– D i p l o m a r b e i t – Soziale Arbeit ... - Netzwerk MiRA

– D i p l o m a r b e i t –
Fachhochschule Ludwigshafen am Rhein
Fachbereich IV – Sozial- und Gesundheitswesen
Studiengang: Soziale Arbeit
T h e m a :
Soziale Arbeit – Regulationsinstanz im
postfordistischen Migrationsregime oder
hilfreiche Ressource zur Stärkung der
Autonomie der Migration?
Erstkorrektor: Prof. Dr. Jörg Reitzig
Zweitkorrektor: Prof. Dr. Hans-Ullrich Dallmann
vorgelegt von: Sebastian Muy
Matrikelnr.: 1454
Pumpwerkstr. 46
68169 Mannheim
s.muy@web.de
Abgabedatum: 15.01.2009

Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis II
Abkürzungsverzeichnis IV
1 Einleitung ............................................................................... 1
2 Die Perspektive der Autonomie der Migration .................. 5
2.1 Der Blick der Autonomie ................................................................................... 5
2.2 Transnationale soziale Netzwerke ..................................................................... 8
2.3 Migration als soziale Bewegung ........................................................................ 9
2.4 Weder Kriminalisierung noch Viktimisierung ................................................. 11
2.5 Recht auf Rechte .............................................................................................. 13
2.6 Kritik ................................................................................................................ 15
2.7 Zwischenfazit ................................................................................................... 17
3 Konfliktfeld Migration – Postfordistisches Migrationsregime
und Soziale Arbeit .............................................................. 19
3.1 Postfordistisches Migrationsregime ................................................................. 20
3.1.1 Zum Begriff des Migrationsregimes .......................................................20
3.1.2 Krise des fordistischen ‚Gastarbeitsregimes’ ..........................................21
3.1.3 Krise des ‚Asylregimes’ ..........................................................................23
3.1.4 ‚Illegale Migration’ als Hauptmigrationsform ........................................24
3.1.5 Europäisierung des Migrationsregimes – Deterritorialisierung und
Exterritorialisierung der Migrationskontrolle .........................................25
3.1.6 Dezentralisierung der Migrationskontrolle – Governance der
Migration.................................................................................................29
3.1.7 Ein neues Arbeitsmigrationsregime ........................................................32
3.1.8 Transformationen des Migrationsregimes und die Autonomie der
Migration.................................................................................................35
3.2 Normative Funktionszuschreibungen an die Soziale Arbeit im
Konfliktfeld Migration ..................................................................................... 37
II

3.2.1 Gesellschaftliche Aufgaben und Funktionen Sozialer Arbeit im
Wandel – Soziale Arbeit und soziale Ausschließung im
Postfordismus ..........................................................................................38
3.2.1.1 Regulationstheoretische Perspektiven auf Staat und
Zivilgesellschaft ................................................................................... 38
3.2.1.2 Vom Fordismus zum Postfordismus .................................................... 39
3.2.1.3 Die Perspektive der sozialen Ausschließung ....................................... 43
3.2.2 Auftrag aus dem Selbstverständnis der Sozialen Arbeit .........................45
3.2.3 Staatlicher Auftrag im Konfliktfeld Migration: Soziale Arbeit als
Regulationsinstanz im Migrationsregime ...............................................47
3.3 Zwischenfazit ................................................................................................... 49
4 Soziale Arbeit mit MigrantInnen ohne Aufenthaltsrecht
zwischen Regulationsinstanz und hilfreicher Ressource . 51
4.1 MigrantInnen ohne Aufenthaltsrecht als Klientel Sozialer Arbeit .................. 51
4.1.1 MigrantInnen ohne Aufenthaltsstatus .....................................................52
4.1.2 MigrantInnen mit Duldungsstatus...........................................................59
4.1.3 AsylbewerberInnen .................................................................................62
4.1.4 Sonstige MigrantInnen ohne Aufenthaltsrecht .......................................63
4.1.5 Soziale Ausschließung von MigrantInnen ohne Aufenthaltsrecht
und ihr Zugang zu Ressourcen ................................................................64
4.2 Soziale Arbeit mit MigrantInnen ohne Aufenthaltsrecht als Akteurin der
Regulation von Migration am Beispiel des Arbeitsfeldes
Rückkehrberatung ............................................................................................ 66
4.3 Zentrale ‚Unsicherheiten’ Sozialer Arbeit mit MigrantInnen ohne
Aufenthaltsrecht ............................................................................................... 72
4.4 Zwischen Regulationsinstanz und hilfreicher Ressource: Möglichkeiten
und Grenzen Sozialer Arbeit mit MigrantInnen ohne Aufenthaltsrecht
(Zwischenfazit) ................................................................................................ 76
4.5 Alternativen – von der Autonomisierung der Sozialen Arbeit und dem
Kampf um Rechte ............................................................................................ 80
5 Fazit ...................................................................................... 86
6 Literaturverzeichnis ............................................................ 90
III

Abkürzungsverzeichnis
Art. Artikel
AsylbLG Asylbewerberleistungsgesetz
AsylVfG Asylverfahrensgesetz
AufenthG Aufenthaltsgesetz
BAGFW Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege
BAMF Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
BeschVerfV Beschäftigungsverfahrensverordnung
BFDI Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit
BMI Bundesministerium des Innern
BRD Bundesrepublik Deutschland
bspw. beispielsweise
BZ Berliner Zeitung
ca. circa
CDU Christlich Demokratische Union Deutschlands
DBSH Deutscher Berufsverband für Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Heilpädagogik
DGB Deutscher Gewerkschaftsbund
d.h. das heißt
ebd. ebenda
EG Europäische Gemeinschaft
EG-VisaVO Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates zur Aufstellung der Liste der
Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen
im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer,
deren Staatsangehörige von dieser Visumspflicht befreit sind
et al. et alia (lat. = und andere)
etc. et cetera (lat. = und so weiter)
EU Europäische Union
EURODAC European Dactyloscopie
f./ff. und folgende
FR Frankfurter Rundschau
FRSH Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein
GARP Government Assisted Repatriation Programme
GfL Gesellschaft für Legalisierung
GG Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
GSR Globale Soziale Rechte
GÜB Grenzübertrittsbescheinigung
IV

Herv. Hervorhebungen
Herv. i. Orig. Hervorhebungen im Original
Hrsg. HerausgeberIn/Herausgeberinnen
ICEM Intergovernmental Committee for European Migration
IMK Innenministerkonferenz
insb. insbesondere
IOM Internationale Organisation für Migration
IT Information Technology
i.V.m. in Verbindung mit
KStA Kölner Stadt-Anzeiger
lat. lateinisch
MdEP Mitglied des Europäischen Parlaments
NGO Non-Governmental Organization
Nr. Nummer
REAG Reintegration and Emigration Programme for Asylum-Seekers in Germany
RESPECT Rights, Equality, Solidarity, Power, Europe, Co-operation, Today – European
network of migrant domestic workers
s. siehe
S. Seite(n)
SGB II Sozialgesetzbuch Zweites Buch
SGB XII Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch
SIS Schengener Informationssystem
S.M. Sebastian Muy
StGB Strafgesetzbuch
SZ Süddeutsche Zeitung
taz die tageszeitung
u.a. unter anderem / und andere
UKZu Unabhängige Kommission „Zuwanderung“
UNHCR United Nations High Commissioner for Refugees
u.v.a.m. und viele andere mehr
v.a. vor allem
vgl. vergleiche
ZAAB Zentrale Aufnahme- und Ausländerbehörde
z.B. zum Beispiel
zit. n. zitiert nach
ZRB Zentrale Rückkehrberatungsstelle
V

1 Einleitung
„Regierung wirbt um Auslandsfachkräfte“ (taz, 28.8.08), „Europa bietet Irakern
Schutz an“ (SZ, 28.11.08), „Asylbewerber sollen früher arbeiten dürfen“ (SZ,
4.12.08), „Grenzenlos in die Schweiz“ (SZ, 28.11.08), „Ausländerfeindlichkeit
nimmt ab“ (SZ, 27.11.2008) – bei einer selektiven Lektüre der Tagespresse könnte
man meinen, die politische Konjunktur könnte für MigrantInnen und AntirassistInnen
kaum besser sein. Wären da nicht auch Meldungen wie diese: „Abschiebung
nach 17 Jahren“ (Rheinpfalz, 5.11.08), „Verletzte bei Ansturm auf Melilla“
(FR, 11.11.08), „EU-Länder wollen Ausweisungen vereinfachen“ (Tagesspiegel,
28.9.08), „EU will Afrikaner schon zu Hause abschrecken“ (taz, 7.10.08), „London
macht die Schotten dicht“ (FR, 20.10.08), „Dutzende Migranten im Golf von
Aden ertrunken“ (BZ, 11.10.08), „Visa-Warndatei: Wer oft Ausländer einlädt,
wird gespeichert“ (KStA, 8.10.08), „Bundesrat gegen Doppelbürger“ (taz,
11./12.10.08), „Keine Papiere, keine Bildung“ (taz, 24.9.08). Meldungen, die darauf
verweisen, dass Migration nach wie vor politisch bekämpft wird. Die Unterschiedlichkeit
der Schlagzeilen, allein die Tatsache, dass Migrationen und Migrationspolitik
medial thematisiert und kontrovers diskutiert werden, zeigt, dass,
wenn wir uns mit diesem Thema beschäftigen, wir es mit Konflikten zu tun haben.
Konflikte darum, wer migrieren darf, aus welchen Gründen migriert werden darf,
welche Rechte hier lebenden MigrantInnen unter welchen Bedingungen zustehen
und welche nicht. „Regierung“, „Bundesrat“, „EU“, Grenzschutz, Polizei und
Ausländerbehörden – zweifellos sind Staaten, staatliche Institutionen und Staatenverbunde
wichtige AkteurInnen in diesem Konfliktfeld; aber sie sind bei weitem
nicht die einzigen. MigrantInnen und SchleuserInnen, die Vereinten Nationen
und die IOM, NGOs und privatwirtschaftliche Unternehmen, Gewerkschaften und
Arbeitgeberverbände, antirassistische Gruppen und rechte Parteien – die Aufzählung
derer, die im Getümmel der Migrationsdiskurse irgendwo irgendwie mitmischen,
aus den unterschiedlichsten Perspektiven, Interessen und Machtpositionen
heraus, könnte beliebig weitergeführt werden. Ausgehandelt und gekämpft wird
dabei, allgemein gesprochen, um nicht weniger als um Antworten auf die Frage,
in was für einer Gesellschaft wir leben wollen: Wer soll dazugehören? Zu was,
und zu welchen Bedingungen? Wer wird ausgeschlossen? Von was, bis zu wel-
1

chem Grad und mit welchen Mitteln? Oder sind diese Fragen selbst nicht vielleicht
schon Teil des Problems?
Festzustellen, dass um die richtigen Antworten auf diese Fragen stets gerungen
wird, bedeutet nicht, dass sich keine Antworten durchsetzen würden – also hegemonial
werden – und sich nicht in sozialem Handeln, in Institutionen, in Gesetzen
‚verdichten’ würden. Wenn die EU heute die Maxime ausgibt, legale Arbeitsmigration
fördern, illegale Migration kontrollieren, die Rückführung illegaler MigrantInnen
sicherstellen, Grenzkontrollen effektivieren und Verfolgten Schutz bieten
zu wollen (vgl. Council of the European Union 2008), so verschreibt sie sich dem
Ziel des ‚Migrationsmanagements’, d.h. der Kanalisierung und Steuerung von
Migrationsbewegungen. Eine Schlagzeile wie „Europa hat kein Rezept gegen
Afrikas Migranten“ (taz, 16.10.08) verweist jedoch beispielhaft darauf, dass dieses
Ziel trotz größtem Aufwand nicht erreicht wird: Es scheint etwas zu geben,
was man als (relative) Autonomie der Migration gegenüber den Versuchen, sie zu
kontrollieren, bezeichnen könnte. Wenn trotz aller Kontrollversuche irreguläre
MigrantInnen in die Europäische Union gelangen, heißt das jedoch nicht, dass
damit die repressiven Migrationspolitiken der Wirkungslosigkeit überführt wären.
Jedoch ändert sich womöglich der Blick auf ihre primäre Wirkungsweise: sie führt
dazu, dass die Risiken der Migration steigen und dass Millionen Menschen in
Europa in einem Zustand der Entrechtung leben. Ein Leben unter diesen Bedingungen
bringt eine Vielzahl an sozialen Problemen für die Betroffenen mit sich.
Hier sind wir bei der Sozialen Arbeit angelangt, die seit jeher mit Menschen befasst
ist, die sich in ‚sozialen Problemlagen’ befinden. So hat sie auch mit MigrantInnen
in sozialen Problemlagen zu tun – und wo diese durch eine Politik erzeugt
werden, die die Mobilität und den Aufenthalt von Menschen illegalisiert, da
wird offenkundig, dass die Soziale Arbeit nicht außerhalb der politischen Konflikte
um Migration steht: Sie ist selbst Akteurin im Konfliktfeld Migration.
Wenn dem so ist, schließt sich die Frage an: Welche Rolle spielt Soziale Arbeit
als Akteurin in diesem Konfliktfeld? Auf den ersten Blick mag diese Frage leicht
zu beantworten sein: Wird in der Selbst- und Außenwahrnehmung Soziale Arbeit
doch häufig vor allem als organisierte Hilfe für Bedürftige verstanden. Jedoch ist
das bestenfalls die halbe Wahrheit, erfüllt Soziale Arbeit seit ihren Anfängen zu-
2

gleich gesellschaftliche Kontrollfunktionen. Wenn ich in dieser Arbeit also der
Frage nach der Rolle Sozialer Arbeit im Konfliktfeld Migration nachgehen werde,
so werde ich ein Spannungsfeld aufzeigen, innerhalb dessen sie agiert: Inwiefern
ist sie hilfreiche Ressource für MigrantInnen unter den Bedingungen der Entrechtung?
Und inwiefern dient sie eher der Kontrolle, der Regulation von Migration,
und ist womöglich an der Herstellung und Aufrechterhaltung der Entrechtungsund
Ausschließungsprozesse selbst beteiligt? Und schließlich – da ich in dieser
Arbeit nicht bei der Analyse stehen bleiben möchte, sondern sie auch als „Kritik
einer institutionalisierten Praxis“ (Demirović 2008: 9) verstehe, „unter Berufung
auf Freiheit und Gleichheit geronnene, verdinglichte, naturalisierte Verhältnisse
aufzustören“ (ebd.: 21) versuchen will – möchte ich weiter fragen: Welche Bedingungen
müssten gegeben sein, damit Soziale Arbeit eher als hilfreiche Ressource
zur Stärkung der Autonomie der Migration gegenüber den Versuchen, sie
zu kontrollieren, wirken könnte, denn als Regulationsinstanz im herrschenden
Migrationsregime? Beziehungsweise: Was müsste oder könnte getan werden, um
solche Bedingungen zu schaffen?
Zum Aufbau dieser Arbeit: Beginnen werde ich im zweiten Kapitel mit einer Einführung
in das Konzept der ‚Autonomie der Migration’. Dabei handelt es sich um
eine der (post-)operaistischen Linken entstammende, kritische Perspektive auf
herrschende Migrationsdiskurse, die – wie oben bereits angedeutet – der theoretischen
Annahme, Migrationsbewegungen steuern zu können, und den politischen
Versuchen, dies zu tun, widerspricht. Der These der Steuerbarkeit wird die der
Autonomie oder ‚Eigensinnigkeit’ von Migration entgegengesetzt und daraus politische
Forderungen, etwa nach Legalisierung und einem universellen ‚Recht auf
Rechte’, abgeleitet. Anhand kritischer Einwände gegen das Konzept möchte ich
aber auch seine Schwachstellen aufzeigen und für eine reflektierte Rezeption der
Perspektive plädieren. Im dritten Kapitel möchte ich zunächst zeigen, wie sich die
gesellschaftlichen und politischen Konflikte um Migration in ‚Migrationsregimes’
verdichten 1 und welche Transformationen in diesem Zusammenhang aktuell zu
beobachten sind, um dann den Blick auf die widersprüchliche Rolle Sozialer Ar-
1 Obwohl Migration ein weltweites und transnationales Phänomen ist und sich auch das Migrationsregime
zunehmend ‚globalisiert’, werde ich mich in dieser Arbeit fast ausschließlich auf
den Kontext der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union beziehen.
3

eit in diesem Konfliktfeld zu richten. Dazu werde ich mit Hilfe der Regulationstheorie
Soziale Arbeit auf einer allgemeinen Ebene als Bestandteil der Regulationsweise
analysieren, d.h. ihre Bedeutung für die Regulation gesellschaftlicher
Konflikte herausstellen, dann kurz auf gesellschaftliche Transformationsprozesse
seit der Krise der fordistischen Gesellschaftsformation ab Ende der sechziger Jahre
und deren Bedeutung für die Soziale Arbeit eingehen, um schließlich mit Hilfe
der ‚Perspektive der sozialen Ausschließung’ zu einer kritischen Analyse Sozialer
Arbeit in ihrer Eingebundenheit in gesellschaftliche Ausschließungsprozesse zu
gelangen. Indem ich ihre Eingebundenheit und Abhängigkeiten mit dem Selbstverständnis
der Sozialen Arbeit als ‚helfende’ Profession kontrastiere, versuche
ich das Spannungsfeld aufzuzeigen, innerhalb dessen Soziale Arbeit im Konfliktfeld
Migration agiert. In Kapitel 4 möchte ich die widersprüchliche Position Sozialer
Arbeit zwischen Regulationsinstanz und hilfreicher Ressource näher verdeutlichen
in Bezug auf die Arbeit mit MigrantInnen ohne Aufenthaltsrecht. Dazu
werde ich ausführlich auf die vielfältigen Ausschließungsvorgänge eingehen, von
denen Menschen ohne Aufenthaltsrecht betroffen sind, und die Funktionen und
Wirkungsweisen Sozialer Arbeit im Migrationsregime sowie vorhandene Abhängigkeiten
und ‚Unsicherheiten’, die ihre Arbeitsbedingungen strukturieren, unter
anderem am Beispiel des Arbeitsfeldes Rückkehrberatung verdeutlichen. Abschließend
möchte ich nach Antworten auf die Frage suchen, ob und wie Soziale
Arbeit trotz solcher Bedingungen als hilfreiche Ressource für MigrantInnen wirken
kann, bzw. welche Bedingungen gegeben sein oder erkämpft werden müssten,
um diesem Ziel näher zu kommen.
4

2 Die Perspektive der Autonomie der Migration
2.1 Der Blick der Autonomie
Konzept, Theorie, These, Methode, Perspektive, Deutungsrahmen, migrationspolitische
Position, Mobilisierungsstrategie, Forderung 2 – mit der ‚Autonomie der
Migration’ beschäftige ich mich zum Einstieg in meine Arbeit mit einem Ansatz,
der seit geraumer Zeit durch wissenschaftliche und politische Migrations- und
Antirassismus-Diskurse geistert, ohne dass allgemeine Einigkeit darüber herrschen
würde, was genau mit dem Begriff gemeint ist, welche Ziele mit seinem
Gebrauch verbunden sind, inwiefern es sich eher um eine analytisch-theoretische
oder eine strategisch-politische Begrifflichkeit handelt. Ohne diese Unklarheiten
ausräumen zu können, kann jedoch zusammenfassend festgestellt werden, dass es
den VertreterInnen der ‚Autonomie der Migration’ weniger um eine geschlossene
Gegen-Theorie gegenüber anderen Ansätzen der Migrationsforschung oder antirassistischer
Politik geht; vielmehr wird die Frage der Perspektive gestellt:
„Es ist die Art und Weise, gesellschaftliche Phänomene zu betrachten, die einen
Unterschied macht, denn dadurch erschließen sich vorher nicht gesehene Dimensionen
und das gesamte Bild verändert sich. Je komplexer die Zusammenhänge
sind, desto entscheidender wird die Richtung und die Aufmerksamkeit
des Blicks, was so weit geht, dass er vollkommen unterschiedliche Bilder desselben
Phänomens liefert.“ (Mezzadra 2005: 794)
Durch die Zunahme der weltweiten Wanderungsbewegungen im Zuge der Globalisierung
ist auch in den Politikwissenschaften das Interesse am Phänomen der
internationalen Migration erwacht. Im Zentrum der Thematisierung stehen dabei
meist die Kontroll- und Einflussmöglichkeiten der Nationalstaaten gegenüber
Aus- und v.a. Einwanderung. So ist in fast allen ‚Einwanderungsstaaten’ eine bedeutende
Diskrepanz zwischen den programmatischen Zielen und den tatsächlichen
Auswirkungen der Migrationspolitik feststellbar. Die politikwissenschaftliche
Migrationsforschung führt diese ‚Lücke’ auf unterschiedliche Faktoren zurück
(vgl. Benz/Schwenken 2005: 364); meist steht im Mittelpunkt dieser Erklä-
2 In all diesen Zusammenhängen findet der Begriff der ‚Autonomie der Migration’ Verwendung:
vgl. Bojadžijev 2007, 2008: 145, Bojadžijev/Karakayalı 2007, Mezzadra 2005, 2007,
Schwenken 2006: 180, 186, 227f., 310, ...und wer kontrolliert Ihr Leben? 2007, u.a.
5

ungsmuster jedoch ein behaupteter und als bedrohlich empfundener Souveränitätsverlust
der Nationalstaaten. Migration wird in dieser Perspektive vor allem als
Bedrohung wahrgenommen: „Staaten sind in der Lage, sich gegen Raketen, Panzer
und Infanterieattacken zur Wehr zu setzen, sind aber oft unfähig, sich gegen
das Eindringen von illegalen Migranten zu verteidigen“ (Myron Weiner 1995, zit.
n. Benz/Schwenken 2005: 364). Die politische Übersetzung solcher theoretischer
Positionen zeigt sich bspw. in der Aufrüstung und Militarisierung der europäischen
Außengrenzen.
Entgegen dieser staatsfixierten und objektivierenden Sichtweise der meisten politikwissenschaftlichen
Migrationstheorien versuchten seit zirka Mitte der 90er Jahre
zunächst vor allem TheoretikerInnen und AktivistInnen aus der französischen
und italienischen Linken, unter dem Schlagwort der ‚Autonomie der Migration’
die Subjektivität und das Handeln von MigrantInnen in den Mittelpunkt der Analyse
zu rücken (vgl. ebd.: 367). Diese werden der (Ohn-)Macht des Staates gegenüber
gestellt, der (vergeblich) versuche, die Migrationsbewegungen zu kontrollieren:
„[A]uch wenn sich Myriaden von Experten und Beamten in den Behörden und
staatlichen und internationalen Einrichtungen mit der Emigration beschäftigen,
haben sie keine Ahnung von dieser Selbständigkeit, dieser Autonomie der Migrationsflüsse.
[...] Man kann zwar der Emigration mit repressiven Mitteln begegnen,
die Rückkehr der Immigranten ‚fördern’, aber man kann nicht die Flüsse
nach Programmierung und Dafürhalten öffnen und sperren.“ (Moulier Boutang
1993: 38)
Die Perspektive der Autonomie der Migration ist stark inspiriert von den politischen
und theoretischen Ansätzen des (Post-)Operaismus. Der Operaismus entwickelte
sich aus und in Abgrenzung zu parteipolitischen und gewerkschaftlichen
Kontexten als eine bedeutende Strömung vor allem der italienischen Linken in
den 1960er und -70er Jahren. Karl-Heinz Roth, der die Diskussion um den Operaismus
in Deutschland wesentlich mitprägte, beschreibt dessen Ansatz wie folgt:
„Verkürzt könnte man den Operaismus als eine subjektive – im Sinne von die
Einflußmöglichkeiten des Subjekts auf die kapitalistische Entwicklung berück-
6

sichtigende – metropolitane Krisen- und Revolutionstheorie bezeichnen, in der
vorrangig der Einfluß und die Konstitutionsbedingungen und -formen der Arbeiterklasse
als kollektivem Subjekt auf den kapitalistischen Krisenzyklus untersucht
wird“. (Roth 1993, zit. n. Benz/Schwenken 2005: 368)
Der Begriff der Autonomie spielt im Operaismus eine bedeutende Rolle, zunächst
verstanden als ‚Autonomie’ der ArbeiterInnenklasse gegenüber dem Kapital und
weiterhin gegenüber ‚ihren’ offiziellen Organisationen wie Gewerkschaften und
Parteien. Mit der Zeit kam es zu einer Ablösung des Autonomiebegriffs, der bisher
auf den Ort der Fabrik und die Figur des industriellen ‚Massenarbeiters’ fixiert
war und zur einer Übertragung auf alle Lebens- und Arbeitsbereiche. (Vgl.
ebd.) So nahmen die Beiträge zur ‚Autonomie der Migration’ „ein grundlegendes
Muster des Operaismus, wonach die sozialen Auseinandersetzungen und Klassenkämpfe
letztlich die Triebkräfte der Geschichte seien, wieder auf, um sie auf
dem Terrain von Rassismus und Migration zum Einsatz zu bringen.“ (Birkner/Foltin
2006:177) In Michael Hardts und Antonio Negris ‚Empire’, das als
Grundlagenwerk des Postoperaismus gilt, nimmt die Autonomie der Migration,
obwohl nie explizit als solche benannt, eine entscheidende Rolle in ihrer Konzeption
von ‚Multitude’ und ‚Empire’ ein:
„Ein Gespenst geht um in der Welt, und sein Name ist Migration. Alle Mächte
der alten Welt haben sich vereint und kämpfen gnadenlos dagegen an, aber die
Bewegung ist nicht aufzuhalten. [...] Die legalen und offiziell erfassten Bewegungen
werden von den verborgenen Migrationen weit übertroffen: Die Grenzen
nationaler Souveränität sind durchlässig wie ein Sieb, und jeder Versuch,
die Migrationsbewegungen vollständig zu regulieren, scheitert am gewaltsamen
Druck. [...] Desertion und Exodus sind eine machtvolle Form des Klassenkampfs
in der imperialen Postmoderne und zugleich gegen sie.“ (Hardt/Negri
2002: 225)
Durch die „epistemologische Umkehrung der polischen Kausalität im operaistischen
Denken“ (Birkner 2004) unter den Bedingungen der „Verschiebungen gesellschaftlicher
Strukturen von der modernen zur imperialen Souveränität“ (ebd.)
rücke, so Martin Birkner, die Figur der Migration ins Zentrum einer postoperaistischen
politischen Theorie. Erst ein solcher ‚Perspektivenwechsel’ ermögliche,
7

„Migration nicht mehr funktionalistisch als Resultat von ‚Pull-’ und ‚Push-
Effekten’, sondern als Bewegung gesellschaftlicher Individuen, die sich zu ‚Strömen
und Netzwerken der Migration’ verbinden“ (ebd.), zu denken. 3
2.2 Transnationale soziale Netzwerke
An dieser Stelle wird deutlich, dass das Konzept der Autonomie der Migration die
Erkenntnisse der neueren Migrationsforschung in bezug auf die Bedeutung von
transnationalen sozialen Netzwerken aufgreift.
Die Transnationalisierungsforschung konstatiert eine quantitative und qualitative
Veränderung der weltweiten Migrationen gegen Ende des 20. Jahrhunderts. Während
früher Formen der internationalen Migration, verstanden als unidirektionaler
und einmaliger Wohnortwechsel, dominierten, treten demnach vermehrt Formen
transnationaler Migration auf. Deren AkteurInnen, die TransmigrantInnen, etablieren
vielfältige Beziehungen über nationale Grenzen hinweg, die Verbindungen
zwischen Herkunfts- und Einreisegesellschaften schaffen. TransmigrantInnen
leben zwischen verschiedenen Wohnorten, pendeln oftmals zwischen ihnen hin
und her. Durch diese Praxen entstehen, über geografisch-politische räumliche
Einheiten hinweg, Transnationale Soziale Räume. (Vgl. Haug 2000: 16f.)
Bei der Analyse internationaler Migrationen und der Erklärung von Kettenmigrationsprozessen
gewannen Meso-Ebenen-Ansätze zunehmend an Bedeutung, die
die sozialen Emigrations- und Immigrationsnetzwerke in den Fokus der Betrachtung
rücken. Persönliche Beziehungen, die MigrantInnen, ‚ehemalige’ MigrantInnen
und NichtmigrantInnen über nationale Grenzen hinweg miteinander verbinden,
erhöhen demnach die Wahrscheinlichkeit internationaler Arbeitsmigration.
Die meisten MigrantInnen haben bereits Verwandte am Zielort, reisen mit Verwandten
gemeinsam oder Verwandte reisen ihnen später nach. Insofern können
3 Birkner (2004) weist allerdings auch auf die Gefahr hin, „bei einem Denken allein aus der
Perspektive des Widerstands und der ‚Autonomie’, wie sie Moulier-Boutang und eben auch
Hardt & Negri betreiben, all zu leicht die angemessene Analyse der ‚Gegenseite’ in ihrer ‚relativen
Autonomie’ aus dem Blick“ (Herv. i. Orig.) zu verlieren. Es seien „eben auch ‚hinter
den Rücken der Menschen’ (Marx) ablaufende Prozesse kapitalistischer Reproduktion existent
[...], die nur über die Analyse ihrer ‚Eigengesetzlichkeiten’ [...] erkannt werden können
und eben nicht allein aus der Perspektive des Klassenkampfes.“ (ebd.)
8

transnationale soziale Netzwerke besonders Kettenmigrationsprozesse befördern.
(Vgl. ebd.: 19)
Diese ‚sozialen Dimensionen’ der Migration sind nach Yann Moulier Boutang
entscheidend für die Autonomie der Migration, für ihre „Selbständigkeit gegenüber
den politischen Maßnahmen, die darauf zielen, sie zu kontrollieren“ (Moulier
Boutang 2002):
„Je größer die Hindernisse sind, die dem Vorhaben entgegenstehen, desto mehr
erweist sich diese soziale Dimension als unerlässlich für den Erfolg des Projekts
in all seinen Phasen: Ob es um das Aufbringen von Geld für den Anfang oder
um den eigentlichen Grenzübertritt geht, ob es der Zugang zu Netzwerken ist,
die es den Migranten erlauben, am Ziel schnell Arbeit zu finden, oder ob es der
Schutz vor der Gier aller möglichen Ausbeuter und schließlich vor polizeilicher
Verfolgung ist.“ (ebd.)
2.3 Migration als soziale Bewegung
Die AutorInnen der ‚Materialien für einen neuen Antiimperialismus’, die Ende
der 1990er Jahre die ersten waren, die im bundesdeutschen Kontext das Konzept
der ‚Autonomie’ auf Migrationsfragen übertrugen (vgl. Karakayalı 2008: 255),
konzipierten Migration als „reale soziale Bewegung“ (Materialien für einen neuen
Antiimperialismus 1998):
„[S]ie ist nicht nur Flucht vor Zerstörung, Folter und Massakern, sondern zugleich
Aufbruch, Abstimmung mit den Füßen, Suche nach einem besseren Leben.
[...] [W]eil die MigrantInnen, die aus der Peripherie in die industriellen
Zentren kommen, das Prinzip der gegenwärtigen Weltordnung, das Prinzip des
freien Kapitalverkehrs bei begrenzter Freizügigkeit der Menschen, durchkreuzen,
bilden sie eine soziale Bewegung, welche die realen Zustände real aufhebt.“
(ebd.)
Derartige Überlegungen sind seitdem unter dem Namen der ‚Autonomie der Migration’
aufgegriffen, ausdifferenziert und erweitert worden. So macht die
9

