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Barbara Pflüger - Schmerztagebuch - Yumpu

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<strong>Barbara</strong> <strong>Pflüger</strong><br />

Schmerz lass nach!<br />

EIN LEBEN ALS<br />

SCHMERZPATIENT<br />

Verlag für Text- und Bildmedien Theodor Gerdon


Verlagsangaben<br />

Verlag für Text- und Bildmedien Theodor Gerdon<br />

Biberacher Str. 3<br />

88410 Bad Wurzach<br />

Deutschland<br />

Mobil: 0151 40764189<br />

E-Mail: verlag@itandmore.eu<br />

Internet: www.itandmore.eu<br />

• Materialsammlung, Textbearbeitung und Redaktion: <strong>Barbara</strong> <strong>Pflüger</strong><br />

• Lektorat: Christa Wilhelm M.A.<br />

• Design, Layout, Umschlaggestaltung und Satz: Theodor Gerdon<br />

ISBN: 978-3-947150-01-4<br />

1. durchgesehene Auflage 2017<br />

© Verlag für Text- und Bildmedien Theodor Gerdon<br />

Alle Rechte vorbehalten. Alle Rechte stehen unter dem internationalen<br />

Copyright-Gesetz. Inhalt und/oder Umschlag dürfen im Gesamten<br />

oder auszugsweise nur mit ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung<br />

des Herausgebers wiedergegeben werden.<br />

Druck und Bindung: Frick Kreativbüro & Onlinedruckerei e.K.<br />

86381 Krumbach, Deutschland<br />

http://www.online-druck.biz<br />

Printed in Germany


Inhaltsverzeichnis<br />

1. Prolog 9<br />

2. Nackenschmerzen 10<br />

3. Beginn einer Odyssee zu den Ärzten 14<br />

4. Das neue Jahr 2014 18<br />

5. Keine Veränderung 22<br />

6. Maßnahmen vor der Reha 25<br />

7. Meine ambulante Reha 27<br />

8. Vorstellung in der Neurochirurgie 32<br />

9. Meine Familie 36<br />

10. Die Angst vor der Myelographie 38<br />

11. Aufklärungsgespräche 41<br />

12. Der Tag der Operation 43<br />

13. Wieder zu Hause 46<br />

14. Warten 49<br />

15. In der Unfallnotaufnahme 50<br />

16. Telefonate 51<br />

17. Ein erneuter Klinikaufenthalt 52<br />

18. Gedanken zum Klinikalltag 57<br />

19. Folgen der Myelographie 60<br />

20. Besuch beim Schmerztherapeuten 62<br />

21. Zweitmeinungen 65<br />

22. Frau Dr. Schlüter 69<br />

23. Ein guter Anfang - ein enttäuschendes Ende 74


24. Der Beginn des nächsten Jahres 77<br />

25. Das Funktions-MRT 80<br />

26. Mein Aufenthalt in der Schmerztagesklinik 87<br />

27. Erwerbsminderungsrente 91<br />

28. Aussteuerung 94<br />

29. Die Tage bis zur zweiten Operation 96<br />

30. Die stationäre Aufnahme 99<br />

31. Der Abend davor 102<br />

32. Zweite Halswirbeloperation 104<br />

33. Der Tag danach 107<br />

34. Eine neue Bettnachbarin - die türkische Familie 109<br />

35. Die Bitte um ein Arztgespräch 111<br />

36. Erfahrungen eines Morgens 115<br />

37. Postoperative Versorgung 116<br />

38. Schmerzempfinden und Schmerzmedikation 118<br />

39. Ungewollte Perspektiven 121<br />

40. Gedanken, die mich bewegen 126<br />

41. Der Umgang mit Schmerzpatienten 127<br />

42. Eine weitere „zweite Meinung“ 130<br />

43. Die Praxis für rehabilitative und physikalische Medizin 132<br />

44. Positive Nachrichten 134<br />

45. In der Klinik für konservative Orthopädie 137<br />

46. Dr. Berg 139<br />

47. Volle Erwerbsminderungsrente auf Zeit 144<br />

48. Atempause 145


49. Das Upright-MRT 147<br />

50. Plan „B“ 154<br />

51. Rückenmarkstimulation 156<br />

52. Bekanntschaft mit Dr. Kammerer 159<br />

53. Die Einschätzung meines Funktions-MRTS 160<br />

54. Der Zufall 164<br />

55. Eine grundlegende Meinungsänderung 166<br />

56. Ein neuer Weg 169<br />

57. Die dritte Operation 173<br />

58. Die Intensivstation 178<br />

59. Auf Station „A“ 181<br />

60. Tage, Wochen, Monate danach 183<br />

61. Selbsthilfe 186<br />

62. Was es bedeutet, Schmerzpatient zu sein 187<br />

63. Was ich aus den vergangenen Monaten gelernt habe 189<br />

64. Unser Gesundheitssystem 190<br />

65. Ende 192<br />

66. Epilog 193<br />


•<br />

Steht dir ein Schmerz bevor,<br />

oder hat er dich bereits ergriffen, so<br />

bedenke, daß du ihn nicht vernichtest,<br />

indem du dich von ihm abwendest!<br />

Sieh‘ ihm fest ins Auge.<br />

Ernst Freiherr von Feuchtersleben<br />

(1806 - 1849), österreichischer Popularphilosoph, Arzt, Lyriker und<br />

Essayist<br />

Quelle: Feuchtersleben, Zur Diätetik der Seele, 1838<br />


1. Prolog<br />

Ich schreibe dieses Buch, weil ich seit drei Jahren Schmerzen habe<br />

und fast nichts an Möglichkeiten ausgelassen habe, diese zu bekämpfen<br />

bzw. deren Ursache zu finden. Ich habe während der vergangenen<br />

Monate so viel erlebt, dass ich diese Erfahrungen gerne an andere Patienten<br />

weitergeben möchte. Ich will ihnen Hoffnung machen und sie<br />

ermutigen, nicht aufzugeben.<br />

Ich möchte sie auffordern, sich nicht nur ausschließlich dem Urteil<br />

eines einzigen Arztes auszusetzen und sich zu fügen, sondern diesem<br />

kritisch gegenüberzustehen, nachzufragen und im Bedarfsfall immer<br />

eine zweite Meinung einzuholen. Es entsteht aber auch aus der Tatsache<br />

heraus, dass ich mich nicht mit meinen Schmerzen und Einschränkungen<br />

abfinden kann und nicht möchte, dass dieser Zustand von nun<br />

an mein Leben beeinflussen und bestimmen wird.<br />

Ein weiterer Grund, warum es zum Schreiben dieses Buches kam, ist<br />

die Information der Gesellschaft: Ein Schmerzpatient muss viele steinige<br />

Wege und kleine Schritte gehen, um für Außenstehende kaum<br />

sichtbare Fortschritte bzw. eine wahrnehmbare Besserung zu erlangen.<br />

Die häufig vertretene Meinung: „der Patient hat es schön, weil er über<br />

Monate, manchmal sogar Jahre nicht arbeitet und sein Leben genießen<br />

kann“, täuscht. Für einen chronischen Schmerzpatienten bedeutet<br />

seine Leidenszeit harte Arbeit. Sie ist mit vielen Verzichten und Einschränkungen,<br />

sowie mangelnder Lebensqualität verbunden um sein<br />

Ziel, seine Gesundheit zu erhalten.<br />

Mir ist es ein Anliegen Verständnis zu schaffen, sowie die Öffentlichkeit<br />

sensibler für die Belange von Schmerzpatienten zu machen, denn<br />

hinter jedem Schmerzpatient steckt eine eigene Geschichte.<br />

9


2. Nackenschmerzen<br />

Die Geschichte, die ich erzählen möchte, begann an einem Nachmittag<br />

im Mai 2013. Ich saß gemütlich im Garten meiner Freundin. Sie<br />

hatte sich neue Gartenstühle angeschafft, und wir tauschten uns, wie<br />

so oft, Neuigkeiten der vergangenen Tage aus, als ich während der<br />

Unterhaltung plötzlich ein leichtes Kribbeln, vergleichbar mit einem<br />

Ameisenrennen entlang des Nackens und im Bereich der Wirbelsäule<br />

wahrnahm. Was macht man mit so einer Wahrnehmung? Ich versuchte,<br />

sie zunächst zu ignorieren und besann mich auf unser Gespräch.<br />

Allerdings traten beim Blickkontakt und Fixieren meines Gegenübers<br />

Sehstörungen und ein leichter Schwindel auf. Nach einigen Minuten<br />

war alles wieder wie immer, und so dachte ich mir, dass dies ein<br />

einmaliger Zustand gewesen sei – vielleicht etwas mit dem Kreislauf<br />

– und ich vergaß diese unangenehme Situation. In der Zeit bis Juli<br />

wiederholten sich derartige Missempfindungen, allerdings für andere<br />

sicherlich nicht wahrzunehmen, für mich umso belastender, da sich<br />

die Länge und Intensität der „Ameisenläufe“ steigerte. Hinzu kamen<br />

immer häufiger Sehstörungen, die hauptsächlich beim Fixieren von<br />

Gegenständen, sowie bei direktem Blickkontakt auftraten.<br />

In der Zwischenzeit bekam ich noch zusätzlich starke Nackenbeschwerden<br />

und ziehende Kopfschmerzen im Bereich des Hinterkopfes.<br />

Ich bemerkte, dass sich meine Beschwerden im Sitzen und im Stehen<br />

verstärkten, sich jedoch bei jeglicher Art von schneller Fortbewegung<br />

besserten, bzw. gar nicht erst auftraten. Ein entspanntes Liegen auf<br />

dem Sofa war mir nicht mehr möglich, wenn ich links gelagert eine<br />

bestimmte Haltung annahm.<br />

Ich trage seit meinem vierten Lebensjahr eine Brille und mein Sehvermögen<br />

ist sehr eingeschränkt. In Anbetracht der Sehstörungen suchte<br />

ich deshalb einen Augenarzt auf, der mir eine Brille mit einer anderen<br />

Sehstärke verordnete und meine Schwierigkeiten beim Sehen auf die<br />

zu schwachen Gläser meiner Brille zurückführte. So kam ich zwar un-<br />

10


erwartet zu einer neuen Brille, der erhoffte Effekt des klaren Sehens<br />

beim Fixieren trat jedoch nicht ein. Die Nackenschmerzen steigerten<br />

sich zunehmend, weshalb ich im August zu einem Orthopäden ging,<br />

der mir ein pflanzliches Präparat mit niedriger Dosierung in den Nacken<br />

spritzte und mir zur Wiederholung riet. Vom Schmerz befreit<br />

setzte ich mich erleichtert in ein Cafe, in dem ich mit meinem Mann<br />

verabredet war. Ich genoss den schmerzfreien Glückszustand samt der<br />

bestellten Himbeertorte. Zwei Stunden später ließ die Wirkung des<br />

injizierten Präparates komplett nach.<br />

Nachdem ich dreimal in zweiwöchigen Abständen diese Spritzen erhalten<br />

hatte, bekam ich vom Arzt eine Halskrause verordnet. Er riet<br />

mir, diese mehrere Stunden am Tag zu tragen und mit der Einnahme<br />

von Ibuprofen wären die Schmerzen mit großer Wahrscheinlichkeit<br />

gut in den Griff zu bekommen. Dies war aber leider nicht der Fall - im<br />

Gegenteil - die Schmerzintensität nahm noch weiter zu.<br />

Ich bin von Beruf Erzieherin, arbeitete in einer Kindertagesstätte und<br />

merkte sehr schnell, dass mir einige Tätigkeiten, wie etwa das Sitzen an<br />

kleinen Tischen und auf niedrigen Stühlen, sowie das Stehen auf dem<br />

Spielgelände sehr schwer fielen. Ich könnte hier noch viele Beispiele<br />

anführen, die meine Schmerzen und die Kribbelparästhesien hervorriefen:<br />

beispielsweise beim simplen Stehen auf einer Stelle.<br />

Kribbelparästhesien sind Missempfindungen im Versorgungsgebiet<br />

eines Hautnervs. Sie werden von den Betroffenen meist als Kribbeln<br />

„Ameisenlaufen“, Pelzigkeit, Prickeln oder Jucken beschrieben. Die<br />

Berührungsempfindlichkeit der Haut ist unangenehm. Es kann sogar<br />

ein gestörtes Kälte- und Wärmeempfinden entstehen. Zurückzuführen<br />

sind diese Parästhesien unter anderem auf eine Schädigung sensibler<br />

Bahnen des zentralen Nervensystems.<br />

Für mich trifft das Wort „Ameisenlaufen“ genau zu. Es fühlt sich an,<br />

als wäre eine ganze Ameisenkompanie auf meinem oberen Rückenund<br />

Nackenbereich unterwegs. Ich werde unruhig und selbst „krib-<br />

11


elig“, was für mein Gegenüber oder für meine Mitmenschen häufig<br />

nicht nachvollziehbar und störend ist.<br />

Meine Unruhe äußert sich, indem ich auf meinem Stuhl hin und her<br />

rutsche, mit meiner Hand versuche, meinen Nacken zu massieren oder<br />

mit den Schultern kreise. Manchmal stehe ich einfach spontan auf und<br />

täusche eine Tätigkeit, die erledigt werden muss, vor, nur um mich zu<br />

bewegen. In der Bewegung empfinde ich das Kribbeln nicht so intensiv<br />

als in der Sitzhaltung oder im Stehen.<br />

Das Sitzen ist für mich alles andere als entspannend, da ich hier besonders<br />

diese Missempfindungen spüre. Für mich bedeutet es, wenn<br />

das Verhältnis von Tisch und Stuhl nicht passt, bzw. Stühle keine hohe<br />

Lehne haben, an der ich mich richtig mit dem Rücken oder mit meinem<br />

Schulter-Nackenbereich abstützen und anlehnen kann, dass ich<br />

dann starke Schmerzen habe. Sitzgelegenheiten, deren Sitzfläche und<br />

Lehne sich nach hinten neigen, sind für mich schmerzprovozierend<br />

und darum in meinem Fall überhaupt nicht zu gebrauchen.<br />

Wenn beispielsweise alle in geselliger Runde entspannt um einen Tisch<br />

sitzen, bin ich meistens angespannt und versuche, mich durch das Ausprobieren<br />

unterschiedlicher Haltungen in eine einigermaßen erträgliche<br />

Position zu bringen, um die Zeit irgendwie zu überstehen. Nicht<br />

immer gelingt mir das, und dann wird so ein Beisamensein für mich<br />

zur Qual.<br />

Zu diesem Zeitpunkt wurde vermutet, dass meine hauptsächlich im<br />

Sitzen und Stehen auftretenden Schmerzen und das damit verbundene<br />

Kribbeln wahrscheinlich auf eine Facettenüberbelastung zurückzuführen<br />

seien. Es sei ein Krankheitsbild, dem eine degenerative Erkrankung<br />

und der Wirbelsäule zugrunde liege. Die Ursache können Abnutzungserscheinungen<br />

in den Rückenwirbeln sein.<br />

Im September hatten wir für die gesamte Familie einen Urlaub gebucht.<br />

Da meine beiden Kinder in Berlin und Frankfurt wohnen, und<br />

wir uns als Familie selten sehen, freuten wir uns alle sehr auf diesen<br />

12


Urlaub. Ich wollte die Reise nicht meiner Beschwerden wegen absagen.<br />

So flogen wir zu unserer geplanten Städtetour nach Andalusien. Wir<br />

waren überwiegend zu Fuß unterwegs, dass das Kribbeln (dass inzwischen<br />

stetig andauerte) und meine Schmerzen erstaunlicherweise verringerte.<br />

Beim Beginn dieser Reise hatte ich große Befürchtungen, wie<br />

ich das Vorhaben mit meinem angeschlagenen Gesundheitszustand<br />

bewältigen sollte. Doch ich musste erkennen, dass sich durch die ständige<br />

Fortbewegung mein Allgemeinzustand etwas besserte. Ich hoffte<br />

darauf, dass durch die viele Bewegung nach unserer Rückkehr meine<br />

Schmerzen und das damit verbundene Kribbeln geringer wären.<br />

Aber das Gegenteil trat ein. Kaum zuhause hatte ich einen ähnlichen<br />

Schmerzzustand wie vor der Reise. Zusätzlich machte mich das Ameisenrennen<br />

zusehends unruhiger und die Schmerzen im Nacken und an<br />

der Halswirbelsäule traten zwischenzeitlich auch nachts auf.<br />

So erkundigte ich mich nach einem anderen, auf diesem Fachgebiet<br />

kompetenten und erfahrenen Orthopäden, von dem ich mir Hilfe erhoffte.<br />

Dieser meinte jedoch, ich solle nun über einen Zeitraum von<br />

sechs Wochen Ibuprofen einnehmen und ansonsten könne man ja,<br />

falls dieses nicht wirksam wäre, eine Untersuchung der Halswirbelsäule<br />

anstreben. Aber eigentlich, da ist er sich sicher, sei das unnötig.<br />

Da ich meinen Beruf liebe, versuchte ich meiner Arbeit weiterhin gewissenhaft<br />

nachzugehen, obwohl ich merkte, dass sich währenddessen<br />

mein Zustand, bedingt durch die Haltungen und Positionen, die<br />

dieser erforderte, stets verschlechterte. Im November nahm ich mir<br />

meinen Resturlaub, ich hatte in diesem Jahr nur wenige Urlaubstage<br />

beansprucht, und ich nahm mir vor, in dieser Zeit deswegen meinen<br />

Hausarzt aufzusuchen.<br />

13


3. Beginn einer Odyssee zu den Ärzten<br />

Nachdem auch die sechswöchige Ibuprofen-Therapie nicht angeschlagen<br />

hatte, machte ich mich also auf den Weg zu meinem Hausarzt Dr.<br />

Renz und erläuterte ihm meine Problematik. Ich erklärte ihm, dass<br />

die stetigen Kribbelparästhesien mich in einen totalen Unruhezustand<br />

versetzten. Auch die starken Schmerzen seien inzwischen mein stetiger<br />

Begleiter. Dieser Zustand nehme allmählich einen sehr großen Platz in<br />

meinem Alltag ein und verringere meine Lebensqualität. Dies war das<br />

erste Mal, dass ich die Konsequenzen, die meine Schmerzen nach sich<br />

zogen, in Worte fassen konnte. Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass<br />

ich von einer eingeschränkten Lebensqualität sprach.<br />

Mein Hausarzt vermutete, dass meine Leiden ein von der Halswirbelsäule<br />

verursachtes Problem sein könnten und versuchte mir zu erläutern,<br />

dass es Sinn machen würde, mich - so lange dieser Zustand<br />

sich nicht besserte – arbeitsunfähig schreiben zulassen um alles nicht<br />

noch zu verschlimmern. Er empfahl mir, zusätzlich einen Neurologen<br />

aufzusuchen, der entsprechende Untersuchungen veranlassen könnte,<br />

um herauszufinden, worauf die anhaltenden Beschwerden zurückzuführen<br />

seien. Er ordnete zudem eine seiner Meinung nach notwendige<br />

MRT-Aufnahme an, da nur so eine genaue Diagnose möglich wäre.<br />

Mit einem Medikament gegen das anhaltende Kribbelgefühl, wie gesagt<br />

auch Kribbelparästhesien oder „Ameisenlaufen“ genannt, verabschiedete<br />

ich mich an diesem Tag aus seiner Praxis. Ich meldete mich<br />

bei meinem Arbeitgeber krank und bemühte mich um eine Vorstellung<br />

beim Neurologen und um eine MRT-Aufnahme.<br />

Ich hatte Glück: innerhalb weniger Tage bekam ich die Gelegenheit,<br />

das benötigte MRT anzufertigen zu lassen. Die Aufnahme des MRTs<br />

war für mich äußerst unangenehm, da die Enge im - und die Nähe<br />

zum Gerät - mich in absolute Panik versetzte.<br />

14


Für alle, die so etwas noch nicht hatten: Die Aufgabe des Patienten ist<br />

es, für ca. zwanzig Minuten ruhig dazuliegen und sich nicht zu bewegen.<br />

Man liegt in einer sogenannten Röhre, in der der Abstand nach<br />

oben gefühlte zehn cm hoch ist und man nicht mehr als die Decke<br />

sieht. Da kann man nur die Augen schließen und sich etwas Schönes<br />

vorstellen, wenn einem das gelingt. Hinzu kommt ein hämmerndes<br />

und sehr laut tickendes Geräusch, weshalb man – um es für den<br />

Patienten erträglicher zu gestalten – Kopfhörer aufgesetzt bekommt.<br />

Musik, die er vielleicht gar nicht hören möchte, oder ein rauschender<br />

Radiosender begleiten ihn dann durch die gesamte Zeit der Aufzeichnung.<br />

Während ich also versuchte, ruhig und möglichst unbeweglich dazuliegen,<br />

bemerkte ich, dass ich auf eine Klaustrophobie zusteuerte. Ich<br />

spürte, wie mein Puls schneller schlug und ich hektisch atmete. Der<br />

Schweiß trat mir ins Gesicht. Ich versuchte mich selbst zu beruhigen<br />

und mir nicht die Enge im Gerät bewusst zu machen. Als Ablenkung<br />

stellte ich mir beispielsweise vor, in meinem Bett zu liegen und von<br />

Bauarbeiten (an Stelle des Lärms) gestört zu werden, oder ich dachte<br />

an die Auswahl und Besorgung eines benötigten Geburtstagsgeschenkes.<br />

Nach etwa der Hälfte der Aufnahme dachte ich, jetzt müsse ich<br />

den „Notfallknopf“ drücken, den sie mir, für alle Fälle, vor Beginn zwischen<br />

die Finger gelegt hatten. Gleichzeitig wurde mir aber klar, dass<br />

bei einem Abbruch alles nochmals von vorne beginnen würde, und<br />

diese Vorstellung ließ mich letztendlich durchhalten. Ich war wahrlich<br />

stolz auf mich, als es still wurde und sich endlich die Türe öffnete. Ich<br />

wurde aus der „Röhre“ herausgefahren.<br />

Nach der Aufnahme kam es zu einem für mich zu kurzen und hektischen<br />

Gespräch mit dem Radiologen, der mir rasch vermittelte, er<br />

würde keine Besonderheiten, nur ganz normale degenerative Erscheinungen<br />

an der Halswirbelsäule im Bereich C5/6 (die Bezeichnung der<br />

Wirbel) erkennen. Für mich zunächst ein zufriedenstellendes Ergebnis,<br />

deshalb verließ ich erleichtert diese Praxis.<br />

15


Mit diesem Wissen und mit dem MRT in der Tasche meldete ich mich<br />

bei einer Praxis für Neurologie und Psychotherapie an. Dort bekam ich<br />

sehr schnell innerhalb weniger Tage einen Termin, an dem ich bei Dr.<br />

Gerner, einem sehr sympathischen Arzt, vorstellig wurde.<br />

Ich erzählte ihm von meinen Beschwerden und zeigte ihm meine<br />

MRT-Bilder. Er führte eine gründliche neurologische Untersuchung<br />

durch, und nach eingehender Betrachtung meines Bildmaterials meinte<br />

er, dies sei ein „rein orthopädisches Problem“. Es würde sich auf den<br />

Aufnahmen eine eindeutige Verengung des Wirbelkanals im Bereich<br />

der Halswirbelsäule mit einem wahrscheinlich gewesenen Bandscheibenvorfall<br />

zeigen. Ich sollte zeitnah einen Orthopäden aufsuchen und<br />

ein funktionelles Training künftig in den Vordergrund stellen. Das<br />

Medikament gegen das Kribbeln, das mir Dr. Renz verordnet hatte,<br />

solle ich, wenn ich es gut vertragen würde, weiterhin nehmen, da es bewährt<br />

sei. Zudem riet er mir dringend zu einer Blutuntersuchung, um<br />

eine Borreliose auszuschließen. Zur Sicherstellung wolle er aber noch<br />

eine neurologische Untersuchung durchführen. Ich wurde an Elektroden<br />

angeschlossen und es wurden einige Messungen durchgeführt,<br />

deren Ergebnisse aber alle im normalen Rahmen lagen. Ich war froh<br />

über den Befund des Neurologen, insgesamt hörte sich alles doch recht<br />

zuversichtlich an. Ich blickte gelassen einer Genesung entgegen.<br />

Mit meiner neu erworbenen Kenntnis stellte ich mich wieder bei meinem<br />

Hausarzt vor, der mir zwei Überweisungen an einen Physiotherapeuten<br />

und einen Orthopäden schrieb. Da ich in der nahen Vergangenheit<br />

leider keine positiven Erfahrungen mit Fachärzten in diesem<br />

Bereich hatte, verließ ich mich auf die Empfehlungen verschiedener<br />

Bekannten und vereinbarte einen Termin für Anfang Januar bei Dr.<br />

Hans, Facharzt für Orthopädie und früherer Chefarzt an einem Städtischen<br />

Klinikum.<br />

Inzwischen war es Dezember geworden, Weihnachten stand vor der<br />

Tür und somit auch der Besuch unserer Kinder, auf den ich mich<br />

schon sehr freute. Meine Nächte waren zwischenzeitlich stets, bedingt<br />

16


durch extreme Schmerzen, von Wachphasen geprägt und die Medikamente,<br />

die mir mein Hausarzt Dr. Renz verschrieben hatte, zeigten nur<br />

noch eine gedämpfte Wirkung. Das Kribbeln wurde nun mein täglicher<br />

Begleiter, meine Schmerzen stärker. Es war ein Gefühl, als wäre<br />

mein Kopf zu schwer für die vom Körper vorgesehene „Halterung“.<br />

Vor allem das Sitzen bereitete mir zunehmend Probleme: ich bemerkte<br />

bald, dass eine wesentliche Besserung eintrat, wenn ich meinen Hinterkopf<br />

und den Rücken hinten anlehnte und mit dem Körper Gegendruck<br />

erzeugte. Immerhin eine Erkenntnis: nur gibt es nicht immer<br />

Sitzgelegenheiten, die einem dazu die Voraussetzung bieten, sei es im<br />

Privatem, in der Öffentlichkeit oder im Alltag.<br />

Ich erinnere mich beispielsweise an ein Silvesterkonzert. Mein Mann<br />

und ich freuten uns auf einen schönen Altjahresabend und besorgten<br />

uns Karten für ein Kirchenkonzert. In der Kirche angekommen<br />

stellten wir fest, dass die Plätze in den Bankreihen bereits vollständig<br />

besetzt waren. Wir wurden auf die Empore verwiesen, wo noch einige<br />

freie Stühle standen. Im Nachhinein weiß ich eigentlich nicht, wie<br />

ich diese Veranstaltung überstanden habe. Es waren genau jene Stühle<br />

ohne hohe Lehnen, die Sitzfläche leicht nach hinten geneigt, worauf<br />

sich bei mir das Sitzen immer Schmerz provozierend auswirkt.<br />

Da ich während der gesamten Dauer des Konzertes aus Rücksicht auf<br />

die anderen Konzertteilnehmer nicht aufstehen konnte, litt ich höllische<br />

Qualen. Der Abend war für mich nur noch Plagerei, die Musik<br />

nahm ich kaum mehr wahr. Die Schmerzen dominierten und hielten<br />

auch nach dem Konzert an. Ein ursprünglich netter Silvesterabend endete<br />

somit für mich zuhause auf dem Boden, wo ich versuchte, mir in<br />

irgendeiner angenehmen Lagerung Linderung zu verschaffen.<br />

Der Jahreswechsel verlief eher still und unspektakulär, was sollte mir<br />

auch auf dem Teppich liegend Aufregendes passieren? Vom neuen Jahr<br />

erhoffte ich mir Besserung und eine gute Chancen auf Heilung. Es war<br />

der Beginn des Jahres 2014. Über die Feiertage wurde mir bewusst,<br />

17


dass ich zwischenzeitlich ein erhebliches Maß an Einschränkungen<br />

hatte und das nicht nur ich, sondern auch mein Mann und mein gesamtes<br />

Umfeld. Ich erhoffte mir von dem bevorstehenden Orthopädie-Termin<br />

Hilfe.<br />

Kurz nach meinem Besuch beim Neurologen im November hatte ich<br />

einen guten Physiotherapeuten gefunden, den ich nun regelmäßig<br />

zweimal wöchentlich aufsuchte. Friedrich, der Krankengymnast, nahm<br />

meine Krankengeschichte sehr ernst und versuchte meine Schmerzen<br />

durch Deblockieren und mit Massage und Schlingentisch zu lindern.<br />

Er zeigte mir Übungen, die ich auch zuhause durchführen konnte, und<br />

die ich konsequent jeden Morgen trainierte. Trotz der regelmäßigen<br />

Behandlungen und meinem selbst durchgeführtem Übungsprogramm<br />

verspürte ich nur stundenweise Linderung .Ich merkte allerdings mit<br />

der Zeit, dass der Schwindel und die Kopfschmerzen nachließen und<br />

meine Sehstörungen weniger wurden, ja eigentlich ganz verschwunden<br />

waren. Dafür aber nahmen die Schmerzen im Hals-Nacken-Bereich<br />

zu, und die Kribbelparästhesien wurden immer stärker und intensiver.<br />

Es war, als würde sich alles darauf konzentrieren.<br />

4. Das neue Jahr 2014<br />

Am 6. Januar begab ich mich in die Praxis für Orthopädie. Nach kurzer<br />

Wartezeit betrat ich das Sprechzimmer von Dr. Hans, der mich<br />

freundlich begrüßte. Wie seinen zuvor aufgesuchten Kollegen schilderte<br />

ich auch ihm meine Beschwerden. Er untersuchte mich nicht,<br />

schaute kurz über das mitgebrachte MRT und meinte sehr bestimmt:<br />

das ist die Halswirbelsäule. Dann fing er lachend an festzustellen, dass<br />

die Art, wie ich das Kribbeln beschrieb, sich anhöre, als wären lauter<br />

Maikäfer in meinem Körper unterwegs. Da gäbe es nur eine Lösung:<br />

„Weitermachen mit Physiotherapie und die weitere Einnahme von<br />

Medikamenten“. Allerdings fügte er an, die vom Hausarzt verschriebenen<br />

Tabletten seien ja viel zu stark für mich, er würde diese Dosierung<br />

18


allenfalls einem zwei Zentner schweren Mann geben und verordnete<br />

mir deshalb Tabletten mit einen anderen Wirkstoff. Wenn das Physiotherapie-Rezept<br />

