Hinz&Kunzt 293 Juli 2017
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Das Hamburger<br />
Straßenmagazin<br />
Seit 1993<br />
N O <strong>293</strong><br />
<strong>Juli</strong>.17<br />
2,20 Euro<br />
Davon 1,10 Euro<br />
für unsere Verkäufer<br />
Heiße<br />
Luft?<br />
Der Gipfel, das Klima<br />
und was das mit<br />
Hamburg zu tun hat.
Ihr kleiner<br />
gr ner Kaktus<br />
Gesucht<br />
Die schönsten Geschichten<br />
veröffentlichen wir in<br />
unserem neuen<br />
Sonderheft,<br />
das im November<br />
erscheinen wird.<br />
Schreiben Sie an<br />
info@hinzundkunzt.de<br />
Einsendeschluss:<br />
28. <strong>Juli</strong> <strong>2017</strong>.<br />
Oder haben Sie eine andere Lieblingspflanze?<br />
Erzählen Sie uns von ihr und warum Sie sie so lieben!<br />
Dabei ist es egal, wo Ihre Pfl anze wächst – im Topf, im Garten,<br />
im Park – und ob sie jung, alt oder gar verkümmert ist.<br />
Hauptsache, sie hat eine besondere Bedeutung für Sie.<br />
FOTO: ISTOCK
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Editorial<br />
Unser Vertrieb zeigt Gesicht<br />
Tresenmann Spinne,<br />
Hinz&Künztler Wojciech<br />
und Vertriebsleiter Christian<br />
(von links) beim Selfie in<br />
unserem Hinterhof. Unsere<br />
Verkäufer tragen alle sichtbar<br />
einen Verkäuferausweis.<br />
Darauf: das Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />
Logo in unseren Farben,<br />
die individuelle Verkäufernummer<br />
und ein Passfoto.<br />
TITELBILD: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Detlef Scheele spricht<br />
Hamburgs Ex-Sozialsenator<br />
ist seit <strong>2017</strong> Chef der<br />
Bundesagentur für Arbeit.<br />
Wie der Sozialdemokrat<br />
die Langzeitarbeitslosigeit<br />
bekämpfen will, lesen Sie<br />
ab S. 12<br />
Schaluppe schippert<br />
Die Jungfernfahrt hat<br />
das Kulturfloß mit dem<br />
lustigen Namen bestanden.<br />
Der „Verein für mobile<br />
Machenschaften“ bietet<br />
fortan unkommerzielle<br />
Kultur – zu Wasser. S. 30<br />
Geschichten<br />
aus unserem Alltag<br />
Woran erkennt man eigentlich einen echten<br />
Hinz&Künztler? Wojciech (Foto oben, Mitte) kennt<br />
die Antwort: am Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Ausweis, deshalb trägt<br />
er ihn auch mit Stolz. Leider bekommen unsere<br />
Verkäufer immer öfter Konkurrenz durch Personen<br />
ohne Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Ausweis. Unsere 530 Verkäufer<br />
wären Ihnen darum sehr dankbar, wenn Sie beim<br />
Kauf auf unseren Ausweis achten. Damit schützen<br />
Sie die Hinz&Künztler vor unfairem Wettbewerb.<br />
Die Redaktion ist mitten in den Vorbereitungen<br />
auf den G20. Wir haben einen offenen Brief an den<br />
Innensenator, die Sozialsenatorin und den Bürgermeister<br />
geschrieben. Alle drei behaupten, dass die<br />
Obdachlosen während des Gipfels auf ihren Platten<br />
bleiben können. Schon der gesunde Menschenverstand<br />
sagt, dass das unwahrscheinlich ist. Einerseits<br />
werden Gullis verplombt und Buslinien umgeleitet –<br />
andererseits soll es erlaubt sein, dass Menschen mit<br />
Sack und Pack unter Brücken oder auf bestimmten<br />
Straßen sitzen? Falls es Probleme gäbe, sollten „individuelle<br />
Lösungen“ gefunden werden, sagt die Polizei<br />
(Seite 20). Genau das würden wir gerne vermeiden.<br />
Das Hickhack hat Puppenspieler und Autor<br />
Sven Knüppel dazu herausgefordert, unser neues<br />
Maskottchen, Comic-Held Dodo Dronte, schon in<br />
diesem Monat zum Leben zu erwecken (Seite 56).<br />
Danke übrigens für die vielen Namensvorschläge,<br />
demnächst wird der Vogel auch offiziell getauft. •<br />
Ihre Birgit Müller<br />
Chefredakteurin<br />
(Wir freuen uns über Post von Ihnen.<br />
Schreiben Sie uns doch an info@hinzundkunzt.de)<br />
Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk<br />
Tschüss, Peter!<br />
Hinz&Künztler Peter<br />
gehörte bis zu seinem<br />
Tod fest zu St. Pauli.<br />
Nun nahm der<br />
Kiez auf rührende Art<br />
Abschied. S. 6<br />
Inhalt<br />
Stadtgespräch<br />
04 Gut&Schön<br />
06 Trauermarsch für Peter<br />
10 Zahlen des Monats<br />
12 Detlef-Scheele-Interview<br />
15 Bahn gegen Bettler<br />
16 Besser-Verdiener: Tricargo<br />
20 G20: Offener Brief<br />
30 Kulturfloß Schaluppe<br />
38 Kunst: Open Access<br />
Der G20 und das Klima<br />
23 Fakten zum Klimawandel<br />
Freunde<br />
44 Wendula von Platen<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
48 Musik: Carsten Friedrichs<br />
52 20 Tipps für den <strong>Juli</strong><br />
56 Comic mit Dodo Dronte<br />
58 Momentaufnahme<br />
Rubriken<br />
05, 51 Kolumnen<br />
22, 36 Meldungen<br />
46 Leserbriefe<br />
57 Rätsel, Impressum
Schüler im Museum<br />
Einfach mal<br />
machen<br />
Immer ist etwas falsch oder richtig<br />
oder stimmt noch nicht. Nicht so bei<br />
den Kunstkursen, die der Hamburger<br />
Fotograf André Luetzen Kindern<br />
gibt. Er lässt sie schauen – und<br />
machen. Und sie fotografieren in<br />
Museen den Fußboden oder<br />
die Aufsicht. Ihre eigenen Schatten.<br />
Oder ihre Nasen. Den Schülern<br />
der Grundschule Hasselbrook<br />
ist so ein tolles Fotobuch gelungen:<br />
gespickt mit frischen und<br />
ungewöhn lichen Bildern. FK<br />
•<br />
Buchpräsentation, Mi, 12.7., 14.30 Uhr,<br />
Altonaer Museum, Museumstraße 23
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Gut&Schön<br />
Behördenbegleiter<br />
Den Rücken<br />
stärken<br />
Stefan Büngens, Caritas<br />
FOTOS: ANDRÉ LÜTZEN (S. 4), AFGHANISTAN SCHULEN E.V. (OBEN),<br />
MARIE LUISE PREISS/DEUTSCHE STIFTUNG DENKMALSCHUTZ (UNTEN LINKS),<br />
STARTSOCIAL E.V./THOMAS EFFINGER, KOLUMNE: MICHAEL KOTTMEIER/K-FILM<br />
Afghanistan<br />
Langsame Fortschritte bei der Schulbildung<br />
Mehr als 50 Schulen hat der Verein „Schulen in<br />
Afghanistan“ seit 1988 am Hindukusch aufgebaut.<br />
Für Jungs und Mädchen. Längst bildet man eigene<br />
Lehrer aus. Die Vorsitzende Marga Flader (weißes<br />
Kopftuch) bereist das Land regelmäßig, trotz vieler<br />
Gefahren. Ihr Resümee: „Wir brauchen Geduld.“ FK<br />
•<br />
Mehr Infos: www.afghanistan-schulen.de<br />
Zukunft für eine Villa<br />
Es drohte der Abriss. Denn nur<br />
ein Mieter wohnte in den letzten<br />
Jahren in der Villa Mutzenbecher<br />
im Niendorfer Gehege. Nun wird<br />
das ramponierte Haus saniert:<br />
Jugend liche ohne Schulabschluss<br />
und Geflüchtete sollen dabei das<br />
Handwerken lernen. Unterstützt<br />
von Architekturstudenten der<br />
Hafencity Universität. Die späteren Brücke ins Zuhause<br />
Nutzer: eine Kita, ein Stadtteilarchiv<br />
und eine Forschungsstation. burg eine Wohnung zu finden. Zum<br />
Schwierig, als Flüchtling in Ham-<br />
2020 soll alles fertig sein. FK<br />
•<br />
Glück gibt es die Wohnbrücke. Der<br />
Verein vermittelt Wohnungen und<br />
stellt Wohnungslotsen. Die helfen<br />
dem neuen Mieter und beraten<br />
Vermieter und Nachbarn, sollte es<br />
Probleme geben. Für dieses Engagement<br />
gab es jetzt den startsocial-<br />
Preis. Einen Sonderpreis erhielt<br />
die Kleiderkammer für Geflüchtete,<br />
Hanseatic Help. Überreicht von<br />
Kanzlerin Angela Merkel. FK<br />
•<br />
Da ist ein 19-jähriges Mädchen.<br />
Endlich hat sie eine<br />
Wohnung gefunden. Jetzt<br />
müsste nur die Arge die Genossenschaftsanteile<br />
übernehmen<br />
– was der jungen<br />
Frau zusteht. Doch sie kann<br />
den Arge-Bearbeiter nie erreichen.<br />
„Hier muss einer<br />
den Rücken gerade machen<br />
für jemanden, der klein ist“,<br />
sagt Stefan Büngens von der<br />
Hamburger Caritas. Der<br />
50-Jährige leitet das Projekt<br />
„Behördenbegleiter“, zusammen<br />
mit Peter Ludt. Im<br />
Falle der 19-Jährigen schickte<br />
er einen der Begleiter mit<br />
zum Amt. Der half und gab<br />
dem Mädchen das Gefühl<br />
zurück: „Du hast nichts<br />
falsch gemacht“, so Büngens.<br />
Zehn Behördenbegleiter<br />
sind bei der Caritas ehrenamtlich<br />
aktiv. Sie wurden ins<br />
Hamburger Hilfesystem eingewiesen<br />
und haben Konflikttraining<br />
erhalten. Oft<br />
begleiten sie Klienten aus<br />
den Caritas-Abteilungen, die<br />
mit Armut, Obdachlosigkeit<br />
und Migration zu tun haben.<br />
Wenn psychische, sprachliche<br />
oder kulturelle Probleme<br />
den Behördengang erschweren.<br />
Büngens: „Damit ein<br />
normaler Gang normal abläuft.<br />
Gemeinsam reingehen,<br />
gemeinsam erledigen, gemeinsam<br />
rausgehen.“ ABI<br />
•<br />
Kontakt: Stefan Büngens oder<br />
Peter Ludt, Tel. 28 01 40-170<br />
oder -280, Di und Fr, 9–12 Uhr<br />
5
Peters<br />
letzte Tour<br />
Für Hinz&Künztler Peter war der Kiez seine Heimat. Nach seinem Tod ehrten<br />
Freunde, Kollegen und Nachbarn ihn mit einem Trauermarsch durch St. Pauli. Die<br />
Tour endete in der Kneipe Silbersack – so wie früher auch Peters Verkaufsrunden.<br />
TEXT: BENJAMIN LAUFER, SIMONE DECKNER<br />
FOTOS: LENA MAJA WÖHLER<br />
Das Herz von<br />
St. Pauli schlug beim<br />
Trauerzug für Peter<br />
besonders laut.<br />
Viele trugen Plakate<br />
mit dem Foto des<br />
Hinz&Künztlers.<br />
So war er auch an<br />
diesem Tag präsent<br />
auf seinem Kiez.
Sogar der Himmel weinte, als Pastor<br />
Wilm den Trauerzug über den Kiez<br />
führte – zum Erstaunen der Nachbarn.<br />
Früher war das Peters tägliche<br />
Route, 15 Jahre lang. Vom<br />
Operettenhaus am Spielbudenplatz<br />
durch die Straßen<br />
links und rechts der Reeperbahn. Unterwegs<br />
Abstecher in Kiezkneipen und<br />
Tabledance-Bars. Jeden Abend endete<br />
seine Tour im Silbersack, gegen halb<br />
eins. Überall durfte der Hinz&Künztler<br />
rein – und darauf war er mächtig stolz.<br />
Gerne erzählte er immer wieder: „Ich<br />
bin der einzige Mann, der mit mehr<br />
Geld aus dem Dollhouse rauskommt,<br />
als er reingegangen ist.“ Weil er sogar<br />
dort das Straßenmagazin verkaufte.<br />
Peter und der Kiez, die gehörten einfach<br />
zusammen.<br />
Seit April macht Peter diese Tour<br />
nicht mehr. Nach einem schweren Sturz<br />
kam er ins Krankenhaus. Am 21. April<br />
starb er. Er wurde 67 Jahre alt. Ein großer<br />
Verlust für seine Freunde, das<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Team und viele Menschen<br />
auf dem Kiez. Viel zu oft passiert<br />
es bei armen Menschen, dass sie nach<br />
ihrem Tod einfach vergessen werden.<br />
Aber nicht so bei Peter: Um ihn zu ehren<br />
und zu verabschieden, treffen sich<br />
am 30. Mai etwa 50 Freunde, Kollegen<br />
und Wegbegleiter auf dem Spielbudenplatz.<br />
In einem Trauermarsch ziehen<br />
sie gemächlich durch St.-Pauli-Süd, die<br />
Das Verkaufen<br />
der Zeitung<br />
hat Peter eine<br />
Heimat gegeben.<br />
Davidstraße hoch, vorbei an der Hans-<br />
Albers-Statue bis zu Peters Lieblingskneipe,<br />
den Silbersack. Viele halten<br />
Schilder mit einem Foto von Peter hoch.<br />
Vorweg schreitet langsam Pastor<br />
Sieghard Wilm. Die Kapelle Tuten und<br />
Blasen spielt Musik aus der Heimat des<br />
Jazz – New Orleans. Mal traurig, mal<br />
fröhlich und etwas schräg. Würdevoll<br />
bewegt sich der Tross durch die verreg-<br />
8<br />
neten Straßen St. Paulis. Fenster und<br />
Türen öffnen sich, Anwohner und Wirte<br />
schauen heraus. Jemand hat auf ein<br />
Schild geschrieben: „Auf St. Pauli sagt<br />
man Tschüss.“ Das hätte Peter gefallen.<br />
Pastor Wilm war es, der die Idee<br />
hatte, einen Trauermarsch für Peter zu<br />
organisieren. Seine dünnen Sommerschuhe<br />
werden von der weißen Robe<br />
bedeckt, die er sich übergeworfen hat.<br />
Der Regen, der direkt zu Beginn des<br />
Marsches einsetzte, kann ihn nicht beirren.<br />
Und auch sonst niemanden.<br />
Als die Trauergemeinde nach einer<br />
halben Stunde den Silbersack betritt,<br />
hört der Regen plötzlich auf und die<br />
Sonne kommt heraus. „Der Himmel<br />
hat sich ausgeweint“, sagt Wilm. In der<br />
berühmten Kneipe an der Silbersackstraße<br />
werden Geschichten über Peter<br />
erzählt. Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Sozialarbeiter<br />
Stephan Karrenbauer berichtet von<br />
dessen ersten Tagen bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Wie das Zeitungsverkaufen auf dem<br />
Kiez Peter nicht nur eine Arbeit, sondern<br />
auch eine Heimat gegeben hat.<br />
Wie gut ihm die Anerkennung und der
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Respekt getan haben, die ihm auf St.<br />
Pauli entgegengebracht wurden. Wie er<br />
es dadurch geschafft hat, von den Drogen<br />
loszukommen und Stabilität in sein<br />
Leben zu bringen.<br />
Peter liebte die Frauen. Sein größter<br />
Wunsch war es, eine Frau für immer<br />
zu finden. Gemeinsam wären sie dann<br />
in einem kleinen Wohnmobil um die<br />
Welt gereist. „Davon hat er immer geträumt“,<br />
sagt Karrenbauer. Doch dazu<br />
ist es nicht mehr gekommen. Im Gegenteil,<br />
Peters letzte große Liebe endete<br />
tragisch: Die Frau war drogenkrank,<br />
und so baute auch Peter nach langen<br />
Jahren einen Rückfall.<br />
viele, die Peter kannten: alteingesessene<br />
Kiezianer. Kollegen von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Studentinnen aus der Nachbarschaft,<br />
die Peter stets freundlich grüßte. Und<br />
vier Rocker aus Baden-Württemberg,<br />
die zufällig im Silbersack waren, als die<br />
Trauergesellschaft einmarschierte. Sogar<br />
ihnen war Peter bekannt. Einer erzählt,<br />
dass er jedes Mal, wenn er in<br />
Hamburg war, eine Zeitung bei ihm gekauft<br />
hat. „Ich habe noch nie einen Zeitungsverkäufer<br />
erlebt, der so dankbar<br />
war“, erzählt er.<br />
Peters letzter Abend geht erst nach<br />
Stunden zu Ende. Pastor Sieghard<br />
Wilm ist gerührt: „Das gehört zu den<br />
schönsten Momenten, die ich als Pastor<br />
erleben kann. Dass Leute jemanden<br />
nicht vergessen, der gestorben ist.“ •<br />
Kontakt: benjamin.laufer@hinzundkunzt.de<br />
Video vom Trauermarsch:<br />
www.hinzundkunzt.de/thema/peter<br />
Die Jukebox<br />
spielte Lieder,<br />
die Peter sich<br />
gewünscht hatte.<br />
Dabei war Peter einer, der sich nicht<br />
leicht unterkriegen ließ: Nach einer<br />
Operation konnte er sich nicht mehr<br />
gut bewegen. Sein Halswirbel war versteift,<br />
seitdem ging er gebückt. Danach<br />
wollte er alles geregelt wissen, fertigte<br />
sogar ein Testament an, für den Fall der<br />
Fälle. Weiter ging es für ihn dennoch:<br />
Mit Gehwagen und Elektroroller konnte<br />
er noch verkaufen.<br />
Als ihm sein Rolli eines Tages geklaut<br />
worden war, zeigte sich, wie gut<br />
Peter auf dem Kiez vernetzt war: Seine<br />
Nachbarn vom Schmidt Theater sammelten<br />
für ihn und schenkten ihm einen<br />
neuen Rolli.<br />
Im Silbersack schwelgen die Gäste<br />
in Erinnerungen. Die Jukebox spielt dazu<br />
Lieder, die sich Peter in seinem Testament<br />
für seine Trauerfeier gewünscht<br />
hatte. Auf den dunklen Holztischen im<br />
verrauchten Silbersack stehen pinkfarbene<br />
und gelbe Rosen in mit Wasser gefüllten<br />
Saftflaschen. Drumherum sitzen<br />
Tschüss, Peter! Im Silbersack<br />
saßen alle noch lange zusammen,<br />
die dem Verkäufer das Geleit gaben.<br />
Die Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Kollegen Sigi,<br />
Jens und Sergej (oben, von links)<br />
nahmen genauso Abschied wie<br />
Studenten aus der Nachbarschaft.<br />
9
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Zahlen des Monats<br />
Mit besserem<br />
Gewissen fliegen<br />
13 Euro<br />
sollten Sie mindestens spenden, wenn Sie diesen Sommer mit dem Ferienflieger nach<br />
Mallorca reisen – und kein schlechtes Gewissen haben wollen. Das ergibt sich aus<br />
Berechnungen der Umweltschutzorganisation „Atmosfair“. Mithilfe eines<br />
Online-Emissionsrechners können Flugreisende ermitteln, welchen Schadstoffausstoß<br />
sie (mit)verursachen und welche Geldsumme nötig ist, um ihn auszugleichen.<br />
119 Euro<br />
kostet es demnach, einen Hin- und Rückflug nach Kapstadt (Südafrika) zu kompensieren.<br />
Wer sich für eine achttägige Kreuzfahrt entschieden hat, ist mit 41 Euro dabei.<br />
Mit den Spenden finanziert Atmosfair Klimaschutzprojekte in<br />
Entwicklungsländern, etwa den Bau von kleinen Biogasanlagen in Nepal.<br />
Die Organisation „Naturefund“, die einen ähnlichen Rechner anbietet, hilft<br />
bolivianischen Kleinbauern bei der Wiederaufforstung von Regenwald.<br />
Die Umweltschützer weisen allerdings darauf hin, dass klimaneutrales Fliegen<br />
nicht möglich ist: „Die Kondensstreifen verschwinden schließlich nicht, wenn wir in Südafrika<br />
Windräder bauen“, sagt Atmosfair-Geschäftsführer Dietrich Brockhagen.<br />
Laut Deutschem Reiseverband buchten die Bundesbürger vergangenes Jahr 68,7 Millionen<br />
Urlaubsreisen von mindestens fünf Tagen Dauer. 39 Prozent davon waren Flugreisen.<br />
Wie viele Deutsche nach einer Buchung für die Umwelt spenden, ist nicht bekannt.<br />
Bei Atmosfair wird etwa jeder 1000. Flug kompensiert. Inzwischen bieten aber auch<br />
einzelne Fluggesellschaften und sogar Flughäfen ihren Kunden an, Umweltschutzprojekte<br />
zu unterstützen und so die Folgen des Fliegens für das Klima abzumildern. •<br />
TEXT: ULRICH JONAS<br />
ILLUSTRATION: ESTHER CZAYA<br />
Mehr Infos unter www.atmosfair.de, www.naturefund.de und www.huklink.de/reisemarkt<br />
Kontakt: ulrich.jonas@hinzundkunzt.de<br />
11
Detlef Scheele ist seit 2015<br />
Vorstandsmitglied der<br />
Bundesagentur für Arbeit (BA).<br />
Im April <strong>2017</strong> löste der<br />
Hamburger Frank-Jürgen Weise als<br />
BA-Chef ab. Von 1995 bis 2008<br />
leitete er die HAB, eine Hamburger<br />
Beschäftigungs gesellschaft für<br />
Langzeitarbeitslose, 2008<br />
wurde der SPD-Politiker<br />
Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium<br />
unter dem<br />
damaligen Minister Olaf Scholz.<br />
2011– 2015 war er Sozial- und<br />
Arbeitssenator in Hamburg.
