört? In unserer Juni-Ausgabe<br />

erklärte Polizei -<br />

s precher Timo Zill, es würden<br />

„individuelle Lösungen“ für Obdachlose<br />

gefunden, die sich in Sicherheitsbereichen<br />

aufhielten.<br />

Was an den hartnäckigen Gerüchten<br />

dran ist, dass die Platten an Kennedyund<br />

Kersten-Miles-Brücke zum Gipfel<br />

geräumt werden, beantwortet die Polizei<br />

„Obdachlose<br />

müssen besser<br />

geschützt werden.“<br />

BRIGITTE ENGLER<br />

nicht eindeutig. In der Sozialbehörde<br />

geht man trotz der Unsicherheiten<br />

davon aus, dass der Gipfel auf Obdachlose<br />

„geringe“ Auswirkungen hat. Für<br />

eine zusätzliche Unterkunft gebe es<br />

„keinen Bedarf“, sagt ein Sprecher. In<br />

der Notunterkunft Pik As gebe es „ausreichend<br />

Plätze“. Mitte Juni waren dort<br />

90 Betten frei, bis zum Gipfel könnten<br />

es noch etwas mehr sein.<br />

Alle Experten gehen dagegen davon<br />

aus, dass im Gipfel-Einzugsbereich<br />

rund 200 bis 300 Obdachlose schlafen.<br />

Und wenn die Polizei ihre „Null-Toleranz-Politik“<br />

gegen Wildcamper durchsetzt,<br />

könnte es wesentlich mehr Obdachlose<br />

treffen, die eine „individuelle<br />

Lösung“ brauchen. Mal eben schnell. •<br />

Kontakt: benjamin.laufer@hinzundkunzt.de<br />

Mehr Informationen unter<br />

www.huklink.de/g20-obdachlose<br />

21


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>293</strong>/JULI <strong>2017</strong><br />

Meldungen (1)<br />

Politik & Soziales<br />

Schleswig-Holstein<br />

Abschied vom Landesmindestlohn<br />

Der mit 9,99 Euro pro Stunde bundesweit höchste Landesmindestlohn gehört<br />

der Geschichte an. Nachdem die FDP bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein<br />

Mitte Juni deutliche Zugewinne verzeichnen konnte, setzten die Liberalen im<br />

Entwurf des Koalitionsvertrags mit CDU und Grünen durch, die bis 2019<br />

geltende Sonderregelung anschließend nicht fortzuführen. Erst im Januar hatte<br />

der scheidende Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) stolz die Anhebung des<br />

Landesmindestlohns von 9,18 auf 9,99 Euro verkündet. Unternehmen, die sich<br />

auf Ausschreibungen für Aufträge des Landes bewerben, müssen im nördlichsten<br />

Bundesland ihren Angestellten somit derzeit deutlich mehr zahlen als den<br />

Maklergebühren<br />

Mehr Nachrichten unter<br />

Wohnungsmarkt<br />

Rahlstedt<br />

unterlegenen Mieter und zieht jetzt mieter weitergereicht“, sagt F+B-Ge-<br />

www.hinzundkunzt.de<br />

gegen das Urteil in Berufung. JOF<br />

•<br />

Mietpreisbremse ungültig?<br />

Ist die Mietpreisbremse in Hamburg<br />

unwirksam? Das 2015 eingeführte<br />

Instrument soll verhindern, dass bei<br />

Neuvermietungen der Preis die ortsübliche<br />

Vergleichsmiete um mehr als<br />

zehn Prozent übersteigt. Anfang Juni<br />

hatte aber das Amtsgericht Altona zu<br />

Gunsten eines Vermieters entschieden.<br />

Es liege keine ausreichende<br />

Schwierige Wohnungssuche<br />

Die Immobilienforscher des Instituts<br />

F+B beobachten einen massiven<br />

Rückgang bei Wohnungsangeboten<br />

im Internet. Im ersten Quartal <strong>2017</strong><br />

wurden 42 Prozent weniger Inserate<br />

veröffentlicht als noch im ersten<br />

Quartal 2015. Seit Sommer 2015 gilt<br />

das Bestellerprinzip: Vermieter<br />

übernehmen die Vermittlungsgebühr,<br />

Leer stehende Kirche besetzt<br />

Anfang Juni haben Aktivisten die<br />

Thomaskirche in Rahlstedt besetzt<br />

und in dem leer stehenden Gebäude<br />

ein Jugendzentrum eröffnet. „Wir<br />

drohen nicht mit der Polizei“, sagt<br />

Remmer Koch vom Kirchenkreis<br />

Hamburg-Ost in Richtung der Besetzer.<br />

Theoretisch sei gar eine längere<br />

Nutzung möglich. Allerdings: Die<br />

Begründung für die Bremse vor. wenn sie einen Makler beauftragen. Betriebskosten für das Gebäude liegen<br />

Die Gerichtsentscheidung ist allerdings Eigentlich gut für Wohnungssuchende.<br />

Jetzt aber brauchen sie Kontakte,<br />

•<br />

bei etwa 50.000 Euro pro Jahr. JOF<br />

nicht rechtskräftig, sagt Siegmund<br />

Chychla. Der Vorsitzende des Mietervereins<br />

zu Hamburg vertritt den<br />

denn viele Wohnungen würden „über<br />

Direktansprache durch den Vor-<br />

gesetzlich festgelegten Bundes-Mindestlohn von 8,84 Euro pro Stunde. JOF<br />

•<br />

schäftsführer Bernd Leutner. JOF<br />

•<br />

Flüchtlingshilfe<br />

Ombudsfrau soll vermitteln<br />

Der Senat hat eine zentrale Forderung<br />

von Flüchtlingsinitiativen umgesetzt<br />

und eine Vermittlungsstelle<br />

zwischen Helfern, Flüchtlingen und<br />

Behörden eingerichtet. Seit dem<br />

1. <strong>Juli</strong> ist die ehemalige Landespastorin<br />

und Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Herausgeberin<br />

Annegrethe Stoltenberg Ombudsfrau.<br />

Die 67-Jährige arbeitet ehrenamtlich<br />

und wird durch hauptamtliche<br />

Mitarbeiter unterstützt. JOF<br />

•<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

www.solihilfe.de<br />

Anerkanntes Ausbildungsinstitut der BAFM<br />

www.imka.net<br />

Telefon: 040/89726163<br />

Neuer Einführungskurs zum<br />

<br />

29.09. - 01.10.<strong>2017</strong> in Hamburg


Der G20 und das Klima<br />

Wir könnten die<br />

letzte Generation<br />

sein, die die<br />

Chance hat,<br />

unseren Planeten<br />

zu retten.<br />

BAN KI-MOON, UN-GENERALSEKRETÄR 2007 BIS 2016<br />

Es war eine Sensation: Am 12. Dezember 2015 beschlossen 195 Regierungschefs aus aller Welt,<br />

die Erderwärmung bis 2050 abzubremsen und sie auf deutlich unter 2° C im Vergleich zum<br />

vorindustriellen Niveau zu drosseln. Ein Jahr später trat das völkerrechtlich verbindliche<br />

Pariser Klimaabkommen in Kraft. Sogar China und die USA, die beiden größten Verursacher von<br />

Treibhausgas-Emissionen, unterzeichneten die Selbstverpfl ichtung. Auch wenn die Regierung<br />

Trump nun aus dem Übereinkommen aussteigt, sollte die Welt weiterhin an den Zielen festhalten.<br />

Denn unter dem Klimawandel leiden wir alle, aber vor allem Alte, Kranke und die,<br />

die ohnehin am Rande des Existenzminimums leben. Und er kostet uns richtig viel Geld.<br />

REDAKTION: JONAS FÜLLNER, ANNETTE WOYWODE<br />

GRAFIKEN/ILLUSTRATIONEN: GRAFIKDEERNS.DE<br />

Zahlen & Fakten<br />

zum Klimawandel<br />

in Deutschland<br />

und der Welt<br />

Experten-<br />

Interview:<br />

Karsten Smid von<br />

Greenpeace<br />

Deutschland<br />

Zahlen & Fakten<br />

zum Klimawandel<br />

in Hamburg<br />

Seite 24 & 25<br />

Seite 26 & 27<br />

Seite 28 & 29


Heiße Zeiten<br />

Warum die Menschheit dringend an den UN-Klimazielen von 2015 festhalten sollte, zeigen die<br />

folgenden Grafi ken. Schon heute fl iehen mehr Menschen vor Umweltkatastrophen als vor Krieg<br />

und Gewalt. Und wer glaubt, der Klimawandel mache vor Deutschland halt, der irrt.<br />

fliehen vor Krieg und Gewalt<br />

fliehen vor Krieg und Gewalt<br />

2015<br />

8,56<br />

Millionen<br />

fliehen vor Umweltkatastrophen<br />

19,2<br />

Millionen<br />

Die Jahreszeiten<br />

verschieben sich …<br />

und damit auch das Wachstum und<br />

die Entwicklung von Pflanzen,<br />

wie die „phänologische Uhr“<br />

(siehe rechts) zeigt. Der Winteranfang,<br />

der auf dieser Uhr beginnt, wenn die<br />

Stieleiche ihre Blätter verliert, ist zwar<br />

nach wie vor Anfang November.<br />

Er endet aber rund einen halben Monat<br />

früher als noch im Zeitraum 1961 bis<br />

1990. Das bedeutet: Es wird früher im<br />

Jahr warm. Daher treibt die Haselnuss,<br />

der Bote des Vorfrühlings, schon Mitte<br />

Februar Blüten. Allergiker aufgepasst:<br />

Auch Birken und Gräser blühen immer<br />

früher. Gefahr für die Landwirtschaft:<br />

Ein Kälteeinbruch im Frühling<br />

trifft inzwischen auf weit entwickelte<br />

Pflanzen, die den Kälteschock oft nicht<br />

verkraften. Die Uhr zeigt auch:<br />

Der Hochsommer dauert heute vier<br />

Tage länger als noch vor 30 Jahren.<br />

Quelle: DWD, Nationaler Klimareport 2016<br />

2016<br />

6,8<br />

Millionen<br />

Winter<br />

Stieleiche (Blattfall)<br />

Spätherbst<br />

Stieleiche<br />

(Blattverfärbung)<br />

Spätherbst<br />

Stieleiche<br />

(Früchte)<br />

Frühherbst<br />

Schwarzer<br />

Holunder (Früchte)<br />

fliehen vor Umweltkatastrophen<br />

24,2<br />

Millionen<br />

Quelle: Global Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC), <strong>2017</strong>; siehe auch unser Experten-Interview auf Seite 26<br />

19<br />

18<br />

22<br />

Spätsommer<br />

Apfel, frühreifend (Früchte)<br />

26<br />

19<br />

26<br />

26<br />

Okt<br />

Sep<br />

22<br />

1961-1990<br />

Dauer in Tagen: 120<br />

1991-2015<br />

Dauer in Tagen: 105<br />

Nov<br />

Aug<br />

Hochsommer<br />

Sommerlinde (Blüte)<br />

42<br />

Dez<br />

<strong>Juli</strong><br />

46<br />

Jan<br />

Juni<br />

Feb<br />

Mai<br />

22<br />

21<br />

ÜBRIGENS<br />

Die meisten<br />

Umweltflüchtlinge<br />

verlassen ihre Heimat<br />

wegen Stürmen und<br />

Über schwemmungen.<br />

März<br />

Apr<br />

30<br />

38<br />

31<br />

31<br />

34<br />

32<br />

Vollfrühling<br />

Apfel (Blüte)<br />

Frühsommer<br />

Schwarzer Holunder (Blüte)<br />

Vorfrühling<br />

Hasel (Blüte)<br />

Erstfrühling<br />

Forsythie (Blüte)<br />

Hitzewarnsystem für Städter, Ältere und Kranke<br />

Seit dem 1. Juni <strong>2017</strong> werden Städter, Ältere und Kranke vom Deutschen Wetterdienst (DWD)<br />

bei über 30 o C gezielt über Hitzegefahren informiert. Denn hohe Temperaturen<br />

gelten als gefährlich für das menschliche Leben. Es drohen Dehydrierung und Hitzschlag.<br />

„Ein Hitzewarn system kann dazu beitragen, die negativen Folgen des Klimawandels<br />

abzumildern und Leben zu retten“, so Dr. Paul Becker, Vizepräsident des DWD.<br />

Ein Film zum Hitzewarnsystem des DWD unter www.huklink.de/hitzefilm<br />

Die Warmwetter-App unter www.huklink.de/hitzewarnapp<br />

24


Steigende Hitzebelastung in Deutschland<br />

40<br />

35<br />

30<br />

Anzahl heiße Tage – Gegenwart und Zukunft<br />

Tage pro Jahr<br />

Spannbreite<br />

Annahme 1<br />

ANNAHME 1<br />

Wirtschaften wir weiter<br />

wie bisher, erhöht sich<br />

die Anzahl der Tage pro Jahr mit<br />

Temperaturen ab 30 °C<br />

bis zum Jahr 2100 auf 23.<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

Beobachtungen<br />

ANNAHME 2<br />

Erreichen wir<br />

das 2 °C-Ziel, gäbe es<br />

im Jahr 2100 genauso<br />

viele heiße Tage<br />

(ab 30 °C) wie heute:<br />

etwa 10.<br />

0<br />

1951<br />

2000 2016 2050 2100<br />

Quelle: DWD (www.dwd.de/klima), Statistisches Bundesamt<br />

Was Deutschland der Klimawandel kostet!<br />

REALITÄT<br />

Die Zahl der heißen Tage<br />

ab 30 °C ist im Zeitraum<br />

1951 bis 2016 kontinuierlich<br />

gestiegen.<br />

Experten schätzen, dass der Klimawandel Deutschland bis 2050 rund 800 Milliarden Euro kosten wird. Darunter:<br />

LAND- UND FORSTWIRTSCHAFT:<br />

9 Milliarden Euro wegen Ernteausfällen aufgrund<br />

von Trockenheit und Wassermangel, außerdem<br />

wegen der Umstellung von Anbaumethoden, die wegen<br />

des Klimawandels nötig werden.<br />

TOURISMUS: 30 Milliarden Euro, zum<br />

Beispiel wegen ausbleibenden Schnees<br />

in Wintersportregionen und um dort neue<br />

Tourismusangebote zu schaffen.<br />

DEUTSCHLAND<br />

GESUNDHEIT: 61 Milliarden Euro, zum Beispiel<br />

wegen Krankheiten, die bisher nur in subtropischen<br />

Regionen vorkamen. Außerdem für Vorsorgemaßnahmen,<br />

die als Anpassung an den Klimawandel<br />

vorgenommen werden müssen.<br />

IMMOBILIEN- UND INFRASTRUKTUR-<br />

SCHÄDEN: 30 Milliarden Euro wegen<br />

Hochwasser und Überflutungen.<br />

ENERGIE UND VERKEHR: 130 Milliarden Euro<br />

aufgrund gestiegener Energiepreise.<br />

FINANZEN: Rückversicherer rechnen mit zusätzlichen<br />

Kosten in Höhe von 100 Milliarden Euro.<br />

Quelle: Wochenbericht Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), 11/2007.<br />