TRANSIT MIGRATION Forschungsgruppe die ‚Autonomie der Migration’ zu
ihrem theoretischen und methodischen Ausgangspunkt:
„Die MigrantInnen machen [...] ihre Migration selbst, aber sie machen sie nicht
frei von Bedingungen, sondern ‚unter vorgefundenen Umständen’. Was macht
man aber mit ‚Umständen’? Man kann sich darin einrichten, arrangieren und die
Umstände reproduzieren, oder – ‚unter Umständen’ – akkumulieren sich die
Praktiken des Umgehens bis zur Krise. [...] Die Umstände der Migration verändern
sich also durch die Projekte, mit denen die MigrantInnen, also gesellschaftliche
Subjekte, diese Umstände stets aufs Neue reproduzieren und in ihrem Prozess
verändern.“ (Karakayalı/Tsianos 2007: 16)
Manuela Bojadžijev (2008) untersucht die Geschichte migrantischer sozialer
Kämpfe in der Bundesrepublik und möchte mithilfe der theoretischen Annahme
der ‚Autonomie der Migration’ „Migration und ihr Double, die staatlichen Kontrollversuche
in einer historischen Perspektive [...] analysieren“ (ebd.: 147). Staatliche
Maßnahmen der Migrationskontrolle – die Anwerbeverträge der 50er und
60er Jahre ebenso wie den Anwerbestopp 1973, die faktische Abschaffung des
Asylrechts 1993 wie das Zuwanderungsgesetz 2005 – interpretiert sie dabei immer
auch als Reaktionen auf die ‚autonomen’ migrantischen Bewegungen, die
sich in verschiedenen Bewegungszyklen und unterschiedlicher Zusammensetzung
immer wieder den staatlichen Zugriffsversuchen entzogen und entziehen (vgl.
ebd.: 148).
Auch Serhat Karakayalı (2008: 97) hebt hervor, „dass die Migration den politisch
und juridisch strukturierten Migrationswegen historisch vorausgeht“, dass es illegale
Migration schon seit den Anfängen der Bundesrepublik gibt und dass fast
alle Anwerbeabkommen Reaktionen auf (mehr oder weniger ‚illegale’) Migrationsbewegungen
waren. Die verschiedenen institutionalisierten Migrationswege
bezeichnet er demzufolge als unterschiedliche Typen von sozialen Kompromissen
(vgl. ebd.: 99). Karakayalı und Tsianos (2005: 56) konzeptualisieren „Migration
als eine spezifische Form politischer Artikulation“:
„Wenn wir von Autonomie der Migration reden, dann plädieren wir damit nicht
für eine von sozialen und ökonomischen Strukturen losgelöste Betrachtung von
10

Migrationen. Vielmehr geht es zunächst darum, eine andere Perspektive einzunehmen
und die Transformation von Souveränität als Effekt globaler Migrationspraktiken
zu denken, die die Grundlagen, auf denen Souveränität bislang
funktionierte, tendenziell unterlaufen.“ (ebd.)
2.4 Weder Kriminalisierung noch Viktimisierung
Die Betonung der Subjektivität von MigrantInnen geht einher mit einer Kritik
politischer Diskurse über Migration, in denen diese vornehmlich in einer kriminalisierenden
und/oder viktimisierenden Art und Weise thematisiert werde.
Bereits zur Zeit der Gastarbeitsverträge begann sich ein Diskurs über Menschenhandel
zu etablieren, der jedoch erst hegemoniefähig werden konnte, als das
‚Gastarbeitsregime’ in die Krise geriet und Migration nicht mehr ‚rein ökonomisch’
zu verhandeln war. Mit der Überführung des Migrationsdiskurses auf ein
humanitäres, menschenrechtliches Terrain eröffnete sich sowohl für MigrantInnen
als auch für GegnerInnen der Migration ein neues Aushandlungsfeld. (Vgl.
Karakayalı 2008: 228)
Helen Schwenken (2006) zeigt in einer Studie über eine Kampagne des
RESPECT-Netzwerks 4 gegen die Ausbeutung von Haushaltsarbeiterinnen in der
EU, wie es MigrantInnen durch Diskursstrategien, die auf dem Diskursfeld ‚Menschenhandel/Frauenhandel’
operierten, zwar teilweise gelang, ihre Interessen auf
der politischen Agenda zu positionieren, Ressourcen zu mobilisieren und politische
Entscheidungen zu beeinflussen (vgl. ebd.: 277). Zugleich aber diente eben
jener humanitäre Diskurs gegen Menschen-/Frauenhandel der Politik als Legitimationsfolie
zur Verschärfung der Immigrationsgesetzgebung (vgl. ebd.: 273),
weshalb RESPECT schließlich von der Thematisierungsstrategie des Frauenhandels
Abstand nahm und die Forderung nach Rechten in den Vordergrund rückte
(vgl. ebd.: 305f.).
4 RESPECT steht für ‚Rights, Equality, Solidarity, Power, Europe, Co-operation, Today’ und
ist ein 1998 gegründetes europäisches Netzwerk zur Unterstützung von Migrantinnen, die in
privaten Haushalten arbeiten (vgl. Schwenken 2006: 125).
11

Die Bekämpfung von Menschenhandel ist insofern diskursiver Bestandteil dessen,
was Schwenken als Mobilisierungstyp „repressives Migrationsmanagement“
(ebd.: 314) bezeichnet. Der Kampf gegen irreguläre Migration zählt zu den migrationspolitischen
Prioritäten. Schwenken ordnet u.a. die meisten europäischen Regierungen
diesem Mobilisierungstyp zu. Diese erlassen allerdings nicht einfach
Gesetze, die illegale Migration bekämpfen sollen, vielmehr müssen sie sich auf
das gesellschaftliche Terrain der Konsens- und Meinungsbildung begeben und für
ihre Ziele werben. Hierzu dient zum einen die diskursive Verknüpfung von Migrations-
und Sicherheitspolitik, zum anderen der Diskurs über Frauen-/Menschenhandel
und illegale Beschäftigung. Hierbei kann es zu partiellen Überschneidungen
und Kooperationen zwischen staatlicher Politik und NGOs, die sich als menschenrechtsorientiert
und/oder feministisch verstehen, kommen. Irreguläre MigrantInnen
tauchen im Rahmen dieses Diskurses fast ausschließlich als Opfer oder
als Rechtsbrecher(Innen) auf (vgl. ebd.: 315).
Karakayalı (2008) hebt den Anti-Trafficking-Diskurs als deutliches Beispiel für
die „de-subjektivierenden Effekte des Viktimisierungsdispositivs“ (ebd.: 241)
hervor und bezeichnet ihn als „ein Arbeitsbündnis zwischen bestimmten feministischen
und menschenrechtlichen Positionen und den Apparaten der Migrationskontrolle“
(ebd.: 243), das keineswegs ausschließlich auf den Schutz ausgebeuteter
und unterdrückter Menschen ziele, aber ebenso wenig nur der Beherrschung
und Kontrolle von Migrationen diene. Er analysiert, dass
„die diskursive Transformation der MigrantInnen-Subjekte in Opfer die Bedingung
für eine Allianz [ist], in der auch die Position der MigrantInnen verhandelbar
wird. Der Opferstatus ist Ausdruck eines asymmetrischen Kompromisses:
Als Opfer muss der oder die MigrantIn ihre agency verleugnen und die politischen
und ökonomischen Ursachen der Migration als reine Push-Faktoren –
ausgenutzt von mafiösen Banden – darstellen. Nur unter diesen Bedingungen
gelingt eine Integration in den Verhandlungsraum über Migrationsverhältnisse.“
(ebd.: 249; Herv. i. Orig.)
Yann Moulier Boutang, der die Diskussion um die ‚Autonomie der Migration’
von Anfang an mitprägte, plädiert dafür, „jede Kriminalisierung der Migration
12

und ihrer Umstände zurückzuweisen, gerade auch, wenn sie unter dem Vorwand
des ‚humanitären’ Mitgefühls daherkommt“ (Moulier Boutang 2002) und spricht
sich gegen eine Analogisierung von organisierter Migration mit ‚organisierter
Kriminalität’ aus. Ein großer Teil der internationalen Migration werde in die Illegalität
gezwungen, ein kleinerer und in seiner Bedeutung noch weit geringerer
finde in die ‚große’ organisierte Kriminalität (vgl. ebd.). Zwar müssten MigrantInnen
sich im Zuge der (illegalisierten) Migration oftmals in Ausbeutungssituationen
(etwa gegenüber GeldverleiherInnen, SchleuserInnen, ArbeitgeberInnen
etc.) begeben. Jedoch hieße das nicht, dass sie dadurch ihren Subjektstatus, jegliche
Entscheidungsspielräume verlören: „Die Ausgebeuteten sind aber nicht notwendigerweise
Beherrschte. Man sollte nicht die MigrantInnen viktimisieren,
wenn sie ausgebeutet werden.“ (Moulier Boutang 2007: 171)
2.5 Recht auf Rechte
Die vorgestellte theoretische Perspektive ist kaum zu trennen von ihren politischen
Implikationen: „Aus der These der ›Autonomie der Migration‹ erwachsen
politische Forderungen, die auf grundlegenden Veränderungen von Staat und
Ökonomie beruhen“ (Schwenken 2006: 228).
„Mit dem Konzept der ›Autonomie der Migration‹ werden [...] die dominanten
›Wahrnehmungs- und Bewertungskriterien‹ [...] – Migration hat in geregelten
Bahnen und mit gültigen Papieren zu verlaufen – in Frage gestellt. Der Begriff
der ›Autonomie der Migration‹ erlaubt eine Zuspitzung, um in der migrationspolitischen
Diskussion Prämissen und Positionierungen der Migrationskontrolle
diskutierbar zu machen.“ (ebd.)
Ausgehend von der These der Autonomie der Migration erheben die VertreterInnen
des Konzeptes Forderungen nach Legalisierung und mobilisieren für ein
‚Recht auf Rechte’ (vgl. ebd.: 309ff.) Die Strategie besteht darin, auf die soziale
Tatsache irregulärer Migrationsbewegungen zu verweisen, die von Staaten nicht
vollständig verhindert werden könnten, und die Existenz irregulärer MigrantInnen
zu enttabuisieren. Als ein Beispiel hierfür kann die Gesellschaft für Legalisierung
gelten, in der sich vor einigen Jahren unterschiedliche Gruppen wie Kanak Attak,
13

RESPECT, die Flüchtlingsinitiative Brandenburg und andere zusammenschlossen
und unter dem Slogan „Wir sind unter euch!“ den ‚Gesellschaftsvertrag’ der Illegalisierung
und Entrechtung von MigrantInnen angriffen und dabei auf die ‚Autonomie
der Migration’ bezug nahmen:
„Wir sehen in ganz Europa – der Eintritt, der Verbleib, das Reisen in Schengenland
ist möglich. [...] Inoffiziell erzählt uns die Geschichte der Migration seit
Jahrzehnten Geschichten von Menschen, die die Kontrollen, Einschränkungen
und Gesetze unterlaufen. [...] Der Preis ist im Zweifelsfall hoch: Illegalisierung
macht krank, manche bezahlen mit ihrem Leben, andere werden ohne Papiere
erwischt und abgeschoben.“ (Gesellschaft für Legalisierung 2003)
Die ‚Illegalen’ werden als die Spitze des Eisbergs der Entrechtung angesehen, auf
dem alle stationiert seien, die in Deutschland zu Ausländern gemacht würden.
Dem „Gerede von der Integration“, der Unterteilung in „gute und schlechte Ausländer,
die sich ihre Chancen verdienen oder sie verlieren“ setzt die Gesellschaft
für Legalisierung die Forderung nach kollektiven Rechten entgegen, also danach,
„eine so wie so alltägliche Praxis ins Recht zu setzen“ (ebd.). Wie Manuela
Bojadžijev, Serhat Karakayalı und Vassilis Tsianos von Kanak Attak präzisieren,
„geht es nicht um eine rein administrative Bereinigung des Skandals, dass Leute
ohne Papiere in Deutschland leben, sondern um die ganze Spannbreite der Entrechtung
von Migrantinnen und Migranten. Von der Legalisierung reden heißt
daher, Verbindungen zwischen diesen verschiedenen Modi der Entrechtung herzustellen
und sie in eine gemeinsame Perspektive zu stellen. [...] Es ist zwar
›nur‹ das Ausländergesetz, das die rumänische Software-Expertin und die senegalesische
Reinigungskraft miteinander in Verbindung bringt, das heißt aber
auch, dass nur ein Kampf gegen dieses Gesetz, gegen die praktische Vorenthaltung
von Rechten den Widerstand neu zentrieren, neu ausrichten kann. Diese
Verbindung im Kampf um Legalisierung [...] muss darin bestehen, den Aspekt
der Entrechtung und die aktive Aneignung, das Rechte-Nehmen in den Vordergrund
zu stellen.“ (Bojadžijev/Karakayalı/Tsianos 2003: 205)
‚Recht’ verstehen sie dabei als „die Form, in der den Herrschenden Kompromisse
abgerungen werden können“ (ebd.: 206). Die Forderung nach Rechten ist für sie
14

nicht gleichbedeutend mit dem Ruf nach neuen Gesetzen: „Gesetze sind immer
die staatliche Antwort auf den Kampf um Rechte, was nicht bedeuten kann, diesen
Kampf gar nicht erst aufzunehmen.“ (ebd.: 207)
2.6 Kritik
Das Konzept der ‚Autonomie der Migration’ ist unter verschiedenartigen Gesichtspunkten
kontrovers diskutiert und kritisiert worden. Einige Kritikpunkte
möchte ich hier aufgreifen und anhand ihrer die Brauchbarkeit des Konzepts in
theoretischer wie politischer Hinsicht andiskutieren.
Tobias Pieper (2004) verortet die Gründe für das Scheitern der politischen Versuche,
Migration zu kontrollieren, nicht in den sozialen und subjektiven Dimensionen
der Migration, sondern in den Bewegungsgesetzen der Kapitalakkumulation,
die die Ware Arbeitskraft in Richtung der Fabriken in Bewegung setze: „Das gesamte
Migrationsspektrum von der Arbeitsmigration bis zur politische[n] Flucht
kann analytisch auf den gleichen Prozess zurückgeführt werden, und zwar auf die
gewaltsame Inwertsetzung der Welt, auf die Mehrwertaneignung durch das Kapital
des Nordens und die Ausbeutung des Trikonts.“ (ebd.) Migrationsbewegungen
seien niemals autonom von der weltweiten Kapitalakkumulation, und sie seien
auch kein Widerstand gegen diese, sondern vielmehr deren notwendige Voraussetzung.
Zwar bewegten sich MigrantInnen nicht immer so, wie ‚das Kapital’ es
wolle, seien als konkrete einzelne Menschen durchaus auch widerständig und
autonom; doch werde „der Kampf um den Weg in die Fabrik erst dann zum politischen
Widerstand, wenn es nicht mehr um die individuelle Aneignung eines meistens
schlecht bezahlten Arbeitsplatzes geht, sondern um die kollektive Inbesitznahme
der Fabriken selbst.“ (ebd.) Efthimia Panagiotidis und Ulaş Şener (2004)
werfen Pieper einen Reduktionismus vor, der „keinen Begriff für das subjektive
Gesicht der Migration und seine gespenstischen Kämpfe“ (ebd.) habe und Befreiungskämpfe
an den Ort der ‚Fabrik’ und die Figur des/r Lohnarbeiters/-in binde.
Zwar ist dieser Einwand meines Erachtens berechtigt; Piepers Kritik verweist
allerdings auch darauf, dass die ‚Autonomie der Migration’ zu Fluchtgründen und
deren Bedeutung tatsächlich wenig zu sagen hat.
15

So beschreibt Sabine Hess von der antirassistischen Gruppe Kanak Attak deren
Ansatz wie folgt:
„Mit der ‚Autonomie der Migration’ stellen wir nicht die Zerstörung in den Mittelpunkt
einer politischen Anrufung, sondern die Forderung nach gleichen sozialen
Rechten. Während mit dem Recht auf Legalisierung der Vorschlag verbunden
ist, die Hierarchisierungen der deutschen Ausländerpolitik in Flüchtlinge,
ArbeitsmigrantInnen, ausländische Studierende, Illegale etc. zu überwinden,
scheinen Flüchtlingsselbstorganisationen ihre politische Kampfkraft an die Reproduktion
der Kategorie ‚Flüchtling’ zu knüpfen; [...] in der Perspektive der
Migration als soziale Bewegung muss sich Migration nicht aus einer kolonialen
Zerstörungsgeschichte ableiten, um Mobilität zu legitimieren“ (Hess, in Alabi et
al. 2005: 18).
Aktivisten der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen kritisieren
Kanak Attak als „eine privilegierte Gruppe von MigrantInnen, die wenig
oder nichts zur Unterstützung von Flüchtlingen getan hat“ (Alabi, ebd.) und finden
es „schwierig, die Gründe unserer Flucht politisch zu ignorieren.“ (Omwenyeke,
ebd.) Omwenyeke kritisiert zudem die Behauptung von organisierten und
effizienten MigrantInnen-Netzwerken:
„Es ist mir komplett unverständlich, dass der Horror und die Erniedrigung, die
Leute typischerweise erleben bei dem Versuch, die Grenzen der Festung Europa
zu durchbrechen, von diesen VerfechterInnen so elegant und ruhmreich beschrieben
werden kann. Die unzähligen Tausende, die auf dem Weg nach Europa
jedes Jahr im Meer ertrinken, die in Containern mit verderblichen Lebensmitteln
ersticken, die wochenlang unterwegs sind, die gestorben sind (und immer
noch sterben) und niemals gezählt wurden, in nord-afrikanischen Wüsten
und Wäldern, mit Sicht auf Spanien als Eingangstor, mit der unaussprechlichen
menschlichen Erniedrigung und dem Leiden, diese Leute sind an diesen ‚effizienten
Netzwerken’ mit Sicherheit nicht beteiligt.“ (Omwenyeke 2004)
Auch Martina Benz und Helen Schwenken stehen dem Konzept der ‚Autonomie
der Migration’ skeptisch gegenüber. Zwar wenden auch sie sich gegen eine Objektivierung
und Viktimisierung der MigrantInnen im Diskurs um Migrations-
16

kontrolle; gleichzeitig plädieren sie aber auch für „eine Anerkennung der Nicht-
Autonomie und damit Solidarität [...]. Denn in der Rede von der Autonomie der
Migration geht ebenfalls schmerzlich verloren, dass auch migrantische Netzwerke
hierarchische Machtstrukturen und damit Abhängigkeitsverhältnisse aufweisen,
die auf Ungleichheit basieren und sie reproduzieren.“ (Benz/Schwenken 2005:
374) Um einerseits das Konzept der Autonomie nicht zugunsten desubjektivierender
neoklassischer Ansätze komplett zu verwerfen, andererseits aber eine Vereinheitlichung
und Dichotomisierung ‚Staat versus MigrantIn’ als autonomem
(Kollektiv-)Subjekt zu vermeiden, sprechen die Autorinnen statt von ‚Autonomie’
von der ‚Eigensinnigkeit’ von Migration (vgl. ebd.: 374f.).
2.7 Zwischenfazit
Der Perspektive der ‚Autonomie der Migration’ kommt der Verdienst zu, einen
Kontrapunkt zu politikwissenschaftlichen Theorien der Migration zu setzen, die
diese vor allem aus der Perspektive der Nationalstaaten analysieren und deren
politischen Kontrollinteressen zuarbeiten. Ins Zentrum des Interesses rücken die
‚autonomen’ Praxen der Migration, denen es – etwa mittels transnationaler sozialer
Netzwerke und durch Ausschöpfen und Überdehnen rechtlicher Möglichkeiten
– gelingt, politische Kontrollmaßnahmen zu umgehen. Durch diese kollektiven
Praxen verändern die MigrantInnen selbst auch die ‚Umstände der Migration’, da
einerseits der Staat versucht, durch Gesetzesänderungen, strategische Verbindungen
von Migrations- und Sicherheitsdiskursen usw. die Bewegungen der Migration
unter Kontrolle zu bekommen, andererseits der Staat aber auch Aushandlungsfeld
ist, der nicht auf das repressive Ziel der Migrationsverhinderung reduziert
werden kann.
Damit setzt sich die Perspektive der ‚Autonomie der Migration’ auch von solchen
diskursiven Positionen ab, die sich zwar für ‚Menschenrechte’ und ‚Flüchtlingsschutz’
einsetzen, dies aber um den Preis der Desubjektivierung und Viktimisierung
der MigrantInnen, bzw. die diese Ziele mit der Situation in deren Herkunftsländern
begründen. Als politische Forderung werden kollektive soziale Rechte
proklamiert, die – unabhängig von Flucht- und Migrationsgründen, ‚Integrationsleistungen’
u.a. – die rechtlichen und sozialen Hierarchisierungen zwischen Deut-
17

schen und MigrantInnen sowie zwischen MigrantInnen untereinander aufheben
sollen. Die Proklamation eines universellen ‚Rechtes’ auf Legalisierung stellt in
einem Diskurs, in dem bis weit in das ‚migrationsfreundliche’ Spektrum hinein in
‚legitime’ und ‚illegitime’ Migration unterschieden wird, meines Erachtens eine
wertvolle Intervention dar. Zugleich bewegen sich emanzipatorische Berufungen
auf Rechte jedoch stets in einem paradoxen Raum, da sie mit dem ‚Recht’ eine
Struktur affirmieren, die für die Herrschaftsverhältnisse, die auf diese Weise bekämpft
werden sollen, konstitutiv sind (vgl. Sonja Buckel 2008a sowie Kap. 4.5
dieser Arbeit).
Leider geht die Betrachtung von Migration als per se legitimer sozialer Bewegung
im Rahmen des Konzeptes der ‚Autonomie der Migration’ zumindest teilweise
einher mit einer Abwertung von Ansätzen, die ihre Perspektive auch oder vor
allem auf Fluchtgründe richten, und konzentriert sich zudem auf diejenigen MigrantInnen,
die bereits in Deutschland oder der Europäischen Union leben. Dadurch
ist der Ansatz für jene, die in ‚ihren’ Ländern unter Hunger, Krieg und anderen
Katastrophen leiden, aber nicht emigrieren können oder wollen, wenig hilfreich
– ebenso für diejenigen Flüchtlinge, die zwar hier leben, am liebsten aber
ein gutes Leben in ihren Herkunftsländern führen würden. Der (exil-)politische
Kampf gegen Krieg, Diktaturen und Unterdrückungsregime sowie gegen die
weltweiten kapitalistischen Ausbeutungsstrukturen dient daher nicht der „Reproduktion
der Kategorie ‚Flüchtling’“, so Sabine Hess’ Vorwurf (vgl. Kap. 2.6),
sondern ist als wichtiger Teil der inter- und transnationalen Kämpfe (nicht nur)
der Migration anzusehen. Durch die Betonung der Selbstorganisierung der Migration
durch soziale Netzwerke gerät außerdem aus dem Blickfeld, dass erstens solche
funktionierenden Netzwerke nicht allen (potenziellen) MigrantInnen zur Verfügung
stehen, dass zweitens trotz solcher Netzwerke viele MigrantInnen an oder
vor den Grenzen scheitern, in Transitländern festsitzen oder, angekommen im
Zielland, kaum in der Lage sind, sich das Überleben zu organisieren, und dass
drittens diese ‚sozialen Netzwerke’ ihrerseits von massiven Herrschaftsverhältnissen
durchzogen sind. 5
5 „Nur potenzielle MigrantInnen mit ausreichend finanziellen Ressourcen und transnationalen
Netzwerken können sich die ›Autonomie der Migration‹ leisten, da die autonome Migration
so autonom nicht ist, sondern in Abhängigkeit vom Markt für irreguläre Migrationsdienstleis-
18

Um solche Relativierungen bei der theoretischen Analyse nicht unter den Tisch
fallen zu lassen, und um nicht nur für bestimmte, ‚starke’ und ‚autonome’ MigrantInnengruppen
eine geeignete politische Diskursstrategie darzustellen, müsste
das Konzept der ‚Autonomie der Migration’ daher einer Reflexion unterzogen
werden, die sich kritischer mit den Unzulänglichkeiten einer ‚Perspektive der Autonomie’
auseinandersetzt, die ‚nicht-autonome’ Aspekte migrantischer Lebenslagen
und Lebensweisen leicht aus dem Blick verliert.
3 Konfliktfeld Migration – Postfordistisches Migrationsre-
gime und Soziale Arbeit
In diesem Kapitel möchte ich zunächst „Migration und ihr Double, die staatlichen
Kontrollversuche“ (Bojadžijev 2008: 147) in ihren institutionellen Verdichtungen
– als ‚Migrationsregime’ – analysieren, um mich dann der Rolle der Sozialen Arbeit
in diesem Kontext anzunähern. Dabei wird es mir zunächst um die Frage gehen,
welche Aufgaben und Funktionen Sozialer Arbeit in diesem Zusammenhang
zugeschrieben werden – einerseits von staatlicher Seite, andererseits von ‚sich
selbst’.
Wie die Einführung in die Perspektive der Autonomie der Migration bereits ansatzweise
verdeutlicht hat, finden Migrationsbewegungen und ihre staatliche Bearbeitung
in einem konfliktorischen Feld statt, auf dem unterschiedliche Akteure
mit unterschiedlichen Interessen und unterschiedlichen (Macht-)Positionen miteinander
in Beziehung treten und um die Ausgestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse
ringen. Um die Deutung, Etablierung und Durchsetzung von – staatlichen
und migrantischen – Praktiken wird (auch) auf einem diskursiven Terrain gekämpft.
Als Verdichtung dieser sozialen Konflikte und Kompromisse entwickeln
sich Migrationsregime. (Vgl. Karakayalı 2008: 34ff.) Eine Einführung in den Begriff
des ‚Migrationsregimes’, eine Beschreibung des postfordistischen Migrati-
tungen steht und auf funktionierenden sozialen und verwandtschaftlichen Netzwerken beruht.“
(Schwenken 2006: 229)
19

onsregimes sowie der Einflüsse von Prozessen der ‚Autonomie der Migration’ auf
dieses wird Inhalt des nächsten Unterkapitels sein.
3.1 Postfordistisches Migrationsregime
3.1.1 Zum Begriff des Migrationsregimes
Statt von Veränderungen in der Migrationspolitik oder von -systemen werde ich
im folgenden jene des Migrationsregimes beschreiben. Der Begriff des (Migrations-)Regimes
ist eher dazu geeignet, das Verhältnis von Migration und ihrer gesellschaftlichen
und staatlichen Bearbeitung zu untersuchen und dabei ökonomistische
und funktionalistische Verkürzungen zu vermeiden. Die Regimetheorie, die
ihren Ursprung in den Internationalen Beziehungen hat und durch AutorInnen der
Regulationstheorie sowie der Bourdieu-Schule weiterentwickelt worden ist, untersucht
das
„Problem der Verstetigung von Verhältnissen, die ihrer Natur nach als äußerst
instabil angesehen werden müssen, von denen aber nicht angenommen werden
kann, dass sie exogen, also etwa vom Staat gesichert und gesteuert werden. Die
‚Regularisierung’ sozialer Verhältnisse wird vielmehr als Resultat sozialer Auseinandersetzungen
begriffen, die in immer wieder zu erneuernden (oder umzuwerfenden)
institutionellen Kompromissen münden.“ (Karakayalı/Tsianos 2005:
47)
‚Regime’ definieren Karakayalı und Tsianos (2007: 14) als „Ensemble von gesellschaftlichen
Praktiken und Strukturen – Diskurse, Subjekte, staatliche Praktiken –
deren Anordnung nicht von vorneherein gegeben ist, sondern das genau darin
besteht, Antworten auf die durch die dynamischen Elemente und Prozesse aufgeworfenen
Fragen und Probleme, zu generieren.“ Der Regimebegriff erlaubt so,
Regulationen als Effekte, als Verdichtungen sozialer Handlungen zu begreifen
und sie nicht funktionalistisch vorauszusetzen (vgl. Karakayalı/Tsianos 2005: 48).
In bezug auf Migrationsregime heißt das, auch Aspekte der Autonomie der Migration
in eine (Regulations-)Theorie derselben integrieren zu können.
20

Damit wird keineswegs von einer Begegnung ‚auf gleicher Augenhöhe’ ausgegangen;
vielmehr treffen innerhalb eines Migrationsregimes Akteure aufeinander,
zwischen denen höchst asymmetrische Macht-Verhältnisse bestehen. So sind jene
Akteure, die etwa grenzpolizeiliche Aufgaben übernehmen oder Ausländergesetze
durchsetzen sollen, gegenüber MigrantInnen „in Begriffen einer Macht-
Ökonometrie maßlos überlegen“ (ebd.: 49). 6 Aus dieser Überlegenheit resultiert
allerdings nicht (oder nicht in erster Linie) die oftmals proklamierte Immobilität.
Statt der Abschottung wird in dieser Perspektive die Entrechtung als zentrale
Funktionsweise des Migrations- und Grenzregimes in den Mittelpunkt gerückt
(vgl. ebd.).
Die vorangegangene Definition von (Migrations-)Regimes verweist bereits auf
deren Dynamik und Prozesshaftigkeit. Das Migrationsregime im Postfordismus
zu beschreiben heißt also, Transformationsprozesse sichtbar zu machen, die einerseits
historisch dem fordistischen Regime entspringen und andererseits einen
Bruch mit ihm darstellen. Analog zum Regulationstheoretiker Lipietz, der die
verschiedenen bisher entstandenen kapitalistischen Formationen als ‚Fundsachen’
bezeichnet und damit darauf verweist, dass die Entwicklung des Kapitalismus ein
grundsätzlich offener Prozess ohne vordefinierten Ausgang und das Ergebnis sozialer
Handlungen und Kämpfe ist (vgl. Hirsch 2005: 90), ließe sich also auch das
gegenwärtige Migrationsregime als (lediglich vorläufige) ‚Fundsache’ bezeichnen.
3.1.2 Krise des fordistischen ‚Gastarbeitsregimes’
An dieser Stelle ist kein Platz, um das Migrationsregime im Fordismus im Detail
zu beschreiben. Jedoch ist für das Verständnis aktueller Transformationen ein
kurzer Einblick in das fordistische ‚Gastarbeitsregime’, das von 1955 bis 1973 die
bundesdeutsche Migrationspolitik prägte, und seine Krise unabdingbar. Nach
Karakayalı und Tsianos strukturierte sich das Migrationsregime in jener Phase
„über die Verbindung von vier Momenten: Das ‚Inländerprimat’, die partielle
6 „Auch wenn marginalisierte Gruppen im Kräfteverhältnis untergeordnet sind, ist es wichtig
zwischen Machtlosigkeit und dem Zustand, trotz fehlender Macht AkteurIn zu sein, zu unterscheiden.“
(Heck 2008: 49)
21