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
„Wir bezahlen<br />
lieber Arbeit“<br />
In Deutschland gibt es deutlich zu viele<br />
Langzeitarbeitslose. Das findet auch der neue Chef der<br />
Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele.<br />
Der Sozialdemokrat will mindestens 100.000 staatlich<br />
geförderte Jobs schaffen. Jetzt sucht er Geldgeber.<br />
TEXT: BIRGIT MÜLLER<br />
FOTOS: ANDREAS HORNOFF<br />
Es gibt da eine Schlüsselszene<br />
zum Thema Langzeitarbeitslose,<br />
sagt Detlef Scheele. Das<br />
war 2015, als er seinen Job<br />
als Sozial- und Arbeitssenator in Hamburg<br />
aufgegeben hatte und gerade<br />
frisch Vorstandsmitglied in der Bundesagentur<br />
für Arbeit (BA) geworden war.<br />
Da hielt er einen Vortrag vor Chefs der<br />
Job center. „Das war eine schöne Rede“,<br />
sagte damals die Chefin der Agenturen<br />
in Nordrhein-Westfalen. „Sie passt vielleicht<br />
nach Hamburg. Hier ist etwas<br />
anderes angesagt. Fahren Sie mal nach<br />
Gelsenkirchen!“<br />
Er ist dann wirklich nach Gelsenkirchen<br />
gefahren, nach Oberhausen<br />
und in andere Ruhrgebietsstädte. „Das<br />
muss man sagen, wenn man Hamburger<br />
Arbeitssenator war: Das Ruhrgebiet ist<br />
an einigen Stellen echt anders.“<br />
In welchem Sinne? „Es gibt sehr<br />
viele Menschen aus Südosteuropa, was<br />
uns ja auch in Hamburg bewegt hat.“<br />
Aber im Ruhrgebiet sei die Zahl sehr<br />
viel höher. „Zumal es dort viele Wohnungsleerstände<br />
gibt – und sehr viele<br />
Menschen in Abrisswohnungen leben“,<br />
sagt der 60-Jährige. „Und es gibt viele<br />
Gebiete, die den Strukturwandel nicht<br />
überstanden haben. Das sieht man den<br />
Städten ehr licherweise auch an.“<br />
Im Januar war er dann in Bremerhaven.<br />
Da habe ihm der Jobcenterchef<br />
gesagt: 70 Prozent der Arbeitslosen<br />
haben keine Berufsausbildung und 30<br />
Prozent davon keinen Schulabschluss,<br />
aber neue Industrie und Arbeitsplätze<br />
gibt es nur im Bereich Offshore. „Da<br />
hat man nur zwei Möglichkeiten: Entweder<br />
alimentieren bis zum Eintritt in<br />
den Ruhestand, der ja dann auch nicht<br />
spaßig ist, oder öffentlich geförderte Beschäftigung“,<br />
sagt Scheele.<br />
Schwer auszuhalten ist es für ihn,<br />
wenn Kinder im Haushalt von Langzeitarbeitslosen<br />
leben. „Kinder sollen sehen,<br />
dass ihre Eltern zur Arbeit gehen“, sagt<br />
der dreifache Vater. „Es ist besser, einer<br />
regelmäßig wiederkehrenden befristeten<br />
Beschäftigung nachzugehen, als nur<br />
rumzusitzen.“ Er will „fürsorgliche Belagerung“<br />
betreiben. Eine echte Scheele-Wortschöpfung.<br />
„Ich habe ja schon<br />
tausendmal gesagt: Wir bezahlen lieber<br />
Arbeit als Arbeitslosigkeit.“<br />
Deshalb soll endlich wieder das her,<br />
was es in Hamburg mal gab, aber trotz<br />
lautem Protest der Sozialverbände mit<br />
Billigung der SPD wieder abgeschafft<br />
wurde: ein staatlich geförderter, sogenannter<br />
zweiter Arbeitsmarkt. Und<br />
zwar im großen Stil mit 100.000 bis<br />
200.000 Jobs. Zum Vergleich: Bislang<br />
gibt es bundesweit rund 20.000. „Unsere<br />
Vorstellung ist“, sagt Scheele und<br />
meint damit Bundesarbeitsministerin<br />
Andrea Nahles (SPD) und sich, „ein<br />
vernünftiges sozialversicherungspflichtiges<br />
Beschäftigungsverhältnis mit<br />
Kranken- und Rentenversicherung.“<br />
Und die neuen Zauberwörter heißen<br />
Vermittlung, Qualifizierung – und<br />
Prävention. „Wir bezahlen auch das<br />
13
Stadtgespräch<br />
Detlef Scheele zu<br />
Besuch bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>:<br />
Der Chef der Bundesagentur<br />
für Arbeit in<br />
Nürnberg will etwas<br />
wieder aufleben lassen,<br />
was lange ein<br />
Tabuthema war, auch<br />
bei Sozial demokraten:<br />
einen großen staatlich<br />
geförderten Arbeitsmarkt<br />
für Langzeitarbeitslose.<br />
Entgeld während der Qualifizierung.“<br />
Dadurch wird der Lohn subventioniert<br />
und man käme auf Zeiträume von bis<br />
zu fünf Jahren.<br />
Scheele geht davon aus, dass die<br />
meisten geförderten Jobs nicht in der<br />
freien Wirtschaft entstehen, sondern in<br />
Beschäftigungsgesellschaften. „Die werden<br />
einen Teil des Geldes selbst erwirtschaften<br />
müssen.“ Eine ganz schöne<br />
Aufgabe! Gut für die Arbeitslosen:<br />
„Man kann in Projekten mitarbeiten<br />
und sich anders vernetzen, als wenn<br />
man allein zu Hause sitzt.“<br />
Auch die Behörden untereinander<br />
will er besser vernetzen. Wie in Hamburg.<br />
Da hat er die Jugendberufsagentur<br />
mit auf den Weg gebracht. Laut<br />
Hamburger Jobcenter sind früher etwa<br />
30 Prozent der Schüler an der Schnittstelle<br />
von Schule und Beruf „verloren<br />
gegangen“. Heute wisse man von etwa<br />
99 Prozent der Jugendlichen, welchen<br />
Weg sie einschlagen – und könne sie entsprechend<br />
begleiten. „Mit einer guten<br />
Kooperation kann man Dinge bewegen,<br />
ohne dass man viel Geld braucht“, sagt<br />
er. Seine Mitarbeiter sollen deshalb in<br />
Zukunft noch mehr die Lebensumstände<br />
ihrer Klienten beleuchten. „Ihr<br />
„Zweifeln Sie<br />
nicht zu sehr an<br />
sich!“ DETLEF SCHEELE<br />
müsst eine Familie, die schlecht deutsch<br />
spricht, fragen, ob das Kind in die Kita<br />
geht. Denn wir wissen: Wenn du in die<br />
Kita gehst, kannst du in der 1. Klasse<br />
Deutsch, wenn nicht, bist du in der 2.<br />
Klasse draußen.“<br />
Rund 993.000 Langzeitarbeitslose<br />
gibt es in Deutschland. In etwa so viele<br />
14<br />
wie vor den Hartz-Reformen. Hätte er<br />
sich vorstellen können – 2005, als die<br />
Agenda 2010 unter Kanzler Gerhard<br />
Schröder (SPD) ausgearbeitet wurde –,<br />
dass mal so viele Menschen abgehängt<br />
bleiben würden? Er ist da ein guter Gesprächspartner.<br />
Schließlich war Scheele<br />
damals Chef der Beschäftigungsgesellschaft<br />
Hamburger Arbeit (HAB) und zuständig<br />
für Hunderte Langzeitarbeitslose.<br />
2008 wurde er Staatssekretär im<br />
Bundesarbeitsministerium – unter einem<br />
Bundesarbeitsminister Olaf Scholz<br />
(SPD), dem heutigen Hamburger<br />
Bürgermeister.<br />
„Vor den Hartz-Reformen waren<br />
die Leute genauso abgehängt“, sagt der<br />
BA-Chef. Aber er räumt ein: „Natürlich<br />
wollten alle, dass mehr Menschen in<br />
Arbeit vermittelt werden.“ Aber immer<br />
mehr Menschen wurden in den Niedriglohnsektor<br />
gedrängt. Sieht er das? „Der<br />
größte Fehler der Hartz-Reformen: Man<br />
hätte den Mindestlohn miteinführen<br />
müssen“, kritisiert Scheele heute.<br />
Trotzdem ist er ein Befürworter:<br />
„Mit der Agenda 2010 hat der Bund die<br />
Kosten der Arbeitslosigkeit übernommen.<br />
Bremerhaven und andere Städte<br />
wären abgesoffen, wenn Hartz IV nicht<br />
gekommen wäre.“<br />
Derzeit ist Scheele noch auf Werbetour<br />
für sein Großprogramm für Langzeitarbeitslose<br />
– in ganz Deutschland<br />
und medial auf allen Kanälen. Das ist<br />
auch dringend nötig. Denn wie viele<br />
Menschen überhaupt in den Genuss eines<br />
der neuen Jobs kommen könnten,<br />
hängt vom Ausgang der Bundestagswahl<br />
ab – und davon, wie viel Geld eine<br />
neue Regierung dafür in die Hand<br />
nimmt. Für die Arbeitslosen bedeutet<br />
das: Geduld haben!<br />
Bis es endlich so weit ist, würde<br />
Scheele ihnen am liebsten sagen: „Zweifeln<br />
Sie nicht zu sehr an sich! Verlieren<br />
Sie nicht den Mut. Auch wenn es schwer<br />
ist.“ Dass die SPD das Thema auf der<br />
Agenda hat, ist offensichtlich. Aber<br />
wohl nicht nur sie. Nach seinem Besuch<br />
bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist Scheele in Berlin<br />
eingeladen – bei der Kanzlerin. •<br />
Kontakt: birgit.mueller@hinzundkunzt.de
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Bahn warnt vor<br />
klauenden<br />
Flaschensammlern<br />
Eine Durchsage im ICE empört unsere Leserin. Alles nur,<br />
um Reisende zu schützen, sagt die Bahn. Was ist da los?<br />
D<br />
er ICE, in dem Christiane J.<br />
sitzt, hat sein Ziel an diesem<br />
Montag im Mai fast erreicht.<br />
Der Zug fährt gerade in den Hauptbahnhof<br />
ein, als die Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Leserin<br />
diese Durchsage hört: Die Reisenden<br />
sollten auf ihr Gepäck achtgeben,<br />
da sich auf dem Bahnhofsgelände Flaschensammler<br />
befänden, die häufig<br />
Diebstähle verübten. Christiane J.<br />
stockt: Die Bahn bezeichnet Flaschensammler<br />
pauschal als Diebe? Sie beschwert<br />
sich schriftlich. Darüber, dass<br />
die Bahn „gegen eine sehr sichtbare<br />
Gruppe von Menschen hetzt und diese<br />
unter Generalverdacht stellt“.<br />
Maren Reinsch, Leiterin des Kundendialogs<br />
der Bahn, antwortet: Die<br />
Kritik werde „für die interne Auswertung<br />
den zuständigen Fachbereichen<br />
zur Verfügung gestellt“. Christiane J.<br />
hakt nach, will wissen: Distanziert sich<br />
die Bahn „ausdrücklich“ davon, Flaschensammlern<br />
zu unterstellen, sie<br />
würden klauen? Maren Reinsch wird<br />
nun konkreter, schreibt, es habe entsprechende<br />
Beschwerden gegeben. Darauf<br />
müsse man reagieren, heißt es in<br />
der Mail, die Hinz&<strong>Kunzt</strong> vorliegt. Das<br />
diene „ausschließlich der Sicherheit“.<br />
Flaschensammler<br />
am Bahnhof:<br />
allesamt Diebe?<br />
TEXT: SIMONE DECKNER<br />
FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Nachfrage bei der Bahn. Sprecher Egbert<br />
Meyer-Lovis sagt, es gebe keine expliziten<br />
Durchsagen zu Flaschensammlern.<br />
„Das ist kein Standard“, versichert<br />
er. Aber: Maren Reinsch hat die Durchsage<br />
ja bestätigt und sogar noch mehr:<br />
Solche Durchsagen würde das Zugpersonal<br />
nicht selbst verfassen, schreibt sie<br />
unserer Leserin. Das spricht gegen den<br />
Ausrutscher eines Einzelnen. Und: Bereits<br />
2015 berichtete „Der Tagesspiegel“<br />
von einer Durchsage in Berlin, die der<br />
aus Hamburg auffallend ähnelt und<br />
Bettler verdächtigt: „Im Bahnhof sind<br />
zurzeit organisierte Bettelgruppen unterwegs.<br />
Seien Sie besonders aufmerksam!“<br />
Wer für die Hamburger Durchsage verantwortlich<br />
ist, beantwortete die Bahn<br />
bis Redaktionsschluss nicht.<br />
Was sagt die Bundespolizei, die die<br />
Sicherheit am Hauptbahnhof kontrolliert:<br />
Gab es zuletzt mehr Diebstähle<br />
durch Flaschensammler? „Solche Erkenntnisse<br />
liegen uns nicht vor“, verneint<br />
Sprecher Rüdiger Carstens. Die<br />
Zahl der angezeigten Taschendiebstähle<br />
ist nach Jahren des Anstiegs<br />
2016 dank einer „Zivilen Fahndungsgruppe“<br />
sogar gesunken: von 4327 in<br />
2015 auf 3566 im vergangenen Jahr. •<br />
S-Bahn<br />
Null Toleranz<br />
für Bettler<br />
Die S-Bahn hat einen neuen<br />
„Service“: Fahrgäste können<br />
bei der Kundendialog-Hotline<br />
Bettler und Musiker melden,<br />
wenn sie sich von ihnen<br />
belästigt fühlen. Bei Bedarf<br />
rücken Securitys aus und greifen<br />
ein. Es gelte eine „Nulltoleranzpolitik“,<br />
verkündet<br />
Stephan Schmidt, Sicherheitschef<br />
der S-Bahn, markig<br />
im „Abendblatt“. Es habe<br />
viele Beschwerden gegeben,<br />
sagt Bahn-Sprecher Egbert<br />
Meyer-Lovis auf Nachfrage<br />
von Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Zahlen<br />
nennt er dazu nicht.<br />
„Eine Denunzierung von<br />
bestimmten Gruppen ist absolut<br />
nicht tragbar“, sagt<br />
Straßensozialarbeiter Johan<br />
Graßhoff, er fürchtet noch<br />
mehr Vertreibung.<br />
Dass es auch anders geht,<br />
zeigt ein Beispiel aus Berlin:<br />
Zwar geht die S-Bahn dort<br />
auch gegen Bettler und Musiker<br />
vor. Aber um Obdachlose<br />
kümmern sich seit Anfang<br />
<strong>2017</strong> zwei Sozialarbeiter der<br />
Stadtmission, finanziert mit<br />
65.000 Euro von der S-Bahn.<br />
Obdachlose mit Security-<br />
Mitarbeitern aus den Zügen<br />
zu holen sei möglich, so der<br />
Berliner Bahn-Sprecher Ingo<br />
Priegnitz, „aber das wäre für<br />
alle Beteiligten unbefriedigend“.<br />
Man wolle lieber dazu<br />
beitragen, „dass Obdachlose<br />
eine neue Lebensperspektive<br />
bekommen“. Sie seien Teil<br />
der Gesellschaft.<br />
„Ein guter Ansatz“, findet<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Sozialarbeiter<br />
Stephan Karrenbauer.<br />
„Warum kann der nicht auf<br />
Hamburg übertragen werden?“<br />
Hamburgs Bahn-Sprecher<br />
Egbert Meyer-Lovis sagt:<br />
„Die S-Bahn ist kein geeigneter<br />
Ort für Obdachlose.“ Sozialarbeiter<br />
sind hier nicht vorgesehen.<br />
SIM/BELA<br />
•
Sieht anstrengend aus, ist aber dank<br />
Elektromotor gut zu wuppen:<br />
Fahrer David Gerhardt beliefert bei seiner<br />
Morgenrunde bis zu sieben Kitas.