Die Zahlen stammen aus einer langfristig angelegten Studie und sind noch gültig.<br />

Der Meeresspiegel<br />

steigt – auch an<br />

deutschen Ufern<br />

Der mittlere Meeresspiegel<br />

der Nordsee ist – gemessen<br />

am Pegel Cuxhaven – zwischen<br />

1843 und 2011 rund<br />

40 Zentimeter gestiegen.<br />

Achtung, Überflutungsgefahr!<br />

Quelle: Universität Siegen, siehe auch Seite 27.<br />

530 cm<br />

520<br />

510<br />

500<br />

490<br />

480<br />

470<br />

Jahresmittelwert<br />

linearer Wert<br />

460<br />

1840 1860 1880 1900 1920 1940 1960 1980 2000<br />

25


Der G20 und das Klima<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>293</strong>/JULI <strong>2017</strong><br />

Karsten Smid<br />

(59) beschäftigt<br />

sich seit<br />

27 Jahren für<br />

Greenpeace mit<br />

erneuer baren<br />

Energien<br />

und dem<br />

Klimawandel.<br />

„Egoistisch und<br />

scheinheilig“<br />

Greenpeace-Experte Karsten Smid über Klimaflüchtlinge,<br />

den G20-Gipfel und die Fehler des Hamburger Senats.<br />

INTERVIEW: ULRICH JONAS<br />

FOTO: DMITRIJ LELTSCHUK<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Herr Smid, Greenpeace hat<br />

im Mai eine Studie veröffentlicht, nach der<br />

der Klimawandel weltweit mehr Flüchtlinge<br />

produziert als Kriege. Die Rede ist von einer<br />

„unterschätzten Katastrophe“. Ist es wirklich<br />

so schlimm?<br />

KARSTEN SMID: Ja. Wir sehen zwar die<br />

schrecklichen Bilder von Flüchtlingen<br />

im Mittelmeer und die wenigen, die es<br />

schaffen, zu uns nach Europa zu kommen.<br />

Die Mehrzahl der Menschen jedoch<br />

wird innerhalb ihrer Herkunftsländer<br />

vertrieben, durch wetterbedingte<br />

Katastrophen wie etwa Überschwemmungen.<br />

Weltweit sind das 20 Millionen<br />

Menschen.<br />

Naturkatastrophen gab es schon immer.<br />

Welche Rolle spielt der Klimawandel?<br />

Die Intensität und Häufigkeit der Katastrophen<br />

nehmen deutlich zu. Es gibt<br />

keine kausale Beziehung zwischen der<br />

Klimaerwärmung und der Zahl der<br />

Vertriebenen. Doch der Klimawandel<br />

wirkt als Risikomultiplikator. Und er<br />

trifft gerade die Menschen, die besonders<br />

verletzlich sind, die ohnehin schon<br />

am Rand des Existenzminimums leben.<br />

26<br />

Der Klimawandel<br />

trifft die, die am<br />

Rand des Existenzminimums<br />

leben.<br />

Nun hat US-Präsident Donald Trump den<br />

Pariser Klimaschutzvertrag aufgekündigt. Ist<br />

die vereinbarte Begrenzung des Temperaturanstiegs<br />

ohne die USA überhaupt zu schaffen?<br />

Sie sollten den Präsidenten nicht mit den<br />

USA gleichsetzen. Kalifornien und andere<br />

US-Bundesstaaten haben gesagt:<br />

„Wir machen weiter.“ Und über 600 Industrieunternehmen<br />

wollen weiter in erneuerbare<br />

Energien investieren, auch<br />

weil die kostengünstiger sind als Kohle.<br />

Und was die G20 angeht: Die USA verursachen<br />

14 Prozent der Treibhausgasemissionen<br />

weltweit, die anderen 19 immerhin<br />

66 Prozent. Von denen kann ich<br />

weiterhin erwarten, dass sie sich an das<br />

Pariser Übereinkommen halten.<br />

Wie wird es beim G20-Gipfel und<br />

danach weitergehen?<br />

Ich erwarte, dass die G19 – Trump ist ja<br />

weltpolitisch isoliert – deutlich machen,<br />

wie sie Treibhausgasemissionen reduzieren<br />

und aus der fossilen Energieversorgung<br />

aussteigen. Kohle, Öl und Gas


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Der G20 und das Klima<br />

Die USA<br />

verursachen<br />

14 Prozent der<br />

Treibhausgasemissionen<br />

weltweit, die<br />

restlichen G19<br />

aber 66 Prozent.<br />

werden von den meisten Staaten ja weiterhin<br />

stark subventioniert – auch bei<br />

uns.<br />

Welche Rolle sollte Deutschland einnehmen?<br />

Die deutsche Politik agiert heuchlerisch.<br />

Die Bundesregierung hat zugesichert,<br />

bis 2020 40 Prozent der Treibhausgase<br />

gegenüber 1990 zu reduzieren. Dieses<br />

Ziel werden wir aber meilenweit verfehlen,<br />

weil wir den Kohleausstieg viel zu<br />

langsam vorantreiben.<br />

Städte erzeugen weltweit bis zu 80 Prozent<br />

der Treibhausgase. Hamburg will deshalb<br />

seinen CO 2<br />

-Ausstoß bis 2030 halbieren.<br />

Überzeugt Sie der Klimaplan des Senats?<br />

Nein. Da wird geschummelt und hingebogen,<br />

wie es passt. Das Kohlekraftwerk<br />

Moorburg verursacht jährlich<br />

8,5 Millionen Tonnen CO 2<br />

, taucht in<br />

der Klimabilanz aber nicht auf, weil der<br />

Senat eine andere Bilanzierungsmethode<br />

wählt. Und diese Dreckschleuder<br />

war ja nur deshalb politisch durchsetzbar,<br />

weil eine Abscheideeinrichtung<br />

versprochen wurde, um den CO 2<br />

-Ausstoß<br />

zu senken. Die aber ist nie gebaut<br />

worden und wird auch nie gebaut werden.<br />

Das ist Betrug.<br />

Und jenseits von Moorburg?<br />

Hamburg baut für Hunderte Millionen<br />

Euro riesige Deiche, etwa am Baumwall,<br />

um sich vor den Folgen des Klimawandels<br />

zu schützen. Die sind immer<br />

50 Zentimeter höher als die der umliegenden<br />

Bundesländer. Das zeigt, wie<br />

egoistisch und scheinheilig Hamburg<br />

vorgeht: Die Stadt heizt mit Moorburg<br />

die Atmosphäre auf und baut die Deiche<br />

dann höher als die Nachbarn, damit<br />

es sie selbst nicht trifft.<br />

Was müsste der Senat machen,<br />

um Sie zu überzeugen?<br />

Moorburg abschalten. Ein Fernwärmekonzept<br />

entwickeln, das auf erneuerbaren<br />

Energien aufbaut. Und was den<br />

Verkehr angeht, sagt die Willy-Brandt-<br />

Straße eigentlich alles: Hamburg ist eine<br />

Autostadt, in der der Fahrradverkehr<br />

anders als in vielen europäischen und<br />

auch deutschen Städten extrem vernachlässigt<br />

wird. Schauen Sie sich nur<br />

die Hafencity an: überall Tiefgaragen,<br />

riesige Kreuzungen.<br />

Greenpeace misst an Hamburger Schulen<br />

die Feinstaubbelastung …<br />

Ja, und wir stellen regelmäßig dicke<br />

Luft und massive Grenzwertüberschreitungen<br />

fest.<br />

Was macht Greenpeace, um das Klima<br />

zu retten?<br />

Wir haben einen eigenen Stromanbieter<br />

aufgebaut, bei dem Sie zu 100 Prozent<br />

erneuerbare Energien bekommen.<br />

Wir haben gemeinsam mit anderen intensiv<br />

gegen den Neubau von Kohlekraftwerken<br />

gekämpft – und viele auch<br />

verhindern können. Und wir machen<br />

seit mehr als zehn Jahren mit beim<br />

Braunkohle-Widerstand, wo es darum<br />

geht, die Erweiterung von Braunkohle-<br />

Tagebau zu verhindern – und letztlich<br />

den Kohleausstieg zu organisieren.<br />

Das Kraftwerk<br />

Moorburg stößt<br />

8,5 Millionen<br />

Tonnen CO 2<br />

pro Jahr aus.<br />

Es ist einfach, über die Politik zu schimpfen.<br />

Was kann ich persönlich fürs Klima tun?<br />

Ich kann den Stromanbieter wechseln.<br />

Mich auf den Fahrradsattel schwingen<br />

und das Auto stehen lassen. Meinen<br />

Fleischkonsum minimieren. Mein Haus<br />

wärmedämmen. Und möglichst wenig<br />

fliegen. So kann ich meine persönliche<br />

CO 2<br />

-Bilanz immerhin halbieren. •<br />

Kontakt: ulrich.jonas@hinzundkunzt.de<br />

Mehr Infos im Internet unter<br />

www.greenpeace.de<br />

FOTOS: DANIEL REINHARDT/DPA, AXEL HEIMKEN/DPA<br />

Chaos: Am 7. Juni 2016 wütete eine Windhose im Osten Hamburgs.<br />

27<br />

Eine Woche später: Starkregen überflutet die Straßen in Eppendorf.


Dicke Luft über<br />

Hamburg<br />

In den vergangenen 100 Jahren ist die Temperatur in Hamburg um etwa<br />

ein Grad gestiegen. Extreme Hitzewellen gibt es seit 1994. Darunter leiden<br />

wir alle, erst recht Obdachlose, die Sonne, aber auch Starkregen schutzlos<br />

ausgeliefert sind. Klimaschutz ist dringend nötig, sagt Dr. Benjamin Bechtel<br />

vom Institut für Geografi e an der Uni Hamburg – und eine Stadtplanung,<br />

die den Klimawandel berücksichtigt. In einer Grafi k zeigt er warum.<br />

Urbane Grenzschicht und<br />

Stadtreibungsschicht<br />

Als „städtische Wärmeinsel“<br />

bezeichnet man höhere<br />

Temperaturen in der Stadt im<br />

Vergleich zum Umland.<br />

Sie tritt in unterschiedlichen<br />

Höhen und Schichten auf und<br />

kann dazu beitragen, dass sich<br />

eine Dunst glocke ausbildet<br />

(siehe unten).<br />

Frischluftachsen<br />

Wichtig für die Luftzirkulation in Hamburg sind die sogenannten<br />

Frischluftachsen. Es sind Grünstreifen, die sich aus allen Himmelsrichtungen<br />

durch Hamburg ziehen. Sie entstanden während des<br />

Siedlungsbaus der 1920er-Jahre unter der Regie von Oberbau direktor<br />

Fritz Schumacher. Werden sie durch hohe Gebäude oder<br />

Industrie anlagen verstellt, erhöht sich nicht nur die Temperatur,<br />

sondern zugleich die Belastung der Luft mit Schadstoffen.<br />

Dunstglocke<br />

Über Städten vermischt sich der<br />

Wasserdampf, der nicht von der Vegetation<br />

verarbeitet wurde, mit Abgasen. Dadurch<br />

bildet sich eine Dunstglocke. Das Ergebnis:<br />

Die Stadtluft ist mit deutlich mehr<br />

Schadstoffen belastet als die Luft<br />

im ländlichen Raum. Auch in Hamburg.<br />

Wald/Bäume<br />

Naturbelassene Flächen<br />

heizen sich durch die Vegetation<br />

und deren Verdunstungsleistung<br />

weniger stark auf. Der<br />

Unterschied der Lufttemperatur<br />

zwischen Stadt und Land<br />

kann daher mehr als<br />

8 °C betragen.<br />

Klimaanpassung<br />

Zwischen hohen Gebäuden speichert sich<br />

die Wärme und es entsteht eine sogenannte<br />

Wärmeinsel. Grünflächen und Bäume<br />

beeinflussen das Stadtklima positiv.<br />

In Hamburg gibt es nach Angaben der<br />

Umweltbehörde noch rund 240.000 Straßenbäume.<br />

Tendenz fallend. Um dem Schwund<br />

entgegenzuwirken, wurden im vergangenen<br />

Jahr die Mittel für Straßenbaumpflanzungen<br />

verdreifacht. Trotzdem verringerte sich<br />

der Bestand wegen zahlreicher Fällungen im<br />

Vergleich zum Vorjahr um 250 Bäume.<br />

Starkregen<br />

Durch die Versiegelung weiter<br />

Teile der Stadt läuft Niederschlag<br />

nur durch die Kanalisation oder an der<br />

Oberfläche ab. Wenn es Starkregen gibt<br />

und die Abflüsse die Wassermengen nicht<br />

mehr aufnehmen, kann es mitten in der<br />

Stadt zu Überflutungen kommen. In Hamburg,<br />

wo Stromkästen ebenerdig liegen,<br />

könnte im schlimmsten Fall die<br />

S tromversorgung für ein ganzes<br />

Quartier gefährdet sein.<br />

28<br />

Ungesundes Stadtklima<br />

Asphaltierte Flächen und<br />

Materialien wie Stein und Beton<br />

lassen Feuchtigkeit nicht<br />

versickern und speichern tagsüber<br />

Wärme. Die wird in der Nacht wieder<br />

abgegeben und verlangsamt<br />

die Abkühlung der Stadtluft.<br />

Die Folge: Bei starker Hitze kann<br />

in Kombination mit anderen<br />

Belastungen die Gesundheit vor<br />

allem von Kindern, älteren und<br />

kranken Menschen gefährdet sein<br />

(siehe auch Seite 24).<br />

Grafik: David Grawe, Claus Carstens und Benjamin Bechtel


°C<br />

37<br />

28<br />

37<br />

Hamburg<br />

Frankfurt/Main<br />

In Hamburg<br />

traten bis 1993 nie<br />

extreme Hitzewellen auf.<br />

Seit 1994 gab es sie schon<br />

vier Mal. Wenn zwei<br />

Wochen lang Temperaturen<br />

ab 30 o C herrschen,<br />

spricht man von einer<br />

Hitzewelle.<br />

1994<br />

31,8 °C<br />

2003<br />

35,8 °C<br />

Kreuzfahrtschiffe<br />

in Hamburg<br />

160<br />

192<br />

(erwartet)<br />

28<br />

37<br />

München<br />

2003<br />

33,1 °C<br />

88<br />

28<br />

1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015<br />

Quelle: Deutscher Wetterdienst (DWD), Nationaler Klimareport 2016<br />

32<br />

Plus<br />

100<br />

Hektar<br />

Gründächer<br />

Private Eigentümer erhalten<br />

eine Förderung von 40 Prozent<br />

bei der Dachbegrünung.<br />

Das Ziel des Senats:<br />

Bis 2020 soll der Anteil der<br />

Gründach flächen der Stadt<br />

um 100 Hektar erhöht werden.<br />

Dies entspricht etwa<br />

der doppelten Fläche<br />

von Planten un Blomen.<br />

Quelle: Behörde für Umwelt und Energie<br />

2005 2010 2015 <strong>2017</strong><br />

Die 15 größten Seeschiffe<br />

der Welt stoßen<br />

jährlich mehr schädliche<br />

Schwefeloxide aus<br />

als alle 760 Millionen<br />

Autos weltweit.<br />

Quelle: Nabu Hamburg<br />

„Mit dem Klimawandel kenne ich<br />

mich nicht aus. Aber zu viel Regen<br />

und extreme Hitze sind für Obdachlose<br />

jetzt schon absolut katastrophal.“<br />

Unser Titelmodel Herbert, 41, lebte zwei Jahre auf der Straße. Inzwischen hat er eine<br />