abgearbeitet sei, solle ich wieder bei ihm vorstellig<br />

werden.<br />

Mit zugegeben leichtem Zweifel löste ich mein Rezept für die Tabletten<br />

in der Apotheke ein und begann das neue Jahr, was meine Gesundheit<br />

betraf, leider nicht anders als das alte aufgehört hatte. Da meine<br />

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis Anfang Januar reichte, suchte<br />

ich erneut meinen Hausarzt auf. Ich erklärte ihm, dass die Schmerzen<br />

nach wie vor unverändert blieben und ich eigentlich nur noch das Bedürfnis<br />

hätte, mich den ganzen Tag zu bewegen, damit das Kribbeln<br />

etwas schwächer würde. Er riet mir daraufhin zu einem Reha-Sport-<br />

Programm, das über eineinhalb Jahre dauern sollte, unterstützt von der<br />

Krankenkasse.<br />

Ich möchte an dieser Stelle erwähnen, dass ich seit Oktober zusätzlich<br />

zur Physiotherapie zweimal wöchentlich für eine halbe Stunde zum<br />

Joggen ging. Ich war mit diesem Vorschlag dennoch einverstanden<br />

und meldete mich zu der vorgeschlagenen Maßnahme an. So ging ich,<br />

nach einer Einweisung eines Sporttherapeuten, von Februar bis Mai<br />

regelmäßig zweimal pro Woche zur Reha-Fit-Stunde. Dort zeigte sich<br />

allerdings, dass nicht alle Übungen am Gerät für mich geeignet waren,<br />

einige waren eher Schmerz fördernd als lindernd.<br />

Besonders das Laufband brachte mir Hilfe und so übte ich nach Rücksprache<br />

mit meinem Physiotherapeuten nur an den für mich geeigneten<br />

Geräten. Die Einheiten fanden immer an bestimmten Tagen statt und<br />

es bestand die Pflicht, an den anschließenden Gruppensportstunden<br />

teilzunehmen. Diese waren fast immer mit Partnerübungen verbunden.<br />

Die Einheiten bestanden überwiegend aus Übungen mit ausgestreckten<br />

Armen. Ich bekam bei dieser Haltung jedes Mal Schmerzen,<br />

zusätzlich verstärkte sich das Kribbeln. Also beschloss ich zwar zum<br />

Reha-Sport zu gehen, jedoch bei diesen Übungen auszusetzen. Die<br />

Folge war, dass ich beim Großteil des Kurses den anderen Teilnehmern<br />

19


zuschaute und selbst nicht aktiv mitmachen konnte.<br />

Erinnere ich mich heute an die Zeitspanne von Januar bis Mai 2014,<br />

so war mein gesamter Tagesablauf von Physiotherapie, Joggen und<br />

Reha-Fit-Stunden, sowie Arztbesuchen geprägt. Ich hatte wirklich zu<br />

tun, meinen Tagesablauf zu organisieren, musste ja auch noch die Zeit<br />

für entsprechend notwendige Arztbesuche eingeplant werden. Zusätzlich<br />

ruderte ich zweimal in der Woche für<br />

20 Minuten an einem Rudergerät, da mir diese Bewegungen, das weite<br />

Öffnen und Schließen der Schulterblätter momentane Erleichterung<br />

verschafften. Ich kann es im Nachhinein selbst kaum glauben, dass sich<br />

trotz des hohen Sportpensums insgesamt keine Veränderung meines<br />

Gesundheitszustandes einstellen wollte. Diese Wochen empfand ich<br />

als absoluten Stress.<br />

Immer wenn ich ein neues Rezept zur Physiotherapie benötigte suchte<br />

ich in regelmäßigen Abständen meinen Orthopäden Dr. Hans auf, der<br />

mir bei jedem meiner Besuche hinter seinem Schreibtisch hervorblickend<br />

erklärte, dies sei eine Bandscheibenangelegenheit und es würde<br />

entsprechend sehr lange dauern, bis sich die Schmerzen besserten.<br />

„Weitermachen mit Physio und alles wird schon werden“, so seine<br />

regelmäßige fachliche Beurteilung. Dazu immer wieder ein Lächeln<br />

über die Kribbelparästhesien und der Vergleich mit den krabbelnden<br />

Maikäfern.<br />

Zunächst schenkte ich ihm Glauben, wunderte mich allerdings über<br />

seine immer wiederkehrenden Äußerungen. Man hätte die Besuche<br />

bei ihm austauschen können, sie hatten immer den gleichen Ablauf.<br />

Der Februar verging mit all meinen Aktivitäten, doch es änderte sich<br />

nichts, außer dass ich bemerkte, dass die Frustration zunahm und meine<br />

Zweifel größer wurden.<br />

Ich trug meine angeschlagene Stimmung meinem Hausarzt vor. Ich<br />

bin schon viele Jahre Patientin bei ihm. Er ist sehr bemüht, nimmt sich<br />

stets Zeit und hat immer ein offenes Ohr für mich.<br />

20


Bei ihm fühlte ich mich als Patientin von Anfang an ernst genommen<br />

und beraten. Abgesehen davon, dass er mir zu einer anderen Medikation<br />

riet, schlug er mir zudem vor, eine ambulante Reha zu beantragen,<br />

um dort gezielt auf meine Beschwerden eingehen zu können. Ich<br />

war von dieser Idee begeistert, da es für mich ein neues Ziel, bzw. ein<br />

Stückchen Hoffnung bedeutete.<br />

Die neuen Medikamente schlugen nur bedingt an. Als ich wieder<br />

eine neue Verschreibung für Krankengymnastik benötigte, meinte Dr.<br />

Hans die Tabletten gegen das Kribbeln würden sowieso keine Wirkung<br />

zeigen, weshalb er sie für überflüssig hielt.<br />

Ansonsten war es bei ihm wie immer: keine Untersuchung, kein Blick<br />

auf meine Aufnahmen, ein Lächeln und sein Standardsatz: “Alles benötigt<br />

Zeit“. Die Aussage, dass die Tabletten unnötig seien, bewegte mich<br />

dazu, einen erneuten Termin bei meinem Neurologen zu vereinbaren.<br />

Ich war hin- und hergerissen von den unterschiedlichen Auffassungen<br />

dieser zwei Ärzte, obwohl ich ja selbst die positive Wirkung des Medikaments<br />

spürte. Deshalb wollte ich mich bei Dr. Gerner vergewissern,<br />

ob die Einnahme Sinn machen würde. Dieser beruhigte mich und<br />

meinte, es sei ein sehr bewährtes Medikament für derartige Nervenreizungen<br />

und ermutigte mich sogar zu einer Höherdosierung. Rückwirkend<br />

kann ich seine Aussage bestätigen. Ich nehme dieses Präparat bis<br />

heute täglich ein.<br />

Ich gebe offen zu, dass mein Vertrauen zu Dr. Hans zu schwinden<br />

begann. Aus meinem heutigen Blickwinkel hätte ich schon zu einem<br />

früheren Zeitpunkt einen Arztwechsel vornehmen sollen. Meine lange<br />

Krankheitsphase hat mich gelehrt, dass ich zu einem Arzt, den ich<br />

anzweifle, kein Vertrauen haben kann. Ist das Verhältnis zwischen Arzt<br />

und Patient schlecht, fehlt die Grundlage für ein fruchtbares Zusammenwirken.<br />

Dies aber ist der Schlüssel zu jedem Therapieansatz und<br />

letztendlich zum Heilungserfolg.<br />

21


5. Keine Veränderung<br />

Mein Physiotherapeut Friedrich gab sich alle Mühe und versuchte<br />

es mit immer anderen Behandlungsmethoden. Wir waren uns einig,<br />

meine Beschwerden mussten in einer mechanischen Ursache begründet<br />

sein. Nach wie vor kamen die Schmerzattacken im Sitzen, Stehen<br />

und beim langsamen Gehen. Selbst der Schlingentisch, in dem ich<br />

regelmäßig lag, brachte, so kann ich es heute beurteilen, absolut keine<br />

Erleichterung. Es ging mir hinterher nicht besser als vorher. Friedrich<br />

ermutigte mich, andere Wege zu bedenken, wie etwa die Vorstellung<br />

bei einem Chiropraktiker oder einem Neurochirurgen.<br />

Insgesamt muss ich festzustellen, dass eine Krankheit Geduld und vor<br />

allem Zeit bedeutet, und das musste ich erst erlernen. Ich habe die<br />

Erfahrung gemacht, dass ein Patient anscheinend immer Zeit zu haben<br />

hat, egal ob beim Vereinbaren von Terminen, bei denen man in<br />

einer Telefonschleife Minuten mit Warten verbringen muss, oder mit<br />

immer neuen Versuchen Kontakt mit einer Arztpraxis aufzunehmen,<br />

weil am anderen Ende der Leitung trotz Einhaltung der Sprechzeiten<br />

einfach niemand abnehmen will. Vereinbarte Termine finden dann irgendwann<br />

Wochen später statt. Von überfüllten Wartezimmern und<br />

den damit verbundenen Wartezeiten ganz zu schweigen.<br />

Alles geht seinen Gang, langsam und mäßig. Die Frage ist, ob jeder<br />

Arbeitgeber diese Einstellung teilt. Wobei ich mich absolut nicht beschweren<br />

darf: Ich habe einen sehr geduldigen Arbeitgeber, eine verständnisvolle<br />

Chefin und einfühlsame Kolleginnen, was ich sehr zu<br />

schätzen gelernt habe und wofür ich sehr dankbar bin. Sie erkundigen<br />

sich in gewissen Zeitabständen nach mir und meinem Gesundheitszustand,<br />

lassen mich in ihren Erzählungen an alltäglichen beruflichen<br />

Situationen und Ereignissen teilhaben und versuchen, mich selbst jetzt<br />

nach inzwischen drei Jahren, trotz meiner Abwesenheit stets auf ihre<br />

Art zu integrieren. Das längere „Kranksein“ bedeutet die stetige Entfernung<br />

von bis dahin Alltäglichem. Man entwickelt seinen eigenen<br />

22


Rhythmus und richtet seine Bedürfnisse und das Erledigen von Aufgaben<br />

im Tagesablauf nach dem Befinden seines Körpers aus. Ansonsten<br />

werden die Tage häufig von vorgegebenen Arztterminen bestimmt,<br />

von Physiotherapien oder Rehabilitationsmaßnahmen geprägt.<br />

Diese erwähnten Umstände und die mangelnde Anerkennung im Vergleich<br />

zum Berufsleben sind es, die schnell unzufrieden werden lassen,<br />

und es benötigt eine Menge an Selbstdisziplin, um an sich zu arbeiten,<br />

damit man für das Umfeld nicht „unausstehlich“ wird.<br />

Ich entwickelte in der Zeit meiner Krankheit eine Sensibilität in der<br />

Begegnung mit Menschen, die ich zuvor nicht kannte. Eine nette Begegnung,<br />

ein gutes Gespräch ist mir heute mehr wert und wichtiger als<br />

beispielsweise Einkaufen oder materielle Werte. Ich sehe heute einiges<br />

aus einer anderen Perspektive: Vieles ist für mich nicht mehr selbstverständlich,<br />

wie etwa Erkundigungen von Freunden und Bekannten<br />

nach meinem Befinden oder Hilfe und Unterstützung, die ich nach<br />

inzwischen drei Operationen immer wieder erfahren durfte.<br />

Bei Arztbesuchen bin ich selbstsicherer und selbstbewusster geworden,<br />

und ich habe durchaus zu unterscheiden gelernt, welcher Arzt bzw.<br />

Therapeut ein ehrliches Interesse an mir als Patient hat und wer nur<br />

einfach routinemäßig seinen Job ausübt. Ich bin der Meinung, die<br />

häufig verbreitete Ansicht, Ärzte würden ihren Beruf nur aus Nächstenliebe<br />

ausüben, führt zu einer Verklärung ihres Berufsbildes.<br />

Die ersten Krokusse kündigten den Frühling an, und ich hatte das<br />

Gefühl, mich in einem Hamsterrad zu bewegen. Keine Veränderung,<br />

das Kribbeln und die Schmerzen waren omnipräsent. Ich fühlte mich<br />

allein mit meinen Sorgen und meiner Ratlosigkeit, als sei ich der einzige<br />

Patient, dem dieses widerführe. An diesen Kribbelzustand habe<br />

ich mich bis heute nicht gewöhnen können, es ist etwas Eigenartiges,<br />

Fremdes, etwas, das nicht zu meinem Körper und meinem natürlichen,<br />

normalen Körperempfinden gehört. Dieser Zustand macht mich<br />

unruhig, nervös und unglücklich.<br />

23


Ganz abgesehen von den stetigen Schmerzattacken, die beim Sitzen<br />

und bei anderen ungünstigen Positionen auftreten. Ein entspanntes<br />

Sitzen ist für mich bis heute nicht mehr möglich. Sitzende Tätigkeiten<br />

muss ich nach einigen Minuten unterbrechen, um mich zu bewegen<br />

oder um mich mit dem Rücken an eine Wand zu stellen, um einen<br />

Druckpunkt zur Schmerzlinderung zu erzeugen. Zuhause lege ich<br />

mich des Öfteren auf den Boden, um die Wirbelsäule zu entlasten.<br />

Ich überlege mir noch heute, sei es bei Einladungen, Veranstaltungen<br />

oder anderen Unternehmungen, ob es mir die daraus resultierenden<br />

Schmerzen wert sind, daran teilzunehmen. Ich mache mir beispielsweise<br />

Gedanken darüber, welche Sitzgelegenheiten mir bei einer Einladung<br />

bei Freunden und Bekannten zur Verfügung stehen, wie lange<br />

ich beim Betrachten von Bildern in einer Ausstellung stehen muss oder<br />

ob diese durch mehrere Räume führt. Ich meide Einkaufszentren mit<br />

vielen Regalen und große Hallen, denn selbst langsames Gehen durch<br />

Gänge mit nach hinten geneigtem Kopf löst inzwischen Schmerzattacken<br />

aus.<br />

Anfänglich habe ich mich deshalb zurückgezogen und vor allem soziale<br />

Kontakte gemieden. Heute weiß ich aber, dass gerade diese von<br />

großer Notwendigkeit sind, um nicht in soziale Isolation zu verfallen.<br />

Eine Schmerztherapeutin, von der ich zu einem späteren Zeitpunkt<br />

berichten werde, bestätigte mich darin und ermutigte mich dazu, mein<br />

Handicap als eine ganz normale Krankheit anzusehen, wie etwa ein<br />

gebrochenes Bein. Meine Hilfe sei eben kein Gips, sondern Utensilien,<br />

wie etwa ein Keilkissen, ein aufblasbares Nackenhörnchen oder ein<br />

Tensgerät, die ich benötige, um mir das Sitzen einigermaßen erträglich<br />

zu gestalten. Ich verabredete mich in dieser Zeit häufig mit einer<br />

Bekannten im Schwimmbad. Im Wasser fühle ich mich wohl, da ich<br />

durch die Schwerelosigkeit entspannen kann.<br />

24


6. Maßnahmen vor der Reha<br />

Im März bekam ich einen Brief von meiner Rentenversicherung mit<br />

dem Bescheid, dass meinem Antrag auf eine ambulanten Rehabilitationsmaßnahme<br />

zugestimmt wurde und ich am 9. Mai diese antreten<br />

könne. Vorher allerdings gäbe es eine ärztliche Untersuchung, der Termin<br />

dazu würde mir demnächst mitgeteilt werden. Mit diesem Schreiben<br />

wuchs bei mir die Hoffnung auf Heilung und die Zuversicht auf<br />

Besserung.<br />

Ich ging anlässlich einer Krankengymnastikverordnung, ich weiß nicht<br />

zum wievielten Male, zu Herrn Dr. Hans, meinem Orthopäden. Dieser<br />

zeigte sich plötzlich sehr erstaunt, dass sich insgesamt kein Ansatz einer<br />

Besserung erkennen ließ und die Kribbelparästhesien noch immer vorhanden<br />

waren. Er stellte fest: “Das Kribbeln ist nicht normal“, er könne<br />

dies überhaupt nicht recht zuordnen. “Da muss etwas passieren“!<br />

Sein sonst so süffisantes Lächeln blieb aus und er fügte hinzu: “Dann<br />

muss man Sie halt in die Klinik einweisen“. Er bemerkte außerdem,<br />

er habe alles für mich getan und ein MRT hätte ich ja auch bereits<br />

erhalten. Etwas erstaunt entgegnete ich: “Ich beginne in zwei Wochen<br />

eine ambulante Reha“, worauf er meinte: „Na, dann...ist ja alles in<br />

Ordnung“. Für den Leser möchte ich noch anmerken, dass, außer der<br />

Verschreibung der benötigten Rezepte für Physiotherapie von seiner<br />

Seite aus nichts veranlasst wurde, weder ein informatives Gespräch, die<br />

Beantragung einer Reha, noch die Aufnahme eines MRTS. Abgesehen<br />

davon, dass bisher sein Verhalten nicht zur Verbesserung des Vertrauensverhältnisses<br />

zwischen Arzt und Patient beigetragen hatte und ich<br />

mich schlichtweg als Patient bei ihm nicht ernst genommen fühlte.<br />

Mit diesen Gedanken verabschiedete ich mich von ihm – ich habe ihn<br />

allerdings auch nicht mehr aufgesucht.<br />

Natürlich verließ ich seine Praxis aufgewühlt und mit unguten Gedanken.<br />

Ich suchte spontan meinen Hausarzt auf. Dort berichtete ich<br />

über das Geschehene und wir überlegten nun eine weitere Vorgehens-<br />

25


weise. Der Plan war, zunächst die Reha durchzuführen, und sollte diese<br />

nicht anschlagen, einen Neurochirurgen und Schmerztherapeuten<br />

zu konsultieren. Ich möchte an dieser Stelle kurz erwähnen, dass sich<br />

die Praxis von Dr. Hans in einer Gemeinschaftspraxis befindet, der<br />

Neurochirurgen angegliedert sind. Ich erahnte, dass die Terminvergabe<br />

mit zeitlichem Vorlauf verbunden ist, und deshalb vereinbarte ich prophylaktisch<br />

nach vielen Erkundigungen einen Termin für Juni in einer<br />

Klinik in Süddeutschland mit dem Fachgebiet Wirbelsäulenchirurgie<br />

bei Prof. Dr. Seiber.<br />

Ich hatte dazu vorher einige Informationen über gute Neurochirurgen<br />

eingeholt. Da mein Termin zeitnah, kurz nach Abschluss der Reha angesetzt<br />

war, Prof. Seiber aber aktuelle MRT- Aufnahmen wollte, die<br />

nicht älter als drei Monate sein sollten, ließ ich ein erneutes MRT<br />

anfertigen.<br />

Es gelang mir zwei Tage vor Antritt der Reha auch hierfür noch einen<br />

Termin zu bekommen. Für diese Aufnahme hatte ich schon allein bei<br />

der Vorstellung, in diesem Gerät liegen zu müssen, Panik. Ich weiß<br />

noch, ich kaufte mir unmittelbar zuvor eine Tüte Pfefferminzbonbons,<br />

die ich vorher lutschte. Ich stellte mir vor, ein freies Ein- und Ausatmen<br />

wäre im Gerät dann besser möglich. So mancher mag dieses belächeln,<br />

es half mir jedoch mich darauf vorzubereiten. Wie beim ersten<br />

Mal war der Ablauf der Gleiche, für mich eine halbe Stunde Panik pur.<br />

... hinterher: die totale Erleichterung, fast ein bisschen Stolz, dass ich<br />

alles, ohne es abzubrechen, überstanden hatte. Der Radiologe erkannte<br />

auch diesmal auf der Aufnahme keine Besonderheiten, außer einer<br />

degenerativen Abnützung, wie er feststellte.<br />

Zwei Tage vor Beginn der Reha stellte ich mich bei der Reha-Ärztin<br />

Frau Dr. Gengle vor. Sie hatte einige Fragen zu meiner Krankheit,<br />

und es folgte eine gründliche Untersuchung. Das Hin- und Herbewegen<br />

meines Kopfes mit ihren Händen war mir sehr unangenehm und<br />

schmerzhaft, so dass ich noch nach Tagen die dadurch verursachten<br />

Schmerzen empfand. Sie stellte abschließend fest, es wären bei mir<br />

26


keine wesentlichen Einschränkungen zu sehen und auf der Bildgebung<br />

nichts Auffälliges erkennbar, ihre eigene Wirbelsäule sei in einem<br />

schlechteren Zustand als meine.<br />

7. Meine ambulante Reha<br />

Am Freitag den 9. Mai begann meine ambulante orthopädische Reha.<br />

Ich freute mich darauf und wollte diese mit Engagement und vollem<br />

Einsatz antreten. Nach einer kurzen Einführung folgten für jeden<br />

Teilnehmer bereits die ersten Anwendungen. Alle Neuankömmlinge<br />

bekamen zudem einen Wochenplan, auf dem sie ihre täglichen<br />

Therapieeinheiten ablesen konnten. Meine erste Behandlung war der<br />

Schlingentisch. Man legte mich nach der Begrüßung ohne eine Untersuchung<br />

oder einem vorweg klärenden Gespräch in Bänder bzw.<br />

Schlingen und ließ mich dort für 30 Minuten allein zurück.<br />

Zum Vergleich: Bei meinem Physiotherapeuten ging immer eine Aufwärmung<br />

der Muskulatur durch Massage oder eine Fangopackung voraus,<br />

und er legte Wert auf ein Feedback, wie es mir aktuell erginge.<br />

Die Ausrichtung der Bänder war für mich nicht optimal, was zu einer<br />

anhaltenden Schmerzattacke führte, deren Nachwirkung das gesamte<br />

Wochenende über andauerte. Rückblickend wundert mich das nicht,<br />

da ich mich ja davor mit niemandem, außer beim Aufnahmegespräch<br />

mit der Reha-Ärztin Dr. Gengle, über meine Beschwerden und die bisherigen<br />

physiotherapeutische Maßnahmen unterhalten hatte. Meine<br />

Schmerzproblematik war somit niemand außer ihr bekannt.<br />

An diesem ersten Reha-Tag fand außer einer allgemeinen Einführung<br />

und der physiotherapeutischen Anwendung keine weitere Therapie<br />

statt. Na prima, dachte ich mir, die allererste Therapiemaßnahme der<br />

Reha - - und ich habe zwei Tage Schmerzen! Ich war innerlich hin- und<br />

hergerissen und beschloss, mit meiner Reha-Ärztin darüber zu sprechen.<br />

Am Montag suchte ich Frau Dr. Gengle in ihrer Sprechstunde<br />

27


auf und erklärte ihr zurückhaltend mein Problem. Sie ließ daraufhin<br />

die gesamten Anwendungen im Schlingentisch von meiner Therapieliste<br />

streichen. Insgesamt musste man im Reha-Zentrum täglich sechs<br />

Stunden Aufenthalt nachweisen. Da ich mich für das Selbstfahren entschieden<br />

hatte, konnte ich täglich darüber entscheiden, ob ich früher<br />

begann oder länger blieb, je nach Therapieplan. Andere Patienten wurden<br />

mit einem Bus zu fest vereinbarten Zeiten abgeholt. Ich hatte nur<br />

wenige Kilometer zurückzulegen und so kam mir das Fahren mit dem<br />

eigenen Auto entgegen. Die Therapiezeiten waren täglich vorgegeben,<br />

allerdings umfassten sie wesentlich weniger als sechs Stunden. Insgesamt<br />

gab es in dem für den jeweiligen Tag bestimmten Zeitrahmen oft<br />

Stunden, in denen gar keine Anwendung stattfand.<br />

Mein Tag begann stets auf dem Laufband und der Trainingsfläche mit<br />

Kraftübungen für die Muskulatur. Nach einer Einführung im Umgang<br />

mit den Geräten standen für weitere Fragen immer freundliche<br />

und hilfsbereite Sporttherapeuten zur Verfügung. Daran anschließend<br />

folgten dann entweder Krankengymnastik, Elektrotherapie, Massage,<br />

Fangopackung, Vorträge, Bewegung und Gymnastik in Gruppen, Ergotherapie,<br />

eine computergesteuerte Rücken-Straße, sowie Bewegungsbäder.<br />

Es gab ausreichend Ruheräume, und für das Mittagsessen wurde<br />

gesorgt. Um die Mittagszeit hatten die Patienten die Aufgabe, in einer<br />

zu Beginn ausgehändigten Schmerzskala die momentane Schmerzstärke<br />

einzutragen. Die Physiotherapeutin, die mir später nach dem ersten<br />

Tag für meine Behandlungen zugewiesen wurde, kümmerte sich sehr<br />

engagiert um mich und brachte viele neue Überlegungen und alternative<br />

Therapien in ihre Behandlungen mit ein. Die Auswirkung nach<br />

ihrer Therapiestunde war jedoch leider nicht von anhaltender Dauer<br />

bzw. Nachhaltigkeit.<br />

Die erste Woche meiner Reha hatte ich nachts ziemliche Schmerzen,<br />

so dass meine Nächte mehr aus Wach-, als aus Schlafphasen bestand.<br />

Auch am Tag hatte ich, trotz der täglichen Anwendungen, stärkere<br />

Schmerzen als vor Beginn der Reha. Und so meldete ich mich nach wenigen<br />

Tagen bei Frau Dr. Gengle, der während dieser Zeit für mich zu-<br />

28


ständigen Ärztin, zum Gespräch an. Ich erklärte ihr meinen Schmerzzustand<br />

und bat sie, ein für mich sinnvolles Medikament gegen die<br />

nächtlichen Attacken zu verschreiben. Sie empfing mich unfreundlich<br />

und gab mir zu verstehen, dass die Schmerzen gar nicht so stark sein<br />

können, wie ich es auf der Skala angegeben hatte, da ich keinen sehr<br />

leidenden Eindruck bei ihr erwecken würde.<br />

Nun, vielleicht sollte ich an dieser Stelle anmerken, dass ich, seit ich<br />

diese Krankheit habe, versuche, bewusst selbstdiszipliniert mit mir<br />

umzugehen und ich es mir verbiete, mit einer ständigen Leidensmiene<br />

herumzulaufen um anderen zu signalisieren: „Schaut her, ich habe<br />

Schmerzen!“ Ich versuchte ihr zu vermitteln, dass die mir verschriebenen<br />

Schmerztabletten nach meinem Ermessen zu lange benötigen,<br />

bis die zu erwartende Wirkung einer Schmerzreduzierung eintrat und,<br />

wenn überhaupt, die Dauer der Schmerzfreiheit nur für kurze Zeit<br />

anhielt. Sie gab mir daraufhin Tabletten für die Nacht, fügte aber hinzu,<br />

ich solle diese nur für kurze Zeit nehmen, da es leicht zu einer<br />

Abhängigkeit kommen könne. Sie tauschte das bislang eingestellte<br />

Schmerzmittel gegen das Medikament aus, das ich bereits zu Beginn<br />

meiner Krankheit genommen hatte: Ibuprofen. Es hatte bislang kaum<br />

Wirkung gezeigt, weshalb mein Hausarzt mich dann auf ein anderes<br />

Präparat eingestellt hatte. Die neuen Tabletten für die Nacht brachten<br />

immerhin etwas Erfolg, ich wurde nur noch kurzzeitig wach und<br />

konnte endlich fast wieder schmerzfrei durchschlafen.<br />

Als ordentlicher Patient nahm ich also folgsam Ibuprofen ein und wie<br />

bereits geahnt wirkte es kaum, bzw. nur sehr gering. Nach ca. eineinhalb<br />

Wochen stand laut Therapieplan ein Zwischengespräch bei der<br />

Reha-Ärztin an. Sie empfing mich, wie ich es wahrnahm, wenig begeistert<br />

und mit müdem Blick und meinte, nachdem ich ihr gegenüber<br />

saß und wir ins Gespräch kamen, dass meine Wirbelsäule in einem<br />

besseren Zustand sei als die vieler anderer Reha-Teilnehmer. Nochmals<br />

also die nachhaltige Betonung, andere Patienten hätten auffälligere<br />

Darstellungen und Krankheitsbilder.<br />

29


Ihre Einschätzung erstaunte mich, und ich gab ihr zur Antwort,<br />

dass ich ihr das glaube, aber es leider nichts an meinen bestehenden<br />

Schmerzen ändere. Daraufhin erklärte sie mir, ich hätte ihrer Meinung<br />

nach den Fokus zu sehr auf mich und meine Schmerzen gerichtet, und<br />

deshalb hielt sie „Arbeiten“ für eine gute Möglichkeit, um mich abzulenken.<br />