SERIE<br />
Die Besser-Verdiener<br />
Kleine, geile Firmen,<br />
die sozial wirtschaften<br />
Tausche Lkw<br />
gegen Fahrrad<br />
Die innerstädtische Revolution hat drei Räder: Mit Lastenrädern<br />
sorgt das Hamburger Unternehmen tricargo dafür, dass Waren in der<br />
Stadt schnell und umweltfreundlich von A nach B kommen. Bis zu<br />
200 Kilogramm können so pro Fahrt am Stau vorbeibewegt werden.<br />
TEXT: JONAS FÜLLNER<br />
FOTOS: LENA MAJA WÖHLER<br />
Freude am Radfahren gehöre<br />
bei solch einem Projekt einfach<br />
dazu, sagt Björn Fischer.<br />
(Foto Seite 19). Der 34-Jährige<br />
hat vor anderthalb Jahren „tricargo“ gegründet,<br />
ein Lastenrad-Service für<br />
Hamburgs Straßen. Zusammen mit<br />
zwei Freunden – alles Fahrradfahrer aus<br />
Überzeugung. „Wir haben uns ganz klischeehaft<br />
bei der Critical Mass (Anm. der<br />
Redaktion: monatliche Fahrradtour, die auf die<br />
Belange der Radfahrer aufmerksam machen<br />
will) kennengelernt“, sagt Fischer und<br />
muss selber lachen.<br />
Die einfache Idee der Fahrrad-<br />
Nerds: größere Lasten von einem Ort<br />
zum anderen transportieren – und das<br />
per Rad. „Man denkt immer, Autos<br />
sind schneller und können mehr transportieren“,<br />
sagt Fischer. „Aber das<br />
stimmt so nicht.“<br />
Für eine Großstadt wie Berlin hatte<br />
2013 eine Forschungsgruppe an der<br />
TU Dresden eine Durchschnittsgeschwindigkeit<br />
von gerade einmal 23,4<br />
Stundenkilometern für den allgemeinen<br />
Automobilverkehr gemessen. Lieferwagen<br />
in der Innenstadt kämen<br />
sogar nur im Schneckentempo voran,<br />
sagt Fischer. Ihre Elektro-Fahrräder<br />
hingegen hält kein Stau auf, und sie<br />
passen selbst durch eng stehende Poller.<br />
Auch die Parkplatzsuche sei hinfällig.<br />
„Und mit unserer Traglast von 200<br />
Kilogramm können wir bis zu sieben<br />
Kitas bei nur einer Tour mit warmem<br />
Essen beliefern.“<br />
Mit unseren<br />
Lastenrädern<br />
stehen wir nie<br />
im Stau.“ BJÖRN FISCHER<br />
Vor einer dieser Kitas wartet Fischer an<br />
diesem Morgen um kurz nach 9 Uhr in<br />
der Weidenallee auf seinen Fahrer<br />
David Gerhardt. Fischer blickt auf sein<br />
Smartphone: „In zwei Minuten müsste<br />
17
Fußgänger aufgepasst: Lastenräder<br />
dürfen auf Radwegen fahren und haben<br />
so in der City den Reifen vorn.<br />
er da vorne um die Ecke biegen.“ Tatsächlich<br />
schiebt sich kurz darauf das<br />
Lastenrad die Straße entlang. Zwei Lieferwagen<br />
blockieren die Straße. Den<br />
ersten überholt Gerhardt, dann wechselt<br />
er auf den Fahrradweg.<br />
„Laut Straßenverkehrsordnung<br />
werden Lastenräder wie Fahrräder behandelt“,<br />
erläutert Fischer. „Unsere<br />
Fahrer haben ein Grinsen im Gesicht,<br />
wenn sich der Verkehr auf der Stresemannstraße<br />
staut und sie gemütlich auf<br />
dem Radweg an allen vorbeifahren.“<br />
Mittlerweile hat Gerhardt längst das<br />
Fahrrad abgestellt, das Essen ausge liefert<br />
und sich bereits wieder in den Sattel<br />
geschwungen. Die nächste Kita wartet.<br />
An insgesamt 15 Kitas liefert sein Unternehmen<br />
derzeit Essen für den Öko-<br />
Lieferservice Wackelpeter. Zusätzlich<br />
übernehmen sie Fahrten für Biobob<br />
und die Biokiste, sagt Fischer, bislang<br />
ausschließlich im Stadtzentrum. Dort<br />
gibt es für den Lastenverkehr praktisch<br />
keine Parkplätze. „Mir hat mal ein<br />
Kunde gesagt, dass er sich für die Kosten<br />
des Falschparkens längst ein Lastenrad<br />
hätte zulegen können“, sagt Fischer<br />
nicht ohne Stolz.<br />
Die Kundenakquise und Öffentlichkeitsarbeit<br />
machte Fischer lange alleine.<br />
Inzwischen unterstützt ihn André Zielitzki.<br />
Der 47-Jährige erklärt: „Es ist kein<br />
Zufall, dass die Hauptkunden von tricargo<br />
unterschiedliche Bio-Lieferdienste<br />
sind.“ Sie bieten Biowaren und faire<br />
Arbeitsbedingungen, müssen aber die<br />
Luft verpesten, um Lieferungen auszufahren.<br />
„Für diese Unternehmen sind<br />
wir das Bindeglied in ihrer ökologischen<br />
Kette, das ihnen bisher fehlte.“<br />
Zielitzki ist sich sicher, dass tricargo<br />
noch deutlich mehr Kunden gewinnen<br />
kann. „Der Markt ist bereit für eine umweltfreundliche<br />
und klimaschonende<br />
Mobilität“, sagt er – und verfällt für einen<br />
Moment ganz dem Werbesprech.<br />
„Viele Unternehmen stellen bereits auf<br />
E-Fahrzeuge um. Aber wir wollen nichts<br />
überstürzen, sondern ein gesundes<br />
Wachstum erreichen“, bei dem neben<br />
Sozialunternehmen tricargo<br />
Standort: Bahrenfeld<br />
Gründung: 2016<br />
Motto: tricargo fördert und gestaltet den Einsatz von Lastenrädern.<br />
Noch in diesem Jahr soll die Gründung einer Genossenschaft<br />
erfolgen, die tricargo weiteres Wachstum ermöglichen und die<br />
Verkehrswende vorantreiben soll.<br />
Material: Mit drei Lastenrädern können in isolierten<br />
Transportboxen jeweils Zuladungen mit maximal 200 Kilogramm<br />
durch das Hamburger Stadtgebiet ausgeliefert werden.<br />
Mitarbeiter: Ein Techniker und fünf Fahrer sind derzeit<br />
bei tricargo in Teilzeit beschäftigt.<br />
Geschäftsführer: Björn Fischer<br />
Bezahlung: Alle Mitarbeiter erhalten denselben Stundenlohn,<br />
der bei 10 Euro liegt. Der Zuschuss pro Kind beträgt 25 Cent.<br />
Mehr Infos: www.tricargo.de<br />
18
Stadtgespräch<br />
Fahrradfahrer aus Überzeugung:<br />
Firmen gründer Björn Fischer<br />
will expandieren. Er plant einen<br />
eigenen Lastenrad-Prototyp.<br />
Gute Beratung<br />
ist die halbe Miete<br />
Unsere Juristen beraten Sie<br />
professionell und engagiert<br />
der ökologischen auch die soziale Ausrichtung<br />
gewahrt bleibe.<br />
„Wir wollen deshalb eine Genossenschaft<br />
gründen und tricargo dorthin<br />
überführen. Das ist meines Erachtens<br />
das demokratischste Modell“, sagt der<br />
Fahrrad-Enthusiast, der – wie könnte es<br />
anders sein – Fischer bei einer alljährlichen<br />
Fahrradsternfahrt kennenlernte.<br />
„Außerdem können sich dann mehr<br />
Menschen am Projekt beteiligen.“<br />
Doch auch so ist das kleine Unternehmen<br />
schnell gewachsen. Drei Lastenräder<br />
mit großen Transportkisten<br />
haben sich Fischer und sein Team inzwischen<br />
zugelegt und damit bereits<br />
mehr als 10.000 Kilometer auf Hamburgs<br />
Straßen zurückgelegt. Zum Vergleich:<br />
Ein Mercedes-Sprinter hätte dabei<br />
800 Liter Diesel verbraucht und 2,2<br />
Tonnen CO 2<br />
in die Atmosphäre<br />
abgegeben.<br />
Der jüngste Erfolg: Ihr Kunde Wackelpeter<br />
baut inzwischen fest auf tricargo<br />
und hat schon einen Kleintransporter<br />
wieder abgeschafft, sagt Fischer.<br />
So könne es gerne weitergehen.<br />
Verbesserungsbedarf sehen die Macher<br />
von tricargo eher bei ihren Fahrrädern.<br />
Auch wenn die Räder einen<br />
elek trischen Antrieb haben, gebe es Optimierungspotenziale<br />
für den Einsatz als<br />
Transportfahrrad, pflichtet Zielitzki seinem<br />
Kollegen bei. „Unser Techniker<br />
Aljoscha Sikora arbeitet deswegen an<br />
einem eigenen Prototyp.“ Wenn dieser<br />
fertig ausgearbeitet ist, soll das Modell<br />
produziert werden und perspektivisch<br />
die aktuellen Räder ersetzen.<br />
„Prinzipiell arbeiten wir zweigleisig:<br />
Logistik und Aufbau der Fahrradmanufaktur“,<br />
erläutert Zielitzki. In den anderthalb<br />
Jahren habe man reichlich Erfahrungen<br />
gesammelt, die jetzt in dem<br />
eigenen Prototyp umgesetzt werden.<br />
Zukünftig wäre tricargo dann nicht<br />
mehr nur der ökologische Lieferant, sondern<br />
auch Hersteller moderner Elektro-<br />
Lastenräder mit großen Transportboxen,<br />
die dann auch von anderen<br />
Lieferanten gekauft und genutzt werden<br />
könnten. „Wenn das gelingt, dann kann<br />
„Unser Modell<br />
ist Türöffner<br />
für eine andere<br />
Mobilität.“ ANDRÉ ZIELITZKI<br />
ich mir vorstellen, dass wir zumindest<br />
die Diesel-Kleintransporter in der Stadt<br />
ablösen werden“, sagt Zielitzki. Und<br />
er ergänzt ganz bescheiden: „Ich halte<br />
unser Modell für einen Türöffner in<br />
eine andere Mobilität.“ Dann denkt er<br />
kurz nach und kleidet seine Überlegungen<br />
doch lieber in größere Worte: „Unser<br />
Ziel ist nichts anderes als eine kleine<br />
innerstädtische Revolution.“ •<br />
Kontakt: jonas.fuellner@hinzundkunzt.de<br />
In dieser Serie bereits erschienen<br />
Bridge&Tunnel (Mai <strong>2017</strong>)<br />
Lemonaid (Juni <strong>2017</strong>)<br />
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Hamburger Mieterverein e. V.<br />
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KONTAKT:<br />
Frau Marianne Schaaf<br />
Tel.: 040/ 75 66 64 01<br />
schaaf@hoffnungsorte-hamburg.de<br />
www.aerztederwelt.org<br />
Ein Projekt von<br />
19
Hinz&Künztler<br />
Bernd<br />
Bürgermeister<br />
Olaf Scholz<br />
City Managerin<br />
Brigitte Engler<br />
Der G20 und die<br />
Obdachlosen<br />
Das ist der Gipfel: 895 Container hat die Stadt eingelagert – für teures Geld.<br />
Wenn man die nutzen würde, wären alle Hamburger Obdachlose auf einen Schlag<br />
untergebracht. Aber das will der Bürgermeister wohl nicht, nicht mal zum G20.<br />
TEXT: BENJAMIN LAUFER<br />
W<br />
er während des G20-<br />
Gipfels in Hamburg im<br />
Freien schlafen darf,<br />
war in den vergangenen<br />
Wochen hoch umstritten. Die Gegner<br />
des Gipfeltreffens hatten Camps in<br />
Stadt- und Volkspark angemeldet, die<br />
ihnen verboten worden waren. Zunächst<br />
von den Bezirksämtern, dann<br />
von der Polizei. Gegen die Verbote zogen<br />
die Aktivisten vor Gericht – nicht<br />
ohne zu betonen, dass sie ihre Zelte<br />
notfalls „überall in der Stadt“ aufstellen<br />
würden. Was die Polizei zum Anlass<br />
nahm, eine „Null-Toleranz-Politik“ gegen<br />
wildes Campen auszurufen.<br />
Und mittendrin die Obdachlosen.<br />
Sie haben ohnehin einen schlechten<br />
Stand, ihre Zelte und Platten werden<br />
von den zuständigen Bezirksämtern<br />
häufig nur zähneknirschend geduldet –<br />
wenn überhaupt. Wie sehr sie die angekündigte<br />
Null-Toleranz-Politik treffen<br />
wird, ist unklar. Man werde<br />
Protestler und Obdachlose schon auseinanderhalten<br />
können, heißt es aus der<br />
Innenbehörde. Die Sorgen vor Vertreibung<br />
seien unbegründet.<br />
Das zu glauben fällt vielen schwer, zum<br />
Beispiel Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Sozialarbeiter<br />
Stephan Karrenbauer. „Selbst ich hätte<br />
meine Schwierigkeiten, Obdachlose<br />
von Aktivisten zu unterscheiden“, sagt<br />
er. Wie schon im Mai fordert er von<br />
„Setzen Sie<br />
zum G20 ein<br />
Zeichen!“<br />
BIRGIT MÜLLER<br />
20<br />
der Stadt Unterkünfte oder eine Ausweichfläche<br />
für alle Obdachlosen, die<br />
wegen des G20-Gipfels ihre Platten<br />
räumen müssen.<br />
Diese Forderung hat Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
im Juni noch einmal unterstrichen – mit<br />
einem offenen Brief an den Ersten Bürgermeister<br />
Olaf Scholz, Sozialsenatorin<br />
Melanie Leonhard und Innensenator<br />
Andy Grote (alle SPD). „Der Gipfel löst<br />
bei Normalbürgern ja schon Unsicherheit<br />
und Ängste aus“, schreibt Chefredakteurin<br />
Birgit Müller darin. „Vielleicht<br />
können Sie dann ermessen,<br />
welche Verunsicherung und Ängste das<br />
zu erwartende Polizeiaufgebot und die<br />
Vorkehrungen bei Menschen auslösen<br />
können, die physisch wie psychisch an<br />
der Wand stehen.“ Müllers Wunsch:<br />
Die adressierten Politiker mögen ein<br />
Zeichen setzen, „indem Sie zeigen, dass<br />
Hamburg sich gerade jetzt um seine<br />
schwächsten Bürger kümmert“.<br />
Zumal das ganz einfach wäre: Das<br />
Winternotprogramm am Schaarsteinweg<br />
steht leer – und die Stadt lagert<br />
derzeit 895 Container ein. „Wenn man<br />
die nutzen würde, hätte Hamburg keine<br />
Obdachlosen mehr“, sagt Sozialarbeiter<br />
Karrenbauer.<br />
Schutz der Obdachlosen zum G20,<br />
mit dieser Forderung steht Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
nicht alleine da. Auch das City Management,<br />
ein Zusammenschluss von<br />
Hamburger Geschäftstreibenden, sieht<br />
Handlungsbedarf: „Die Innenstadt ist<br />
auch ein Lebensraum für Obdachlose“,<br />
sagt Geschäftsführerin Brigitte Engler<br />
im Gespräch mit Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Sie sei-<br />
FOTOS (VON LINKS): DMITRIJ LELTSCHUK, FLORIAN JAENICKE, CITY MANAGEMENT,<br />
G2 BARANIAK, BINA ENGEL, AMBULANTE HILFE HAMBURG E. V.
Hauptpastorin<br />
Astrid Kleist<br />
Innensenator<br />
Andy Grote<br />
Ambulante Hilfe:<br />
Bettina Reuter<br />
Schon in der Mai-Ausgabe hat<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> Angebote für Obdachlose<br />
während des G20 gefordert.<br />
2,20 Euro<br />
Davon 1,10 Euro<br />
für unsere Verkäufer<br />
Das Hamburger<br />
Straßenmagazin<br />
Seit 1993<br />
N O 291<br />
Mai.17<br />
en den Aus wirkungen des Gipfels unmittelbar<br />
ausgeliefert und müssten deshalb<br />
besser geschützt werden.<br />
„Diese Menschen können nicht<br />
schnell reagieren, einfach aufstehen,<br />
ihre Tasche nehmen und gehen“, sagt<br />
Engler. „Sie benötigen eine Unterkunft<br />
ähnlich dem Winternotprogramm, die<br />
auch schon in den Tagen vor dem Gipfel<br />
geöffnet hat.“<br />
Eine Forderung, der sich auch der<br />
Runde Tisch St. Jacobi anschließt. An<br />
ihm kommen regelmäßig zahlreiche<br />
Akteure aus der Innenstadt zusammen.<br />
Astrid Kleist, Hauptpastorin von St. Jacobi,<br />
sagt: „Wir haben gemeinsam in<br />
der Stadt dafür Sorge zu tragen, dass<br />
sich auch die Wohnungslosen in ihren<br />
berechtigten Ängsten und konkreten<br />
Befürchtungen im Blick auf die Tage<br />
rund um den G20-Gipfel ernst genommen<br />
und gehört fühlen.“<br />
Dabei geht es nicht nur um Sicherheitsvorkehrungen,<br />
von denen Obdachlose<br />
betroffen sein könnten. Auch<br />
möglichen Ausschreitungen wären sie<br />
schutzlos ausgeliefert. Das City Management<br />
rechnet für den Bereich um<br />
die Mönckebergstraße zwar nicht mit<br />
Krawallen, auch weil die Polizei dort alle<br />
Demonstrationen verboten hat.<br />
„Mindestens für den Bereich<br />
Reeperbahn gehen wir allerdings<br />
davon aus, dass die Obdachlosen<br />
besser geschützt werden müssen“,<br />
sagt Engler.<br />
Ähnlich sehen es auch die<br />
Unterzeichner eines Aufrufs,<br />
den Bettina Reuter von der Beratungsstelle<br />
Ambulante Hilfe<br />
initiiert hat. „Die Vertreibung<br />
und Ausgrenzung derjenigen<br />
Menschen, die ohnehin schon<br />
als ‚Verlierer‘ unserer Gesellschaft<br />
gelten, stehen einer<br />
weltoffenen und toleranten<br />
Stadt schlecht zu Gesicht“,<br />
befinden zahlreiche Träger<br />
der Wohlfahrtspflege wie Diakonie,<br />
Caritas und Paritätischer<br />
Wohlfahrtsverband<br />
Hamburg. Sie fordern sowieso,<br />
„dass dauerhafte Lösungen<br />
geschaffen werden“.<br />
Werden all diese Stimmen<br />
gehört? In unserer Juni-Ausgabe<br />
erklärte Polizei -<br />
s precher Timo Zill, es würden<br />
„individuelle Lösungen“ für Obdachlose<br />
gefunden, die sich in Sicherheitsbereichen<br />
aufhielten.<br />
Was an den hartnäckigen Gerüchten<br />
dran ist, dass die Platten an Kennedyund<br />
Kersten-Miles-Brücke zum Gipfel<br />
geräumt werden, beantwortet die Polizei<br />
„Obdachlose<br />
müssen besser<br />
geschützt werden.“<br />
BRIGITTE ENGLER<br />
nicht eindeutig. In der Sozialbehörde<br />
geht man trotz der Unsicherheiten<br />
davon aus, dass der Gipfel auf Obdachlose<br />
„geringe“ Auswirkungen hat. Für<br />
eine zusätzliche Unterkunft gebe es<br />
„keinen Bedarf“, sagt ein Sprecher. In<br />
der Notunterkunft Pik As gebe es „ausreichend<br />
Plätze“. Mitte Juni waren dort<br />
90 Betten frei, bis zum Gipfel könnten<br />
es noch etwas mehr sein.<br />
Alle Experten gehen dagegen davon<br />
aus, dass im Gipfel-Einzugsbereich<br />
rund 200 bis 300 Obdachlose schlafen.<br />
Und wenn die Polizei ihre „Null-Toleranz-Politik“<br />
gegen Wildcamper durchsetzt,<br />
könnte es wesentlich mehr Obdachlose<br />
treffen, die eine „individuelle<br />
Lösung“ brauchen. Mal eben schnell. •<br />
Kontakt: benjamin.laufer@hinzundkunzt.de<br />
Mehr Informationen unter<br />
www.huklink.de/g20-obdachlose<br />
21
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>293</strong>/JULI <strong>2017</strong><br />
Meldungen (1)<br />
Politik & Soziales<br />
Schleswig-Holstein<br />
Abschied vom Landesmindestlohn<br />
Der mit 9,99 Euro pro Stunde bundesweit höchste Landesmindestlohn gehört<br />
der Geschichte an. Nachdem die FDP bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein<br />
Mitte Juni deutliche Zugewinne verzeichnen konnte, setzten die Liberalen im<br />
Entwurf des Koalitionsvertrags mit CDU und Grünen durch, die bis 2019<br />
geltende Sonderregelung anschließend nicht fortzuführen. Erst im Januar hatte<br />
der scheidende Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) stolz die Anhebung des<br />
Landesmindestlohns von 9,18 auf 9,99 Euro verkündet. Unternehmen, die sich<br />
auf Ausschreibungen für Aufträge des Landes bewerben, müssen im nördlichsten<br />
Bundesland ihren Angestellten somit derzeit deutlich mehr zahlen als den<br />
Maklergebühren<br />
Mehr Nachrichten unter<br />
Wohnungsmarkt<br />
Rahlstedt<br />
unterlegenen Mieter und zieht jetzt mieter weitergereicht“, sagt F+B-Ge-<br />
www.hinzundkunzt.de<br />
gegen das Urteil in Berufung. JOF<br />
•<br />
Mietpreisbremse ungültig?<br />
Ist die Mietpreisbremse in Hamburg<br />
unwirksam? Das 2015 eingeführte<br />
Instrument soll verhindern, dass bei<br />
Neuvermietungen der Preis die ortsübliche<br />
Vergleichsmiete um mehr als<br />
zehn Prozent übersteigt. Anfang Juni<br />
hatte aber das Amtsgericht Altona zu<br />
Gunsten eines Vermieters entschieden.<br />
Es liege keine ausreichende<br />
Schwierige Wohnungssuche<br />
Die Immobilienforscher des Instituts<br />
F+B beobachten einen massiven<br />
Rückgang bei Wohnungsangeboten<br />
im Internet. Im ersten Quartal <strong>2017</strong><br />
wurden 42 Prozent weniger Inserate<br />
veröffentlicht als noch im ersten<br />
Quartal 2015. Seit Sommer 2015 gilt<br />
das Bestellerprinzip: Vermieter<br />
übernehmen die Vermittlungsgebühr,<br />
Leer stehende Kirche besetzt<br />
Anfang Juni haben Aktivisten die<br />
Thomaskirche in Rahlstedt besetzt<br />
und in dem leer stehenden Gebäude<br />
ein Jugendzentrum eröffnet. „Wir<br />
drohen nicht mit der Polizei“, sagt<br />
Remmer Koch vom Kirchenkreis<br />
Hamburg-Ost in Richtung der Besetzer.<br />
Theoretisch sei gar eine längere<br />
Nutzung möglich. Allerdings: Die<br />
Begründung für die Bremse vor. wenn sie einen Makler beauftragen. Betriebskosten für das Gebäude liegen<br />
Die Gerichtsentscheidung ist allerdings Eigentlich gut für Wohnungssuchende.<br />
Jetzt aber brauchen sie Kontakte,<br />
•<br />
bei etwa 50.000 Euro pro Jahr. JOF<br />
nicht rechtskräftig, sagt Siegmund<br />
Chychla. Der Vorsitzende des Mietervereins<br />
zu Hamburg vertritt den<br />
denn viele Wohnungen würden „über<br />
Direktansprache durch den Vor-<br />
gesetzlich festgelegten Bundes-Mindestlohn von 8,84 Euro pro Stunde. JOF<br />
•<br />
schäftsführer Bernd Leutner. JOF<br />
•<br />
Flüchtlingshilfe<br />
Ombudsfrau soll vermitteln<br />
Der Senat hat eine zentrale Forderung<br />
von Flüchtlingsinitiativen umgesetzt<br />
und eine Vermittlungsstelle<br />
zwischen Helfern, Flüchtlingen und<br />
Behörden eingerichtet. Seit dem<br />
1. <strong>Juli</strong> ist die ehemalige Landespastorin<br />
und Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Herausgeberin<br />
Annegrethe Stoltenberg Ombudsfrau.<br />
Die 67-Jährige arbeitet ehrenamtlich<br />
und wird durch hauptamtliche<br />
Mitarbeiter unterstützt. JOF<br />
•<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
www.solihilfe.de<br />
Anerkanntes Ausbildungsinstitut der BAFM<br />
www.imka.net<br />
Telefon: 040/89726163<br />
Neuer Einführungskurs zum<br />
<br />
29.09. - 01.10.<strong>2017</strong> in Hamburg
Der G20 und das Klima<br />
Wir könnten die<br />