Wohnung und Arbeit am Flughafen beim Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Projekt „Spende dein Pfand“ gefunden.<br />

„Wenn es ständig regnet, kriegt man auf Platte die Sachen überhaupt<br />

nicht mehr trocken“, sagt Herbert. Aber auch starke Hitze im<br />

Sommer sind ein Problem: Wo kann sich ein Obdachloser jederzeit<br />

waschen? Herbert hat die öffentlichen Duschen am ZOB genutzt,<br />

erinnert er sich. Kostenpunkt: 1,50 Euro. Aber nicht nur die Dusche,<br />

auch Trinken kostet extra. In der Hamburger Innenstadt gibt es<br />

lediglich am Rathausmarkt eine kostenlose Trinkwassersäule.<br />

29


Ahoi,<br />

Schaluppe!<br />

Die Diskokugel glitzert in der Sonne, die Hängematten<br />

sind aufgespannt, die Außenbordmotoren geben volle Kraft<br />

voraus, und ein Traum ist wahr geworden: Die „Schaluppe“<br />

fährt. Das Kulturfl oß bietet nicht nur Platz zum Feiern<br />

und Entspannen an Deck, sondern auch neue Blickwinkel auf<br />

den Hafen und seine Chancen für die Stadt.<br />

TEXT: ANNABEL TRAUTWEIN<br />

FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

Amazonas? Nein, Hamburg!<br />

Das Kulturfloß „Schaluppe“<br />

sticht in See – oder<br />

besser gesagt in die Elbe.


Es gibt noch so viel zu entdecken<br />

auf dem Wasser“,<br />

schwärmt Ann-Kathrin<br />

Kraus vom Verein für mobile<br />

Machenschaften. Bisher<br />

werde der Hafen fast ausschließlich<br />

wirtschaftlich und touristisch genutzt –<br />

da geht noch einiges, findet die Floßbauerin.<br />

Dafür gibt es jetzt die „Schaluppe“.<br />

Die Premiere beim Theater der<br />

Welt hat das Kulturfloß schon gemeistert:<br />

Es gab Workshops zur Entwicklung<br />

alternativer Kreuzfahrten, Vorträge<br />

und Partys. Konzerte, Filmabende<br />

und Theater sollen folgen – unkommerziell<br />

und da, wo sie gewünscht werden.<br />

„Wir wollen den Stadtraum Wasser für<br />

alle öffnen“, sagt Crewmitglied Ann-<br />

Kathrin, die alle nur Anni nennen.<br />

32<br />

Anni war schon Teil der Crew, als die<br />

„Schaluppe“ noch eine fixe Idee war,<br />

zusammengesponnen vor rund zwei<br />

Jahren beim Abendessen unter Freunden.<br />

Vier von ihnen wohnten damals in<br />

Wilhelmsburg unter einem Dach: Kulturwissenschaftlerin<br />

Sanne Neumuth<br />

und der nautische Offizier Nils Moje,<br />

Freizeitwissenschaftlerin Anni und<br />

Schiffbauingenieur Michael Oehmke.<br />

Studierte Profis, geborene Wasserratten<br />

allesamt. Und fasziniert von der Vorstellung,<br />

die flüssigen Areale der Stadt<br />

zu erobern.<br />

Auch andere hatten es gewagt: die<br />

Macher des Floßes „Anarche“ in Berlin<br />

etwa, die Demos auf dem Wasser organisieren.<br />

Die drei aus Müll gebauten<br />

Floße der „Swimming Cities of Serenissima“,<br />

die 2009 die Adria überquerten<br />

und zur Biennale in Venedig einliefen.<br />

„Das Thema hat uns nicht<br />

losgelassen“, erzählt Anni. Trotzdem<br />

blieben Zweifel: Kann man so etwas in<br />

Hamburg machen? Wer den Hafen<br />

kennt, kennt seine Behörde Hamburg<br />

Port Authority, die nach strikten Regeln<br />

bestimmt, was im Hafen geschehen<br />

darf. Kulturprojekte gehören meist<br />

nicht dazu.<br />

Doch dann kam der Sommer 2015:<br />

Kampnagels „geheimagentur“ rief das<br />

Recht auf Hafen aus, eröffnete bei<br />

Wilhelmsburg ein alternatives Kreuzfahrtterminal<br />

und lud zum Bau des<br />

Floßes „Hydra“ ein. Natürlich machten<br />

sie da mit, und als das Floß nach einer<br />

Kundgebung im Fleet am Rathaus-


Gut gelaunt trotz harter Arbeit – diese<br />

Erfahrung hat im Laufe der Zeit mehr<br />

als 70 Helfer zum Anpacken auf der<br />

Baustelle motiviert (links). Für Anni (oben)<br />

hat sich die Plackerei voll gelohnt.<br />

„Nichts ist wichtiger als Sicherheit“, sagt Michael<br />

Oehmke (rechts). Das sieht Gutachter Jens-Uwe<br />

Vetter genauso. Inzwischen hat die Crew es<br />

schwarz auf weiß: Die Schaluppe schwimmt, ist<br />

manövrierfähig und sicher. Sogar ein Öko-Klo ist<br />

an Bord – stilecht mit Herzchen in der Holztür.<br />

33<br />

markt seinen Dienst getan hatte, überführten<br />

die Freunde aus dem Verein für<br />

mobile Machenschaften es zurück auf<br />

die Elbinsel. Das Holz der „Hydra“<br />

wurde später Baustoff für die Schaluppe.<br />

„Die Aktion hat uns gezeigt: Das,<br />

was da in unseren Köpfen reift, das<br />

geht“, sagt Anni.<br />

Kurz darauf starteten die Freunde<br />

eine Crowdfunding-Kampagne. Innerhalb<br />

von vier Wochen sollten 30.000<br />

Euro gesammelt werden. „Das Crowdfunding<br />

hatten wir uns ganz leicht vorgestellt“,<br />

erzählt Anni. „Das war wohl<br />

unser Glück – sonst hätten wir uns vielleicht<br />

nicht getraut.“ Nach drei Tagen<br />

stagnierte der Geldfluss. Neue Ideen<br />

mussten her. Auf Partys gab es Soli-<br />

Getränke für das Floßprojekt, DJs legten<br />

unter dem Namen „Schaluppe“ auf<br />

und spendeten die Kasse, die Floßbauer<br />

in spe entrümpelten eine Wohnung<br />

und verkauften den Hausrat auf Flohmärkten,<br />

um Geld für das Floß zu verdienen.<br />

Auch beim Crowdfunding<br />

machten wieder mehr Leute mit, nach<br />

einem Monat waren 20.000 Euro zusammengeflossen<br />

– genug, um weiterzumachen,<br />

genug für die erste Ladung<br />

Holz und Stahl.<br />

„Am Anfang dachten wir, wir bauen<br />

acht Wochen“, sagt Micha und lacht.<br />

Heute weiß er es besser: „Stahlbau ist<br />

schon ’ne andere Nummer.“ Schwimmen<br />

sollte das Floß auf zwei Rohren,<br />

Durchmesser 1,32 Meter, unterteilt in je


Die Steuerung funktioniert,<br />

genug Schwimmwesten liegen bereit.<br />

vier wasserdichte Kammern. Um die zu<br />

bauen, brauchte es Profis: Ein Metallbaumeister<br />

und ein Schiffbauschweißer,<br />

die neben rund 70 anderen Freiwilligen<br />

auf der Baustelle halfen, schnitten<br />

Trennwände zu, krochen damit in die<br />

Rohre, ließen Funken sprühen und legten<br />

die Schweißgeräte erst weg, als alles<br />

dicht war. Für das Oberdeck gab es Hilfe<br />

von Fachleuten der Hafencity Universität,<br />

erzählt Michael: „Mit einem 3-D-<br />

Messgerät haben die berechnet, wie wir<br />

die Stahlstützen hinstellen müssen.“ Es<br />

folgten zwei Wochen peniblen Austarierens,<br />

bis alle Winkel stimmten. „Und<br />

dann verzieht sich der Scheiß natürlich<br />

ständig“, seufzt Anni.<br />

Aus acht Wochen fröhlichen Werkelns<br />

wurden insgesamt sechseinhalb<br />

Monate harter Arbeit. Ohne freiwillige<br />

Helfer wäre das nicht gegangen. An<br />

schönen Sommertagen zählten sie<br />

manchmal 30 Leute auf der Baustelle.<br />

„An schlechten Tagen waren wir auch<br />

mal nur zu dritt oder zu viert“, sagt Anni.<br />

Die übliche Arbeitswoche für sie<br />

selbst? „Sieben Tage, von 10 bis 20 Uhr.<br />

Plus morgens und abends E-Mails“,<br />

fasst Michael zusammen.<br />

Hätten sie damals schon feste Jobs<br />

gehabt, wäre es nicht gegangen. Auch<br />

ohne die vielen Sachspenden wäre die<br />

Schaluppe noch lange nicht fertig. Für<br />

Schrauben, Werkzeuge, Farbe oder<br />

technische Geräte hätten sie ohne Spenden<br />

wohl 30.000 Euro zusätzlich gebraucht,<br />

schätzt Anni. Am schwierigsten<br />

gestaltete sich die Suche nach einem<br />

Bauplatz. 71 Grundstücksinhaber erteilten<br />

ihnen eine Absage. Der 72. sagte<br />

„coole Idee“ und überließ ihnen ein<br />

Wassergrundstück in Entenwerder gegen<br />

schmale Miete.<br />

34


Stadtgespräch<br />

Anlegemanöver am goldenen Pavillon in Entenwerder – für<br />

Nils Moje am Steuerstand eine leichte Übung, als Seemann<br />

kann er auch Containerschiffe lenken. Auch Schiffbauingenieur<br />

Michael Oehmke hat Know-how und Papiere.<br />

Die Galionsfigur (unten) weist den Kurs: Auf zu neuen Ufern!<br />

Ihm sei schon mulmig geworden, als<br />

der Kran die „Schaluppe“ ins Wasser<br />

hob, erzählt Michael. Zwei Monate<br />

später folgte die nächste Zitterpartie:<br />

die Testfahrt mit Gutachter. Denn obwohl<br />

das Floß als Kleinfahrzeug der<br />

„Binnenschiffsuntersuchungsverordnung“<br />

nicht genügen muss – ein<br />

Schwimmfähigkeitszeugnis braucht<br />

die Schaluppe dennoch. Nach einigen<br />

Anläufen ist auch das geschafft. Die<br />

Steuerung funktioniert, die Reling ist<br />

sicher, genug Schwimmwesten liegen<br />

bereit. Auch die Hydraulik des Oberdecks<br />

ist erprobt: Zum Unterqueren<br />

der Brücken klappt das ganze Deck<br />

nach vorn. „Wir haben es tatsächlich<br />

geschafft“, sagt Anni. Die Schaluppe<br />

schwimmt – auf zu neuen Ufern. •<br />

Kontakt: annabel.trautwein@hinzundkunzt.de<br />

Termine der Schaluppe: www.mobile<br />

machenschaften.de/schaluppe/<br />

35<br />

stilbruch.de


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>293</strong>/JULI <strong>2017</strong><br />

Meldungen (2)<br />

Politik & Soziales<br />

So soll der Neubau des City-Hofs am Klosterwall aussehen,<br />

hat eine Jury entschieden. Geplant sind ein Hotel mit<br />

200 Zimmern, Wohnungen, Büros, Geschäfte und Cafés.<br />

Auch eine Kita soll einziehen – wenn das Denkmalschutzamt grünes<br />

Licht für den Abriss gibt. Ein Bündnis streitet weiter für den Erhalt<br />

der bisherigen Gebäude: „Stadtherz“ will dort ein soziales<br />

Zentrum errichten. Mehr: www.hinzundkunzt.de/thema/city-hof<br />

OECD-Studie zum Arbeitsmarkt<br />

Niedrige Löhne trotz Aufschwung<br />

Die gute Nachricht: Nach der Wirtschaftskrise<br />

vor zehn Jahren haben sich<br />

die Arbeitsmärkte in den Ländern der<br />

Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit<br />

und Entwicklung (OECD)<br />

weitgehend erholt.<br />

Die schlechte: „Viele Menschen<br />

spüren den Aufschwung nicht, da ihre<br />

Löhne stagnieren und Aufstiegschancen<br />

fehlen“, sagte OECD-Generalsekretär<br />

Angel Gurría bei der Vorstellung des<br />

Beschäftigungsausblicks der Organisation.<br />

Trotz der „besonders niedrigen<br />

Arbeitslosigkeit“ sei das Lohnwachstum<br />

auch in Deutschland verhalten geblieben,<br />

bemängelt die OECD darin. Der<br />

Anteil der Geringverdiener sei doppelt<br />

so hoch wie etwa in Island. Einstiegslöhne<br />

für Zuwanderer seien niedrig und<br />

viele ältere Arbeitnehmer und Zweitverdiener<br />

hätten schlecht bezahlte Jobs<br />

angenommen.<br />

Insgesamt stellt die Studie dem deutschen<br />

Arbeitsmarkt aber ein verhältnismäßig<br />

positives Zeugnis aus. Kritisiert<br />

wird allerdings „der höhere Anteil von<br />

Arbeitsplätzen mit starkem arbeitsbedingten<br />

Stress“ und die „große Lohndifferenz<br />

zwischen den Geschlechtern“.<br />

Was tun? Die OECD schlägt den<br />

Regierungen vor, Beschäftigte beim Erwerb<br />

der richtigen Qualifikation durch<br />

Weiterbildung zu unterstützen. BELA<br />

•<br />

36


Stadtgespräch<br />

Winternotprogramm für Obdachlose<br />

Scharfe Kritik trotz „ausreichender“ Plätze<br />

Ein positives Fazit aus dem vergangenen Winternotprogramm<br />

hat die Sozialbehörde gezogen: „Die zur Verfügung<br />

gestellten Plätze reichten aus“, hieß es. Das sei jedoch „leider<br />

kein Grund zur Freude, sondern ein Alarmzeichen“, kritisierte<br />

Dirk Hauer vom Diakonischen Werk Hamburg. Denn erstmals<br />

wurden Obdachlose aus Rumänien von den Notunterkünften<br />

abgewiesen und zur Heimreise gedrängt, wenn sie<br />

dort „Selbsthilfemöglichkeiten“ oder eine Wohnung hatten.<br />

521 EU-Bürger nutzten ein Ticket auf Staatskosten – viele<br />

kamen jedoch wegen der Armut im Herkunftsland wieder<br />

zurück. Sie leben in Hamburg wieder auf der Straße, beklagte<br />

die CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Franziska Grunwaldt.<br />