Es gäbe viele psychosomatische Krankheitsbilder, die sich<br />

ähnlich wie bei mir äußerten. Man muss sich vorstellen - ich saß vor<br />

ihr mit Schmerzen, da der Stuhl für mich, wie meistens beim Sitzen,<br />

ungeeignet war und sich mein Schmerzzustand minütlich verschlimmerte.<br />

Wie so oft in solchen Momenten presste ich die linke Hand in<br />

den linken Schulterbereich. Sie beobachtete mich genau und meinte,<br />

es gäbe Selbsthilfegruppen für psychosomatische Störungen und riet<br />

mir, eine solche nach der Entlassung aufzusuchen. Obwohl ich, wie<br />

gesagt, unter einer starken Schmerzattacke litt, brachte ich die nötige<br />

Energie auf ihr zu widersprechen. Ich äußerte, dass es ja wohl wenig<br />

Sinn machen würde, an einer Gesprächsrunde für psychosomatische<br />

Störungen teilzunehmen, wenn die Ursache an einem mechanischen<br />

Problem läge. Meiner Meinung nach würde irgendetwas gedrückt<br />

werden, das diese heftigen Schmerzen bei entsprechenden Positionen<br />

auslöse. Zudem habe sich die Schmerzintensität seit Beginn der Reha<br />

bislang nur wenig bis gar nicht gebessert und ich würde mich deshalb<br />

weiterhin als arbeitsunfähig einstufen. Die für unser Gespräch vorgesehene<br />

Zeit war zu Ende, und so verabschiedeten wir uns mit diesen<br />

unterschiedlichen Auffassungen.<br />

Bedingt durch einen Feiertag stand ein langes Wochenende an. Die<br />

Schmerzen wurden immer stärker, und so griff ich wieder zu meinem<br />

zwar nur für kurze Zeit wirkenden, aber dafür bewährten Schmerzmittel<br />

und hoffte auf eine Besserung, die sich so gar nicht einstellen<br />

wollte. Am Montagmorgen hielt ich es für notwendig, Frau Dr. Gengle<br />

darüber zu informieren, dass während des langen Wochenendes die<br />

Schmerzqualität und -intensität zugenommen hatte. Sie bat mich in<br />

ihr Sprechzimmer und meinte lächelnd: “Das habe ich mir schon gedacht,<br />

dass Sie heute zu mir kommen und mir so etwas erzählen“.<br />

Worauf ich antwortete: “Ich habe mir überlegt, ob ich überhaupt zu<br />

30


IHNEN kommen soll, aber ich hielt es für notwendig, Sie zu informieren.“<br />

Daraufhin verließ ich den Raum. Da ich während des Reha Aufenthaltes<br />

meinen Hausarzt nicht aufsuchen sollte, nahm ich ab diesem<br />

Moment nur noch Medikamente aus meiner Hausapotheke ein und<br />

zwar die, welche Wirkung zeigten und ich deshalb für angebracht hielt.<br />

Eine Woche, bevor meine Reha zu Ende ging, wurde ich zum sogenannten<br />

Abschlussgespräch eingeladen. Ich bekam wie immer freitags<br />

den Behandlungsplan für die kommende Woche und entnahm daraus,<br />

dass ich am darauffolgenden Mittwoch dafür den Termin hatte.<br />

Zwischenzeitlich überlegte ich mir ernsthaft, ob ein Arztwechsel angebracht<br />

wäre. Nach Unterhaltungen mit anderen Patienten und dem<br />

Austausch mit meinem Mann beschloss ich dennoch, weiterhin Termine<br />

bei Fr. Dr. Gengle wahrzunehmen. Gleich zu Beginn unseres Treffens<br />

teilte sie mir eine einwöchige Verlängerung der Reha-Maßnahme<br />

mit. Eigentlich verlief alles nicht wesentlich anders als bei unseren vorhergehenden<br />

Treffen, unsere „Chemie“ stimmte einfach so überhaupt<br />

nicht, und wir waren weiterhin unterschiedlicher Auffassungen. Sie<br />

erklärte mir, dass sie mich, wenn überhaupt, dann aus psychosomatischen<br />

Gründen arbeitsunfähig schreiben müsse. Ich erwiderte ihr, dass<br />

sie dieses dann tun solle. Wenn sie als Ärztin zu dieser Überzeugung<br />

gekommen sei, müsste ich das akzeptieren. Ich betonte nochmals, dass<br />

ich dennoch die Ursache der Schmerzen allerdings nicht in der Psychosomatik<br />

begründet sähe, wollte aber mit ihr darüber keine Diskussion<br />

mehr führen. Mit nahezu herablassender Miene und einem entsprechenden<br />

Unterton informierte sie mich, sie hätte sich im Internet<br />

schlau gemacht, man könne mich ja nach der Beendigung meiner Reha<br />

nicht so „ins Leere“ laufen lassen. Ich spürte meinen Ärger aufsteigen<br />

und versuchte ihr ruhig zu begegnen. Sie empfahl mir, nicht weit von<br />

meinem Heimatort entfernt, eine psychosomatische Therapiegruppe<br />

aufzusuchen, die sich regelmäßig trifft. Sie verabschiedete mich mit einem<br />

aufgesetzten Lächeln und drückte mir die Adresse der Gruppe in<br />

die Hand. Einerseits erleichtert, andererseits frustriert blickte ich dem<br />

Ende meiner Rehabilitationsmaßnahme entgegen.<br />

31


8. Vorstellung in der Neurochirurgie<br />

In den letzten drei Tagen der Reha lernte ich beim Mittagessen einen<br />

Patienten und eine Patientin kennen, die wie ich Schmerzen und Kribbeln<br />

an der Halswirbelsäule hatten. Ich konnte es überhaupt nicht fassen,<br />

dass es wirklich Patienten gab, die von ähnlichen Beschwerden wie<br />

ich sie empfand, berichteten. Es war für mich das erste Mal in der gesamten<br />

Zeit seit ich mit den Kribbelparästhesien konfrontiert worden<br />

war, dass ich so etwas von Anderen hörte, und ich fühlte mich plötzlich<br />

nicht mehr so ganz allein mit all meinen Sorgen und Befürchtungen.<br />

Sie bestätigten meine Vermutung, dass diese Reha-Einrichtung<br />

sich nicht an Halswirbelsäulen-Patienten orientiere, sondern speziell<br />

auf Patienten mit Erkrankungen an der Brust- und Lendenwirbelsäule<br />

ausgerichtet ist. Dies bestätigte mir zudem eine Sporttherapeutin, die<br />

ich in der Therapiestunde einmal fragte, weshalb alle Rückenpatienten<br />

in der gleichen Gymnastikgruppe zusammengefasst würden. Meine<br />

neuen Bekanntschaften erzählten mir von Erfahrungen mit Neurochirurgen<br />

und Schmerztherapeuten, was mich darin ermutigte, diese wie<br />

geplant als nächsten Schritt aufzusuchen. Ich war froh darüber, bereits<br />

vor Antritt der Reha die dafür nötigen Schritte eingleitet zu haben.<br />

Wenn ich die vergangenen Wochen in der ambulanten Reha gedanklich<br />

an mir vorüberziehen lasse, so kann ich diese sehr schnell zusammenfassen:<br />

Außer der Physiotherapie (mit einer wirklich am Patienten<br />

interessierten Therapeutin), der fast täglichen Massage sowie der Wassergymnastik,<br />

die allerdings nur selten stattfand, hat diese Reha für<br />

mich weder Hilfe noch wesentliche Schmerzlinderung gebracht. Die<br />

Übungen an den Geräten auf der Trainingsfläche hätte ich ebenso in<br />

jedem beliebigen Fitnessstudio oder in einer Praxis für Physiotherapie<br />

durchführen können. Wenn ich die Gesamtkosten für meine Rehabilitationsmaßnahme<br />

betrachte und die wirkliche Effektivität dazu<br />

im Verhältnis sehe, kann ich nur den Kopf schütteln und an unser<br />

Gesundheitssystem appellieren. Bestimmt wären Alternativen wie beispielsweise<br />

eine dreiwöchige tägliche Physiotherapie in einer Praxis, für<br />

32


sehr eingeschränkte Patienten auch von zuhause aus, sinnvoller und<br />

angebrachter, als beispielsweise Stunden, die vom Reha-Träger bezahlt<br />

werden müssen und die mit Warten verbracht werden, weil der Reha-<br />

Plan nur teilweise mit Therapien und Anwendungen ausgefüllt ist. An<br />

manchen Tagen hatte ich lediglich zwei bis drei Anwendungen von<br />

vierzig Minuten, den Rest verbrachte ich mit Warten, oder wie es in<br />

der Einrichtung genannt wird mit „Ruhen,“ um meinen sechsstündigen<br />

Aufenthalt auszufüllen. Genauso gut hätte ich auch nach Hause<br />

gehen können. Ganz nebenbei, an den zeitlichen Aufwand von der<br />

Ausstellung des Antrags bis hin zur Genehmigung mag ich gar nicht<br />

erst denken. Ich bin mir aus Unterhaltungen mit anderen Patienten<br />

sicher, dass ich nicht alleine diesen Standpunkt vertrete.<br />

Die Reha endete freitags vor Pfingsten. Da während einer Rehabilitationsmaßnahme<br />

nicht der Hausarzt, sondern ausschließlich der Reha<br />

- Arzt Ansprechpartner für die Patienten ist, so gibt es die Rentenversicherung<br />

vor, ging ich am Dienstag zu meinem Hausarzt Dr. Renz.<br />

Ich berichtete ihm von meiner Reha und bat um Einsicht in den vorläufigen<br />

Arztbrief. Wir besprachen noch die nötige Medikation, die ja<br />

zwischenzeitlich abermals geändert worden war, und so sah ich dem<br />

16.Juni entgegen, meinem Besuch bei einem Neurochirurgen.<br />

Seit geraumer Zeit spürte ich auch in den Fingern der rechten Hand<br />

ein ständiges Kribbeln und ein Taubheitsgefühl. Immer häufiger fielen<br />

mir aus für mich unerklärlichen Gründen Gegenstände aus der Hand<br />

und ich bemerkte, dass meine Feinmotorik nachließ. Streckte ich mein<br />

Arme aus, so fing die rechte Hand mitsamt den Fingern an zu kribbeln.<br />

Manche Tätigkeiten fallen mir bis zum heutigen Tag sehr schwer,<br />

wie z.B. das Halten einer Nadel, oder das Föhnen meiner Haare. Telefonieren<br />

ist nur noch mit Lautsprecher möglich, selbst beim Bügeln<br />

treten manchmal diese Beschwerden auf. Diese Tatsache bereitete mir<br />

zunehmend Sorgen. Ich organisierte eine Überweisung von Dr. Hans<br />

für das Klinikum, in dem der Neurochirurg arbeitete, den ich vorhatte<br />

aufzusuchen.<br />

33


Vierzehn Tage später saß ich im Warteraum der Klinik von Prof. Dr.<br />

Seiber. Mein Mann und ich waren erstaunt, wie viele verzweifelten<br />

Patienten mit ihren Beschwerden und den damit verbundenen Nöten<br />

diese Klinik aufsuchten und hofften nun bei der heutigen Vorstellung<br />

bei Prof. Dr. Seiber selbst auf Hilfe. Wir warteten insgesamt drei Stunden<br />

bis ich aufgerufen wurde. Ich war dankbar, dass mein Mann mich<br />

begleitete und muss zugeben, dass ich etwas aufgeregt war. Deshalb tat<br />

es mir gut, dass ich seine Nähe spürte und er mich mental unterstützte.<br />

Außerdem, wie heißt es ja so schön: „Vier Ohren hören mehr als<br />

zwei,“ war es mir wichtig, dass er das Gespräch beim bevorstehenden<br />

Arztbesuch mit anhörte.<br />

Prof. Dr. Seiber, ein sympathischer Arzt mittleren Alters, hörte sich<br />

meine Krankengeschichte an, und da ich durch das vorherige Warten<br />

im Sitzen inzwischen heftige Schmerzen hatte, erkannte er an meiner<br />

Mimik und Gestik sofort, dass es mir nicht gut ging. Er forderte mich<br />

auf, ihm in einem Satz meine Beschwerden zu erklären und weshalb<br />

ich ihn aufsuchte. Ich hatte mir meine gesamte Krankheitsgeschichte<br />

vorher kurz in Stichpunkten notiert, damit ich auch ja nichts Wichtiges<br />

vergessen würde. Weil ich überhaupt nicht damit gerechnet hatte,<br />

mich so kurz zu fassen, fiel es mir zunächst schwer, mich in wenigen<br />

Worten auszudrücken. Er hörte mir zu und konzentrierte sich danach<br />

auf das mitgebrachte MRT. Nach nur wenigen Sekunden erkannte<br />

er auf seinem Bildschirm eine Verengung des Wirbelkanals in der<br />

Halswirbelsäule zwischen dem fünften und sechsten Halswirbel. So<br />

wie es aussähe, sei die dort befindliche Bandscheibe abgenutzt. Der<br />

Körper bilde als Ersatz nämlich sogenannte Knochenvorbauten, das<br />

heißt Knochenmaterial, das auf den Nerv drückt. Eine Operation könne<br />

eventuell Abhilfe schaffen, eine Garantie, dass ich hinterher völlig<br />

beschwerdefrei sei, könne er allerdings nicht geben, so seine Aussage.<br />

In dieser Verengung, so vermutete er, könne die Ursache allen Übels<br />

liegen. Um allerdings Näheres beurteilen und um die weitere Vorgehensweise<br />

mit mir besprechen zu können, benötige er dafür eine Myelographie.<br />

Er erklärte mir, was eine Myeleographie ist und dass ich<br />

dazu eine Nacht zur Beobachtung in der Klinik bleiben müsse, um<br />

34


kein Risiko einzugehen.<br />

Eine Myelographie, wie sie bei mir erforderlich war, ist eine Röntgenuntersuchung<br />

oder Computertomographie des Wirbelkanals mit Hilfe<br />

eines Kontrastmittels. Nachdem ein Venenzugang gelegt wird, um bei<br />

eventuellen Kreislaufreaktionen medikamentös eingreifen zu können,<br />

wird der Patient gebeten sich in die Seitenlage zu begeben. Danach<br />

wird eine Hohlnadel zwischen zwei Wirbelkörper der oberen Halswirbelsäule<br />

in den Wirbelkanal eingeführt. Der Arzt entnimmt zunächst<br />

wenige Milliliter Hirnwasser. Dieses Liquor, wie es auch genannt wird,<br />

wird anschließend im Labor untersucht. Danach wird ein Kontrastmittel<br />

in den Wirbelkanal eingespritzt und die Nadel entfernt. Es folgen<br />

Röntgen- und Computertomographie-Aufnahmen. Nach der Untersuchung<br />

ist für die nächsten Stunden absolute Bettruhe angesagt.<br />

Außerdem muss sehr viel getrunken werden, um das Ausscheiden des<br />

Kontrastmittels zu beschleunigen. Abgesehen von vielen anderen Nebenwirkungen,<br />

können unter anderem Allergien und Unverträglichkeit<br />

auf das Kontrastmittel sowie starke Kopfschmerzen die Folge sein.<br />

Solche und andere Komplikationen sind unangenehm und können in<br />

seltenen Fällen lebensbedrohlich sein. Deshalb ist eine Nacht im Krankenhaus<br />

zur Beobachtung erforderlich.<br />

Nach dieser Untersuchung, so Prof. Dr. Seiber, werde er entscheiden,<br />

ob er operiere. Falls ja, betonte er nochmals, werde er keine hundertprozentige<br />

Erfolgsgarantie übernehmen, dass danach alle Beschwerden<br />

beseitigt wären. Er sei hier aber aufgrund seiner langjährigen Erfahrung<br />

jedoch zuversichtlich. Ich bat ihn, die Untersuchung und falls<br />

eine Operation erforderlich wäre, zeitnah durchzuführen, und er versprach<br />

mir, mein Anliegen zu ermöglichen. Im Falle einer Operation<br />

würde durch einen Schnitt auf der Vorderseite des Halses eingegriffen.<br />

Dazu wird allerdings eine Bescheinigung eines Hals-Nasen-Ohrenarztes<br />

benötigt, in der bestätigt wird, dass sich bei mir keine Verwachsungen<br />

aufgrund einer früheren Schilddrüsenoperation gebildet hätten<br />

und zudem die Aussage beinhalte, dass meine Stimmbänder soweit in<br />

Ordnung seien.<br />

35


Ich hatte sehr gemischte Gefühle. Einerseits war ich erleichtert, dass<br />

eine mögliche Ursache für meine Beschwerden gefunden wurde und<br />

ich mich darin bestätigt sah, dass ich mir die Schmerzen nicht einbildete<br />

oder sie in einer psychosomatischen Ursache begründet seien. Auf<br />

der anderen Seite hatte ich natürlich Angst und Bedenken vor dem,<br />

was auf mich zukommen würde. Dass der Professor meinen Schmerzen<br />

und deren Beschreibung Glauben schenkte, machte mich zuversichtlich.<br />

Eine Krankenschwester schickte meinen Mann und mich mit einigen<br />

Formularen und Zetteln ins Sekretariat der Ambulanz. Hier vereinbarte<br />

ich den Termin für den nötigen Krankenhausaufenthalt, für die bevorstehende<br />

Myelographie und eine eventuelle Operation. Nachdem<br />

der Termin stand, ging es weiter in die im Keller befindliche Röntgenabteilung.<br />

Dort hieß es wieder einmal „Warten“. Nach mehr als<br />

einer Stunde wurden wir von einem Röntgenarzt aufgerufen. Mit ihm<br />

zusammen schauten wir meine mitgebrachte CD der MRT-Aufnahme<br />

an. Er vermittelte uns Ruhe und Wissen, versuchte uns die Bilder verständlich<br />

zu machen und klärte mich ausführlich über die Gefahren<br />

einer Myelographie auf. Zur Unterzeichnung gab er mir einen Aufklärungsbogen,<br />

auf dem alles noch einmal schriftlich aufgeführt war und<br />

zudem meine momentane Medikation erfragt wurde. Dann war alles<br />

Nötige geklärt, und wir konnten uns mit den vielen Eindrücken und<br />

Informationen auf den Nachhauseweg machen.<br />

9. Meine Familie<br />

Die Tage bis zum geplanten Krankenhausaufenthalt vergingen sehr<br />

langsam. Auf der einen Seite versuchte ich, all meine Verdrängungsmechanismen<br />

einzusetzen, um diese Zeit voll auszuschöpfen und zu<br />

genießen, auf der anderen Seite war sie von Angst und Unsicherheiten<br />

geprägt. Hauptsächlich nachts, wenn die Ruhe kam, musste ich über<br />

das Bevorstehende nachdenken. In diesen Tagen, wie eigentlich die<br />

36


gesamte Zeit meiner Krankheit, lernte und lerne ich den Beistand meiner<br />

Familie schätzen. Bei ihr fand ich immer Verständnis, Ablenkung,<br />

sowie den für mich nötigen Rückhalt.<br />

Unsere Tochter Helene, die in Berlin lebt, nahm extra Urlaub und versprach<br />

mir, falls es zu einer Operation käme, mich täglich zu besuchen<br />

und sich um alles Wichtige, zu kümmern. Einfühlsam versuchte sie<br />

mich immer wieder aufzumuntern, da sie meine Zweifel und Ängste<br />

erkannte. Ihre Anwesenheit tat gut. Sie war für mich in dieser Zeit<br />

(und ist es immer noch) meine emotionale Anlaufstelle.<br />

Unser Sohn Felix, der sich in der Endphase seines Medizinstudiums<br />

befand, erkundigte sich ebenfalls nahezu täglich nach mir und beantwortete<br />

mir mit viel Geduld offene Fragen. Er erklärte mir die Wirkung<br />

der wechselnden Schmerztabletten und das Prinzip einer Schmerzmedikation<br />

bzw. Schmerztherapie. Er hat einen großen Teil zu meinem<br />

Verständnis und zur Akzeptanz gegenüber meinen inzwischen chronisch<br />

gewordenen Schmerzen beigetragen.<br />

Die Anteilnahme unserer Kinder und die meines Mannes Max gaben<br />

und geben mir ein gutes Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit. Es<br />

bedeutet für mich ein Stückchen Glück, und das ist bis heute so geblieben.<br />

Die Geduld, die mein Mann bislang und bis zum heutigen<br />

Tage für mich aufbringt und was er insgesamt für mich macht, möchte<br />

ich an dieser Stelle besonders hervorheben. Er hat viel Verständnis<br />

für mich und meine mit der Krankheit verbundenen Probleme. Er<br />

ist da, wenn ich ihn brauche, und ich kann ihm vertrauen und mich<br />

auf ihn verlassen. Er versucht mich zu unterstützen, wann und wo<br />

immer es geht und begleitet mich durch alle emotionalen Höhen und<br />

Tiefen. Für ihn ist dies alles selbstverständlich und er beklagt sich nie<br />

über Einschränkungen, die teilweise auch sein Leben betreffen, beispielsweise<br />

wenn der Besuch einer Veranstaltung oder ein Treffen mit<br />

Freunden bedingt durch die Schmerzen nicht stattfindet oder abgesagt<br />

werden muss. Meine Dankbarkeit dafür ist nicht in Worte zu fassen.<br />

37


Auch Anrufe und Erkundigungen von meiner Mutter, meinen Brüdern,<br />

sowie Freunden und Bekannten halfen mir sehr in diesen Tagen<br />

und erleichterten mir das Warten. Die Sorgen, die meine 85-jährige<br />

Mutter sich um mich machte, belasteten mich zusätzlich. Vor diesem<br />

ersten Eingriff erzählte sie mir bereits Wochen davor, wie sehr sie sich<br />

um meinen Gesundheitszustand sorgte und wie viel Kraft sie diese<br />

Aufregung koste. Bei ihrer täglichen Anteilnahme erzählte ich ihr anfänglich<br />

nur wenig von meinen Schmerzen und versuchte, zunächst<br />

aus Rücksichtnahme gegenüber ihrer eigenen instabilen Gesundheitslage<br />

erst einmal das Ganze zu verharmlosen.<br />

Mit der Zeit berichtete ich ihr jedoch nach und nach von meinen Arztbesuchen<br />

und dem bevorstehendem Eingriff. Das machte ihr, wie man<br />

so schön sagt, „sehr zu schaffen.“ Bis kurz vor ihrem Tod hatte ich<br />

jedoch gelernt, dass ich ihr die Besorgnis um mich nicht abnehmen<br />

konnte, und spürte, dass ich, so leid es mir tat, all meine Energie für<br />

mich selbst benötigte. Hinzu kam, dass sie ca. 300 km entfernt wohnte<br />

und mir das lange Sitzen während der Auto- oder Zugfahrt fast unmöglich<br />

war. Genauso wie ich vermisste Sie meine Besuche und meine<br />

Anwesenheit und freute sich deshalb auf die täglichen Telefonate mit<br />

mir. Ich musste erst lernen, mich für diese Situation, sowie für das<br />

Wissen, wie sehr sie darunter litt, nicht verantwortlich zu fühlen.<br />

10. Die Angst vor der Myelographie<br />

Und so rückte der Juli immer näher und damit der Tag, an dem die<br />

Myelographie vorgenommen wurde. Ich hatte entsetzlich Angst davor,<br />

obwohl die Ärzte behaupteten, es wäre nicht sehr schmerzhaft. Da ich<br />

einige Allergien habe, hatte ich zudem die Befürchtung, ich könnte<br />

allergisch reagieren.<br />

Mein Termin war auf 8:00 Uhr angesetzt, Max begleitete mich ins<br />

Krankenhaus. Kaum dass wir dort angekommen waren, wurde uns bei<br />

38


der Aufnahme mitgeteilt, ich solle mich unverzüglich in die Röntgenabteilung<br />

begeben, dort würde man schon auf mich warten.<br />

Noch das Gepäck in der Hand, ohne die Zuweisung eines Patientenzimmers,<br />

fanden wir uns dort ein. Trotzdem mussten wir hier noch<br />

einige Zeit warten, bis ich endlich an die Reihe kam. Als ich die zuständige<br />