letzte Generation<br />
sein, die die<br />
Chance hat,<br />
unseren Planeten<br />
zu retten.<br />
BAN KI-MOON, UN-GENERALSEKRETÄR 2007 BIS 2016<br />
Es war eine Sensation: Am 12. Dezember 2015 beschlossen 195 Regierungschefs aus aller Welt,<br />
die Erderwärmung bis 2050 abzubremsen und sie auf deutlich unter 2° C im Vergleich zum<br />
vorindustriellen Niveau zu drosseln. Ein Jahr später trat das völkerrechtlich verbindliche<br />
Pariser Klimaabkommen in Kraft. Sogar China und die USA, die beiden größten Verursacher von<br />
Treibhausgas-Emissionen, unterzeichneten die Selbstverpfl ichtung. Auch wenn die Regierung<br />
Trump nun aus dem Übereinkommen aussteigt, sollte die Welt weiterhin an den Zielen festhalten.<br />
Denn unter dem Klimawandel leiden wir alle, aber vor allem Alte, Kranke und die,<br />
die ohnehin am Rande des Existenzminimums leben. Und er kostet uns richtig viel Geld.<br />
REDAKTION: JONAS FÜLLNER, ANNETTE WOYWODE<br />
GRAFIKEN/ILLUSTRATIONEN: GRAFIKDEERNS.DE<br />
Zahlen & Fakten<br />
zum Klimawandel<br />
in Deutschland<br />
und der Welt<br />
Experten-<br />
Interview:<br />
Karsten Smid von<br />
Greenpeace<br />
Deutschland<br />
Zahlen & Fakten<br />
zum Klimawandel<br />
in Hamburg<br />
Seite 24 & 25<br />
Seite 26 & 27<br />
Seite 28 & 29
Heiße Zeiten<br />
Warum die Menschheit dringend an den UN-Klimazielen von 2015 festhalten sollte, zeigen die<br />
folgenden Grafi ken. Schon heute fl iehen mehr Menschen vor Umweltkatastrophen als vor Krieg<br />
und Gewalt. Und wer glaubt, der Klimawandel mache vor Deutschland halt, der irrt.<br />
fliehen vor Krieg und Gewalt<br />
fliehen vor Krieg und Gewalt<br />
2015<br />
8,56<br />
Millionen<br />
fliehen vor Umweltkatastrophen<br />
19,2<br />
Millionen<br />
Die Jahreszeiten<br />
verschieben sich …<br />
und damit auch das Wachstum und<br />
die Entwicklung von Pflanzen,<br />
wie die „phänologische Uhr“<br />
(siehe rechts) zeigt. Der Winteranfang,<br />
der auf dieser Uhr beginnt, wenn die<br />
Stieleiche ihre Blätter verliert, ist zwar<br />
nach wie vor Anfang November.<br />
Er endet aber rund einen halben Monat<br />
früher als noch im Zeitraum 1961 bis<br />
1990. Das bedeutet: Es wird früher im<br />
Jahr warm. Daher treibt die Haselnuss,<br />
der Bote des Vorfrühlings, schon Mitte<br />
Februar Blüten. Allergiker aufgepasst:<br />
Auch Birken und Gräser blühen immer<br />
früher. Gefahr für die Landwirtschaft:<br />
Ein Kälteeinbruch im Frühling<br />
trifft inzwischen auf weit entwickelte<br />
Pflanzen, die den Kälteschock oft nicht<br />
verkraften. Die Uhr zeigt auch:<br />
Der Hochsommer dauert heute vier<br />
Tage länger als noch vor 30 Jahren.<br />
Quelle: DWD, Nationaler Klimareport 2016<br />
2016<br />
6,8<br />
Millionen<br />
Winter<br />
Stieleiche (Blattfall)<br />
Spätherbst<br />
Stieleiche<br />
(Blattverfärbung)<br />
Spätherbst<br />
Stieleiche<br />
(Früchte)<br />
Frühherbst<br />
Schwarzer<br />
Holunder (Früchte)<br />
fliehen vor Umweltkatastrophen<br />
24,2<br />
Millionen<br />
Quelle: Global Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC), <strong>2017</strong>; siehe auch unser Experten-Interview auf Seite 26<br />
19<br />
18<br />
22<br />
Spätsommer<br />
Apfel, frühreifend (Früchte)<br />
26<br />
19<br />
26<br />
26<br />
Okt<br />
Sep<br />
22<br />
1961-1990<br />
Dauer in Tagen: 120<br />
1991-2015<br />
Dauer in Tagen: 105<br />
Nov<br />
Aug<br />
Hochsommer<br />
Sommerlinde (Blüte)<br />
42<br />
Dez<br />
<strong>Juli</strong><br />
46<br />
Jan<br />
Juni<br />
Feb<br />
Mai<br />
22<br />
21<br />
ÜBRIGENS<br />
Die meisten<br />
Umweltflüchtlinge<br />
verlassen ihre Heimat<br />
wegen Stürmen und<br />
Über schwemmungen.<br />
März<br />
Apr<br />
30<br />
38<br />
31<br />
31<br />
34<br />
32<br />
Vollfrühling<br />
Apfel (Blüte)<br />
Frühsommer<br />
Schwarzer Holunder (Blüte)<br />
Vorfrühling<br />
Hasel (Blüte)<br />
Erstfrühling<br />
Forsythie (Blüte)<br />
Hitzewarnsystem für Städter, Ältere und Kranke<br />
Seit dem 1. Juni <strong>2017</strong> werden Städter, Ältere und Kranke vom Deutschen Wetterdienst (DWD)<br />
bei über 30 o C gezielt über Hitzegefahren informiert. Denn hohe Temperaturen<br />
gelten als gefährlich für das menschliche Leben. Es drohen Dehydrierung und Hitzschlag.<br />
„Ein Hitzewarn system kann dazu beitragen, die negativen Folgen des Klimawandels<br />
abzumildern und Leben zu retten“, so Dr. Paul Becker, Vizepräsident des DWD.<br />
Ein Film zum Hitzewarnsystem des DWD unter www.huklink.de/hitzefilm<br />
Die Warmwetter-App unter www.huklink.de/hitzewarnapp<br />
24
Steigende Hitzebelastung in Deutschland<br />
40<br />
35<br />
30<br />
Anzahl heiße Tage – Gegenwart und Zukunft<br />
Tage pro Jahr<br />
Spannbreite<br />
Annahme 1<br />
ANNAHME 1<br />
Wirtschaften wir weiter<br />
wie bisher, erhöht sich<br />
die Anzahl der Tage pro Jahr mit<br />
Temperaturen ab 30 °C<br />
bis zum Jahr 2100 auf 23.<br />
25<br />
20<br />
15<br />
10<br />
5<br />
Beobachtungen<br />
ANNAHME 2<br />
Erreichen wir<br />
das 2 °C-Ziel, gäbe es<br />
im Jahr 2100 genauso<br />
viele heiße Tage<br />
(ab 30 °C) wie heute:<br />
etwa 10.<br />
0<br />
1951<br />
2000 2016 2050 2100<br />
Quelle: DWD (www.dwd.de/klima), Statistisches Bundesamt<br />
Was Deutschland der Klimawandel kostet!<br />
REALITÄT<br />
Die Zahl der heißen Tage<br />
ab 30 °C ist im Zeitraum<br />
1951 bis 2016 kontinuierlich<br />
gestiegen.<br />
Experten schätzen, dass der Klimawandel Deutschland bis 2050 rund 800 Milliarden Euro kosten wird. Darunter:<br />
LAND- UND FORSTWIRTSCHAFT:<br />
9 Milliarden Euro wegen Ernteausfällen aufgrund<br />
von Trockenheit und Wassermangel, außerdem<br />
wegen der Umstellung von Anbaumethoden, die wegen<br />
des Klimawandels nötig werden.<br />
TOURISMUS: 30 Milliarden Euro, zum<br />
Beispiel wegen ausbleibenden Schnees<br />
in Wintersportregionen und um dort neue<br />
Tourismusangebote zu schaffen.<br />
DEUTSCHLAND<br />
GESUNDHEIT: 61 Milliarden Euro, zum Beispiel<br />
wegen Krankheiten, die bisher nur in subtropischen<br />
Regionen vorkamen. Außerdem für Vorsorgemaßnahmen,<br />
die als Anpassung an den Klimawandel<br />
vorgenommen werden müssen.<br />
IMMOBILIEN- UND INFRASTRUKTUR-<br />
SCHÄDEN: 30 Milliarden Euro wegen<br />
Hochwasser und Überflutungen.<br />
ENERGIE UND VERKEHR: 130 Milliarden Euro<br />
aufgrund gestiegener Energiepreise.<br />
FINANZEN: Rückversicherer rechnen mit zusätzlichen<br />
Kosten in Höhe von 100 Milliarden Euro.<br />
Quelle: Wochenbericht Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), 11/2007.<br />
Die Zahlen stammen aus einer langfristig angelegten Studie und sind noch gültig.<br />
Der Meeresspiegel<br />
steigt – auch an<br />
deutschen Ufern<br />
Der mittlere Meeresspiegel<br />
der Nordsee ist – gemessen<br />
am Pegel Cuxhaven – zwischen<br />
1843 und 2011 rund<br />
40 Zentimeter gestiegen.<br />
Achtung, Überflutungsgefahr!<br />
Quelle: Universität Siegen, siehe auch Seite 27.<br />
530 cm<br />
520<br />
510<br />
500<br />
490<br />
480<br />
470<br />
Jahresmittelwert<br />
linearer Wert<br />
460<br />
1840 1860 1880 1900 1920 1940 1960 1980 2000<br />
25
Der G20 und das Klima<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>293</strong>/JULI <strong>2017</strong><br />
Karsten Smid<br />
(59) beschäftigt<br />
sich seit<br />
27 Jahren für<br />
Greenpeace mit<br />
erneuer baren<br />
Energien<br />
und dem<br />
Klimawandel.<br />
„Egoistisch und<br />
scheinheilig“<br />
Greenpeace-Experte Karsten Smid über Klimaflüchtlinge,<br />
den G20-Gipfel und die Fehler des Hamburger Senats.<br />
INTERVIEW: ULRICH JONAS<br />
FOTO: DMITRIJ LELTSCHUK<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Herr Smid, Greenpeace hat<br />
im Mai eine Studie veröffentlicht, nach der<br />
der Klimawandel weltweit mehr Flüchtlinge<br />
produziert als Kriege. Die Rede ist von einer<br />
„unterschätzten Katastrophe“. Ist es wirklich<br />
so schlimm?<br />
KARSTEN SMID: Ja. Wir sehen zwar die<br />
schrecklichen Bilder von Flüchtlingen<br />
im Mittelmeer und die wenigen, die es<br />
schaffen, zu uns nach Europa zu kommen.<br />
Die Mehrzahl der Menschen jedoch<br />
wird innerhalb ihrer Herkunftsländer<br />
vertrieben, durch wetterbedingte<br />
Katastrophen wie etwa Überschwemmungen.<br />
Weltweit sind das 20 Millionen<br />
Menschen.<br />
Naturkatastrophen gab es schon immer.<br />
Welche Rolle spielt der Klimawandel?<br />
Die Intensität und Häufigkeit der Katastrophen<br />
nehmen deutlich zu. Es gibt<br />
keine kausale Beziehung zwischen der<br />
Klimaerwärmung und der Zahl der<br />
Vertriebenen. Doch der Klimawandel<br />
wirkt als Risikomultiplikator. Und er<br />
trifft gerade die Menschen, die besonders<br />
verletzlich sind, die ohnehin schon<br />
am Rand des Existenzminimums leben.<br />
26<br />
Der Klimawandel<br />
trifft die, die am<br />
Rand des Existenzminimums<br />
leben.<br />
Nun hat US-Präsident Donald Trump den<br />
Pariser Klimaschutzvertrag aufgekündigt. Ist<br />
die vereinbarte Begrenzung des Temperaturanstiegs<br />
ohne die USA überhaupt zu schaffen?<br />
Sie sollten den Präsidenten nicht mit den<br />
USA gleichsetzen. Kalifornien und andere<br />
US-Bundesstaaten haben gesagt:<br />
„Wir machen weiter.“ Und über 600 Industrieunternehmen<br />
wollen weiter in erneuerbare<br />
Energien investieren, auch<br />
weil die kostengünstiger sind als Kohle.<br />
Und was die G20 angeht: Die USA verursachen<br />
14 Prozent der Treibhausgasemissionen<br />
weltweit, die anderen 19 immerhin<br />
66 Prozent. Von denen kann ich<br />
weiterhin erwarten, dass sie sich an das<br />
Pariser Übereinkommen halten.<br />
Wie wird es beim G20-Gipfel und<br />
danach weitergehen?<br />
Ich erwarte, dass die G19 – Trump ist ja<br />
weltpolitisch isoliert – deutlich machen,<br />
wie sie Treibhausgasemissionen reduzieren<br />
und aus der fossilen Energieversorgung<br />
aussteigen. Kohle, Öl und Gas
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Der G20 und das Klima<br />
Die USA<br />
verursachen<br />
14 Prozent der<br />
Treibhausgasemissionen<br />
weltweit, die<br />
restlichen G19<br />
aber 66 Prozent.<br />
werden von den meisten Staaten ja weiterhin<br />
stark subventioniert – auch bei<br />
uns.<br />
Welche Rolle sollte Deutschland einnehmen?<br />
Die deutsche Politik agiert heuchlerisch.<br />
Die Bundesregierung hat zugesichert,<br />
bis 2020 40 Prozent der Treibhausgase<br />
gegenüber 1990 zu reduzieren. Dieses<br />
Ziel werden wir aber meilenweit verfehlen,<br />
weil wir den Kohleausstieg viel zu<br />
langsam vorantreiben.<br />
Städte erzeugen weltweit bis zu 80 Prozent<br />
der Treibhausgase. Hamburg will deshalb<br />
seinen CO 2<br />
-Ausstoß bis 2030 halbieren.<br />
Überzeugt Sie der Klimaplan des Senats?<br />
Nein. Da wird geschummelt und hingebogen,<br />
wie es passt. Das Kohlekraftwerk<br />
Moorburg verursacht jährlich<br />
8,5 Millionen Tonnen CO 2<br />
, taucht in<br />
der Klimabilanz aber nicht auf, weil der<br />
Senat eine andere Bilanzierungsmethode<br />
wählt. Und diese Dreckschleuder<br />
war ja nur deshalb politisch durchsetzbar,<br />
weil eine Abscheideeinrichtung<br />
versprochen wurde, um den CO 2<br />
-Ausstoß<br />
zu senken. Die aber ist nie gebaut<br />
worden und wird auch nie gebaut werden.<br />
Das ist Betrug.<br />
Und jenseits von Moorburg?<br />
Hamburg baut für Hunderte Millionen<br />
Euro riesige Deiche, etwa am Baumwall,<br />
um sich vor den Folgen des Klimawandels<br />
zu schützen. Die sind immer<br />
50 Zentimeter höher als die der umliegenden<br />
Bundesländer. Das zeigt, wie<br />
egoistisch und scheinheilig Hamburg<br />
vorgeht: Die Stadt heizt mit Moorburg<br />
die Atmosphäre auf und baut die Deiche<br />
dann höher als die Nachbarn, damit<br />
es sie selbst nicht trifft.<br />
Was müsste der Senat machen,<br />
um Sie zu überzeugen?<br />
Moorburg abschalten. Ein Fernwärmekonzept<br />
entwickeln, das auf erneuerbaren<br />
Energien aufbaut. Und was den<br />
Verkehr angeht, sagt die Willy-Brandt-<br />
Straße eigentlich alles: Hamburg ist eine<br />
Autostadt, in der der Fahrradverkehr<br />
anders als in vielen europäischen und<br />
auch deutschen Städten extrem vernachlässigt<br />
wird. Schauen Sie sich nur<br />
die Hafencity an: überall Tiefgaragen,<br />
riesige Kreuzungen.<br />
Greenpeace misst an Hamburger Schulen<br />
die Feinstaubbelastung …<br />
Ja, und wir stellen regelmäßig dicke<br />
Luft und massive Grenzwertüberschreitungen<br />
fest.<br />
Was macht Greenpeace, um das Klima<br />
zu retten?<br />
Wir haben einen eigenen Stromanbieter<br />
aufgebaut, bei dem Sie zu 100 Prozent<br />
erneuerbare Energien bekommen.<br />
Wir haben gemeinsam mit anderen intensiv<br />
gegen den Neubau von Kohlekraftwerken<br />
gekämpft – und viele auch<br />
verhindern können. Und wir machen<br />
seit mehr als zehn Jahren mit beim<br />
Braunkohle-Widerstand, wo es darum<br />
geht, die Erweiterung von Braunkohle-<br />
Tagebau zu verhindern – und letztlich<br />
den Kohleausstieg zu organisieren.<br />
Das Kraftwerk<br />
Moorburg stößt<br />
8,5 Millionen<br />
Tonnen CO 2<br />
pro Jahr aus.<br />
Es ist einfach, über die Politik zu schimpfen.<br />
Was kann ich persönlich fürs Klima tun?<br />
Ich kann den Stromanbieter wechseln.<br />
Mich auf den Fahrradsattel schwingen<br />
und das Auto stehen lassen. Meinen<br />
Fleischkonsum minimieren. Mein Haus<br />
wärmedämmen. Und möglichst wenig<br />
fliegen. So kann ich meine persönliche<br />
CO 2<br />
-Bilanz immerhin halbieren. •<br />
Kontakt: ulrich.jonas@hinzundkunzt.de<br />
Mehr Infos im Internet unter<br />
www.greenpeace.de<br />
FOTOS: DANIEL REINHARDT/DPA, AXEL HEIMKEN/DPA<br />
Chaos: Am 7. Juni 2016 wütete eine Windhose im Osten Hamburgs.<br />
27<br />
Eine Woche später: Starkregen überflutet die Straßen in Eppendorf.
Dicke Luft über<br />
Hamburg<br />
In den vergangenen 100 Jahren ist die Temperatur in Hamburg um etwa<br />
ein Grad gestiegen. Extreme Hitzewellen gibt es seit 1994. Darunter leiden<br />
wir alle, erst recht Obdachlose, die Sonne, aber auch Starkregen schutzlos<br />
ausgeliefert sind. Klimaschutz ist dringend nötig, sagt Dr. Benjamin Bechtel<br />
vom Institut für Geografi e an der Uni Hamburg – und eine Stadtplanung,<br />
die den Klimawandel berücksichtigt. In einer Grafi k zeigt er warum.<br />
Urbane Grenzschicht und<br />
Stadtreibungsschicht<br />
Als „städtische Wärmeinsel“<br />
bezeichnet man höhere<br />
Temperaturen in der Stadt im<br />
Vergleich zum Umland.<br />
Sie tritt in unterschiedlichen<br />
Höhen und Schichten auf und<br />
kann dazu beitragen, dass sich<br />
eine Dunst glocke ausbildet<br />
(siehe unten).<br />
Frischluftachsen<br />
Wichtig für die Luftzirkulation in Hamburg sind die sogenannten<br />
Frischluftachsen. Es sind Grünstreifen, die sich aus allen Himmelsrichtungen<br />
durch Hamburg ziehen. Sie entstanden während des<br />
Siedlungsbaus der 1920er-Jahre unter der Regie von Oberbau direktor<br />
Fritz Schumacher. Werden sie durch hohe Gebäude oder<br />
Industrie anlagen verstellt, erhöht sich nicht nur die Temperatur,<br />
sondern zugleich die Belastung der Luft mit Schadstoffen.<br />
Dunstglocke<br />
Über Städten vermischt sich der<br />
Wasserdampf, der nicht von der Vegetation<br />
verarbeitet wurde, mit Abgasen. Dadurch<br />
bildet sich eine Dunstglocke. Das Ergebnis:<br />
Die Stadtluft ist mit deutlich mehr<br />
Schadstoffen belastet als die Luft<br />
im ländlichen Raum. Auch in Hamburg.<br />
Wald/Bäume<br />
Naturbelassene Flächen<br />
heizen sich durch die Vegetation<br />
und deren Verdunstungsleistung<br />
weniger stark auf. Der<br />
Unterschied der Lufttemperatur<br />
zwischen Stadt und Land<br />
kann daher mehr als<br />
8 °C betragen.<br />
Klimaanpassung<br />
Zwischen hohen Gebäuden speichert sich<br />
die Wärme und es entsteht eine sogenannte<br />
Wärmeinsel. Grünflächen und Bäume<br />
beeinflussen das Stadtklima positiv.<br />
In Hamburg gibt es nach Angaben der<br />
Umweltbehörde noch rund 240.000 Straßenbäume.<br />
Tendenz fallend. Um dem Schwund<br />
entgegenzuwirken, wurden im vergangenen<br />
Jahr die Mittel für Straßenbaumpflanzungen<br />
verdreifacht. Trotzdem verringerte sich<br />
der Bestand wegen zahlreicher Fällungen im<br />
Vergleich zum Vorjahr um 250 Bäume.<br />
Starkregen<br />
Durch die Versiegelung weiter<br />
Teile der Stadt läuft Niederschlag<br />
nur durch die Kanalisation oder an der<br />
Oberfläche ab. Wenn es Starkregen gibt<br />
und die Abflüsse die Wassermengen nicht<br />
mehr aufnehmen, kann es mitten in der<br />
Stadt zu Überflutungen kommen. In Hamburg,<br />
wo Stromkästen ebenerdig liegen,<br />
könnte im schlimmsten Fall die<br />
S tromversorgung für ein ganzes<br />
Quartier gefährdet sein.<br />
28<br />
Ungesundes Stadtklima<br />
Asphaltierte Flächen und<br />
Materialien wie Stein und Beton<br />
lassen Feuchtigkeit nicht<br />
versickern und speichern tagsüber<br />
Wärme. Die wird in der Nacht wieder<br />
abgegeben und verlangsamt<br />
die Abkühlung der Stadtluft.<br />
Die Folge: Bei starker Hitze kann<br />
in Kombination mit anderen<br />
Belastungen die Gesundheit vor<br />
allem von Kindern, älteren und<br />
kranken Menschen gefährdet sein<br />
(siehe auch Seite 24).<br />
Grafik: David Grawe, Claus Carstens und Benjamin Bechtel
°C<br />
37<br />
28<br />
37<br />
Hamburg<br />
Frankfurt/Main<br />
In Hamburg<br />
traten bis 1993 nie<br />
extreme Hitzewellen auf.<br />
Seit 1994 gab es sie schon<br />
vier Mal. Wenn zwei<br />
Wochen lang Temperaturen<br />
ab 30 o C herrschen,<br />
spricht man von einer<br />
Hitzewelle.<br />
1994<br />
31,8 °C<br />
2003<br />
35,8 °C<br />
Kreuzfahrtschiffe<br />
in Hamburg<br />
160<br />
192<br />
(erwartet)<br />
28<br />
37<br />
München<br />
2003<br />
33,1 °C<br />
88<br />
28<br />
1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015<br />
Quelle: Deutscher Wetterdienst (DWD), Nationaler Klimareport 2016<br />
32<br />
Plus<br />
100<br />
Hektar<br />
Gründächer<br />
Private Eigentümer erhalten<br />
eine Förderung von 40 Prozent<br />
bei der Dachbegrünung.<br />
Das Ziel des Senats:<br />
Bis 2020 soll der Anteil der<br />
Gründach flächen der Stadt<br />
um 100 Hektar erhöht werden.<br />
Dies entspricht etwa<br />
der doppelten Fläche<br />
von Planten un Blomen.<br />
Quelle: Behörde für Umwelt und Energie<br />
2005 2010 2015 <strong>2017</strong><br />
Die 15 größten Seeschiffe<br />
der Welt stoßen<br />
jährlich mehr schädliche<br />
Schwefeloxide aus<br />
als alle 760 Millionen<br />
Autos weltweit.<br />
Quelle: Nabu Hamburg<br />
„Mit dem Klimawandel kenne ich<br />
mich nicht aus. Aber zu viel Regen<br />
und extreme Hitze sind für Obdachlose<br />
jetzt schon absolut katastrophal.“<br />
Unser Titelmodel Herbert, 41, lebte zwei Jahre auf der Straße. Inzwischen hat er eine<br />
Wohnung und Arbeit am Flughafen beim Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Projekt „Spende dein Pfand“ gefunden.<br />
„Wenn es ständig regnet, kriegt man auf Platte die Sachen überhaupt<br />
nicht mehr trocken“, sagt Herbert. Aber auch starke Hitze im<br />
Sommer sind ein Problem: Wo kann sich ein Obdachloser jederzeit<br />
waschen? Herbert hat die öffentlichen Duschen am ZOB genutzt,<br />
erinnert er sich. Kostenpunkt: 1,50 Euro. Aber nicht nur die Dusche,<br />
auch Trinken kostet extra. In der Hamburger Innenstadt gibt es<br />
lediglich am Rathausmarkt eine kostenlose Trinkwassersäule.<br />
29
Ahoi,<br />
Schaluppe!<br />
Die Diskokugel glitzert in der Sonne, die Hängematten<br />
sind aufgespannt, die Außenbordmotoren geben volle Kraft<br />
voraus, und ein Traum ist wahr geworden: Die „Schaluppe“<br />
fährt. Das Kulturfl oß bietet nicht nur Platz zum Feiern<br />
und Entspannen an Deck, sondern auch neue Blickwinkel auf<br />
den Hafen und seine Chancen für die Stadt.<br />
TEXT: ANNABEL TRAUTWEIN<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Amazonas? Nein, Hamburg!<br />
Das Kulturfloß „Schaluppe“<br />
sticht in See – oder<br />
besser gesagt in die Elbe.