Für viele Obdachlose mit Anspruch auf Sozialleistungen war<br />

das Winternotprogramm hingegen ein Erfolg: Sozialarbeiter<br />

vermittelten 227 von dort in dauerhafte Unterkünfte. BELA<br />

•<br />

abasto<br />

ökologische Energietechnik<br />

Für mehr soziale Wärme<br />

und eine klimaschonende<br />

Strom- und Wärmeversorgung.<br />

www.abasto.de<br />

VISUALISIERUNG: KPW PAPAY WARNCKE UND PARTNER ARCHITEKTEN MBB /BLOOMIMAGES<br />

Berlin<br />

Haftstrafe für Feuer-Attacke auf Obdachlosen<br />

Wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung hat das<br />

Landgericht Berlin einen 21-Jährigen zu einer Freiheitsstrafe<br />

von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Er hatte im<br />

vergangenen Dezember die Kopfunterlage eines schlafenden<br />

Obdachlosen angezündet. Kein Mordversuch, befand das<br />

Gericht: Einen „tödlichen Geschehensablauf“ habe er<br />

„schlicht nicht auf dem Plan gehabt“, sagte Gerichtssprecherin<br />

Lisa Jani zu Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Zu der Tat habe eine „fatale<br />

Gruppendynamik“ geführt: Der alkoholisierte Hauptangeklagte<br />

habe sich vor seinen Begleitern produzieren wollen.<br />

Vor Gericht hatte er angegeben, er habe einen „Scherz“ machen<br />

wollen. Drei seiner Mittäter verurteilte die Richterin zu<br />

einer Jugendstrafe von jeweils acht Monaten auf Bewährung<br />

– wegen Beihilfe. Gegen drei weitere verhängte sie Strafen<br />

wegen unterlassener Hilfeleistung. Die Staatsanwaltschaft<br />

hat Revision eingelegt. BELA<br />

•<br />

Gesetzesverschärfung<br />

Bettlern in Dänemark drohen zwei Wochen Knast<br />

In Dänemark können Bettler nun ohne Vorwarnung für zwei<br />

Wochen ins Gefängnis gesteckt werden, wenn sie „aggressiv“<br />

in Fußgängerzonen, vor Supermärkten, in Bahnhöfen oder<br />

öffentlichen Verkehrsmitteln betteln. Eine entsprechende<br />

Gesetzesverschärfung verabschiedete das Parlament im Juni<br />

mit großer Mehrheit. Begleitet wurde die Entscheidung von<br />

einer Debatte über bettelnde Roma aus Osteuropa. „Wir<br />

werden nicht zulassen, dass Leute in öffentlichen Plätzen<br />

Lager aufschlagen, unsere Kirchhöfe als Toiletten gebrauchen<br />

und in Zügen betteln“, sagte Justizminister Søren Pape<br />

Poulsen von der Konservativen Volkspartei laut dpa. BELA<br />

•<br />

Mehr Infos und weitere Nachrichten unter:<br />

www.hinzundkunzt.de – Post an blog@hinzundkunzt.de<br />

37<br />

JENISCH<br />

HAUS<br />

ERNST EITNER<br />

MONET<br />

DES NORDENS<br />

16.05. – 12.11.<strong>2017</strong><br />

www.jenisch-haus.de


Stadtgespräch<br />

Ein<br />

Bild für<br />

mich<br />

Wie wäre es, wenn man im Museum einfach<br />

mal das Bild an die Wand hängen dürfte, das man<br />

besonders mag? In der Hamburger Kunsthalle<br />

zeigt die Ausstellung Open Access, was dabei<br />

herauskommt, wenn Menschen genau das<br />

tun dürfen. Ein Experiment mit offenem Ausgang.<br />

TEXT: FRANK KEIL<br />

FOTOS: ANDREAS HORNOFF<br />

Christoph Martin Vogtherr<br />

Die Hamburger Kunsthalle war mein erstes Museum. Und nicht meine<br />

Eltern haben mich als Kind hierher geschleppt, sondern sie mussten mit,<br />

weil ich hierher wollte. Nun habe ich die Kunsthalle neu entdeckt, und<br />

das war ein großartiges Gefühl, denn sie hat eine Weltklasse-Sammlung,<br />

die die Kunst vom Mittelalter bis ins Heute abdeckt.<br />

Ausgewählt habe ich das Bild „Doll Boy“ von David Hockney. Es hängt<br />

bei uns derzeit nicht in der Sammlung, sondern ist im Depot eingelagert,<br />

und ich bin froh, dass es mal wieder zu sehen ist. Ich finde es ehrlich gesagt<br />

viel stärker als spätere Bilder, die Hockney gemalt hat und mit denen er<br />

so bekannt wurde.<br />

Kunsthallenleiter Christoph Martin Vogtherr steht vor dem Bild „Doll Boy“<br />

von David Hockney – einem Schlüsselwerk der Pop-Art.<br />

39


Nursima Nas<br />

Das Bild, vor dem ich hier stehe,<br />

ist so ganz anders als viele<br />

Malereien, die ich mir angeschaut<br />

habe. Ich war erst mal total<br />

überwältigt! Ich sehe immer in<br />

allem Gesichter – und hier sehe<br />

ich ein Gesicht, das zur Seite<br />

schaut, und im Inneren ist eine<br />

leere Fläche. Und diese Fläche<br />

möchte gefüllt werden! Ich habe<br />

mir gedacht, dass diese Fläche<br />

mit Wissen gefüllt werden kann.<br />

Was mir auch gefällt: Weil das<br />

Bild erst mal so abstrakt aussieht,<br />

können viele Menschen viele<br />

verschiedene Sachen darin sehen.<br />

Ich war zwei Jahre in Italien, habe<br />

dort mein Abitur gemacht und<br />

muss mich nun wieder in Hamburg<br />

einleben. Ich habe Kunst schon<br />

immer gemocht, male und zeichne<br />

auch selber, und die Kunsthalle<br />

war für mich kein fremder Ort.<br />

Nursima Nas stellte sich vor<br />

die Papierarbeit „Hunger“ von<br />

Felix Droese.


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Stadtgespräch<br />

Hosein Youssofi<br />

Bei uns in Afghanistan gibt es eine Art Sprichwort: „Das Leben besteht von<br />

der Geburt bis zum Tod aus Lernen!“ Und auch mein Hauptziel war immer Bildung.<br />

Deswegen gefällt mir das Bild von dem alten Mann so, der da so fleißig lernt.<br />

Man hat mich für dieses Projekt angesprochen, als ich hier in der Kunsthalle<br />

eine Präsentation über das Bild „Eismeer“ von Caspar David Friedrich gemacht habe.<br />

Ich studiere zwar Technik, aber als Wahlfach habe ich Kunst gewählt. Und ich habe<br />

sofort zugesagt, als man mich fragte, ob ich bei Open Access mitmachen möchte.<br />

Auch weil ich wenig Ahnung von Kunst habe, und ich wollte mehr Ahnung von Kunst haben.<br />

Hosein Youssofi lebt seit 2011 in Hamburg.<br />

Er steht vor dem Bild „Der Philosoph“ von Jean-Honoré Fragonard.<br />

Es ist ein Versuch. „Ein Experiment“,<br />

wie der neue Direktor<br />

der Hamburger Kunsthalle,<br />

Christoph Martin<br />

Vogtherr, gut gelaunt sagt. Denn für die<br />

Ausstellung Open Access, Offener Zugang,<br />

haben sich keine Kunstwissenschaftler<br />

und Kuratoren zusammengesetzt,<br />

sondern Laien. Menschen, die<br />

sich schon für Kunst interessieren, aber<br />

die keine Profis sind, keine Experten.<br />

Vogtherr freut sich, dass ihm die<br />

Freunde der Kunsthalle und die Hubertus<br />

Wald Stiftung diese Ausstellung finanziert<br />

haben, ohne dass sie vorher<br />

wussten, was mit ihrem Geld gemacht<br />

werden würde. „Das war ja quasi ein<br />

Blankoscheck, den ich da ausgestellt<br />

bekommen habe“, sagt Vogtherr.<br />

Der Kunsthistoriker hatte diese<br />

Idee – aus ganz einfachen, hausgemachten<br />

Gründen: Vogtherr ist in Uelzen<br />

aufgewachsen und besuchte als<br />

Schüler und Jugendlicher immer wieder<br />

die Hamburger Kunsthalle. Dann studierte<br />

er aber in Berlin, Heidelberg und<br />

Cambridge Kunstgeschichte. Zuletzt<br />

war er Museumsdirektor in London<br />

und hat gewiss einiges von der Welt und<br />

der Kunstwelt gesehen.<br />

Nun ist er seit einem halben Jahr in<br />

Hamburg vor Ort und fragte sich als<br />

41<br />

Neu-Hamburger, wie wohl die vielen<br />

anderen Neu-Hamburger sein Haus<br />

und die dort ausgestellte Kunst wahrnehmen<br />

würden. Was ist ihnen an<br />

Kunst wichtig? Welche Fragen stellen<br />

sie an die Kunst? Sehen sie unsere klassische,<br />

unsere moderne und auch die<br />

aktuelle Kunst vielleicht ganz anders?<br />

Besonders, wenn sie aus einem anderen<br />

Kulturkreis zu uns gekommen sind?<br />

Vogtherr lud also zwölf interessierte<br />

Neu-Hamburger in die Kunsthalle ein.<br />

Man lernte sich im Rahmen von sechs<br />

Workshops untereinander kennen,<br />

schaute sich in kiloschweren Katalogen<br />

Werke quer aus allen Jahrhunderten an,


Delphine Takwi<br />

Die Frau auf dem einen Bild sieht für mich aus wie eine Asylbewerberin. Sie sitzt in einer Unterkunft und weiß nicht, was sie machen soll.<br />

Ich frage mich beim Betrachten des Bildes: Sollen wir diese Frau in der Unterkunft lassen? Oder sollten wir sie nicht so unterstützen,<br />

dass sie eine Perspektive auf ein gutes Leben hat? Auf dem nächsten Bild sehe ich eine sehr selbstbewusste Frau. Sie hat alles erreicht,<br />

aber sie lernt immer noch mehr dazu. Und noch auf einem anderen Bild sehe ich eine Frau, die raucht, und alles ist ihr egal. Und so sehe<br />

ich in den Bildern viele Geschichten von Frauen. Ich komme aus Kamerun in Westafrika. In Altona engagiere ich mich bei dem Projekt<br />

„Stadtteil mütter“. Zu Open Access kam ich über eine Bekannte, auch weil ich mich sehr für interkulturelle Themen interessiere.<br />

Delphine Takwi steht vor der Serie „Untitled (Bus Riders I)“ von Cindy Sherman.


Stadtgespräch<br />

e-mobile-Landpartie.de<br />

inkl. B&B<br />

Heide Kadula und Khalil Balbisi<br />

Man sucht oft nach ästhetischen Bildern. Aber wir haben das Bild dieser alten Frau als<br />

Kontrapunkt gegen den Jugendlichkeitswahn gewählt. Früher stand man zu seinem Alter,<br />

das wird uns ja heute schwer gemacht. Aber irgendwann setzt sich das Alter doch durch.<br />

Die Frau ist müde, aber sie guckt wach. Wir sollten uns solche Bilder ansehen,<br />

um zufriedener zu werden. Und mich erinnert das Bild noch dazu an meine Mutter.<br />

Sie lebt schon lange nicht mehr, aber mir wird klar, was sie für uns acht<br />

Kinder getan hat, in sehr schwierigen Zeiten. Wir haben alle acht eine gute Position<br />

geschafft aufgrund ihrer Erziehung.<br />

Heide Kadula und Khalil Balbisi stehen vor dem Bild „Studie einer alten Frau“ von<br />

Balthasar Denner. Heide Kadula wurde 1943 in Westpreußen geboren. Sie floh mit ihrer<br />

Familie erst nach Thüringen, dann weiter nach Hamburg. Khalil Balbisi wurde 1944 in<br />

Jerusalem geboren, lebte dann in Jordanien und kam Mitte der1960er-Jahre nach Hamburg.<br />

ENGAGIEREN<br />

TAUFEN<br />

SINGEN<br />

PFLEGEN<br />

klickte sich durch die interne Datenbank,<br />

in der noch mal alle Werke verzeichnet<br />

sind.<br />

Dann tauchte man mit langen Listen<br />

in der Hand ab ins Depot, diskutierte<br />

viel, und am Ende wählte jeder<br />

die Werke aus, die gezeigt werden und<br />

die noch gehängt werden mussten. Dabei<br />

zeigte sich, dass manchmal ein Bild<br />

eine Wand für sich alleine braucht,<br />

kein anderes Bild neben sich duldet,<br />

und dass eine gute Hängung noch mal<br />

eine Kunst für sich ist.<br />

Nun ist diese gemeinsame Auswahl<br />

in der Kunsthalle zu sehen, und es stellen<br />

sich nicht nur einzelne Gemälde<br />

und Papierarbeiten, Zeichnungen und<br />

Fotoarbeiten dem Publikum, sondern<br />

auch das Ausstellungskonzept.<br />

„Ob das, was wir hier probieren,<br />

funktioniert, werden wir sehen“, sagt<br />

Vogtherr. Ihn beschäftigt eine Frage<br />

sehr: „Wie werden wir ein Museum für<br />

immer mehr Hamburger und Hamburgerinnen?“<br />

Er hat da einen ganz praktischen<br />

Zugang: „Wenn man einmal um<br />

die Kunsthalle herumgehen würde, was<br />

ja nicht geht wegen der Bahngleise,<br />

dann schaut man in vier verschiedene<br />

Richtungen: die Außenalster, die Innenstadt,<br />

man hat den Hauptbahnhof und<br />

man hat St. Georg. Bisher sprechen wir<br />

nicht mit gleicher Intensität in alle vier<br />

Richtungen. Aber das ist genau das,<br />

was ich erreichen möchte.“ •<br />

Kontakt: frank.keil@hinzundkunzt.de<br />

Hamburger Kunsthalle, Glockengießerwall<br />

5, Öffnungszeiten: Di–So,<br />

10–18 Uhr, Do, 10–21 Uhr, ab 6 Euro.<br />

Die Ausstellung endet am 27. August.<br />

TRAUERN<br />

INFORMIEREN<br />

HEIRATEN<br />

Das Leben<br />

steckt voller<br />

Fragen.<br />

43<br />

Wie können wir Ihnen helfen?