Entrechtung, die Einbindung in die Sozialversicherung und das politische ‚Dogma’,
nach dem die MigrantInnen sich nur vorübergehend in Deutschland aufhalten
sollten.“ (2002: 254)
Unter dem Eindruck der Rezession gegen Ende der 1960er Jahre verstärkten sich
die gesellschaftlichen Diskussionen über Kosten und Nutzen der ArbeitsmigrantInnen.
Als Kristallisationspunkt solcher Debatten wurde 1973 durch die Bundesregierung
ein Anwerbestopp ausgerufen. Mittlerweile jedoch hatten die meisten
MigrantInnen längst beschlossen, in Deutschland zu bleiben. Immer mehr ‚GastarbeiterInnen’
holten ihre Familien nach. Dadurch stieg die Zahl der nichterwerbstätigen
MigrantInnen. (Vgl. Herbert 2003: 225ff.) Je mehr Haushaltsmitglieder
in der Bundesrepublik versorgt werden mussten, desto höher musste der
Verdienst sein. Mit zunehmender Aufenthaltsdauer, Integration und Haushaltsgröße
verloren die MigrantInnen jedoch ihre primäre Qualifikation für den deutschen
Arbeitsmarkt, die eben genau darin bestand, nicht integriert, also billig und
flexibel zu sein. Nach dem Anwerbestopp organisierte sich Migration vor allem
durch das ‚Schlupfloch’ der Familienzusammenführung und damit relativ autonom
von staatlichen Kontroll- und Steuerungspolitiken. (Vgl. Karakayalı/Tsianos
2002: 256) „Die kontrollpolitischen Anstrengungen der Staatsapparate, diese Autonomie
der Migration zu regulieren, sollten für die nächsten drei Dekaden das
mehr oder weniger ‚defensive’ Projekt einer ‚No-Immigration’ Politik bilden.“
(ebd.)
Der Widerspruch zwischen der realen Zuwanderungssituation und der Politik des
geschlossenen Arbeitsmarktes fand Anfang der achtziger Jahre seinen Ausdruck
in einer kontroversen Integrationsdebatte, in dem sich vor allem die CDU mit der
Forderung nach konsequenterer Abschottung profilierte. Die Ausländerpolitik der
neuen schwarz-gelben Koalition knüpfte an ihre Vorgängerregierung unter Helmut
Schmidt an. Ihre Prinzipien blieben: ‚Integration auf Zeit’ der hier lebenden
AusländerInnen, Rückkehrförderung und Verhinderung weiterer Migration. (Vgl.
ebd.: 257) Dieser Anspruch wurde jedoch durch die Einwanderungspraxen der
MigrantInnen untergraben. Während die Einreisemöglichkeit über die Familienzusammenführung
nur jenen offen stand, die bereits über familiäre ‚Brückenköpfe’
in der Bundesrepublik verfügten, und ihre Voraussetzungen zunehmend ver-
22

schärft wurden, kamen andere mit TouristInnenvisa, als AsylbewerberInnen, als
AussiedlerInnen oder auch über ‚Schleichwege’ wie die Praxis der ‚Scheinehe’
nach Deutschland (vgl. ebd.; Karakayalı 2008: 162f.).
3.1.3 Krise des ‚Asylregimes’
Bereits Ende der sechziger Jahre kamen erste Debatten über ‚Asylmissbrauch’ auf
(vgl. Karakayalı 2008: 169). Dieser Vorwurf diente seit dem Anwerbestopp 1973
der sukzessiven Verschlechterung der Verfahrens- und Lebensbedingungen von
AsylbewerberInnen (vgl. ebd.: 172). Zu einem bestimmenden Thema in der innenpolitischen
Debatte wurde er jedoch erst etwa ab Mitte der achtziger Jahre, als
es zu einem deutlichen Anstieg der Asylanträge kam (vgl. Herbert 2003: 263f.). 7
Über Jahre hinweg verschärfte sich der rassistisch aufgeladene Abwehrdiskurs
gegen die angebliche ‚Asylantenflut’, der mit einem zunehmenden Nationalismus
und Rassismus in der Bevölkerung und dessen gewaltsamen Exzessen in Form
von tödlichen Pogromen gegen Flüchtlinge einherging (vgl. ebd.: 308ff.). Die
diskursive Konfliktlinie wurde durch den Missbrauchsvorwurf dabei bereits vorgezeichnet:
„Wer den MigrantInnen zugestand, dass sie möglicherweise als ArbeitsmigrantInnen
in die Bundesrepublik kamen, machte sich ungewollt zum Advokaten
der großen Koalition der AsylgegnerInnen. Migration aber war nur als
Flucht vor Folter und Verfolgung zu rechtfertigen.“ (Karakayalı 2008: 174) Im
Mai 1993 schließlich wurde der sogenannte ‚Asylkompromiss’ verabschiedet.
Das Grundrecht auf Asyl wurde durch die neue Drittstaatenregelung 8 , das Konzept
der sicheren Herkunftsländer (Art. 16a III GG) sowie die Verkürzung des
Rechtsschutzes, verbunden mit dem Flughafenverfahren, faktisch ausgehebelt
(vgl. ebd.: 176). Außerdem wurde das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)
eingeführt, das die sozialen Leistungen für AsylbewerberInnen auf einem wesent-
7 Tatsächlich bewegte sich die Zuwanderung von Asylsuchenden etwa in den gleichen Größenordnungen
wie die Zuwanderung im Rahmen des Familiennachzugs Ende der siebziger Jahre.
Vor allem Form und Weg der Immigration hatten sich also geändert. (Vgl. Herbert 2003: 264)
8 Demnach kann sich auf das Recht auf Asyl nicht berufen, wer aus einem Staat einreist, in dem
die Grundsätze der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskommission
gewährleistet ist (Art. 16a II GG). Da alle die BRD umgebenden Staaten als diese
Kriterien erfüllend definiert werden, kann niemand in Deutschland Asyl beantragen,
der/die auf dem Landweg dorthin eingereist ist. (Vgl. Herbert 2003: 318)
23

lich niedrigeren Niveau als nach dem Sozialhilfegesetz und in Form von Sachleistungen
festschreibt (vgl. Herbert 2003: 319).
3.1.4 ‚Illegale Migration’ als Hauptmigrationsform
Der ‚Asylkompromiss’ führte tatsächlich zu einem deutlichen Rückgang der
AsylbewerberInnenzahlen, der bis heute anhält (vgl. BAMF 2008: 9). 9 Aber so,
wie nach dem Ende der Anwerbemigration die Zahl der AsylmigrantInnen zugenommen
hatte, so wuchs nun die Zahl der ‚illegalen’ MigrantInnen (vgl.
Karakayalı 2008: 180). Zwar hatte es illegale Migration schon seit den Anfängen
der Bundesrepublik gegeben (vgl. ebd.: 96); im Laufe der neunziger Jahre aber,
nachdem fast alle zuvor legalen Einwanderungswege illegalisiert worden waren,
wandelte sie sich zur Hauptmigrationsform. Zugleich rückte ihre Bekämpfung ins
Zentrum der Neu-Formierung des europäischen Migrationsregimes (vgl. ebd.:
181).
Damit ist nicht gesagt, dass die Migrationspolitik der EU ausschließlich auf Abschottung
ausgerichtet wäre: Sie zielt vielmehr gleichzeitig
„auf die Freizügigkeit der EU-ArbeitsmigrantInnen, auf die partielle sozialrechtliche
Integration bereits eingewanderter Drittausländer und auf eine gemeinsame
restriktive Politik gegenüber MigrantInnen ohne Papiere. [...] An den Grenzen
wird demnach nicht [primär, S.M.] über den Umfang oder das Ziel von
Einwanderung, sondern über den rechtlichen Status der MigrantInnen entschieden.“
(Karakayalı/Tsianos 2002: 259)
Die zunehmende Bedeutung und Zahl von illegalisierten MigrantInnen in der EU
hat auch massive Auswirkungen auf die Arbeitsverhältnisse und – um einen zentralen
Begriff des (Post-)Operaismus aufzugreifen (vgl. Birkner/Foltin 2006: 29ff.)
– die Klassenzusammensetzung. Parallel zum fordistischen Migrationsregime, das
der Bereitstellung billiger Arbeitskräfte diente, war spätestens ab Mitte der siebziger
Jahre auch die gesamte fordistische Produktions- und Regulationsweise in
9 Die Anerkennungszahlen waren bereits vor der Grundgesetzänderung durch eine extrem restriktive
Entscheidungspraxis der Gerichte und des Bundesamtes auf 3,2 % gesunken (vgl.
Uwer 2008).
24

die Krise geraten. Diese brachte massive Veränderungen der Arbeitsorganisation
und der Arbeitsverhältnisse mit sich. ‚Flexibilität’ wurde zu einem zentralen Element
des neuen Produktionsmodus. Es kam zu einer zunehmenden Polarisierung
der Einkommensstruktur sowie zu einer Ausdifferenzierung, Segmentierung und
‚Prekarisierung’ des Arbeitsmarktes. Der Dienstleistungssektor gewann gegenüber
dem industriellen Sektor an Bedeutung und wurde ein wichtiger Teilarbeitsmarkt
für Lohnabhängige des unteren Segments. (Vgl. Karakayalı/Tsianos 2002:
257f.; Hirsch 2005: 133ff.) Stellen Sozial- und Arbeitslosenhilfe in bezug auf die
Anspruchsberechtigten gewissermaßen eine Untergrenze bei der Annahme gering
bezahlter Jobs dar, so kann das Lohnniveau der Nichtanspruchsberechtigten unter
das Sozialhilfeniveau gedrückt werden (vgl. Karakayalı/Tsianos 2002: 258.). Dies
trifft hierzulande vor allem auf die seit Anfang der 90er Jahre ansteigende Zahl
von MigrantInnen ohne Aufenthaltsrecht zu. Insofern forciert(e) die zunehmende
Illegalisierung von Migration die Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse in erheblichem
Maße.
3.1.5 Europäisierung des Migrationsregimes – Deterritorialisierung
und Exterritorialisierung der Migrationskontrolle
Ein weiteres wesentliches Merkmal des postfordistischen Migrationsregimes ist
dessen Europäisierung. Mit dem Schengener Abkommen von 1985 vereinbarten
die Vertragsstaaten den Abbau innereuropäischer Grenzen zugunsten einer Verstärkung
der europäischen Außengrenzen. Damit einher ging eine Vereinheitlichung
nationalstaatlicher Migrationspolitiken in bezug auf die Bekämpfung
unerwünschter Migration. Die Vereinheitlichung der Visapolitik – die Liste der
visapflichtigen Staaten 10 wurde u.a. nach dem Kriterium erstellt, ob aus jenen
Staaten ein Risiko der irregulären Einwanderung bestünde – ist ein vorrangiges
Instrument zur Immigrationskontrolle im Schengen-System (vgl. Heck 2008: 82).
Asylpolitisch wurde die 1993 zunächst in Deutschland eingeführte Drittstaatenregelung
spätestens in Form der ‚Dublin II-Verordnung’ von 2003 auf EU-Ebene
durchgesetzt (vgl. Hess/Tsianos 2007: 30; FRSH 2008). Das bedeutet, dass Asylsuchende
Anspruch auf nur ein Asylverfahren innerhalb der EU haben, und zwar
10 EG-VisaVO, Anhang I
25

im ersten EU-Mitgliedsstaat, den sie betreten haben. 11 Zur Verhinderung von
Mehrfachanträgen wurde 2003 die EU-weite Datenbank EURODAC geschaffen,
in der Fingerabdrücke und weitere Daten aller AsylbewerberInnen und Personen,
die beim illegalen Grenzübertritt angehalten wurden, gespeichert werden sollen
(vgl. FRSH 2008: 8; Heck 2008: 83). 12 In Kombination mit der Rechtskonstruktion
der ‚sicheren Herkunftsländer’ sind den EU-Staaten damit zum Teil Kettenabschiebungen
bis in (vermeintliche) Herkunftsländer möglich, ohne dass es zur
Prüfung eines Asylantrags käme (vgl. FRSH 2008: 3).
Die Europäisierung der Migrationspolitik erschöpft sich jedoch nicht in der ‚Harmonisierung’
nationalstaatlicher Politiken auf EU-Ebene; sie geht zugleich einher
mit Prozessen sowohl der De- als auch der Exterritorialisierung von Migrationskontrollen.
So steht der Schengen-Prozess auch für die Deterritorialisierung von
Grenzen:
„Der Abbau innerer Grenzen, der in Schengen vereinbart wurde, sollte freilich
nicht nur durch eine Intensivierung und Vereinheitlichung der Kontrollen an
den nun gemeinsamen Außengrenzen kompensiert werden, sondern brachte
auch eine Ausweitung von Grenzzonen im Innern mit sich: Immer mehr Räume
innerhalb der Schengenzone, etwa Bahnhöfe oder Bundesstraßen, wurden zu
Grenzräumen umdefiniert.“ (Karakayalı 2008: 188f.).
Mit der EU-Osterweiterung ging eine Verlagerung der Grenzsicherung gen Osten
einher. Die Beitrittsländer verpflichteten sich zur Migrationsabwehr an ihren Außengrenzen.
(Vgl. Heck 2008: 88) Auch EU-Anwärterstaaten, wie etwa die Ukraine
und die Türkei, und andere Staaten, etwa im Balkanraum, werden über bila-
11 Mit dem ‚Europäischen Pakt zu Einwanderung und Asyl’ vom Oktober 2008 wurde, ohne
Details festzulegen, „erstmals das Prinzip einer EU-weiten Lastenteilung bei der Aufnahme illegaler
Einwanderer“ (Johnson 2008b) vereinbart. Damit setzten sich die europäischen Mittelmeerländer
durch, die sich seit Jahren beschweren, dass sie die an ihren Küsten landenden
Flüchtlinge nicht innerhalb Europas weiterschicken können (vgl. ebd.).
12 Eine ähnliche Funktion in bezug auf illegale Migration übernimmt das Schengener Informationssystem
(SIS), das 1995 als EU-weite Datenbank mit dem Ziel eines einheitlichen europäischen
Fahndungsraumes geschaffen wurde (vgl. BFDI 2008). Wem an den EU-
Außengrenzen oder den Botschaften ein EU-Einreisebegehren abgeschlagen wurde, wird in
das System eingespeist. Zugriff haben die für Grenzkontrollen und sonstige polizeiliche und
zollrechtliche Überprüfungen im Inland zuständigen Behörden. (Vgl. Heck 2008: 83) Mit der
ursprünglich bis Ende 2008 geplanten Einführung von ‚SIS II’ sind die Möglichkeit der Speicherung
und Übermittlung von Fingerabdrücken und Lichtbildern sowie erweiterte Zugriffsmöglichkeiten
vorgesehen (vgl. BMI/BAMF 2007: 154; BFDI 2008).
26

terale Abkommen, Vermittlung von Know-how und finanzielle Unterstützung für
den Ausbau der Grenzüberwachung, die Einrichtung von Flüchtlings- und Abschiebelagern
sowie durch eigene Rückübernahmeabkommen mit ihren Nachbarstaaten
in das Grenzregime eingebunden, um Transitmigration in Richtung der
EU zu unterbinden (vgl. ebd.: 89; Karakayalı 2008: 189; Hess/Karakayalı 2007:
44; Hess/Tsianos 2007: 30f.).
Zu Beginn des neuen Jahrtausends rückte die afrikanische Migration nach Europa
ins Zentrum der medialen Aufmerksamkeit, die mit der gescheiterten Rettungsaktion
schiffbrüchiger MigrantInnen der Hilfsorganisation Cap Anamur im Sommer
2004 sowie dem Ansturm hunderter AfrikanerInnen auf die Grenzzäune der spanischen
Enklaven Melilla und Ceuta im Sommer 2005 zwei Höhepunkte erreichte
(vgl. ebd.: 33f.). Aufgrund der Illegalisierung fast aller Einwanderungsmöglichkeiten,
der zunehmenden Aufrüstung der europäischen Grenzanlagen und verstärkter
Kontrolldichte in der Meerenge von Gibraltar ist die afrikanischeuropäische
Migration auf immer entlegenere Küstenstrecken und damit weitere
und gefährlichere Wege angewiesen (vgl. ebd.: 34). 13 Angesichts der daraus resultierenden
Katastrophenmeldungen von gekenterten Flüchtlingsbooten wussten der
damalige deutsche Innenminister Schily und sein italienischer Amtskollege „die
Exterritorialisierung von Lagern als humanitär gebotene Reaktion auf die teils
tödlichen Auswirkungen der zunehmenden Militarisierung der Grenzen darzustellen“
(ebd.). Seit Oktober 2004 werden bspw. nach einem Rückübernahmeabkommen
Italiens mit Libyen die auf der italienischen Insel Lampedusa ankommenden
Flüchtlinge im Schnellverfahren nach Libyen zurücktransportiert und
dort in exterritorialen Lagern untergebracht (vgl. Heck 2008: 90).
Der Rat der Europäischen Union reagierte im Oktober 2004 mit der Einrichtung
der EU-Grenzschutzagentur Frontex (vgl. Kasparek 2008: 7). Diese sollte durch
Patrouillen – mit Kriegsschiffen, Hubschraubern und Flugzeugen – zwischen der
afrikanischen Küste und dem EU-Territorium MigrantInnen bereits auf See ab-
13 Nach einer Dokumentation des antirassistischen Netzwerks ‚UNITED for Intercultural Action’
sind in den letzten fünfzehn Jahren über 11.000 MigrantInnen im Zusammenhang mit der
europäischen Abschottungspolitik ums Leben gekommen, davon der überwiegende Teil durch
Ertrinken (vgl. UNITED 2008, 2007).
27

fangen (vgl. ebd.: 7f.; Heck 2008: 90). Bestand die Hauptaufgabe von Frontex
bislang ‚lediglich’ in der verbesserten Koordinierung der operativen Zusammenarbeit
nationaler Grenzschutzbehörden, so erweiterte der EU-Rat diese im Juli
2007 um die Einrichtung sogenannter ‚RABITs’ (Rapid Border Intervention
Teams), also einem eigenen Pool von Grenzschutzbeamten, die in ‚Krisensituationen’
eingesetzt werden können (vgl. Kasparek 2008: 7f.). Daneben agiert Frontex
auch als bedeutsamer ‚Think Tank’ in Sachen Grenzschutz und führte Studien
zur Vernetzung nationaler Überwachungstechnologien, biometrischen Grenzsicherungstechnologien,
Überwachungsmöglichkeiten von Küsten und Häfen und
dem Einsatz von Drohnen durch (vgl. ebd.: 8). Am 20. September 2008 erklärte
Frontex-Chef Latinen die Mission der Organisation für gescheitert: Die Patrouillen
hätten am Zustrom von Bootsflüchtlingen nach Europa nichts geändert (vgl.
Johnson 2008a). Ungeachtet dessen wurde auf dem EU-Gipfel in Brüssel am 16.
Oktober 2008 die Stärkung und der Ausbau der Grenzschutzagentur beschlossen
(vgl. Johnson 2008b; Vorsitz des Europäischen Rates 2008: 8).
Auch die (Nicht-)Zahlung von Entwicklungshilfe und sogar (para-)militärische
Einsätze stehen im Kontext des exterritorialisierten Migrationsmanagements:
„Während die Übernahme migrationspolitischer Maßnahmen mit der Gewährung
von Entwicklungsgeldern belohnt wird, wird die Nicht-Erfüllung durch deren
Entzug bestraft.“ (Hess/Tsianos 2007: 36) Auf seinem Helsinki-Gipfel im Dezember
1999 beschloss der EU-Rat die Errichtung einer EU-geführten militärischen
Eingreiftruppe sowie von nicht-militärischen Kriseninterventionsmöglichkeiten
(vgl. Vorsitz des Europäischen Rates 1999, Anlage IV). Laut Franck Düvell
(2002) nannte der Rats-Generalsekretär Javier Solana als möglichen Grund
für die Einsätze „nicht nur in Europa, sondern auch jenseits unserer Grenzen“ (zit.
n. ebd.: 91) u.a. „massive Bevölkerungsbewegungen“ (zit. n. ebd.). Damit werde,
so Düvell, offen all jenen Staaten militärische Interventionen angedroht, die die
Kontrolle über ihre Bevölkerungsbewegungen verlieren (vgl. ebd.). Auch
Karakayalı schreibt von einer „ressortübergreifende[n] Flüchtlingspolitik im Zeichen
der Fluchtursachenbekämpfung, in der auch zunehmend die Bundeswehr
und ihr Umbau zur Interventionsarmee eine wichtige Rolle spielen.“ (Karakayalı
2008: 184)
28

3.1.6 Dezentralisierung der Migrationskontrolle – Governance der
Migration
Ist bereits das Verhältnis zwischen den Nationalstaaten und der Europäischen
Union als Handlungsebenen und als Akteure im postfordistischen Migrationsregime
umkämpft und im Wandel begriffen (vgl. allgemein Heeg 2008), so ist das
Spektrum der Akteure noch weitaus komplexer und differenziert sich zunehmend
weiter aus. Seit den 1980er Jahren sind in der Politik wie in der Politikwissenschaft
Konzepte der ‚New’ oder ‚Global Governance’ auf dem Vormarsch, in
denen Antworten auf die Herausforderungen der Globalisierung an die Politik
gesucht werden (vgl. Karakayalı 2008: 193). Der Begriff ‚Governance’ beschreibt
nach Bob Jessop die verstärkte Integration von privaten und para-staatlichen Akteuren
im Regierungshandeln (vgl. Heeg 2008: 254), „eine veränderte Regelungsstruktur
[...], die staatliche wie gesellschaftliche Akteure sowie formelle und informelle
Elemente zusammenführt und sich durch hierarchische, kompetitive und
kooperative Akteursbeziehungen auszeichnet“ (ebd.: 255). Dem entsprechend
schlägt die EU-Kommission in ihrem ‚Weißbuch Europäisches Regieren’ vor, die
EU solle weniger Eingriffe ‚von oben’ vornehmen und ihre klassischen Politikinstrumente
durch nicht-gesetzgeberische Maßnahmen ergänzen (vgl. Kommission
der Europäischen Gemeinschaften 2001: 5). Das Verhältnis zu regionalen und
lokalen Körperschaften sowie zur Zivilgesellschaft solle interaktiver gestaltet
werden (vgl. ebd.: 5f.), mehr Menschen und Organisationen in die Gestaltung und
Durchführung der EU-Politik eingebunden werden (vgl. ebd.: 3). Größere Einbindung
in die ‚Governance’ bedeute aber auch eine höhere Verantwortung (vgl.
ebd.: 20).
Wie ein solcher auf den ersten Blick demokratisierender Prozess der ‚Aktivierung’
der Zivilgesellschaft innerhalb des Migrationsregimes eine repressive und
disziplinierende Funktion einnehmen kann, möchte ich an einem aktuellen Beispiel
aufzeigen. Im Januar 2008 wurde ein Flensburger Taxifahrer zu einer Haftstrafe
verurteilt, nachdem er unwissentlich ‚illegale’ MigrantInnen über die dänische
Grenze transportiert hatte (vgl. Wolff 2008). Diese (in zweiter Instanz bestätigte)
Rechtsprechung stellt TaxifahrerInnen im Grenzgebiet vor die Entscheidung,
sich vor der Beförderung – ohne Rechtsgrundlage – die Pässe von (‚auslän-
29

disch aussehenden’) Fahrgästen zeigen zu lassen oder eine Verurteilung zu riskieren.
Eine ähnliche Praxis war in den neunziger Jahren im deutsch-polnischen
Grenzgebiet zu beobachten, wo einerseits Informationsveranstaltungen durchgeführt
wurden, in denen die irreguläre Migration skandalisiert und die BewohnerInnen
des Grenzgebietes zur Denunziation von des illegalen Grenzübertritts verdächtigen
Personen aufgefordert wurden, andererseits TaxifahrerInnen, die illegal
eingereiste MigrantInnen transportierten, mit Strafverfahren wegen ‚Beihilfe zur
illegalen Einreise’ überzogen wurden (vgl. Fritz 2004a: 25). Mit einer Verknüpfung
aus ‚Zwang und Konsens’ (Gramsci, vgl. Hirsch 2005: 91f.) gelingt es so,
TransportdienstleisterInnen und die grenznahe Bevölkerung in das Grenzregime
einzubinden. Dabei kann nicht von einem Rückzug des Staates aus der Kontrollpraxis
gesprochen werden, sondern vielmehr, im Anschluss an Gramscis Konzept
vom ‚erweiterten Staat’, von einer Ausdehnung der Kontrollpraxis auf privatwirtschaftliche
Unternehmen und die Zivilgesellschaft (vgl. Karakayalı 2008: 196).
Dies bezieht sich insbesondere auch auf die ‚organisierte Zivilgesellschaft’, also
z.B. NGOs. Die „NGOisierung der Politik“ (ebd.: 195), im Sinne eines ‚Outsourcing’
eigentlich staatlicher Aufgaben an nicht-staatliche Akteure sowie des
Formwandels der klassischen politischen Akteure und ihrer Praxen, die immer
stärker selbst wie NGOs agieren, trägt der Einsicht in die geringe Tiefenwirkung
formaler Macht Rechnung. Damit Gesetze Praxis werden, bedarf es gesellschaftlichen
Drucks. Großen NGOs kommt hier die Scharnierfunktion zu, das zivilgesellschaftliche
Feld mit dem des ‚erweiterten Staates’ zu verknüpfen und letztlich
das diskursive Terrain für die Umsetzung der EU-Migrationspolitik vorzubereiten.
(Vgl. ebd.: 194ff.) Auch die wachsende Bedeutung internationaler zwischenstaatlicher
Organisationen, wie etwa des UNHCR oder der IOM, innerhalb des
Migrationsregimes ist in diesem Kontext zu betrachten. Auf die Rolle der IOM
möchte ich im folgenden genauer eingehen.
Die Vorgängerorganisation der IOM, das Intergovernmental Committee for European
Migration (ICEM), wurde 1951 auf Initiative der USA gegründet. Während
der ein Jahr zuvor gegründete UNHCR einen klaren humanitären und in der
Blockkonfrontation politisch neutralen Anspruch hatte, setzte sich das ICEM nur
aus mit den USA verbündeten Staaten zusammen und diente mitunter als Instrument
im Kalten Krieg gegen den Ostblock. (Vgl. Düvell 2002: 101) Gegründet
30

wurde das ICEM zur Steuerung der europäischen Nachkriegsmigration, die von
Anfang an an den wirtschaftlichen und politischen Interessen der Mitgliedstaaten
orientiert sein sollte (vgl. ebd.: 101f.). Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde
eine politische Neubestimmung nötig. Die Organisation wuchs auf 75 Mitgliedstaaten
und 43 Länder mit Beobachterstatus an 14 , globalisierte ihren Handlungsanspruch
und hieß fortan Internationale Organisation für Migration (IOM) (vgl.
Karakayalı 2008: 194). Karakayalı bezeichnet die IOM als den „Prototyp einer
Politik des Migrationsmanagements“ und als „maßgeschneiderte[n] Akteur für die
EU-Politik einer ‚Governance of Migration’, welche sie selbst über internationale
Kongresse, Foren und konkrete Politikberatung federführend mitentwickelt“
(ebd.). Im Unterschied zur Abschottungsrhetorik mancher europäischer RegierungspolitikerInnen
folgt die IOM der Maßgabe der ‚geordneten Migration zum
Wohle aller’ (vgl. ebd.; IOM 2009). Dabei versteht sie „die Regulation der Migrations-
und Mobilitätsströme im Sinne einer ‚effizienteren Allokation von Arbeitskraft’
als zentrales Instrument einer globalisierten kapitalistischen Wirtschaftspolitik“
(Karakayalı 2008: 194). Düvell kommt zu dem Schluss: „Was die IOM betreibt,
ist klassisches social engineering, die Konstruktion von Gesellschaft nach
den Kriterien von Effizienz, Produktivität, Regierbarkeit und Steuerbarkeit.“ (Düvell
2002: 107; Herv. i. Orig.) Ihren Mitgliedstaaten bietet die IOM Dienstleistungen
in unterschiedlichen Bereichen an. So ist sie zum Beispiel die wichtigste
Kooperationspartnerin des Bundes in der Organisation der sogenannten ‚freiwilligen
Rückkehr’. (Vgl. Karakayalı 2008: 195) Für abgelehnte AsylbewerberInnen
und andere AusländerInnen, die keine Aussicht auf ein Bleiberecht in Deutschland
haben, soll die ‚freiwillige Rückkehr’ „als attraktive Alternative zur Abschiebung
gefördert werden“ (Praschma 2007: 12; vgl. auch Kap. 4.2 dieser Arbeit).
Aber auch an der Einrichtung und Verbesserung der ‚Abschiebe-
Infrastruktur’ ist sie beteiligt (vgl. Hess/Karakayalı 2007: 51). Ein weiteres Tätigkeitsfeld
der IOM liegt in präventiven ‚Anti-Migrations-Kampagnen’, die potenzielle
MigrantInnen in gängigen Auswanderungsländern von ihrem Vorhaben
abhalten sollen. So werden (als gemeinsames Projekt der Schweiz, der EU und
der IOM) seit ca. einem Jahr in Nigeria, Kamerun und Kongo TV-Spots gezeigt,
in denen in drastischen Bildern das Leben in der Illegalität in Europa dargestellt
14
Mittlerweile hat die IOM 125 Mitgliedstaaten und 18 Staaten mit Beobachterstatus (vgl. IOM
2009).
31

wird: unter Brücken schlafen, um Geld betteln, vor der Polizei wegrennen. Auf in
Kamerun eingesetzten Plakaten warnen EU und IOM, jedes Jahr führe ‚illegale
Migration’ zu Tausenden Toten. (Vgl. Mense 2007) Genau jene Risiken und
schlechten Lebensbedingungen also, die die IOM-Mitgliedstaaten politisch maßgeblich
mit zu verantworten haben, werden nun zur medialen Migrationsprävention
in den Herkunftsländern instrumentalisiert. In Osteuropa führt die IOM seit
Ende der neunziger Jahre Anti-Trafficking-Kampagnen durch, um Frauen vor den
Gefahren irregulärer Migration, vor Menschenhandel und Zwangsprostitution zu
warnen (vgl. Andrijašević 2007). Andrijašević kritisiert die IOM-Kampagnen für
den ihnen zugrundeliegenden Dualismus von (weiblichen) Opfern und (männlichen)
Tätern. Es wird suggeriert, weibliche Migration führe per se in die Zwangsprostitution.
Statt zur Migration motivierte Frauen bei der Umsetzung ihrer Pläne
zu unterstützen, wird das Zuhausebleiben als sicherste Option nahegelegt. (Vgl.
ebd.: 128). Da die Gründe und Motivationen von Frauen, zu migrieren, weiter
bestehen bleiben und sogar zunehmen, sind es gerade die restriktiven Einreise-,
Aufenthalts- und Arbeitsrechtbestimmungen in der EU, die Migrantinnen kaum
eine andere Wahl lassen als irreguläre Migrationsrouten zu wählen (vgl. ebd.:
121). Erst durch diesen Umstand werden die Bedingungen geschaffen, die Menschenhandel
und Ausbeutung von Migrantinnen befördern (vgl. ebd.: 129). Die
europäischen Regierungen drehen dieses Bedingungsverhältnis nun um und bedienen
sich ihrerseits humanistischer Argumentationsweisen innerhalb des Anti-
Trafficking-Diskurses, um ein schärferes Vorgehen gegen illegale Migration zu
legitimieren (vgl. Karakayalı 2008: 195).
3.1.7 Ein neues Arbeitsmigrationsregime
Der Kampf gegen illegale Einwanderung, also der Versuch der Abschottung, der
in der Metapher von der ‚Festung Europa’ zum Ausdruck kommt, kann den Charakter
des europäischen und deutschen Migrationsregimes nicht hinreichend beschreiben.
Aktuell lassen sich Tendenzen hin zu einer zunehmend gesamteuropäischen,
nach ökonomischen Selektionskriterien ausgerichteten ‚Einwanderungspolitik’
beobachten.
32