Es gibt noch so viel zu entdecken<br />
auf dem Wasser“,<br />
schwärmt Ann-Kathrin<br />
Kraus vom Verein für mobile<br />
Machenschaften. Bisher<br />
werde der Hafen fast ausschließlich<br />
wirtschaftlich und touristisch genutzt –<br />
da geht noch einiges, findet die Floßbauerin.<br />
Dafür gibt es jetzt die „Schaluppe“.<br />
Die Premiere beim Theater der<br />
Welt hat das Kulturfloß schon gemeistert:<br />
Es gab Workshops zur Entwicklung<br />
alternativer Kreuzfahrten, Vorträge<br />
und Partys. Konzerte, Filmabende<br />
und Theater sollen folgen – unkommerziell<br />
und da, wo sie gewünscht werden.<br />
„Wir wollen den Stadtraum Wasser für<br />
alle öffnen“, sagt Crewmitglied Ann-<br />
Kathrin, die alle nur Anni nennen.<br />
32<br />
Anni war schon Teil der Crew, als die<br />
„Schaluppe“ noch eine fixe Idee war,<br />
zusammengesponnen vor rund zwei<br />
Jahren beim Abendessen unter Freunden.<br />
Vier von ihnen wohnten damals in<br />
Wilhelmsburg unter einem Dach: Kulturwissenschaftlerin<br />
Sanne Neumuth<br />
und der nautische Offizier Nils Moje,<br />
Freizeitwissenschaftlerin Anni und<br />
Schiffbauingenieur Michael Oehmke.<br />
Studierte Profis, geborene Wasserratten<br />
allesamt. Und fasziniert von der Vorstellung,<br />
die flüssigen Areale der Stadt<br />
zu erobern.<br />
Auch andere hatten es gewagt: die<br />
Macher des Floßes „Anarche“ in Berlin<br />
etwa, die Demos auf dem Wasser organisieren.<br />
Die drei aus Müll gebauten<br />
Floße der „Swimming Cities of Serenissima“,<br />
die 2009 die Adria überquerten<br />
und zur Biennale in Venedig einliefen.<br />
„Das Thema hat uns nicht<br />
losgelassen“, erzählt Anni. Trotzdem<br />
blieben Zweifel: Kann man so etwas in<br />
Hamburg machen? Wer den Hafen<br />
kennt, kennt seine Behörde Hamburg<br />
Port Authority, die nach strikten Regeln<br />
bestimmt, was im Hafen geschehen<br />
darf. Kulturprojekte gehören meist<br />
nicht dazu.<br />
Doch dann kam der Sommer 2015:<br />
Kampnagels „geheimagentur“ rief das<br />
Recht auf Hafen aus, eröffnete bei<br />
Wilhelmsburg ein alternatives Kreuzfahrtterminal<br />
und lud zum Bau des<br />
Floßes „Hydra“ ein. Natürlich machten<br />
sie da mit, und als das Floß nach einer<br />
Kundgebung im Fleet am Rathaus-
Gut gelaunt trotz harter Arbeit – diese<br />
Erfahrung hat im Laufe der Zeit mehr<br />
als 70 Helfer zum Anpacken auf der<br />
Baustelle motiviert (links). Für Anni (oben)<br />
hat sich die Plackerei voll gelohnt.<br />
„Nichts ist wichtiger als Sicherheit“, sagt Michael<br />
Oehmke (rechts). Das sieht Gutachter Jens-Uwe<br />
Vetter genauso. Inzwischen hat die Crew es<br />
schwarz auf weiß: Die Schaluppe schwimmt, ist<br />
manövrierfähig und sicher. Sogar ein Öko-Klo ist<br />
an Bord – stilecht mit Herzchen in der Holztür.<br />
33<br />
markt seinen Dienst getan hatte, überführten<br />
die Freunde aus dem Verein für<br />
mobile Machenschaften es zurück auf<br />
die Elbinsel. Das Holz der „Hydra“<br />
wurde später Baustoff für die Schaluppe.<br />
„Die Aktion hat uns gezeigt: Das,<br />
was da in unseren Köpfen reift, das<br />
geht“, sagt Anni.<br />
Kurz darauf starteten die Freunde<br />
eine Crowdfunding-Kampagne. Innerhalb<br />
von vier Wochen sollten 30.000<br />
Euro gesammelt werden. „Das Crowdfunding<br />
hatten wir uns ganz leicht vorgestellt“,<br />
erzählt Anni. „Das war wohl<br />
unser Glück – sonst hätten wir uns vielleicht<br />
nicht getraut.“ Nach drei Tagen<br />
stagnierte der Geldfluss. Neue Ideen<br />
mussten her. Auf Partys gab es Soli-<br />
Getränke für das Floßprojekt, DJs legten<br />
unter dem Namen „Schaluppe“ auf<br />
und spendeten die Kasse, die Floßbauer<br />
in spe entrümpelten eine Wohnung<br />
und verkauften den Hausrat auf Flohmärkten,<br />
um Geld für das Floß zu verdienen.<br />
Auch beim Crowdfunding<br />
machten wieder mehr Leute mit, nach<br />
einem Monat waren 20.000 Euro zusammengeflossen<br />
– genug, um weiterzumachen,<br />
genug für die erste Ladung<br />
Holz und Stahl.<br />
„Am Anfang dachten wir, wir bauen<br />
acht Wochen“, sagt Micha und lacht.<br />
Heute weiß er es besser: „Stahlbau ist<br />
schon ’ne andere Nummer.“ Schwimmen<br />
sollte das Floß auf zwei Rohren,<br />
Durchmesser 1,32 Meter, unterteilt in je
Die Steuerung funktioniert,<br />
genug Schwimmwesten liegen bereit.<br />
vier wasserdichte Kammern. Um die zu<br />
bauen, brauchte es Profis: Ein Metallbaumeister<br />
und ein Schiffbauschweißer,<br />
die neben rund 70 anderen Freiwilligen<br />
auf der Baustelle halfen, schnitten<br />
Trennwände zu, krochen damit in die<br />
Rohre, ließen Funken sprühen und legten<br />
die Schweißgeräte erst weg, als alles<br />
dicht war. Für das Oberdeck gab es Hilfe<br />
von Fachleuten der Hafencity Universität,<br />
erzählt Michael: „Mit einem 3-D-<br />
Messgerät haben die berechnet, wie wir<br />
die Stahlstützen hinstellen müssen.“ Es<br />
folgten zwei Wochen peniblen Austarierens,<br />
bis alle Winkel stimmten. „Und<br />
dann verzieht sich der Scheiß natürlich<br />
ständig“, seufzt Anni.<br />
Aus acht Wochen fröhlichen Werkelns<br />
wurden insgesamt sechseinhalb<br />
Monate harter Arbeit. Ohne freiwillige<br />
Helfer wäre das nicht gegangen. An<br />
schönen Sommertagen zählten sie<br />
manchmal 30 Leute auf der Baustelle.<br />
„An schlechten Tagen waren wir auch<br />
mal nur zu dritt oder zu viert“, sagt Anni.<br />
Die übliche Arbeitswoche für sie<br />
selbst? „Sieben Tage, von 10 bis 20 Uhr.<br />
Plus morgens und abends E-Mails“,<br />
fasst Michael zusammen.<br />
Hätten sie damals schon feste Jobs<br />
gehabt, wäre es nicht gegangen. Auch<br />
ohne die vielen Sachspenden wäre die<br />
Schaluppe noch lange nicht fertig. Für<br />
Schrauben, Werkzeuge, Farbe oder<br />
technische Geräte hätten sie ohne Spenden<br />
wohl 30.000 Euro zusätzlich gebraucht,<br />
schätzt Anni. Am schwierigsten<br />
gestaltete sich die Suche nach einem<br />
Bauplatz. 71 Grundstücksinhaber erteilten<br />
ihnen eine Absage. Der 72. sagte<br />
„coole Idee“ und überließ ihnen ein<br />
Wassergrundstück in Entenwerder gegen<br />
schmale Miete.<br />
34
Stadtgespräch<br />
Anlegemanöver am goldenen Pavillon in Entenwerder – für<br />
Nils Moje am Steuerstand eine leichte Übung, als Seemann<br />
kann er auch Containerschiffe lenken. Auch Schiffbauingenieur<br />
Michael Oehmke hat Know-how und Papiere.<br />
Die Galionsfigur (unten) weist den Kurs: Auf zu neuen Ufern!<br />
Ihm sei schon mulmig geworden, als<br />
der Kran die „Schaluppe“ ins Wasser<br />
hob, erzählt Michael. Zwei Monate<br />
später folgte die nächste Zitterpartie:<br />
die Testfahrt mit Gutachter. Denn obwohl<br />
das Floß als Kleinfahrzeug der<br />
„Binnenschiffsuntersuchungsverordnung“<br />
nicht genügen muss – ein<br />
Schwimmfähigkeitszeugnis braucht<br />
die Schaluppe dennoch. Nach einigen<br />
Anläufen ist auch das geschafft. Die<br />
Steuerung funktioniert, die Reling ist<br />
sicher, genug Schwimmwesten liegen<br />
bereit. Auch die Hydraulik des Oberdecks<br />
ist erprobt: Zum Unterqueren<br />
der Brücken klappt das ganze Deck<br />
nach vorn. „Wir haben es tatsächlich<br />
geschafft“, sagt Anni. Die Schaluppe<br />
schwimmt – auf zu neuen Ufern. •<br />
Kontakt: annabel.trautwein@hinzundkunzt.de<br />
Termine der Schaluppe: www.mobile<br />
machenschaften.de/schaluppe/<br />
35<br />
stilbruch.de
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>293</strong>/JULI <strong>2017</strong><br />
Meldungen (2)<br />
Politik & Soziales<br />
So soll der Neubau des City-Hofs am Klosterwall aussehen,<br />
hat eine Jury entschieden. Geplant sind ein Hotel mit<br />
200 Zimmern, Wohnungen, Büros, Geschäfte und Cafés.<br />
Auch eine Kita soll einziehen – wenn das Denkmalschutzamt grünes<br />
Licht für den Abriss gibt. Ein Bündnis streitet weiter für den Erhalt<br />
der bisherigen Gebäude: „Stadtherz“ will dort ein soziales<br />
Zentrum errichten. Mehr: www.hinzundkunzt.de/thema/city-hof<br />
OECD-Studie zum Arbeitsmarkt<br />
Niedrige Löhne trotz Aufschwung<br />
Die gute Nachricht: Nach der Wirtschaftskrise<br />
vor zehn Jahren haben sich<br />
die Arbeitsmärkte in den Ländern der<br />
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit<br />
und Entwicklung (OECD)<br />
weitgehend erholt.<br />
Die schlechte: „Viele Menschen<br />
spüren den Aufschwung nicht, da ihre<br />
Löhne stagnieren und Aufstiegschancen<br />
fehlen“, sagte OECD-Generalsekretär<br />
Angel Gurría bei der Vorstellung des<br />
Beschäftigungsausblicks der Organisation.<br />
Trotz der „besonders niedrigen<br />
Arbeitslosigkeit“ sei das Lohnwachstum<br />
auch in Deutschland verhalten geblieben,<br />
bemängelt die OECD darin. Der<br />
Anteil der Geringverdiener sei doppelt<br />
so hoch wie etwa in Island. Einstiegslöhne<br />
für Zuwanderer seien niedrig und<br />
viele ältere Arbeitnehmer und Zweitverdiener<br />
hätten schlecht bezahlte Jobs<br />
angenommen.<br />
Insgesamt stellt die Studie dem deutschen<br />
Arbeitsmarkt aber ein verhältnismäßig<br />
positives Zeugnis aus. Kritisiert<br />
wird allerdings „der höhere Anteil von<br />
Arbeitsplätzen mit starkem arbeitsbedingten<br />
Stress“ und die „große Lohndifferenz<br />
zwischen den Geschlechtern“.<br />
Was tun? Die OECD schlägt den<br />
Regierungen vor, Beschäftigte beim Erwerb<br />
der richtigen Qualifikation durch<br />
Weiterbildung zu unterstützen. BELA<br />
•<br />
36
Stadtgespräch<br />
Winternotprogramm für Obdachlose<br />
Scharfe Kritik trotz „ausreichender“ Plätze<br />
Ein positives Fazit aus dem vergangenen Winternotprogramm<br />
hat die Sozialbehörde gezogen: „Die zur Verfügung<br />
gestellten Plätze reichten aus“, hieß es. Das sei jedoch „leider<br />
kein Grund zur Freude, sondern ein Alarmzeichen“, kritisierte<br />
Dirk Hauer vom Diakonischen Werk Hamburg. Denn erstmals<br />
wurden Obdachlose aus Rumänien von den Notunterkünften<br />
abgewiesen und zur Heimreise gedrängt, wenn sie<br />
dort „Selbsthilfemöglichkeiten“ oder eine Wohnung hatten.<br />
521 EU-Bürger nutzten ein Ticket auf Staatskosten – viele<br />
kamen jedoch wegen der Armut im Herkunftsland wieder<br />
zurück. Sie leben in Hamburg wieder auf der Straße, beklagte<br />
die CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Franziska Grunwaldt.<br />
Für viele Obdachlose mit Anspruch auf Sozialleistungen war<br />
das Winternotprogramm hingegen ein Erfolg: Sozialarbeiter<br />
vermittelten 227 von dort in dauerhafte Unterkünfte. BELA<br />
•<br />
abasto<br />
ökologische Energietechnik<br />
Für mehr soziale Wärme<br />
und eine klimaschonende<br />
Strom- und Wärmeversorgung.<br />
www.abasto.de<br />
VISUALISIERUNG: KPW PAPAY WARNCKE UND PARTNER ARCHITEKTEN MBB /BLOOMIMAGES<br />
Berlin<br />
Haftstrafe für Feuer-Attacke auf Obdachlosen<br />
Wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung hat das<br />
Landgericht Berlin einen 21-Jährigen zu einer Freiheitsstrafe<br />
von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Er hatte im<br />
vergangenen Dezember die Kopfunterlage eines schlafenden<br />
Obdachlosen angezündet. Kein Mordversuch, befand das<br />
Gericht: Einen „tödlichen Geschehensablauf“ habe er<br />
„schlicht nicht auf dem Plan gehabt“, sagte Gerichtssprecherin<br />
Lisa Jani zu Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Zu der Tat habe eine „fatale<br />
Gruppendynamik“ geführt: Der alkoholisierte Hauptangeklagte<br />
habe sich vor seinen Begleitern produzieren wollen.<br />
Vor Gericht hatte er angegeben, er habe einen „Scherz“ machen<br />
wollen. Drei seiner Mittäter verurteilte die Richterin zu<br />
einer Jugendstrafe von jeweils acht Monaten auf Bewährung<br />
– wegen Beihilfe. Gegen drei weitere verhängte sie Strafen<br />
wegen unterlassener Hilfeleistung. Die Staatsanwaltschaft<br />
hat Revision eingelegt. BELA<br />
•<br />
Gesetzesverschärfung<br />
Bettlern in Dänemark drohen zwei Wochen Knast<br />
In Dänemark können Bettler nun ohne Vorwarnung für zwei<br />
Wochen ins Gefängnis gesteckt werden, wenn sie „aggressiv“<br />
in Fußgängerzonen, vor Supermärkten, in Bahnhöfen oder<br />
öffentlichen Verkehrsmitteln betteln. Eine entsprechende<br />
Gesetzesverschärfung verabschiedete das Parlament im Juni<br />
mit großer Mehrheit. Begleitet wurde die Entscheidung von<br />
einer Debatte über bettelnde Roma aus Osteuropa. „Wir<br />
werden nicht zulassen, dass Leute in öffentlichen Plätzen<br />
Lager aufschlagen, unsere Kirchhöfe als Toiletten gebrauchen<br />
und in Zügen betteln“, sagte Justizminister Søren Pape<br />
Poulsen von der Konservativen Volkspartei laut dpa. BELA<br />
•<br />
Mehr Infos und weitere Nachrichten unter:<br />
www.hinzundkunzt.de – Post an blog@hinzundkunzt.de<br />
37<br />
JENISCH<br />
HAUS<br />
ERNST EITNER<br />
MONET<br />
DES NORDENS<br />
16.05. – 12.11.<strong>2017</strong><br />
www.jenisch-haus.de
Stadtgespräch<br />
Ein<br />
Bild für<br />
mich<br />
Wie wäre es, wenn man im Museum einfach<br />
mal das Bild an die Wand hängen dürfte, das man<br />
besonders mag? In der Hamburger Kunsthalle<br />
zeigt die Ausstellung Open Access, was dabei<br />
herauskommt, wenn Menschen genau das<br />
tun dürfen. Ein Experiment mit offenem Ausgang.<br />
TEXT: FRANK KEIL<br />
FOTOS: ANDREAS HORNOFF<br />
Christoph Martin Vogtherr<br />
Die Hamburger Kunsthalle war mein erstes Museum. Und nicht meine<br />
Eltern haben mich als Kind hierher geschleppt, sondern sie mussten mit,<br />
weil ich hierher wollte. Nun habe ich die Kunsthalle neu entdeckt, und<br />
das war ein großartiges Gefühl, denn sie hat eine Weltklasse-Sammlung,<br />
die die Kunst vom Mittelalter bis ins Heute abdeckt.<br />
Ausgewählt habe ich das Bild „Doll Boy“ von David Hockney. Es hängt<br />
bei uns derzeit nicht in der Sammlung, sondern ist im Depot eingelagert,<br />
und ich bin froh, dass es mal wieder zu sehen ist. Ich finde es ehrlich gesagt<br />
viel stärker als spätere Bilder, die Hockney gemalt hat und mit denen er<br />
so bekannt wurde.<br />
Kunsthallenleiter Christoph Martin Vogtherr steht vor dem Bild „Doll Boy“<br />
von David Hockney – einem Schlüsselwerk der Pop-Art.<br />
39
Nursima Nas<br />
Das Bild, vor dem ich hier stehe,<br />
ist so ganz anders als viele<br />
Malereien, die ich mir angeschaut<br />
habe. Ich war erst mal total<br />
überwältigt! Ich sehe immer in<br />
allem Gesichter – und hier sehe<br />
ich ein Gesicht, das zur Seite<br />
schaut, und im Inneren ist eine<br />
leere Fläche. Und diese Fläche<br />
möchte gefüllt werden! Ich habe<br />
mir gedacht, dass diese Fläche<br />
mit Wissen gefüllt werden kann.<br />
Was mir auch gefällt: Weil das<br />
Bild erst mal so abstrakt aussieht,<br />
können viele Menschen viele<br />
verschiedene Sachen darin sehen.<br />
Ich war zwei Jahre in Italien, habe<br />
dort mein Abitur gemacht und<br />
muss mich nun wieder in Hamburg<br />
einleben. Ich habe Kunst schon<br />
immer gemocht, male und zeichne<br />
auch selber, und die Kunsthalle<br />
war für mich kein fremder Ort.<br />
Nursima Nas stellte sich vor<br />
die Papierarbeit „Hunger“ von<br />
Felix Droese.