Hinz&<strong>Kunzt</strong> wird<br />

bei Wendula von<br />

Platen zum echten<br />

Kunstwerk:<br />

Sie verarbeitet<br />

das Magazin zu<br />

Collagen.<br />

Kunst von<br />

der Straße<br />

Neugier hält jung, findet Wendula von Platen.<br />

Bei ihren Streifzügen durch Hamburg wurde die<br />

Künstlerin zu einem Fan von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

TEXT: MISHA LEUSCHEN; FOTOS: LENA MAJA WÖHLER<br />

Wendula von Platen ist eine,<br />

die genau hinschaut<br />

im Leben – auch deshalb<br />

schlägt ihr Herz<br />

für Hinz&<strong>Kunzt</strong>. „Ich bin seit der ersten<br />

Stunde als Unterstützerin und Leserin<br />

dabei“, erzählt die 86-Jährige. Aus<br />

wandeln sich in ihren Bildern in wunderschöne<br />

abstrakte Landschaften voll<br />

Farbe und Energie.<br />

Doch Wendula von Platen fotografiert<br />

nicht nur. Aus etwas Vorhandenem<br />

etwas Neues zu schaffen, diesen<br />

Gedanken setzt sie auch mit ihren Colihrer<br />

Gabe, Dinge wahrzunehmen, an<br />

denen andere achtlos vorbeigehen,<br />

macht sie Kunst. Wenn sie mit ihrer<br />

Kamera durch die Stadt streift, dann<br />

geht sie ganz dicht ran an alte Container<br />

und Silvestermüll, an Obstschalen<br />

oder Bauschutt. Diese Überbleibsel ver-<br />

Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk<br />

44


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

lagen um. Aus Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Magazinen<br />

fertigt sie zarte, ausdrucksstarke<br />

Collagen, die aus Fotos und Grafiken<br />

neue Motive mit ganz eigener künstlerischer<br />

Handschrift entstehen lassen.<br />

Warum ausgerechnet Hinz&<strong>Kunzt</strong>?<br />

„Das Papier eignet sich so gut dafür“,<br />

sagt die Hamburgerin verschmitzt lächelnd<br />

– natürlich ist dies nicht der<br />

einzige Grund.<br />

Was ihr am Konzept des Straßenmagazins<br />

gefällt? „Hinz&<strong>Kunzt</strong> macht<br />

Menschen zu Geschäftspartnern auf<br />

Augenhöhe“, sagt sie. „Deshalb sage ich<br />

meinen Freundinnen immer, sie sollen<br />

den Verkäufern nicht nur Geld geben,<br />

sondern die Zeitung auch kaufen.“<br />

Die Geschichten von Menschen und<br />

wie sie ihr Schicksal meistern, interessieren<br />

Wendula von Platen. Das betrifft<br />

auch „ihre“ Stammverkäufer. Einer der<br />

ersten war Sigi. Bevor er Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />

Vertriebsmitarbeiter wurde, verkaufte er<br />

lange vor dem Supermarkt in ihrer<br />

Nachbarschaft. „Da hatte er eine echte<br />

Fangemeinde und ich gehörte dazu“, erzählt<br />

sie schmunzelnd.<br />

Dass er es weg von der Straße<br />

schaffte und er nicht mehr trinkt, freut<br />

sie immer noch. Bei einem Fest von<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> in der Fabrik trafen sich<br />

die beiden wieder, „und weil ich nichts<br />

bei der Tombola gewonnen hatte, hat<br />

Sigi mir eine Eieruhr geschenkt – eine<br />

grüne Paprika.“ Die tut in ihrer Küche<br />

immer noch ihren Dienst.<br />

Mit Menschen in Kontakt zu kommen,<br />

fällt der ehemaligen Sekretärin<br />

der Internationalen Schule leicht.<br />

„Neugier – die Gier auf Neues – ist das<br />

Freunde<br />

Reißen, schneiden, kleben: Mit viel Geduld<br />

und einem guten Gespür für Proportion<br />

entsteht aus Vorhandenem etwas Neues.<br />

beste Rezept gegen das Altwerden!“,<br />

findet sie. Souverän geht sie mit dem<br />

Computer um, teilt sich ein Atelier mit<br />

einem Freund und einer Freundin, demonstriert<br />

für Europa, reist gern und<br />

geht mit wachen Augen durch die Welt.<br />

Ihre vielen Eindrücke verarbeitet<br />

die Mutter zweier erwachsener Kinder<br />

in ihrer Kunst. Sie ist bei einer Schreibwerkstatt<br />

dabei, macht Ausstellungen<br />

ihrer Fotos und Collagen. Künstlerisches<br />

Talent, glaubt sie, liege in der Familie:<br />

„Mein Urgroßvater war Architekt<br />

und ein genialer Zeichner.“ Eine<br />

Zeichnung, die er für seine Frau gemacht<br />

hat, hängt in ihrer Wohnung.<br />

„Kunst bleibt“, da ist sich Wendula von<br />

Platen sicher. •<br />

JA,<br />

ICH WERDE<br />

MITGLIED<br />

IM HINZ&KUNZT-<br />

FREUNDESKREIS.<br />

Damit unterstütze ich die<br />

Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

Meine Jahresspende beträgt:<br />

60 Euro (Mindestbeitrag für<br />

Schüler/Studenten/Senioren)<br />

100 Euro<br />

Euro<br />

Datum; Unterschrift<br />

Ich möchte eine Bestätigung<br />

für meine Jahresspende erhalten.<br />

(Sie wird im Februar des Folgejahres zugeschickt.)<br />

Meine Adresse:<br />

Name, Vorname<br />

Straße, Nr.<br />

PLZ, Ort<br />

Telefon<br />

E-Mail<br />

Beruf<br />

Geburtsjahr<br />

Einzugsermächtigung:<br />

Ich erteile eine Ermächtigung zum<br />

Bankeinzug meiner Jahresspende.<br />

Ich zahle: halbjährlich jährlich<br />

IBAN<br />

Wir danken allen, die im Juni an uns<br />

gespendet haben, sowie allen Mitgliedern<br />

im Freundeskreis von Hinz&<strong>Kunzt</strong> für die<br />

Unterstützung unserer Arbeit!<br />

DANKESCHÖN EBENFALLS AN:<br />

• IPHH • wk it services<br />

• Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />

• Hamburger Tafel<br />

Dankeschön<br />

45<br />

• Axel Ruepp Rätselservice<br />

• Hamburger Kunsthalle<br />

• bildarchiv-hamburg.de<br />

• B2Run Smith & Nephew<br />

• Spenden bei der Trauerfeier<br />

für Helga Krause<br />

• HSV-Freundeskreis Stellingen,<br />

Barkassenfahrt vor dem letzten Heimspiel<br />

• Fahrtensegler Karlsruhe e.V. und Rolf Drähter<br />

BIC<br />

Bankinstitut<br />

Wir versichern, dass Ihre Angaben nur für interne<br />

Zwecke bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> verwendet werden. Ihre<br />

Mitgliedschaft im Freundeskreis ist jederzeit kündbar.<br />

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Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis<br />

Altstädter Twiete 1-5, 20095 Hamburg<br />

Oder online im Freundeskreis anmelden unter<br />

www.hinzundkunzt.de/freundeskreis<br />

HK <strong>293</strong>


Buh&Beifall<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>293</strong>/JULI <strong>2017</strong><br />

Was unsere Leser meinen<br />

„Man kann selbst entscheiden, ob man etwas geben möchte“<br />

„Schwachsinnige Hotline“<br />

H&K Online und Seite 15, Bahn nimmt<br />

Bettler ins Visier<br />

Klar kommt es immer mal vor,<br />

dass jemand um Geld bittet, aber ich<br />

habe mich nie belästigt gefühlt. Über<br />

die Musik hab ich mich oftmals gefreut.<br />

Ich finde, die Leute sind immer zurückhaltend<br />

und nicht penetrant fordernd.<br />

Man kann selbst entscheiden, ob man<br />

etwas geben möchte oder nicht. Auch<br />

wenn man nichts gibt, sind die Leute<br />

eigentlich immer freundlich und wünschen<br />

noch einen schönen Tag. Prinzipiell<br />

kann die Bahn schwachsinnige<br />

Hotlines ins Leben rufen wie sie will.<br />

Wenn niemand sie nutzt, tut’s niemandem<br />

weh. VIOLA HORNSCHEUER VIA FACEBOOK<br />

Es gibt genug andere Möglichkeiten<br />

an Geld zu kommen, als eh schon<br />

genervten Fahrgästen in der S-Bahn<br />

mit irgendwelcher Musik auf die Nüsse<br />

zu gehen!<br />

MARTEN FREUND VIA FACEBOOK<br />

„Das gibt es nur in Hamburg“<br />

H&K Online und Seite 6, Trauermarsch<br />

Es ist schön zu sehen, wie ihr von<br />

Peter Abschied genommen habt.<br />

INA ERNST VIA FACEBOOK<br />

Das gibt es nur in Hamburg, da<br />

sind Obdachlose noch Menschen.<br />

STEFAN MARTIN VIA FACEBOOK<br />

„Unbedingt sanieren!“<br />

H&K Online und Seite 36, City-Hof:<br />

Abrissdebatte geht weiter<br />

Unbedingt sanieren! Es gibt einen<br />

guten Entwurf von Gerkan, Marg und<br />

Partner, was beweist, dass es geht.<br />

Vielleicht vertraut man ja mal auf die<br />

Expertise namhafter Architekten.<br />

Der Denkmalschutz in der ohnehin<br />

zu Recht „Abrissstadt“ genannten<br />

Metropole Hamburg nimmt weiter<br />

Schaden. Er ist ja eigentlich schon eine<br />

Lachnummer. NILS KRAMAR VIA FACEBOOK<br />

Dickes Lob<br />

H&K allgemein<br />

Die Artikel sind spannend<br />

(fesselnd), fein geschrieben und<br />

ohne Rechtschreibfehler, wie ich sie<br />

anderswo zuhauf finde. Die bei dem<br />

Zen tralthema „Obdachlosigkeit“<br />

nahe liegende Larmoyanz fehlt völlig.<br />

Die Aufmachung kommt professionell<br />

daher. Ich bin begeistert. KARL-HEINZ PÜTZ<br />

Leserbriefe geben die Meinung des<br />

Verfassers wieder, nicht die der Redaktion.<br />

Wir behalten uns vor, Leserbriefe zu kürzen.<br />

HAMBURGER NEBENSCHAUPLÄTZE<br />

DER ETWAS<br />

ANDERE<br />

STADTRUNDGANG<br />

SCHNELL<br />

SCHALTEN<br />

Anzeigen: 040/28 40 94-0<br />

anzeigen@hinzundkunzt.de<br />

Wollen Sie Hamburgs City einmal mit anderen Augen sehen?<br />

Abseits der teuren Fassaden zeigt Hinz&<strong>Kunzt</strong> Orte, die in<br />

keinem Reiseführer stehen: Bahnhofs mission statt Rathausmarkt,<br />

Drogenberatungsstelle statt Alsterpavillon, Tages aufent halts stätte<br />

statt Einkaufspassage.<br />

Anmeldung: info@hinzundkunzt.de<br />

oder Telefon: 040/32 10 83 11<br />

Kostenbeitrag: 10/5 Euro<br />

nächste Termine: 16.7. + 30.7.<strong>2017</strong>, 15 Uhr<br />

trostwerk - andere bestattungen


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Echter Gentleman: Musiker Carsten Friedrichs liebt Fußball, Selbstironie und „Eis-Gerd“ (S. 48).<br />

Großer Mut: Hinz&Künztler Gerold stellt sich seinen Ängsten – auch beim Zahnarzt (S. 58).<br />

Neuer Comic: Unser Maskottchen Dodo Dronte trifft beim G20-Gipfel auf die Polizei (S. 56).<br />

Veränderung kommt von<br />

innen: Die Kunstaktion<br />

„1000 Gestalten“ im Vorfeld<br />

des G20-Gipfels soll<br />

zeigen, dass Menschen ihre<br />

Last ablegen können, um<br />

frei zu leben (S. 53).<br />

FOTO: CHRISTIAN ANGL


Wenn er nicht auf der Bühne<br />

steht, trifft man Musiker<br />

Carsten Friedrichs regelmäßig<br />

als Gast auf Fußballplätzen an.<br />

„Ich bin ja kein Idiot“<br />

Seit mehr als 20 Jahren schreibt der Hamburger Musiker Carsten Friedrichs<br />

Songtexte über ehrliche Männer, besoffene Esel und aussterbende Kneipen:<br />

erst für „Superpunk“, seit 2012 für „Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen“.<br />

Davon leben kann er nicht. Warum weigert er sich trotzdem aufzugeben?<br />

INTERVIEW: SIMONE DECKNER<br />

FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE, MARTIN MORRIS (BAND)