Röntgenärztin sah, fiel mir ein Stein vom Herzen. Es war eine<br />

sehr angenehme herzliche Frau, die mir nochmals genau die geplante<br />

Vorgehensweise erklärte. Ich vertraute ihr meine Angst und meine Befürchtungen<br />

an. Sie beruhigte mich mit ihrer ruhigen sympathischen<br />

Art und tröstete mich, indem sie sagte: “Alle Patienten haben davor<br />

Angst, sie sind nicht die Einzige, wir gehen ganz vorsichtig vor.“<br />

Dann begann sie, wie ich es schon beschrieben habe, mit dem Einstechen<br />

der Nadel. Alles ging recht zügig vonstatten. Bei jeder Handlung<br />

erklärte sie mir, was sie tat, und dabei wurde das Kontrastmittel<br />

eingespritzt. Eigentlich ging alles relativ schnell vorüber, ich war total<br />

erleichtert, und es war tatsächlich nicht so schmerzhaft, wie ich es mir<br />

vorgestellt hatte. Ich dachte mir: „Wenn ich das überstanden habe,<br />

kann es nun nicht mehr schlimmer kommen“.<br />

Nach diesem psychischen Stress fing ich an mich etwas zu entspannen.<br />

Dann wurde ich in den Gang gefahren und mein Mann wurde gebeten<br />

zu mir zu kommen. Dort wartete ich, natürlich im Bett liegend, auf<br />

die Röntgenbilder und die noch ausstehende Computertomographie,<br />

die noch gemacht werden sollte. Nach ca. dreißig Minuten wurde ich<br />

dafür abgeholt und innerhalb weniger Minuten waren die Aufnahmen<br />

erfolgt.<br />

Wieder im dunklen Kellergang des Eingangbereichs angekommen,<br />

wurde erneut mein Mann zu mir gerufen. Ich lag im Bett und eigentlich<br />

sollte ich laut Aufklärungsgespräch und Aufklärungsbogen jetzt<br />

viel trinken. Leider war jedoch weder etwas Trinkbares, noch die von<br />

einer Krankenschwester versprochene baldige Aufnahme auf die Station<br />

in Sicht. Wir verweilten hier etwa zwei Stunden, und es geschah<br />

39


ein gar nichts. Irgendwann sprach mein Mann eine vorübergehende<br />

Krankenschwester an, ob sie mir nicht etwas Wasser bringen könne.<br />

Sie erklärte sich bereit und brachte mir eine Flasche Mineralwasser.<br />

Dann endlich, so gegen 12:30 Uhr, wurde ich auf Station gebracht<br />

und in ein Zweibett-Zimmer geschoben. Mein Mann verabschiedete<br />

sich von mir. Für den Rest des Tages ging es mir erstaunlich gut. Außer<br />

dass sich die Stationsschwester vorstellte und ich das Mittagessen bekam,<br />

passierte von Seiten der Klinik zunächst nichts. Ich trank tapfer<br />

meine zwei Liter Flüssigkeit und hielt mich an die zuvor besprochenen<br />

Verhaltensregeln. Am Abend freute ich mich auf den angekündigten<br />

Besuch meiner Tochter Helene.<br />

Die Tatsache einer möglichen Operation stand für mich nie wirklich<br />

im Vordergrund, da die Angst vor der Myelographie alles überschattete.<br />

Mein Hausarzt hatte mir im Vorfeld die Telefonnummer eines<br />

Mannes gegeben, der an der Halswirbelsäule erfolgreich operiert worden<br />

war, damit ich die Möglichkeit hätte, ihn darüber zu befragen<br />

(natürlich mit dessen vorhergehender Erlaubnis). Ich überwand meine<br />

Hemmungen bei ihm anzurufen und hörte mir die bereitwilligen Erzählungen<br />

über seine Operation an. Seine positiven Erfahrungen ermutigten<br />

mich zur Operation und gaben mir Zuversicht.<br />

Ich hatte allerdings bis zu diesem Nachmittag nie ernsthaft eine Operation<br />

in Erwägung gezogen. Abgesehen von der Angst vor der Myelographie<br />

kam mir die plötzliche Aussicht auf Besserung nach so langer<br />

Zeit und den zahlreich aufgesuchten, teilweise auch zweifelnden Ärzten,<br />

sehr unrealistisch vor. Mir wurde also erst an diesem Nachmittag<br />

bewusst, dass sich die besagte und von Prof. Dr. Seiber beschriebene<br />

Operation mit Riesenschritten nähern könnte und mit ihr eine Besserung.<br />

40


11. Aufklärungsgespräche<br />

So gegen 16:00 Uhr kam der Stationsarzt mit den Ergebnissen der<br />

Myelographie. Er hatte eine Kopie mitgebracht mit Abbildungen einer<br />

Halswirbelsäule und eines Wirbelkanals. Nach einer kurzen Vorstellung<br />

kam er gleich zur Sache: Es hätte sich gezeigt, dass eine Operation<br />

mehr als notwendig sei, da zwischen dem fünften und sechsten Halswirbel<br />

keine Bandscheibe mehr vorhanden sei. Der Körper habe dort<br />

zur ausgleichenden Stabilisierung einiges an Knochenmaterial gebildet<br />

und dieses würde an dem dort befindlichen Nerv reiben. Eigentlich<br />

drifteten meine Gedanken von da an ab, da ich, wie gesagt, mich nie<br />

wirklich mit der realen Möglichkeit einer Operation auseinander gesetzt<br />

hatte. Diese Nachricht musste ich nun erst einmal verarbeiten.<br />

Ich hörte den Arzt sprechen, konnte ihm aber in diesem Moment<br />

nicht folgen. Er legte mir die Kopie samt den zu unterzeichnenden<br />

Formularen auf das Bett und versprach, er würde zu einem späteren<br />

Zeitpunkt nochmals kommen.<br />

Eine halbe Stunde nachdem der Arzt gegangen war, stellte sich der<br />

Anästhesist bei mir vor. Er befragte mich zu Narkosen von vorhergehenden<br />

Operationen und erklärte mir, wie er diese handhaben werde.<br />

Wie in letzter Zeit so oft waren die Medikamenteneinnahme und vorhandenen<br />

Allergien Hauptthema unseres Gesprächs. Auch er benötigte<br />

meine Einwilligung per Unterschrift, dann ging er seines Weges.<br />

Nun hatte ich Zeit und war bereit, mich auf die für die Operation<br />

benötigten Unterlagen samt Einverständniserklärung zu konzentrieren,<br />

diese anzuschauen und alles möglichst aufmerksam durchzulesen.<br />

Ich versuchte alles zu verstehen, und mit einigen vorbereiteten Fragen<br />

erwartete ich den Besuch des Stationsarztes.<br />

Es war Spätnachmittag, zwischenzeitlich war Helene eingetroffen. Sie<br />

half mir, meine Gedanken etwas zu ordnen und mich abzulenken. Um<br />

17:30 Uhr trat Prof. Dr. Seiber an mein Bett. Nach einer freundlichen<br />

Begrüßung kam er auf die Auswertung meiner Myelographie zu spre-<br />

41


chen. Wie er vermutete habe es sich gezeigt, dass zwischen dem fünften<br />

und sechsten Halswirbel tatsächlich keine Bandscheibe mehr vorhanden<br />

sei. Meine starken Schmerzen würden aller Wahrscheinlichkeit<br />

nach durch eine Reibung am Nerv verursacht werden. Als Operation<br />

sei das Einsetzen eines Titankörbchens geplant, das mit dem gebildeten<br />

Knochenmaterial aufgefüllt werden würde. Es ersetze die fehlende<br />

Bandscheibe und diene zur Einhaltung des Abstandes zwischen den<br />

Wirbeln, so dass der Nerv wieder frei läge. Davor würde zusätzlich<br />

noch eine Platte angebracht werden. Dieser Eingriff würde von vorne,<br />

also wie besprochen, vom Hals aus vorgenommen werden.<br />

Übrigens wird dieser Eingriff, dem ich nun entgegenblickte und der<br />

auf vielen meiner Arztbriefe genannt wird, in der Medizin „HWS<br />

ventrale Fusion Cloward Robinson ADCF C5/6“ genannt. Prof. Dr.<br />

Seiber merkte an, dass am nächsten Tag für ihn und einen seiner Patienten<br />

eine sehr lange, schwierige und komplizierte Operation anstünde,<br />

die sich mit Sicherheit über mehrere Stunden hinziehen würde. Er<br />

könne mir darum nicht versprechen und mir keine Gewähr geben, ob<br />

er mich danach noch operieren würde. Anderenfalls würde er mich am<br />

übernächsten Tag als Erste auf die OP-Liste setzen.<br />

Es entstand eine nette Unterhaltung, in der Dr. Prof. Seiber unter anderem<br />

meiner Tochter und mir erklärte, dass er seit mehr als 25 Jahren<br />

hauptsächlich Halswirbelsäulen operiere. Diese Aussage vermittelte<br />

mir das Gefühl der Sicherheit, sich ihm und seinem Können anzuvertrauen.<br />

Später, am Abend, kam wie versprochen nochmals der Stationsarzt,<br />

holte sich meine Einwilligung zur OP und stand mir für all<br />

meine Fragen zur Verfügung.<br />

42


12. Der Tag der Operation<br />

Am Abend wurden alle Vorbereitungen für den Eingriff getroffen. Das<br />

Abendessen bestand aus einer heißen Instantbrühe, die lauwarm und<br />

in der das Pulver nicht aufgelöst war. Wasser trinken durfte ich nur<br />

bis Mitternacht. Ein Krankenpfleger zeigte mir, was ich zur Operation<br />

anziehen sollte. Es war die übliche OP-Kleidung mit OP-Hemd und<br />

Haube. Lediglich die von mir gefürchteten Thrombosestrümpfe fehlten.<br />

Danach gab es eine Tablette zur Beruhigung. Das ist irgendwie<br />

ein seltsamer Zustand, in dem man sich nur noch in der Rolle des<br />

Patienten befindet, nur noch funktioniert und alles macht, was von<br />

einem verlangt wird.<br />

Nach einer unruhigen Nacht mit schlimmen Vorstellungen und Befürchtungen<br />

folgte ein Morgen mit dem gewöhnlichen Krankenhausbetrieb.<br />

Ich bekam kein Frühstück und wartete mit Geduld darauf,<br />

dass ich zum Projekt „Halswirbelsäulenoperation“ abgeholt werden<br />

würde. Die Beruhigungspille zeigte noch ihre Nachwirkung, und so<br />

lag ich im Bett und dämmerte vor mich hin. Jedes Mal, wenn sich<br />

die Zimmertüre öffnete, bekam ich vor Aufregung Herzklopfen, aber<br />

es war nie ich gemeint. Gegen Mittag ließ die Wirkung nach und es<br />

regten sich in mir wieder die Lebensgeister. Ich bekam Hunger, und<br />

meine Geduld schlug in Ungeduld und schlechte Laune um. Gegen 14<br />

Uhr fragte ich die Schwester, ob sie sich erkundigen könne, ob überhaupt<br />

noch die Wahrscheinlichkeit bestünde, dass ich an diesem Tag<br />

operiert werden würde. Sie versprach mir, sich sofort darum zu kümmern<br />

und meinte nach wenigen Minuten, ich solle noch eine Stunde<br />

warten, dann würde sie nochmals telefonieren und mir endgültigen<br />

Bescheid geben können. Die 60 Minuten zogen sich in die Länge,<br />

mein Magen krampfte sich zusammen und gab inzwischen knurrende<br />

Geräusche von sich.<br />

Gegen 15 Uhr brachte mir eine Krankenschwester eine kalte Lasagne<br />

und berichtete, dass ich für heute vom Operationsplan gestrichen sei.<br />

43


Frustration und Erleichterung, beide Gefühle vermischten sich. Ich<br />

versuchte das Beste aus diesem restlichen Krankenhaustag zu machen.<br />

Ich aß Unmengen in mich hinein, sah mir einen Film auf meinem<br />

Tablet an, um mich auf andere Gedanken zu bringen, und erwartete<br />

freudig den Besuch meines Mannes und meiner Tochter, sowie den<br />

Anruf meines Sohnes.<br />

Abends dann wieder die willenlose Fügung und dann das gleiche Prozedere<br />

wie am Vortag: die OP-Vorbereitungen. Mir stand eine weitere<br />

unruhige Nacht bevor. Ich war nur noch froh, wenn ich das alles hinter<br />

mich gebracht und überstanden haben würde.<br />

Am darauffolgenden Morgen ging alles sehr schnell. Um 7:30 Uhr<br />

weckte mich ein Pfleger und forderte mich auf, nach der Morgentoilette<br />

die OP-Kleidung anzuziehen und danach vorbereitet im Bett zu<br />

bleiben: „Gleich geht’s los“, meinte er aufmunternd.<br />

Und es ging los!<br />

Ich wurde kurz darauf abgeholt und es folgten Krankenhausgänge,<br />

Aufzug, der Vorbereitungsraum. Es wurden Kanülen gelegt, viele<br />

Schwestern und Ärzte umringten mich, und an viel mehr kann ich<br />

mich dank der einsetzenden Narkose nicht mehr erinnern.<br />

Irgendwann spürte ich, dass mich jemand anfasste und ich hörte, wie<br />

er mit mir sprach. Ich trat langsam aus einem tiefen Schlaf in das Hier<br />

und Jetzt. Müde und geschwächt registrierte ich, dass alles vorbei sein<br />

musste und ich mich wohl im Aufwachraum befand. Für einen kurzen<br />

Moment überkam mich ein Hauch von Zufriedenheit.....es ist vorbei,<br />

dachte ich. Dann folgte für den Rest des Tages nur noch Übelkeit.<br />

Erinnere ich mich heute an diese Operation, so verbinde ich sie<br />

mit schlimmer Übelkeit und Erbrechen, wie ich das zuvor noch nicht<br />

erfahren hatte. Trotzdem war ich aus Sicht der Operateure und des<br />

Ärzteteams in einem gutem Zustand, so dass es nicht nötig war, eine<br />

Nacht zur Beobachtung auf der Intensivstation verbringen zu müssen,<br />

wie es bei vielen frisch operierten Wirbelsäulenpatienten zur Nachsor-<br />

44


ge wichtig ist. Darüber war ich wirklich froh.<br />

Nach einigen Stunden wurde ich auf die Station gebracht, wo bereits<br />

meine Tochter Helene auf mich wartete. Das freute mich sehr und gab<br />

mir ein Gefühl der Vertrautheit in dem nüchternen Krankenhausgeschehen.<br />

Nur meine Übelkeit verschwand nicht und ich erbrach mich<br />

unentwegt. Selbst ein Krankenpfleger, der mir Infusionen anhängte<br />

und irgendwelche Tropfen gab, die gegen diesen Zustand helfen sollten,<br />

schüttelte fassungslos den Kopf und meinte, er habe das so bei<br />

einem Patienten noch nicht erlebt.<br />

Meine Tochter saß den gesamten Nachmittag bei mir, hielt mir die<br />

Hand, reichte mir eine Pappschale nach der anderen und versuchte<br />

mir Beistand zu geben. Gegen Abend trat immer noch keine Besserung<br />

ein. Mein Mann, der inzwischen gekommen war, versuchte mir Tee<br />

und Zwieback einzuflößen, aber mein Magen wollte nichts behalten.<br />

Angeblich, so erzählen sie noch heute, war dies der einzige Satz, den<br />

ich ständig hervorbrachte: „Mir ist sooo schlecht“. Dann ging es weiter<br />

mit Erbrechen.<br />

Erst gegen 23 Uhr wurde es ein wenig besser und es meldete sich der<br />

Hunger. Ich vertilgte mit Appetit den Zwieback, den mir eine Krankenschwester<br />

anbot. Jetzt erst befühlte ich vorsichtig meinen Hals, der<br />

mit einem Pflaster beklebt war. Schmerzen hatte ich keine. Weder an<br />

der Wunde noch im Nacken. Kein Kribbeln, zum ersten Mal seit langem.<br />

Ich war geschwächt und gleichzeitig stolz und zufrieden, dass die Operation<br />

hinter mir lag und keine von den vielen möglichen Gefahren<br />

eingetreten war. Das alles ging mir durch den Kopf bevor ich einschlief.<br />

Die nächsten Tage vergingen und es ging mir erstaunlich gut. Keine<br />

Schmerzen - ich konnte es nicht glauben. Sicherlich musste ich<br />

vorsichtig sein und bestimmte Verhaltensregeln, die Voraussetzung<br />

für eine guten Heilungsprozess waren, berücksichtigen. Dazu gehörte,<br />

dass ich nur auf dem Rücken liegend schlafen durfte. Bewegungen<br />

45


sollten mit dem gesamten Kopf ausgeführt werden, und ich durfte für<br />

drei Monate nicht mehr als fünf Kilogramm tragen. Was mir am meisten<br />

zu schaffen machte war das Verbot des Autofahrens, ebenfalls für<br />

drei Monate. Ich hatte zwei Wochen bevor ich in die Klinik kam, ein<br />

neues Auto gekauft, und deshalb fiel mir die Vorstellung des Verzichts<br />

extrem schwer. Nach vier Tagen Aufenthalt durfte ich bereits duschen,<br />

die Wunde war dabei mit einem Duschpflaster abgedeckt worden. Am<br />

fünften Tag wurde mir eine Halskrause angepasst, die ich sechs Wochen<br />

lang zu tragen hatte. Am sechsten Tag verließ ich die Klinik.<br />

13. Wieder zu Hause<br />

Zunächst war ich glücklich, nach Hause gehen zu dürfen, und ich<br />

genoss den Zustand der Schmerzfreiheit. Es war Sommer, es hatte<br />

über 30 Grad und alle stöhnten unter der Hitze. Nur ich lief mit einer<br />

wärmenden Halskrause, einer Henßge-Krawatte, wie sie in Medizinerkreisen<br />

genannt wird, herum und suchte mir ein kühles, schattiges<br />

Plätzchen. Das alles machte mir nur wenig aus, ich war einfach nur<br />

glücklich, alles hinter mich gebracht zu haben. Allerdings fühlte ich<br />

mich insgesamt etwas abgeschlagen, müde und schwach. Obwohl ich<br />

mich innerlich dagegen wehrte, hatten die vorhergehende Aufregung,<br />

der Eingriff und die Narkose doch ihre Spuren hinterlassen. Max unterstützte<br />

mich, half mir, wo immer er konnte und erleichterte mir dadurch<br />

meinen Alltag. Meine Freundinnen und meine Nachbarin kümmerten<br />

sich fürsorglich um mich. Wenn mein Mann arbeitete und ich<br />

alleine war leisteten sie mir Gesellschaft oder kauften für mich ein.<br />

Am folgenden Samstag, ich hatte das Krankenhaus erst vier Tage zuvor<br />

verlassen, waren wir zum Geburtstag meiner Freundin eingeladen. Ich<br />

saß bei 35 Grad Hitze im Schatten und genoss das Vorrecht eines Patienten,<br />

der sich wenig bewegen durfte, wurde bedient und verwöhnt<br />

und ließ es mir richtig gut gehen. Es war schön, bekannte Gesichter<br />

zu sehen und es tat gut, in fröhlicher Runde zu feiern. Alles fühlte<br />

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sich richtig an. Dieser Tag ist für mich in meiner Krankengeschichte<br />

von großer Relevanz und sehr einschneidend, es sollte der letzte unbeschwerte<br />

Tag ohne Schmerzen sein.<br />

Als ich am Sonntagabend aufwachte verspürte ich das altvertraute<br />

Kribbeln und leichte Schmerzen im Nacken. Ich konnte das zuerst<br />

nicht fassen und wollte es nicht wahrhaben. Irgendetwas war anders,<br />

ja fast so wie vor der Operation. Obwohl ich mich in den vergangenen<br />

Tage vernünftig und achtsam verhalten hatte und in keine Positionen<br />

verfiel, die sich negativ auf meine Gesundheit hätten auswirken können,<br />

verhielt ich mich an diesem Tag besonders aufmerksam und vorsichtig,<br />

was meine Bewegungen und mein Handeln betraf. Ich glaubte,<br />

dass die Beschwerden eventuell die Folgen einer unglücklichen Sitzhaltung<br />

am Vorabend seien. Jedoch auch in der kommenden Woche zeigte<br />

sich der mir bekannte Schmerzzustand mit dem immerwährenden<br />

Kribbeln.<br />

Ich suchte meinen Hausarzt auf und zog ihn zu Rate. Er bestätigte mir<br />

meine Vermutung, dass dies kein normaler postoperativer Verlauf wäre<br />

und kontrollierte mein Blutbild. Er begutachtete meine Narbe, die jedoch<br />

einen guten Heilungsverlauf zeigte. Ich konnte an ihr tägliche<br />

kleine Fortschritte erkennen.<br />

Das Laborergebnis ergab einen erhöhten Leukozytenwert, der auf eine<br />

Entzündung im Körper hinwies. Dr. Renz riet mir zu einer Abklärung<br />

um sicher zu sein, dass sich keine innerliche Entzündung gebildet<br />

habe. Er überwies mich deshalb als Sicherheitsmaßnahme wieder<br />

in dieselbe Klinik, in der ich operiert worden war. Da dieser Tag ein<br />

Freitag war und wir, mein Mann und ich, fast sechzig km Fahrt vor<br />

uns hatten, wurde es nach einem Stau Abend, bis wir das Krankenhaus<br />

erreicht hatten. Hier war es uns nur noch möglich, mit der dortigen<br />

Notfallstation Kontakt aufzunehmen. Wie gewohnt warteten wir hier<br />

einige Stunden, dann kam der diensthabende Notfallarzt für Rückenpatienten<br />

zu uns und nahm uns mit in sein Sprechzimmer. Wir besprachen<br />

mit ihm unsere Sorgen. Er veranlasste eine Röntgenaufnahme,<br />

47


um ein Verrutschen oder Lösen des Titankörbchens, der Platte oder<br />

der angebrachten Schrauben auszuschließen.<br />

Zurück beim Notfallarzt, der allen Patienten sehr freundlich und nett<br />

begegnete, meinte dieser, ich hätte eine schwere Operation hinter mir<br />

und das bräuchte schon seine Dauer, bis eine Einheilung erfolgen würde.<br />

Um aber wirklich alle Bedenken ausschließen zu können, bräuchte<br />

er erneute MRT-Aufnahmen. Dazu müsse er mich aber hier behalten<br />

und stationär aufnehmen. Leider stünde dafür momentan kein Bett<br />

zu Verfügung. Sollten die Schmerzen nicht abnehmen, möge ich am<br />

Montagmorgen erneut vorstellig werden. Mit der Verabreichung einiger<br />

Schmerztabletten verabschiedete er sich von mir und so verließen<br />

wir gegen 23 Uhr die Notfallstation.<br />

Das restliche Wochenende trat keine Schmerzminderung ein, und so<br />

machten wir uns am Montagmorgen zum wiederholten Male auf den<br />

Weg zur Klinik. Kaum dort angekommen und in der Ambulanz vorstellig<br />

geworden, wurden wir erneut in die Unfallnotaufnahme verwiesen.<br />

Prof. Dr. Seiber sei im Urlaub und ansonsten hätten sie weder<br />

einen Termin noch wäre ein Bett frei, so lautete die Begründung. Momentan<br />

könnten sie hier für mich nichts tun.<br />

In der Unfallnotaufnahme wurden wir einer wirklich hilfsbereiten und<br />

verständnisvollen Unfallärztin zugewiesen. Wir trugen unser Anliegen<br />

um Hilfe, sowie die Vereinbarung mit dem diensthabenden Unfallarzt<br />

des vorangegangenen Freitagabend vor. Sie sei keine Rückenspezialistin<br />

und eher für Knochenbrüche und Ähnliches zuständig. Da ihre<br />

Kompetenz in einem anderen Fachgebiet läge, würde sie aus der Wirbelsäulenchirurgie<br />

jemanden bitten zu kommen. Wir sollten uns gedulden<br />

und bitte Platz nehmen. Was nun folgte war WARTEN.<br />

48


14. Warten<br />

Zähle ich die Stunden meiner Wartezeiten auf einen Arzt oder auf eine<br />

Sprechstunde in den letzten drei Jahren zusammen, so komme ich auf<br />

Tage bzw. Wochen. Man muss sich das vorstellen: Man verbringt Tage<br />

mit Warten und weiß, dass man dieser Wirklichkeit einfach nur ausgeliefert<br />

ist und sie nicht ändern kann. Gleichzeitig befindet sich der Patient<br />

in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Arzt, weil er ihn nämlich<br />

zur Hilfe und Behandlung benötigt und jedes Mal die Hoffnung in<br />

ihn setzt, dass er einen neuen Lösungsansatz habe. Wenn ich überlege,<br />

wie viele Fahrten ich unternommen hatte, um eine Überweisung zum<br />

Facharzt zu organisieren, so komme ich auf eine Unmenge an Stunden,<br />

die mich viel Zeit und Kraft gekostet haben.<br />

Einige Beispiele:<br />

• Zum Neurochirurgen benötige ich als Kassenpatient die Überweisung<br />

eines Orthopäden. Der Orthopäde wiederum benötigt die<br />

Überweisung vom Hausarzt.<br />

• Um eine MRT-Aufnahme oder ein Röntgenbild erstellen zu lassen,<br />

brauche ich, wie jeder weiß, die Überweisung des Hausarztes.<br />

• Um eine Infiltration durchführen zu lassen benötigt man eine<br />

Überweisung von einem Schmerztherapeuten.<br />

• Der Schmerztherapeut verlangt aber für seine Abrechnung die<br />

Überweisung eines Orthopäden, der wiederum benötigt seinerseits<br />

eine Überweisung des Hausarztes.<br />

• Besuche ich einen Neurologen, so verlangt auch dieser ein Überweisungsformular.<br />