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Hosein Youssofi<br />
Bei uns in Afghanistan gibt es eine Art Sprichwort: „Das Leben besteht von<br />
der Geburt bis zum Tod aus Lernen!“ Und auch mein Hauptziel war immer Bildung.<br />
Deswegen gefällt mir das Bild von dem alten Mann so, der da so fleißig lernt.<br />
Man hat mich für dieses Projekt angesprochen, als ich hier in der Kunsthalle<br />
eine Präsentation über das Bild „Eismeer“ von Caspar David Friedrich gemacht habe.<br />
Ich studiere zwar Technik, aber als Wahlfach habe ich Kunst gewählt. Und ich habe<br />
sofort zugesagt, als man mich fragte, ob ich bei Open Access mitmachen möchte.<br />
Auch weil ich wenig Ahnung von Kunst habe, und ich wollte mehr Ahnung von Kunst haben.<br />
Hosein Youssofi lebt seit 2011 in Hamburg.<br />
Er steht vor dem Bild „Der Philosoph“ von Jean-Honoré Fragonard.<br />
Es ist ein Versuch. „Ein Experiment“,<br />
wie der neue Direktor<br />
der Hamburger Kunsthalle,<br />
Christoph Martin<br />
Vogtherr, gut gelaunt sagt. Denn für die<br />
Ausstellung Open Access, Offener Zugang,<br />
haben sich keine Kunstwissenschaftler<br />
und Kuratoren zusammengesetzt,<br />
sondern Laien. Menschen, die<br />
sich schon für Kunst interessieren, aber<br />
die keine Profis sind, keine Experten.<br />
Vogtherr freut sich, dass ihm die<br />
Freunde der Kunsthalle und die Hubertus<br />
Wald Stiftung diese Ausstellung finanziert<br />
haben, ohne dass sie vorher<br />
wussten, was mit ihrem Geld gemacht<br />
werden würde. „Das war ja quasi ein<br />
Blankoscheck, den ich da ausgestellt<br />
bekommen habe“, sagt Vogtherr.<br />
Der Kunsthistoriker hatte diese<br />
Idee – aus ganz einfachen, hausgemachten<br />
Gründen: Vogtherr ist in Uelzen<br />
aufgewachsen und besuchte als<br />
Schüler und Jugendlicher immer wieder<br />
die Hamburger Kunsthalle. Dann studierte<br />
er aber in Berlin, Heidelberg und<br />
Cambridge Kunstgeschichte. Zuletzt<br />
war er Museumsdirektor in London<br />
und hat gewiss einiges von der Welt und<br />
der Kunstwelt gesehen.<br />
Nun ist er seit einem halben Jahr in<br />
Hamburg vor Ort und fragte sich als<br />
41<br />
Neu-Hamburger, wie wohl die vielen<br />
anderen Neu-Hamburger sein Haus<br />
und die dort ausgestellte Kunst wahrnehmen<br />
würden. Was ist ihnen an<br />
Kunst wichtig? Welche Fragen stellen<br />
sie an die Kunst? Sehen sie unsere klassische,<br />
unsere moderne und auch die<br />
aktuelle Kunst vielleicht ganz anders?<br />
Besonders, wenn sie aus einem anderen<br />
Kulturkreis zu uns gekommen sind?<br />
Vogtherr lud also zwölf interessierte<br />
Neu-Hamburger in die Kunsthalle ein.<br />
Man lernte sich im Rahmen von sechs<br />
Workshops untereinander kennen,<br />
schaute sich in kiloschweren Katalogen<br />
Werke quer aus allen Jahrhunderten an,
Delphine Takwi<br />
Die Frau auf dem einen Bild sieht für mich aus wie eine Asylbewerberin. Sie sitzt in einer Unterkunft und weiß nicht, was sie machen soll.<br />
Ich frage mich beim Betrachten des Bildes: Sollen wir diese Frau in der Unterkunft lassen? Oder sollten wir sie nicht so unterstützen,<br />
dass sie eine Perspektive auf ein gutes Leben hat? Auf dem nächsten Bild sehe ich eine sehr selbstbewusste Frau. Sie hat alles erreicht,<br />
aber sie lernt immer noch mehr dazu. Und noch auf einem anderen Bild sehe ich eine Frau, die raucht, und alles ist ihr egal. Und so sehe<br />
ich in den Bildern viele Geschichten von Frauen. Ich komme aus Kamerun in Westafrika. In Altona engagiere ich mich bei dem Projekt<br />
„Stadtteil mütter“. Zu Open Access kam ich über eine Bekannte, auch weil ich mich sehr für interkulturelle Themen interessiere.<br />
Delphine Takwi steht vor der Serie „Untitled (Bus Riders I)“ von Cindy Sherman.
Stadtgespräch<br />
e-mobile-Landpartie.de<br />
inkl. B&B<br />
Heide Kadula und Khalil Balbisi<br />
Man sucht oft nach ästhetischen Bildern. Aber wir haben das Bild dieser alten Frau als<br />
Kontrapunkt gegen den Jugendlichkeitswahn gewählt. Früher stand man zu seinem Alter,<br />
das wird uns ja heute schwer gemacht. Aber irgendwann setzt sich das Alter doch durch.<br />
Die Frau ist müde, aber sie guckt wach. Wir sollten uns solche Bilder ansehen,<br />
um zufriedener zu werden. Und mich erinnert das Bild noch dazu an meine Mutter.<br />
Sie lebt schon lange nicht mehr, aber mir wird klar, was sie für uns acht<br />
Kinder getan hat, in sehr schwierigen Zeiten. Wir haben alle acht eine gute Position<br />
geschafft aufgrund ihrer Erziehung.<br />
Heide Kadula und Khalil Balbisi stehen vor dem Bild „Studie einer alten Frau“ von<br />
Balthasar Denner. Heide Kadula wurde 1943 in Westpreußen geboren. Sie floh mit ihrer<br />
Familie erst nach Thüringen, dann weiter nach Hamburg. Khalil Balbisi wurde 1944 in<br />
Jerusalem geboren, lebte dann in Jordanien und kam Mitte der1960er-Jahre nach Hamburg.<br />
ENGAGIEREN<br />
TAUFEN<br />
SINGEN<br />
PFLEGEN<br />
klickte sich durch die interne Datenbank,<br />
in der noch mal alle Werke verzeichnet<br />
sind.<br />
Dann tauchte man mit langen Listen<br />
in der Hand ab ins Depot, diskutierte<br />
viel, und am Ende wählte jeder<br />
die Werke aus, die gezeigt werden und<br />
die noch gehängt werden mussten. Dabei<br />
zeigte sich, dass manchmal ein Bild<br />
eine Wand für sich alleine braucht,<br />
kein anderes Bild neben sich duldet,<br />
und dass eine gute Hängung noch mal<br />
eine Kunst für sich ist.<br />
Nun ist diese gemeinsame Auswahl<br />
in der Kunsthalle zu sehen, und es stellen<br />
sich nicht nur einzelne Gemälde<br />
und Papierarbeiten, Zeichnungen und<br />
Fotoarbeiten dem Publikum, sondern<br />
auch das Ausstellungskonzept.<br />
„Ob das, was wir hier probieren,<br />
funktioniert, werden wir sehen“, sagt<br />
Vogtherr. Ihn beschäftigt eine Frage<br />
sehr: „Wie werden wir ein Museum für<br />
immer mehr Hamburger und Hamburgerinnen?“<br />
Er hat da einen ganz praktischen<br />
Zugang: „Wenn man einmal um<br />
die Kunsthalle herumgehen würde, was<br />
ja nicht geht wegen der Bahngleise,<br />
dann schaut man in vier verschiedene<br />
Richtungen: die Außenalster, die Innenstadt,<br />
man hat den Hauptbahnhof und<br />
man hat St. Georg. Bisher sprechen wir<br />
nicht mit gleicher Intensität in alle vier<br />
Richtungen. Aber das ist genau das,<br />
was ich erreichen möchte.“ •<br />
Kontakt: frank.keil@hinzundkunzt.de<br />
Hamburger Kunsthalle, Glockengießerwall<br />
5, Öffnungszeiten: Di–So,<br />
10–18 Uhr, Do, 10–21 Uhr, ab 6 Euro.<br />
Die Ausstellung endet am 27. August.<br />
TRAUERN<br />
INFORMIEREN<br />
HEIRATEN<br />
Das Leben<br />
steckt voller<br />
Fragen.<br />
43<br />
Wie können wir Ihnen helfen?
Hinz&<strong>Kunzt</strong> wird<br />
bei Wendula von<br />
Platen zum echten<br />
Kunstwerk:<br />
Sie verarbeitet<br />
das Magazin zu<br />
Collagen.<br />
Kunst von<br />
der Straße<br />
Neugier hält jung, findet Wendula von Platen.<br />
Bei ihren Streifzügen durch Hamburg wurde die<br />
Künstlerin zu einem Fan von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
TEXT: MISHA LEUSCHEN; FOTOS: LENA MAJA WÖHLER<br />
Wendula von Platen ist eine,<br />
die genau hinschaut<br />
im Leben – auch deshalb<br />
schlägt ihr Herz<br />
für Hinz&<strong>Kunzt</strong>. „Ich bin seit der ersten<br />
Stunde als Unterstützerin und Leserin<br />
dabei“, erzählt die 86-Jährige. Aus<br />
wandeln sich in ihren Bildern in wunderschöne<br />
abstrakte Landschaften voll<br />
Farbe und Energie.<br />
Doch Wendula von Platen fotografiert<br />
nicht nur. Aus etwas Vorhandenem<br />
etwas Neues zu schaffen, diesen<br />
Gedanken setzt sie auch mit ihren Colihrer<br />
Gabe, Dinge wahrzunehmen, an<br />
denen andere achtlos vorbeigehen,<br />
macht sie Kunst. Wenn sie mit ihrer<br />
Kamera durch die Stadt streift, dann<br />
geht sie ganz dicht ran an alte Container<br />
und Silvestermüll, an Obstschalen<br />
oder Bauschutt. Diese Überbleibsel ver-<br />
Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk<br />
44
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
lagen um. Aus Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Magazinen<br />
fertigt sie zarte, ausdrucksstarke<br />
Collagen, die aus Fotos und Grafiken<br />
neue Motive mit ganz eigener künstlerischer<br />
Handschrift entstehen lassen.<br />
Warum ausgerechnet Hinz&<strong>Kunzt</strong>?<br />
„Das Papier eignet sich so gut dafür“,<br />
sagt die Hamburgerin verschmitzt lächelnd<br />
– natürlich ist dies nicht der<br />
einzige Grund.<br />
Was ihr am Konzept des Straßenmagazins<br />
gefällt? „Hinz&<strong>Kunzt</strong> macht<br />
Menschen zu Geschäftspartnern auf<br />
Augenhöhe“, sagt sie. „Deshalb sage ich<br />
meinen Freundinnen immer, sie sollen<br />
den Verkäufern nicht nur Geld geben,<br />
sondern die Zeitung auch kaufen.“<br />
Die Geschichten von Menschen und<br />
wie sie ihr Schicksal meistern, interessieren<br />
Wendula von Platen. Das betrifft<br />
auch „ihre“ Stammverkäufer. Einer der<br />
ersten war Sigi. Bevor er Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />
Vertriebsmitarbeiter wurde, verkaufte er<br />
lange vor dem Supermarkt in ihrer<br />
Nachbarschaft. „Da hatte er eine echte<br />
Fangemeinde und ich gehörte dazu“, erzählt<br />
sie schmunzelnd.<br />
Dass er es weg von der Straße<br />
schaffte und er nicht mehr trinkt, freut<br />
sie immer noch. Bei einem Fest von<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> in der Fabrik trafen sich<br />
die beiden wieder, „und weil ich nichts<br />
bei der Tombola gewonnen hatte, hat<br />
Sigi mir eine Eieruhr geschenkt – eine<br />
grüne Paprika.“ Die tut in ihrer Küche<br />
immer noch ihren Dienst.<br />
Mit Menschen in Kontakt zu kommen,<br />
fällt der ehemaligen Sekretärin<br />
der Internationalen Schule leicht.<br />
„Neugier – die Gier auf Neues – ist das<br />
Freunde<br />
Reißen, schneiden, kleben: Mit viel Geduld<br />
und einem guten Gespür für Proportion<br />
entsteht aus Vorhandenem etwas Neues.<br />
beste Rezept gegen das Altwerden!“,<br />
findet sie. Souverän geht sie mit dem<br />
Computer um, teilt sich ein Atelier mit<br />
einem Freund und einer Freundin, demonstriert<br />
für Europa, reist gern und<br />
geht mit wachen Augen durch die Welt.<br />
Ihre vielen Eindrücke verarbeitet<br />
die Mutter zweier erwachsener Kinder<br />
in ihrer Kunst. Sie ist bei einer Schreibwerkstatt<br />
dabei, macht Ausstellungen<br />
ihrer Fotos und Collagen. Künstlerisches<br />
Talent, glaubt sie, liege in der Familie:<br />
„Mein Urgroßvater war Architekt<br />
und ein genialer Zeichner.“ Eine<br />
Zeichnung, die er für seine Frau gemacht<br />
hat, hängt in ihrer Wohnung.<br />
„Kunst bleibt“, da ist sich Wendula von<br />
Platen sicher. •<br />
JA,<br />
ICH WERDE<br />
MITGLIED<br />
IM HINZ&KUNZT-<br />
FREUNDESKREIS.<br />
Damit unterstütze ich die<br />
Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Meine Jahresspende beträgt:<br />
60 Euro (Mindestbeitrag für<br />
Schüler/Studenten/Senioren)<br />
100 Euro<br />
Euro<br />
Datum; Unterschrift<br />
Ich möchte eine Bestätigung<br />
für meine Jahresspende erhalten.<br />
(Sie wird im Februar des Folgejahres zugeschickt.)<br />
Meine Adresse:<br />
Name, Vorname<br />
Straße, Nr.<br />
PLZ, Ort<br />
Telefon<br />
E-Mail<br />
Beruf<br />
Geburtsjahr<br />
Einzugsermächtigung:<br />
Ich erteile eine Ermächtigung zum<br />
Bankeinzug meiner Jahresspende.<br />
Ich zahle: halbjährlich jährlich<br />
IBAN<br />
Wir danken allen, die im Juni an uns<br />
gespendet haben, sowie allen Mitgliedern<br />
im Freundeskreis von Hinz&<strong>Kunzt</strong> für die<br />
Unterstützung unserer Arbeit!<br />
DANKESCHÖN EBENFALLS AN:<br />
• IPHH • wk it services<br />
• Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />
• Hamburger Tafel<br />
Dankeschön<br />
45<br />
• Axel Ruepp Rätselservice<br />
• Hamburger Kunsthalle<br />
• bildarchiv-hamburg.de<br />
• B2Run Smith & Nephew<br />
• Spenden bei der Trauerfeier<br />
für Helga Krause<br />
• HSV-Freundeskreis Stellingen,<br />
Barkassenfahrt vor dem letzten Heimspiel<br />
• Fahrtensegler Karlsruhe e.V. und Rolf Drähter<br />
BIC<br />
Bankinstitut<br />
Wir versichern, dass Ihre Angaben nur für interne<br />
Zwecke bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> verwendet werden. Ihre<br />
Mitgliedschaft im Freundeskreis ist jederzeit kündbar.<br />
Bitte Coupon ausschneiden und senden an:<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis<br />
Altstädter Twiete 1-5, 20095 Hamburg<br />
Oder online im Freundeskreis anmelden unter<br />
www.hinzundkunzt.de/freundeskreis<br />
HK <strong>293</strong>
Buh&Beifall<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>293</strong>/JULI <strong>2017</strong><br />
Was unsere Leser meinen<br />
„Man kann selbst entscheiden, ob man etwas geben möchte“<br />
„Schwachsinnige Hotline“<br />
H&K Online und Seite 15, Bahn nimmt<br />
Bettler ins Visier<br />
Klar kommt es immer mal vor,<br />
dass jemand um Geld bittet, aber ich<br />
habe mich nie belästigt gefühlt. Über<br />
die Musik hab ich mich oftmals gefreut.<br />
Ich finde, die Leute sind immer zurückhaltend<br />
und nicht penetrant fordernd.<br />
Man kann selbst entscheiden, ob man<br />
etwas geben möchte oder nicht. Auch<br />
wenn man nichts gibt, sind die Leute<br />
eigentlich immer freundlich und wünschen<br />
noch einen schönen Tag. Prinzipiell<br />
kann die Bahn schwachsinnige<br />
Hotlines ins Leben rufen wie sie will.<br />
Wenn niemand sie nutzt, tut’s niemandem<br />
weh. VIOLA HORNSCHEUER VIA FACEBOOK<br />
Es gibt genug andere Möglichkeiten<br />
an Geld zu kommen, als eh schon<br />
genervten Fahrgästen in der S-Bahn<br />
mit irgendwelcher Musik auf die Nüsse<br />
zu gehen!<br />
MARTEN FREUND VIA FACEBOOK<br />
„Das gibt es nur in Hamburg“<br />
H&K Online und Seite 6, Trauermarsch<br />
Es ist schön zu sehen, wie ihr von<br />
Peter Abschied genommen habt.<br />
INA ERNST VIA FACEBOOK<br />
Das gibt es nur in Hamburg, da<br />
sind Obdachlose noch Menschen.<br />
STEFAN MARTIN VIA FACEBOOK<br />
„Unbedingt sanieren!“<br />
H&K Online und Seite 36, City-Hof:<br />
Abrissdebatte geht weiter<br />
Unbedingt sanieren! Es gibt einen<br />
guten Entwurf von Gerkan, Marg und<br />
Partner, was beweist, dass es geht.<br />
Vielleicht vertraut man ja mal auf die<br />
Expertise namhafter Architekten.<br />
Der Denkmalschutz in der ohnehin<br />
zu Recht „Abrissstadt“ genannten<br />
Metropole Hamburg nimmt weiter<br />
Schaden. Er ist ja eigentlich schon eine<br />
Lachnummer. NILS KRAMAR VIA FACEBOOK<br />
Dickes Lob<br />
H&K allgemein<br />
Die Artikel sind spannend<br />
(fesselnd), fein geschrieben und<br />
ohne Rechtschreibfehler, wie ich sie<br />
anderswo zuhauf finde. Die bei dem<br />
Zen tralthema „Obdachlosigkeit“<br />
nahe liegende Larmoyanz fehlt völlig.<br />
Die Aufmachung kommt professionell<br />
daher. Ich bin begeistert. KARL-HEINZ PÜTZ<br />
Leserbriefe geben die Meinung des<br />
Verfassers wieder, nicht die der Redaktion.<br />
Wir behalten uns vor, Leserbriefe zu kürzen.<br />
HAMBURGER NEBENSCHAUPLÄTZE<br />
DER ETWAS<br />
ANDERE<br />
STADTRUNDGANG<br />
SCHNELL<br />
SCHALTEN<br />
Anzeigen: 040/28 40 94-0<br />
anzeigen@hinzundkunzt.de<br />
Wollen Sie Hamburgs City einmal mit anderen Augen sehen?<br />
Abseits der teuren Fassaden zeigt Hinz&<strong>Kunzt</strong> Orte, die in<br />
keinem Reiseführer stehen: Bahnhofs mission statt Rathausmarkt,<br />
Drogenberatungsstelle statt Alsterpavillon, Tages aufent halts stätte<br />
statt Einkaufspassage.<br />
Anmeldung: info@hinzundkunzt.de<br />
oder Telefon: 040/32 10 83 11<br />
Kostenbeitrag: 10/5 Euro<br />
nächste Termine: 16.7. + 30.7.<strong>2017</strong>, 15 Uhr<br />
trostwerk - andere bestattungen
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Echter Gentleman: Musiker Carsten Friedrichs liebt Fußball, Selbstironie und „Eis-Gerd“ (S. 48).<br />
Großer Mut: Hinz&Künztler Gerold stellt sich seinen Ängsten – auch beim Zahnarzt (S. 58).<br />
Neuer Comic: Unser Maskottchen Dodo Dronte trifft beim G20-Gipfel auf die Polizei (S. 56).<br />
Veränderung kommt von<br />
innen: Die Kunstaktion<br />
„1000 Gestalten“ im Vorfeld<br />
des G20-Gipfels soll<br />
zeigen, dass Menschen ihre<br />
Last ablegen können, um<br />
frei zu leben (S. 53).<br />
FOTO: CHRISTIAN ANGL
Wenn er nicht auf der Bühne<br />
steht, trifft man Musiker<br />
Carsten Friedrichs regelmäßig<br />
als Gast auf Fußballplätzen an.<br />
„Ich bin ja kein Idiot“<br />
Seit mehr als 20 Jahren schreibt der Hamburger Musiker Carsten Friedrichs<br />
Songtexte über ehrliche Männer, besoffene Esel und aussterbende Kneipen:<br />
erst für „Superpunk“, seit 2012 für „Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen“.<br />
Davon leben kann er nicht. Warum weigert er sich trotzdem aufzugeben?<br />
INTERVIEW: SIMONE DECKNER<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE, MARTIN MORRIS (BAND)
Kunz&Kult<br />
Wichtig ist auf dem Platz, so will es<br />
eine Fußballerweisheit. Manchmal<br />
ist aber auch wichtig, was neben<br />
dem Platz passiert. Etwa, wenn<br />
Fußballfan und Musiker Carsten Friedrichs auf<br />
der legendären Adolf-Jäger-Kampfbahn in Ottensen<br />
mit Blechspielern posiert. Zuvor hat der<br />
45-Jährige mit Hinz&<strong>Kunzt</strong> über Bauerntricks,<br />
Talentlosigkeit und zu eng gewordene T-Shirts<br />