Nachdem die BRD sich über Jahrzehnte hinweg nicht als ‚Einwanderungsland’
verstand und Migration in der Regel als befristeter, vorübergehender Prozess angesehen
wurde, setzte in den neunziger Jahren eine Debatte über ein mögliches
‚Einwanderungsgesetz’ ein, das jedoch erst nach Antritt der rot-grünen Bundesregierung
1998 konkretere Züge annehmen konnte. Diese reformierte zunächst das
Staatsangehörigkeitsrecht und ermöglichte in Deutschland geborenen MigrantInnenkindern
den Zugang zur deutschen Staatsangehörigkeit, sofern deren Eltern
seit mindestens drei Jahren eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besaßen. Im
Jahr 2000 ermöglichte die Schröder-Regierung nach massivem Drängen der Industrie
die Beschäftigung von ausländischen IT-Fachkräften mit Hilfe einer zunächst
auf fünf Jahre befristeten Sonderarbeitserlaubnis, die am amerikanischen
‚Green-Card’-Modell angelehnt war. (Vgl. Herbert 2003: 332) Damit zeichnete
sich ein Paradigmenwechsel in der deutschen Migrationspolitik ab: Gesteuerte,
selektive und begrenzte Immigration im Interesse der Konkurrenzfähigkeit der
deutschen Wirtschaft wurde zum Staatsziel erklärt (vgl. Heck 2008: 96). 15 Der
Greencard-Debatte folgte die Diskussion um das neue ‚Zuwanderungsgesetz’. Im
Juli 2000 berief Innenminister Schily eine unabhängige Sachverständigenkommission
unter dem Vorsitz der ehemaligen Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth
ein. Diese empfahl in ihrem Abschlussbericht „Zuwanderung gestalten – Integration
fördern“ (UKZu 2001), qualifizierte ImmigrantInnen zukünftig über ein
Punktesystem auszuwählen. Als Kriterien für die Punktevergabe wurden Alter,
Qualifikation, Familienstand und Sprachkenntnisse genannt (vgl. ebd.: 89). Als
das ‚Zuwanderungsgesetz’ nach jahrelangen Auseinandersetzungen, einem Eklat
bei der Verabschiedung im Bundesrat im März 2002 und verschärfenden Einwirkungen
durch den autoritären Sicherheitsdiskurs im Anschluss an die Terroranschläge
vom 11. September 2001 schließlich am 1. Januar 2005 in Kraft trat, war
vom angekündigten ‚Paradigmenwechsel’ nicht viel übrig geblieben: Hauptanliegen
war weniger die Zuwanderung als eine umfassende Neuregelung des Ausländerrechts,
in der Aufenthalt, Erwerbstätigkeit, Integration und Ausreise gemeinsam
geregelt wurden. Weder das von der Zuwanderungskommission vorgeschlagene
Punktesystem noch eine Einwanderung nach jährlich festgelegten Quoten
15 „Wir brauchen mehr Ausländer, die uns nützen, und weniger, die uns ausnützen“ (Beckstein
und Schönbohm, zit. n. Geis 2000) – dies kann als ideologische Leitformel der deutschen
Greencard-Debatte bezeichnet werden.
33

wurde eingeführt. Lediglich für WissenschaftlerInnen, SpezialistInnen und
Selbstständige, die mindestens eine Million Euro investierten oder zehn Arbeitsplätze
schufen, wurden die Einwanderungsbedingungen erleichtert. (Vgl. Heck
2008: 97ff.) Aktuell werden innerhalb des BAMF, das zunehmend auch die Rolle
eines ‚Think Tanks’ im deutschen Migrationsregime einnimmt, jedoch auch wieder
Punktesysteme und marktwirtschaftliche Alternativen zu diesen diskutiert
(vgl. Kolb 2008). 16
Mit dem ‚Pakt für Einwanderung und Asyl’ vom Oktober 2008, der rechtlich
nicht bindend ist, aber allgemeine Leitlinien für eine künftige europäische Migrationspolitik
formuliert, zeigt sich die Europäische Union bemüht um eine gemeinsame,
umfassende Migrationspolitik (vgl. Council of the European Union 2008).
Neben der Bekämpfung irregulärer Einwanderung, verstärkter Zusammenarbeit
beim Grenzschutz und bei Abschiebungen, der Einbeziehung nicht-europäischer
Drittstaaten und der Vereinheitlichung des Asylverfahrens bis 2012 wird die regulierte
Zuwanderung nach den Erfordernissen der nationalen Arbeitsmärkte ausdrücklich
als Ziel genannt. Die EU möchte ihre Attraktivität für hochqualifizierte
ArbeitnehmerInnen erhöhen. In diesem Zusammenhang befassen sich die EU-
Innenminister derzeit mit dem Projekt einer europäischen Arbeitserlaubnis (‚Blue
Card’). (Vgl. Knuf 2008) Für 2009 kündigte die EU-Kommission außerdem neue
Vorschläge für die Anwerbung von SaisonarbeiterInnen an. Im Rahmen eines
zirkulären Migrationsmodells ist vorgesehen, dass die Angeworbenen nach einer
gewissen Zeit wieder in ihre Heimatländer zurückkehren. (Vgl. Bolesch 2008)
16 Auch der Leiter des Referats Migrationspolitik beim DGB-Bundesvorstand, Volker Roßocha,
plädiert für ein Punktesystem zur Steuerung der Zuwanderung und fordert, Zuwanderungsmöglichkeiten
für Gut- und Hochqualifizierte zu schaffen und Zuwanderung Geringqualifizierter
zu vermeiden (vgl. Roßocha/Bauer 2008). Andererseits können Gewerkschaften aber
zum Teil auch als wichtige BündnispartnerInnen von illegalisierten MigrantInnen agieren.
Auf das widersprüchliche Verhältnis von Gewerkschaften zu Fragen irregulärer Migration
kann hier jedoch leider nicht weiter eingegangen werden. (Vgl. hierzu Schwenken 2006: 279-
306; Ağtaş/Amler/Sauviat 2008; Arps 2004)
34

3.1.8 Transformationen des Migrationsregimes und die Autonomie
der Migration
Die Darstellungen des Migrationsregimes und seiner Transformationen haben
bereits deutlich gemacht, dass bei deren Analyse Aspekte der Autonomie der
Migration nicht ausgeblendet werden dürfen. Stellten bereits die Anwerbeabkommen
der fünfziger und sechziger Jahre einen staatlichen Versuch dar, die beharrliche
Mobilität von MigrantInnen in die Bundesrepublik in kontrollierte Bahnen
zu lenken (vgl. Bojadžijev 2008: 97), so kann der Anwerbestopp von 1973
gewissermaßen als Eingeständnis des Scheiterns dieses Kontrollversuchs gedeutet
werden (vgl. ebd.: 148). Migration organisierte sich im Laufe der 70er und 80er
Jahre zunehmend über den Weg des Familiennachzugs und über das Asylrecht –
die staatlichen Apparate reagierten zunächst durch Verschärfungen im Bereich
der Familienzusammenführung und 1993 schließlich mit der Quasi-Abschaffung
des Grundrechts auf Asyl. Seitdem findet Migration zunehmend unter den Bedingungen
der Illegalisierung statt. (Vgl. ebd.) Deutschland, die EU und andere Akteure
wie die IOM sind zwar bemüht, irreguläre Migration durch eine Vielzahl
von Abkommen, die Vernetzung von Datenbanken, die Aufrüstung von Grenzanlagen,
die Durchführung von Präventionsprogrammen, die Einrichtung von
Wohn- und Abschiebelagern und vielen anderen Maßnahmen zu bekämpfen, und
zweifellos haben jene Maßnahmen massive Auswirkungen: täglich scheitern MigrantInnen
beim Versuch der illegalen Einreise, viele sind ertrunken, andere sitzen
seit Jahren in Transitländern vor den hochgerüsteten Grenzen fest, wieder andere
haben es zwar in die ‚Festung Europa’ hineingeschafft, leben jedoch unter prekären
Bedingungen in der Illegalität, in Flüchtlingslagern oder Abschiebegefängnissen.
Die ‚Kapitulationserklärung’ der Grenzschutzagentur Frontex (vgl. Johnson
2008a) jedoch deutet es beispielhaft an: Zur Verwirklichung des Ziels, Migrationsströme
politisch steuern und regulieren zu können, haben die Maßnahmen
nicht geführt.
Dabei würde freilich auch eine dichotome Gegenüberstellung ‚Staat’ versus ‚MigrantInnen’
der Komplexität der wechselseitigen Bedingung von Migrationsbewegungen
und -politiken nicht gerecht. D.h., der Staat kann nicht auf seine Funktion
reduziert werden, Migrationen zu begrenzen und zu regulieren. In diesem Zu-
35

sammenhang scheint es hilfreich, auf die materialistische Staatstheorie von Nicos
Poulantzas zurückzugreifen, der den Staat „als ein Verhältnis, genauer die materielle
Verdichtung eines Kräfteverhältnisses zwischen Klassen und Klassenfraktionen,
das sich im Staat immer in spezifischer Form ausdrückt“ (Poulantzas 2002
[1978]: 159; Herv. i. Orig.), beschreibt. Der Staat ist damit weder ausschließlich
Instrument einer herrschenden Klasse noch ausschließlich autonom handelndes
Subjekt (vgl. ebd.: 159f.). Migrantische Praktiken bringen nicht nur auf scheinbar
‚unpolitischer’ Ebene – durch das Unterlaufen von Kontrollen, die eigenwillige
‚Interpretation’ von Gesetzen und die Praktizierung von BürgerInnenrechten jenseits
der vorgesehenen Pfade – bestehende Regeln zum Erodieren und provozieren
damit immer wieder neue Entgegnungen von staatlicher Seite (vgl. Bojadžijev
2008: 118). Die Studie von Helen Schwenken (2006) über die Selbstorganisierung
illegalisierter Haushaltsarbeiterinnen verdeutlicht beispielhaft, dass MigrantInnen
auch durch politische Mobilisierungen mitunter durchaus Einfluss auf die diskursive
Positionierung von Staaten, auf Gesetzgebungen etc. nehmen können.
Gleichzeitig verdeutlicht sie aber auch, dass die politischen Bedingungen für eine
Verbesserung der Situation illegalisierter MigrantInnen nicht sehr gut sind. Das
von Schwenken untersuchte RESPECT-Netzwerk konnte – über ein Agieren auf
dem Diskursfeld ‚(Bekämpfung von) Frauenhandel’ – einerseits ein breites gesellschaftliches
Interesse für die Probleme irregulärer Haushaltsarbeiterinnen erwirken
und das Thema auf der politischen Agenda der EU und deren Mitgliedsstaaten
platzieren (vgl. ebd.: 261ff.). Andererseits profitierten letztlich nur wenige
Migrantinnen von den daraus folgenden neuen Gesetzgebungen gegen Frauen-
/Menschenhandel; für viele stellten sie stattdessen eine neue Form der Kriminalisierung
dar: „Die Bekämpfung von Frauenhandel wird funktionalisiert oder als
Legitimationsstrategie genutzt, um (sichere und unsichere) Migrationswege im
Kontext der Einwanderungsbegrenzung zu beseitigen und restriktivere Politiken
durchzusetzen.“ (ebd.: 269) Aus diesem Grund distanzierte sich RESPECT
schließlich von ihrer Diskursstrategie der ‚Bekämpfung des Frauenhandels’ und
legten ihren Schwerpunkt zunehmend auf die Forderung nach Rechten (vgl. ebd.:
274ff.). Diese Diskursstrategie stieß allerdings auf nicht annähernd so große Resonanz,
da sie mit dem hegemonialen Diskurs weit weniger gut vereinbar war
bzw. die Bündniskonstellation mit staatlichen Akteuren aufkündigte (vgl. ebd.:
277). Schwenken erklärt diese Divergenz mit dem Ansatz der ‚strategischen Se-
36

lektivität’ nach Bob Jessop. Danach sind die verschiedenen staatlichen Ebenen
durch strategische Selektivität gekennzeichnet, d.h. der Staat ist einigen politischen
Strategien und Akteuren gegenüber offener als anderen (vgl. ebd.: 39f.).
Dass manche von MigrantInnen und pro-migrant-Organisationen artikulierte Politikinhalte
in Staat und Gesellschaft auf Zustimmung, andere auf Ablehnung und
Widerstand stoßen, lässt sich vor diesem Hintergrund besser verstehen. Das Beispiel
‚Bekämpfung von Frauenhandel’ sowie der in Kap. 3.1.3 angesprochene
Vorwurf des ‚Asylmissbrauchs’ zeigen, wie durch die strategische Selektivität des
Staates Diskursfelder vorgezeichnet werden und Argumentationsweisen, die innerhalb
des Viktimisierungsdispositivs verbleiben, letztlich gegen ihre eigentlichen
Intentionen und gegen die Interessen von MigrantInnen gerichtet werden
können. D.h., Staat und Öffentlichkeit stellen zwar einen Kampfplatz unterschiedlicher
Interessen dar; allerdings „ist dieser Kampfplatz kein neutrales Spielfeld.
Vielmehr wirkt sich dieses Spielfeld strukturierend auf die Auseinandersetzungen
und die aus ihnen resultierende politische Praxis aus.“ (Heinrich 2005: 216)
3.2 Normative Funktionszuschreibungen an die Soziale Arbeit
im Konfliktfeld Migration
Im vorangegangenen Unterkapitel habe ich Migration als ein ‚Konfliktfeld’, das
Migrationsregime als eine Verdichtung solcher Konflikte beschrieben. Es wurde
deutlich, dass innerhalb eines Migrationsregimes eine Vielzahl unterschiedlicher
Akteure mit unterschiedlichen Macht- und Diskurspositionen agieren. Im folgenden
Unterkapitel möchte ich die Soziale Arbeit als eine solche Akteurin analysieren,
also ihre Rolle im ‚Konfliktfeld Migration’ und innerhalb des postfordistischen
Migrationsregimes beleuchten. Dabei wird schnell deutlich werden, dass
die Rolle der Sozialen Arbeit von Widersprüchen gezeichnet ist, dass sie in einem
Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen, Anforderungen und Abhängigkeiten
agiert. Bevor ich die Soziale Arbeit jedoch eingehend im Zusammenhang mit dem
postfordistischen Migrationsregime analysieren kann, halte ich es zunächst für
notwendig, Soziale Arbeit insgesamt grob in ihren Funktionen und Wirkungsweisen
in Bezug auf Gesellschaft und Staat zu verorten und dabei besonders auf einschneidende
Transformationsprozesse der vergangenen Jahrzehnte einzugehen.
37

3.2.1 Gesellschaftliche Aufgaben und Funktionen Sozialer Arbeit im
Wandel – Soziale Arbeit und soziale Ausschließung im Postfor-
dismus
3.2.1.1 Regulationstheoretische Perspektiven auf Staat und Zivilgesellschaft
Seit der Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise ist Soziale Arbeit
mit der Bearbeitung von deren gesellschaftlichen Antagonismen befasst (vgl. Sorg
2006). Seit der Herausbildung moderner ‚Sozialpolitik’ war Soziale Arbeit in diese
eingebunden (vgl. ebd.) und war damit immer schon Akteurin in der jeweils
historisch spezifisch ausgebildeten Regulationsweise. Die ‚Regulationsweise’,
einer der zentralen Begriffe der Regulationstheorie 17 , bezeichnet nach Lipietz „die
Gesamtheit institutioneller Formen, Netze, expliziter oder impliziter Normen, die
die Vereinbarkeit von Verhältnissen im Rahmen eines Akkumulationsregimes
sichern“ (zit. n. Hirsch 2005: 89) 18 . D.h., es war und ist immer auch eine gesellschaftliche
Funktion Sozialer Arbeit, zum einen den Zusammenhalt der Gesellschaft
und zum anderen die Vereinbarkeit sozialer Handlungen mit den Bedingungen
der Kapitalverwertung zu gewährleisten (vgl. Ebli 2003: 34). Wie bereits
bei der Einführung in den verwandten Regimebegriff gezeigt wurde (vgl. Kap.
3.1.1), entsteht Regulation als ein Zusammenspiel unterschiedlicher und relativ
voneinander unabhängiger Prozesse und Institutionen. Der Staat kann zwar als ein
‚institutionelles Zentrum’ der Regulation angesehen werden, da „die physische
Zwangsgewalt Grundlage für den Erhalt der Klassenverhältnisse, ihrer sozialen
Formen und institutionellen Ausdrucksweisen ist und weil soziale Kompromisse
nur dort verbindlich festgeschrieben werden können“ (Hirsch 2005: 91). Er ist
jedoch nicht ihr steuerndes Subjekt, sondern „zugleich selbst Gegenstand von
Regulation, weil sich sein institutionelles Gefüge entsprechend der Akkumulationsbedingungen
und sozialen Kräfteverhältnisse ebenfalls verändert“ (ebd.; Herv.
17 Die Regulationstheorie beschäftigt sich seit den 1980er Jahren mit der Frage der Kontinuität,
der Krise und des historischen Wandels kapitalistischer Gesellschaften. Sie untersucht die unterschiedlichen
Phasen kapitalistischer Vergesellschaftung mit ihren jeweils charakteristischen
Verwertungsstrategien, politisch-institutionellen Formen und sozialen Kräfteverhältnissen.
(Vgl. Hirsch 2005: 83)
18 Der Begriff ‚Akkumulationsregime’ bezeichnet bei Lipietz einen bestimmten Modus der
Produktion, „der über eine längere Periode hinweg ein Entsprechungsverhältnis zwischen den
materiellen Produktionsbedingungen und ihrer Entwicklung [...] sowie dem gesellschaftlichen
Verbrauch [...] gewährleistet.“ (zit. n. Hirsch 2005: 88)
38

i. Orig.). Dabei kann Regulation nicht allein auf dem Einsatz staatlicher Zwangsmittel
beruhen, sondern benötigt zugleich einen gewissen gesellschaftlichen Konsens,
eine ‚freiwillige Folgebereitschaft’, eine politisch-ideologische Hegemonie,
um einigermaßen stabil zu funktionieren (vgl. ebd.: 91f.). Um die Prozesse der
Regulation und die Rolle des Staates, aber auch der Sozialen Arbeit in diesen zu
verstehen, scheint in diesem Zusammenhang Gramscis Konzept des ‚integralen’
oder ‚erweiterten Staates’ hilfreich, der neben dem Staat im ‚engeren’ Sinne auch
den ganzen Komplex der ‚zivilen Gesellschaft’ umfasst. Damit ist das verzweigte
Netzwerk der vom Staat mehr oder weniger unabhängigen Organisationen und
freiwilligen Zusammenschlüsse gemeint, die der Formulierung und Vertretung
gesellschaftlicher (Partikular-)Interessen, der politischen Meinungsbildung und
deren öffentlicher Diskussion dienen, etwa Parteien, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände,
Medien, ‚Think Tanks’, Kirchen, Wohlfahrtsverbände, Vereine,
BürgerInneninitiativen, außerparlamentarische politische Gruppen u.v.a.m. Dort
werden Interessen organisiert, gesellschaftliche Konflikte reguliert (z.B. durch
Tarifverträge), allgemeine Wert- und Ordnungsvorstellungen gebildet und so zwischen
‚Staat’ und ‚Gesellschaft’ vermittelt. Die ‚zivile Gesellschaft’ bildet zusammen
mit dem Staat im ‚engeren’ Sinne den Gesamtkomplex des institutionellen
Regulationssystems, einen hochkomplexen und konfliktreichen Zusammenhang,
der von gegenseitigen Abhängigkeiten, unterschiedlichen Macht- und Diskurspositionen,
Interessengegensätzen und Konfliktebenen durchzogen ist. (Vgl.
ebd.: 92f.) Sorgt die ‚zivile Gesellschaft’ also einerseits für den zur Stabilisierung
gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse nötigen ‚Kitt’, so ist sie andererseits
aber auch das Feld, auf dem emanzipative Bewegungen überhaupt erst entstehen
können. „Zugleich bleibt aber der institutionelle Komplex der Regulation selbst
ein Herrschaftsverhältnis, das von den sozialen Strukturen und Gegensätzen der
kapitalistischen Gesellschaft geprägt wird.“ (ebd.: 94)
3.2.1.2 Vom Fordismus zum Postfordismus
Die relative Stabilität, die eine kapitalistische Gesellschaftsformation durch ein
Entsprechungsverhältnis von Akkumulationsregime, Regulationsweise und ‚he-
39

gemonialem Projekt’ 19 erlangen kann, kann aufgrund der strukturellen Antagonismen
und der Krisenanfälligkeit kapitalistischer Gesellschaften sowie des konflikthaften,
widersprüchlichen Charakters des jeweiligen Regulationssystems immer
nur vorübergehend Bestand haben. Die Geschichte des Kapitalismus ist auch
eine Geschichte der ‚großen Krisen’, die Phasen relativer Stabilität immer wieder
unterbrechen. (Vgl. ebd.: 108) Die Regulationstheorie wie auch die auf sie Bezug
nehmende kritische Theorie der sozialen Ausschließung (vgl. z.B. Cremer-
Schäfer 2001, Steinert 2000) nehmen die Krise des Fordismus 20 zu ihrem analytischen
Ausgangspunkt und machen bedeutende Transformationsprozesse im ‚Postfordismus’
sichtbar. 21 Nun kann hier nicht ausführlich auf globale und nationale
Ursachen und Auswirkungen der Fordismuskrise eingegangen werden, daher
werde ich mich auf einen groben Überblick als Hintergrund für meinen Untersuchungsgegenstand
beschränken.
Das fordistische Akkumulationsregime basierte auf tayloristischer Arbeitsorganisation
in der Massenproduktion standardisierter Konsumgüter. Die Arbeitsproduktivität
stieg enorm an und dies wiederum begründete ein relativ starkes und
beständiges ökonomisches Wachstum. Dadurch und durch die zunehmend günstigere
Konfliktposition der ArbeiterInnenbewegung wurden Lohnsteigerungen
möglich, die die Grundlage des sich entwickelnden Massenkonsums darstellten.
(Vgl. Hirsch 2005: 116) Stabilisiert wurde das fordistische Akkumulationsregime
durch eine entsprechende Regulationsweise. Die Verdrängung traditioneller Produktions-
und Lebensweisen durch die tayloristische Massenproduktion und die
19 „Es bedarf [...] eines die vorhandene institutionelle Apparatur und die darin eingeschriebenen
sozialen Praktiken stützenden und legitimierenden, die Individuen und sozialen Gruppen einbeziehenden
Konsenses. Historische Formationen des Kapitalismus sind daher immer mit
›hegemonialen Projekten‹ [...] verbunden, die die jeweilige Akkumulations- und Regulationsweise
zu [...] einem ›historischen Block‹ (Gramsci) zusammenfügen. [...] Hegemoniale
Projekte entstehen [...] aus einer Kombination und Verdichtung widersprüchlicher Diskurse,
die ihren Ort und ihre Träger im institutionellen System der Regulation haben und von dessen
Struktur geprägt werden.“ (Hirsch 2005: 97ff.)
20 „Mit ›Fordismus‹ wird die historische Gestalt des Kapitalismus bezeichnet, die seit dem Ende
des zweiten Weltkriegs bis in die 1970er Jahre hinein für die globalen gesellschaftlichen,
ökonomischen und politischen Verhältnisse – nicht nur im kapitalistischen Teil der Welt – bestimmend
war.“ (Hirsch 2005: 114)
21 Auf die aktuellen Entwicklungen, d.h. den Zusammenbruch des postfordistischen Akkumulationsregimes
und die damit verbundenen Verschiebungen der Regulationsweise und in der
Hegemonialstruktur (vgl. Hirsch 2008) kann in dieser Arbeit nicht eingegangen werden. Inwiefern
sich die aktuelle Krise auf das Migrationsregime sowie auf die Soziale Arbeit auswirken
wird, bleibt abzuwarten.
40

Verallgemeinerung des Lohnarbeitsverhältnisses brachte neue soziale Risiken –
etwa bei Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Alter – mit sich, die nach sozialstaatlichen
Absicherungen verlangten. Es gelang der ArbeiterInnenbewegung, den Ausbau
des Sozialstaats voranzutreiben, der sich wiederum als wichtiger Stabilitätsfaktor
des Akkumulationsregimes erwies, da so die Arbeitskräfte physisch erhalten,
Klassenauseinandersetzungen (relativ) befriedet und der Massenkonsum stabilisiert
werden konnten. (Vgl. ebd.: 118) Allein über den nationalen Arbeitsmarkt
war der enorme Bedarf der Industrie an unqualifizierten FließbandarbeiterInnen
nicht zu decken, so dass die Arbeitsmigration in die BRD zunahm und mit
den Anwerbeverträgen institutionalisiert wurde (vgl. Bojadžijev 2008: 98ff.).
Ende der sechziger Jahre begann der fordistische Kapitalismus in die Krise zu
geraten. Im Kern verursacht durch den Rückgang der Kapitalrentabilität in den
kapitalistischen Metropolen, war es jedoch eine ganze Reihe ökonomischer, politischer
und gesellschaftlicher Prozesse auf nationaler und internationaler Ebene,
die sich schließlich zu einer Krise der gesamten Gesellschaftsformation verdichteten
und die enge Verbindung von Massenkonsum, Sozialstaat und Akkumulation,
die das ‚goldene Zeitalter’ des Fordismus gekennzeichnet hatte, zerstörte. (Vgl.
Hirsch 2005: 124ff.) Die fordistische, sozialstaatlich-keynesianische Regulationsweise,
die jahrelang eine Stütze der Kapitalakkumulation dargestellt hatte,
wurde jetzt zu deren Hemmnis. Umstrukturierungs- und Rationalisierungsmaßnahmen
in den Betrieben zogen eine Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse und
die Freisetzung von Arbeitskräften nach sich. Arbeitslosigkeit wurde zu einem
Massen- und Dauerphänomen, das über die Transferleistungen zu einem deutlichen
Anstieg der Staatsausgaben führte. In der Folge wurden die keynesianischen
Prinzipien der Wirtschafts- und Sozialpolitik zunehmend revidiert. Der Staat geriet
in einen immer größeren Widerspruch zwischen den Anforderungen der ökonomischen
Rahmenbedingungen und der Aufgabe der Massenintegration durch
den Sozialstaat. (Vgl. Ebli 2003: 41ff.) Analog zur Sozialpolitik wurden auch in
der Migrationspolitik zunehmend die Kosten in den Vordergrund gerückt und
1973 der Anwerbestopp erlassen (vgl. Kap. 3.1.2). Dieser war Ausdruck des neuen,
‚postfordistischen’ Regulationsmodus, mit dem den veränderten Akkumulationsbedingungen
begegnet wurde. Die Liberalisierung der Märkte begünstigte die
weitere Internationalisierung der Produktion. Das Kapital wurde so in die Lage
41

versetzt, unterschiedliche sozialräumliche Verwertungsbedingungen flexibler als
zuvor auszunutzen. (Vgl. Hirsch 2005: 132) Dadurch verschärften sich die globalen
Konkurrenzverhältnisse zwischen Lohnabhängigen, zwischen Unternehmen
und zwischen Staaten, die ihre Politik zunehmend danach ausrichteten, die Verwertungsbedingungen
für das Kapital zu optimieren (vgl. ebd.: 135ff.). „Die neoliberale
Mobilisierung und Universalisierung von Konkurrenzverhältnissen setzt
eine veränderte Funktionsbestimmung des Staates voraus, die sich in einem gewandelten
Verständnis des Verhältnisses von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft
(und damit auch des Stellenwerts und der Funktion des Sozialstaats und der Sozialen
Arbeit) zum Ausdruck bringt.“ (Anhorn 2008: 20) Im „nationalen Wettbewerbsstaat“
(Hirsch 1998) muss sich folglich auch Sozialpolitik an ihrem Beitrag
zur Herstellung der ‚Wettbewerbsfähigkeit’ messen lassen, was sich konkret auswirkt
im Um- und Abbau sozialstaatlicher Leistungen und von ArbeitnehmerInnenrechten,
einer auch politisch forcierten ‚Flexibilisierung’ und ‚Prekarisierung’
von Arbeitsverhältnissen, der Einschränkung kollektiv-solidarischer Formen sozialer
Sicherung zugunsten einer ‚Privatisierung’ sozialer Risiken (vgl. Anhorn
2008: 20f.). Die Soziale Arbeit ist als Teil des Regulationssystems von dessen
Transformationen unmittelbar betroffen. Deutlich wird dies hinsichtlich der Neukonfigurierung
der Sozialpolitik unter dem Leitbild des ‚Aktivierenden Staats’,
der sich nicht mehr als primärer Problemlöser ‚sozialer Fragen’ definiert, sondern
„als vermittelnde Instanz [...], die [...] eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure
aus Wirtschaft, Staat und ‚Zivilgesellschaft’ in die ‚Problembearbeitung’ einzubeziehen
versucht. Das Konzept des aktivierenden Staates mit seiner besonderen
Akzentuierung der Selbstverantwortung aller Bürger [...] fügt sich dabei
nahtlos in eine Politik des Sozialstaatsabbaus ein, die zum einen tendenziell eine
Beschränkung auf einen Kern ‚wirklich’ Bedürftiger betreibt und zum andern
unter dem griffigen Slogan ‚Fördern und Fordern’ immer mehr materielle (und
zunehmend an restriktivere Bedingungen geknüpfte) Unterstützungsleistungen
in immaterielle Dienstleistungen einer kontraktuell geregelten, psychosozialen
Beratung und Begleitung überführt.“ (ebd.: 21f.)
42

3.2.1.3 Die Perspektive der sozialen Ausschließung
Unter anderem auf diese Prozesse verweist Helga Cremer-Schäfer, wenn sie
schreibt, dass „nach dem Ende der fordistischen Phase des Kapitalismus Zugehörigkeit
wieder ‚exklusiver’ bestimmt wird“ (2001: 58). Sie analysiert die Politik
und die Institutionen des Sozialstaates aus der „Perspektive der ‚sozialen Ausschließung’“
(ebd.: 56): Unter ‚sozialer Ausschließung’ versteht sie „das strukturierte
und organisierte Vorenthalten der Teilhabe an gesellschaftlich produzierten
Ressourcen“ (ebd.: 60). Es handelt sich dabei also „stets um einen Konflikt um
die Aneignung gesellschaftlich erzeugter Güter und auf einer allgemeineren Ebene
um Festlegungen und Verhandlungen, wer weshalb und unter welchen Bedingungen
an ihnen partizipieren kann.“ (ebd.) Soziale Ausschließung ist als ein
Vorgang mit graduellen Abstufungen zu verstehen, der als subtile Benachteiligung
und Diskriminierung beginnen und mit der Vernichtung von Menschen enden
kann (vgl. ebd.). Ausschließungsvorgänge setzen Macht und Kategorisierungen
voraus. Letztere werden durch Institutionen erzeugt und erhalten durch sie
ihren „herrschaftlichen Charakter einer ‚Beschreibung’“ (ebd.). „Institutionen
regulieren Handlungsmöglichkeiten, d.h. sie herrschen durch die Ressourcen, die
sie (den einen) zur Verfügung stellen und (den anderen) verweigern. [...] Das Personal
der Institution kategorisiert, verteilt und verweigert Ressourcen, teilt Positionen
zu, wendet Sanktionen und Strafen an“ (ebd.: 63; Herv. i. Orig.). Grenzziehungen
und soziale Ausschließung sind ein konstitutives Merkmal bürgerlichkapitalistisch
und nationalstaatlich verfasster Gesellschaften. Sozialstaatliche Integration
ist nicht der Gegensatz zu sozialer Ausschließung; Integration und Ausschließung
bilden vielmehr eine „widersprüchliche Einheit“ (ebd.: 61), d.h. „jede
Form der Integration [enthält] als Komplement Formen der sozialen Ausschließung“
(Steinert 2000: 15). 22 Während der Integrationsbegriff sich für ein kritisches
Verständnis sozialer Ausschließungsprozesse demnach als unbrauchbar
erweist, da er „auf eine vorgegebene Ordnung der Gesellschaft bezogen [bleibt],
22 Die Staatsbürgerschaft stellt hierzu ein anschauliches Beispiel dar: Die Integration der
(Staats-)BürgerInnen im ‚national-sozialen Staat’ (vgl. Balibar 2001: 2) sichert diesen den
Zugang zu gewissen bürgerlichen, politischen und sozialen Rechten (vgl. Marshall 2007
[1950]: 36). Zugleich geht diese Integration jedoch auch immer einher mit Grenzziehungen,
mit der Ausschließung derer, die der Nation als nicht zugehörig kategorisiert werden. Deren
Ausschließung materialisiert sich im Ausschluss oder zumindest dem teilweisen Vorenthalten
von elementaren bürgerlichen, politischen und sozialen Rechten, z.B. in der Bildungs-, Wohnungs-
und Gesundheitspolitik, deren Zugang von Institutionen reguliert werden (vgl. Balibar
2001: 9; 2005 [2001]: 50).
43

in der Integration nicht das Gegenteil, sondern die notwendige Kehrseite eines
Vergesellschaftungsmodus darstellt, der Integration im Medium der Ausschließung
herstellt“ (Anhorn 2008: 37), erschließt sich eine kritische Perspektive vielmehr
über den Begriff der Partizipation als ‚Gegenpol’ zur Ausschließung: „Mit
dem Partizipationsbegriff wird soziale Ausschließung zu einem graduellen Konzept,
das die [...] Dichotomisierung in eine Innen/Aussenspaltung der Gesellschaft,
in ein Alles-oder-Nichts, ein Entweder-oder der Integration oder Nichtintegration
überwindet [...], und statt dessen unterschiedliche Grade der Ausschließung
erfasst.“ (ebd.; Herv. i. Orig.) So wird zudem eine relationale Perspektive
eingenommen, die berücksichtigt, dass Ausschließungsprozesse von Menschen
immer im Verhältnis zu anderen Gruppen, Institutionen oder der Gesellschaft als
‚Ganzes’ stattfinden. Damit treten „Fragen gesamtgesellschaftlicher, konflikthafter
Macht- und Herrschaftsverhältnisse und die Veränderung gesellschaftlicher
Institutionen und Strukturen, und nicht die Veränderung der Ausgeschlossenen
[...] in den Vordergrund.“ (ebd.: 37f.; Herv. i. Orig.)
Wenn die in Kap. 3.2.1.2 dargestellten gesellschaftlichen Transformationsprozesse
quantitativ und qualitativ neue Formen sozialer Ungleichheit, neue Grenzziehungen
der Zugehörigkeit, der politischen, ökonomischen und sozialen Ausschließung
und Partizipation hervorgebracht haben und weiterhin hervorbringen,
so wird damit „auch das Feld der Sozialpolitik und der Sozialen Arbeit grundlegend
neu vermessen“ (ebd.: 24). Soziale Arbeit ist in aller Regel mit Menschen in
Situationen sozialer Ausschließung befasst; als sozialstaatliche Institution ist sie
selbst an der Regulation des Zugangs zu gesellschaftlichen Ressourcen beteiligt.
Gerade vor dem Hintergrund, dass die Zugangsbedingungen, wie Cremer-Schäfer
(2001: 63) schreibt, im Rahmen der neoliberalen Wende der Sozialpolitik zunehmend
‚exklusiver’ gestaltet werden, „ist es die besondere Verantwortung einer
kritischen Sozialen Arbeit, die soziale Ausschließung ins Zentrum ihrer Analyse
und Handlungsorientierung rückt, die von ihr übernommenen oder selbst erzeugten
Wissensbestände systematisch im Hinblick auf mögliche, nicht-intendierte
Ausschließungseffekte zu untersuchen.“ (Anhorn 2008: 45)
44