• Für ein ambulantes Schmerzzentrum werde ich ohne Überweisung<br />

von einem zuvor behandelnden Schmerztherapeuten nicht angenommen.<br />

49


Wenn ich nun dazu zähle, dass ich auch für alle physiotherapeutischen<br />

Maßnahmen ein vom Arzt erstelltes Rezept benötige, so entsteht ein<br />

realistischer Eindruck, was Warten und Hin- und Herfahren für mich<br />

bedeutete und noch immer bedeutet.<br />

Bei den aufgeführten Beispielen sind die Rezepterstellungen bzw. Rezeptabholungen<br />

für die nötigen Medikamente und Arztgespräche oder<br />

die Verlängerung meiner Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung noch gar<br />

nicht berücksichtigt.<br />

In den drei Monaten, in denen ich nicht Autofahren durfte, musste<br />

ich für alle Arztfahrten, um Überweisungen zu bekommen, zusätzlich<br />

Hilfe organisieren. Manchmal verbringe ich genauso viele Stunden mit<br />

dem Aufwand um meine Genesung wie die Jahre zuvor bei meiner<br />

Halbtagstätigkeit. Ich könnte auch zynisch anmerken: „Mein Beruf ist<br />

derzeit meine Krankheit bzw. deren Behandlung“.<br />

15. In der Unfallnotaufnahme<br />

Zurück zum Warten auf den Facharzt für Wirbelsäulenchirurgie. Wir<br />

nahmen, wie aufgefordert, im dortigen Wartezimmer Platz und ließen<br />

das Geschehen und die Hektik der Notaufnahme auf uns wirken. Die<br />

Unfallärztin bemühte sich erneut um den angeforderten Facharzt und<br />

versuchte auf dessen Abteilung anzurufen und ihn daran zu erinnern,<br />

dass er uns aufsuchen möge. Wir konnten aus dem Telefonat deutlich<br />

entnehmen, dass er eigentlich nicht kommen wollte. Die Gründe<br />

dafür wurden von beiden Ärzten ausführlich diskutiert. Er ließ sich<br />

aber von der Ärztin durch die geschilderten Symptomatik letztendlich<br />

überzeugen: Wir wurden kurz danach in das uns inzwischen vertraute<br />

Sprechzimmer gebeten, in das er nach einigen Minuten kam.<br />

Er stellte sich uns als Neurologe vor. Nach meinem Bericht und einer<br />

Untersuchung meiner Finger, die darin bestand, dass er zweimal<br />

darüber streifte und etwas von „Karpaltunnel-Symptom“ murmelte,<br />

50


erklärte er, dass die Dringlichkeit eines Handlungsbedarfs bezüglich<br />

des Kribbelns und der starken Schmerzen seinerseits doch eher gering<br />

einzustufen sei. Es gäbe hier Patienten, die Einblutungen in ihre Wirbelsäule<br />

hätten (was ich nicht bezweifelte) und das wären wirkliche<br />

Notfälle. Überhaupt, eine genauere Einschätzung meiner Problematik,<br />

so bestätigte er seinen Kollegen vom vorigem Freitagabend, könne<br />

nur durch ein MRT erfolgen. Ein MRT würde aber hohe Kosten<br />

verursachen. „Wissen Sie überhaupt, was das kostet?“ fragte er mich<br />

im verärgerten, vorwurfsvollen Ton. Er meinte, wenn er mich dafür<br />

nicht stationär aufnehmen würde, müsste ich dieses privat bezahlen.<br />

Eine Aufnahme in die Klinik sei heute und in den kommenden Tagen<br />

unmöglich, da keine Betten zur Verfügung stünden. Ich könne mich ja<br />

selbst um ein MRT kümmern, wenn ich dieses für notwendig hielte, so<br />

sein Kommentar. Mein Argument, dass ich, wenn ich bei einer Praxis<br />

für Radiologie anrufen und um ein MRT bitten würde, nach meinen<br />

Erfahrungen frühestens drei Wochen später einen Termin bekommen<br />

würde, ignorierte er gänzlich. Er verabschiedete sich eilig mit den ernst<br />

gemeinten Worten „Sie können es ja ein anderes Mal bei uns versuchen“.<br />

Die Notfallärztin, die wir beim Gehen im Gang trafen, versuchte uns<br />

nochmals fast entschuldigend begreiflich zu machen, dass sie großes<br />

Verständnis für uns hätte, uns jedoch aus ihrer Perspektive betrachtet,<br />

nicht helfen könne.<br />

16. Telefonate<br />

Auf der Rückfahrt, die bedingt durch das lange Sitzen, mit heftigen<br />

Schmerzen verbunden war, überlegten mein Mann und ich die weitere<br />

Vorgehensweise: Zunächst wollten wir die Vertretung unseres Hausarztes<br />

aufsuchen, um eine Überweisung für das MRT zu erhalten; danach<br />

alle im Umkreis vertretenen Röntgenpraxen anzurufen, um einen<br />

baldmöglichsten freien Termin für die erforderlichen Aufnahmen zu<br />

51


erhalten, um uns so auf schnellsten Wege Klarheit zu verschaffen.<br />

Ich versuchte mein Glück und traf tatsächlich nach vielen Telefonaten<br />

auf eine Dame in einer Röntgenpraxis, die mir, nachdem ich ihr mein<br />

Anliegen und meine Situation geschildert hatte, einen Termin in zehn<br />

Tagen zusicherte. Darüber war ich sehr dankbar, denn alle anderen<br />

hatten mir, wie bereits vermutet, erst mit vierwöchiger Wartezeit Termine<br />

angeboten. Diese Organisation war mir wenigsten gelungen.<br />

Drei Tage später rief völlig überraschend eine Sekretärin der Klinik an.<br />

Ich wurde aufgefordert umgehend vorbeizukommen, da nun ein Bett<br />

frei sei und ich stationär aufgenommen werden könne. Mein Staunen<br />

war groß. Hatten wir uns nicht verabschiedet mit der Vereinbarung,<br />

dass ich mich selbst um das erforderliche MRT kümmern sollte? Mit<br />

diesem Anruf hatte ich absolut nicht gerechnet. Diese Nachricht bedeutete<br />

für mich alle mit viel Glück erhaltenen Arzttermine wieder<br />

abzusagen, eilig meine Tasche zu packen und ohne Vorlauf ins Krankenhaus<br />

zu fahren. Privates konnte ich nicht mehr organisieren.<br />

17. Ein erneuter Klinikaufenthalt<br />

Auf dem MRT, das nun doch in der Klinik durchgeführt wurde, gab<br />

es jedoch leider keinen Hinweis darauf, was meine Schmerzen und<br />

das Kribbeln auslösen könnte. Inzwischen war Prof. Dr. Seiber vom<br />

Urlaub zurückgekehrt und hatte sich meiner wieder angenommen. Er<br />

schlug mir vor, eine sogenannte Facettengelenk-Infiltration vorzunehmen.<br />

Grund für eine solche Behandlung ist eine vorangegangene Bildgebung<br />

in Verbindung mit der Beschwerdesymptomatik. Zu Beginn der<br />

Maßnahme wird ein CT erstellt, auf dem die zu punktierende Region<br />

mit einem Stift auf der Haut gekennzeichnet wird. Der Patient liegt<br />

dabei auf dem Bauch und darf sich nicht bewegen. Die Liege fährt<br />

nun langsam in die kegelförmige Öffnung des Computertomographen<br />

52


hinein. Die Öffnung ist relativ weit und der Patient kann mit dem Arzt<br />

bzw. dessen Helfer sprechen. Je nach geplantem Betäubungsverfahren<br />

führt der Arzt nun eine dünne Injektionsnadel entweder im Bereich der<br />

Nervenwurzel an der Wirbelsäule oder in die Gelenke der Wirbelsäule<br />

ein. Nach einer Lagekontrolle wird das Medikament/Schmerz-/Betäubungsmittel<br />

eingespritzt. Wie bei jedem ärztlichen Eingriff ist auch<br />

hier mit Komplikationen zu rechnen, die zwar äußerst selten sind, aber<br />

im Falle des Auftretens lebensbedrohlich sein können. Häufig treten<br />

Kreislaufprobleme, Schwindel, Kopfschmerzen und Allergien oder ein<br />

vorübergehendes Taubheitsgefühl auf. Haut-, Gewebe- und Nervenschädigungen,<br />

sowie Verletzungen größerer Blutgefäße, des Rückenmarks<br />

oder eine Schädigung von Nervenstämmen können in seltenen<br />

Fällen die Folgen dieser Untersuchung sein.<br />

Aus vorhergehenden Unterhaltungen mit Wirbelsäulenpatienten<br />

wusste ich, dass dies ein mögliches Verfahren ist, um das Schmerzzentrum<br />

zu finden, weshalb ich auf diesen Vorschlag einging. Obwohl auch<br />

dieser Eingriff, wie oben beschrieben, bestimmte Nebenwirkungen hat<br />

und Gefahren beinhaltet, signalisierte er mir doch einen Funken Hoffnung.<br />

Während der Untersuchung hatte ich dennoch große Angst vor<br />

dem Einstechen der Nadeln. Die ausführende Ärztin forderte mich<br />

immer wieder auf, mich zu entspannen und nicht zu verkrampfen.<br />

Das allerdings war mir in diesem Moment nur schwer möglich; leicht<br />

gesagt, wenn man nicht selbst daliegt und die schlimmsten Vorstellungen<br />

in sich trägt.<br />

Sitzen die Nadeln nicht punktgenau, wird ihre Lage korrigiert, und<br />

es erfolgt eine erneute CT Aufnahme. Dieser Vorgang wird so lange<br />

wiederholt, bis letztendlich genau die Stelle erreicht wird, die für das<br />

Einspritzen des Betäubungsmittels bestimmt ist. Man spürt in diesem<br />

Moment einen leichten Druck, aber dann ist alles vorbei. Es ist fast ein<br />

Gefühl wie nach der Spritze beim Zahnarzt, ein in dieser Region pelziges<br />

Empfinden, bis sich das Betäubungsmittel verteilt hat. Nach dem<br />

langsamen Aufstehen sollte die Injektion bereits ihre Wirkung zeigen,<br />

d.h. die Schmerzen sollten nachlassen und schließlich verschwinden.<br />

53


All das geschah jedoch nicht.<br />

Vor der Infiltration hatte ich mir vorgenommen, mir hinterher in der<br />

Cafeteria einen Kaffee mitzunehmen, um ihn dann mit vollem Genuss<br />

auf dem Balkon des Krankenzimmers zu trinken. Es war, als hätte ich<br />

mir damit selbst eine Belohnung für die überstandenen Strapazen versprochen.<br />

Oben auf Station angekommen, bemerkte ich, dass mein<br />

Kreislauf versagte. Ich konnte gerade noch meinen Cappuccino auf<br />

dem Tisch abstellen, als ich nur noch Sternchen sah und umkippte.<br />

Dann war es dunkel. Eine Krankenschwester, die sich gerade im Zimmer<br />

befand, war mir beim Aufstehen behilflich und führte mich zu<br />

meinem Bett. Ein Pfleger, der hinzu gerufen wurde, meinte: „Machen<br />

sie uns keinen Kummer, sie sind eine so pflegeleichte Patientin“.<br />

Deute ich diese Worte, so beinhalteten sie die Botschaft, dass ich hoffentlich<br />

keine zusätzliche Arbeit für das Pflegepersonal bereiten sollte.<br />

Den Nachmittag verbrachte ich vorsichtshalber im Bett. Gegen Abend<br />

wurde mir vom Stationsarzt mitgeteilt, dass am folgenden Tag eine<br />

zweite vorgesehen sei, nachdem die Infiltration offensichtlich keine<br />

Wirkung gezeigt hatte. Irgendwann am nächsten Tag im Laufe des<br />

Vormittags klopfte es an die Tür und es kam ein Mann mit einem<br />

Rollstuhl herein. Er stellte sich als Patientenbegleiter vor und erklärte<br />

mir, er werde mich nun zur Infiltration fahren. Bestimmt habe ich sehr<br />

erstaunt geblickt, denn mit dieser übertriebenen Vorsichtsmaßnahme<br />

hatte ich nicht gerechnet. Sie kam für mich unvorbereitet, wie aus dem<br />

Nichts, und ich hielt sie für etwas übertrieben. Als ich mich wieder<br />

gefasst hatte, erklärte ich dem Mann freundlich, dass es mir momentan<br />

gut gehe und ich mobil sei. Ich wäre durchaus im Stande, den Weg in<br />

die Radiologie zu Fuß zurückzulegen; allerdings wäre ich ihm dankbar,<br />

wenn er mich nach dem Infiltrieren von der Röntgenabteilung zurück<br />

zu meinem Zimmer begleiten könne. Er verabschiedete sich einsichtig.<br />

Ich habe nach der Behandlung jedoch eine Stunde auf ihn gewartet, er<br />

kam nicht wieder. So ging ich vorsichtig und achtsam alleine wieder<br />

zurück auf die Station.<br />

54


Übrigens war auch diese Infiltration nicht erfolgreich. Der Vorgang des<br />

Eingriffes war der gleiche wie am Tag zuvor, nur wusste ich, was mich<br />

dabei erwartete, und ich konnte mich darauf einstellen. Alle anderen<br />

weiteren Infiltrationen, die im Laufe von zwei Jahren erfolgten, blieben<br />

ebenso erfolglos. Insgesamt habe ich bis zum heutigen Tag zwölf<br />

Infiltrationen bekommen, die keine Wirkung erzielten. Das bedeutete<br />

für mich immer wieder Hoffnung, Psychostress und anschließende<br />

Frustration; abgesehen von dem an sich sehr unangenehmen Eingriff<br />

mitsamt seinen Risiken. Hinsichtlich des wechselnden Zustands zwischen<br />

Hoffnung und Zuversicht bietet sich der Vergleich mit einer<br />

Frau an, die sich zu einer künstlichen Befruchtung entschlossen hat<br />

und jedes Mal darauf wartet, dass die Behandlung angeschlagen hat.<br />

Am Abend bei der Visite erklärte mir Prof. Dr. Seiber, dass ich nach<br />

Hause gehen könne. Ich solle allerdings in der darauffolgenden Woche<br />

anrufen, da er darüber nachdenken müsse, wie es nun weitergehe. Ich<br />

verständigte meinen Mann und noch in dieser Nacht verließ ich das<br />

Krankenhaus.<br />

Zwischenzeitlich war es Ende Juli geworden und sowohl an meinen<br />

Schmerzen, als auch an den Kribbelparästhesien hatte sich trotz OP<br />

nichts geändert. Ich nahm nach wie vor starke Schmerzmittel, die aber<br />

nur geringe Wirkung zeigten. Trotzdem glaubte ich an die Vorstellung,<br />

nach den drei Monaten Schonfrist und Einheilung würde sich dann<br />

endlich eine positive Veränderung zeigen. An meine Halskrause hatte<br />

ich mich gewöhnt, ebenso an alle Einschränkungen samt Fahrverbot.<br />

Am Mittwoch der darauf folgenden Woche rief ich wie vereinbart bei<br />

Prof. Dr. Seiber an. Seiner Auffassung nach, so ließ er mich wissen,<br />

sei eine weitere Myelographie angebracht, um nach einer möglichen<br />

Schmerzursache forschen zu können. Bei der Terminvergabe zur erneuten<br />

stationären Aufnahme wurde der 11. August vorgeschlagen.<br />

Jeder Krankenhausaufenthalt und die damit verbundenen Eingriffe<br />

bedeutete für mich: Organisieren, Tasche packen und Unsicherheit<br />

gegenüber dem, was mich erwartet. Er birgt eine Ungewissheit, einen<br />

55


gewissen Kontrollverlust im Bezug auf das, was mit mir geschieht,<br />

gleichzeitig aber die Hoffnung auf das Ende der Schmerzen. Am Tag<br />

der zweiten Myelographie verspürte ich wieder Angst, aber ich wusste<br />

immerhin, was auf mich zukam. In der Klinik aufgenommen und auf<br />

Station angekommen hatte ich gerade noch Zeit, meine Toilettenutensilien<br />

in die Nasszelle zu bringen, als ich bereits zur Radiologie gerufen<br />

wurde.<br />

Der positiven Ausstrahlung der mir inzwischen bekannten Röntgenärztin<br />

war es zu verdanken, dass sich meine angestaute Aufregung<br />

legte und es mir gelang, mich ihr und ihrem Können anzuvertrauen.<br />

Es war fast wie beim ersten Mal, wie bereits erwähnt: so ein Eingriff<br />

beinhaltet das Gefühl, die Kontrolle über sich und seinen Körper zu<br />

verlieren und dem Ganzen ausgeliefert zu sein. Es folgte ein ähnlicher<br />

Ablauf wie bei der vorherigen Myelographie, nur musste ich dieses Mal<br />

nicht lange warten, bis mich ein Pfleger wieder zurück in mein Zimmer<br />

brachte. Danach war wieder Liegen und viel Trinken angesagt.<br />

Mein Allgemeinzustand war zufriedenstellend, ich befand mich an diesem<br />

Tag in guter Verfassung, und ich spürte keine negativen Folgen.<br />

Am nächsten Morgen wartete ich auf die Visite des Arztes. Der erklärte<br />

mir, dass bei den Aufnahmen des gestrigen Tages keine Auffälligkeiten<br />

zu erkennen wären, die auf meine Schmerzen hinweisen würden.<br />

Er stellte mir in Aussicht, dass Prof. Dr. Seiber mich am Nachmittag<br />

aufsuchen würde. Der Tag verging mit Warten, und spätnachmittags<br />

stand Prof. Dr. Seiber dann vor meinem Bett.<br />

Er schlug eine Röntgenaufnahme meines linken Daumens vor, da die<br />

Schmerzen am Daumenballen in den letzten Monaten immer heftiger<br />

geworden waren. Er wolle damit eine Rhizarthrose ausschließen und<br />

sicher gehen, dass hier keine Gelenkabnutzung vorläge. Die Theorie<br />

für diese Annahme war, dass Schmerzen am Daumen auf eine Beeinträchtigung<br />

am sechsten Halswirbel hinweisen können.<br />

Am nächsten Tag wurde eine Röntgenaufnahme angefertigt, eine Einschätzung<br />

des Bildes bekam ich aber erst abends, als Prof. Dr. Seiber<br />

56


mich sprechen wollte. Er bestätigte seinen Verdacht, dass die Beschwerden<br />

im Daumen tatsächlich auf eine starke Rhizarthrose, eine Arthrose<br />

des Daumengelenkes, zurückzuführen seien. Er selbst könne sich<br />

vorstellen, dass hier eine eventuelle Verbindung bestünde. Er meinte,<br />

ich könne heute noch nach Hause gehen, allerdings möge ich einen<br />

Orthopäden aufsuchen, der ihm bestätigen solle, ob es einen Zusammenhang<br />

zwischen der Daumenarthrose und meinen Beschwerden<br />

im Halswirbelsäulenbereich gäbe. Erst danach sollte ich wieder einen<br />

ambulanten Sprechstundentermin bei ihm vereinbaren. Mein Mann<br />

holte mich gegen 20 Uhr ab und ich freute mich darauf, die Nacht im<br />

eigenen Bett verbringen zu dürfen.<br />

18. Gedanken zum Klinikalltag<br />

Nach dreimaligen kurz aufeinanderfolgenden Klinikaufenthalten mache<br />

ich mir als Patient und Beobachter zum Gesamtablauf des dortigen<br />

Klinikalltages und zum Krankenhaus insgesamt so meine Gedanken.<br />

Vorweg, die Praxis von Prof. Dr. Seiber befindet sich im Erdgeschoss<br />

und ist sehr gut organisiert. Dies ist sicherlich auf seine zuverlässigen<br />

Sekretärinnen zurückzuführen. Außerhalb seiner allgemeinen Sprechstunde,<br />

die sich nur auf montags beschränkt, befand er sich meist gerade<br />

dann im Operationssaal, wenn ich versuchte ihn zu erreichen. Seine<br />

freundlichen Damen im Vorzimmer sorgen stets für Terminvereinbarungen,<br />

Rückrufe und geben alle zu besprechenden Anliegen an ihn<br />

weiter. Sie haben vor allem in akuten Fällen bislang immer für mich<br />

ein Vorsprechen beim Professor möglich gemacht, trotz seines engen<br />

und gut gefüllten Terminkalenders.<br />

Die zentrale Anmeldung ermöglicht erst den ambulanten Besuch der<br />

Wirbelsäulenchirurgie und Radiologie. Hier arbeiten ebenfalls engagierte,<br />

nette Damen, die wirklich ihr Bestes geben und leisten. Sie haben<br />

mit teilweise ungeduldigen, egoistischen und schlechtgelaunten<br />

57


Menschen zu tun und ich bewundere die Gelassenheit und Ruhe, aber<br />

auch ihre Freundlichkeit, mit der sie allen Patienten begegnen. Da sich<br />

der Anmeldebereich in einem großen Vorraum befindet, werden sie an<br />

manchen Tagen zusätzlich mit einer Warteschlange von Patienten und<br />

einem überfüllten Warteraum konfrontiert. Ich habe wirklich allen Respekt<br />

vor diesen Damen.<br />

Die Chefärzte der dortigen Wirbelsäulenchirurgie und deren Team<br />

nahm bzw. nehme ich als wirklich kompetente, verantwortungsvolle<br />

und bemühte Ärzte wahr, die sich trotz der geringen verfügbaren Zeit<br />

für ihre Patienten einsetzen. Ich habe Prof. Dr. Seiber die ersten Jahre<br />

als für meine Beschwerden, Fragen und Sorgen offenen Arzt erlebt. Er<br />

nahm mich als Patient ernst, was auch psychisch einfach sehr gut tat.<br />

Selbst nach Jahren des Suchens und Forschens nach der Schmerzursache<br />

und leider nur teilweisem Erfolg, gab er mich als Patient nicht auf<br />

und war für mich weiterhin einer der ersten Ansprechpartner, der sich<br />

während seiner Sprechstunde stets Zeit für mich nahm.<br />

Auf Station herrscht das übliche hektische Krankenhaustreiben, das<br />

vermutlich aus dem bekannten Personalnotstand in der Pflege resultiert.<br />

Die Schwestern und Pfleger sind sichtlich überfordert mit ihren<br />

vielen Aufgaben. Obwohl sie teilweise Unterstützung von Schwesternhelferinnen<br />

bzw. Praktikanten für die Essensausgabe und für andere<br />

Tätigkeiten erhalten, bleibt kaum Zeit für die wichtigen zwischenmenschlichen<br />

Gespräche und Gesten. Ich habe dies bei einer 85-jährigen<br />

Patientin, die mit mir das Zimmer teilte, erlebt. Sie war nach einer<br />

schweren Operation bei allen mir selbstverständlichen Tätigkeiten<br />

auf die Gefälligkeit anderer angewiesen. Es war ihr selbst unmöglich,<br />

außer im Liegen und manchmal in einer Sitzposition ihre Nahrung<br />

aufzunehmen oder nach etwas zu greifen. Die Pflegekräfte begegneten<br />

ihr mürrisch und hektisch, und manchmal wurde ihre Bitte um Hilfe<br />

einfach ignoriert. Ich bemerkte, wie dankbar meine Bettnachbarin<br />

mein Angebot ihr zu helfen, annahm. Ich konnte meine Hilfe jedoch<br />

natürlich nur in dem Rahmen anbieten, den mein eigener Gesundheitszustand<br />

zuließ.<br />

58


Mir wurde anhand dieses Beispiels bewusst, wie notwendig gerade für<br />

das psychische Befinden Worte, und seien es nur ganz wenige, und<br />

längere Gespräche sind. Ein kurzes Handauflegen, aufmunternder<br />

Zuspruch, all dies trägt gerade bei schwerkranken Patienten zu einem<br />

positiven psychischen Befinden und das wiederum zu seinem Heilungsprozess<br />

bei. Bei einer permanenten Unterbesetzung und Überforderung<br />

des Personals ist diese Hilfestellung unmöglich. Jeder weiß und<br />

kann nachvollziehen: Befindet man sich als Mensch, und das gilt auch<br />

für das Pflegepersonal, in einem gehetzten, unausgeglichenem Zustand<br />

oder in schlechter Stimmung, so ist es schwer, sich den geforderten<br />

Aufgaben adäquat zu stellen. Ein sensibles Einfühlen im den Patienten<br />

gestaltet sich da schwierig. Nur wenn es einem selbst gut geht, kann<br />

man sein Umfeld mit positiver Energie beeinflussen.<br />

Da ich nur auf wenig bis gar keine Hilfe bei den Alltäglichkeiten angewiesen<br />

war, begegneten mir alle auf Station freundlich. Eine Schwester<br />

erzählte mir eines Abends, sie hatte bereits Feierabend, von der vorherrschenden<br />

Personalsituation. Sie schilderte, dass an einem kürzlich<br />

vergangenen Nachmittag nur eine Stationsschwester für zwei Stationen<br />

zur Verfügung stand. Sie vertraute mir weiterhin an, dass Urlaub<br />

und Krankheit des Personals eigentlich ständig ohne zusätzliche Kräfte<br />

abgedeckt werden müssten und sich alle ziemlich an der Grenze dessen<br />

befänden, was zu leisten ist. Auf diesen Umstand, meine ich, ist es<br />

wohl zurückzuführen, dass in keinem meiner Aufenthalte nur einmal<br />

ein Bett aufgeschüttelt oder frisch gemacht wurde. Ich habe es nicht<br />

erfahren, dass ein Betttuch oder ein Überzug erneuert wurde. Obwohl<br />

ich nie länger als einige Tage dort verbringen musste, bin ich der Meinung,<br />

dass dies in einem Krankenhaus nicht passieren darf. Man bedenke,<br />

dass eine große Sommerhitze herrschte und die Patienten viel<br />

schwitzten. Zudem zeigten sich auf den Betttüchern Spuren von Essensresten,<br />

Blut und Ähnlichem.<br />

Eine meiner Bettnachbarinnen, deren Operation bei meinem Erscheinen<br />

drei Wochen zurück lag, hatte erhebliche Probleme mit ihrer Wunde<br />

auf Grund einer Entzündung. Darin begründete sich ihr langer Kli-<br />

59


nikaufenthalt. Die Wundheilung zeigte nur langsam Fortschritte und<br />

wäre keine Besserung eingetreten, so hätte sie noch einmal operiert<br />

werden müssen. Auch andere Patienten, mit denen ich hier in Kontakt<br />

kam, erzählten von Wundheilungsstörungen und erforderlichen<br />

Folgeoperationen, bei denen Schwämmchen in die Wunde gelegt werden<br />

mussten um eine Heilung zu erzielen. Gerade bei diesen Patienten<br />

wäre die Einhaltung einer besonderen Hygiene sicherlich notwendig<br />

und erforderlich.<br />

Ich möchte noch auf meine Wahrnehmung hinsichtlich der Raumpflege<br />

eingehen. Das Krankenzimmer wurde zwar täglich durch eine<br />

Reinigungskraft geputzt, wenn ich jedoch rückblickend über die Reinigungsweise<br />

nachdenke, so wundere ich mich nicht über die große<br />

Menge der durch Keime und Viren hervorgerufenen Infektionen, die<br />

in Kliniken häufig auftreten. Ein einmaliges Eintauchen des Wischlappens<br />

ins Schmutzwasser reichte für den gesamten Raum. Egal, ob die<br />

Staubflocken sich dazwischen befanden oder der Boden von einer Patientin,<br />

die die Toilette nicht rechtzeitig erreichte, nass wurde - alles<br />

wurde mit diesem einen Lappen aufgewischt. Ich überlasse es nun jedem<br />

selbst, sich darüber eine Meinung zu bilden.<br />

19. Folgen der Myelographie<br />

An den Tag, an dem ich nach meiner zweiten Myelographie das Krankenhaus<br />

verlassen hatte, habe ich nur ungute Erinnerungen. Ich bekam<br />

plötzlich heftige Kopfschmerzen und war kaum fähig, meinen Kopf zu<br />

bewegen. Jede Drehung tat höllisch weh, und es war ein gleichzeitig<br />

andauerndes Ziehen im Nacken vorhanden. Übelkeit begleitete mich<br />

durch den gesamten Tag. Es war mir unmöglich aufzustehen, weshalb<br />

ich gezwungen war, den gesamten Tag liegend zu verbringen. Ich versuchte<br />

auf Anraten meines Sohnes Felix viel zu trinken und mehr Kaffee<br />

als sonst. Das Koffein sollte die Blutgefäße weiten und dadurch die<br />

Schmerzen lindern. Aber nur eine geringe Linderung trat ein.<br />

60


Auch der nächste Tag brachte schmerzbedingt massive Einschränkungen.<br />

Ich verbrachte einen weiteren Tag liegend. Ich kam zu der Überzeugung<br />

dass, sollte eine weitere Myelographie vorgeschlagen werden,<br />

ich diese nur noch als letzte Möglichkeit einer Untersuchung in Betracht<br />

ziehen würde. Vier Tage hatte ich mit den Nachwirkungen zu<br />

kämpfen, zusätzlich zu dem stetigen Kribbeln und den immerwährenden<br />

zermürbenden Schmerzen. Ich merkte insgesamt, dass meinem<br />

Körper in den letzten Monaten sehr viel zugemutet worden war. Es war<br />

nun Ende August geworden, und allmählich durfte ich mich meiner<br />

Halskrause entwöhnen. Ich legte sie nur noch stundenweise und zum<br />

Schlafen an, und irgendwann ließ ich sie ganz weg. Für mich bedeutete<br />

dies die Halbzeit der geforderten Einhaltungen an Verhaltensregeln,<br />

die zu meiner Genesung erforderlich waren, vor allem die Aufhebung<br />

des Fahrverbotes war absehbar. Die Hälfte dieser einschränkenden Zeit<br />

hinter mich gebracht zu haben, sah ich als einen kleinen Fortschritt an,<br />

und irgendwie war ich auch ein bisschen stolz auf mich durchgehalten<br />

zu haben. Alles wäre gut gewesen, hätten mich meine Schmerzen nicht<br />

permanent an die Tatsache erinnert, dass sich nach der Operation<br />

überhaupt keine Besserung einstellen wollte. Dieser Umstand machte<br />

mich sehr traurig und ratlos. Ich stellte nach wie vor fest dass, je weniger<br />

ich mich bewegte, meine Beschwerden desto stärker wurden. Also<br />

nahm ich mir tägliche Spaziergänge vor.<br />

Da ich zu der Zeit keinen Orthopäden hatte, ich aber die Rhizarthrose<br />

an meinem Daumen einschätzen lassen wollte, vereinbarte ich einen<br />

Termin bei einer mir wiederholt zu Gehör gekommenen Arztpraxis,<br />

zwanzig km von meinem Wohnort entfernt. Trotz umständlicher Anfahrt,<br />

da ich ja noch nicht selbst wieder Autofahren durfte, nahm ich<br />

die zu fahrenden Kilometer in Kauf und ließ mich von einer Freundin<br />

hinbringen. Zusätzlich organisierte ich noch einen Besuch in der<br />

Handchirurgie in einer Spezialklinik, die noch weiter entfernt von unserem<br />

Wohnort liegt. Gleichzeitig überlegte ich weitere Schritte, sollten<br />

bis Mitte Oktober, also drei Monate nach meiner Operation, sich<br />

die ziehenden Nacken- und Schulterschmerzen, sowie das Kribbeln<br />

nicht geändert haben.<br />

61


Mit diesen Gedanken suchte ich erneut meinen Hausarzt auf. Er gab<br />

mir den Hinweis, sich eine zweite Meinung zur Beurteilung meiner<br />

Beschwerden einzuholen, um sicher zu gehen, dass in der Klinik nichts<br />

übersehen worden war. Ich besprach mich mit ihm und nahm daraufhin<br />

Kontakt zur Neurochirurgischen Abteilung an einem Uniklinikum<br />

auf. Der Termin war auf Mitte September vorgesehen. Um meine<br />

Schmerzen einigermaßen in den Griff zu bekommen, sollte ich zudem<br />

eine Schmerztherapeutin aufsuchen, um mich von ihr auf eine optimale<br />

Schmerzmedikation einstellen zu lassen.<br />

Bei Dr. Martan, dem Orthopäden, bekam ich relativ schnell für Mitte<br />

September einen Termin. Er war ein hektischer Mann, der versuchte<br />

mir nach einer kurzen Untersuchung eindeutig zu vermitteln, dass er<br />

so gar keinen Zusammenhang zwischen der Vermutung von Prof. Dr.<br />

Seiber, der diagnostizierten Rhizarthrose und meinen Nackenschmerzen<br />

sehe. Des Weiteren beurteilte er die vergangene OP als einen nicht<br />

erforderlich gewesenen Eingriff. Er gab mir noch mit auf den Weg, dass<br />

Neurochirurgen immer gleich zum Operieren neigen würden, dann<br />

eilte er aus dem Sprechzimmer. Ich verließ seine Praxis, enttäuscht und<br />

mit unsicheren Eindrücken. Ich hatte mir ein etwas zeitintensiveres<br />

Gespräch erwartet und war gleichzeitig beruhigt, mir eine zusätzliche<br />

Einschätzung in der Handchirurgie gesichert zu haben – allerdings erst<br />

Mitte Oktober, erst dann hatte ich dort meine Vorstellung.<br />

20. Besuch beim Schmerztherapeuten<br />

Der Kalender zeigte bereits Ende September an, und es folgte die Vorstellung<br />

bei Frau Dr. Jakob, einer Schmerztherapeutin. Ich war schon<br />

sehr gespannt, was mich bei ihr erwartete. Nach einer Anfahrtszeit von<br />

30 Minuten wartete ich nach der Aufnahme in ihrer Praxis zweieinhalb<br />

Stunden. Während dieser Zeit bekam ich einen digitalen Schmerzfragebogen,<br />

den ich ausfüllen sollte. Ich wurde befragt nach Schmerzäußerung,<br />

Schmerzattacken, Schmerzintensität und wie ich diese erleb-<br />

62


te. Er beinhaltete außerdem psychologische Fragestellungen und die<br />

Information nach meiner momentanen Medikation. Das Warten, egal<br />

wo, erweist sich für mich immer als äußerst problematisch, da meine<br />

Schmerzen ja gerade im Sitzen provoziert werden. Längeres Stehen bietet<br />

mir keine wirkliche Alternative, da es sich ähnlich schmerzsteigernd<br />

auswirkt. Als ich endlich an der Reihe war, ging es mir, wie immer<br />

nach solchen Wartezeiten, nicht gut. Ich hatte deshalb Schwierigkeiten,<br />

mich auf das Gespräch zu konzentrieren, denn auch im Sprechzimmer<br />

wurde - typisch für Arztgespräche – sitzend kommuniziert.<br />

Bei jedem Arzt, bei dem ich mich zum ersten Mal vorstelle, muss ich<br />

meine gesamte Krankengeschichte natürlich von Anfang an erzählen.<br />

Diese dauert mittlerweile immer länger, und dabei muss ich aufpassen,<br />

dass ich nichts zu erwähnen vergesse, denn oft sind es gerade die<br />

Kleinigkeiten, die vielleicht entscheidend für die Diagnose bzw. einen<br />

möglichen Lösungsansatz sein könnten. Ich bin dankbar, dass ich Arztbriefe,<br />