gesprochen.<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Carsten, auf eurem neuen Album* singst<br />
du zu gewohnt schmissiger Musik: „Jungs kommt,<br />
wir geben jetzt auf!“ Wann hattest du zuletzt das Gefühl:<br />
„Ich habe keinen Bock mehr?“<br />
CARSTEN FRIEDRICHS: Eigentlich nie. Ich kenne aber ein<br />
paar Kollegen, die die Flinte ins Korn geschmissen<br />
haben. Es gibt tolle, talentierte Musiker, aber deren<br />
Können und Kreativität stehen in einem eklatanten<br />
Missverhältnis zu deren öffentlicher Wahrnehmung<br />
und Erfolg.<br />
Von der Musik allein kannst du auch nicht leben,<br />
dafür mit Musik. Du arbeitest als Booker bei eurem<br />
Label Tapete Records. Wärst du glücklicher,<br />
wenn du den Brotjob nicht zusätzlich bräuchtest?<br />
Welcher Musikfan wünscht sich nicht, bei einem<br />
coolen Indielabel zu arbeiten? Ich bin Musikfan<br />
und Tapete ist ein cooles Indielabel. Perfekt!<br />
Wolltest du schon als Kind Musiker werden?<br />
Ja, im Dezember 1980, als John Lennon gestorben<br />
ist, haben sie auf dem Ersten den Beatles-Film „Hi-<br />
Hi-Hilfe!“ gezeigt. Wie das anfängt, wo sie da<br />
„Help!“ spielen, da dachte ich, das finde ich toll, das<br />
will ich auch mal machen! Da war ich acht Jahre alt.<br />
Dann hast du direkt verkündet: „Ich werde Musiker!“<br />
Nee, ich bin auch total unmusikalisch. Ich habe<br />
mir auch nie zugetraut, ein Instrument zu spielen.<br />
Meine Eltern haben mir eine Blockflöte geschenkt<br />
und Unterricht an der Volkshochschule spendiert,<br />
aber ich war total talentlos.<br />
Sagst du.<br />
Nee, wirklich! Irgendwann, so Mitte der 1980er,<br />
habe ich durch einen Kumpel all diese britischen<br />
Indie-Bands kennengelernt, so C86- und Sarah Records-Zeugs<br />
(bekannt für Twee- und Gitarren-Pop, die<br />
Red.) Da dachte ich: „Mensch, die treffen ja auch<br />
keinen Ton! Spricht mich an, die Musik, wunderbar!<br />
Jetzt kann ich das auch.“ Dann habe ich halt<br />
versucht, Stücke zu machen mit den drei Akkorden,<br />
die ich auf der Gitarre konnte (lacht).<br />
49
Es ist voll okay,<br />
diese Band zu lieben<br />
(von links): Philip M.<br />
Andernach, Carsten<br />
Fiedrichs, Heiko<br />
Franz, Tim Jürgens,<br />
Gunther Buskies.<br />
Trotz deiner Selbstzweifel wolltest du auf<br />
die Bühne?<br />
Ja, natürlich. Das ist jetzt auch bei der<br />
neuen Band so. Das sind ganz tolle, talentierte<br />
Musiker. Alleine wäre das natürlich<br />
Schrott. Aber mit Leuten zusammen,<br />
die einen ähnlichen Spirit<br />
haben, kann das dann ganz toll werden.<br />
So war das damals, so ist es jetzt.<br />
„Selbstironisch zu<br />
sein ist leichter,<br />
als sich ernst<br />
zu nehmen.“<br />
CARSTEN FRIEDRICHS<br />
In „Der große Kölner Pfandflaschenbetrug“<br />
singst du über den Mann, der 2013 in Köln<br />
eine Pfandflasche so manipuliert hat, dass er<br />
sie immer wieder verwenden konnte. Er hat<br />
mehr als 40.000 Euro damit ergaunert.<br />
Was interessiert dich an den Gaunern?<br />
Über große Gefühle haben schon etliche<br />
Leute vor mir gesungen. Das ist irgendwie<br />
langweilig, zu diesem Kanon<br />
kann ich nichts Gutes mehr beitragen.<br />
Da habe ich diesen Artikel in der Zeitung<br />
gelesen und dachte „Mensch, das<br />
ist doch mal was! Da will ich jetzt der<br />
Erste sein, der über den Kölner Pfandflaschenbetrüger<br />
was singt.“ Das ist sowieso<br />
das A und O bei Musik: Sei nicht<br />
langweilig! Mach was du willst, aber sei<br />
nicht langweilig.<br />
Viele deiner Texte sind selbstironisch: Von<br />
„Ich habe keinen Hass auf die Reichen / ich<br />
möchte ihnen nur ein bisschen gleichen“ bis<br />
zum neuen „Liebe wohnt hier nicht mehr“.<br />
Wie wichtig ist Selbstironie als Stilmittel?<br />
Selbstironisch zu sein ist leichter, als<br />
sich ernst zu nehmen. Mit Inbrunst zu<br />
texten ist schwieriger. Aber vielleicht<br />
fehlt mir da auch die Selbstdistanz.<br />
In „Eine Tragödie kommt niemals allein“<br />
trauerst du um David Bowie und die Tatsache,<br />
dass du nicht mehr in dein altes Bowie-<br />
Fan-Shirt passt. Das ist sehr selbstironisch.<br />
Das kann jeder selbst entscheiden. Verfettung,<br />
Altwerden, Tod – das sind ernste<br />
Themen. Hätten wir da nur Moll-<br />
Akkorde genommen, würden wir jetzt<br />
vermutlich gar nicht darüber diskutieren,<br />
wie das gemeint ist. Das ist der<br />
Bauerntrick, den wir uns von Motown<br />
(legendäres Soul- und R&B-Label, die Red.)<br />
abgeguckt haben: fröhliche, tolle Musik<br />
mit todtraurigen Texten. Das ist keine<br />
Raketentechnik. Man muss es nur machen<br />
(lacht).<br />
Ihr habt auch schon einen Song über ein<br />
Heim für besoffene Esel in England gemacht.<br />
Ja, ich habe mal gelesen, dass viele<br />
Lasten esel in England alkoholabhängig<br />
waren, weil die mit Bier abgefüllt wurden.<br />
Das war schon ein Problem. Die<br />
wurden dann notgeschlachtet. Und<br />
50<br />
dann gab es 1969 eine Mrs. Svendsen,<br />
die ein Eselsrefugium eröffnet hat. Seither<br />
können die alle in Frieden ihren Ruhestand<br />
dort verbringen.<br />
Und was hat es mit dem neuen Song über<br />
„Eis-Gerd“ auf sich?<br />
Da geht es um eine Kneipe in der<br />
Strese mannstraße in Altona. Eis-Gerd<br />
war der Wirt, mit dem haben wir uns<br />
gut verstanden. Bevor wir zum Fußballgucken<br />
gegangen sind, haben wir<br />
uns da oft auf einen Kaffee oder ein<br />
Bier getroffen. Eis-Gerd war klasse.<br />
Der hatte mal einen Song verdient.<br />
Und es kann ja auch nicht sein, dass<br />
es über die Lieblingskneipe nur den<br />
einen Song von Peter Alexander gibt<br />
(„Die kleine Kneipe“, die Red.).<br />
Aber Eis-Gerd gibt es nicht mehr?<br />
Nein, vor zehn Jahren ist er in Rente gegangen<br />
und hat keinen Nachfolger gefunden.<br />
Jetzt ist da, wo er früher war, ein<br />
Laden mit Spezialfuttermittel für Bodybuilder<br />
drin. Schon ein bisschen traurig.<br />
Ist „Song über Eis-Gerd“ eine Ode an ein<br />
Stück verloren gegangenes Hamburg?<br />
Also, wenn ich Songs schreibe, bin ich im<br />
Hier und Jetzt, genauso, wenn ich die<br />
singe. Aufgrund von Fantasielosigkeit<br />
singe ich halt gerne oder fast ausschließlich<br />
über Sachen, die ich kenne.<br />
Also nicht: Früher war alles besser?<br />
Nö, früher war es anders, aber auch<br />
scheiße. Es gibt da diesen Song von den
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Buzzcocks: Da wird der Sänger nostalgisch<br />
über ein Zeitalter, das erst noch<br />
kommen muss. Das finde ich einen<br />
ganz schönen Satz.<br />
Du hast vorhin schon über Fußball<br />
gesprochen. Du bist Fan vom HSV und von<br />
Altona 93. Wie geht das zusammen?<br />
Ganz gut, wenn die nicht zeitgleich<br />
spielen. Ich bin ja nicht so verbissen, ich<br />
bin ja kein Idiot. Ich gehe halt gerne<br />
zum Fußball.<br />
Darf man nicht nur einen Verein haben?<br />
Wer sagt das denn?<br />
Fußballfans.<br />
Kann sein, dass es solche gibt, aber die<br />
wären mir dann zu verbohrt, und die sind<br />
auch nicht in meinem Freundeskreis.<br />
Das ist also kein Problem, auch wenn Altona<br />
93 eher für Arbeiterklasse und der HSV für<br />
etwas Elitäres steht?<br />
Ich glaube, Altona 93 wurde von Reedern<br />
gegründet.<br />
Von Kaufleuten und Gymnasiasten.<br />
Also, so richtig Arbeiterklasse ist das<br />
auch nicht.<br />
Altona 93 ist just in die Regionalliga<br />
aufgestiegen. Der Verein hat sich geweigert<br />
aufzugeben, um einen „Superpunk“-Hit zu<br />
zitieren. Warum weigerst du dich aufzugeben?<br />
Eigentlich ist der Text von „Ich weigere<br />
mich aufzugeben“ ziemlich mies, was<br />
mir damals gar nicht so bewusst war. Es<br />
gibt ja unglaublich viele solcher Durchhaltesongs.<br />
Irgendwie nerven die alle,<br />
aber der ist ganz flott gespielt und komponiert.<br />
So ein nachgemachter Northern-Soul-Beat<br />
zu dem Text, das kann<br />
man schon mal machen. Eigentlich sollte<br />
man aber schon öfter mal etwas aufgeben,<br />
Rauchen zum Beispiel. •<br />
Kontakt: simone.deckner@hinzundkunzt.de<br />
Konzert: 14.7., Hafenklang, Große Elbstraße<br />
24, 20 Uhr, 15 Euro. Am selben<br />
Tag erscheint das neue Album „It’s OK<br />
To Love DLDGG“ bei Tapete Records.<br />
51<br />
Kolumne<br />
30 Jahre Fury:<br />
Uh-uh-uh-ah!<br />
Von Simone Deckner<br />
Ja, Hannoveraner hatten es<br />
nie leicht, gerade in den<br />
1980ern: nur Onkel Hotte<br />
auf FFN, „Kochlöffel“ in der<br />
City und der CDU-Biedermann<br />
Ernst Albrecht als Regierender.<br />
Dann tauchten Fury<br />
in the Slaughterhouse auf.<br />
Die klangen so gar nicht nach<br />
Passerelle, sondern nach großer,<br />
weiter Welt. Ich grölte zu<br />
„Won’t Forget These Days“.<br />
Später kamen Nirvana.<br />
Furys Ende 2008 bekam<br />
ich nicht mehr mit. „Wir kotzten<br />
uns nur noch an“, sagt Gitarrist<br />
Christof Stein-Schneider<br />
(Foto: links). Danach<br />
kümmerten sie sich um andere:<br />
um Obdachlose etwa, denen<br />
sie seit 2011 ehrenamtlich<br />
Weihnachtsessen servieren.<br />
Oder um Schüler. Gemeinsam<br />
mit einem Ex-Knacki<br />
gibt Drummer Rainer Schumann<br />
(Foto: rechts) Trommelworkshops<br />
zur Suchtprävention.<br />
Zu ihrem 30-Jährigen<br />
spielen Fury nun wieder live.<br />
Kein „furyoses“ Comeback,<br />
Ende <strong>2017</strong> ist wieder Schluss.<br />
„Wir wollen nicht mehr in<br />
die alte Mühle hinein“, sagen<br />
sie. Davor kann ich noch mal<br />
mitgrölen: Uh-uh-uh-ah! •<br />
Verlosung: Für das ausverkaufte<br />
Konzert am 14. 7. im Stadtpark<br />
verlosen wir 1 x 2 Tickets. Mail<br />
bis 12.7. an: blog@hinzundkunzt.<br />
de, Betreff: Fury-Tickets.<br />
Mo, 13.11., Fury Akustikkonzert,<br />
Laeiszhalle, Johannes-Brahms-<br />
Platz, 20 Uhr, Tickets ab 41 Euro<br />
FOTO: ANDREAS HORNOFF<br />
<br />
NAS<br />
<br />
HOUSE OF PAIN<br />
<br />
ELTON JOHN & BAND<br />
<br />
BAD RELIGION<br />
<br />
M5 MEXICAN BRASS<br />
<br />
PAPA ROACH<br />
<br />
JOHN LEGEND<br />
<br />
PHOENIX<br />
<br />
TORI AMOS<br />
<br />
MIKE + THE MECHANICS<br />
<br />
ELIF<br />
<br />
MACHINE GUN KELLY<br />
<br />
KASALLA<br />
<br />
ROBIN SCHULZ<br />
<br />
BRIT FLOYD<br />
<br />
ASTRID S<br />
<br />
NILS LANDGREN FUNK UNIT<br />
<br />
DUA LIPA<br />
<br />
CHRIS REA<br />
<br />
SYLVAN ESSO<br />
<br />
ANATHEMA<br />
<br />
KASABIAN<br />
<br />
JOHANNES OERDING<br />
<br />
ENTER SHIKARI<br />
<br />
MICHAEL PATRICK KELLY<br />
<br />
A-HA<br />
<br />
ERASURE<br />
TICKETS: KJ.DE
Kult<br />
Tipps für den <strong>Juli</strong>:<br />
subjektiv und<br />
einladend<br />
Ausstellung<br />
Ein Vierteljahrhundert für die Kunst<br />
Zeitlos gut: Das Plakat von Künstlerin<br />
Mette Ohlsen entstand 1968 an der HFBK.<br />
Mit dem Auftrag „zur Verbesserung<br />
der Zeichenkunst“ öffnete die Hochschule<br />
für bildende Künste (HFBK)<br />
1767 erstmals ihre Türen. 250 Jahre<br />
später zeigt sie, wie sie diesem Anspruch<br />
gerecht geworden ist: Bei der<br />
großen Absolventenausstellung in der<br />
Aula der Hochschule sind neben Bildern<br />
auch Installationen, Filme, Skulpturen<br />
und Fotos zu sehen. Dazu gibt es<br />
Symposien zum Thema Kunstbetrieb<br />
und Vermarktung. Mit der Ausstellung<br />
beginnt auch die Präsentation der<br />
Workshop-Ergebnisse des internationalen<br />
Netzwerks Art School Alliance, in<br />
der Studierende und Dozenten zu aktuellen<br />
Entwicklungen der Kunstwelt forschen.<br />
Die Präsentation wird begleitet<br />
von einer Performance der Kitchen<br />
Guerilla, die mit ihrer mobilen Küche<br />
das Kochen als Kulturgut zelebriert. •<br />
Hochschule für bildende Künste, Lerchenfeld<br />
2, ab Do, 13.7., 19 Uhr, Eintritt frei,<br />
www.hfbk-hamburg.de<br />
52
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
FOTOS: ROLF FRANCK (S. 52), GÉRARD PLEYNET (OBEN), KOLLEKTIV FÜR ALTERNATIVEN<br />
Theater<br />
Profi-Ensembles mit und ohne Handicap<br />
Raus aus der „Behinderten“-Schublade und rauf auf die Bühne: Das AusSicht-<br />
Festival im Monsun Theater stellt ausdrucksstarke Menschen mit und ohne<br />
Handicap ins Rampenlicht. Fünf professionelle Ensembles aus Deutschland und<br />
Schweden kommen zum Gastspiel – zunächst die „Blindgänger“ aus München,<br />
die in ihrem Stück „CloseUp“ einen engen Raum bespielen, dessen Grenzen<br />
sie erst wagemutig ausloten müssen. Beim Stück „Die Zeitraffer“ stellen<br />
„Die Azubis“ und das „Klabauter Theater“ Zeitdruck und Müßiggang infrage. •<br />
Monsun Theater, Friedensallee 20, Mi, 12.7., bis Sa, 15.7., Eintritt Eröffnung frei,<br />
Bühnenstücke je 14/10 Euro, www.monsun.theater<br />
Ausstellung<br />
Gipfel für eine bessere Weltordnung<br />
Ist der Kapitalismus bereits Geschichte? Aus Sicht der Affenfaust Galerie schon.<br />
Deshalb hat sie das „Museum des Kapitalismus“ eingeladen. Die Künstler aus<br />
Berlin zeigen anlässlich des G20-Gipfels, dass Alternativen möglich sind und<br />
stellen witzige und pragmatische<br />
Ideen für eine<br />
postkapitalistische Gesellschaft<br />
aus. Das Publikum<br />
darf anfassen, ausprobieren<br />
und in Workshops eigene<br />
Utopien entwickeln.<br />
Zeitgleich läuft eine<br />
Ausstellung von Abdalla<br />
Al Omari: Der syrische<br />
Künstler porträtiert<br />
Staatsoberhäupter<br />
als Vertriebene. •<br />
Affenfaust Galerie,<br />
Paul-Roosen-Straße 43, ab<br />
Sa, 1.7., 19 Uhr, Eintritt frei,<br />
www.affenfaust.org<br />
Hart an der Grenze<br />
bewegen sich<br />
die „Blindgänger“<br />
auf ihrer Bühne.<br />
Das ist doch der Gipfel: Zu G20 zeigt die Affenfaust<br />
Galerie Entwürfe für eine postkapitalistische Gesellschaft.<br />
Draußen<br />
Gestalten brechen aus<br />
Stumpfen Blickes schleppen sich die<br />
„1000 Gestalten“ durch Hamburg –<br />
alle in lehmverkrusteten Anzügen. Bis<br />
eine von ihnen ausbricht und sie alle<br />
entdecken, dass sie Menschen sind.<br />
Die Kunstperformance zum Protest<br />
gegen den G20-Gipfel soll die Befreiung<br />
von einem System symbolisieren,<br />
das vereinzelt und hilflos macht. •<br />
1000 Gestalten, Mi, 5.7., 12:30 Uhr, Ort<br />
siehe Webseite: www.1000gestalten.de<br />
Kinder<br />
Krach auf der Theaterbühne<br />
Strom gewinnen aus Musik? Klingt<br />
gut – doch beim Kindertheaterstück<br />
„Supervox“ endet die Idee im totalen<br />
Klangchaos. Der dubiose Politiker<br />
Dr. Phistler verspricht, wieder Ruhe<br />
einkehren zu lassen. Dabei schmiedet<br />
er finstere Pläne. Wer kann ihn<br />
stoppen? Zwei arbeitslose Musiker<br />
nehmen die Herausforderung an. •<br />
Lichthof Theater, Bahrenfelder Chaussee<br />
14, So, 9.7., 15 Uhr, Eintritt 12/6 Euro<br />
www.lichthof-theater.de<br />
Konzert<br />
Gospel im Einkaufszentrum<br />
Mit einem Flashmob in der Europapassage<br />
machten die Sänger des Jeremy<br />
Winston Chorale im vergangenen<br />
Sommer Wirbel. Nun ist der für einen<br />
Grammy nominierte Gospelchor im<br />
Einkaufszentrum Alstertal zu hören.<br />
Tags darauf gibt es ein offizielles<br />
Konzert in der St.-Gertrud-Kirche. •<br />
Alstertal Einkaufszentrum, Heegbarg 31,<br />
Mo, 10.7., 17 Uhr, Eintritt frei,<br />
www.alstertal-einkaufszentrum.de<br />
Draußen<br />
Kultig und jugendfrei<br />
Worauf Teenager abfahren, wissen<br />
sie selbst am besten. Das Daughterville<br />
Festival in Wilhelmsburg wird<br />
komplett von Jugendlichen gemacht<br />
und wartet diesmal mit Stars wie<br />
Sookee, Bergfilm und Amewu auf. •<br />
Daughterville, Alte Schleuse, Sa, 15.7.,<br />
13 Uhr, 11 Euro, www.daughterville.de<br />
53
Ausstellung<br />
heliumcowboy feiert Geburtstag<br />
Große Figuren mit schwarzen Gesichtern:<br />
So arbeitet sich Boris Hoppek am<br />
Thema Rassismus ab. Zum 15. Geburtstag<br />
der Galerie heliumcowboy<br />
zeigt er seine Werke – Ehrensache für<br />
den Künstler und langjährigen Freund<br />
des Hauses. Die Underground-Galerie<br />
setzt auf das Konzept „Talent vor Prestige“<br />
und zeigt auch Autodidakten, die<br />
keine Akademie durchlaufen haben.<br />
Dafür halten Szenegrößen ihr die<br />
Treue: Streetart-Künstler wie The London<br />
Police stellen zum Geburtstag<br />
ebenso aus wie „New York Times“-<br />
Illus trator Gary Taxali und Pop-Surrealist<br />
Victor Castillo. 55 Künstler sind<br />
Künstler Boris Hoppek arbeitet seit Gründung<br />
der Galerie mit heliumcowboy zusammen.<br />
bis Ende August dabei. Zur Vernissage<br />
am Samstag wird gegrillt, am Vorabend<br />
diskutieren Gründer Jörg Heikhaus,<br />
Jannes Vahl und Ralf Krüger<br />
über Hamburg als Kunststandort. •<br />
heliumcowboy artspace, Bäckerbreitergang<br />
75, ab Sa, 15.7., 15 Uhr, Eintritt frei,<br />
www.heliumcowboy.com<br />
54
FOTOS: HELIUMCOWBOY (S. 54), CHRISTOFER SCHWARZ (OBEN), PRIVAT<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Bühne<br />
Ohrenzeuge werden beim Live-Hörspiel<br />
Ein gellender Schrei – war der etwa echt? Beim Live-Hörspiel „Mord im 5. Akt“<br />
sollte der Tod eigentlich nur zum Schein über die Bühne gehen. Doch das<br />
Theatermesser war geschärft, ein Schauspieler ist tot und vom Mörder keine<br />
Spur. War es die neidische Zweitbesetzung? Eine Verschwörung in der Requisite?<br />
Das Ermittlerduo Kommissarin Wandsbek und Claas Bahrenfeld nimmt hinter<br />
den Kulissen die Fährte auf. Auch das Publikum darf die Ohren spitzen:<br />
Wer beim Hörspiel der Krimi Komplizen genau hinhört, kommt dem Mörder<br />
vielleicht noch vor den Ermittlern auf die Spur. •<br />