3.2.2 Auftrag aus dem Selbstverständnis der Sozialen Arbeit
Die explizite Rede von einer ‚kritischen Sozialen Arbeit’ deutet bereits darauf hin,
dass von einer Bereitschaft der SozialarbeiterInnen, die eigene Verwickeltheit in
die Reproduktion gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse kritisch zu reflektieren,
nicht stillschweigend ausgegangen werden kann. Ob die eigene Arbeit und
deren gesellschaftliche Funktionen und Wirkungsweisen kritisch hinterfragt werden,
hängt vielmehr davon ab, mit welchen Wert- und Zielvorstellungen Soziale
Arbeit geleistet wird, d.h. welchen normativen ‚Auftrag’ sich die Einrichtung der
Sozialen Arbeit und der/die einzelne SozialarbeiterIn selbst, relativ unabhängig
von staatlichen und administrativen Vorgaben, für die Berufsausübung zuschreibt.
Es muss nicht betont werden, dass es einen einheitlichen normativen Selbstauftrag
der Sozialen Arbeit nicht gibt, sondern dass dieser historischem Wandel unterworfen
und stets umstritten und umkämpft ist. Das Spektrum reicht dabei von
absoluter Loyalität zu staatlichen Kontroll- und Ordnungsinteressen über als ‚unpolitisch’
verstandene ‚Hilfe’ aus christlicher und/oder humanistischer moralischer
Motivation bis hin zu politischen Emanzipationsidealen, und auch mit diesem
Bogen ist die Mehrdimensionalität und Komplexität sozialarbeiterischer
Identitäten nicht annähernd erfasst.
Dem Deutschen Berufsverband für Soziale Arbeit (DBSH) zufolge hat professionelle
Soziale Arbeit einen „doppelten Auftrag: einerseits die Stützung bestehender
Strukturen und Normen der Gesellschaft oder deren Veränderung, andererseits die
Begleitung und Hilfe für diejenigen, denen vorhandene gesellschaftliche Widersprüche
eine befriedigende Lebensgestaltung nicht möglich machen.“ (DBSH
2008) Welche Strukturen und Normen gestützt und welche verändert werden sollen,
geht aus der Selbstdarstellung nicht hervor und bleibt somit dem/r einzelnen
SozialarbeiterIn überlassen. Zugleich benennt der DBSH die begrenzten Handlungsmöglichkeiten
bezüglich der Veränderung gesellschaftlicher Strukturen,
wenn er feststellt, Soziale Arbeit könne „über die Vermittlung individueller Hilfen
hinaus keine materiellen Probleme wie Armut und Arbeitslosigkeit lösen, sie
kann aber Selbsthilfe und Empowerment fördern, die (solidarische) Handlungsfä-
45

higkeit der angesprochenen Menschen stärken und Gesellschaft und Politik beraten.“
(ebd.)
Mit der ‚Hilfe zur Selbsthilfe’ ist damit eine Zielvorstellung Sozialer Arbeit angesprochen,
der spätestens seit den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts
paradigmatischer Stellenwert zukommt: Durch sozialarbeiterische Interventionen
soll „die Abhängigkeit der Adressaten [...] gemindert und im Gegenzug
ihre Autonomie und Selbsthilfe gefördert werden“ (Buchkremer 1995: 15). Darin
liege, so Buchkremer, das emanzipatorische Element der Sozialen Arbeit (vgl.
ebd.).
‚Empowerment’-Konzepte erfuhren zunächst vor allem im Zuge der antiautoritären
Kritik am entmündigenden fordistischen Sozialstaat Verbreitung, tauchen im
Postfordismus, insbesondere unter dem Leitbild des ‚Aktivierenden Staates’ seit
Ende der 90er Jahre, jedoch zunehmend neoliberal gewendet auf: Im Wettbewerbsstaat,
wo staatliche ‚Hilfen’ nicht zuletzt als ein Kostenfaktor angesehen
werden, kann ‚Hilfe zur Selbsthilfe’ primär als Mittel zur Verringerung von Kosten
dienen und weniger dazu, den AdressatInnen einen gelingenderen Alltag zu
ermöglichen (letzteres wäre das Ziel ‚alltagsorientierter Sozialpädagogik’ nach
Hans Thiersch, vgl. Engelke 2002: 333). So zeigen die Entwicklungen in der Sozialpolitik,
dass die staatlichen ‚Aktivierungs’-Strategien mit dem Abbau von
Rechten einhergehen, wenn nicht gar maßgeblich durch ihn geprägt werden – z.B.
wurde mit ‚Hartz IV’ der Druck auf Lohnarbeitslose massiv erhöht, denen bei
‚mangelnder Mitwirkung’ der Entzug ihrer physischen Existenzgrundlagen droht.
Die Ambivalenzen des ‚Hilfe zur Selbsthilfe’-Paradigmas machen deutlich, dass
die Förderung der Autonomie der Lebensführung der Klientel quer zu staatlichen
Interessen verlaufen kann (auch wenn diese sich zum Teil in verwandtem Vokabular
artikulieren). Der Umgang mit Erwerbslosen im ‚Aktivierenden Staat’ ist
ein Beispiel hierfür, ein anderes ist die Entrechtung von MigrantInnen. Staatliche
Institutionen behindern gerade eine gelingende, ‚autonome’ Lebensführung vieler
MigrantInnen, indem sie ihnen bürgerliche, politische und soziale Rechte und
damit den Zugang zu zahlreichen gesellschaftlichen Ressourcen verweigern (s.
Kap. 4.1.5) und drängen MigrantInnen so in zahlreiche persönliche Abhängig-
46

keitsverhältnisse, etwa zu ArbeitgeberInnen, FreundInnen und Bekannten. Eine
auf ‚Empowerment’ ausgerichtete, also die Autonomie der Lebensführung stärkende
Soziale Arbeit mit illegalisierten MigrantInnen gerät also in einen fundamentalen
Widerspruch zu staatlichen Kontrollinteressen, die einer weitgehend
freiheitlichen Lebensführung dieser Menschen entgegenstehen. Sie müsste sich
daher selbst die Aufgabe zuschreiben, MigrantInnen unter den Bedingungen der
Entrechtung beim Zugang zu Ressourcen zu unterstützen und darüber hinaus darauf
hinzuwirken, die Ursachen der Entrechtung und sozialen Ausschließung zu
beseitigen, sich also über den Einzelfall hinaus politisch für radikale gesellschaftliche
Veränderungen einzusetzen (s. Kap. 4.5).
Ein solch grundsätzlich antagonistisches Verhältnis zwischen Sozialer Arbeit und
dem Staat kann indes noch nicht einmal auf normativer Ebene, geschweige denn
bezüglich der realen Verhältnisse, behauptet werden. Auch das ‚Normsystem’ der
Sozialen Arbeit ist weit von der ‚Autonomie der Lebensführung’ als primärem
real-handlungsanleitendem Paradigma entfernt, sondern seinerseits geprägt von
gesamtgesellschaftlichen (Ausschluss-)Diskursen. 23 Dennoch kann mithilfe des
einflussreichen ‚Empowerment’-Konzeptes das normative Spannungsfeld aufgezeigt
werden, innerhalb dessen gerade Soziale Arbeit mit MigrantInnen ohne
Aufenthaltsrecht agiert und das durch den ‚staatlichen’ Auftrag an die Soziale
Arbeit und ihre Einbindung in das Migrationsregime seine besondere Brisanz erhält.
3.2.3 Staatlicher Auftrag im Konfliktfeld Migration: Soziale Arbeit
als Regulationsinstanz im Migrationsregime
Aus der in Kap. 3.2.1 hergeleiteten Erkenntnis, dass Soziale Arbeit als Teil sozialstaatlicher
Regulation agiert und somit auch immer beeinflusst ist von der jeweiligen
Regulationsweise, lässt sich in bezug auf Migration die These ableiten, dass
die Praxis der Sozialen Arbeit mit Flüchtlingen und MigrantInnen maßgeblich
23 Beispielhaft kann die Untersuchung von Andrea Kothen (2002b) angeführt werden, die die
Zugangsbarrieren für MigrantInnen im System der sozialen Regeldienste untersucht hat und
gezeigt hat, dass auch ‚wohlmeinende’ MitarbeiterInnen nicht gegen ausgrenzende Denkmuster
gefeit sind. Baldauf (2002) untersucht ‚institutionellen Rassismus’ im Sozialamt, Osterkamp
(1996: 41-74) unter MitarbeiterInnen in Flüchtlingswohnheimen.
47

von der spezifischen Verdichtung von Kräfteverhältnissen innerhalb eines bestimmten
Migrationsregimes geprägt wird. D.h., in dem Maße, wie die Struktur
eines Migrationsregimes Partizipation von MigrantInnen ermöglicht, kann auch
die Soziale Arbeit Partizipationsmöglichkeiten eröffnen. Wenn jedoch (wie insbesondere
Anfang der 90er Jahre) rassistische Ideologien in Verbindung mit einer
Verschärfung von Konkurrenzverhältnissen gesellschaftlich wirkungsmächtig
werden und sich der Regulationsmodus in Richtung Abschottung, Illegalisierung
und soziale Ausschließung von MigrantInnen verschiebt, verschlechtern sich auch
die Handlungsbedingungen parteilicher Sozialer Arbeit für MigrantInnen.
Die Zeit des fordistischen ‚Gastarbeitsregimes’ darf dabei keineswegs als Ära der
totalen Partizipationsmöglichkeiten für MigrantInnen missverstanden werden.
Zwar verfügten MigrantInnen aus vielen Herkunftsländern über legale Zugangskanäle
in die BRD und durften dort zivil- und sozialrechtlich gegenüber Deutschen
nicht benachteiligt werden. Politische Rechte wurden ihnen allerdings weitgehend
vorenthalten, und auch die sozialen Rechte wurden durch ihren prekären
ausländerrechtlichen Status relativiert, da deren Inanspruchnahme, z.B. der Bezug
von Sozialhilfe, den Entzug von Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis zur Folge haben
konnte (vgl. Bojadžijev 2008: 232). Bis in die späten 70er Jahre blieb die
Wohnsituation von MigrantInnen, die durch die Unterbringung in Baracken und
ein hohes Maß an Kontrolle und Repression gekennzeichnet war, „das von außen
sichtbarste Zeichen ihrer Unterprivilegierung und Benachteiligung in Deutschland“
(Herbert 2003: 216) und war Anlass für politische Auseinandersetzungen
(vgl. Bojadžijev 2008: 199f.).
Wie sich mit der zunehmenden Illegalisierung von Migrationswegen und einer
‚migrationsfeindlichen’ Diskursverschiebung auch die Arbeitsbedingungen für die
Migrationssozialarbeit verschlechterten, verdeutlicht Steffen Wurzbacher (1997),
der die Handlungsmöglichkeiten Sozialer Arbeit unter den politischen Bedingungen
der ‚Abschreckungsdoktrin’ nach dem ‚Asylkompromiss’ von 1993 untersucht.
Unter Bedingungen der ‚Verselbständigung der Missbrauchsdebatte’, des
hohen politischen Drucks, der zunehmenden Entrechtung und sozialen Ausgrenzung
der Klientel, der Verdrängung von Hilfe in eine ‚rechtliche Grauzone’ und
der verschärften Konfrontation mit der öffentlichen Verwaltung ist eine auf Parti-
48

zipation gerichtete Soziale Arbeit mit Flüchtlingen und MigrantInnen ohne Aufenthaltsrecht
demnach kaum mehr möglich (vgl. ebd.: 103-143).
3.3 Zwischenfazit
Nachdem ich in Kapitel 2 mit dem Konzept der ‚Autonomie der Migration’ zunächst
eine spezielle Perspektive auf das Verhältnis zwischen Migration und ihrer
staatlichen Bearbeitung vorgestellt habe, habe ich in Kapitel 3.1 zunächst bedeutende
Transformationsprozesse in diesem Verhältnis sichtbar gemacht, indem ich
das postfordistische Migrationsregime, d.h. die historisch spezifische und dynamische
Verdichtung von sozialen Kräfteverhältnissen im Konfliktfeld Migration,
umrissen habe. Der Anwerbestopp 1973 und der sogenannte ‚Asylkompromiss’
1993 waren dabei institutionalisierter Ausdruck diskursiver Verschiebungen im
Einwanderungsdiskurs und politische Versuche, Migrationsbewegungen zu begrenzen
und zu regulieren. Migration findet seitdem zunehmend unter den Bedingungen
der Illegalisierung und Entrechtung statt. Diese Prozesse vollziehen sich
im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses, der mit einer ‚Harmonisierung’
nationalstaatlicher Politiken zur Verhinderung unerwünschter Immigration
sowie mit der zunehmenden De- und Exterritorialisierung von Migrationskontrollen
einhergeht, d.h. etwa mit der partiellen Öffnung der innereuropäischen Grenzen
bei gleichzeitiger Aufrüstung der Schengen-Außengrenzen (etwa durch die
Grenzschutzagentur ‚Frontex’), einer Verlagerung von ‚Grenzzonen’ ins Landesinnere
und der Einbindung von Nicht-EU-Staaten ins europäische Migrationsregime.
Im Rahmen einer ‚Governance’ der Migration sind jedoch nicht nur Staaten
als Akteure der Migrationskontrolle aktiv; auch internationale Organisationen wie
die IOM und zivilgesellschaftliche Gruppen wie NGOs spielen eine zunehmend
wichtigere Rolle im postfordistischen Migrationsregime. Entsprechend erweitern
sich auch die ‚Mittel’ der Migrationskontrolle über die legislativen und administrativen
Praxen von Staaten hinaus, umfassen mediale Anti-Migrations-
Kampagnen in den Herkunftsländern von MigrantInnen ebenso wie von zivilgesellschaftlichen
Organisationen getragene Rückkehrförderprogramme. Trotz dieser
vielfältigen Bemühungen zur Verhinderung irregulärer Migration lässt sich
das Migrationsregime jedoch keineswegs auf diesen Aspekt reduzieren. Aktuell
zeichnen sich Konturen einer EU-europäischen Einwanderungspolitik nach öko-
49

nomischen Kriterien ab. Vereinfachend kann als Zielsetzung der EU-
Migrationspolitik ein Viersatz aus a) der partiellen Integration seit langem (legal)
im Innern lebender MigrantInnen, b) der Verhinderung weiterer unerwünschter
Migration, c) der Rückführung von MigrantInnen ohne Aufenthaltsrecht und d)
der selektiven Öffnung für MigrantInnen nach arbeitsmarktpolitischen Kriterien
behauptet werden. Diese Ziele werden nicht zuletzt durch Prozesse der (relativen)
‚Autonomie’ oder ‚Eigensinnigkeit’ von Migrationsbewegungen teilweise desavouiert,
da sich die Praxen der Migration immer wieder den politischen Kontrollund
Steuerungsversuchen entziehen. Damit wird nicht die Wirkungsmächtigkeit
des Migrationsregimes als solche in Frage gestellt; aber der Blick auf seine Wirkungsweise
verschiebt sich von der Abschottung und Steuerung hin zur Illegalisierung
und Entrechtung einer beträchtlichen Anzahl hier lebender Menschen und
deren sozialen und ökonomischen Folgen.
In Kapitel 3.2 ging es mir darum, den Blick auf die widersprüchliche Rolle Sozialer
Arbeit als Akteurin im postfordistischen Migrationsregime zu lenken. Dazu
habe ich in einem ersten Schritt mit Hilfe der Regulationstheorie die Rolle zivilgesellschaftlicher
Institutionen in der Regulation gesellschaftlicher Konflikte aufgezeigt.
Dann habe ich grob die gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen
Transformationen vom Fordismus zum Postfordismus und die veränderte Rolle
von Sozialpolitik und Sozialer Arbeit im ‚nationalen Wettbewerbsstaat’, in dem
diese zunehmend an ihrem Beitrag zur ‚Wettbewerbsfähigkeit’ in der Standortkonkurrenz
gemessen werden, geschildert. Schließlich habe ich mit der kritischen
Perspektive der sozialen Ausschließung einen ressourcenorientierten Ansatz vorgestellt,
mit dem die Rolle Sozialer Arbeit in den dargestellten Transformationsprozessen
kritisch beleuchtet werden kann und an die im nächsten Kapitel in Bezug
auf die soziale Ausschließung von MigrantInnen angeknüpft werden kann.
Das Spannungsfeld, in dem Soziale Arbeit in diesem Bereich agiert, habe ich versucht,
mit Hilfe normativer Aufgabenzuschreibungen aus dem Selbstverständnis
Sozialer Arbeit zu verdeutlichen, die unter den Bedingungen zunehmender Entrechtung
der Klientel leicht in Konflikt mit staatlichen Kontrollinteressen und an
die Grenzen der durch das Migrationsregime strukturierten Rahmenbedingungen
geraten können.
50

Auf die Möglichkeiten und Grenzen Sozialer Arbeit mit MigrantInnen ohne Aufenthaltsrecht
unter den Bedingungen des gegenwärtigen Migrationsregimes und
die Problematik, innerhalb dessen ‚funktionalisiert’ zu werden, werde ich in Kapitel
4 genauer eingehen.
4 Soziale Arbeit mit MigrantInnen ohne Aufenthaltsrecht
zwischen Regulationsinstanz und hilfreicher Ressource
4.1 MigrantInnen ohne Aufenthaltsrecht als Klientel Sozialer
Arbeit
Wie ich bereits oben argumentiert habe, sind die Bedingungen der Sozialen Arbeit
mit MigrantInnen immer geprägt durch das jeweilige Migrationsregime, innerhalb
dessen sie agiert; also etwa durch die administrativen Vorgaben, gesellschaftlichen
Diskurse und staatlichen wie gesellschaftlichen Funktionszuschreibungen,
mit denen sich die Soziale Arbeit auseinanderzusetzen hat. Erst durch das konflikthafte
Verhältnis zwischen Migrationsbewegungen und Migrationsregime
konstituiert sich auch die Klientel der Migrationssozialarbeit. Wenn sich nun, wie
Jens Kastner (2002: 334) in Anschluss an Bourdieu schreibt, das prinzipielle
Problem nationalstaatlichen Ausschlusses unter neoliberalen Bedingungen verschärft,
wie ich durch die Darstellung der Transformationen zum postfordistischen
Migrationsregime bereits gezeigt habe, wenn also Migrationen zunehmend
illegalisiert (oder zumindest nicht legalisiert) werden, dann ist auch die Soziale
Arbeit zunehmend mit Menschen befasst, denen ein Aufenthaltsrecht verwehrt
wird.
An dieser Stelle ist zunächst noch einmal darauf hinzuweisen, dass eine scharfe
Grenzziehung zwischen ‚legalen’ und ‚illegalen’ MigrantInnen aus mehreren
Gründen nicht möglich ist. Zum einen, weil es viele Vor- und Zwischenstufen
gibt, die eine Einordnung in die binäre Ordnung ‚legal’ – ‚illegal’ nicht zulassen.
Zum zweiten, weil Migrationsbiografien oft mit häufigen Statuswechseln verknüpft
sind, d.h. MigrantInnen können im Laufe der Jahre einige Zeit ohne, einige
Zeit mit (mehr oder weniger) gültigen Papieren hier leben, einen Aufenthaltssta-
51

tus erwerben und wieder verlieren, mehrmals ein- und ausreisen (vgl.
Bojadžijev/Karakayalı 2005: 108). Zum dritten, weil, wie die Gesellschaft für
Legalisierung (2003) treffend schreibt, die ‚Illegalen’ nur die Spitze des Eisbergs
der Entrechtung sind, auf dem alle stationiert sind, die hierzulande zu ‚Ausländern’
gemacht werden, also auch jene mit Aufenthalts- oder Niederlassungserlaubnis.
Selbst eine Einbürgerung ist noch nicht in jedem Fall gleichbedeutend
mit dem ‚sicheren Ufer’ der StaatsbürgerInnenrechte, wie etwa ein aktueller Gesetzentwurf
zeigt, mit dem bis zu fünf Jahre nach der Einbürgerung die deutsche
Staatsbürgerschaft aberkannt werden können soll, wenn im Einbürgerungsverfahren
‚geschummelt’ wurde (vgl. Rath 2008). Ich werde im Folgenden einen Überblick
über Lebenslagen unter den Bedingungen der Vorenthaltung eines Aufenthaltsrechtes
geben. MigrantInnen ohne Aufenthaltsrecht können dabei kaum
als eine Gruppe mit gemeinsamen Merkmalen bezeichnet und beschrieben werden,
da sie in Rechtsstatus, Lebensbedingungen, Migrations(hinter)gründen und
vielem mehr ein sehr weites Spektrum umfassen. Um die Auswirkungen der unterschiedlichen
Rechtsstatus auf die Lebensbedingungen zu verdeutlichen, unterscheide
ich entlang der juridischen Kategorien in ‚Statuslose’, Geduldete, AsylbewerberInnen
und Andere.
4.1.1 MigrantInnen ohne Aufenthaltsstatus
Als ‚illegale’ MigrantInnen werden nach Alt (2003: 20) Menschen bezeichnet, die
unerlaubt nach Deutschland einreisen und/oder sich unerlaubt in Deutschland
aufhalten. Ich werde den Begriff der ‚Illegalität’ hier – darin Krieger et al. (2006:
17) folgend – nur auf den (fehlenden) Aufenthaltsstatus beziehen, nicht auf die
Illegalität der Einreise oder auch der Erwerbstätigkeit. Ein illegaler Aufenthalt
kann auch auf eine legale Einreise und einen zeitweise legalen Aufenthalt folgen,
wenn Papiere, die einen erlaubten Aufenthalt begründeten, ihre Gültigkeit verlieren
(vgl. Alt 2003: 20). Den Begriff ‚MigrantInnen ohne Aufenthaltsstatus’ verwende
ich synonym für ‚illegale MigrantInnen’, bevorzuge ihn aber insofern, als
dass er zum einen die von vielen als stigmatisierend empfundene Anwendung der
Begrifflichkeit der ‚Illegalität’ auf Menschen vermeidet (vgl. Schwenken 2006:
19) und zum anderen eher eine Abgrenzung etwa zu Menschen im Besitz einer
Duldung zulässt, die zwar über einen juristischen Aufenthaltsstatus verfügen,
52

jedoch nicht über einen legalen Aufenthaltstitel. Von den Statuslosen abzuheben
ist die Gruppe der ‚Scheinlegalen’, d.h. Menschen, die mithilfe falscher Papiere
scheinbar legal nach Deutschland einreisen oder sich darin aufhalten, oder die
sich z.B. durch eine Zweckehe einen Aufenthaltstitel ‚erschleichen’. Obwohl sie
zum Zeitpunkt ihrer ‚Scheinlegalität’ über einen auf dem Papier gültigen Aufenthaltstitel
verfügen, ist ihr Status mit dem der ‚Illegalen’ verwandt, da das Risiko
der Enttarnung besteht und die Lebensführung beeinträchtigt (vgl. Alt 2003:
20f.).
Über die Anzahl derer, die ohne Aufenthaltsstatus in Deutschland leben, kann es –
es liegt in der Logik der Sache – keine gesicherten Angaben geben. Schätzungen
bewegen sich zwischen 100.000 und 1,5 Millionen Menschen (vgl. Heck 2008:
103; UKZu 2001: 196).
Die Lebenssituationen von Menschen ohne Aufenthaltsstatus wurden seit den
neunziger Jahren in einigen Städtestudien erforscht (vgl. z.B. Alt 1999, 2003, Anderson
2003, Krieger et al. 2006, Bommes/Wilmes 2007). Im folgenden werde ich
deren Ergebnisse – gegliedert nach den Lebensbereichen Wohnen, Arbeit, Gesundheit
und Schulbesuch – exemplarisch zusammenfassen. Schließlich soll kurz
darauf eingegangen werden, in welchen Situationen diese Menschen Einrichtungen
Sozialer Arbeit aufsuchen und welche Möglichkeiten einer Legalisierung des
Aufenthaltes bestehen. Für alle beschriebenen Lebensbereiche gilt, dass die Lebensbedingungen
von Statuslosen in Deutschland sehr vielfältig sind und meine
Ausführungen keinen Anspruch auf allgemeine Repräsentativität, geschweige
denn auf Vollständigkeit stellen können.
Wohnen
Bei der Wohnungsfindung kommt dem sozialen, meist ‚ethnischen’ Netzwerk
der/s Statuslosen eine entscheidende Bedeutung zu. Neuankömmlinge kommen
oft zunächst bei ‚Landsleuten’ unter, können und wollen dort aber meist nicht
lange bleiben. Die weitere Unterkunftsbeschaffung ist ebenfalls von (‚legalen’
oder ‚illegalen’) VermittlerInnen, von der finanziellen Situation, dem lokalen
Wohnungsmarkt und weiteren Faktoren (z.B. Sprachkenntnisse) abhängig. Die
Wohnsituation ist durch direkte Abhängigkeitsverhältnisse gekennzeichnet, z.B.
53

vom sozialen Netzwerk oder vom Vermieter. Besonders in kritischen Umbruchsituationen
– etwa Neuankunft, Arbeitsplatzverlust, plötzliches ‚Untertauchen’ –
besteht die Gefahr der Obdachlosigkeit. (Vgl. Krieger et al. 2006: 91ff.) 24
Arbeit
Statuslosen MigrantInnen ist der Zugang zum regulären Arbeitsmarkt verwehrt.
Sie arbeiten schwerpunktmäßig in bestimmten Branchen, v.a. im Dienstleistungssektor,
z.B. im Bau- und Transportgewerbe, Reinigungsdiensten, Forst- und
Landwirtschaft, Gastronomie- und Hotelgewerbe, Haushalt und Pflege sowie der
Unterhaltungsbranche und der Prostitution. Die Arbeitsfelder zeichnen sich häufig
durch einen erhöhten saisonalen Bedarf an Arbeitskräften, harten körperlichen
Einsatz, Sicherheitsmängel, notwendige Ortsgebundenheit und Billiglöhne aus.
Die Arbeitsbedingungen unterscheiden sich erheblich; sie reichen von ‚fairen’
Arbeitsverhältnissen bis hin zu Situationen extremer Ausbeutung, etwa sexueller
Erpressung, der Bezahlung in Naturalien oder der Vorenthaltung von Lohn. Zwar
ist nach deutschem Arbeitsrecht ein Anspruch auf Entlohnung für geleistete Arbeit
auch bei fehlendem Aufenthaltsstatus nicht ausgeschlossen, jedoch wird dieses
Recht wegen des Entdeckungsrisikos und der Abhängigkeit durch oft mangelnde
Alternativen kaum in Anspruch genommen. Je nach lokaler Arbeitsmarktsituation,
Einbindung in soziale Netzwerke und anderen Faktoren ist es für Statuslose
teilweise sehr schwierig, Arbeit zu finden. Erhalten Statuslose kein oder nur
geringes Einkommen durch Erwerbsarbeit, und wird dieses Defizit nicht durch
soziale Netzwerke aufgefangen, bedeutet dies fast ausnahmslos ein Leben in extremen
Armutsverhältnissen, das existenzbedrohende Züge annehmen kann. (Vgl.
Krieger et al. 2006: 117ff.)
Gesundheit
Krieger et al. (2006: 97f.) kommen zu der Beobachtung, dass statuslose MigrantInnen
infolge ihrer defizitären Lebensbedingungen, der psychischen Belastung
durch eine Vielzahl von Ängsten und Unsicherheiten, häufig gesundheitsgefährdender
Arbeitsbedingungen und der Nichtinanspruchnahme präventiver Maßnahmen
besonderen gesundheitlichen Gefährdungen ausgesetzt sind. Vorhandene
24 Alt (2003: 143ff.), Anderson (2003: 30ff.) und Bommes/Wilmes (2007: 47ff.) kommen im
Großen und Ganzen zu ähnlichen Ergebnissen. Dies gilt auch für die anderen Lebensbereiche.
54

gesetzliche Regelungen erschweren ihnen den Zugang zur Gesundheitsversorgung.
Insbesondere der sogenannte ‚Denunziationsparagraf’ § 87 AufenthG, der
öffentliche Stellen (also auch Krankenhäuser) zur Unterrichtung der Ausländerbehörde
bei Bekanntwerden eines ‚illegalen’ Aufenthalts verpflichtet, sowie die
mangelnden Möglichkeiten zur Versorgung von Menschen ohne Krankenversicherung
sind hier zu nennen. (Vgl. Schmitt 2007: 32ff.) Gesundheitliche Notlagen
können Betroffene in existenzielle Krisen stürzen. Der Umgang mit dieser Situation
besteht immer in einer Risikoabwägung. Oftmals werden gesundheitliche
Probleme, so lange es nur irgendwie geht, ausgehalten, ignoriert und verdrängt.
Dies wird spätestens dann zu einem existenziellen Risiko, wenn notwendige lebensrettende
Maßnahmen – in der Hoffnung, das Problem würde sich doch noch
irgendwie von selbst lösen – nicht rechtzeitig eingeleitet werden. (Vgl. Krieger et
al. 2006: 99f.) Eine verbreitete Strategie von Betroffenen zum Umgang mit diesem
Problem besteht im ‚Leihen’ der Krankenkassenkarte einer Person aus dem
sozialen Netzwerk. Damit ist zwar zunächst die Behandlung sowie die Kostenerstattung
für die Ärztin/den Arzt gesichert; allerdings bestehen Gefahren u.a. hinsichtlich
einer möglichen Statusaufdeckung, einer Anzeige wegen Versicherungsbetrugs
sowie hinsichtlich medizinischer Nachteile für PatientIn und KarteninhaberIn.
Daneben bleibt nur noch die Möglichkeit, etwa über niedrigschwellige
Hilfsangebote z.B. Schmerztabletten zu erhalten oder eventuell – über Vermittlung
des sozialen Netzwerks oder von Beratungsstellen – an einen Arzt oder eine
Ärztin zu geraten, der oder die kostenlos oder -günstig behandelt. (Vgl. ebd.: 98f.)
In einigen Großstädten haben sich mittlerweile Anlaufstellen etabliert, die statuslose
PatientInnen an kostenlos behandelnde Ärztinnen und Ärzte vermitteln (vgl.
Schmitt 2007: 107f.). Die Probleme der Verschleppung, Negierung und fehlenden
Prävention bleiben trotz solcher Angebote bestehen. Zudem verfügen sie über
eine nur eingeschränkte Infrastruktur, so dass Notfälle, stationäre Behandlungen
und Geburten die Betroffenen nach wie vor vor große Hindernisse stellen. (Vgl.
Bommes/Wilmes 2007: 90)
Die subjektive Belastung durch das Bewusstsein der Illegalität und die damit einhergehenden
eingeschränkten Lebensbedingungen wird von Betroffenen sehr unterschiedlich
eingeschätzt. Manche haben Routinen entwickelt, die den Umgang
mit den Stressoren des Alltags in der Illegalität erträglicher machen und – darun-
55

ter vor allem jene, die ihre Arbeits- und Lebenssituation halbwegs stabilisieren
konnten und über funktionierende Sozialkontakte verfügen – sind teilweise ‚zufrieden’
mit ihrer Situation. (Vgl. Krieger et al. 2006: 113f.; Alt 2003: 184) Die
Aufwendungen, die notwendig sind, um sich vor der Statusaufdeckung zu schützen,
sind in der Regel erheblich. Umfangreiche Arbeitszeiten infolge schlechter
Entlohnung, häufiger Wohnungswechsel, die wachsame Vorsicht, in jeder Situation
unauffällig zu bleiben, die Angst vor Kontrollen am Arbeitsplatz und auf der
Straße, vor Abschiebung und damit ein allgemeines Gefühl der Perspektivlosigkeit
stellen für viele erhebliche Stressfaktoren dar, die das Leben unter den Bedingungen
der Illegalität begleiten. Besonders bei denjenigen Statuslosen, die
nicht sicher in einem sozialen Netzwerk eingebettet sind, kann die Angst quälende
Ausmaße annehmen und die Betroffenen in die soziale Isolation drängen. Die
psychischen Schäden, die manche davontragen, reichen von psychosomatischen
Erkrankungen und Depressionen bis hin zu Psychosen und Suizidalität. (Vgl.
Krieger et al. 2006: 114ff.)
Schulbesuch 25
Die Ausgangsbedingungen für die Beschulung von statuslosen Kindern sind bundesland-
und teilweise kommunalspezifisch unterschiedlich. So beschloss der
Münchner Stadtrat 2004 eine Erklärung, nach der Kinder mit irregulärem Aufenthaltsstatus
grundsätzlich schulpflichtig und Schulleitungen nicht verpflichtet
seien, Nachweise zum Aufenthaltsrecht zu verlangen (vgl. Bommes/Wilmes
2007: 107), während in Hessen für illegalisierte Kinder und Jugendliche weder
eine Schulpflicht noch ein Schulantragsrecht besteht (vgl. Krieger et al. 2006:
145). Als Problem stellen Krieger et al. in ihrer Frankfurter Studie die Notwendigkeit
der Vorlage einer Meldebescheinigung bei der Aufnahme ausländischer
SchülerInnen heraus. Den Eltern bliebe in solchen Fällen eigentlich nur die Wahl,
die Unmöglichkeit, diese zu erwerben (und damit quasi den illegalen Status) einzugestehen
und auf Diskretion zu hoffen, es mit einer gefälschten Bescheinigung
zu versuchen oder auf eine Einschulung zu verzichten. Es sei davon auszugehen,
dass es statuslose Kinder gebe, die aufgrund des Entdeckungsrisikos über Jahre
hinweg keine Schule besuchten. Insgesamt prägt das Leben in der Illegalität das
25 Zur spezifischen Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen in der Illegalität vgl. weiter
Krieger et al. 2006: 136ff.; Alt 2003: 215ff.; Anderson 2003: 73ff.
56