Kunz&Kult<br />

Wichtig ist auf dem Platz, so will es<br />

eine Fußballerweisheit. Manchmal<br />

ist aber auch wichtig, was neben<br />

dem Platz passiert. Etwa, wenn<br />

Fußballfan und Musiker Carsten Friedrichs auf<br />

der legendären Adolf-Jäger-Kampfbahn in Ottensen<br />

mit Blechspielern posiert. Zuvor hat der<br />

45-Jährige mit Hinz&<strong>Kunzt</strong> über Bauerntricks,<br />

Talentlosigkeit und zu eng gewordene T-Shirts<br />

gesprochen.<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Carsten, auf eurem neuen Album* singst<br />

du zu gewohnt schmissiger Musik: „Jungs kommt,<br />

wir geben jetzt auf!“ Wann hattest du zuletzt das Gefühl:<br />

„Ich habe keinen Bock mehr?“<br />

CARSTEN FRIEDRICHS: Eigentlich nie. Ich kenne aber ein<br />

paar Kollegen, die die Flinte ins Korn geschmissen<br />

haben. Es gibt tolle, talentierte Musiker, aber deren<br />

Können und Kreativität stehen in einem eklatanten<br />

Missverhältnis zu deren öffentlicher Wahrnehmung<br />

und Erfolg.<br />

Von der Musik allein kannst du auch nicht leben,<br />

dafür mit Musik. Du arbeitest als Booker bei eurem<br />

Label Tapete Records. Wärst du glücklicher,<br />

wenn du den Brotjob nicht zusätzlich bräuchtest?<br />

Welcher Musikfan wünscht sich nicht, bei einem<br />

coolen Indielabel zu arbeiten? Ich bin Musikfan<br />

und Tapete ist ein cooles Indielabel. Perfekt!<br />

Wolltest du schon als Kind Musiker werden?<br />

Ja, im Dezember 1980, als John Lennon gestorben<br />

ist, haben sie auf dem Ersten den Beatles-Film „Hi-<br />

Hi-Hilfe!“ gezeigt. Wie das anfängt, wo sie da<br />

„Help!“ spielen, da dachte ich, das finde ich toll, das<br />

will ich auch mal machen! Da war ich acht Jahre alt.<br />

Dann hast du direkt verkündet: „Ich werde Musiker!“<br />

Nee, ich bin auch total unmusikalisch. Ich habe<br />

mir auch nie zugetraut, ein Instrument zu spielen.<br />

Meine Eltern haben mir eine Blockflöte geschenkt<br />

und Unterricht an der Volkshochschule spendiert,<br />

aber ich war total talentlos.<br />

Sagst du.<br />

Nee, wirklich! Irgendwann, so Mitte der 1980er,<br />

habe ich durch einen Kumpel all diese britischen<br />

Indie-Bands kennengelernt, so C86- und Sarah Records-Zeugs<br />

(bekannt für Twee- und Gitarren-Pop, die<br />

Red.) Da dachte ich: „Mensch, die treffen ja auch<br />

keinen Ton! Spricht mich an, die Musik, wunderbar!<br />

Jetzt kann ich das auch.“ Dann habe ich halt<br />

versucht, Stücke zu machen mit den drei Akkorden,<br />

die ich auf der Gitarre konnte (lacht).<br />

49


Es ist voll okay,<br />

diese Band zu lieben<br />

(von links): Philip M.<br />

Andernach, Carsten<br />

Fiedrichs, Heiko<br />

Franz, Tim Jürgens,<br />

Gunther Buskies.<br />

Trotz deiner Selbstzweifel wolltest du auf<br />

die Bühne?<br />

Ja, natürlich. Das ist jetzt auch bei der<br />

neuen Band so. Das sind ganz tolle, talentierte<br />

Musiker. Alleine wäre das natürlich<br />

Schrott. Aber mit Leuten zusammen,<br />

die einen ähnlichen Spirit<br />

haben, kann das dann ganz toll werden.<br />

So war das damals, so ist es jetzt.<br />

„Selbstironisch zu<br />

sein ist leichter,<br />

als sich ernst<br />

zu nehmen.“<br />

CARSTEN FRIEDRICHS<br />

In „Der große Kölner Pfandflaschenbetrug“<br />

singst du über den Mann, der 2013 in Köln<br />

eine Pfandflasche so manipuliert hat, dass er<br />

sie immer wieder verwenden konnte. Er hat<br />

mehr als 40.000 Euro damit ergaunert.<br />

Was interessiert dich an den Gaunern?<br />

Über große Gefühle haben schon etliche<br />

Leute vor mir gesungen. Das ist irgendwie<br />

langweilig, zu diesem Kanon<br />

kann ich nichts Gutes mehr beitragen.<br />

Da habe ich diesen Artikel in der Zeitung<br />

gelesen und dachte „Mensch, das<br />

ist doch mal was! Da will ich jetzt der<br />

Erste sein, der über den Kölner Pfandflaschenbetrüger<br />

was singt.“ Das ist sowieso<br />

das A und O bei Musik: Sei nicht<br />

langweilig! Mach was du willst, aber sei<br />

nicht langweilig.<br />

Viele deiner Texte sind selbstironisch: Von<br />

„Ich habe keinen Hass auf die Reichen / ich<br />

möchte ihnen nur ein bisschen gleichen“ bis<br />

zum neuen „Liebe wohnt hier nicht mehr“.<br />

Wie wichtig ist Selbstironie als Stilmittel?<br />

Selbstironisch zu sein ist leichter, als<br />

sich ernst zu nehmen. Mit Inbrunst zu<br />

texten ist schwieriger. Aber vielleicht<br />

fehlt mir da auch die Selbstdistanz.<br />

In „Eine Tragödie kommt niemals allein“<br />

trauerst du um David Bowie und die Tatsache,<br />

dass du nicht mehr in dein altes Bowie-<br />

Fan-Shirt passt. Das ist sehr selbstironisch.<br />

Das kann jeder selbst entscheiden. Verfettung,<br />

Altwerden, Tod – das sind ernste<br />

Themen. Hätten wir da nur Moll-<br />

Akkorde genommen, würden wir jetzt<br />

vermutlich gar nicht darüber diskutieren,<br />

wie das gemeint ist. Das ist der<br />

Bauerntrick, den wir uns von Motown<br />

(legendäres Soul- und R&B-Label, die Red.)<br />

abgeguckt haben: fröhliche, tolle Musik<br />

mit todtraurigen Texten. Das ist keine<br />

Raketentechnik. Man muss es nur machen<br />

(lacht).<br />

Ihr habt auch schon einen Song über ein<br />

Heim für besoffene Esel in England gemacht.<br />

Ja, ich habe mal gelesen, dass viele<br />

Lasten esel in England alkoholabhängig<br />

waren, weil die mit Bier abgefüllt wurden.<br />

Das war schon ein Problem. Die<br />

wurden dann notgeschlachtet. Und<br />

50<br />

dann gab es 1969 eine Mrs. Svendsen,<br />

die ein Eselsrefugium eröffnet hat. Seither<br />

können die alle in Frieden ihren Ruhestand<br />

dort verbringen.<br />

Und was hat es mit dem neuen Song über<br />

„Eis-Gerd“ auf sich?<br />

Da geht es um eine Kneipe in der<br />

Strese mannstraße in Altona. Eis-Gerd<br />

war der Wirt, mit dem haben wir uns<br />

gut verstanden. Bevor wir zum Fußballgucken<br />

gegangen sind, haben wir<br />

uns da oft auf einen Kaffee oder ein<br />

Bier getroffen. Eis-Gerd war klasse.<br />

Der hatte mal einen Song verdient.<br />

Und es kann ja auch nicht sein, dass<br />

es über die Lieblingskneipe nur den<br />

einen Song von Peter Alexander gibt<br />

(„Die kleine Kneipe“, die Red.).<br />

Aber Eis-Gerd gibt es nicht mehr?<br />

Nein, vor zehn Jahren ist er in Rente gegangen<br />

und hat keinen Nachfolger gefunden.<br />

Jetzt ist da, wo er früher war, ein<br />

Laden mit Spezialfuttermittel für Bodybuilder<br />

drin. Schon ein bisschen traurig.<br />

Ist „Song über Eis-Gerd“ eine Ode an ein<br />

Stück verloren gegangenes Hamburg?<br />

Also, wenn ich Songs schreibe, bin ich im<br />

Hier und Jetzt, genauso, wenn ich die<br />

singe. Aufgrund von Fantasielosigkeit<br />

singe ich halt gerne oder fast ausschließlich<br />

über Sachen, die ich kenne.<br />

Also nicht: Früher war alles besser?<br />

Nö, früher war es anders, aber auch<br />

scheiße. Es gibt da diesen Song von den


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Buzzcocks: Da wird der Sänger nostalgisch<br />

über ein Zeitalter, das erst noch<br />

kommen muss. Das finde ich einen<br />

ganz schönen Satz.<br />

Du hast vorhin schon über Fußball<br />

gesprochen. Du bist Fan vom HSV und von<br />

Altona 93. Wie geht das zusammen?<br />

Ganz gut, wenn die nicht zeitgleich<br />

spielen. Ich bin ja nicht so verbissen, ich<br />

bin ja kein Idiot. Ich gehe halt gerne<br />

zum Fußball.<br />

Darf man nicht nur einen Verein haben?<br />

Wer sagt das denn?<br />

Fußballfans.<br />

Kann sein, dass es solche gibt, aber die<br />

wären mir dann zu verbohrt, und die sind<br />

auch nicht in meinem Freundeskreis.<br />

Das ist also kein Problem, auch wenn Altona<br />

93 eher für Arbeiterklasse und der HSV für<br />

etwas Elitäres steht?<br />

Ich glaube, Altona 93 wurde von Reedern<br />

gegründet.<br />

Von Kaufleuten und Gymnasiasten.<br />

Also, so richtig Arbeiterklasse ist das<br />

auch nicht.<br />

Altona 93 ist just in die Regionalliga<br />

aufgestiegen. Der Verein hat sich geweigert<br />

aufzugeben, um einen „Superpunk“-Hit zu<br />

zitieren. Warum weigerst du dich aufzugeben?<br />

Eigentlich ist der Text von „Ich weigere<br />

mich aufzugeben“ ziemlich mies, was<br />

mir damals gar nicht so bewusst war. Es<br />

gibt ja unglaublich viele solcher Durchhaltesongs.<br />

Irgendwie nerven die alle,<br />

aber der ist ganz flott gespielt und komponiert.<br />

So ein nachgemachter Northern-Soul-Beat<br />

zu dem Text, das kann<br />

man schon mal machen. Eigentlich sollte<br />

man aber schon öfter mal etwas aufgeben,<br />

Rauchen zum Beispiel. •<br />

Kontakt: simone.deckner@hinzundkunzt.de<br />

Konzert: 14.7., Hafenklang, Große Elbstraße<br />

24, 20 Uhr, 15 Euro. Am selben<br />

Tag erscheint das neue Album „It’s OK<br />

To Love DLDGG“ bei Tapete Records.<br />

51<br />

Kolumne<br />

30 Jahre Fury:<br />

Uh-uh-uh-ah!<br />

Von Simone Deckner<br />

Ja, Hannoveraner hatten es<br />

nie leicht, gerade in den<br />

1980ern: nur Onkel Hotte<br />

auf FFN, „Kochlöffel“ in der<br />

City und der CDU-Biedermann<br />

Ernst Albrecht als Regierender.<br />

Dann tauchten Fury<br />

in the Slaughterhouse auf.<br />

Die klangen so gar nicht nach<br />

Passerelle, sondern nach großer,<br />

weiter Welt. Ich grölte zu<br />

„Won’t Forget These Days“.<br />

Später kamen Nirvana.<br />

Furys Ende 2008 bekam<br />

ich nicht mehr mit. „Wir kotzten<br />

uns nur noch an“, sagt Gitarrist<br />

Christof Stein-Schneider<br />

(Foto: links). Danach<br />

kümmerten sie sich um andere:<br />

um Obdachlose etwa, denen<br />

sie seit 2011 ehrenamtlich<br />

Weihnachtsessen servieren.<br />

Oder um Schüler. Gemeinsam<br />

mit einem Ex-Knacki<br />

gibt Drummer Rainer Schumann<br />

(Foto: rechts) Trommelworkshops<br />

zur Suchtprävention.<br />

Zu ihrem 30-Jährigen<br />

spielen Fury nun wieder live.<br />

Kein „furyoses“ Comeback,<br />

Ende <strong>2017</strong> ist wieder Schluss.<br />

„Wir wollen nicht mehr in<br />

die alte Mühle hinein“, sagen<br />

sie. Davor kann ich noch mal<br />

mitgrölen: Uh-uh-uh-ah! •<br />

Verlosung: Für das ausverkaufte<br />

Konzert am 14. 7. im Stadtpark<br />

verlosen wir 1 x 2 Tickets. Mail<br />

bis 12.7. an: blog@hinzundkunzt.<br />

de, Betreff: Fury-Tickets.<br />

Mo, 13.11., Fury Akustikkonzert,<br />

Laeiszhalle, Johannes-Brahms-<br />

Platz, 20 Uhr, Tickets ab 41 Euro<br />

FOTO: ANDREAS HORNOFF<br />

<br />

NAS<br />

<br />

HOUSE OF PAIN<br />

<br />

ELTON JOHN & BAND<br />

<br />

BAD RELIGION<br />

<br />

M5 MEXICAN BRASS<br />

<br />

PAPA ROACH<br />

<br />

JOHN LEGEND<br />

<br />

PHOENIX<br />

<br />

TORI AMOS<br />

<br />

MIKE + THE MECHANICS<br />

<br />

ELIF<br />

<br />

MACHINE GUN KELLY<br />

<br />

KASALLA<br />

<br />

ROBIN SCHULZ<br />

<br />

BRIT FLOYD<br />

<br />

ASTRID S<br />

<br />

NILS LANDGREN FUNK UNIT<br />

<br />

DUA LIPA<br />

<br />

CHRIS REA<br />

<br />

SYLVAN ESSO<br />

<br />

ANATHEMA<br />

<br />

KASABIAN<br />

<br />

JOHANNES OERDING<br />

<br />

ENTER SHIKARI<br />

<br />

MICHAEL PATRICK KELLY<br />

<br />

A-HA<br />

<br />

ERASURE<br />

TICKETS: KJ.DE


Kult<br />

Tipps für den <strong>Juli</strong>:<br />

subjektiv und<br />

einladend<br />

Ausstellung<br />

Ein Vierteljahrhundert für die Kunst<br />

Zeitlos gut: Das Plakat von Künstlerin<br />

Mette Ohlsen entstand 1968 an der HFBK.<br />

Mit dem Auftrag „zur Verbesserung<br />

der Zeichenkunst“ öffnete die Hochschule<br />

für bildende Künste (HFBK)<br />

1767 erstmals ihre Türen. 250 Jahre<br />

später zeigt sie, wie sie diesem Anspruch<br />

gerecht geworden ist: Bei der<br />

großen Absolventenausstellung in der<br />

Aula der Hochschule sind neben Bildern<br />

auch Installationen, Filme, Skulpturen<br />

und Fotos zu sehen. Dazu gibt es<br />

Symposien zum Thema Kunstbetrieb<br />

und Vermarktung. Mit der Ausstellung<br />

beginnt auch die Präsentation der<br />

Workshop-Ergebnisse des internationalen<br />

Netzwerks Art School Alliance, in<br />

der Studierende und Dozenten zu aktuellen<br />

Entwicklungen der Kunstwelt forschen.<br />

Die Präsentation wird begleitet<br />

von einer Performance der Kitchen<br />

Guerilla, die mit ihrer mobilen Küche<br />

das Kochen als Kulturgut zelebriert. •<br />

Hochschule für bildende Künste, Lerchenfeld<br />

2, ab Do, 13.7., 19 Uhr, Eintritt frei,<br />

www.hfbk-hamburg.de<br />

52


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

FOTOS: ROLF FRANCK (S. 52), GÉRARD PLEYNET (OBEN), KOLLEKTIV FÜR ALTERNATIVEN<br />

Theater<br />

Profi-Ensembles mit und ohne Handicap<br />

Raus aus der „Behinderten“-Schublade und rauf auf die Bühne: Das AusSicht-<br />

Festival im Monsun Theater stellt ausdrucksstarke Menschen mit und ohne<br />

Handicap ins Rampenlicht. Fünf professionelle Ensembles aus Deutschland und<br />