Röntgenbilder und MRT-Aufnahmen in einem Ordner gesammelt<br />

habe und Dokumentationen vorweisen kann. Ich bemerkte, dass<br />

mich die Schmerztherapeutin Frau Dr. Jakob während meines Berichtes<br />

intensiv beobachtete, und ich fühlte mich dabei unwohl.<br />

Nachdem ich zu Ende erzählt hatte, stellte sie mir die Frage, ob ich<br />

schon einmal darüber nachgedacht hätte, dass meine beschriebenen<br />

Symptome primär aus der Psychosomatik heraus zu sehen wären. Die<br />

meisten Patienten würden den Einfluss der Psyche auf körperliche Leiden<br />

absolut unterschätzen. Sie forderte mich dazu auf, diese Sichtweise<br />

zuzulassen. Auf meinem Rücken würde viel lasten und hier könnte der<br />

Ansatzpunkt zur Schmerzbewältigung sein.<br />

Ich fragte mich insgeheim, wie sie dies nach zehn Minuten Kennenlernen<br />

so genau einschätzen konnte! Hatte ich die Verknüpfung meiner<br />

Schmerzproblematik mit der Psychosomatik nicht schon einmal mit<br />

einer Ärztin diskutiert? Ich versuchte auch diesmal meinen Standpunkt<br />

zu vertreten, nämlich dass sich meine Beschwerden eher nach einem<br />

mechanischen Problem anfühlten. Ich konnte Frau Dr. Jacob jedoch<br />

63


nicht von meiner Darstellung überzeugen. Abschließend unterhielten<br />

wir uns über die Einnahme der Tabletten und Tropfen, die sie mir<br />

verschrieb. Es waren andere Schmerzmedikamente als die, welche ich<br />

zum damaligen Zeitpunkt einnahm. Mit einem Rezept in der Hand<br />

verließ ich die Praxis.<br />

Das war also meine erste Erfahrung mit einem Besuch bei einer<br />

Schmerztherapeutin, und ich möchte anmerken, dass er für mich<br />

weder hilfreich noch überzeugend war. Die von ihr verschriebenen<br />

Medikamente schlugen nicht in der gewünschten Weise an, und das<br />

Gespräch hatte mich eigentlich nicht weiter gebracht. Weder von der<br />

Ärztin noch von der Sprechstundenhilfe wurde mir mitgeteilt, ob und<br />

in welchem Zeitrahmen die Vereinbarung zu einem neuen Termin erwünscht<br />

sei.<br />

Als Patientin empfinde ich es immer als schwierig, denn wie kann ich<br />

einschätzen, wann es richtig und wichtig ist, einen Folgetermin zu vereinbaren<br />

bzw. zur Kontrolle vorbeizukommen? Meine Erfahrung hat<br />

mich gelehrt, dass Arzttermine, insbesondere bei Fachärzten – meinen<br />

Hausarzt ausgenommen - nur in den seltensten Fällen spontan und zu<br />

dem Zeitpunkt, an dem ich ihren Rat benötige, vergeben werden können.<br />

Es gibt meist keine Chance ohne vorherige Terminvereinbarung<br />

einen entsprechenden Arzt in seiner Sprechstunde aufzusuchen. Deshalb<br />

habe ich mir angewöhnt, mir für den derartigen Fall einfach prophylaktisch<br />

einen Termin geben zu lassen. Somit muss ich mir je nach<br />

Dringlichkeit und Notwendigkeit keine unnötige Gedanken darüber<br />

machen, wie ich zu einem Termin komme. Brauche ich ihn nicht, sage<br />

ich ihn selbstverständlich rechtzeitig ab. Also ließ ich mir auch hier bei<br />

Frau Dr. Jakob einen Termin für den nächsten Besuch in einem Monat<br />

geben.<br />

Zuhause dachte ich nochmals ernsthaft über unser Gespräch nach,<br />

und ich ließ mir das Argument von Dr. Jakob wiederholt durch den<br />

Kopf gehen, dass meine Beschwerden psychosomatischer Ursache sein<br />

könnten. Nach kritischer Abwägung ihrer Argumente kam ich nach<br />

64


wie vor zu der Überzeugung, dass ich ihr in diesem Punkt überhaupt<br />

nicht beipflichten kann. Ich sah und sehe auch heute keinen Zusammenhang<br />

zwischen mechanischen Bewegungen und Positionen, bei<br />

denen ich meine Schmerzen provozieren kann und der Psychosomatik.<br />

Dass die Gesamtsituation sich mit der Zeit allmählich auch auf die<br />

Psyche niederlegt, das ist, denke ich, verständlich.<br />

21. Zweitmeinungen<br />

In der kommenden Woche fuhren mein Mann und ich in die Neurochirurgie<br />

eines nahegelegenen Uniklinikums, um die bereits erwähnte<br />

Zweitbeurteilung einzuholen. Wir hatten einen sehr frühen Termin<br />

und eine Strecke von sechzig km zurückzulegen. Nach einem durch<br />

den Berufsverkehr verursachten Stau kamen wir dort gerade noch<br />

pünktlich an. Kurz nach einer Vorstellung im Sekretariat der neurochirurgischen<br />

Ambulanz wurden wir bereits ins Sprechzimmer gerufen.<br />

Die mitgebrachten MRT-Aufnahmen und Arztbriefe wurden betrachtet<br />

und gelesen. Ein netter, kompetenter Neurochirurg bestätigte die<br />

professionelle Arbeit von Prof. Dr. Seiber samt einem inzwischen gut<br />

eingeheilten Titankörbchen als Ergebnis der Operation. Seine Aussage<br />

war, dass er die gleiche Vorgehensweise gewählt hätte und man zum<br />

derzeitigen Zeitpunkt nur warten könne, bis die gesamte Einheilung<br />

erfolgt sei. Danach sei mit einer Physiotherapie der Muskelaufbau zu<br />

fördern. Sollte dies keinen Erfolg haben und die Beschwerden immer<br />

noch auftreten, müssten weitere Infiltrationen angedacht und durchgeführt<br />

werden. Gerne könne ich dann Kontakt mit ihm aufnehmen.<br />

Wir verabschiedeten uns mit der Gewissheit und der Bestätigung, dass<br />

meine Operation ordentlich und zuverlässig durchgeführt wurde. Einen<br />

Hinweis oder eine Idee, warum ich noch immer Schmerzen hatte,<br />

erhielten wir aber auch hier nicht. Insgesamt fühlte ich mich frustriert,<br />

und es drängte sich mir erneut die Frage auf, ob ich die Beschwerden<br />

der Operation und die damit verbundenen Konsequenzen umsonst<br />

65


auf mich genommen hatte. Es gibt so viele Möglichkeiten um Krankheitsursachen<br />

festzustellen, warum kann meine Schmerzursache nicht<br />

gefunden werden? Dieser und andere Gedanken trieben und treiben<br />

mich bis heute um, und so nahte der Tag meiner Abschlussuntersuchung<br />

bei Prof. Dr. Seiber<br />

Ich freute mich darauf, da dieser Tag für mich „freie Fahrt“ bedeutete.<br />

Endlich durfte ich wieder Autofahren, das empfand ich nach Wochen<br />

der Einschränkung als große Freiheit. Prof. Dr. Seiber zeigte sich zufrieden<br />

mit den erneut aufgenommenen Röntgenaufnahmen. Er überzeugte<br />

sich vom richtigen Sitz des angebrachten Titankörbchens und<br />

der davor eingesetzten Platte. Seiner Aussage nach wäre alles richtig<br />

und gut verlaufen, es gäbe keine Lockerung des Materials. Er äußerte<br />

jedoch Bedenken, denn es dürften nach einer so schweren Operation<br />

keine Schmerzen mehr vorhanden sein. Er wollte weiter suchen<br />

und meine Schmerzursache finden. Er schlug drei Facetteninfiltrationen<br />

vor: C7, C6, C5, um sozusagen nach dem Ausschlussverfahren<br />

vorzugehen (Die Zahlen beschreiben die jeweiligen Halswirbel). Sollte<br />

eine der Infiltrationen anschlagen, so wäre da die Stelle des Schmerzpunktes,<br />

die einer genaueren Betrachtung bedürfe.<br />

Ich informierte ihn des Weiteren noch von meinem zwischenzeitlich<br />

stattgefundenen Besuch bei einem Orthopäden und dass Herr Dr.<br />

Martan keinen Zusammenhang zwischen meinen Beschwerden und<br />

der Rhizarthrose sehe. Allerdings, so fügte ich hinzu, hätte ich zur weiteren<br />

Beurteilung für die kommende Woche in der Handchirurgie einen<br />

Termin vereinbart.<br />

Prof. Dr. Seiber versuchte mir Mut zu machen und verglich mich mit<br />

einer harten Nuss, die irgendwann geknackt werden würde, was bedeutete,<br />

dass auch bei mir noch eine Erklärung für alles gefunden werden<br />

würde.<br />

Nachdem ich mich verabschiedet hatte, stellte ich mir vor wie es wäre,<br />

hätte ich nun kein Kribbeln und keine Beschwerden mehr und alles<br />

66


wäre zum Besten. Ich könnte mich unbeschwert freuen.<br />

Ich könnte wieder zur Arbeit gehen und mein gewohntes Leben aufnehmen<br />

ohne ständige Arzttermine oder regelmäßige Besuche beim<br />

Physiotherapeuten. Ich müsste mir keine Gedanken über die weitere<br />

Vorgehensweisen und meine Zukunft machen und könnte mein Leben<br />

einfach genießen und planen.<br />

Ich würde Sozial- und Außenkontakte pflegen, ohne mir zu überlegen:<br />

Wo kann ich hingehen, ohne mich den Schmerzen auszusetzen bzw.<br />

wer hat Verständnis für mein Verhalten in einer Schmerz-Situation.<br />

Wo immer ich hingehe, muss ich mit den gegebenen Umständen klar<br />

kommen und für mich eine Lösung zur Linderung der Schmerzen finden.<br />

So habe ich mir beispielsweise angewöhnt, immer mein Keilkissen<br />

mitzunehmen, wenn längeres Sitzen angesagt ist. Ich stecke es mir<br />

hinten als Rückenstütze an die Stuhllehne, das schafft etwas Erleichterung.<br />

Ich lege mein Tens-Gerät, eine Elektrostimulation auf die ich<br />

noch zu sprechen komme, an, wenn ich längere Strecken habe, die<br />

ich langsamen Schrittes zurücklegen muss. Das Stehen über längere<br />

Zeit ist mir nur mit einer zusätzlichen Tabletteneinnahme und mit<br />

dem Einschalten des Tens-Gerätes möglich. Aus diesen Gründen wäge<br />

ich sehr genau ab, wo ich hingehe und was ich mir zumuten möchte.<br />

Manchmal entscheide ich mich aber auch bewusst dafür, nicht zu<br />

Hause zurückgezogen den Tag zu verbringen. Mir ist die Notwendigkeit<br />

eines Aufenthaltes außerhalb der „eigenen vier Wände“ durchaus<br />

bewusst, und deshalb zwinge ich mich an manchen Tagen dazu, obwohl<br />

mir eigentlich dazu oft jeglicher Antrieb fehlt.<br />

Trotz alledem bin ich dankbar, dass bislang alle Eingriffe und Untersuchungen<br />

an meinem Körper ohne anhaltende Negativfolgen geblieben<br />

sind und weiß dies zu schätzen. Häufig treten Schmerzen an meinem<br />

linken Daumen schubweise auf und sind dann äußerst intensiv. Eine<br />

kleine Berührung genügt, um diese auszulösen. Der Daumen einer<br />

Hand ist stets in Bewegung und bei nahezu allen Tätigkeiten im Ein-<br />

67


satz, weshalb eine Schonung fast unmöglich ist.<br />

In der darauffolgenden Woche bestätigte uns die Ärztin in der Handchirurgie,<br />

dass an meinem linken Daumen eine fortgeschrittene Rhizarthrose<br />

vorhanden ist, eine Daumensattelgelenkarthrose, die auf<br />

Verschleiß zurückzuführen ist. Durch das Tragen einer Stütze erfolgt<br />

eine Erleichterung, aber letztendlich könne sie nur durch eine Operation<br />

behoben werden. Einen Zusammenhang zwischen meinen bestehenden<br />

Nackenschmerzen und der Arthrose sah auch sie nicht. Ich<br />

ließ mir ein Rezept für eine Gelenkstütze verschreiben und entschied<br />

mich, auf Grund der momentanen, schon vorhandenen gesundheitlichen<br />

Problematik gegen eine Operation. Allerdings trage ich die Stütze<br />

immer bei der Verrichtung alltäglicher Bewegungen und Arbeiten, wo<br />

sie mir Hilfe und Schmerzlinderung bringt.<br />

Zu dieser Zeit wuchs in mir die Überlegung und der Wunsch, zusätzlich<br />

die fachliche Meinung eines Wirbelsäulenspezialisten, nicht<br />

aus neurochirurgischer Einschätzung, sondern aus orthopädischer<br />

Sichtweise anzuhören. Ich wollte damit einfach sicher gehen, nichts<br />

Wesentliches zu versäumen, was meinen postoperativen Zustand und<br />

Heilungsprozess betraf. Vielleicht bot sich ja aus seiner Perspektive<br />

eine Erklärung, warum ich nach wie vor an diesen starken Schmerzen<br />

und Kribbelparästhesien litt.<br />

Auf Anraten unseres Sohnes Felix, der aus seinem Studium einen bekannten<br />

Professor für Wirbelsäulenchirurgie an einer Uniklinik kennt,<br />

vereinbarte ich im dortigen Sekretariat einen Termin zur Vorstellung.<br />

Die Kosten dafür hatte ich auf Grund der Tatsache, dass Prof. Dr. Glas<br />

nur Privatpatienten nahm, selbst zu tragen.<br />

Die Stadt liegt ca. eineinhalb Stunden von unserem Wohnort entfernt.<br />

Bei der Hinfahrt gerieten wir, mein Mann Max und ich, in einen Stau<br />

auf der Autobahn. Wir kamen deshalb erst mit zweistündiger Verspätung<br />

in der orthopädischen Ambulanz des Uniklinikums an. Trotzdem<br />

wurden wir hier noch freundlich empfangen. Prof. Dr. Glas studierte<br />

68


meine mitgebrachten Unterlagen und es folgte eine eingehende Untersuchung.<br />

Er diagnostizierte manuell-therapeutisch mehrere costotransversale<br />

Blockaden (Gelenke, die sich zwischen Wirbelsäule und<br />

Rippen befinden). Es gelang ihm eine davon zu lösen. Sein Procedere<br />

lautete: Vorstellung bei einem chiropraktischen Arzt und dauerhafte<br />

physiotherapeutische Behandlung. Sollte keine Besserung eintreten,<br />

empfahl auch er CT-gesteuerte Infiltrationen. Auch er bestätigte uns<br />

die korrekte Ausführung der Operation, sowie die gute Einheilung<br />

meines Implantats.<br />

22. Frau Dr. Schlüter<br />

Weitere ambulante Infiltrationen können nur erfolgen, wenn ich die<br />

Überweisung eines Schmerztherapeuten habe, so lautete die Aussage<br />

bei der Dame, die für die erforderliche Terminvergabe in der Röntgenabteilung<br />

der Klinik zuständig ist. Einen Termin für eine Infiltration<br />

und Folgetermine, so erklärte sie mir, könne erst in einem Zeitraum<br />

von sechs Wochen vergeben werden. Das bedeutete für mich also eine<br />

sechswöchige Wartezeit, in der diesbezüglich nichts geschah.<br />

So hatte ich einen großen Zeitrahmen, um meine Schmerztherapeutin<br />

Frau Dr. Jakob aufzusuchen und sie um die Ausstellung einer Überweisung<br />

zu bitten. Verbunden damit wollte ich mit ihr über die verordneten<br />

Medikamente sprechen, die leider bei mir nur wenig Wirkung<br />

erzielten. Ich hatte ein Opioid in Tablettenform bekommen, welches<br />

für zwölf Stunden hätte wirken sollen. Das Medikament benötigte bis<br />

zum Einsetzen der Wirkung eineinhalb Stunden und danach hielt die<br />

schmerzfreie Zeit genau für zwei Stunden an. Nachts wachte ich nach<br />

wie vor regelmäßig schmerzbedingt auf und konnte nicht mehr einschlafen.<br />

Eine permanente Müdigkeit war die Folge. Über all das wollte<br />

ich mich mit Frau Dr. Jakob austauschen.<br />

Auch heute erwartete mich eine längere Wartezeit von zwei Stunden,<br />

69


so dass ich bereits mit Schmerzattacken das Sprechzimmer betrat. Dr.<br />

Jakob erklärte mir auch heute, dass all das, was auf meinen Schultern<br />

laste, sich in meinem Schmerzbild äußern könnte. Sie schlug mir eine<br />

besondere Entspannungstechnik vor. Diese sollte an einem Abendtermin<br />

mit anderen Patienten erlernt werden. Eine Überweisung für eine<br />

Infiltration hielt sie für unbegründet und absolut nicht erforderlich.<br />

Auf meine Bitte, sie möge sich mit Prof. Dr. Seiber in Verbindung<br />

setzen, reagierte sie abweisend und verärgert.<br />

An dem für die Entspannungstechnik vorgesehenen einmaligen Gruppenabend<br />

nahm ich zwar teil, hatte allerdings Mühe, mich in dieser<br />

Form zu entspannen. Die anwesenden Patienten samt den teilnehmenden<br />

Sprechstundenhilfen der Praxis sollten sich in Rückenlage auf ihre<br />

mitgebrachten Unterlagen legen. Danach wurde zur Ruhe aufgefordert<br />

und eine CD abgespielt. Wir lauschten dieser CD, auf der eine<br />

Männerstimme zu Entspannungsübungen einlud und erklärte, wie<br />

diese auszuführen seien. Wir bekamen von Frau Dr. Jakob weder eine<br />

persönliche Hinführung noch eine schrittweise Einführung zu dieser<br />

Entspannungsstunde. Wenn ich die Entspannungseinheiten während<br />

meines späteren Schmerzklinikaufenthaltes in Betracht ziehe, so weiß<br />

ich, dass man diese Stunde sicherlich für mich als Patient verständlicher<br />

und interessanter hätte gestalten können. Nur um den Anweisungen<br />

einer CD zu folgen, hätte ich nicht dreißig km fahren müssen.<br />

Meine späteren Versuche, zuhause in Ruhe damit zu entspannen, sind<br />

kläglich gescheitert. Mir ist zwischenzeitlich auf Grund meiner Erfahrung<br />

mit anderen Entspannungstechniken, die ich in den vergangenen<br />

Monaten kennenlernen durfte, bewusst, dass diese Art der Entspannungsform<br />

für mich ungeeignet ist. Alle Gruppenteilnehmer erhielten<br />

anschließend die CD, um sie auch daheim anwenden zu können. Ich<br />

suchte Frau Dr. Jakob noch ein weiteres Mal auf; diesem Arztbesuch<br />

ging eine Wartezeit von drei Stunden voraus. Was dies für mich und<br />

die damit verbundenen Schmerzen bedeutete, vermag sich jeder vorzustellen.<br />

Frau Dr. Jakob schlug mir eine chinesische Weihrauchtherapie<br />

und als weitere Behandlung zweimalige wöchentliche Akupunktur<br />

70


vor. Auf meine Frage, ob ich bei jeder dafür vorgesehenen Therapie<br />

mit einer so langen Wartezeit wie heute bzw. den vorangegangenen<br />

Besuchen zu rechnen hätte, meinte Frau Dr. Jakob: „Ja, das könnte<br />

passieren“.<br />

Zuhause ließ ich mir das Verhältnis von Aufwand und Nutzen durch<br />

den Kopf gehen. Ich kam zum Entschluss, dass dieser Zeitaufwand mit<br />

dieser langen Wartezeit und dem Anfahrts- und Rückweg für mich nur<br />

Stress bringen würde. Überhaupt, so sehe ich es aus heutiger Perspektive,<br />

wage ich zu behaupten, dass bei unserem Arzt- Patienten-Verhältnis<br />

die Basis nicht stimmte. Ich kam mit meiner Einstellung gegenüber<br />

meinen Schmerzen und dem damit verbundenen medizinischen Ansatz<br />

aus einer gänzlich anderen Ecke als Frau Dr. Jakob. Die Konsequenz<br />

für mich war, das bestehende Arzt-Patienten-Verhältnis aufzulösen<br />

und mich nach einem anderen Schmerztherapeuten umzuschauen.<br />

Dies stellte sich für mich als echte Herausforderung dar. Die Zeit zum<br />

vorgesehenen Infiltrationstermin drängte. Ich wollte ihn nicht absagen,<br />

allerdings war ich auch nicht bereit, diese Sache selbst zu bezahlen.<br />

Schon allein aus diesem Grunde musste ich jemanden finden, der<br />

mir den benötigten Überweisungsschein ausstellte. Ich stellte mir via<br />

Internet eine Liste von Schmerztherapeuten zusammen, die Mediziner<br />

waren und sich nicht ausschließlich als Heilpraktiker definierten. Die<br />

Auswahl der in meiner Region ansässigen und dafür vorgesehenen Ärzte<br />

war ziemlich begrenzt. Nach einigen Telefonaten blieben mir noch<br />

genau zwei Schmerztherapeuten, jeweils in unterschiedlichen Städten<br />

mit einem Anfahrtsweg von etwa 30 km. Der eine hatte eine Notfallsprechstunde<br />

eingerichtet, die aber mit langer Wartezeit verbunden<br />

war, der andere bot mir an, innerhalb der nächsten Woche vorstellig<br />

zu werden.<br />

Ich entschied mich für die letzte Möglichkeit und versuchte, mit der<br />

Sprechstundenhilfe in der Praxis Dr. Schlüter einen Termin zu vereinbaren.<br />

Sie teilte mir die Sprechzeiten für die kommende Woche mit.<br />

Zu diesen Zeiten, so hieß es, könne ich mich in der Praxis vorstellen.<br />

71


Ich entschied mich für den Mittwochmorgen. Rechtzeitig machte ich<br />

mich auf den Weg, um möglichst früh dort zu sein.<br />

Um Punkt neun Uhr stand ich vor der verschlossenen Tür. Nach mehrmaligem<br />

Klingeln öffnete mir die Arzthelferin und meinte etwas kurz<br />

angebunden: „Heute haben wir keine Sprechstunde, die Quartalsabrechnung<br />

ist fällig“. Ich bezog mich auf das Telefonat von vergangener<br />

Woche und die Angabe ihrer Sprechzeiten. Zudem erläuterte ich ihr<br />

mein Anliegen, nämlich eine Überweisung für die anstehenden Infiltrationen<br />

zu erhalten und sich über eine sinnvolle Schmerzmedikation<br />

Gedanken zu machen. Sie erklärte mir, dass die Ärztin erst in einer<br />

Stunde kommen würde, sie könne momentan gar nichts für mich tun.<br />

„Gehen sie einen Kaffee trinken und kommen sie danach wieder“,<br />

meinte sie mit etwas aufmunterndem Ton. Diesem Ratschlag ging ich<br />

gerne nach, war es doch ein kalter, nebeliger Herbstmorgen, an dem<br />

man sich gerne an einem heißen Getränk erwärmte.<br />

Das nächste Café befand sich gleich um die Ecke und nach einer Stunde<br />

versuchte ich erneut mein Glück. Dieses Mal gewährte man mir<br />

Einlass und ich wurde in ein farbenfrohes, gemütliches Wartezimmer<br />

geführt. Nach kurzer Zeit bekam ich einen Schmerzfragebogen<br />

der Deutschen Schmerzgesellschaft, der aus vielen kopierten Blättern<br />

bestand. Ähnliche Fragen wie bei meinem zuletzt bei Frau Dr. Jakob<br />

digital ausgefüllten Fragebogen. Das Ausfüllen nahm einige Zeit in<br />

Anspruch und nach ca. dreißig Minuten spürte ich, wie sich eine<br />

Schmerzattacke ankündigte. Da ich mich allein im Wartezimmer befand,<br />

versuchte ich es mit Stehen bzw. mit dem Aufstützen auf dem<br />

Fensterbrett. Jedoch die Schmerzen nahmen ihren Lauf. Als die Arzthelferin<br />

den Bogen holte, fragte sie besorgt nach meinem Befinden.<br />

Sie erkannte, dass ich eine Schmerzspitze hatte.Trotzdem brachte sie<br />

mir noch zusätzlich ein Kästchen zur digitalen Schmerzerfassung mit<br />

dem Hinweis, ich hätte es gleich geschafft. Es würde nicht mehr lange<br />

dauern, dann könne ich zu Frau Dr. Schlüter.<br />

Frau Dr. Schlüter, eine sehr nette Dame Ende fünfzig, nahm sehr<br />

schnell zur Kenntnis, dass ich unter sehr starken Schmerzen litt. Sie<br />

72


ot mir einen für mich geeigneten Stuhl an. Um eine momentane<br />

Schmerzlinderung zu erzielen, schlug sie vor, mir etwas gegen meine<br />

Schmerzen spritzen. Damit schaffte sie für mich eine gute Voraussetzung<br />

für ein entspanntes Kennenlernen und für ein gutes Gespräch.<br />

Als die Injektion vorgenommen worden war, nahm sie Einsicht in meine<br />

mitgebrachten Unterlagen. Sie informierte mich über unterschiedliche<br />

Schmerzmittel und deren Wirkungsweise und Verträglichkeit. Dr.<br />

Schlüter nahm sich viel Zeit, es folgte die Ausarbeitung eines Medikamentenplanes.<br />