Nachtasyl, Alstertor 1, So, 16.7., 20 Uhr, Eintritt 5 Euro, www.nachtasyl.de<br />
Mörderjagd mit Saiteninstrumenten: Beim Hörspiel im Nachtasyl ist auch die Musik live.<br />
Konzert<br />
Saint rappt über seine Flucht<br />
Als Teenager flüchtete Saint aus<br />
Gambia nach Schweden. Hip-Hop<br />
wurde sein Ventil und seine neue<br />
Zukunft: Die Musik des heute<br />
20-Jährigen erzählt von Abschiebebescheiden<br />
und zähen Terminen bei<br />
Sozialarbeitern, seine Single „Chillin“<br />
lief 2015 als einer der angesagtesten<br />
Rapsongs im schwedischen Radio.<br />
Jetzt bringt Saint sein erstes Album<br />
„The New Funky Dread“ auf die<br />
Bühne: Traditionelle Beats seiner<br />
Heimat schwingen mit, der Groove<br />
macht die Lethargie zwischen Flüchtlingscamp<br />
und Behördengängen<br />
spürbar. Doch auch Hoffnung ist zu<br />
hören: Saints futuristisch anmutende<br />
Musik ist so funky, dass das Publikum<br />
auf der Tanzfläche die Füße kaum<br />
stillhalten kann. •<br />
Mojo Jazz Café, Reeperbahn 1, Sa, 22.7.,<br />
21 Uhr, Eintritt 15 Euro, www.mojo.de<br />
Literatur<br />
Poesie am Elbstrand<br />
Grillen am Strand und mit einem<br />
kühlen Getränk in der Hand den<br />
Pötten auf der Elbe nachschauen –<br />
da fehlt zum Sommerglück nur noch<br />
ein bisschen Poesie. Die „Poets on the<br />
Beach“ kümmern sich darum und<br />
laden im 20. Jahr zur Best-of-Lesung<br />
unter freiem Himmel ein. Die<br />
Hamburger Autoren Lars Dahms,<br />
Gunter Gerlach, Alexander Posch<br />
und Michael Weins tragen kurze<br />
Texte und Gedichte vor. •<br />
Elbstrand Oevelgönne, rechts von der<br />
„Strandperle“, So, 30.7., 18 Uhr, Eintritt<br />
frei, Spenden willkommen,<br />
www.writersroom.de<br />
Über Veranstaltungshinweise<br />
freut sich Annabel Trautwein unter<br />
redaktion@hinzundkunzt.de<br />
Kinofilm des Monats<br />
Niveau trotz<br />
guter Laune<br />
Filme aus England können<br />
gleichzeitig die Klebrigkeit<br />
von Zuckerwatte haben, die<br />
Rotzigkeit eines Fischweibs<br />
übertreffen und Drama vom<br />
Feinsten sein. Dass dieses Rezept<br />
den Mainstream treffen<br />
kann, beweist die Romanverfilmung<br />
„Ihre beste Stunde“.<br />
Das Grundthema klingt<br />
jetzt erst einmal nicht nach<br />
seichtem Entertainment:<br />
London in Zeiten von Blitzkrieg<br />
und Naziterror. Es wird<br />
gebombt und gestorben. Propaganda<br />
und Durchhalteparolen<br />
halten die Guten und<br />
die Bösen auf Zack.<br />
Die junge Sekretärin Catrin<br />
und der Autor Tom arbeiten<br />
an einem Propagandafilm,<br />
der die Moral im<br />
Land stärken soll. Zur Seite<br />
steht ihnen der alternde Mime<br />
Ambrose (Bill Nighy).<br />
Der gehört zwar längst zum<br />
alten Eisen, profitiert jedoch<br />
davon, dass alle jungen Männer<br />
an der Front sind.<br />
Kontrastreich, komisch<br />
und nur am Ende doch noch<br />
etwas gewollt dramatisch<br />
windet sich das Trio durch<br />
Ehrgeiz und Begehren, Zweifel<br />
und Melancholie. Und<br />
während der Film dann so<br />
vor sich hin sprudelt, denkt<br />
man: „Hey, ist doch gar nicht<br />
so schwer, Gute-Laune-Kino<br />
mit Tiefgang zu machen.“<br />
Und dann bringen einen ausgerechnet<br />
die schlechtesten<br />
fünf Minuten des Films<br />
unsanft auf den Boden der<br />
Tatsachen zurück. Weniger<br />
Drama hätte am Schluss<br />
auch gereicht. •<br />
André Schmidt<br />
geht seit vielen<br />
Jahren für<br />
uns ins Kino.<br />
Er arbeitet in der<br />
PR-Branche.<br />
55
<strong>Kunzt</strong>&Comic<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>293</strong>/JULI <strong>2017</strong><br />
56
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Rätsel<br />
ILLUSTRATION (BLEISTIFT IM IMPRESSUM): BERND MÖLCK-TASSEL<br />
russischer<br />
Frauenname<br />
Gesteinskundler<br />
Auskunft<br />
(Kurzwort)<br />
das<br />
Besiegtwerden<br />
Stelle,<br />
wo etwas<br />
aufhört<br />
früherer<br />
Verwaltungsbeamter<br />
Rohr zur<br />
Bodenentwässerung<br />
Ostseebad<br />
bei<br />
Kiel<br />
schwedischer<br />
Königsname<br />
ausgestorbener<br />
Feuerld.-<br />
Indianer<br />
graben<br />
islamischer<br />
Name<br />
Jesu<br />
Angriff<br />
9<br />
8<br />
4<br />
1<br />
7<br />
8<br />
1<br />
2<br />
6<br />
5<br />
2<br />
7<br />
Sportart,<br />
Badminton<br />
Bruder<br />
und Rivale<br />
des<br />
Moses<br />
verschwunden<br />
Stadt<br />
in der<br />
Oberpfalz<br />
Umstürzler<br />
3<br />
4<br />
6<br />
1<br />
5<br />
Zweifaultier<br />
7<br />
3<br />
4<br />
8<br />
6<br />
4<br />
1<br />
süddeutsch:<br />
Gänserich<br />
Festkleidung<br />
Theaterplatz<br />
Prachtstraße<br />
(franz.)<br />
6<br />
2<br />
3<br />
5<br />
3<br />
3<br />
1<br />
5<br />
Tintengrobes<br />
Wolltuch<br />
Huftier<br />
mit<br />
Höcker(n)<br />
fressen<br />
(Rotwild)<br />
spanische<br />
Königin †<br />
(Kosename)<br />
Arbeitsgruppe<br />
(engl.)<br />
Kanton<br />
der<br />
Schweiz<br />
Autor von<br />
„Ariane“<br />
† 1931<br />
Mittelmeerhafen<br />
in Frankreich<br />
nach<br />
Art von<br />
(franz.)<br />
kurz für:<br />
in das<br />
vollständige<br />
Durchführung<br />
griech.<br />
in Obhut Göttin<br />
nehmen der Zwietracht<br />
ugs.:<br />
leicht<br />
krank<br />
(österr.)<br />
österr.<br />
Mime<br />
(Friedrich<br />
von ...)<br />
das Ich<br />
(Philosophie,<br />
Psychol.)<br />
erste, von<br />
Gott geschaffene<br />
Frau<br />
römischer<br />
Meergott<br />
Gründer<br />
der<br />
Sowjetunion<br />
†<br />
Diagramm<br />
der Hirnströme<br />
(Abk.)<br />
Lösungen an: Hinz&<strong>Kunzt</strong>, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />
per Fax an 040 32 10 83 50 oder per E-Mail an info@hinzundkunzt.de.<br />
Einsendeschluss: 28. <strong>Juli</strong> <strong>2017</strong>. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.<br />
Wer die korrekte Lösung für eines der beiden Rätsel einsendet, kann<br />
zwei Karten für die Hamburger Kunsthalle gewinnen oder eine von<br />
drei DVDs zum Film „Bob, der Streuner“ (Entertainment Kombinat).<br />
Das Lösungswort beim Kreuzworträtsel war: Optimismus. Die Sudoku-<br />
Zahlenreihe war: 517 982 364.<br />
6<br />
8<br />
2<br />
1<br />
8<br />
1<br />
2<br />
3<br />
7<br />
10<br />
8<br />
7<br />
9<br />
4<br />
2<br />
9<br />
AR1115-0316_6<br />
10<br />
Füllen Sie das Gitter so<br />
aus, dass die Zahlen von<br />
1 bis 9 nur je einmal in<br />
jeder Reihe, in jeder<br />
Spalte und in jedem<br />
Neun-Kästchen-Block<br />
vorkommen.<br />
Als Lösung schicken<br />
Sie uns bitte die<br />
unterste, farbig gerahmte<br />
Zahlenreihe.<br />
Impressum<br />
Redaktion und Verlag<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH<br />
Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg<br />
Tel. 040 32 10 83 11, Fax 040 32 10 83 50<br />
Anzeigenleitung Tel. 040 32 10 84 01<br />
E-Mail info@hinzundkunzt.de, www.hinzundkunzt.de<br />
Herausgeber<br />
Landespastor Dirk Ahrens, Diakonisches Werk Hamburg<br />
Externer Beirat<br />
Prof. Dr. Harald Ansen (Armutsexperte HAW-Hamburg),<br />
Mathias Bach (Kaufmann), Dr. Marius Hoßbach (Rechtsanwalt),<br />
Rüdiger Knott (ehem. NDR 90,3-Programmchef),<br />
Olaf Köhnke (Ringdrei Media Network),<br />
Thomas Magold (BMW-Niederlassungsleiter i.R.),<br />
Beate Behn (Lawaetz-Service GmbH), Karin Schmalriede (Lawaetz-Stiftung),<br />
Dr. Bernd-Georg Spies (Russell Reynolds),<br />
Alexander Unverzagt (Medienanwalt), Oliver Wurm (Medienberater)<br />
Geschäftsführung Dr. Jens Ade<br />
Redaktion Birgit Müller (bim; v.i.S.d.P.),<br />
Annette Woywode (abi; Stellv., CvD)<br />
Mitarbeit Simone Deckner (sim), Jonas Füllner (jof),<br />
Ulrich Jonas (ujo), Frank Keil (fk), Benjamin Laufer (bela),<br />
Misha Leuschen (leu), Annabel Trautwein (atw)<br />
Uta Sternsdorff und Kerstin Weber<br />
Redaktionsassistenz Sonja Conrad, Dina Fedossova<br />
Online-Redaktion Simone Deckner, Jonas Füllner, Benjamin Laufer<br />
Artdirektion grafikdeerns.de<br />
Öffentlichkeitsarbeit Sybille Arendt, Friederike Steiffert<br />
Anzeigenleitung Sybille Arendt<br />
Anzeigenvertretung Christoph Wahring,<br />
Wahring & Company, Tel. 040 284 09 40, info@wahring.de<br />
Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 20 vom 1. Januar 2015<br />
Vertrieb Christian Hagen (Leitung), Marcus Chomse,<br />
Sigi Pachan, Jürgen Jobsen, Meike Lehmann, Sergej Machov,<br />
Frank Nawatzki, Elena Pacuraru, Reiner Rümke, Cristina Stanculescu,<br />
Marcel Stein, Cornelia Tanase, Silvia Zahn<br />
Rechnungswesen/Systemadministration Frank Belchhaus<br />
Spendenmarketing Gabriele Koch<br />
Spendenverwaltung Susanne Wehde<br />
Sozialarbeit Stephan Karrenbauer (Leitung), Ana-Maria Ilisiu, Isabel Kohler<br />
Das Stadtrundgang-Team Stephan Karrenbauer (Leitung),<br />
Chris Schlapp, Harald Buchinger<br />
Das BrotRetter-Team Stephan Karrenbauer (Leitung), Stefan Calin,<br />
Adam Csizmadia, Gogan Dorel, Alexa Ionut, Vasile Raducan<br />
Das Team von Spende Dein Pfand am Airport Hamburg<br />
Stephan Karrenbauer (Leitung), Uwe Tröger, Georgi Nikolov,<br />
Klaus Petersdorfer, Herbert Kosecki<br />
Litho PX2@ Medien GmbH & Co. KG<br />
Produktion Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />
Druck A. Beig Druckerei und Verlag,<br />
Damm 9–15, 25421 Pinneberg<br />
Umschlag-Druck Neef+Stumme premium printing GmbH & Co. KG<br />
Verarbeitung Delle und Söhne, Buchbinderei<br />
und Papierverarbeitungsgesellschaft mbH<br />
Spendenkonto Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
IBAN: DE56 200505501280167873<br />
BIC: HASPDEHHXXX<br />
Die Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH mit Sitz in Hamburg ist durch den aktuellen<br />
Freistellungsbescheid des Finanzamts Hamburg-Nord, Steuernummer<br />
17/414/00797, vom 15.11.2013 nach §5 Abs.1 Nr. 9<br />
des Körperschaftssteuergesetzes von der Körperschaftssteuer und nach<br />
§3 Nr. 6 des Gewerbesteuergesetzes von der Gewerbesteuer befreit.<br />
Geldspenden sind steuerlich nach §10 EStG abzugsfähig. Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist als<br />
gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH im Handelsregister<br />
beim Amtsgericht Hamburg HRB 59669 eingetragen. Wir bestätigen,<br />
dass wir Spenden nur für die Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong> einsetzen.<br />
Adressen werden nur intern verwendet und nicht an Dritte weitergegeben.<br />
Beachten Sie unsere Datenschutzerklärung, abrufbar auf www.hinzundkunzt.de.<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist ein unabhängiges soziales Projekt, das obdachlosen und<br />
ehemals obdachlosen Menschen Hilfe zur Selbsthilfe bietet.<br />
Das Magazin wird von Journalisten geschrieben, Wohnungslose und<br />
ehemals Wohnungslose verkaufen es auf der Straße. Sozialarbeiter<br />
unterstützen die Verkäufer.<br />
Das Projekt versteht sich als Lobby für Arme.<br />
Gesellschafter<br />
Durchschnittliche monatliche<br />
Druckauflage 2. Quartal <strong>2017</strong>:<br />
70.000 Exemplare<br />
57
Momentaufnahme<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>293</strong>/JULI <strong>2017</strong><br />
Neue Zähne, neues Leben: Trotz seiner<br />
Angstzustände traute sich Gerold endlich zum<br />
Zahnarzt. Das Resultat kann sich sehen lassen:<br />
mehr Selbstvertrauen – und ein Lächeln!<br />
„Ich muss jetzt erst<br />
mal kochen lernen“<br />
Gerold (46) verkauft Hinz&<strong>Kunzt</strong> vor<br />
dem Hofladen an der S-Bahn-Station Kornweg.<br />
TEXT: JONAS FÜLLNER<br />
FOTO: LENA MAJA WÖHLER<br />
Unfassbar aufgeregt war Gerold vor seiner<br />
Zahn-OP. „Ich bekomme in drei<br />
Tagen ein neues Gebiss“, erzählte der<br />
46-Jährige Anfang Juni. „Ich hoffe, ich<br />
packe das.“ Einen Tag später stand er<br />
wieder in der Redaktion, berichtete von<br />
seinen Sorgen, seiner Angst. Dass ihm<br />
das Reden guttat, merkte man dem<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer deutlich an.<br />
Panikattacken und Angstzustände<br />
sind Gerolds großes Problem. „Jahrelang<br />
habe ich nur auf dem Sofa gesessen“,<br />
erzählt er. Er habe sich um nichts<br />
gekümmert, sei niemals zum Amt gegangen,<br />
habe kein Geld erhalten und<br />
keine Krankenversicherung mehr gehabt.<br />
Seine Freundin habe das irgendwann<br />
nicht mehr ausgehalten und ihn<br />
verlassen. Er blieb alleine zurück in der<br />
Wohnung. „Danach ging es mir noch<br />
beschissener“, erinnert er sich.<br />
Drei Jahre ist das jetzt her. Seine<br />
Lethargie und Selbstmordgedanken habe<br />
er nur durch den Zeitungsverkauf<br />
überwunden. „Mir hat Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
das Leben gerettet“, sagt Gerold oder<br />
auch „Alex“, wie er bei einigen Freunden<br />
aus der alten Zeit noch heißt. Und<br />
er hat sich aufgerafft, um sich psychische<br />
Betreuung zu suchen. Seitdem arbeitet<br />
er kontinuierlich auf, was in seinem<br />
Leben alles schieflief. Und das ist<br />
eine Menge. „Ich hatte eine Scheißjugend“,<br />
sagt Gerold, der in Ostfriesland<br />
aufwuchs. Mit den Eltern gab es nur<br />
Ärger. Auf Schule und Ausbildung ließ<br />
er sich nie richtig ein.<br />
Mit Anfang 20 hatte er genug. Es<br />
zog ihn nach Hamburg. Er jobbte mal<br />
hier, mal da. Schlief bei Bekannten,<br />
teilweise auch auf der Straße. Dadurch<br />
kam er mit Hinz&<strong>Kunzt</strong> in Kontakt<br />
und begann, die Zeitung zu verkaufen.<br />
20 Jahre ist das jetzt her. Das war<br />
auch die Zeit, in der erstmals die Angstzustände<br />
auftraten, die ihn seither begleiten.<br />
Die Panikattacken hat er inzwischen<br />
weitgehend im Griff. Die<br />
Zustimmung zu der Gebiss-OP hat ihn<br />
trotzdem noch sehr große Überwindung<br />
gekostet.<br />
Doch sein Mut hat sich gelohnt.<br />
Unglaublich stolz war Gerold, als er<br />
Mitte Juni schließlich seine neuen Zähne<br />
präsentierte. Dieses Mal hatte er keinen<br />
Rückzieher gemacht. Er war stärker als<br />
seine Angst.<br />
Unterstützt hat ihn dabei Zahnärztin<br />
Birgit Horschler-Fricke, die Gerold<br />
seit Langem kennt. Eine Stammkundin,<br />
die den fast zahnlosen Mann behutsam<br />
unterstützte, Termine vereinbarte und<br />
ihn auf die bevorstehende Operation<br />
vorbereitete. Schritt für Schritt. So soll<br />
es jetzt auch weitergehen.<br />
Bewerbungsfotos könne er endlich<br />
mal machen, sagt Gerold. Mit seinem<br />
alten Gebiss habe er sich gar nicht mehr<br />
getraut, sich irgendwo vorzustellen.<br />
„Und ich muss wohl mal kochen lernen“,<br />
sagt er lachend. „Jetzt kann ich ja<br />
wieder richtig kauen und muss nicht<br />
aus der Dose essen.“ •<br />
58
KUNZT-<br />
KOLLEKTION<br />
BESTELLEN SIE DIESE UND WEITERE PRODUKTE BEI: Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH,<br />
www.hinzundkunzt.de/shop, shop@hinzundkunzt.de, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />
Tel. 32 10 83 11. Preise zzgl. Versandkostenpauschale von 2,50 Euro bis 4 Euro,<br />
Ausland auf Anfrage. Versand ab 100 Euro Warenwert kostenlos.<br />
1. „Gegens Abstempeln“<br />
Zehn selbstklebende 70-Cent-Briefmarken mit<br />
Porträts von Hinz&Künztlern im A5-Heftchen.<br />
Konzeption: Agentur Lukas Lindemann Rosinski,<br />
Preis: 12 Euro<br />
4.<br />
2. „Macht auch wach!“<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Bio-Kaffeemischung,<br />
100% Arabica gemahlen, 250-g-Beutel<br />
oder Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Bio-Espresso, italienische<br />
Mischung, kräftiger Geschmack,<br />
ungemahlen, 250-g-Beutel, exklusiv von der<br />
Kaffeerösterei Burg aus Hamburg.<br />
Preis: jeweils 5,95 Euro<br />
5.<br />
1.<br />
2.<br />
3. „Lesebrettchen“<br />
Exklusiv für Hinz&<strong>Kunzt</strong> aus der<br />
Serie „Schöne Aussichten“, Pension<br />
für Produkte Hamburg.<br />
Design: Wolfgang Vogler,<br />
Material: Esche geölt (aus heimischen Wäldern),<br />
lasergraviert. Jedes Brett ist ein Unikat,<br />
in Deutschland gefertigt.<br />
Preis: 15,90 Euro<br />
4. „Non urban“-Klappkarten<br />
5 verschiedene Motive mit Umschlag,<br />
DIN A6, Fotograf Dmitrij Leltschuk.<br />
Der Erlös geht zur Hälfte an den Fotografen,<br />
zur Hälfte an das Hamburger Straßenmagazin.<br />
Preis: 8 Euro<br />
6.<br />
5. „Heiße Hilfe“<br />
Bio-Rotbuschtee, aromatisiert mit<br />
Kakao-Orangen-Note. Zutaten: Rotbuschtee<br />
(k. b. A.), Kakaoschalen, Zimt, Orangenschalen,<br />
natürliches Orangenaroma<br />
mit anderen natürlichen Aromen.<br />
Dose, 75 g, abgefüllt<br />
von Dethlefsen&Balk, Hamburg,<br />
Preis: 7,50 Euro<br />
7.<br />
3.<br />
6. „Einer muss ja das Maul aufmachen“<br />
T-Shirt vom Modelabel „Fairliebt“ aus<br />
100% Biobaumwolle, sozialverträglich<br />
genäht in Bangladesch und<br />
von Hand bedruckt in Deutschland.<br />
Größen: S, M, L, XL. Farben: Petrol für Herren,<br />
Meerwassertürkis für Damen, Preis: 24,90 Euro<br />
7. „Ein mittelschönes Leben“<br />
Eine Geschichte für Kinder<br />
über Obdachlosigkeit von Kirsten Boie,<br />
illustriert von Jutta Bauer.<br />
Preis: 4,80 Euro
Eine der wichtigsten<br />
Wärmequellen für Hamburg<br />
Am Guten soll man festhalten. So halten wir es auch mit unserem<br />
Einsatz für Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Seit April 2000 unterstützt E.ON Hanse das<br />
Hamburger Straßenmagazin. Und daran wird sich nichts ändern.<br />
Auch als HanseWerk werden wir unser Engagement fortsetzen. Mehr<br />
menschliche Wärme – eine der wichtigsten Energien für den Norden.<br />
Energielösungen für den Norden