Schweden kommen zum Gastspiel – zunächst die „Blindgänger“ aus München,<br />

die in ihrem Stück „CloseUp“ einen engen Raum bespielen, dessen Grenzen<br />

sie erst wagemutig ausloten müssen. Beim Stück „Die Zeitraffer“ stellen<br />

„Die Azubis“ und das „Klabauter Theater“ Zeitdruck und Müßiggang infrage. •<br />

Monsun Theater, Friedensallee 20, Mi, 12.7., bis Sa, 15.7., Eintritt Eröffnung frei,<br />

Bühnenstücke je 14/10 Euro, www.monsun.theater<br />

Ausstellung<br />

Gipfel für eine bessere Weltordnung<br />

Ist der Kapitalismus bereits Geschichte? Aus Sicht der Affenfaust Galerie schon.<br />

Deshalb hat sie das „Museum des Kapitalismus“ eingeladen. Die Künstler aus<br />

Berlin zeigen anlässlich des G20-Gipfels, dass Alternativen möglich sind und<br />

stellen witzige und pragmatische<br />

Ideen für eine<br />

postkapitalistische Gesellschaft<br />

aus. Das Publikum<br />

darf anfassen, ausprobieren<br />

und in Workshops eigene<br />

Utopien entwickeln.<br />

Zeitgleich läuft eine<br />

Ausstellung von Abdalla<br />

Al Omari: Der syrische<br />

Künstler porträtiert<br />

Staatsoberhäupter<br />

als Vertriebene. •<br />

Affenfaust Galerie,<br />

Paul-Roosen-Straße 43, ab<br />

Sa, 1.7., 19 Uhr, Eintritt frei,<br />

www.affenfaust.org<br />

Hart an der Grenze<br />

bewegen sich<br />

die „Blindgänger“<br />

auf ihrer Bühne.<br />

Das ist doch der Gipfel: Zu G20 zeigt die Affenfaust<br />

Galerie Entwürfe für eine postkapitalistische Gesellschaft.<br />

Draußen<br />

Gestalten brechen aus<br />

Stumpfen Blickes schleppen sich die<br />

„1000 Gestalten“ durch Hamburg –<br />

alle in lehmverkrusteten Anzügen. Bis<br />

eine von ihnen ausbricht und sie alle<br />

entdecken, dass sie Menschen sind.<br />

Die Kunstperformance zum Protest<br />

gegen den G20-Gipfel soll die Befreiung<br />

von einem System symbolisieren,<br />

das vereinzelt und hilflos macht. •<br />

1000 Gestalten, Mi, 5.7., 12:30 Uhr, Ort<br />

siehe Webseite: www.1000gestalten.de<br />

Kinder<br />

Krach auf der Theaterbühne<br />

Strom gewinnen aus Musik? Klingt<br />

gut – doch beim Kindertheaterstück<br />

„Supervox“ endet die Idee im totalen<br />

Klangchaos. Der dubiose Politiker<br />

Dr. Phistler verspricht, wieder Ruhe<br />

einkehren zu lassen. Dabei schmiedet<br />

er finstere Pläne. Wer kann ihn<br />

stoppen? Zwei arbeitslose Musiker<br />

nehmen die Herausforderung an. •<br />

Lichthof Theater, Bahrenfelder Chaussee<br />

14, So, 9.7., 15 Uhr, Eintritt 12/6 Euro<br />

www.lichthof-theater.de<br />

Konzert<br />

Gospel im Einkaufszentrum<br />

Mit einem Flashmob in der Europapassage<br />

machten die Sänger des Jeremy<br />

Winston Chorale im vergangenen<br />

Sommer Wirbel. Nun ist der für einen<br />

Grammy nominierte Gospelchor im<br />

Einkaufszentrum Alstertal zu hören.<br />

Tags darauf gibt es ein offizielles<br />

Konzert in der St.-Gertrud-Kirche. •<br />

Alstertal Einkaufszentrum, Heegbarg 31,<br />

Mo, 10.7., 17 Uhr, Eintritt frei,<br />

www.alstertal-einkaufszentrum.de<br />

Draußen<br />

Kultig und jugendfrei<br />

Worauf Teenager abfahren, wissen<br />

sie selbst am besten. Das Daughterville<br />

Festival in Wilhelmsburg wird<br />

komplett von Jugendlichen gemacht<br />

und wartet diesmal mit Stars wie<br />

Sookee, Bergfilm und Amewu auf. •<br />

Daughterville, Alte Schleuse, Sa, 15.7.,<br />

13 Uhr, 11 Euro, www.daughterville.de<br />

53


Ausstellung<br />

heliumcowboy feiert Geburtstag<br />

Große Figuren mit schwarzen Gesichtern:<br />

So arbeitet sich Boris Hoppek am<br />

Thema Rassismus ab. Zum 15. Geburtstag<br />

der Galerie heliumcowboy<br />

zeigt er seine Werke – Ehrensache für<br />

den Künstler und langjährigen Freund<br />

des Hauses. Die Underground-Galerie<br />

setzt auf das Konzept „Talent vor Prestige“<br />

und zeigt auch Autodidakten, die<br />

keine Akademie durchlaufen haben.<br />

Dafür halten Szenegrößen ihr die<br />

Treue: Streetart-Künstler wie The London<br />

Police stellen zum Geburtstag<br />

ebenso aus wie „New York Times“-<br />

Illus trator Gary Taxali und Pop-Surrealist<br />

Victor Castillo. 55 Künstler sind<br />

Künstler Boris Hoppek arbeitet seit Gründung<br />

der Galerie mit heliumcowboy zusammen.<br />

bis Ende August dabei. Zur Vernissage<br />

am Samstag wird gegrillt, am Vorabend<br />

diskutieren Gründer Jörg Heikhaus,<br />

Jannes Vahl und Ralf Krüger<br />

über Hamburg als Kunststandort. •<br />

heliumcowboy artspace, Bäckerbreitergang<br />

75, ab Sa, 15.7., 15 Uhr, Eintritt frei,<br />

www.heliumcowboy.com<br />

54


FOTOS: HELIUMCOWBOY (S. 54), CHRISTOFER SCHWARZ (OBEN), PRIVAT<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Bühne<br />

Ohrenzeuge werden beim Live-Hörspiel<br />

Ein gellender Schrei – war der etwa echt? Beim Live-Hörspiel „Mord im 5. Akt“<br />

sollte der Tod eigentlich nur zum Schein über die Bühne gehen. Doch das<br />

Theatermesser war geschärft, ein Schauspieler ist tot und vom Mörder keine<br />

Spur. War es die neidische Zweitbesetzung? Eine Verschwörung in der Requisite?<br />

Das Ermittlerduo Kommissarin Wandsbek und Claas Bahrenfeld nimmt hinter<br />

den Kulissen die Fährte auf. Auch das Publikum darf die Ohren spitzen:<br />

Wer beim Hörspiel der Krimi Komplizen genau hinhört, kommt dem Mörder<br />

vielleicht noch vor den Ermittlern auf die Spur. •<br />

Nachtasyl, Alstertor 1, So, 16.7., 20 Uhr, Eintritt 5 Euro, www.nachtasyl.de<br />

Mörderjagd mit Saiteninstrumenten: Beim Hörspiel im Nachtasyl ist auch die Musik live.<br />

Konzert<br />

Saint rappt über seine Flucht<br />

Als Teenager flüchtete Saint aus<br />

Gambia nach Schweden. Hip-Hop<br />

wurde sein Ventil und seine neue<br />

Zukunft: Die Musik des heute<br />

20-Jährigen erzählt von Abschiebebescheiden<br />

und zähen Terminen bei<br />

Sozialarbeitern, seine Single „Chillin“<br />

lief 2015 als einer der angesagtesten<br />

Rapsongs im schwedischen Radio.<br />

Jetzt bringt Saint sein erstes Album<br />

„The New Funky Dread“ auf die<br />

Bühne: Traditionelle Beats seiner<br />

Heimat schwingen mit, der Groove<br />

macht die Lethargie zwischen Flüchtlingscamp<br />

und Behördengängen<br />

spürbar. Doch auch Hoffnung ist zu<br />

hören: Saints futuristisch anmutende<br />

Musik ist so funky, dass das Publikum<br />

auf der Tanzfläche die Füße kaum<br />

stillhalten kann. •<br />

Mojo Jazz Café, Reeperbahn 1, Sa, 22.7.,<br />

21 Uhr, Eintritt 15 Euro, www.mojo.de<br />

Literatur<br />

Poesie am Elbstrand<br />

Grillen am Strand und mit einem<br />

kühlen Getränk in der Hand den<br />

Pötten auf der Elbe nachschauen –<br />

da fehlt zum Sommerglück nur noch<br />

ein bisschen Poesie. Die „Poets on the<br />

Beach“ kümmern sich darum und<br />

laden im 20. Jahr zur Best-of-Lesung<br />

unter freiem Himmel ein. Die<br />

Hamburger Autoren Lars Dahms,<br />

Gunter Gerlach, Alexander Posch<br />

und Michael Weins tragen kurze<br />

Texte und Gedichte vor. •<br />

Elbstrand Oevelgönne, rechts von der<br />

„Strandperle“, So, 30.7., 18 Uhr, Eintritt<br />

frei, Spenden willkommen,<br />

www.writersroom.de<br />

Über Veranstaltungshinweise<br />

freut sich Annabel Trautwein unter<br />

redaktion@hinzundkunzt.de<br />

Kinofilm des Monats<br />

Niveau trotz<br />

guter Laune<br />

Filme aus England können<br />

gleichzeitig die Klebrigkeit<br />

von Zuckerwatte haben, die<br />

Rotzigkeit eines Fischweibs<br />

übertreffen und Drama vom<br />

Feinsten sein. Dass dieses Rezept<br />

den Mainstream treffen<br />

kann, beweist die Romanverfilmung<br />

„Ihre beste Stunde“.<br />

Das Grundthema klingt<br />

jetzt erst einmal nicht nach<br />

seichtem Entertainment:<br />

London in Zeiten von Blitzkrieg<br />

und Naziterror. Es wird<br />

gebombt und gestorben. Propaganda<br />

und Durchhalteparolen<br />

halten die Guten und<br />

die Bösen auf Zack.<br />

Die junge Sekretärin Catrin<br />

und der Autor Tom arbeiten<br />

an einem Propagandafilm,<br />

der die Moral im<br />

Land stärken soll. Zur Seite<br />

steht ihnen der alternde Mime<br />

Ambrose (Bill Nighy).<br />

Der gehört zwar längst zum<br />

alten Eisen, profitiert jedoch<br />

davon, dass alle jungen Männer<br />

an der Front sind.<br />

Kontrastreich, komisch<br />

und nur am Ende doch noch<br />

etwas gewollt dramatisch<br />

windet sich das Trio durch<br />

Ehrgeiz und Begehren, Zweifel<br />

und Melancholie. Und<br />

während der Film dann so<br />

vor sich hin sprudelt, denkt<br />

man: „Hey, ist doch gar nicht<br />

so schwer, Gute-Laune-Kino<br />

mit Tiefgang zu machen.“<br />

Und dann bringen einen ausgerechnet<br />

die schlechtesten<br />

fünf Minuten des Films<br />

unsanft auf den Boden der<br />

Tatsachen zurück. Weniger<br />

Drama hätte am Schluss<br />

auch gereicht. •<br />

André Schmidt<br />

geht seit vielen<br />

Jahren für<br />

uns ins Kino.<br />

Er arbeitet in der<br />

PR-Branche.<br />

55


<strong>Kunzt</strong>&Comic<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>293</strong>/JULI <strong>2017</strong><br />

56


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Rätsel<br />

ILLUSTRATION (BLEISTIFT IM IMPRESSUM): BERND MÖLCK-TASSEL<br />

russischer<br />

Frauenname<br />

Gesteinskundler<br />

Auskunft<br />

(Kurzwort)<br />

das<br />

Besiegtwerden<br />

Stelle,<br />

wo etwas<br />

aufhört<br />

früherer<br />

Verwaltungsbeamter<br />

Rohr zur<br />

Bodenentwässerung<br />

Ostseebad<br />

bei<br />

Kiel<br />

schwedischer<br />

Königsname<br />

ausgestorbener<br />

Feuerld.-<br />

Indianer<br />

graben<br />

islamischer<br />

Name<br />

Jesu<br />

Angriff<br />

9<br />

8<br />

4<br />

1<br />

7<br />

8<br />

1<br />

2<br />

6<br />

5<br />

2<br />

7<br />

Sportart,<br />

Badminton<br />

Bruder<br />

und Rivale<br />

des<br />

Moses<br />

verschwunden<br />

Stadt<br />

in der<br />

Oberpfalz<br />

Umstürzler<br />

3<br />

4<br />

6<br />

1<br />

5<br />

Zweifaultier<br />

7<br />

3<br />

4<br />

8<br />

6<br />

4<br />

1<br />

süddeutsch:<br />

Gänserich<br />

Festkleidung<br />

Theaterplatz<br />

Prachtstraße<br />

(franz.)<br />

6<br />

2<br />

3<br />

5<br />

3<br />

3<br />

1<br />

5<br />

Tintengrobes<br />

Wolltuch<br />

Huftier<br />

mit<br />

Höcker(n)<br />

fressen<br />

(Rotwild)<br />

spanische<br />

Königin †<br />

(Kosename)<br />

Arbeitsgruppe<br />

(engl.)<br />

Kanton<br />

der<br />

Schweiz<br />

Autor von<br />

„Ariane“<br />

† 1931<br />

Mittelmeerhafen<br />

in Frankreich<br />

nach<br />

Art von<br />

(franz.)<br />

kurz für:<br />

in das<br />

vollständige<br />

Durchführung<br />

griech.<br />

in Obhut Göttin<br />

nehmen der Zwietracht<br />

ugs.:<br />

leicht<br />

krank<br />

(österr.)<br />

österr.<br />

Mime<br />

(Friedrich<br />

von ...)<br />

das Ich<br />

(Philosophie,<br />

Psychol.)<br />

erste, von<br />

Gott geschaffene<br />

Frau<br />

römischer<br />

Meergott<br />

Gründer<br />

der<br />

Sowjetunion<br />

†<br />

Diagramm<br />

der Hirnströme<br />

(Abk.)<br />

Lösungen an: Hinz&<strong>Kunzt</strong>, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />

per Fax an 040 32 10 83 50 oder per E-Mail an info@hinzundkunzt.de.<br />

Einsendeschluss: 28. <strong>Juli</strong> <strong>2017</strong>. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.<br />