Sie stellte zwar unter Bedenken bezüglich der Strahlenbelastung,<br />

schließlich doch die gewünschten Überweisungsformulare<br />

zum Infiltrieren aus, allerdings mit der Bitte um Rückmeldung. Mit<br />

einem guten, stimmigen Gefühl verließ ich diese Praxis. Zusätzlich<br />

zeigte mir Frau Dr. Schlüter bei einem Folgetermin ein TENS-Gerät.<br />

TENS steht für transkutane elektrische Nervenstimulation. Bei richtiger<br />

Anwendung, so Dr. Schlüter, unterstütze das Gerät bei akuten und<br />

chronischen Schmerzen die Durchblutung und wirke sich so schmerzlindernd<br />

aus. Zudem wirke es muskelentspannend. Mit Hilfe von Klebeelektroden<br />

werden im Schmerzbereich elektrische Impulse gesetzt,<br />

die je nach Programm unterschiedliche Reize hervorrufen können. Es<br />

sollen dadurch Endorphine freigesetzt werden, ein vom Körper selbst<br />

produziertes Opioid. Dieses Gerät musste ich mir selbst kaufen und es<br />

bot sich mir eine große Auswahl. Letztendlich entschied ich mich für<br />

das von der Schmerzpraxis empfohlene. Diese Anschaffung war und<br />

ist für mich eine große Hilfe, was diese für mich bedeutete, erfuhr ich<br />

bereits nach der ersten Anwendung. Meine Schmerzen waren nicht<br />

weg, aber leichter zu ertragen.<br />

Wo immer ich längere Zeit bin und positionsbedingte Schmerzen auftreten,<br />

lege ich mein Tens-Gerät an. Ich erwähne hier beispielsweise<br />

eine Berlinreise, bei der ich viel gehen und stehen musste, die Aufenthalte<br />

in einem Einkaufscenter oder die Besuche von Veranstaltungen,<br />

bei denen längeres Sitzen erforderlich ist. Habe ich zuhause starke<br />

Schmerzen, versuche ich mit dem Tens-Gerät einer zusätzlichen Einnahme<br />

von Schmerztabletten entgegen zu wirken.<br />

73


23. Ein guter Anfang - ein enttäuschendes<br />

Ende<br />

An den drei darauf folgenden Montagen erfolgte jeweils eine Infiltration.<br />

Für mich war es wie immer ein Hoffen auf Erfolg und gleichzeitig<br />

ein Bangen, dass alles gut gehen und keine Nachwirkungen auftreten<br />

würden. Einmal hatte ich hinterher starke Kopfschmerzen, die zwei<br />

Tage anhielten. Ein anderes Mal spürte ich bei den Injektionen des<br />

Betäubungsmittels an diesen Stellen ein heftiges Kribbeln und ein über<br />

mehrere Stunden anhaltendes Taubheitsgefühl, das aber leider keinen<br />

Einfluss auf mein Schmerzempfinden hatte. Zudem belastete es den<br />

Kreislauf, was sich in Schwindel äußerte. Bei der letzten dieser drei<br />

Infiltrationen spürte ich außer dem unangenehmen Vorgang, d.h. dem<br />

Setzen der Nadeln und dem Einspritzen, überhaupt nichts. Meine<br />

Wahrnehmung war also jeweils unterschiedlich und ich konnte mich<br />

nie darauf einstellen und verlassen, wie es mir nach der jeweiligen Anwendung<br />

ergehen würde.<br />

Prof. Dr. Seiber erwartete von mir nach jedem dieser Eingriffe ein Feedback.<br />

Häufig konnte ich ihn nicht persönlich antreffen (er befand sich<br />

ja meistens im OP), dann gab ich bei seiner Sekretärin Rückmeldung.<br />

Nach der dritten Infiltrationen gab ich in seinem Sekretariat Bescheid<br />

und vereinbarte dort einen neuen Termin mit ihm zum Gespräch. Für<br />

meinen Mann war an diesen Tagen Chauffeurdienst angesagt. Bei einer<br />

Entfernung von ca. 60 km einfach kamen im Laufe des Jahres sehr<br />

viele Kilometer zusammen, abgesehen von der für ihn aufgewandten<br />

Zeit.<br />

Im Dezember gab ich Frau Dr. Schlüter den ihr zugesicherten Bericht<br />

über die Wirkung meiner Infiltrationen. Bei einem erneuten Besuch<br />

bei ihr stellte sich heraus, dass für sie weitere Facetteninfiltrationen auf<br />

Grund der Strahlenbelastung und des gesundheitlichen Risikos nicht<br />

in Frage kämen. Prof. Dr. Seiber aber sah in weiteren Infiltrationen<br />

nach wie vor eine Chance, die Schmerzquelle und die Schmerzursa-<br />

74


che zu finden. Ich befand mich in einer zwiespältigen Lage: Frau Dr.<br />

Schlüter schlug mir vor, einen weiteren ihr bekannten und vertrauten<br />

Neurochirurgen, Herrn Dr. Peter, an einer anderen Klinik zu diesem<br />

Thema zu befragen und dessen Einschätzung zu hören. Sie fühlte sich,<br />

so ihre eigene Aussage, in diesem Fachgebiet nicht ausreichend erfahren<br />

und informiert. Sie kontaktierte ihren Kollegen Dr. Peter mit meiner<br />

Einwilligung und beschrieb ihm ihre Bedenken. Er bot mir daraufhin<br />

an, ihm meine Unterlagen, Aufnahmen und Arztbriefe zukommen<br />

zu lassen, so dass er sich ein Bild meiner Krankheitsgeschichte machen<br />

konnte.<br />

Mich beeindruckte damals die ehrliche und interessierte Vorgehensweise<br />

von Frau Dr. Schlüter und das großzügige Angebot dieses Neurochirurgen.<br />

Er ließ mir innerhalb kürzester Zeit telefonisch seine Einschätzung<br />

zukommen mit dem Hinweis, ich könne mich jederzeit bei<br />

ihm persönlich vorstellen und seine Hilfe in Anspruch nehmen. Ein<br />

wirklich positives Beispiel von guter und schneller Zusammenarbeit<br />

unter Kollegen!<br />

Frau Dr. Schlüter besprach mit mir erneut meine Medikation. Die von<br />

ihr verordneten Schmerztabletten dauerten trotz der Umstellung auf<br />

andere Präparate immer noch zu lange, bis sie anschlugen, und zu kurz<br />

waren dann ihre Wirkungszeiten. Wieder mit dem Versprechen, ihr<br />

Rückmeldung zu geben, sobald sich der Neurochirurg, Herr Dr. Peter,<br />

bei mir gemeldet hätte, verabschiedete ich mich von ihr. Weihnachten<br />

stand vor der Tür und in fünf Tagen war Hl. Abend. Weil ich Frau Dr.<br />

Schlüter auf ihre eigene Aufforderung und ihr Drängen hin versprochen<br />

hatte, mich umgehend bei ihr zu melden, sobald ich mit dem ihr<br />

bekannten Neurochirurgen gesprochen hatte, rief ich sie an.<br />

Das, was mich dann erwartete, mit dem hatte ich alles andere als gerechnet.<br />

Ihre Stimme am Telefon war hektisch, und als ich ihr berichten<br />

wollte, herrschte sie mich an, ich könne ihr dies alles auch im<br />

Januar erzählen. Gut, dachte ich mir, sie hat wohl einen schlechten<br />

Tag, begriff aber nicht, warum es ihr plötzlich so unwichtig erschien.<br />

75


Ich setzte das Telefonat mit ihr fort und erzählte ihr, dass die von ihr<br />

gewählte Medikation noch immer kaum Linderung verschaffte und<br />

ich derzeit unter sehr starken Schmerzen, auch nachts, litt. Daraufhin<br />

donnerte sie ins Telefon, ich sei ungeduldig und müsse mich in Geduld<br />

üben. Außerdem m ü s s t e n die Tabletten wirken und überhaupt<br />

hätte sie schon so viel Zeit für mich aufgewandt, so ginge das nicht<br />

weiter, sie hätte schließlich auch noch andere Patienten. Sie betonte<br />

nochmals: „So geht das nicht, so nicht!“ Ich bedankte mich daraufhin<br />

für ihre Zeit, wünschte ihr ein frohes Weihnachtsfest und beendete<br />

das Gespräch. Ich führe normalerweise keine Selbstgespräche, aber ich<br />

stellte mir selbst laut die Frage: „Was war das denn?“ Ich war einfach<br />

nur entsetzt und betroffen. Ich konnte ihre Reaktion so überhaupt<br />

nicht verstehen und einordnen.<br />

Nachdem ich zu diesem Zeitpunkt seit mehr als einem Jahr starke<br />

Schmerzen hatte, fand ich die Bezeichnung u n g e d u l d i g doch<br />

mehr als unangebracht. Ich versuchte das Verhalten von Dr. Schlüter<br />

zu verstehen. Klar, am Ende eines Jahres und vor den Feiertagen kamen<br />

bestimmt noch zusätzliche Patienten in ihre Arztpraxis und es gab viel<br />

zu tun. Trotzdem entschuldigte dies nicht dieses abweisende, aufgebrachte<br />

und vorwurfsvolle Telefonat, das vor allem auf ihre ausdrückliche<br />

Bitte hin stattgefunden hatte. Es stimmte, sie hatte in mich schon<br />

viel Zeit investiert, aber es mir in diesem Ton vorzuhalten, ja fast zum<br />

Vorwurf zu machen, darüber war ich wirklich empört. Ich wollte mir<br />

bis ins neue Jahr Zeit geben, wie ich damit umging. Je mehr ich darüber<br />

nachdachte, desto mehr kam ich zu der Entscheidung, dass mein<br />

Vertrauen zu Frau Dr. Schlüter schwand. Ich musste mir eingestehen,<br />

dass ich verletzt war, ihre Worte klingen mir noch heute im Ohr. Ich<br />

war enttäuscht und es war bei mir absolut keine Vertrauensbasis mehr<br />

vorhanden, die ich eigentlich bei einem Arztbesuch voraussetze. Ich<br />

bedauerte dies sehr.<br />

Da ich wieder einmal eine Bestätigung meines Hausarztes für das<br />

Krankengeld benötigte, nahm ich meinen Besuch bei ihm zum Anlass,<br />

mich mit ihm über das Telefonat mit Frau Dr. Schlüter zu unterhalten.<br />

76


Er fragte mich bei dieser Gelegenheit, warum ich die Tabletten gegen<br />

das Kribbeln umgestellt hätte, die Verträglichkeit und Wirkung sei<br />

doch gut gewesen. Ich erklärte ihm, dass dies eine Entscheidung von<br />

Frau Dr. Schlüter war und ich vermute, dass sich die Tabletten eventuell<br />

nicht mit meinen anderen, von ihr umgestellten Schmerzmitteln<br />

vertrugen. Dr. Renz widmete sich daraufhin kurz seinem Computer,<br />

bis er zu der Erkenntnis kam, dass das zuvor von ihm verschriebene<br />

Medikament um das Vierfache teurer war, als das von Dr. Schlüter<br />

verordnete. Wir stellten fest, obwohl ich das von Dr. Renz verordnete<br />

und darauf eingestellte Medikament sehr gut vertrug, wurde ich aus<br />

Kostengründen auf ein neues Medikament umgestellt, ohne über den<br />

eigentlichen Grund informiert worden zu sein. Diese Erkenntnis bestätigte<br />

mich leider in meiner Überlegung, noch ein weiteres Mal meinen<br />

Schmerztherapeuten zu wechseln.<br />

Nachdem alle Schmerzmedikamente nicht wie gewünscht anschlugen,<br />

riet mir Dr. Renz, einen Termin in der Praxis einer Schmerzambulanz,<br />

angegliedert an eine Schmerztagesklinik, ungefähr 40 km entfernt, zu<br />

vereinbaren.<br />

24. Der Beginn des nächsten Jahres<br />

Wie von Dr. Glas empfohlen, suchte ich auf seine Empfehlung hin einen<br />

guten Chiropraktiker auf. Ich holte mir im Vorfeld Informationen<br />

über ihn ein und kam zu dem Entschluss, dieser Arzt entsprach meiner<br />

Vorstellung und erfüllte die Voraussetzungen, die ich mir von einem<br />

Chiropraktiker erhoffte. Dr. Karlosch ist Sportarzt, Chirurg und<br />

Chiropraktiker. Allerdings nimmt Dr. Karlosch nur Privatpatienten,<br />

was für mich als Kassenpatient die Konsequenz nach sich zog, dass ich<br />

jeden der Besuche bei ihm selbst bezahlen musste. Dennoch entschied<br />

ich mich für eine Behandlung bei ihm.<br />

Bei unserem ersten Kennenlernen traf ich auf eine kompetente Per-<br />

77


sönlichkeit. Er untersuchte mich gründlich und diagnostizierte eine<br />

Dysfunktionsstörung meiner Bandscheibe und einiger Costotransversalgelenke.<br />

Des Weiteren stellte er fest, dass mein Becken verschoben<br />

wäre und ich eine ISG Blockierung hätte. Mehrere Besuche erfolgten<br />

bei ihm mit der vorsichtigen Lösung meiner Blockaden. Zudem riet er<br />

dringend zu einer krankengymnastischen Stabilisationsbehandlung im<br />

Schlingentisch, sowie zu Bindegewebsmassagen. Die Behandlung von<br />

Dr. Karlosch erfolgte über einen Zeitraum von zwei Monaten. Er empfahl<br />

mir im Anschluss an jede Behandlung 30 Minuten zu Fuß zu gehen<br />

und riet von manchen Tätigkeiten, wie beispielsweise Staubsaugen<br />

vorübergehend ab. Derartige Ratschläge befolgte ich gerne. Ich hielt<br />

mich strikt an seine Empfehlungen. Leider stellte sich aber auch hier<br />

trotz seiner ernsthaften Bemühungen für mich keine spürbare Besserung<br />

meiner Schmerzen ein.<br />

Im Januar 2015 suchte ich nun also die vom Hausarzt empfohlene<br />

ambulante Schmerzpraxis von Dr. Rister auf. Seine ambulante Praxis<br />

befindet sich in einer Schmerztagesklinik. Ich wurde dort sehr freundlich<br />

und verständnisvoll empfangen. Wie bislang in jeder Schmerzpraxis,<br />

bekam ich auch hier wieder einen Fragebogen, den ich auszufüllen<br />

hatte. Mit der Zeit merke ich, dass die Fragebögen im Bereich der<br />

Schmerztherapie und in den Schmerzpraxen im Prinzip ähnlich sind.<br />

Nach nicht allzu langer Zeit wurde ich von einer Ärztin abgeholt und<br />

ins Sprechzimmer geführt. Meine mitgebrachten Unterlagen, vor allem<br />

die Arztberichte, wurden für meine neu angelegte Patientenakte<br />

kopiert und es folgte ein intensives Gespräch über meine Schmerzproblematik<br />

und meinen bisherigen Medikamentenplan. Da die Schmerzmittel<br />

bislang nur eine unzureichende Wirkung zeigten, so die Ärztin,<br />

wäre daraus zu schließen, dass meine Dosierung noch immer zu gering<br />

wäre. Nach ihrer Ansicht benötigte ich die doppelte Menge der bislang<br />

eingenommenen Medikamente, um eine konstante Wirkung zu<br />

erzielen. Ich erzählte ihr, dass ich auch bei einer Zahnbehandlung in<br />

der Regel die doppelte Menge an Betäubungsmitteln benötige. Das<br />

bestätigte ihren Verdacht.<br />

78


Sie erarbeitete mit mir eine neue Medikation, zudem betonte sie die<br />

Dringlichkeit einer konsequenten Physiotherapie. Des Weiteren kam<br />

von ihr der Vorschlag, an einem fünfzehntägigen Therapie-Programm<br />

in ihrer Schmerztagesklinik teilzunehmen, um zu lernen mit meinen<br />

chronischen Schmerzen umzugehen. Ich sollte mir das mal überlegen<br />

und in Ruhe darüber nachdenken, so ihre Aufforderung. Sie gab mir<br />

dazu einen Flyer mit, um nähere Einzelheiten daraus entnehmen zu<br />

können. Mit dem positiven Gefühl, hier Hilfe zu bekommen, verließ<br />

ich zufrieden die Schmerzambulanz.<br />

Anfang des neuen Jahres suchte ich mir einen anderen Orthopäden.<br />

Mein Hausarzt konnte mir, obwohl er gerne bereit gewesen wäre, zu<br />

dieser Zeit keine Rezepte mehr für Physiotherapie ausstellen. Da der<br />

Hausarzt nur begrenzt Rezepte für diese Behandlung ausstellen kann,<br />

musste ich mich auf die Suche nach einem für mich neuen Orthopäden<br />

machen. Bislang hatte ich mich nach meinen negativen Erfahrungen<br />

nicht wieder in die Orthopädische Praxis von Dr. Hans begeben.<br />

Bis zum Jahresende war es mir gelungen, immer telefonisch eine Überweisung<br />

von ihm zu organisieren. Dr. Hans bekam selbstverständlich<br />

alle Arztbriefe entweder von den jeweiligen Ärzten oder von mir zugeschickt.<br />

Mir war allerdings bewusst, dass mich Dr. Hans irgendwann<br />

mal wieder persönlich sprechen wollte, bevor er bereit war, für mich<br />

weitere Überweisungen auszustellen. Es war eine Frage der Zeit und<br />

Ende Dezember 2014 ließ er mich wissen, dass dies nun der Fall sei.<br />

Deshalb suchte ich Anfang des Jahres 2015 Dr. Krähe auf, einen für<br />

mich bis dahin unbekannten Orthopäden. Ich hoffte darauf, dass sich<br />

dieses Mal ein besseres Arzt-Patienten-Verhältnis entwickeln würde als<br />

bei Dr. Hans. Ich versuchte ihm meinen Krankheitsverlauf transparent<br />

zu machen und übergab ihm die inzwischen gebündelten Arztbriefe<br />

und MRT-Aufnahmen. Als Dr. Krähe diese sah und die Namen der<br />

Professoren hörte, die ich bereits aufgesucht hatte, blätterte er lustlos<br />

durch die Unterlagen und - ein intensives Lesen und Befassen wäre im<br />

zeitlichen Rahmen einer Sprechstunde unmöglich gewesen - sicherte<br />

mir sofort zu, für mich eine Überweisung an Prof. Dr. Seiber auszu-<br />

79


stellen. Er habe zu dem Ganzen auch keinen Einfall, was zur Besserung<br />

beitragen könnte, fügte er noch an.<br />

Prima, die Überweisung war also gesichert. Ich benötigte sie nämlich<br />

dringend für weitere Gespräche und Überlegungen über die zukünftigen<br />

Schritte um die Schmerzursache ausfindig zu machen. Hatten<br />

doch die im vergangenen Jahr durchgeführten Infiltrationen auch zu<br />

keinem Erfolg. Ich bat Dr. Krähe im Weiteren um eine Verordnung für<br />

Physiotherapie. Der Orthopäde meinte daraufhin, er würde mir keine<br />

verschreiben, er wolle sein Kontingent schonen. Man bedenke, es<br />

war Anfang Januar! Ich solle mir diese von Prof. Dr. Seiber holen. Auf<br />

meinen Einwand, dass Prof. Dr. Seiber ein Neurochirurg und Operateur<br />

an einer Klinik sei und ich deshalb dort mit Gewissheit keine<br />

Verordnung für Physiotherapie erhalten könne, schwieg er zunächst.<br />

Dann antwortete er mir: „Jetzt gehen Sie erst mal da hin“. Mit diesem<br />

Satz gab er mir klar und deutlich zu verstehen, dass ich von ihm kein<br />

Rezept für eine krankengymnastische Behandlung erhalte würde.<br />

Für weitere Infiltrationen benötigte ich, wie bereits beschrieben, wieder<br />

eine Verordnung vom Schmerztherapeuten. Diese erhielt ich problemlos<br />

nach einem Telefonat mit der hilfsbereiten und freundlichen<br />

Sekretärin von Dr. Rister in der Schmerzambulanz. Zusätzlich bekam<br />

ich eine Verordnung für Physiotherapie. Beides wurde mir ganz selbstverständlich<br />

zugesandt. Von dieser Vorgehensweise war ich sehr angetan.<br />

25. Das Funktions-MRT<br />

Der erste Besuch im neuen Jahr bei Prof. Dr. Seiber war am 12. Januar<br />

2015 vorgesehen. Ich stellte mich wie immer auf eine längere Wartezeit<br />

ein. Dem Professor erklärte ich meine unglückliche Lage und das<br />

sich mein Schmerzzustand nicht gebessert habe, im Gegenteil: Meine<br />

Schmerzen samt Kribbeln wurden zunehmend stärker und die Atta-<br />

80


cken intensiver. Selbst mit meiner inzwischen gut eingestellten Medikation<br />

würden die aufkommenden Schmerzen nahezu unerträglich,<br />

beispielsweise beim „Nachhintenneigen“ des Kopfes. Die Schmerzen<br />

zogen zwischenzeitlich erheblich in den Schulterbereich und die Halswirbelsäule<br />

entlang. Ich versuchte ihm zu verdeutlichen, dass ich nicht<br />

gewillt sei, mit dieser Beeinträchtigung und diesem Leiden meine Zukunft<br />

zu verbringen.<br />

Wie immer zeigte sich Prof. Dr. Seiber sehr verständig. Er kam nach<br />

einigen Erläuterungen zu dem Entschluss, dass zwei weitere Infiltrationen<br />

Aufschluss geben könnten. Wir waren inzwischen mit den Injektionen<br />

am Übergang zur Brustwirbelsäule angekommen. Für mich<br />

bedeutete es weitere Unannehmlichkeiten, Strapazen und eine zusätzliche<br />

Gefährdung für meinen Körper. Zusätzlich weitere Fahrten in<br />

diese Klinik. Ich stimmte mit Bedenken dieser achten und neunten<br />

Infiltration zu, hatte aber für mich den Entschluss gefasst, danach keine<br />

weiteren mehr durchführen zu lassen. Inzwischen unterschrieb ich<br />

nur noch die dazu ausgehändigte Einwilligungserklärung, ohne die<br />

Aufklärungsbögen überhaupt durchzulesen. Ich wollte mich nicht jedes<br />

Mal mit den Risiken, die dieser Eingriff in sich birgt, auseinandersetzen.<br />

Ich wollte nur einfach zu einem Ergebnis kommen.<br />

Bei der neunten Infiltration fragte ich den durchführenden Röntgenarzt,<br />

ob es keine weitere Möglichkeit gäbe, ein MRT der Halswirbelsäule<br />

zu erstellen, als die herkömmliche Aufnahme im Liegen anzufertigen.<br />

Bei meiner Unterhaltung erzählte ich ihm, in liegender Position<br />

hätte ich die wenigsten Schmerzen, diese seien überwiegend in sitzender<br />

und stehender Haltung. Er wies mich auf die Möglichkeit eines<br />

Funktions-MRTs hin. Bei diesem können Bilder in „Kopf gesenkter“<br />

und „Kopf nach hinten gebeugter“ Haltung“ aufgenommen werden.<br />

Diese Aussage weckte natürlich mein Interesse. Der Arzt klärte mich<br />

darüber auf, dass ein solches Funktions-MRT an dieser Klinik nur<br />

an einem bestimmten Wochentag mit einem speziellen Röntgenarzt<br />

durchgeführt werden könne. Eigentlich, so seine Aussage, wäre es sehr<br />

kompliziert, an eine solche MRT-Aufnahme zu kommen. Als Kassen-<br />

81


patient dafür einen Termin zu bekommen, da hätte man nur wenige<br />

bis überhaupt keine Chancen, dies müsste schon wirklich ausdrücklich<br />

von einem bestimmten Professor und Wirbelsäulenspezialist angeordnet<br />

sein. Privatpatienten seien da absolut im Vorteil. Draußen, außerhalb<br />

der Klinik, wird dieses Verfahren nur selten durchgeführt und es<br />

sei außerdem sehr kostspielig.<br />

Ich konnte das nicht glauben. Wenn mir dies eine Chance bot, näher<br />

an das Ziel der Ursachenklärung zu kommen, warum war es mir dann<br />

nicht möglich, an eine solche Aufnahme zu gelangen? Etwa nur, weil<br />

ich kein Privatpatient war oder befand ich mich etwa in den Händen<br />

eines Professors, der so ein MRT nicht anordnen konnte? Das wollte<br />

ich für mich geklärt wissen. Mit diesen Fragen ging ich zur Anmeldung<br />

und verlangte freundlich einen Termin für ein Funktions-MRT.<br />

Die Dame dort schaute mich erstaunt an. Ich erklärte ihr, dass ich<br />

am neunten März mit einer dreiwöchigen Schmerztherapie an einer<br />

Schmerztagesklinik beginnen würde und ich deshalb diesen Termin<br />

vorher benötigte. Ohne dass Prof. Dr. Seiber dies ausdrücklich bescheinige,<br />

wäre ein solches MRT nicht zu veranlassen und deshalb<br />

auch leider kein Termin machbar, so ihre Antwort. Zumindest wusste<br />

ich nun durch die Aussage von Frau Pohl, so der Name der Dame, dass<br />

Prof. Dr. Seiber ein Funktions-MRT bei einem zwingenden Grund<br />

anordnen konnte.<br />

Prof. Dr. Seiber befand sich zu diesem Zeitpunkt, wie so oft, im Operationssaal<br />