Leben der Kinder sehr stark: Sie müssen sehr früh bestimmte Verhaltensweisen
lernen, um das Risiko der Statusaufdeckung zu minimieren. Sukzessive werden
sie sich so der Nachteile infolge ihres Status bewusst, erleben sie, von welchen
Teilhabe- und Zukunftschancen sie ausgeschlossen sind und werden ihre Lebensentwürfe
mehrheitlich auf diese Ausgangssituation abstimmen. (Vgl. ebd.: 146f.)
Statuslose MigrantInnen als Klientel Sozialer Arbeit
Ob Menschen ohne Aufenthaltsstatus eine Hilfeeinrichtung aufsuchen, hängt wesentlich
davon ab, ob sie in eine Notlage geraten sind (oder eine solche Notlage
befürchten), die sie mit ihren bisherigen Routinen und vorhandenen Ressourcen
nicht selbstständig bewältigen können, und ob sie die benötigten Hilfen nicht
durch FreundInnen, Familienmitglieder oder die ‚Community’ erhalten können
oder wollen. Öffentlich zugängliche Hilfseinrichtungen sind also insbesondere für
jene statuslosen MigrantInnen von Bedeutung, die (noch) keinen Zugang zu sozialen
Netzwerken haben oder aus diesen keine (oder weniger effektive) Hilfen
erwarten. In manchen Fällen werden aber auch Angebote von Beratungseinrichtungen
der möglichen Hilfe seitens des Netzwerks vorgezogen, um etwa Probleme
gegenüber dem Umfeld nicht zu offenbaren oder auch persönliche Abhängigkeiten
und ‚Schuldigkeiten’ zu vermeiden. Um die Angebote von Hilfseinrichtungen
in Anspruch nehmen zu können, müssen Statuslose zudem um deren Existenz,
Lokalisation und Angebotsstruktur wissen. Ferner werden sie deren Angebote
nur dann wahrnehmen, wenn sie eine positive Einschätzung von deren (Fachund
Sprach-)Kompetenz und eine gewisse ‚Risikobereitschaft’ im Umgang mit
einer ihnen bisher unbekannten deutschen Institution haben. (Vgl. Krieger et al.
2006: 159ff.)
Legalisierungsmöglichkeiten
„Wie in kaum einem anderen Lebensbereich bestimmt die Rechtslage sowohl den
Alltag von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus als auch die professionelle
Arbeit mit statuslosen AusländerInnen.“ (Krieger et al. 2006: 49) Daher ist der
Fokus der Sozialen Arbeit mit MigrantInnen ohne Aufenthaltsrecht, dabei vor
allem der spezialisierten Migrationssozialarbeit, meistens auch oder vor allem auf
mögliche Wege, den Aufenthalt zu legalisieren ausgerichtet (vgl. ebd.: 162f.). Die
Möglichkeiten für Menschen ohne Aufenthaltsstatus, ihren Aufenthalt zu legali-
57

sieren, sind allerdings sehr begrenzt. Der illegale Voraufenthalt stellt bereits einen
eigenen Ausweisungsgrund dar, und das Vorliegen eines Ausweisungsgrundes
schließt die Erteilung eines Aufenthaltstitels im Regelfall aus (§ 5 I Nr. 2 AufenthG).
Daneben eröffnet das Aufenthaltsgesetz insgesamt nur sehr enge Einwanderungspfade
für bestimmte Aufenthaltszwecke. Für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis
trotz vorangegangenem illegalem Aufenthalt kommen angesichts
dessen nur zwei Aufenthaltszwecke in Betracht: Humanitäre Gründe (§ 5
III AufenthG) oder der Familiennachzug (§ 27 I, III Satz 2 AufenthG). Bezüglich
eines zumindest vorübergehenden Aufenthaltsrechtes aus humanitären Gründen
wären nach dem Aufenthaltsgesetz mehrere Varianten denkbar: wenn für den/die
AusländerIn im Herkunftsland eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben
oder Freiheit besteht (§ 25 III i.V.m. § 60 VII), wenn die Ausreise aus rechtlichen
oder tatsächlichen Gründen auf absehbare Zeit und aus nicht von dem/der AusländerIn
zu vertretenden Gründen unmöglich ist (§ 25 V), durch gruppenbezogenen
Legalisierungserlass durch die oberste Landesbehörde (§ 23), wenn dringende
humanitäre oder persönliche Gründe (z.B. eine dringend notwendige Operation)
oder erhebliche öffentliche Interessen (z.B. in Strafverfolgungsbelangen) die vorübergehende
Anwesenheit des Ausländers/der Ausländerin erfordern (§ 25 IV
Satz 1) oder wenn die Härtefallkommission eines Landes für die Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis votiert (§ 23a). In ihrer faktischen Bedeutung haben all diese
Varianten allerdings Ausnahmecharakter. Auch ein Asylantrag bietet im Regelfall
keine Perspektive. Die Legalisierung in einen familienbezogenen Aufenthaltstitel,
d.h. der ‚Nachzug’ von EhepartnerInnen, minderjährigen Kindern und Elternteilen
zu Deutschen oder AusländerInnen mit rechtmäßigem Aufenthalt in Deutschland
(§§ 27ff. AufenthG), stellt daher faktisch derzeit den einzigen realistischen Legalisierungspfad
dar. Allerdings wird durch das Vorliegen eines Ausweisungsgrundes
auch der eigentlich grundrechtlich garantierte Anspruch auf Familiennachzug
(§ 27 I AufenthG i.V.m. Art. 6 GG) auf eine bloße Ermessensentscheidung herabgestuft.
(Vgl. Krieger et al. 2006: 54ff.) Eine weitere Variante, zwar kein Aufenthaltsrecht,
aber zumindest einen aufenthaltsrechtlichen Minimalstatus zu erhalten,
ist die Erteilung einer Duldung. Wird ein/e illegal aufhältige/r AusländerIn
aufgegriffen, kann aber (vorübergehend) nicht abgeschoben werden, ist zwingend
eine Duldung zu erteilen. (Vgl. ebd.: 58f.)
58

4.1.2 MigrantInnen mit Duldungsstatus
Die Duldung bezeichnet die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung und
wird v.a. dann erteilt, wenn diese aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich
ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird (§ 60a II AufenthG). Sie
stellt keinen Aufenthaltstitel dar, sondern bescheinigt lediglich den zeitlich befristeten
‚Verzicht’ der Ausländerbehörde auf die zwangsweise Durchsetzung der
Ausreisepflicht. Die Duldung ist „die förmliche Reaktion auf ein Vollstreckungshindernis“
(Will 2008: 59). Die Klassifizierung des geduldeten Aufenthaltes zwischen
‚legalem’ und ‚illegalem’ Aufenthalt ist in der juristischen Diskussion umstritten
(vgl. Riecken 2006: 37ff.). Solange die Duldung gültig ist, scheidet sowohl
eine Abschiebung 26 als auch eine Strafbarkeit aufgrund illegalen Aufenthalts
aus, weshalb von einer teilweisen Legalisierungswirkung gesprochen werden
kann (vgl. ebd.: 39). Gleichzeitig ist der geduldete Aufenthalt unrechtmäßig, da er
gegen die Genehmigungspflichtigkeit des Aufenthalts (§ 4 AufenthG) verstößt
und die Ausreisepflicht der Ausländerin/des Ausländers bestehen bleibt (§ 60a III
AufenthG); daher kann von illegalem, aber nicht strafbarem Aufenthalt gesprochen
werden (vgl. UKZu 2001: 164). Der Anspruch auf Erteilung einer Duldung
besteht dabei auch dann, wenn der/die AusländerIn die Gründe für die Unmöglichkeit
der Abschiebung selbst zu vertreten hat (vgl. Keßler 2006: 53).
Ende September 2008 lebten ca. 110.000 Geduldete in Deutschland (vgl. Gaserow
2008). Knapp zwei Jahre zuvor lebten noch ca. 175.000 Menschen mit Duldungsstatus
der BRD, davon zum großen Teil abgelehnte AsylbewerberInnen (vgl.
Deutscher Bundestag 2007: 201). Da trotz Altfallregelung (s. unten) noch immer
mehr als die Hälfte der Menschen mit Duldung seit mehr als sechs Jahren in
Deutschland lebt (vgl. Gaserow 2008), kann sie de facto als „Ersatzaufenthaltsrecht“
(UKZu 2001: 165) zweiter Klasse, d.h. unter Ausschluss zahlreicher mit
einem Aufenthaltsrecht verbundenen Rechte und bei fortbestehendem Ausreisedruck
charakterisiert werden.
26 Allerdings erlischt der mit der Duldung ausgesprochene Verzicht auf die Abschiebung, sobald
die Abschiebungshindernisse weggefallen sind (vgl. Keßler 2006: 56).
59

Die Lebensbedingungen von Geduldeten sind also ebenfalls stark geprägt durch
ihren (teil-)illegalisierten Status. So ist ihr Aufenthalt grundsätzlich auf das Gebiet
des Bundeslandes, in dem die Duldung erteilt wurde, beschränkt (§ 61 I Satz
1). Die Ausländerbehörde kann weitere Bedingungen und Auflagen anordnen,
z.B. eine weitere Verschärfung der ‚Residenzpflicht’ auf den Landkreis der zuständigen
Ausländerbehörde, die regelmäßige Vorsprache oder das Gebot, finanzielle
Mittel für die Heimreise anzusparen (§ 61 I Satz 2) (vgl. Keßler 2006: 53f.).
Auch kann auf diese Weise die Wohnsitznahme z.B. in einer Gemeinschaftsunterkunft
oder in einer Ausreiseeinrichtung (s. Kap. 4.2) angeordnet werden (vgl.
Keßler 2006: 57). Eine Arbeitserlaubnis kann erst nach einem Jahr geduldetem
Aufenthalt (nachrangig) erteilt werden (§ 10 BeschVerfV). Diese wird versagt,
wenn sie/er die Gründe, die ihrer/seiner Abschiebung entgegenstehen, selbst zu
vertreten hat (§ 11 BeschVerfV). Die Aufnahme eines Studiums ist bei entsprechendem
Schulabschluss prinzipiell möglich, wird jedoch häufig durch Auflage
der Ausländerbehörde verboten (vgl. Keßler 2006: 62). Menschen mit Duldung
haben keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII, sondern
nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), das außerhalb des regulären
Sozialleistungssystems angesiedelt ist und gegenüber diesem im Leistungsniveau
deutlich abgesenkt ist (vgl. Will 2008: 172). Die Grundleistung umfasst lediglich
den ‚Grundbedarf’ an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung und anderen
Gütern in der Regel in Form von Sachleistungen, sowie ein monatliches ‚Taschengeld’
in Höhe von 40,90 € pro Person (§ 3 AsylbLG). Diese Leistungen
können – z.B. durch Kürzung oder Streichung des Taschengeldes – weiter reduziert
werden, wenn etwa der/die Geduldete der eigenen Abschiebung entgegenwirkt
(§ 1a AsylbLG). Wer jedoch vier Jahre lang die Grundleistung nach dem
AsylbLG bezogen hat, ohne die Dauer des Aufenthalts rechtsmissbräuchlich
selbst beeinflusst zu haben, wie es in § 2 I AsylbLG heißt, kann schließlich dem
regulären Sozialhilfesatz nach dem SGB XII entsprechende Leistungen beziehen.
Ebenfalls nach dem AsylbLG richtet sich der Anspruch auf gesundheitliche Versorgung
Geduldeter. Dieser ist inhaltlich auf die Behandlung akuter Krankheiten
und Schmerzzustände beschränkt (§ 4 I AsylbLG). Präventivmaßnahmen sowie
die ärztliche Behandlung chronischer Erkrankungen sind nicht vorgesehen (vgl.
Will 2008: 179f.).
60

All diese Einschränkungen in Verbindung mit der stets nur kurzfristigen Verlängerung
der Duldung (meist zwischen wenigen Tagen und sechs Monaten), dem
Druck zur Ausreise seitens der Behörden und der Angst vor Abschiebung stellt
eine immense Belastung für die betroffenen Menschen dar (vgl. Zentrum für Antisemitismusforschung
2007: 12). Viele Familien leben mehr als zehn Jahre in
diesem Status. Kinder von geduldeten Eltern erhalten ebenfalls nur eine Duldung,
auch wenn sie in Deutschland geboren werden und aufwachsen (vgl. ebd.: 11).
Die Möglichkeiten für Geduldete, ihren Status zu legalisieren, sind ebenfalls sehr
begrenzt, aber besser als für statuslose MigrantInnen, da nicht unbedingt ein
strafbarer illegaler Voraufenthalt der Erteilung eines Aufenthaltstitels entgegensteht.
Bei Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen (§ 5 AufenthG)
kann gegebenenfalls ein zweckgebundener Aufenthaltstitel erteilt werden. Dies ist
bei geduldeten MigrantInnen jedoch oftmals nicht der Fall, wenn z.B. der Lebensunterhalt
nicht ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert werden
kann, Identität und Staatsangehörigkeit ungeklärt sind, ein Ausweisungsgrund
vorliegt, kein Pass vorliegt oder die Einreise unerlaubt erfolgt ist. Besondere Relevanz
für geduldete MigrantInnen hat daher die gesetzliche Altfallregelung (§
104a AufenthG) vom Sommer 2007, nach der trotz erfolgter unerlaubter Einreise
oder fehlender selbständiger Sicherung des Lebensunterhalts eine Aufenthaltserlaubnis
erteilt werden kann, wenn sich der oder die Betroffene u.a. am Stichtag
(1.7.2007) seit mindestens acht (bei Familien mit minderjährigen Kindern sechs)
Jahren ununterbrochen (und nicht illegal) im Bundesgebiet aufgehalten hat, über
ausreichenden Wohnraum verfügt, hinreichende Deutschkenntnisse hat, behördliche
Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht vorsätzlich hinausgezögert oder
behindert hat und nicht zu einer Straftat von über 50 Tagessätzen (oder bei ausländerrechtlichen
Delikten über 90 Tagessätzen) verurteilt worden ist. Die Verurteilung
eines Familienmitglieds führt dabei zur Versagung der Aufenthaltserlaubnis
für die ganze Familie. Aufgrund der hohen Hürden der Regelung konnten bisher
nur 29.000 langjährig Geduldete eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104a AufenthG
erhalten, und von ihnen achtzig Prozent nur ‚auf Probe’, d.h. sie verlieren
ihren Aufenthaltstitel wieder, wenn es ihnen bis Ende 2009 nicht gelingt, ihren
Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln zu sichern. Die gleiche Problematik gilt für
die 25.000 Menschen, die eine vorläufige Aufenthaltserlaubnis nach der ‚Bleibe-
61

echtsregelung’ der Innenministerkonferenz im November 2006 erhalten haben.
110.000 MigrantInnen, darunter jene, die etwa wegen Alter oder Krankheit nicht
arbeiten können, konnten von keiner der Regelungen profitieren und verbleiben
nach wie vor im Duldungsstatus. (Vgl. Gaserow 2008)
4.1.3 AsylbewerberInnen
AsylbewerberInnen erhalten für die Dauer ihres Asylverfahrens eine Aufenthaltsgestattung
(§ 55 AsylVfG). Diese ist zwar kein Aufenthaltstitel nach dem Aufenthaltsgesetz,
ermöglicht aber dennoch bis zum Abschluss des Asylverfahrens
den erlaubten Aufenthalt in Deutschland. Insofern sind sie streng genommen nicht
unter die Gruppe der MigrantInnen ohne Aufenthaltsrecht zu rechnen (vgl. Will
2008: 56). Angesichts extrem niedriger Anerkennungszahlen bei Asylanträgen 27
und den Parallelen in den Lebensbedingungen zu ausreisepflichtigen MigrantInnen
halte ich es dennoch für sinnvoll, AsylbewerberInnen in diesem Zusammenhang
aufzuführen, da auch sie nur über einen vorläufigen und unsicheren Aufenthaltsstatus
verfügen (vgl. Zentrum für Antisemitismusforschung 2007: 12). Die
Zahl der Asylanträge geht seit Jahren kontinuierlich zurück; 2007 wurden nur
noch 19.164 Erstanträge gestellt (vgl. BAMF 2008: 9).
Die meisten der im vorangegangenen Unterkapitel beschriebenen Sondergesetze
und damit verbundenen Einschränkungen in den Lebensbedingungen – etwa die
reduzierte ‚Versorgung’ nach dem AsylbLG, das Sachleistungsprinzip, der eingeschränkte
Zugang zum Gesundheitssystem und zum Arbeitsmarkt, die Wohnheimunterbringung
und die auf den Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde
beschränkte Residenzpflicht (§ 56 AsylVfG) – gelten auch für AsylbewerberInnen.
Nach Ablehnung des Asylantrags wird umgehend eine Abschiebungsandrohung
erlassen (§ 34 AsylVfG) und eine Frist zur Ausreise gesetzt. Ist der Antrag
27 Von 2002 bis 2007 bewegten sich die Quoten für die Anerkennung als Asylberechtigte nach
Art. 16a GG zwischen 1,8 und 0,8 %. Zählt man die Entscheidungen hinzu, in denen Abschiebeschutz
gemäß § 60 I AufenthG gewährt oder ein Abschiebeverbot gemäß § 60 II, III,
V, VII festgestellt wurde, kommt man zwischen 2002 und 2006 auf eine Anerkennungsquote
zwischen 4,9 und 6,5 %. (Im Jahr 2007 stieg die Anerkennungsquote beim Abschiebeschutz
nach § 60 I allerdings sprunghaft auf 24,1 % an.) Abgelehnt wurden zwischen 57 und 67 %
(2007: 45 %); durch ‚formelle Entscheidungen’ (z.B. Entscheidungen nach dem Dubliner
Verfahren über die Zuständigkeit eines anderen Staates oder Verfahrenseinstellung durch
Antragsrücknahme) erledigten sich zwischen 28 und 36 %. (Vgl. BAMF 2008a: 40)
62

als ‚unbeachtlich’ oder ‚offensichtlich unbegründet’ abgelehnt worden, beträgt die
Ausreisefrist nur eine Woche (§ 36 I AsylVfG). Nach Ablauf dieser Frist ist die
Ausreisepflicht vollziehbar. Klagen hiergegen haben keine aufschiebende Wirkung
(§ 75 AsylVfG). (Vgl. Will 2008: 61ff.) Angesichts dessen wird deutlich,
dass auch AsylbewerberInnen im laufenden Verfahren oftmals bereits mit einem
Bein in der Illegalität stehen.
4.1.4 Sonstige MigrantInnen ohne Aufenthaltsrecht
Neben Statuslosen, Geduldeten und AsylbewerberInnen können noch einige juridische
Kategorien von Menschen ohne Aufenthaltsrecht mehr identifiziert werden,
die potenziell Klientel Sozialer Arbeit sein können (wobei saubere Abgrenzungen
zwischen diesen Status und zur Statuslosigkeit oftmals nicht mehr möglich
sind).
Wird eine Duldung nicht mehr verlängert, stellt die Ausländerbehörde häufig eine
Grenzübertrittsbescheinigung (GÜB) aus. Bei ihr handelt es sich um den Vordruck,
der bei der Ausreise den Grenzbehörden zur Bestätigung der Ausreise vorzulegen
ist. Sie dient der ordnungsgemäßen Dokumentation der ‚freiwilligen’
Ausreise und ist mit einer Frist versehen, bis wann der/die Betroffene spätestens
auszureisen hat. Während der Laufzeit der Ausreisefrist scheidet eine Abschiebung
aus. (Vgl. Will 2008: 56, 59; Zentrum für Antisemitismusforschung 2007:
12) Ist er oder sie bis zum Ablauf der Frist nicht ausgereist, wird der Aufenthalt
strafbar, der- oder diejenige verliert auch den letzten aufenthaltsrechtlichen Minimalstatus,
die Ausreisepflicht wird vollziehbar. Vollziehbar Ausreisepflichtige
können mit einer Vielzahl von Einschränkungen belegt und verpflichtet werden,
in Ausreiseeinrichtungen Aufenthalt zu nehmen, abgeschoben oder in Abschiebungshaft
genommen werden (vgl. Will 2008: 58f.). Abschiebungshaft kann aus
zwei Gründen angeordnet werden: als ‚Vorbereitungshaft’ (§ 62 I AufenthG),
wenn über die Ausweisung nicht sofort entschieden werden kann und die Abschiebung
ohne die Inhaftnahme wesentlich erschwert oder vereitelt würde, oder
als ‚Sicherungshaft’ (§ 62 II AufenthG) zur Sicherung der tatsächlichen Durchsetzung
der Abschiebung. Die Vorbereitungshaft darf längstens sechs Wochen, die
Sicherungshaft bis zu achtzehn Monaten dauern (§ 62 III AufenthG). Menschen in
63

Abschiebehaft haben teilweise die Möglichkeit, Beratung in Anspruch zu nehmen.
Deren Handlungsmöglichkeiten sind jedoch extrem begrenzt. Eine Abschiebung
zu verhindern oder erfolgreich gegen die Anordnung der Abschiebungshaft
vorzugehen, gelingt nur selten. Der legalen Wiedereinreise der Betroffenen nach
der Abschiebung steht eine Einreisesperre entgegen. (Vgl. Nuguid 2005: 156ff.)
4.1.5 Soziale Ausschließung von MigrantInnen ohne Aufenthaltsrecht
und ihr Zugang zu Ressourcen
Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, dass die Entrechtung von
MigrantInnen mit einem Komplex sozialer Ausschließungsprozesse einhergeht.
D.h., MigrantInnen werden durch die Verweigerung von Rechten von der Teilhabe
an gesellschaftlich produzierten Ressourcen ausgeschlossen. Dabei handelt es
sich um einen graduellen Vorgang, der etwa mit der Vorenthaltung des Wahlrechts
beginnt und bis hin zur Ausschließung statusloser MigrantInnen von nahezu
allen wesentlichen gesellschaftlichen Ressourcen, der ‚Einschließung’ ausreisepflichtiger
Personen in Ausreisezentren oder Abschiebegefängnisse oder der
‚physischen Exklusion’ durch Abschiebung reicht. Diese Ausschließungsvorgänge
setzen Kategorisierungen voraus, wie sie etwa das komplette Ausländerrecht
durchziehen. Hier wird festgeschrieben, wer unter welchen Bedingungen und in
welchem Maße an welchen gesellschaftlich erzeugten Gütern partizipieren kann.
Die Grenzziehungen sind teilweise untereinander hierarchisiert, überlappen einander
und verlaufen multidimensional – so z.B. zwischen ‚Deutschen’ und ‚Ausländern’,
‚EU-BürgerInnen’ und ‚Nicht-EU-BürgerInnen’ oder zwischen den
Staatsangehörigen visumspflichtiger und visumsfreier Staaten. Eine weitere
Grenzziehung wird anhand des Paradigmas der ‚Schutzwürdigkeit’ vorgenommen,
nach dem z.B. bestimmt wird, wann ein Asylantrag gestellt werden kann
und wann welches Aufenthaltsrecht aus humanitären Gründen erteilt wird und
wann nicht. Diese Grenzziehungen sind jeweils graduell, flexibel und umkämpft.
So wurden die Partizipationsmöglichkeiten entlang der Achse der Schutzwürdigkeit
durch den Asylkompromiss 1993 massiv eingeschränkt. In den letzten Jahren
gewinnt die Kategorisierung entlang der Achse der ökonomischen Verwertbarkeit
zunehmend an Bedeutung, wie an den aktuellen Bemühungen um die Anwerbung
hochqualifizierter MigrantInnen erkennbar ist, aber auch an dem Versuch, über
64

die ‚Altfallregelungen’ oder den neuen § 18a AufenthG 28 diejenigen unter den
Geduldeten ‚abzuschöpfen’ und mit einem Aufenthaltstitel zu versehen, die wirtschaftlich
‚integriert’ sind, während jene, die an den zu nicht unwesentlichen Teilen
an ökonomischen Verwertungskriterien orientierten Erteilungsvoraussetzungen
scheitern, mit verschärftem Ausreisedruck (und damit weiterer Ausschließung)
zu rechnen haben. 29 Letztlich steckt in jeder einzelnen ausländerrechtlichen
Norm eine Kategorisierung und Grenzziehung, die den Grad von Partizipation
und Ausschließung anhand bestimmter Kriterien bestimmt, ob es nun um das
Staatsbürgerschaftsrecht, verschiedene Aufenthaltszwecke, das Asylverfahren,
das Leistungsrecht, die Folgen fehlender Mitwirkung, Ausweisungsgründe oder
Abschiebungen geht.
Die von sozialer Ausschließung Betroffenen sind nicht einfach passive und wehrlose
‚Opfer’, sondern arbeiten ihr aktiv entgegen und entwickeln Strategien, um
mit Situationen sozialer Ausschließung umzugehen (vgl. Cremer-Schäfer 2005).
Dabei lassen sich mehrere Ebenen der gesellschaftlichen Partizipation ausmachen,
die teilweise einander voraussetzen (vgl. Steinert 2007: 160ff.): So ist der Zugang
zu bestimmten (sekundären) Ressourcen Voraussetzung, um an andere (primäre)
Ressourcen heranzukommen (vgl. ebd.; Cremer-Schäfer 2008: 85ff.). Z.B. sind
die Ressourcen der Staatsbürgerschaft oder zumindest des Aufenthaltsrechtes
Voraussetzung für den Zugang zu zahlreichen bürgerlichen, politischen und sozialen
Rechten; oder der Zugang zu einem hilfreichen sozialen Netzwerk ist Voraussetzung
für den Erwerb einer Arbeit (und damit einem Einkommen), einer Wohnung
oder für den Zugang zu gesundheitlicher Versorgung, insbesondere, wenn
die Ressource der sozialen Rechte nicht zur Verfügung steht. In diesem Zusammenhang
ist auch die Soziale Arbeit als (nachrangige) Zugangsressource zu verstehen,
die ihrerseits über Ressourcen verfügt und den Zugang zu diesen reguliert.
Auch sie ist aktiv an Grenzziehungen und Kategorisierungen beteiligt, worauf
etwa das Bekenntnis der Wohlfahrtsverbände zum Prinzip, „dass Flüchtlinge in
28 Der neue § 18a AufenthG, der seit 01.01.2009 in Kraft ist, zielt explizit darauf, „das Potenzial
von Geduldeten [...] besser für den deutschen Arbeitsmarkt [zu nutzen]“ (Deutscher Bundestag
2008: 1f.). Er übernimmt dabei die hohen Hürden der gesetzlichen Altfallregelung, verzichtet
lediglich auf die Stichtags- oder Warteregelung (vgl. Heinhold 2008).
29 So hieß es zumindest in der ‚Bleiberechtsregelung’ der Innenministerkonferenz 2006: „Der
Aufenthalt von Ausländern, die nach dieser Regelung keine Aufenthaltserlaubnis erhalten
können, muss konsequent beendet werden.“ (IMK 2006: 19)
65

ihr Herkunftsland zurückkehren sollen, wenn keine Notwendigkeit zur Schutzgewährung
besteht“ (BAGFW 2007: 69), hinweist. Aus einer kritischen Perspektive
der sozialen Ausschließung ist es die besondere Verantwortung Sozialer Arbeit,
ihre eigene Eingebundenheit in Kategorisierungs- und Ausschließungsprozesse zu
reflektieren und entsprechende Schlüsse für Theorie und Praxis zu ziehen.
4.2 Soziale Arbeit mit MigrantInnen ohne Aufenthaltsrecht als
Akteurin der Regulation von Migration am Beispiel des Ar-
beitsfeldes Rückkehrberatung
Ute Osterkamp schrieb 1990 unter dem Eindruck der alle Lebensbereiche von
Asylsuchenden durchdringenden bundesdeutschen ‚Abschreckungsdoktrin’: „Die
Perspektivlosigkeit der Situation der AsylbewerberInnen in unserem Land bedingt
die Perspektivlosigkeit der in diesem Bereich Tätigen [...]. ‚Hilfe’ [hat] unter diesen
Voraussetzungen eher die Funktion, Frustrationen und Aggressionen der
Flüchtlinge gegen die sie einschränkenden Maßnahmen aufzufangen und ihre
Widerständigkeit zu brechen als ihre Situation zu verbessern.“ (Osterkamp 1990:
151f.) Auch wenn Osterkamps These funktionalistisch zugespitzt und auf den
konkreten historischen Kontext bezogen sein mag, scheint sie mir geeignet, den
Blick auf die disziplinierenden Momente und Funktionen der Sozialen Arbeit im
postfordistischen Migrationsregime zu lenken. Schärfen möchte ich diesen Blick
am Beispiel der sozialarbeiterischen Rückkehrberatung, da sich hieran zwei zentrale
Spannungsfelder der Migrationssozialarbeit aufzeigen lassen: Zum einen das
Verhältnis der Sozialen Arbeit zum Staat, zum anderen ihre ambivalente Position
im Spannungsverhältnis zwischen ‚Hilfe’ und ‚Kontrolle’.
Das Verhältnis zwischen Sozialer Arbeit und ‚dem Staat’ ist durch asymmetrische,
aber nicht einseitige Machtverhältnisse gekennzeichnet. 30 Damit ist die hohe
30 Damit soll die Soziale Arbeit nicht dem Staat entgegengesetzt werden, da sie – wie in Kap.
3.2.1 gezeigt wurde – im Rahmen des Konzeptes des ‚erweiterten’ oder ‚integralen Staates’
selbst als Bestandteil des Staates angesehen werden muss. Auch kann nicht von einheitlichen
staatlichen Interessen ausgegangen werden, da es sich bei diesem um eine widersprüchliche
‚Verdichtung von Kräfteverhältnissen’ handelt, was sich z.B. an interministeriellen Konflikten
um Fragen der Migrationspolitik zeigt, sei es zu Zeiten des ‚Gastarbeitsregimes’ (vgl.
Karakayalı 2008: 102) oder heute in bezug auf die Rückführungspolitik (vgl. Kreienbrink
2007: 67). Auch können sich Kräfteverhältnisse auf unterschiedlichen politischen Maßstabs-
66