Wer die korrekte Lösung für eines der beiden Rätsel einsendet, kann<br />

zwei Karten für die Hamburger Kunsthalle gewinnen oder eine von<br />

drei DVDs zum Film „Bob, der Streuner“ (Entertainment Kombinat).<br />

Das Lösungswort beim Kreuzworträtsel war: Optimismus. Die Sudoku-<br />

Zahlenreihe war: 517 982 364.<br />

6<br />

8<br />

2<br />

1<br />

8<br />

1<br />

2<br />

3<br />

7<br />

10<br />

8<br />

7<br />

9<br />

4<br />

2<br />

9<br />

AR1115-0316_6<br />

10<br />

Füllen Sie das Gitter so<br />

aus, dass die Zahlen von<br />

1 bis 9 nur je einmal in<br />

jeder Reihe, in jeder<br />

Spalte und in jedem<br />

Neun-Kästchen-Block<br />

vorkommen.<br />

Als Lösung schicken<br />

Sie uns bitte die<br />

unterste, farbig gerahmte<br />

Zahlenreihe.<br />

Impressum<br />

Redaktion und Verlag<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH<br />

Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg<br />

Tel. 040 32 10 83 11, Fax 040 32 10 83 50<br />

Anzeigenleitung Tel. 040 32 10 84 01<br />

E-Mail info@hinzundkunzt.de, www.hinzundkunzt.de<br />

Herausgeber<br />

Landespastor Dirk Ahrens, Diakonisches Werk Hamburg<br />

Externer Beirat<br />

Prof. Dr. Harald Ansen (Armutsexperte HAW-Hamburg),<br />

Mathias Bach (Kaufmann), Dr. Marius Hoßbach (Rechtsanwalt),<br />

Rüdiger Knott (ehem. NDR 90,3-Programmchef),<br />

Olaf Köhnke (Ringdrei Media Network),<br />

Thomas Magold (BMW-Niederlassungsleiter i.R.),<br />

Beate Behn (Lawaetz-Service GmbH), Karin Schmalriede (Lawaetz-Stiftung),<br />

Dr. Bernd-Georg Spies (Russell Reynolds),<br />

Alexander Unverzagt (Medienanwalt), Oliver Wurm (Medienberater)<br />

Geschäftsführung Dr. Jens Ade<br />

Redaktion Birgit Müller (bim; v.i.S.d.P.),<br />

Annette Woywode (abi; Stellv., CvD)<br />

Mitarbeit Simone Deckner (sim), Jonas Füllner (jof),<br />

Ulrich Jonas (ujo), Frank Keil (fk), Benjamin Laufer (bela),<br />

Misha Leuschen (leu), Annabel Trautwein (atw)<br />

Uta Sternsdorff und Kerstin Weber<br />

Redaktionsassistenz Sonja Conrad, Dina Fedossova<br />

Online-Redaktion Simone Deckner, Jonas Füllner, Benjamin Laufer<br />

Artdirektion grafikdeerns.de<br />

Öffentlichkeitsarbeit Sybille Arendt, Friederike Steiffert<br />

Anzeigenleitung Sybille Arendt<br />

Anzeigenvertretung Christoph Wahring,<br />

Wahring & Company, Tel. 040 284 09 40, info@wahring.de<br />

Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 20 vom 1. Januar 2015<br />

Vertrieb Christian Hagen (Leitung), Marcus Chomse,<br />

Sigi Pachan, Jürgen Jobsen, Meike Lehmann, Sergej Machov,<br />

Frank Nawatzki, Elena Pacuraru, Reiner Rümke, Cristina Stanculescu,<br />

Marcel Stein, Cornelia Tanase, Silvia Zahn<br />

Rechnungswesen/Systemadministration Frank Belchhaus<br />

Spendenmarketing Gabriele Koch<br />

Spendenverwaltung Susanne Wehde<br />

Sozialarbeit Stephan Karrenbauer (Leitung), Ana-Maria Ilisiu, Isabel Kohler<br />

Das Stadtrundgang-Team Stephan Karrenbauer (Leitung),<br />

Chris Schlapp, Harald Buchinger<br />

Das BrotRetter-Team Stephan Karrenbauer (Leitung), Stefan Calin,<br />

Adam Csizmadia, Gogan Dorel, Alexa Ionut, Vasile Raducan<br />

Das Team von Spende Dein Pfand am Airport Hamburg<br />

Stephan Karrenbauer (Leitung), Uwe Tröger, Georgi Nikolov,<br />

Klaus Petersdorfer, Herbert Kosecki<br />

Litho PX2@ Medien GmbH & Co. KG<br />

Produktion Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />

Druck A. Beig Druckerei und Verlag,<br />

Damm 9–15, 25421 Pinneberg<br />

Umschlag-Druck Neef+Stumme premium printing GmbH & Co. KG<br />

Verarbeitung Delle und Söhne, Buchbinderei<br />

und Papierverarbeitungsgesellschaft mbH<br />

Spendenkonto Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

IBAN: DE56 200505501280167873<br />

BIC: HASPDEHHXXX<br />

Die Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH mit Sitz in Hamburg ist durch den aktuellen<br />

Freistellungsbescheid des Finanzamts Hamburg-Nord, Steuernummer<br />

17/414/00797, vom 15.11.2013 nach §5 Abs.1 Nr. 9<br />

des Körperschaftssteuergesetzes von der Körperschaftssteuer und nach<br />

§3 Nr. 6 des Gewerbesteuergesetzes von der Gewerbesteuer befreit.<br />

Geldspenden sind steuerlich nach §10 EStG abzugsfähig. Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist als<br />

gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH im Handelsregister<br />

beim Amtsgericht Hamburg HRB 59669 eingetragen. Wir bestätigen,<br />

dass wir Spenden nur für die Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong> einsetzen.<br />

Adressen werden nur intern verwendet und nicht an Dritte weitergegeben.<br />

Beachten Sie unsere Datenschutzerklärung, abrufbar auf www.hinzundkunzt.de.<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist ein unabhängiges soziales Projekt, das obdachlosen und<br />

ehemals obdachlosen Menschen Hilfe zur Selbsthilfe bietet.<br />

Das Magazin wird von Journalisten geschrieben, Wohnungslose und<br />

ehemals Wohnungslose verkaufen es auf der Straße. Sozialarbeiter<br />

unterstützen die Verkäufer.<br />

Das Projekt versteht sich als Lobby für Arme.<br />

Gesellschafter<br />

Durchschnittliche monatliche<br />

Druckauflage 2. Quartal <strong>2017</strong>:<br />

70.000 Exemplare<br />

57


Momentaufnahme<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>293</strong>/JULI <strong>2017</strong><br />

Neue Zähne, neues Leben: Trotz seiner<br />

Angstzustände traute sich Gerold endlich zum<br />

Zahnarzt. Das Resultat kann sich sehen lassen:<br />

mehr Selbstvertrauen – und ein Lächeln!<br />

„Ich muss jetzt erst<br />

mal kochen lernen“<br />

Gerold (46) verkauft Hinz&<strong>Kunzt</strong> vor<br />

dem Hofladen an der S-Bahn-Station Kornweg.<br />

TEXT: JONAS FÜLLNER<br />

FOTO: LENA MAJA WÖHLER<br />

Unfassbar aufgeregt war Gerold vor seiner<br />

Zahn-OP. „Ich bekomme in drei<br />

Tagen ein neues Gebiss“, erzählte der<br />

46-Jährige Anfang Juni. „Ich hoffe, ich<br />

packe das.“ Einen Tag später stand er<br />

wieder in der Redaktion, berichtete von<br />

seinen Sorgen, seiner Angst. Dass ihm<br />

das Reden guttat, merkte man dem<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer deutlich an.<br />

Panikattacken und Angstzustände<br />

sind Gerolds großes Problem. „Jahrelang<br />

habe ich nur auf dem Sofa gesessen“,<br />

erzählt er. Er habe sich um nichts<br />

gekümmert, sei niemals zum Amt gegangen,<br />

habe kein Geld erhalten und<br />

keine Krankenversicherung mehr gehabt.<br />

Seine Freundin habe das irgendwann<br />

nicht mehr ausgehalten und ihn<br />

verlassen. Er blieb alleine zurück in der<br />

Wohnung. „Danach ging es mir noch<br />

beschissener“, erinnert er sich.<br />

Drei Jahre ist das jetzt her. Seine<br />

Lethargie und Selbstmordgedanken habe<br />

er nur durch den Zeitungsverkauf<br />

überwunden. „Mir hat Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

das Leben gerettet“, sagt Gerold oder<br />

auch „Alex“, wie er bei einigen Freunden<br />

aus der alten Zeit noch heißt. Und<br />

er hat sich aufgerafft, um sich psychische<br />

Betreuung zu suchen. Seitdem arbeitet<br />

er kontinuierlich auf, was in seinem<br />

Leben alles schieflief. Und das ist<br />

eine Menge. „Ich hatte eine Scheißjugend“,<br />

sagt Gerold, der in Ostfriesland<br />

aufwuchs. Mit den Eltern gab es nur<br />

Ärger. Auf Schule und Ausbildung ließ<br />

er sich nie richtig ein.<br />

Mit Anfang 20 hatte er genug. Es<br />

zog ihn nach Hamburg. Er jobbte mal<br />

hier, mal da. Schlief bei Bekannten,<br />

teilweise auch auf der Straße. Dadurch<br />

kam er mit Hinz&<strong>Kunzt</strong> in Kontakt<br />

und begann, die Zeitung zu verkaufen.<br />

20 Jahre ist das jetzt her. Das war<br />

auch die Zeit, in der erstmals die Angstzustände<br />

auftraten, die ihn seither begleiten.<br />

Die Panikattacken hat er inzwischen<br />

weitgehend im Griff. Die<br />

Zustimmung zu der Gebiss-OP hat ihn<br />

trotzdem noch sehr große Überwindung<br />

gekostet.<br />

Doch sein Mut hat sich gelohnt.<br />

Unglaublich stolz war Gerold, als er<br />

Mitte Juni schließlich seine neuen Zähne<br />

präsentierte. Dieses Mal hatte er keinen<br />

Rückzieher gemacht. Er war stärker als<br />

seine Angst.<br />

Unterstützt hat ihn dabei Zahnärztin<br />

Birgit Horschler-Fricke, die Gerold<br />

seit Langem kennt. Eine Stammkundin,<br />

die den fast zahnlosen Mann behutsam<br />

unterstützte, Termine vereinbarte und<br />

ihn auf die bevorstehende Operation<br />

vorbereitete. Schritt für Schritt. So soll<br />

es jetzt auch weitergehen.<br />

Bewerbungsfotos könne er endlich<br />

mal machen, sagt Gerold. Mit seinem<br />

alten Gebiss habe er sich gar nicht mehr<br />

getraut, sich irgendwo vorzustellen.<br />

„Und ich muss wohl mal kochen lernen“,<br />

sagt er lachend. „Jetzt kann ich ja<br />

wieder richtig kauen und muss nicht<br />

aus der Dose essen.“ •<br />

58


KUNZT-<br />

KOLLEKTION<br />

BESTELLEN SIE DIESE UND WEITERE PRODUKTE BEI: Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH,<br />

www.hinzundkunzt.de/shop, shop@hinzundkunzt.de, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />

Tel. 32 10 83 11. Preise zzgl. Versandkostenpauschale von 2,50 Euro bis 4 Euro,<br />

Ausland auf Anfrage. Versand ab 100 Euro Warenwert kostenlos.<br />

1. „Gegens Abstempeln“<br />

Zehn selbstklebende 70-Cent-Briefmarken mit<br />

Porträts von Hinz&Künztlern im A5-Heftchen.<br />

Konzeption: Agentur Lukas Lindemann Rosinski,<br />

Preis: 12 Euro<br />

4.<br />

2. „Macht auch wach!“<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Bio-Kaffeemischung,<br />

100% Arabica gemahlen, 250-g-Beutel<br />

oder Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Bio-Espresso, italienische<br />

Mischung, kräftiger Geschmack,<br />

ungemahlen, 250-g-Beutel, exklusiv von der<br />

Kaffeerösterei Burg aus Hamburg.<br />

Preis: jeweils 5,95 Euro<br />

5.<br />

1.<br />

2.<br />

3. „Lesebrettchen“<br />

Exklusiv für Hinz&<strong>Kunzt</strong> aus der<br />

Serie „Schöne Aussichten“, Pension<br />

für Produkte Hamburg.<br />

Design: Wolfgang Vogler,<br />

Material: Esche geölt (aus heimischen Wäldern),<br />

lasergraviert. Jedes Brett ist ein Unikat,<br />

in Deutschland gefertigt.<br />

Preis: 15,90 Euro<br />

4. „Non urban“-Klappkarten<br />

5 verschiedene Motive mit Umschlag,<br />

DIN A6, Fotograf Dmitrij Leltschuk.<br />

Der Erlös geht zur Hälfte an den Fotografen,<br />

zur Hälfte an das Hamburger Straßenmagazin.<br />

Preis: 8 Euro<br />

6.<br />

5. „Heiße Hilfe“<br />

Bio-Rotbuschtee, aromatisiert mit<br />

Kakao-Orangen-Note. Zutaten: Rotbuschtee<br />

(k. b. A.), Kakaoschalen, Zimt, Orangenschalen,<br />

natürliches Orangenaroma<br />

mit anderen natürlichen Aromen.<br />

Dose, 75 g, abgefüllt<br />

von Dethlefsen&Balk, Hamburg,<br />

Preis: 7,50 Euro<br />

7.<br />

3.<br />

6. „Einer muss ja das Maul aufmachen“<br />

T-Shirt vom Modelabel „Fairliebt“ aus<br />

100% Biobaumwolle, sozialverträglich<br />

genäht in Bangladesch und<br />

von Hand bedruckt in Deutschland.<br />

Größen: S, M, L, XL. Farben: Petrol für Herren,<br />

Meerwassertürkis für Damen, Preis: 24,90 Euro<br />

7. „Ein mittelschönes Leben“<br />

Eine Geschichte für Kinder<br />

über Obdachlosigkeit von Kirsten Boie,<br />

illustriert von Jutta Bauer.<br />

Preis: 4,80 Euro


Eine der wichtigsten<br />

Wärmequellen für Hamburg<br />

Am Guten soll man festhalten. So halten wir es auch mit unserem<br />

Einsatz für Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Seit April 2000 unterstützt E.ON Hanse das<br />

Hamburger Straßenmagazin. Und daran wird sich nichts ändern.<br />

Auch als HanseWerk werden wir unser Engagement fortsetzen. Mehr<br />

menschliche Wärme – eine der wichtigsten Energien für den Norden.<br />

Energielösungen für den Norden

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