Abhängigkeit der Sozialen Arbeit – auch in freier Trägerschaft – von staatlichen
Interessen angedeutet, zugleich aber, dass der Staat seinerseits auf das ‚Funktionieren’
der Sozialen Arbeit angewiesen ist.
Zwar gibt es bereits seit 1979 das Bundesprogramm für freiwillige RückkehrerInnen
REAG/GARP, das im Auftrag des Bundesinnenministeriums sowie der zuständigen
Landesministerien von der IOM durchgeführt wird (vgl. Kreienbrink
2007: 62). In den letzten Jahren wird der Rückkehrpolitik innerhalb der deutschen
und europäischen Migrationspolitik jedoch zunehmende Bedeutung gewidmet
(vgl. ebd.: 35). Der Begriff der ‚Rückkehr’ umfasst dabei sowohl die ‚freiwillige’
als auch die zwangsweise Rückkehr (vgl. ebd.: 42). Der Begriff der ‚freiwilligen
Rückkehr’ ist gesetzlich nicht definiert und in seiner Bedeutung hoch umstritten.
Das Spektrum der Positionen reicht von der Ansicht, dass von der Freiwilligkeit
der Ausreise nur gesprochen werden könne, wenn es die Alternative des legalen
Verbleibs gebe, bis hin zu der Vorstellung, Freiwilligkeit bedeute nur die Abwesenheit
von körperlicher Gewalt im Rahmen einer Rückführung (vgl. ebd.: 44ff.).
Wo immer die begriffliche Grenze gesetzt wird, sind sowohl die zwangsweise
Rückführung als auch die Förderung der ‚freiwilligen’ Rückkehr bedeutsame Instrumente
staatlicher Migrationsregulierung (vgl. ebd.: 37). 31 Von der ‚Süssmuth-
Kommission’ wird die ‚freiwillige’ Rückkehr als humane und kostensparende
Alternative zur zwangsweisen Rückführung dargestellt, da sie von der Notwendigkeit
befreie, körperlichen Zwang gegen Menschen auszuüben und „finanzielle,
politische und soziale Kosten, die sich aus Abschiebungen und nicht möglichen
Rückführungen ergeben“ (UKZu 2001: 157), erspare. Außerdem stärke ein kooperativer
Ansatz auch die Beziehungen zu den Herkunftsländern und somit die
deutsche „Verhandlungsposition für – weiterhin notwendige – zwangsweise
Rückführungen“ (ebd.). Ein zentrales Augenmerk jeder Rückführungspolitik
müsse daher der Förderung freiwilliger Aus- und Weiterreise gelten (vgl. ebd.).
ebenen, also etwa auf EU-, nationalstaatlicher, Länder- und kommunaler Ebene, sehr unterschiedlich
strukturieren und so auch zu Konflikten entlang der ‚vertikalen’ Achsen des Staates
führen (vgl. am Beispiel der Kommunen Simone Buckel 2008).
31 So heißt es in der Begründung zur Schaffung eines EU-Rückkehrfonds ab dem Jahr 2008:
„Politisch gesehen sind jedoch die freiwillige und die erzwungene Rückkehr miteinander verknüpft
und verstärken sich gegenseitig, und die Mitgliedstaaten sollten im Rahmen ihres
Rückkehrmanagements dazu angehalten werden, verstärkt darauf zu achten, dass sich diese
beiden Formen der Rückkehr ergänzen.“ (Europäische Union 2007: L 144/47)
67

Zielgruppe der Politik der Förderung der ‚freiwilligen’ Ausreise sind v.a. abgelehnte
Asylsuchende, Asylsuchende im laufenden Verfahren und Menschen mit
einer Duldung (vgl. Westphal/Behrensen 2007: 300). Ergänzend wird sie als ein
Instrument zur Reduzierung von illegalem Aufenthalt gesehen (vgl. Kreienbrink
2007: 69). Rückkehrberatung und -unterstützung wird von unterschiedlichen Institutionen
– neben städtischen Behörden, Wohlfahrtsverbänden und freien Trägern
auch Zentrale Aufnahme- und Ausländerbehörden (ZAAB) sowie Ausreisezentren,
die von Landesministerien betrieben werden – geleistet. Dabei werden
Beratungsstellen nicht-staatlicher Träger offenbar besser angenommen, da es
‚Rückkehrwilligen’ dort leichter falle, ein Vertrauensverhältnis zu den MitarbeiterInnen
aufzubauen (vgl. ebd.: 97). Die Konzepte der Rückkehrberatung lassen
sich in drei Untergruppen kategorisieren: Integrierte Rückkehrberatung als Bestandteil
einer umfassenden, prinzipiell ergebnisoffenen Perspektivberatung; gezielte
Rückkehrberatung als einziger oder zentraler Beratungsfokus; Mischformen
integrierter und gezielter Rückkehrberatung (vgl. Westphal/Behrensen 2007:
303). Die Entwicklung der Angebote verlagert sich dabei zunehmend in Richtung
gezielter Rückkehrberatung. In diesem Zusammenhang stellen Westphal und Behrensen
in ihrer Studie fest:
„Während integrierte Rückkehrberatung und -unterstützung am Selbstverständnis
der Flüchtlingssozialarbeit von Wohlfahrtsverbänden und freien Trägern ansetzt,
birgt die gezielte Rückkehrberatung und -unterstützung, insbesondere aufgrund
der hier stattfindenden Kooperation mit staatlichen Institutionen, die Gefahr,
dass die Durchsetzung des Ausländerrechts und Ziele der Kostenersparnis
humanitäre Leitbilder in der Praxis verdrängen.“ (ebd.: 325)
Dass Rückkehrberatung im Extremfall in der Tat nichts anderes ist als die „zweite
Säule der Abschiebepolitik“ (Berthold 2005), zeigt ihre Rolle im Rahmen sogenannter
‚Ausreisezentren’. Mit dem Zuwanderungsgesetz von 2005 wurde die
Möglichkeit der Bundesländer zur Etablierung von Ausreiseeinrichtungen ins
Ausländerrecht aufgenommen. Dort soll „durch Betreuung und Beratung die Bereitschaft
zur freiwilligen Ausreise gefördert [...] werden“ (§ 61 III AufenthG).
Sie dienen als (im Unterschied zur Abschiebungshaft) „offene Einrichtung der
Unterbringung von Personen, die keine oder unzutreffende Angaben zu ihrer
68

Identität und Staatsangehörigkeit machen und/oder die Mitwirkung bei der Beschaffung
von Heimreisedokumenten verweigern.“ (BMI 2004: 279) Die Unterbringung
ermögliche „eine intensive, auf eine Lebensperspektive außerhalb des
Bundesgebiets gerichtete psycho-soziale Betreuung“ (ebd.). Wie diese aussieht,
beschreibt Axel Kreienbrink vom BAMF:
„Die Lebensbedingungen in einer Ausreiseeinrichtung sind in der Regel dadurch
geprägt, dass diese Einrichtungen abgegrenzt und umzäunt sind und einen
kontrollierten und überwachten Zugang haben. Es finden regelmäßige Befragungen
zur Identität statt, um sowohl Widersprüche in den Darstellungen aufzudecken
als auch das Unrealistische einer weiteren Verbleibensperspektive in
Deutschland vor Augen zu führen. Durchsuchungen werden durchgeführt, um
Identitätsnachweise im Besitz der Betroffenen zu finden. [32] Es werden Aufenthaltsbeschränkungen
ausgesprochen und statt Geld im Rahmen des Sachleistungsprinzips
tägliche Essenspakete ausgegeben. Weitere mögliche Maßnahmen
sind das Anhalten zu gemeinnütziger Arbeit, das Verbot der Erwerbstätigkeit
sowie die Kürzung des Taschengeldes [...]. Die aus diesen Beschränkungen für
die betroffenen Personen erwachsenden Frustrationen oder sogar eine ‚gewisse
Stimmung der Hoffnungs- und Orientierungslosigkeit’ sind einkalkuliert und
sollen [...] mittels intensiver Rückkehrberatung in positive Ansätze für eine
Rückkehr in die Heimat [...] umgewandelt werden.“ (Kreienbrink 2007: 143;
Herv. S.M.) 33
Inhalte der rückkehrorientierten Beratung sind die „Aufklärung über die rechtliche
Situation, Förderung der Bereitschaft, sich mit einer Rückkehr auseinander zu
setzen, Vermittlung von Informationen über die aktuellen Verhältnisse im Rückkehrland
sowie über Rückkehrhilfe- und Reintegrationsprogramme der Zentralen
Rückkehrberatungsstelle (ZRB) und anderer Stellen (z.B. IOM).“ (Westphal/Behrensen
2007: 311)
32 Wie Andrea Kothen schreibt, fungieren in diesem Zusammenhang „auch Vertrauenspersonen
wie Sozialarbeiter [...] als Vollstreckungsgehilfen der Abschiebung“ (Kothen 2002a: 66).
33 Als Folge dieser Maßnahmen taucht ca. die Hälfte der in Ausreiseeinrichtungen untergebrachten
Personen in die Illegalität unter (vgl. Kreienbrink 2007: 144) – „die einzige Möglichkeit
des Ausbruchs aus dem Lager“ (Pieper 2008: 343).
69

Die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege erklären sich im Grundsatz
konform mit der Maxime, dass Flüchtlinge in ihre Herkunftsländer zurückkehren
sollen, wenn keine Notwendigkeit zur Schutzgewährung bestünde (vgl. BAGFW
2007: 69). Unterschiedliche Einschätzungen gibt es in der Frage, wann diese Voraussetzung
im konkreten Fall erfüllt sei, sowie im Stellenwert der Rückkehrberatung.
In einem Positionspapier spricht sich die Bundesarbeitsgemeinschaft der
Freien Wohlfahrtspflege für die öffentliche Förderung der Rückkehrberatung als
integriertem Teil der Flüchtlingsberatung, aber gegen ihre isolierte Förderung aus
(vgl. ebd.: 73). Gleichwohl konstatiert sie einen gegenläufigen Trend: Soweit
Flüchtlingsarbeit überhaupt noch gefördert werde, sei eine Umsteuerung hin zur
Rückkehrberatung festzustellen (vgl. ebd.). Trotz aller gegenteiligen Positionierungen
der Wohlfahrtsverbände gibt es eine Tendenz zur Etablierung exklusiver
Rückkehrberatungsstellen (vgl. Mesovic 2007: 24). Die Abhängigkeit von staatlichen
Fördermitteln stellt die Wohlfahrtsverbände dabei oft vor die Wahl zwischen
schlechten Alternativen. So beschreibt Martina Domke von der Diakonie Köln,
wie 2004 die Landeszuschüsse für die Flüchtlingsberatung um 20 % gekürzt und
im Jahr darauf neben der Verfahrensberatung (zu Fragen der Aufnahme), der Regionalberatung
(zu Fragen des Aufenthaltes) und den psychosozialen Zentren die
Rückkehrberatung als vierte Säule der Flüchtlingsberatung festgelegt wurde – bei
gleich bleibendem Haushaltsansatz. Die Alternative ‚Personalabbau oder Rückkehrberatung’
sei der ausschlaggebende Faktor gewesen, warum die Diakonie
Köln in die Rückkehrberatung eingestiegen sei. Andere Beratungsstellen hätten
sich in einer ähnlichen Situation befunden. (Vgl. Domke 2007: 15). Thomas Berthold
beschreibt das Dilemma, in das die Flüchtlings- und Migrationsberatung in
diesem Zusammenhang gerät:
„Einerseits ist sie von den Geldern des Staates und vor allem des Europäischen
Flüchtlingsfonds abhängig, und diese sind vielfach an eine Rückkehrberatung
gekoppelt. Andererseits stellen diese Beratungsstellen einen der letzten Fluchtpunkte
innerhalb Europas dar – einen Fluchtpunkt von Menschen, die hier leben
wollen und hier bleiben wollen. Wird dieser Raum noch stärker der Rückkehrberatung
geöffnet, werden die Interessen der Flüchtlinge und MigrantInnen
geopfert.“ (Berthold 2005: 60)
70

Dieses Problem der Instrumentalisierung und Vereinnahmung der Migrationsberatung
„als Baustein einer schon seit langem verfolgten Strategie der Abschreckung“
(Mesovic 2007: 24) lässt sich allein durch guten Willen der tätigen SozialarbeiterInnen
nicht lösen: Das Beratungsgespräch selbst mag in so einem Falle
ergebnisoffen gestaltet werden können; die Beratungssituation ist es vielfach nicht
mehr (vgl. ebd.).
Das AntirassismusBüro Bremen sieht hierin eine repressive Neugestaltung der
Aufgaben Sozialer Arbeit:
„Eine Beratung zur freiwilligen Rückkehr hin erkennt an, dass es für einige
Menschen hier keine Möglichkeit für einen legalen Aufenthalt mit den entsprechenden
Rechten geben soll. Sie unterstützt die staatliche Abschiebepraxis, indem
sie diese um ein immer wichtiger werdendes Instrument ergänzt. Die freien
Wohlfahrtsverbände und auch die NGO’s, die diese Arbeit durchführen, übernehmen
daher letztlich eine repressive staatliche Aufgabe. SozialarbeiterInnen
als Handlanger staatlicher Zwangsmaßnahmen, als Hilfspolizisten der Migrationskontrolle
sind eine daraus resultierende Entwicklung. [...]
Für Wohlfahrtsverbände und NGOs sind die Alternativen klar: Sie stehen vor
der Entscheidung, ob sie sich vermeintlichen ‚Sachzwängen’ unterordnen bzw.
sich die gängigen Sparpostulate zu eigen machen wollen oder nicht. Wenn ja,
machen sie sich automatisch zu Handlangern oder gar [...] willigen Vollstreckern
staatlicher Abschiebepolitik. Wollen sie dies nicht, gibt es zur Beendigung
einer Zusammenarbeit mit der IOM keine Alternative.“ (AntirassismusBüro
Bremen 2004: 14)
Die Folgerung des AntirassismusBüros besticht durch ihre politische Konsequenz.
Allerdings vermag sie die Widersprüche, innerhalb derer die Soziale Arbeit – sofern
man ihr einen kritischen Anspruch unterstellt – hier agiert, nicht aufzulösen:
den Widerspruch zwischen dem eigenen sozialarbeiterischen und politischen
Selbstverständnis und der finanziellen und rechtlichen Abhängigkeit vom Staat;
den Widerspruch zwischen den grundsätzlichen Bleibewünschen der/s Klientin/en
und der zermürbenden Lebenssituation ohne Perspektive auf eine Verbesserung
der Aufenthaltssituation; den Widerspruch zwischen der politischen Kritik an der
71

IOM und dem Grundsatz, den konkreten (Rückkehr-)Wunsch der/s Klientin/en ins
Zentrum des Beratungsinteresses zu stellen – denn in diesem Falle stellen IOMund
andere Rückkehrfördermittel durchaus eine hilfreiche Ressource dar. Oder,
wie es Florian Fritz formuliert: „Auch ein Sozialarbeiter wird es aushalten müssen,
wenn ein Flüchtling ihm, womöglich nach langem gemeinsamen Kampf um
ein Bleiberecht, eröffnet, er wolle jetzt doch lieber zurückkehren.“ (Fritz 2004b:
149)
4.3 Zentrale ‚Unsicherheiten’ Sozialer Arbeit mit MigrantInnen
ohne Aufenthaltsrecht
Am Beispiel des Praxisfeldes Rückkehrberatung habe ich die Eingebundenheit
der Sozialen Arbeit in das postfordistische Migrationsregime und wichtige Aspekte
des Problems der politischen und finanziellen Abhängigkeit von staatlichen
Interessen bereits aufgezeigt. Im folgenden möchte ich auf weitere Aspekte der
erschwerten Bedingungen eingehen, mit denen Soziale Arbeit mit MigrantInnen
ohne Aufenthaltsrecht konfrontiert ist.
Norbert Cyrus (2004a: 186) benennt in diesem Zusammenhang vier zentrale ‚Unsicherheiten’:
An erster Stelle die organisationelle Unsicherheit. Es sei unklar,
inwieweit die MitarbeiterInnen in der Arbeit mit Menschen ohne Aufenthaltsrecht
vom Träger aktiv oder passiv unterstützt werden. Oftmals zählen MigrantInnen
ohne Aufenthaltsrecht bzw. -status nicht zur offiziellen Zielgruppe der Beratungsarbeit,
und es steht zu befürchten, dass das Bekanntwerden der Unterstützung
illegalisierter MigrantInnen eine Kürzung oder Streichung staatlicher Fördergelder
nach sich ziehen könnte. Hinzu kommt die rechtliche Unsicherheit, also
die Angst der BeraterInnen, sich mit der Unterstützung illegalisierter MigrantInnen
selbst strafbar zu machen. Außerdem besteht eine fachliche Unsicherheit: Die
MitarbeiterInnen sind oftmals unzureichend über die Möglichkeiten und Grenzen
der Hilfen für Menschen ohne Aufenthaltsrechte informiert. Und schließlich nennt
Cyrus kommunikative Unsicherheiten im Umgang mit illegalisierten Hilfesuchenden
und staatlichen Behörden.
72

Bezüglich der organisationellen Unsicherheiten nimmt er die Träger der Freien
Wohlfahrtspflege als wichtigste ArbeitgeberInnen der Migrations- und Flüchtlingsberatung
in die Verantwortung. Zwar haben diese schon 1999 in einem gemeinsamen
Positionspapier erklärt, sicherzustellen, „dass Mitarbeiter/innen die
statuslosen Ausländern zur Linderung und Beseitigung ihrer Notlage helfen, diesen
Dienst ausüben können“ und „jedem Versuch einer Kriminalisierung dieser
Tätigkeit entgegen[zu]treten“ (BAGFW 1999: 3). Allerdings würde diese Erklärung
nicht immer umgesetzt: Umfragen zufolge habe z.B. die Mehrheit der mit
statuslosen MigrantInnen befassten MitarbeiterInnen in evangelischen Beratungsstellen
kein ausdrückliches Mandat hierfür. BeraterInnen, die ihre Arbeit unter
ungeklärten Rahmenbedingungen oder sogar ausdrücklich ohne die Rückendeckung
ihrer Geschäftsführung oder Abteilungsleitung durchführen, bezeichneten
diese Situation als äußerst belastend. Die fehlende Rückendeckung mag wiederum
mit der Befürchtung zusammenhängen, staatliche Mittel gekürzt oder gestrichen
zu bekommen, auf die viele Beratungsstellen auch in freier Trägerschaft angewiesen
sind, wenn bekannt wird, dass MigrantInnen ohne Aufenthaltsstatus beraten
werden. (Vgl. Cyrus 2004a: 187f.) Nach der Studie von Krieger et al. (2006: 162)
war der Großteil der Angebote der befragten sozialen Einrichtungen nicht unmittelbar
auf MigrantInnen mit ungesichertem Aufenthaltsstatus ausgerichtet, eine
grundsätzliche Zuständigkeit für die Arbeit mit Statuslosen gab es für keine Einrichtung.
Ihre Unterstützung ist meist vielmehr durch den allgemeinen Handlungsauftrag
des Trägers legitimiert. Wie weitgehend dieser definiert wird, variiert
unter den Einrichtungen und ist vor allem von der Zugehörigkeit zu einzelnen
Hilfesystemen mit ihrem spezifischen Klientel (Frauen, Jugendliche, Wohnungslose,
etc.) abhängig. Solange die Arbeit mit Statuslosen sich zumindest
teilweise hinter der Arbeit mit anderen hilfebedürftigen Zielgruppen verbergen
müsse, also nur in der Grauzone ‚inoffizieller Arbeit’ erledigt werden könne,
würden die Ressourcen der Einrichtungen oftmals überstrapaziert und sich kaum
befriedigende Zuständigkeitsstrukturen entwickeln lassen (vgl. ebd.: 163f.)
Die rechtliche Unsicherheit ergibt sich aus diversen Strafvorschriften, die die Unterstützung
illegalisierter MigrantInnen unter Umständen kriminalisierbar machen.
In Frage kommen in diesem Zusammenhang insbesondere die Straftatbestände
der Beihilfe/Anstiftung (§ 26/§ 27 StGB) zum Verstoß gegen eine auslän-
73

derrechtliche Straftat (i.V.m. § 95 I AufenthG), zur Urkundenfälschung (i.V.m. §
267 StGB), zum Missbrauch von Ausweispapieren (i.V.m. § 281 StGB) und zum
Verschaffen falscher Ausweispapiere (i.V.m. § 276 StGB), der Einschleusung (§
96 I AufenthG), der Strafvereitelung (§ 258 StGB) oder der Begünstigung (§ 257
StGB). 34 Nach verbreiteter Rechtsauffassung allerdings sind die meisten humanitär
motivierten Hilfeleistungen nicht strafbar. (Vgl. Will 2008: 249ff.) Dies wird
in der Praxis insoweit bestätigt, dass laut Cyrus (2004a: 188) bislang keine Strafverfahren
und Verurteilungen von SozialarbeiterInnen wegen Beihilfe zum illegalen
Aufenthalt bekannt sind. Eine grundsätzliche Strafbefreiung für humanitär
motiviertes Handeln besteht jedoch nicht (vgl. Will 2008: 254), daher stellt die
bestehende Strafandrohung de facto eine große Verunsicherung der MitarbeiterInnen
sowie der Träger dar, die zur Verweigerung von Hilfeleistungen für statuslose
MigrantInnen führen können (vgl. Cyrus 2004a: 188).
Fachliche Unsicherheiten bestehen Cyrus zufolge darin, dass oftmals unklar ist,
welche Formen der effektiven Hilfe eigentlich möglich sind. Insgesamt herrsche
die Vorstellung vor, dass statuslose MigrantInnen absolut rechtlos seien. In einigen
Bereichen bestehen dagegen durchaus Rechte, die auch durch die Übermittlungspflicht
öffentlicher Stellen nicht unbedingt entwertet werden. Bedeutsam ist
in diesem Zusammenhang die Unterscheidung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen
Stellen, da Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten und Kitas in freier
Trägerschaft nicht der Übermittlungspflicht unterliegen. Zudem folgt aus einer
bestehenden Übermittlungspflicht nicht unbedingt eine Ermittlungspflicht, d.h.
dass etwa SchulleiterInnen oder ArbeitsrichterInnen zwar die Ausländerbehörde
darüber zu unterrichten haben, wenn sie Kenntnis von einem illegalen Aufenthalt
erlangen, aber nicht dazu verpflichtet sind, den Aufenthaltsstatus bei der Ausübung
ihres Amtes zu ermitteln. Diese Rechtslage eröffnet statuslosen MigrantInnen
die prinzipielle Möglichkeit, im Fall von Lohnbetrug ein Arbeitsgericht anzurufen
oder ihre Kinder in die Schule zu schicken. (Vgl. Cyrus 2004a: 189ff.)
34 Weitere rechtliche Grenzen sozialarbeiterischer Beratung, auf die hier jedoch nicht weiter
eingegangen wird, setzt das Rechtsberatungsgesetz (RBerG), das bis auf wenige Ausnahmen
die Rechtsberatung durch andere Personen als zugelassene Rechtsanwälte verbietet (vgl. Informationsverbund
Asyl 2002).
74

Kommunikative Unsicherheiten sieht Cyrus sowohl bei der oft notwendigen Zusammenarbeit
mit Behörden als auch bei der direkten Begegnung mit Hilfesuchenden.
Bezüglich ersterem betont Cyrus die Zwangsläufigkeit der Kontaktaufnahme
und der Kooperation mit staatlichen Stellen, da das Hauptanliegen der Beratung
meist in der Legalisierung des Aufenthalts oder der Übernahme von Kosten
– also in der Beeinflussung administrativen Handelns – liege. Gerade persönliche,
auch informelle Kontakte zu BehördenmitarbeiterInnen seien von besonderer
Bedeutung für eine hilfreiche Beratung. (Vgl. Cyrus 2004a: 198) Im zweiten
Bereich kommunikativer Unsicherheiten, in der konkreten Beratungssituation,
käme es teilweise zu einer Abwehrhaltung der SozialarbeiterInnen, die sich durch
die Probleme und Anfragen der MigrantInnen ohne Aufenthaltsrecht überfordert
fühlten. Zum Umgang mit solchen und anderen Problemen schlägt er einen phasenorientierten
Beratungsansatz vor, der die unterschiedlichen Ebenen und Dringlichkeiten
der Problemlagen berücksichtigt. In der ersten Phase der Krisenintervention
gehe es vorrangig um Hilfe zur Lösung aktueller Problemlagen, etwa um
Fragen der gesundheitlichen Versorgung oder der Einschulung der Kinder. Es sei
durchaus möglich, dass manche KlientInnen nach erfolgreicher Intervention weiter
in der Illegalität leben und keinen weiteren Beratungsbedarf mehr haben. Es
sei letztlich die Entscheidung der Hilfesuchenden, ob und welche Hilfen sie in
Anspruch nehmen. In der zweiten Beratungsphase gehe es um eine aufenthaltsrechtliche
Sondierung, d.h. um die Suche nach Möglichkeiten, Wege aus der Illegalität
zu finden. Hier sei zu prüfen, ob etwa Abschiebungshindernisse geltend
gemacht oder eine Legalisierung z.B. durch ein deutsches Kind oder Heirat erreicht
werden könnten. Auch die Rückkehr oder Weiterreise könne dabei eine
wählbare Option darstellen. In der dritten Phase der Zukunftsplanung gehe es darum,
sich für einen Strategie zu entscheiden und zu versuchen, diese zu verwirklichen.
(Vgl. ebd.: 195ff.) Angesichts der geringen Erfolgsaussichten, unter den
gegebenen Bedingungen eine Legalisierung des Aufenthalts zu erreichen und der
Unmöglichkeit langfristiger Hilfen, z.B. im Jugendhilfebereich, sprechen Krieger
et al. (2006: 165) allerdings von einer faktischen Perspektivlosigkeit der Arbeit
mit Menschen ohne Aufenthaltsrechte.
Zum Schluss bemerkt auch Cyrus, dass die Möglichkeiten und Perspektiven der
Sozialen Arbeit mit Menschen ohne Aufenthaltsrecht durch die restriktiven recht-
75

lichen Rahmenbedingungen stark eingeschränkt würden, und verweist auf die
Konsequenz, Kritik an diesen Rahmenbedingungen zu üben und auf eine Veränderung
von Bestimmungen zu drängen, die legale Einwanderung unnötig erschweren.
So lange große wirtschaftliche Unterschiede in einer Welt mit nationalstaatlichen
Einwanderungskontrollen bestünden, so lange gäbe es auch aufenthaltsrechtliche
Illegalität. Der Sozialen Arbeit in der Einwanderungsgesellschaft
käme demnach eine wichtige Rolle bei den Bemühungen zu, „zum Schutz
des Einzelnen und zum Wohle Aller Menschenrechte zu achten und unnötige Härten
zu vermeiden.“ (Cyrus 2004a: 199)
4.4 Zwischen Regulationsinstanz und hilfreicher Ressource:
Möglichkeiten und Grenzen Sozialer Arbeit mit MigrantIn-
nen ohne Aufenthaltsrecht (Zwischenfazit)
Nachdem ich in Kapitel 4.1 gezeigt habe, dass mit der (graduellen) Entrechtung
von MigrantInnen ihre (graduelle) Ausschließung von nahezu allen wichtigen
gesellschaftlichen Ressourcen einhergeht und in diesem Zusammenhang auch
Soziale Arbeit als (Zugangs-)Ressource zu verstehen ist, die ihrerseits den Zugang
zu Ressourcen anhand von Kategorisierungen reguliert, und in Kapitel 4.2
am Beispiel des Tätigkeitsfeldes ‚Rückkehrberatung’ verdeutlicht habe, dass Soziale
Arbeit zunehmend eine wichtige Funktion für die Reproduktion des Migrationsregimes
einnimmt und dieser Funktionalisierung allein durch ‚guten Willen’
der BeraterInnen kaum entgegengewirkt werden kann, wurden in Kapitel 4.3 weitere
zentrale ‚Unsicherheiten’ der Sozialen Arbeit mit Menschen ohne Aufenthaltsrecht
benannt, die unter den gegebenen Rahmenbedingungen in unterschiedlichem
Maße auflösbar sind. So sind die Wohlfahrtsverbände zwar bereit,
ihren MitarbeiterInnen auf allgemeiner Ebene Rückendeckung für die Arbeit mit
illegalisierten MigrantInnen zu geben, wie das oben zitierte Positionspapier der
BAGFW zeigt; die konkrete Umsetzung aber wird durch die Abhängigkeit von
staatlichen Mitteln, aber auch durch die strafrechtliche Kriminalisierung bestimm-
76

ter Hilfeleistungen behindert. 35 Fachliche und kommunikative Unsicherheiten,
also etwa defizitäres Wissen darüber, welche Rechte und Ressourcen MigrantInnen
ohne Aufenthaltsrecht tatsächlich zur Verfügung stehen, können durch gezielte
Informationen an SozialarbeiterInnen ausgeräumt werden; an der relativen
Perspektivlosigkeit der Arbeit, am Mangel an Möglichkeiten, einen irregulären
Aufenthaltsstatus zu legalisieren, ändert sich hierdurch zunächst wenig. Und wiederum
die Abhängigkeit von staatlicher Finanzierung ist es, die auch eine konsequente
und radikale öffentliche Kritik an der politisch erzeugten Entrechtung von
MigrantInnen und damit den Rahmenbedingungen der mit ihnen befassten Sozialen
Arbeit massiv erschwert.
In diesem Unterkapitel möchte ich meine bisherigen Erkenntnisse engführen hinsichtlich
der Möglichkeiten und Grenzen der Sozialen Arbeit, unter, trotz und
entgegen diesen Bedingungen eine hilfreiche Ressource für MigrantInnen ohne
Aufenthaltsrecht darstellen zu können.
Gerade weil das postfordistische Migrationsregime, wie ich gezeigt habe, nicht
auf den Aspekt der ‚Abschottung’ und auch nicht auf den der Illegalisierung reduziert
werden kann, sondern die Ausschließung von MigrantInnen nur die eine,
ihre selektive und graduelle ‚Integration’ die andere Seite der Medaille ist, würde
eine dichotome Entgegensetzung zwischen staatlichen Interessen, die auf die Entrechtung
von MigrantInnen abzielten, und Sozialer Arbeit, die sich die gelingende
und autonome Lebensführung der Klientel zum Ziel setzte, zu kurz greifen. Auch
‚der Staat’ kann durchaus ein Interesse daran haben, Organisationen zu fördern,
die mit Illegalisierten arbeiten: soziale Probleme können entschärft und auf die
Zivilgesellschaft verschoben werden; zudem werden Informationen und Daten
über Wesen und Ausmaß irregulärer Migrationen leichter zugänglich (vgl.
Schwenken 2006: 16). Besonders auf kommunaler Ebene kann das Interesse an
der Entschärfung sozialer Widersprüche und der ‚Vermeidung unnötiger Härten’
groß und sogar gegenüber dem Interesse der konsequenten Umsetzung restriktiver
Migrationskontrollpolitiken prioritär werden (vgl. Simone Buckel 2008). Die Be-
35 Dass außerdem auch innerhalb der Träger Sozialer Arbeit und durch deren MitarbeiterInnen
Ausschlussdiskurse (re-)produziert werden, darauf wurde in dieser Arbeit schon mehrmals
hingewiesen.
77

dingungen für die Soziale Arbeit, unter den Rahmenbedingungen des postfordistischen
Migrationsregimes ‚hilfreiche Ressource’ für MigrantInnen ohne Aufenthaltsrecht
darstellen zu können, bestimmen sich daher maßgeblich mit über
den Grad der lokalen Autonomie und über die – je nach dem unterschiedlich zu
gewichtenden – Interessen- und Kräfteverhältnisse auf lokaler, Landes-, nationaler
und supranationaler Ebene.
Welche Rolle spielt nun die Perspektive der Autonomie der Migration, wie ich sie
zu Beginn dieser Arbeit vorgestellt habe, in diesem Zusammenhang? Meines
Erachtens hilft sie in mehrfacher Hinsicht in wertvoller Weise, den Blick zu erweitern:
Zum einen, indem sie irreguläre Migration als eine soziale Tatsache in
den Mittelpunkt rückt, die sich durch staatliche Kontrollpolitik nicht verhindern
lässt, und stattdessen Vorgänge der Entrechtung, Illegalisierung und damit der
sozialen Ausschließung in den Fokus der Analyse stellt. Zum zweiten, weil sie
diese Vorgänge nicht ontologisch voraussetzt, sondern als Ergebnisse sozialen
Handelns kritisch hinterfragt und, etwa mit der Forderung nach universellen
Rechten (vgl. Kap. 2.5), gegenhegemoniale Diskurspositionen einnimmt. Soziale
Arbeit kann von einem Analysestandpunkt, der die Perspektive der Autonomie
der Migration reflektiert, als widersprüchliche Akteurin im Konfliktfeld Migration
gedacht werden, die zum einen als Regulationsinstanz gegen die Autonomie
der Migration, zum anderen als hilfreiche Ressource zur Stärkung der Autonomie
der Migration agiert. Indem ich davon spreche, dass der Autonomie der Migration
Kräfte entgegenwirken und sie unter Umständen einer Stärkung bedarf, nehme ich
einen vorgebrachten Kritikpunkt am Konzept auf, nämlich seine Blindheit gegenüber
nicht-autonomen Aspekten der Migration (vgl. Kap. 2.6). Diese Relativierung
verstehe ich in doppeltem Sinne: Zum einen existiert die Autonomie der
Migration ‚nur’ relational, d.h. im Verhältnis zu anderen Kräften in gesellschaftlichen
Kräfteverhältnissen, die sich in Migrationsregimen verdichten. 36 Zum anderen
stehen hilfreiche soziale Netzwerke, die ein Überleben unter den Bedingungen
der Illegalisierung oft überhaupt erst ermöglichen, nicht allen MigrantInnen
36 Diese Relationalität betonen allerdings gerade auch VertreterInnen des Konzeptes: „Die [...]
Autonomie der Migration existiert offensichtlich nicht ohne die Politik der Kontrolle [...] –
und andersherum. Das Verhältnis zwischen beiden, ihre Bewegungsform, kann man nur bestimmen,
wenn man den modus operandi des Migrationsregimes in den Blick nimmt.“
(Bojadžijev/Karakayalı/Tsianos 2004: 24)
78

gleichermaßen zur Verfügung und sind ihrerseits oft von massiven Herrschaftsverhältnissen
durchzogen, die durch die tendenziell kollektivierende Sprache von
der Autonomie der Migration in den Hintergrund rücken. Soziale Arbeit als hilfreiche
Ressource zur Stärkung der Autonomie der Migration meint also, gerade
auch denjenigen MigrantInnen, die ansonsten wenig Zugang zu hilfreichen Ressourcen
(z.B. soziale Netzwerke, Arbeit oder Wohnraum) haben, Ressourcen zur
Verfügung zu stellen, zu vermitteln oder zu erschließen, die ihnen einen gewissen
Grad an Partizipation trotz und entgegen der Bedingungen der Entrechtung ermöglichen
und dadurch und darüber hinaus die Autonomie der migrantischen
Lebensführung, d.h. die Autonomie der Migration im gesellschaftlichen Kräfteparallelogramm
zu stärken.
In welchem Maße Soziale Arbeit auf diese oder eher auf regulierende, disziplinierende
Weise wirkt, welche Kategorisierungen und Zugangsbedingungen ihrer
Arbeit zugrunde liegen, ist von ihrem eigenen Selbstverständnis, vor allem aber
von den jeweiligen Kräfteverhältnissen im Migrationsregime, das auf unterschiedlichen
räumlich-politischen Maßstabsebenen ihre Rahmenbedingungen strukturiert,
und ihrer jeweils institutionsspezifischen Position in diesem abhängig. Darüber
hinaus zeigt sich, dass eine saubere analytische Trennung zwischen ‚Hilfe’
und ‚Kontrolle’, d.h. zwischen ‚partizipativen’ und ‚ausschließenden’ Wirkungsweisen
Sozialer Arbeit oftmals kaum möglich ist, da beide in der Praxis nebeneinander
existieren können. So kann etwa sozialarbeiterische Rückkehrberatung
einerseits unter Umständen hilfreich wirken, indem sie einen Ausweg aus den
unzulänglichen Lebensbedingungen der Entrechtung weist, erfüllt damit aber zugleich
die für die Reproduktion des Migrationsregimes wichtige Funktion, auf die
Ausreise ausreisepflichtiger Personen hinzuwirken und damit die autoritäre Entrechtungs-
und Abschiebepolitik durch deren sozialarbeiterische, ‚humane’ Flankierung
zu stützen.
Hier wird deutlich, dass aus einem kritischen Selbstverständnis Sozialer Arbeit
alleine nicht zwangsläufig eine kritische Praxis folgt oder folgen kann. Eine Kritik
der Sozialen Arbeit in ihrer Funktion im Regulationssystem der Migration muss
demzufolge nicht nur an einer bestimmten Art von Praxis innerhalb des Migrationsregimes,
sondern am Migrationsregime als ganzes artikuliert werden. Eine
79

Soziale Arbeit, die die Kritik an sozialen Ausschließungsmechanismen und ihrer
eigenen Mitwirkung an diesen ernst nimmt, sollte sich daher die Frage stellen, wie
sie ihrer eigenen Funktionalisierung im Migrationsregime entgegenwirken und
ihre Autonomie gegenüber staatlichen Interessen stärken kann und sich an gegenhegemonialen
Projekten beteiligen, die auf die Überwindung von Vergesellschaftungsformen,
die notwendig soziale Ausschließung hervorbringen, zielen. Solche
Perspektiven kritischer Sozialer Arbeit möchte ich zum Abschluss meiner Arbeit
andiskutieren.
4.5 Alternativen – von der Autonomisierung der Sozialen Arbeit
und dem Kampf um Rechte
Als ein zentrales Problem, das den Möglichkeiten Sozialer Arbeit, als hilfreiche
Ressource für MigrantInnen ohne Aufenthaltsrecht zu wirken, teilweise enge
Grenzen setzt, wurde die Abhängigkeit von staatlichen Rahmenbedingungen – sei
es durch direkte Abhängigkeit vom Staat als Arbeitgeber, durch finanzielle Fördergelder
oder durch gesetzliche Kriminalisierung von Hilfeleistungen – herausgearbeitet.
Daraus wäre zu schließen, dass die Bedingungen dafür, hilfreiche Ressource
zur Stärkung der Autonomie der Migration zu sein, durch eine erhöhte
Autonomie der Sozialen Arbeit gegenüber staatlichen Interessen verbessert werden
könnten.
Michael Galuske (2005: 44ff.) bezeichnet die starke Abhängigkeit von staatlicher
Steuerung und direkte Einbindung in bürokratische Organisationen als ein wichtiges
Merkmal der Strukturbedingungen des Handelns in der Sozialen Arbeit. Als
Belege für diesen Zusammenhang führt er u.a. die sozialrechtlichen Rahmenbedingungen,
innerhalb derer sie agiert, und die Abhängigkeit von der
(Re-)Finanzierung durch Bund, Länder oder Gemeinden an. Im sozialarbeiterischen
Berufsalltag breche sich das Verhältnis von KlientInnenerwartungen,
fachlicher Autonomie und staatlichen Anforderungen. Entgegen ihres Selbstverständnisses
als ‚helfender Beruf’ handle sie fast nie allein im KlientInnenauftrag,
sondern trage im Horizont staatlicher Funktionszuschreibungen zur Durchsetzung
gängiger Normalitätsmuster bei. Aus diesem vielfach diskutierten Verhältnis zwi-
80

schen ‚Hilfe’ und ‚Kontrolle’, dem ‚doppelten Mandat’ Sozialer Arbeit, resultiere
die Einschränkung ihrer professionellen Autonomie.
Im Zuge der ‚Politisierung’ Sozialer Arbeit ab den späten sechziger Jahren geriet
diese in ihrer ‚Normalisierungsfunktion’ zunehmend in die Kritik (vgl. Galuske
2005: 113ff.). In diesem Zusammenhang setzte eine ‚Professionalisierungsdebatte’
ein. Die Entwicklung vom ‚einfachen Beruf’ zur ‚gehobenen Profession’ gehe,
so die verbreitete Annahme, einher mit einem Zugewinn an Status, Ansehen, Bezahlung
und Autonomie (vgl. ebd.: 122). Gerade dem Autonomiegewinn wurde in
der Debatte eine hohe Bedeutung eingeräumt: Mit zunehmender Professionalisierung
solle der/die SozialarbeiterIn „auf der Grundlage des anerkannten Sachverstandes
einen größeren Freiheitsraum erlangen [...], seine Entscheidungen ohne
externen Druck durch Anstellungsträger, Klienten und andere zu treffen und
durchzusetzen.“ (Otto/Utermann 1971: 10) Eine so verstandene Professionalisierung
schiene also der Abhängigkeit Sozialer Arbeit von ihren staatlichen Rahmenbedingungen
entgegenwirken zu können. 37 Auf die Frage nach dem Grad der
Professionalisierung, den Soziale Arbeit bis heute erreicht hat, gibt es eine erhebliche
Bandbreite an Antworten, die jeweils unterschiedlich bewertet werden. Die
Erkenntnisse nicht nur dieser Arbeit belegen jedoch, dass eine wie auch immer
geartete Professionalisierung nicht zur ‚Befreiung’ Sozialer Arbeit aus ihren
mehrfachen Abhängigkeiten geführt hat. Im Gegenteil gewannen im Postfordismus
neben den weiterhin bestehenden ‚staatlichen Zwängen’ ‚ökonomische
Zwänge’ an Bedeutung (vgl. Kap. 3.2.1.2). Die Emanzipierung der Sozialen Arbeit
impliziert daher meines Erachtens die Suche nach alternativen Organisationsformen,
die eine erhöhte Autonomie gegenüber Staat und Markt ermöglichen.
Soziale Arbeit muss sich den Raum erkämpfen, den sie benötigt, um mitwirken zu
können an gegenhegemonialen Projekten mit dem Ziel, „alle Verhältnisse umzuwerfen,
in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes,
ein verächtliches Wesen ist“ (Marx 1975 [1844]: 497; Herv. i. Orig.) – statt, wie
37 Auch ‚externen Druck durch KlientInnen’ als abzubauendes Problem anzusehen, zeugt allerdings
von einer ‚expertokratischen’ Konzeption Sozialer Arbeit, d.h. einer Entmündigung und
Enteignung der Klientel von ihren sozialen Problemlösungskompetenzen (vgl. Staub-
Bernasconi 2007: 147).
81

sie es unter gegebenen Umständen oft genug tut, die Reproduktion von Herrschaft
über Menschen mit ihren Mitteln abzusichern. 38
Wie ein solches gegenhegemoniales Projekt im ‚Konfliktfeld Migration’ aussehen
könnte, möchte ich zum Ende meiner Arbeit andiskutieren. Dabei möchte ich
mich an dieser Stelle auf unterschiedlich weit gefasste politische Forderungen
nach ‚Rechten’ konzentrieren – zum einen, da diese, wie ich in Kapitel 2 gezeigt
habe, unter Umständen eine progressivere Alternative zu diskursiven Interventionsformen
darstellen, die z.T. viktimisierende Bilder von Migration und/oder Unterscheidungen
in ‚legitime’ (weil z.B. ‚schutzwürdige’ oder ‚nützliche’) und ‚illegitime’
(weil z.B. ‚nicht-schutzwürdige’ oder ‚unnütze’) MigrantInnen zu affirmieren
drohen, zum anderen, da in ihnen wiederum die Ambivalenz liegt, mit
dem ‚Recht’ auf eine der wesentlichen Strukturkategorien bürgerlichkapitalistischer
Gesellschaften bezogen zu bleiben.
Nachdem über Jahre hinweg ForscherInnen (vgl. z.B. Alt 2003: 464-518, Anderson
2003: 98ff., Cyrus 2004b: 43ff., Krieger et al. 2006: 208ff., Bommes/Wilmes
2007: 114ff.), Wohlfahrtsverbände (vgl. z.B. BAGFW 1999), Kirchen (vgl. z.B.
Deutsche Bischofskonferenz 2001) und weitere zivilgesellschaftliche AkteurInnen
sowie auch die von der Bundesregierung eingesetzte ‚Süssmuth-Kommission’
(vgl. UKZu 2001: 196ff.) Vorschläge zur Vermeidung von ‚sozialen Härten’ in
die politische Debatte um illegal(isiert)e Migration eingebracht hatten, werden
mittlerweile „durch die Hintertüren der Kommunal- und Gesundheitspolitik“
(John 2008: 89) realpolitisch-pragmatische Umgangsweisen mit den sozialen Realitäten,
die durch unkontrollierte Migrationen und deren Illegalisierung geschaffen
werden, verhandelt. Das heißt keineswegs, dass die Achtung von Menschenrechten
gegenüber repressiv-ordnungspolitischen Zielen in der Migrationspolitik die
Oberhand gewonnen hätte, sondern verdeutlicht einmal mehr, dass das Migrati-
38 Ohne hier eingehend auf die einzelnen Konzepte eingehen und sie in Bezug auf Migrationssozialarbeit
spezifizieren und gegebenenfalls modifizieren zu können, können einige vielversprechende
Versuche genannt werden, Soziale Arbeit von anderen Prämissen her zu denken
und zu praktizieren: etwa die Konzeptionen von Sozialer Arbeit als Teil einer für alle frei verfügbaren
sozialen Infrastruktur (vgl. links-netz 2003-2007; Widersprüche-Redaktion 2005), in
Sozialgenossenschaften (vgl. Kunstreich 2005), als ‚radical social work’ gegen Ungerechtigkeit
und Unterdrückung (vgl. Gil 2006) oder als ‚gebrauchswertorientierte’ Soziale Arbeit
(vgl. Oelerich/Schaarschuch 2005; Cremer-Schäfer 2008).
82

onsregime eine widersprüchliche und konflikthafte Verdichtung von Kräfteverhältnissen
ist, in der auch staatliche Institutionen teilweise bereit oder gezwungen
sind, Momente der Autonomie der Migration anzuerkennen und zu versuchen,
einen Umgang mit ihnen zu finden. Diese Kontextbedingungen können unter Umständen
einen relativ günstigen Diskursrahmen für Forderungen nach Legalisierung
sowie nach öffentlicher Förderung ressourcenorientierter Sozialer Arbeit mit
und für illegalisierte(n) MigrantInnen darstellen.
Die Gesellschaft für Legalisierung nimmt in ihrer Forderung nach kollektiven
Rechten für alle MigrantInnen explizit Bezug auf die Autonomie der Migration:
„Wir haben das Recht, unsere Löhne einzuklagen [...], uns am Arbeitsplatz gegen
Unfälle zu versichern [, ...] unsere Kinder in die Schule zu schicken [...]. Und wo
es kein Recht gibt, da nehmen wir es uns und sorgen dafür, dass es zur Not auch
anders möglich ist.“ (Gesellschaft für Legalisierung 2003) Die GfL-
‚GesellschafterInnen’ Frank John, Efthimia Panagiotidis und Vassilis Tsianos
(2008) sehen in der postnationalen flexiblen BürgerInnenschaft „eine mögliche
Antwort auf die Krise des Souveränismus und der postindustriellen Migrationsregime“
(ebd.: 30).
Tatsächlich häufen sich im wissenschaftlichen und politischen Diskurs die Diskussionsbeiträge,
in denen die Ausschließung von MigrantInnen scharf kritisiert
wird – so spricht etwa Étienne Balibar von einer „europäischen Apartheid“ (Balibar
2005 [2001]: 276) – und neue Konzepte von BürgerInnenschaft und Partizipation
eingefordert werden. 39 So schlägt Seyla Benhabib (2008: 155) vor, BürgerInnen
aus Drittländern sollten die europäische Unionsbürgerschaft ohne vorherige
nationale Zugehörigkeit zu einem EU-Staat erwerben können. Hierzu müssten sie
jedoch weiterhin bestimmte Kriterien erfüllen, z.B. über einen bestimmten Zeitraum
innerhalb der EU-Grenzen ansässig sein oder Sprachkenntnisse in einer der
in der Union offiziell anerkannten Sprachen nachweisen können. Balibar plädiert
für eine „Demokratisierung der Grenzen“ (2005 [2001]: 285), also dafür, „Grenzübertritte
[...] auszuhandeln, statt sie zum Gegenstand einseitiger politischer Ent-
39 Neben den hier genannten AutorInnen sei das neue Buch der US-amerikanischen Soziologin
Saskia Sassen (2008) als weiteres Beispiel sowie der Herausgeberband von Mackert und Müller
(2007) als Überblick über die Debatten über Citizenship genannt.
83

scheidungen zu machen, [...] [u]nd damit allmählich ein allgemeines Reise- und
Aufenthaltsrecht zu schaffen“ (ebd.: 286; Herv. i. Orig.). Die Aufgabe sei, die im
Postfordismus zunehmend „in Frage gestellte soziale Staatsbürgerschaft gleichzeitig
zu verteidigen und auszudehnen [...], und eine neue Form und ein neues Konzept
der (Staats-)Bürgerschaft zu erfinden“ (Balibar 2001: 13; Herv. i. Orig.) –
„keine ›europäische Staatsbürgerschaft‹, sondern eine ›Bürgerschaft in Europa‹“
(Balibar 2005 [2001]: 286).
Dem Optimismus, den z.B. Benhabib (2008: 71) formuliert, wenn sie eine „Ausweitung
kosmopolitischer Normen“ in Europa behauptet und „vielversprechende
neue politische Strukturen sich entwickeln“ sieht, kann mit Bonnie Honig entgegnet
werden, dass die Exklusion von nicht-europäischen MigrantInnen aus der
‚Bürgerschaft’ keineswegs als ‚Rest’ anzusehen ist, der in einer evolutionären
Durchsetzung kosmopolitischen Rechts bald überwunden würde, sondern vielmehr
„das direkte Produkt des politischen Projekts der Formierung Europas ist –
eines Prozesses, [...] der nicht nur die Überwindung nationaler Zugehörigkeit befördert,
sondern der zugleich nationale Zugehörigkeit bewahrt.“ (Honig 2008:
103) Der aktuelle Pakt zu Einwanderung und Asyl untermauert beispielhaft diese
Kritik: Der bisherigen Legalisierungspraxis einiger EU-Staaten soll ein Riegel
vorgeschoben und damit von den Nationalstaaten bislang teilweise flexibel handhabbare
Grenzziehungen zwischen EU-BürgerInnen und Nicht-EU-BürgerInnen
auf EU-Ebene festgeschrieben werden (vgl. Council of the European Union: 7).
Dennoch oder gerade deswegen wurde in den Debatten ‚globalisierungskritischer’
sozialer Bewegungen in den letzen Jahren zunehmend über ‚Globale Soziale
Rechte’ diskutiert (vgl. Redaktion Fantômas 2008; Kritischer Bewegungsdiskurs
2007). Mit der Diskussion um ‚GSR’ – verstanden als für alle Menschen universell
in gleicher Weise gültige, also auch von der Staatsbürgerschaft und dem derzeitigen
Aufenthaltsort unabhängigen Rechte – werden Hoffnungen verbunden,
verschiedene soziale Kämpfe zu verbinden und „endlich wieder ein perspektivisches
Ziel und damit strategisches Vorgehen zu entwickeln, das die Hoffnung
eines Wechsels von einer defensiven zu einer offensiven Position einlösen könnte“
(Kritischer Bewegungsdiskurs 2007). Demirović (2007) sieht dabei die Gefahr,
mit der ‚GSR’-Diskussion auf der Ebene der Normen zu verbleiben – und
84

auf normativer Ebene seien zahlreiche soziale Rechte bereits durch die Allgemeine
Erklärung der Menschenrechte ‚verwirklicht’. Vielmehr stelle sich die „Frage,
welche Art und Weise gesellschaftlicher Organisation notwendig wäre, Menschenrechte
praktisch wirksam zu machen.“ (ebd.)
Den Forderungen der zitierten AutorInnen und den Kämpfen von MigrantInnen
um die Ausweitung und Rekonstituierung von Rechtssubjektivität liegt der Widerspruch
zugrunde, gegen soziale Ausschließungen mit dem ‚Recht’ ausgerechnet
ein wesentliches Herrschaftsprinzip kapitalistisch und nationalstaatlich verfasster
Gesellschaften in Anschlag zu bringen (vgl. Sonja Buckel 2008a: 23).
„Der Diskurs über Rechte gesteht in der Tat unsere gesellschaftliche Abhängigkeit
ein: ‚the mode of our being in the hands of others’, in den Worten [Judith]
Butlers [...]. Rechtssubjektivität ist stets umkämpft. [...] Die Geschichte der Exklusion
ist bekannt, sie traf Frauen und rassifizierte oder (post-)koloniale Andere.
Heute sind es vor allem die Illegalisierten, denen der Rechtsstatus faktisch
versagt wird. So problematisch die hegemoniale Subjektkonstitution durch das
Recht auch ist, so lebensbedrohlich ist zugleich die Verweigerung der Rechtssubjektivität.“
(Sonja Buckel 2008b: 120)
Fortschrittliche soziale Bewegungen – und damit auch die Soziale Arbeit in ihrem
Bemühen, Teil einer solchen zu werden – sollten daher einerseits Skepsis an den
Tag legen, wenn es darum geht, rechtliche Regulationen zu befürworten; ansonsten
bestünde die Gefahr, so Judith Butler, „die spezifische diskursive Macht [zu
übersehen], die an den Staat übergeht, wenn er mit Rechtsmitteln vorgehen kann“
(zit. n. Sonja Buckel 2008b: 116; Herv. i. Orig.). Andererseits ist das Vorenthalten
von Rechten in unserer Gesellschaft zentraler Modus der sozialen Ausschließung
von (irregulären) MigrantInnen, sind Rechte also zumindest dasjenige, „which we
cannot not want“ (Wendy Brown, zit. n. Sonja Buckel 2008b: 110; Herv. i. Orig.)
– d.h. die Verteidigung und Ausdehnung, die Aneignung und Durchsetzung von
Rechten sollte durchaus Gegenstand und Ziel einer emanzipatorischen Politik
sein, die anerkennt, selbst nicht frei von Widersprüchen sein zu können und zu
müssen. Dass eine solche Politik nicht in einem ‚politischen Fordismus’ bestehen
kann, „der den Kampf um soziale Aneignung nur in Form der Verteidigung natio-
85

nal-sozialer Rechte denken kann“, schließen auch Karakayalı und Tsianos (2005:
60): es gelte, „dieser Beschränkung des Kampfes um ein besseres Leben, nicht
nur analytisch den Boden zu entziehen.“ (ebd.)
5 Fazit
In Bezug auf die Ausgangsfragen, die ich in der Einleitung formuliert habe,
möchte ich zum Abschluss dieser Arbeit die Antworten, die ich auf diese Fragen
gefunden zu haben meine, prägnant zusammenzufassen, aber auch zeigen, wo
noch Leerstellen und weitere Reflexionsbedarfe geblieben sind.
Welche Rolle spielt Soziale Arbeit im Konfliktfeld Migration? Ich habe gezeigt,
dass Soziale Arbeit als Akteurin im Konfliktfeld Migration weder neutral ist noch
auf eine Funktion, weder die der ‚Hilfe’ noch die der ‚Kontrolle’, reduziert werden
kann, sondern unterschiedliche und widersprüchliche Rollen einnimmt. Einerseits
erfüllt sie Regulationsfunktionen im Migrationsregime und arbeitet damit
der Autonomie der Migration entgegen. Sie verwaltet Ressourcen und reguliert
den Zugang zu diesen anhand von Grenzziehungen und Kategorisierungen, die ihr
teilweise durch rechtliche Normen vorgegeben werden, die sie aber auch selbst
(re-)produziert. Im Rahmen einer dezentralen ‚Governance’ der Migration werden
zivilgesellschaftliche Akteure mit ihren spezifischen Handlungsweisen im Postfordismus
zunehmend ins Migrationsregime eingebunden. In diesem Zusammenhang
habe ich auch die zunehmende Förderung sozialarbeiterischer Rückkehrberatung
verortet. Soziale Arbeit leistet hier einen Beitrag zur Reproduktion des
Migrationsregimes, in dem sich Abschiebungs- und Rückkehrförderungspolitiken
gegenseitig ergänzen und verstärken. Allein durch ein kritisches Bewusstsein für
diese Funktionalisierung kann dieser angesichts finanzieller, politischer und rechtlicher
Abhängigkeiten gegenüber dem Staat kaum entgegengewirkt werden. Andererseits
ist Soziale Arbeit aber auch hilfreiche (Zugangs-)Ressource. Indem sie
MigrantInnen unter, trotz und entgegen den Bedingungen der Entrechtung Ressourcen
zur Verfügung stellt, kann sie diesen Partizipationsmöglichkeiten eröffnen
und somit die Autonomie der Migration stärken. Die Möglichkeiten, als hilf-
86

eiche Ressource zu wirken, werden allerdings durch die wirkungsmächtigen Prozesse
der Entrechtung und der sozialen Ausschließung von MigrantInnen im postfordistischen
Migrationsregime sowie durch ökonomische, politische und rechtliche
Abhängigkeitsverhältnisse massiv eingeschränkt. Das Verhältnis zwischen
regulativen und hilfreichen Wirkungsweisen Sozialer Arbeit bestimmt sich maßgeblich
über die Kräfteverhältnisse im Migrationsregime, das auf unterschiedlichen
räumlich-politischen Maßstabsebenen – also etwa auf kommunaler, Landes-,
nationaler und EU-Ebene – die Lebensbedingungen von MigrantInnen und die
Rahmenbedingungen der mit ihnen befassten Sozialen Arbeit strukturiert, in Verbindung
mit der institutionsspezifischen Funktion und Position in diesem und dem
normativen Selbstverständnis von Einrichtung und MitarbeiterInnen. Wenn ich
frage, welche Bedingungen gegeben sein müssten, damit Soziale Arbeit eher als
hilfreiche Ressource denn als Regulationsinstanz wirken könnte, so muss die
Antwort auf all diese Aspekte zielen. Würde eine Kritik allein auf das normative
Selbstverständnis Sozialer Arbeit fokussieren, so würde diese vernachlässigen,
dass eine ‚kritische’ Selbstverortung unter den Bedingungen ungünstiger Kräfteverhältnisse
mit den restriktiven Rahmenbedingungen in Widerspruch gerät und
so seiner ‚Realisierbarkeit’ enge Grenzen gesetzt sind, etwa wenn bestehende
Gesetze kaum Partizipationsperspektiven zulassen, wenn Sozialer Arbeit die rein
defensive Aufgabe zukommt, Verwaltungshandeln dahingehend zu beeinflussen,
dass bestehende Spielräume nicht auch noch zu Ungunsten der KlientInnen genutzt
werden, wenn Soziale Arbeit sich unter dem Druck finanzieller Abhängigkeiten
mangels Alternativen in den Dienst der Rückkehrförderung statt der Eröffnung
von Partizipationsmöglichkeiten stellt. Zwar kann auf eine kritische normative
Standortbestimmung und Selbstreflexion Sozialer Arbeit meines Erachtens
weiter nicht verzichtet werden; darüber hinaus muss es jedoch auch um eine
grundsätzliche politische Kritik am Migrationsregime gehen. Da die Bedingungen
der Abhängigkeit von ‚Staat’ und/oder ‚Markt’, unter denen Soziale Arbeit gegenwärtig
arbeitet, auch ihre Möglichkeiten politischen Engagements stark einschränkt,
geht es auch darum, Organisationsformen zu entwickeln, die eine erhöhte
Autonomie der Sozialen Arbeit gegenüber den sie einschränkenden Zwängen,
eine stärker ressourcen- und gebrauchswertorientierte Ausrichtung und die Beteiligung
an gegenhegemonialen Projekten ermöglichen. Damit soll keine zeitliche
und qualitative Hierarchisierung der ‚Ziele’ und ‚Strategien’ kritischer Sozialer
87

Arbeit vorgenommen werden: Auch unter den derzeitigen Bedingungen gibt es –
gerade auf kommunaler Ebene – Ansatzpunkte für eine ressourcenorientierte Soziale
Arbeit, die die (relative) Autonomie der Migration als Argumentationshilfe
nutzen kann, um bessere Lebensbedingungen für ihre Klientel und bessere Arbeitsbedingungen
für sich selbst einzufordern.
Nicht leistbar im Rahmen dieser Arbeit war eine differenziertere Auseinandersetzung
mit der Frage, wie das Verhältnis zwischen ‚hilfreichen’ und ‚regulativen’,
‚partizipativen’ und ‚ausschließenden’ Wirkungsweisen Sozialer Arbeit sich arbeitsfeld-,
institutionen- oder auch klientelspezifisch unterscheidet, sind hier doch
gewaltige Unterschiede zwischen z.B. der Straßensozialarbeit mit jungen Prostituierten
in freier Trägerschaft, der Gesundheitsberatung im kommunalen Gesundheitsamt,
der Sozialberatung im Flüchtlingswohnheim oder im Abschiebegefängnis
und der Rückkehrberatung bei der Diakonie anzunehmen.
Zudem ist es mir, trotz des (ebenfalls normativen) Suchens nach ‚Alternativen’
zum Ende, kaum gelungen, der Analyse der Widersprüche der Sozialen Arbeit im
Konfliktfeld Migration konkrete Handlungsvorschläge folgen zu lassen, die unmittelbar
geeignet wären, diese Widersprüche zugunsten einer emanzipatorischen
Praxis aufzulösen. Dies zeigt jedoch umso mehr, dass, wie Cremer-Schäfer (2001:
68) schreibt, aus der Kritik der Funktionsweise von Institutionen „kein ‚rationaler
Plan’ einer alternativen Politik“ folgt. Ein guter Wille oder Wertorientierungen
seien, so Cremer-Schäfer, die schwächsten Voraussetzungen (trotzdem, so meine
ich, bleiben sie Voraussetzungen) für die Arbeit an „Befreiungen vom Eingeschlossensein
in den Gegenstand“ (2008: 82) bzw., so ließe sich präzisierend hinzufügen,
von der Mitwirkung an Ausschließungsprozessen im Migrationsregime.
Solange keine sozialen Bewegungen in Sicht sind, die bereit und in der Lage wären,
eine solche alternative Politik der Befreiung durchzusetzen, setzt die ‚Besinnung’
auf ein ‚politisches Mandat’ Sozialer Arbeit zunächst „das (intellektuelle)
Verstehen der Politik, die mit Praxis gemacht wird“ (Cremer-Schäfer 2001: 68),
voraus. In diesem Sinne verstehe ich diese Arbeit als Diskussionsbeitrag, in der
Überzeugung, dass Analyse und Kritik unverzichtbar sind für alle Versuche, die
Risse in der Hegemonie des Migrationsregimes zu vergrößern und den Beschrän-
88

kungen des Kampfes um ein besseres Leben eben auch mittels der Praxis Sozialer
Arbeit den Boden zu entziehen.
89

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Versicherung über die eigenständige Anfertigung der Arbeit
und Kenntlichmachung aller benutzten Quellen
Ich versichere, die vorliegende Arbeit eigenständig angefertigt und alle benutzten
Quellen im Literaturverzeichnis kenntlich gemacht zu haben.
Mannheim, 15.01.2009
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