und war deshalb nicht zu befragen. Frau Pohl zeigte sich<br />

aber auf Grund meiner misslichen Lage sehr verständnisvoll und reservierte<br />

mir auf mein Drängen und Bitten hin letztendlich einen Termin<br />

solange, bis mich Professor Seiber angerufen und sein Einverständnis<br />

dazu gegeben hätte. Ich versprach ihr nach seinem Telefonat sofortige<br />

Rückmeldung zu geben, um nicht unnötig anderen Patienten Platz<br />

wegzunehmen. Auf diesen Kompromiss einigten wir uns.<br />

Es waren die Karnevalstage und der erwartete Anruf kam nicht. Am<br />

Rosenmontag teilte ich Frau Pohl wie abgemacht mit, noch immer im<br />

82


Ungewissen zu sein, ob Prof. Seiber seine Zustimmung zum Funktions<br />

MRT geben würde. Sie versprach mir, sich darum zu kümmern.<br />

Abends, es war 19 Uhr, kam endlich der von mir erwartete Anruf. Er<br />

entschuldigte sich für seine verspätete Rückmeldung und begründete<br />

dies mit dringlichen und notwendigen Operationen in der vergangenen<br />

Woche. Er gab bereitwillig sein OK für die geplanten Aufnahmen.<br />

Nach seinen Überlegungen war er zwar nicht sehr überzeugt, wirklich<br />

mehr Aufschluss zu erhalten, allerdings sollte man auch nichts unversucht<br />

lassen, so seine Begründung für seine Zustimmung.<br />

Ich muss zugeben, es machte mich ein wenig stolz, nun doch die<br />

Durchführung dieser speziellen Aufnahmen erreicht zu haben. Der<br />

Tag dazu sollte am 26. Februar sein.<br />

Ich war sehr früh zu dieser Funktions-MRT-Aufnahme bestellt. Mein<br />

Mann fuhr mich in die Klinik, konnte mich aber berufsbedingt nicht<br />

begleiten. Da an diesem Tag nicht zu erwarten war, dass ich ein Medikament<br />

bzw. eine Injektion bekommen würde, nahm ich mir vor, zu<br />

seiner Entlastung mit der S-Bahn von der nahegelegenen Station aus<br />

nach Hause zu fahren.<br />

Ich meldete mich wie gewohnt im Wartebereich an und war gespannt,<br />

was auf mich zu kam. Natürlich ergriff mich auch dieses Mal beim<br />

Gedanken an die enge Röhre die absolute Panik. Jedoch, die Hoffnung<br />

in den Aufnahmen etwas zu sehen, was meine Schmerzen begründen<br />

könnte, überwog. Ich wurde ziemlich bald aufgerufen und aufgefordert,<br />

mich in die im Keller befindliche Röntgenabteilung zu begeben.<br />

Hier angekommen, kam mir bereits eine nette Schwester entgegen, die<br />

mich in den Raum führte, in dem die Aufnahmen erfolgen sollten. Ich<br />

wies sie auf meine Panikzustände hin, die ich bei diesen Untersuchungen<br />

in aller Regel hätte. Sie schlug mir vor, dass ich mir etwas zum<br />

Schlafen spritzen lassen könne. Allerdings hätte ich ihr dann versprechen<br />

müssen, mich danach abholen zu lassen.<br />

Der Wille, dieses eine Mal meinen Mann Max nicht mit der Fahrerei<br />

83


von der Klinik nach Hause belasten zu müssen, war für mich die Triebfeder,<br />

dies alles ohne Injektion durchzustehen. Die freundliche Dame<br />

machte Angaben über den weiteren Verlauf. Zunächst würde ein normales<br />

MRT angefertigt werden, danach folgten die Funktions-Aufnahmen.<br />

Sie versprach mir, zu meiner Beruhigung würde sie noch einige<br />

Zeit an meinem Fußende verbringen, während ich in der Röhre lag.<br />

Zusätzlich sicherte sie mir zu, dass ich jederzeit auf den Knopf, der sich<br />

zwischen meinen Händen befand, drücken könne, falls es für mich<br />

unerträglich werden würde. Letztendlich war es ihrer liebevollen und<br />

aufmunternden Art zu verdanken, dass ich relativ ruhig dalag, obwohl<br />

mich auch jetzt die absolute Panik ergriff. Trotzdem ließ ich alles ohne<br />

Abbruch über mich ergehen. Nach zwanzig Minuten war alles vorbei,<br />

dann wurde das Funktions-MRT angefertigt. Der Unterschied<br />

zur vorhergehenden Aufnahme war, dass ich vier Minuten kopfüber<br />

gebeugt und vier Minuten nach hinten gebeugt liegen musste. Das<br />

war es dann auch schon. Ich als Patientin frage mich bis heute, was in<br />

aller Welt an der Anfertigung eines Funktions-MRTs so schwierig und<br />

außerordentlich teuer ist! Aus dem Blickwinkel des Radiologen ist das<br />

sicherlich begründet, für mich als Patientin nicht nachvollziehbar.<br />

Kaum angekleidet, ging es auch schon zum Röntgenarzt. Dieser besprach<br />

mit mir die Aufnahmen. Er meinte, hier würde man deutlich<br />

eine Verengung linksseitig im Spinalkanal sehen. Auf die Frage, ob darauf<br />

meine Beschwerden zurückzuführen seien, bekam ich als Antwort,<br />

dies müsste ich mit Prof. Dr. Seiber besprechen. Dieser befand sich allerdings<br />

bei einer Operation. Zur Besprechung der Aufnahmen bekam<br />

ich eine Woche später einen Termin. Dies bedeutete wieder eine erneute<br />

Anfahrt, wieder eine Wartezeit, auf die ich mich einstellen musste.<br />

Dann die Nachricht der Krankenschwester, die mich aufrief. Sie flüsterte<br />

mir zu, der Herr Professor hätte die Grippe und wäre nach Hause<br />

gegangen. Ich hätte die Wahl, mit seinem Oberarzt zu sprechen oder in<br />

den nächsten Tagen telefonisch mit ihm in Kontakt zu kommen. Ich<br />

entschied mich nach einigen Überlegungen für den Oberarzt.<br />

Dr. Münz kannte meine Krankengeschichte nicht und ich erzählte<br />

84


ihm die Kurzfassung meiner Krankengeschichte. Er besah sich die<br />

Aufnahmen und befand, indem er auf diese wies, hier sei genau unterhalb<br />

des operierten Wirbels auf der Höhe C 6/C7 eindeutig eine<br />

Verengung zu erkennen. Eine Entlastung der Nerven sei mit einer<br />

Operation bestimmt möglich. Um sicher zu gehen, dass ein erneuter<br />

Eingriff erfolgreich sei, wolle er eine Injektion veranlassen und genau<br />

in die Nervenwurzel ein Betäubungsmittel spritzen lassen. Im Falle<br />

einer Schmerzbehebung könne davon ausgegangen werden, dass hier<br />

endlich die Schmerzursache gefunden wäre. Um einen Termin dafür<br />

und die erforderliche Nachbesprechung zu bekommen, solle ich mich<br />

an das Sekretariat von Prof. Dr. Seiber wenden.<br />

Ich begab mich also auf den Weg zur Sekretärin von Prof. Dr. Seiber.<br />

Meine Gefühle waren in Anbetracht dieser Neuigkeiten sehr ambivalent.<br />

Die Nachricht einer erneuten Operation brachte mich völlig<br />

aus der Fassung, andererseits war nun hoffentlich endlich die Ursache<br />

meiner Schmerzen gefunden. Durch die Schatten, die durch die Glastüre<br />

zum Sekretariat durchschimmerten, erkannte ich, dass eine Besprechung<br />

der Ärzte stattfand. Da ich eine Störung für unangebracht<br />

hielt, beschloss ich vor verschlossener Türe Platz zu nehmen. Plötzlich<br />

kam die Sekretärin heraus, sie musste mich erkannt haben, und trat auf<br />

mich zu. Sie meinte, der Professor sei zwar krank und habe sich abgemeldet,<br />

aber noch hier und ich solle mich gedulden, vielleicht wäre er<br />

ja noch kurz bereit, einen Blick auf meine Aufnahmen zu werfen. Ich<br />

erzählte ihr von der vorherigen Unterhaltung mit seinem Oberarzt. Sie<br />

jedoch meinte, wenn der Professor schon greifbar wäre, sollte man dies<br />

auch nutzen. Also übte ich mich in Geduld und wartete vor der Tür.<br />

Dann erschien endlich Prof. Dr. Seiber. Er führte mich in sein Büro<br />

und hörte sich die Sichtweise seines Oberarztes an. Danach begutachtete<br />

er das Bildmaterial der MRTs. Er saß vor seinem Bildschirm<br />

und konnte es nicht fassen, hier einen erneuten Bandscheibenvorfall<br />

zu sichten. Ich sah ihm deutlich an, dass er genauso erstaunt darüber<br />

war wie ich. Er pflichtete Dr. Münz bei, dort wo zu operieren geplant<br />

sei, erstmals die Nervenwurzeln zu betäuben. Sollten die Schmerzen<br />

85


danach weg sein, sei die weitere Vorgehensweise, nämlich eine Operation,<br />

zu überlegen.<br />

In Anbetracht dieser neuen Situation musste ich also einer zehnten<br />

Infiltration ins Auge blicken. Allerdings gab es hier einen Unterschied:<br />

Die Nadel wurde diesmal von vorne, d.h. seitlich in den Hals gesetzt.<br />

Hier wurde dann das Betäubungsmittel injiziert. Auf Grund der bei<br />

mir niedrigen Wirkung der Schmerz- und Betäubungsmittel bat ich<br />

vorweg den durchführenden Röntgenarzt um eine höhere Konzentration,<br />

damit sich mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Effekt einstellen<br />

würde.<br />

Kaum dass die Nadel gesetzt war, spürte ich bereits deutlich ein unangenehmes<br />

Kribbeln im Daumen. Nach dem Einspritzen der Injektion<br />

konnte ich meinen linken Arm nur noch mit Hilfe des Rechten<br />

hochnehmen. Die Muskeln waren schlaff, und der Arm hing lahm herunter.<br />

Dieser Zustand hielt bis zum Abend an, und ich kann seither<br />

nachempfinden, wie sich eine Körperbehinderung dieser Art anfühlen<br />

muss. Der Schmerz im Hals-und Nackenbereich ließ mit der Wurzelinfiltration<br />

nach, nicht aber die Muskelverspannung samt den Kribbelparästhesien.<br />

Unmittelbar nach der Nervenwurzelinfiltration wurde ich erneut bei<br />

Prof. Dr. Seiber vorstellig. Er ließ sich den momentanen Empfindungszustand<br />

beschreiben und sicherte mir zu, dass hiermit die Ursache<br />

wohl gefunden worden sei. Seine Empfehlung: den Nerv möglichst<br />

schnell freilegen! Er fand es vernünftig, im Hinblick auf die inzwischen<br />

chronisch gewordenen Schmerzen, zuerst die zwischenzeitlich geplante<br />

Schmerztherapie in der Schmerztagesklinik anzugehen. Anschließend<br />

daran, sollten sich die Schmerzen immer noch in dieser Schmerzqualität<br />

bemerkbar machen, wäre allerdings eine zeitnahe Operation sinnvoll.<br />

86


26. Mein Aufenthalt in der Schmerztagesklinik<br />

In der darauffolgenden Woche begann mein geplanter Aufenthalt in<br />

der Schmerztagesklinik. Ich war neugierig, sowie zuversichtlich und<br />

freute mich auf das Kennenlernen anderer Patienten, die wie ich unter<br />

chronischen Schmerzen litten. Bereits auf dem Parkplatz, der sich ca.<br />

zehn Minuten vom Krankenhaus entfernt befand, lernte ich beim Kauf<br />

des Parktickets Andrea kennen. Zusammen gingen wir den uns unbekannten<br />

Weg in die Klinik. Das deutete ich als einen guten Anfang.<br />

Hier angekommen erwartete uns eine achtköpfige Patientengruppe.<br />

Wir begutachteten uns gegenseitig mit noch vorsichtigen Blicken und<br />

mit Zurückhaltung. Das sollte sich aber bald ändern. Zwei freundliche<br />

Physiotherapeuten empfingen uns. Sie vermittelten das Gefühl des<br />

Willkommenseins und zeigten ehrliches Interesse an den Bedürfnissen<br />

eines jeden Patienten. Sie hatten Verständnis für unsere Fragen, Unsicherheiten<br />

und Ängste.<br />

Die erste Stunde verbrachten wir mit organisatorischen Dingen und<br />

einer Führung durch das Haus. Danach erhielten wir unseren Therapieplan.<br />

Dieser bestand aus einem Wochenplan mit Gruppen- und<br />

Einzeltherapien, sowie täglicher Physiotherapie, Trainingsfläche und<br />

zwei Mal wöchentlichem Bewegungsbad. Ebenso wöchentlich waren<br />

zwei Arztvisiten, ein psychologisches Einzelgespräch und Musiktherapie<br />

vorgesehen. Es fanden pro Woche viermal nachmittags Nordic<br />

Walking unter Anleitung der Physiotherapeuten statt, sowie täglich<br />

eine gemeinsame Abschlussrunde, in der ein bestimmtes Thema erarbeitet<br />

wurde. Der Tagesablauf beinhaltete Gruppentherapie zum Thema<br />

Achtsamkeit und Edukation (die Information des Patienten über<br />

sein Krankheitsbild und dessen Behandlung) und tägliche Entspannungsübungen.<br />

Der Morgen sollte mit einem gemeinsamen Frühstück beginnen und<br />

das Mittagsessen zum Gesprächsaustausch der Patienten genutzt werden.<br />

Die Behandlung dieser Schmerztagesklinik umfassten für mich<br />

87


persönliche und therapeutische Gesichtspunkte, die in den individuellen<br />

Therapieplan integriert wurden. Wie aus ihrem Flyer zu entnehmen<br />

ist, bietet die Schmerztagesklinik eine Therapie, die gezielt auf die<br />

ganzheitliche Behandlung chronischer Schmerzpatienten ausgerichtet<br />

ist. Unsere Behandlung fand fortlaufend von Montag bis Freitag von<br />

8–16 Uhr statt; d.h. an 15 ganzen Wochentagen in Folge.<br />

Im Vorfeld stellte ich mir das tägliche Hin- und Herfahren der 35 km<br />

Entfernung von meinem Wohnort aus anstrengend vor. Jedoch bildete<br />

ich schnell mit einer Mitpatientin eine Fahrgemeinschaft, die wirklich<br />

Spaß und Freude bereitete. Ich war insgesamt erstaunt, dass ich da abgeholt<br />

wurde, wo ich mit meinen Schmerzen bislang alleine stand. Es<br />

wurden mir dort viele Gelegenheiten geboten, über all meine Fragen,<br />

Zweifel und Bedürfnisse zu sprechen. Ich konnte mich so geben, wie<br />

es mein Zustand verlangte. Es boten sich Möglichkeiten der Entspannung<br />

und es wurden mir viele alternative Entspannungstechniken, die<br />

ich aktiv erfahren durfte, aufgezeigt.<br />

Die Behandlung der Physiotherapie beeindruckte mich sehr. Ich lernte<br />

zu verstehen, was in meinem Körper passierte und wie und warum<br />

durch bestimmte Bewegungen bei mir Schmerz ausgelöst wurde.<br />

Andererseits wurden mir Positionen und Übungen zur Stabilisation<br />

gezeigt, die ich unter akribischer Beobachtung und Anleitung des Physiotherapeuten<br />

ausführen sollte. Diese Übungen wurden von mir gemeinsam<br />

mit ihm notiert, um später, nach diesen drei Wochen, darauf<br />

zurückgreifen zu können. Ich bekam beim Abschied einen eigens für<br />

mich individuell erstellten Übungsplan mit in mein „Handgepäck“. Er<br />

ist praktisch und mit nur geringem Aufwand daheim umsetzbar. Ich<br />

setze diese Übungen zum Teil auch heute noch um. Unsere Psychologin,<br />

die uns durch die Therapiestunden und in den Einzelgesprächen<br />

begleitete, hatte durch ihre innere Ausstrahlung und durch ihre starke<br />

Persönlichkeit großen Einfluss auf uns. Sie erklärte uns den Zusammenhang<br />

zwischen dem Schmerzgedächtnis und dessen Wirken und<br />

welchen Einfluss es auf unsere Psyche nimmt. Sie brachte uns Strategien<br />

der Schmerzbewältigung nahe. Für meine subjektive Stimmungsla-<br />

88


ge leistete sie einen großen nachhaltigen Beitrag.<br />

Die Situation meiner Arztvisiten, die ich in der Schmerztagesklinik<br />

hatte, beurteile ich allerdings sehr kritisch. Beim jeweiligen Arztbesuch<br />

wurde je nach Verträglichkeit und Wirkung ein individueller Medikamentenplan<br />

auf mich abgestimmt und ich wurde auf ein Akut-Präparat<br />

eingestellt: Ein Präparat, das unmittelbar nach der Einnahme<br />

helfen soll die Schmerzen zu lindern. Es stellten sich aber bei den<br />

nächsten Visiten jedes Mal andere Ärztinnen vor, die sich meine Krankengeschichte<br />

von mir anhörten. Meine momentane Medikamenteneinstellung<br />

und andere wichtige Details übernahmen diese aus meiner<br />

Krankenakte, die wiederum aus Aufzeichnungen der Vorgängerinnen<br />

bestanden. Die jeweils wiederholte Beschreibung meiner Schmerzen<br />

empfand ich zudem als anstrengend.<br />

Ein Beispiel: Mir wurde ein Morphin verschrieben, das keinerlei Wirkung<br />

bei mir zeigte. Daraufhin bekam ich von einer anderen diensthabenden<br />

Ärztin stattdessen ein Akut-Präparat verabreicht, das evtl. sehr<br />

starke Nebenwirkungen wie Herzinfarkt oder andere massive Krankheitsbilder<br />

auslösen könnte. Allerdings erst die darauf folgende Ärztin<br />

machte mich bei der Visite darauf aufmerksam, dass dieses Medikament<br />

nur für eine Höchstdauer von vier Wochen eingenommen werden<br />

könne, da die Gefahr bestünde, dass Patienten von ihm abhängig<br />

werden. In der Konsequenz bedeutete dies, dass ich dieses Präparat<br />

mit all seinen möglichen Folgen für mich ablehnte und lieber meine<br />

Schmerzen aushielt.<br />

Während des gesamten Tagesklinikaufenthaltes stieß mein Körper<br />

immer wieder an seine Grenzen. Ich lernte zu erkennen und zu akzeptieren,<br />

dass dieser nur bedingt belastbar ist. Im Gegensatz zu den<br />

anderen Patienten zeigte sich mein Bandscheibenvorfall als eindeutiges<br />

Hindernis, das für mich zu diesem Zeitpunkt als unüberwindbar galt.<br />

Während bei Gesprächsrunden meine Mitpatienten auf ihren Stühlen<br />

saßen, stand ich an der Wand, meinen Rücken in den dazwischenliegenden<br />

Pilatus-Ball drückend. Dieser wurde mir übrigens immer<br />

89


mehr zum treuen Begleiter, erleichterte er mir doch so manche Position.<br />

Egal, ob im Speisesaal oder bei Therapiestunden, das Sitzen und<br />

langsame Gehen erwies sich für mich nach wie vor als die Haltung, die<br />

jedes Mal schlimme Schmerzen auslöste.<br />

In der ersten und zweiten Woche versuchte ich regelmäßig an den täglichen<br />

Nordic Walking-Einheiten teilzunehmen. Obwohl wir, je nach<br />

Einschränkung und Krankengeschichte, in drei Gruppen aufgeteilt<br />

wurden und ich mich gerne im Freien bewege, war es mir auf Grund<br />

meiner starken Schmerzen nicht mehr möglich daran teilzunehmen.<br />

Als auslösende Schmerzursache erwies sich das Abdrücken der Stöcke.<br />

Für die letzte Woche entschied ich mich deshalb alternativ für das<br />

Laufband, das mir die Bewegung in meinem eigenen Rhythmus ohne<br />

Probleme ermöglichte. Meine Schmerzattacken nahmen insgesamt zu,<br />

und dieser Zustand kostete mich zusätzlich zu den bereits bestehenden<br />

Schmerzen sehr viel Energie. Sie traten je nach Bewegung und Haltung<br />

in Intervallen auf. Ich fühle mich nach jeder Schmerzspitze leer<br />

und ausgepowert.<br />

Eigentlich befinde ich mich bis zum heutigen Tag im Zwiespalt zwischen<br />

meiner inneren Haltung zu Medikamenten, nämlich nicht gleich<br />

zur Medizin zu greifen, sondern erst mal abzuwarten und nach anderen<br />

Alternativen und Lösungen zu suchen und zwischen meiner eingestellten<br />

Schmerzmedikation. Trotzdem greife ich bei starken Schmerzen<br />

und Schmerzattacken darauf dankbar zurück. Es tröstete mich, dass<br />

sich auch andere Patienten in diesem Dilemma befanden. Ich konnte<br />

mich hier im Gespräch stets darüber mit ihnen austauschen. Wir als<br />

Gruppe und Schmerzpatienten, die wir alle waren, hatten Verständnis<br />

füreinander und wir wuchsen schnell eng zusammen. Manchmal war<br />

ich erstaunt, wie wichtig das für jeden Einzelnen von uns war. Noch<br />

heute pflegen wir den Kontakt und aus der Beziehung zu drei Patienten<br />

ist sogar so etwas wie Freundschaft geworden.<br />

Das Ziel eines jeden Therapeuten war, einer zweiten Operation entgegen<br />

zu wirken. Sie versuchten mich davon zu überzeugen, dass mit<br />

90


konsequentem Bewegungstraining, mit entsprechenden physiotherapeutischen<br />

Übungen, sowie mit positivem Denkansatz und mit Geduld<br />

meine Probleme in den Griff zu bekommen wären. Mental und emotional<br />

ging ich gestärkt und mit vielen positiven Gedanken aus diesem<br />

Klinikaufenthalt nach Hause. Nachdem ich zwischenzeitlich auch in<br />

meiner rechten Hand ein zunehmend langanhaltendes, schmerzendes<br />

Taubheitsgefühl hatte und sich mein körperlicher Allgemeinzustand so<br />

gar nicht verbessern wollte, zeigten sich selbst der Physiotherapeut und<br />

die Psychologin verständig bzw. einsichtig, zu meiner Entscheidung<br />

für die bevorstehende Operation.<br />

Irgendwie war ich an einem Punkt angekommen, an dem ich keine<br />

anderen Möglichkeiten sah, als die einer Operation. Alle Versuche<br />

einer konservativen Therapie schlugen nicht an. Hatte ich doch alles<br />

unternommen, um genau der Entscheidung, die ich nun treffen<br />

musste, ausweichen zu können. Ich befand mich in einer Sackgasse.<br />

Wollte ich diesen starken Schmerzen und der Einnahme des Opiates,<br />

sowie der anderen Medikamente etwas entgegensetzen, so blieb<br />

nur noch eine Operation. Zumindest wollte ich es damit versuchen.<br />

Dass es ohne Operation keine Garantie für eine Besserung meines Zustandes<br />

gab, war mir klar. Mit diesem Bewusstsein und mit der von<br />

der Schmerztherapie gestärkten positiven zuversichtlichen Einstellung<br />

stellte ich mich der bevorstehenden Operation mit all ihren Risiken<br />

und Konsequenzen.<br />

27. Erwerbsminderungsrente<br />

Da mein Krankengeld im kommenden Mai auslief und ich zu dieser<br />

Zeit keine Prognose über meinen weiteren gesundheitlichen Verlauf<br />

stellen konnte, beantragte ich im Januar 2015 „für alle Fälle“ Erwerbsminderungsrente.<br />

Zur Erklärung: Wenn das Krankengeld nach 78<br />

Wochen ausläuft, wird der Patient, der sich in einem Arbeitsverhältnis<br />

befindet, von der Krankenkasse ausgesteuert. Das bedeutet, dass er ab<br />

91


dem Datum der Aussteuerung vom Arbeitsamt unterstützt wird.<br />

Ab diesem Zeitpunkt ist es wichtig, dass dieser sich sofort bei der zuständigen<br />

Arbeitsagentur arbeitslos meldet, damit ein übergangsloser<br />

Versicherungsschutz der Krankenkasse gewährleistet wird. Das Arbeitsamt<br />

übernimmt nun die Kosten. Der Patient muss sich also arbeitslos<br />

melden, obwohl er zu diesem Zeitpunkt den Krankenstatus<br />

hat. Deshalb entscheidet ein Arzt des Arbeitsamtes, ein Gutachter, ob<br />

er eine mittelfristige Möglichkeit der Vermittlung des Patienten sieht<br />

oder nicht. Je nachdem legt der Arzt des Arbeitsamtes dann dem erkrankten<br />

Arbeitslosen nahe, eine Erwerbsminderungsrente zu beantragen.<br />

Um dem Ablauf, nämlich der Warterei auf Genehmigung einer Erwerbsminderungsrente,<br />

vorzugreifen, wollte ich die Beantragung frühzeitig<br />

vornehmen. Nach meiner Information kann man im Falle einer<br />

gesundheitlichen Besserung die Beantragung jederzeit Zeit rückgängig<br />

machen oder stilllegen. Um mir die finanzielle Existenzgrundlage zu<br />

sichern, setzte ich mich telefonisch mit der zuständigen Rentenversicherung<br />

in Verbindung. Eine freundliche Frau erklärte mir den genauen<br />

Ablauf der Beantragung. Sie schickte mir einen Teil der Antragsbögen<br />

zu, die ich auszufüllen hatte. Sie gab mir den Tipp, die weiteren<br />

Formulare könne ich mit einem Rentenbeauftragten bearbeiten. Dafür<br />

müsse ich aber mit ihr einen Termin festlegen. Ich vereinbarte einen<br />

Termin für Ende des Monats. In der Zwischenzeit füllte ich die von<br />

ihr zugesandten Blätter aus, was mit ziemlichem Aufwand verbunden<br />

war, da einige nicht sofort greifbare Nachweise erforderlich waren. Das<br />

Angebot, den Rest mit einem Rentenberater auszufüllen, nahm ich<br />

gerne an, besaß er doch das genauere Wissen und die entsprechende<br />

Möglichkeit, meinen Antrag gut und sicher weiterzuleiten. Meine Unterlagen<br />

waren bald vollständig und konnten deshalb weitergesandt<br />

werden.<br />

Anfang März bekam ich die Aufforderung meiner Rentenversicherung,<br />

dass ich mich bei einem Gutachter in der Nähe meines Wohn-<br />

92


ortes vorzustellen hätte. Ich erhielt Name, Adresse, Tag und Uhrzeit<br />

und war gespannt, was mich erwartete. Unglücklicher Weise befand<br />

sich der mir vorgeschlagene Tag innerhalb der Zeit meines Schmerzklinikaufenthaltes.<br />

Ich versuchte einen neuen Termin zur Erstellung<br />

des Gutachtens zu bekommen. Die Sekretärin des Arztes zeigte dafür<br />

aber wenig bis gar keine Einsicht. Also meldete ich mich zum vorgegebenen<br />

Zeitpunkt bei meinen Therapeuten in der Schmerzklinik ab<br />

und erklärte, dass ich an diesem Tag nicht zu den Terminen meines<br />

Therapieplanes erscheinen könne. Ich war dankbar, dass sie für mein<br />

Anliegen Verständnis hatten.<br />

Der Gutachter, ein freundlicher Arzt mittleren Alters, Orthopäde und<br />

Leiter einer Reha-Klinik, stellte sich mir vor und erledigte zuerst Formalitäten<br />

wie das Ausfüllen eines Formulars zur Genehmigung meiner<br />

Fahrtkosten, dem Absichern meiner Person mit dem Eintragen<br />

meiner Personalausweisnummer, etc. Danach folgte eine gründliche<br />

Befragung zu meiner familiären Situation. Daran schloss sich eine eingehende<br />

Untersuchung an. Ich denke, dass er wahrnahm, dass mir das<br />

Sitzen bzw. das Stehen während meines Aufenthaltes bei ihm fast nicht<br />

möglich war, stellte ich mich doch während der Befragung auch hier<br />

an die Wand, um meinen Schmerzen entgegenwirken zu können. Ich<br />

führte das Gespräch und die Befragung im Stehen, indem ich meinem<br />

Körper dabei unruhig hin und her wippte. Er ging auf diese ungewöhnliche<br />

Gesprächssituation überhaupt nicht ein. Der Gutachter<br />

riet mir beim abschließenden Gespräch, nicht ungeduldig zu werden<br />

und nicht mit einer Operation, sondern mit konservativen Therapiemaßnahmen<br />

weiter zu machen. Es folgte weder eine Stellungnahme<br />

noch ein Hinweis seiner Sichtweise für das von ihm zu erstellende Gutachten.<br />

Mein Bauchgefühl sagte mir, dass der Inhalt seines Schreibens<br />

nicht in meinem Sinne sein würde.<br />

Als ich zur Erstellung des Gutachtens von Familie, Freunden und Bekannten<br />

befragt wurde, teilte ich ihnen meine Skepsis gegenüber diesem<br />

Arzt mit. „Menschlich fand ich ihn sehr nett, ich weiß jedoch<br />

nicht wie er meine Beschwerden beurteilen wird und ob er sie in seinem<br />

Gutachten berücksichtigt“, so meine Antwort.<br />

93


28. Aussteuerung<br />

Am 27. Februar so gegen 11:00 Uhr öffnete ich meinen Briefkasten,<br />

um nach der eingegangenen Post zu sehen. Ich erhielt ein Schreiben<br />

meiner Krankenkasse, dass mein Krankengeld rückwirkend zum 21.<br />

Februar auslaufen würde. Ich war perplex über diesen Brief. Am Tag<br />

zuvor hatte ich mich noch mit meinem Hausarzt über die Aussteuerung<br />

unterhalten, die nach unserer Berechnung erst im Mai auf mich<br />

zukommen würde. Er wies mich dabei in unserer Unterhaltung eingehendst<br />

darauf hin, dass, sollte diesbezüglich eine Nachricht kommen,<br />

ich mich sofort mit dem zuständigen Arbeitsamt in Verbindung<br />

setzen solle, damit mein Versicherungsschutz durch die Krankenkasse<br />

gewährleistet bliebe.<br />

Diese Worte noch im Hinterkopf, suchte ich eiligst die Nummer der<br />

für mich zuständigen Bundesagentur für Arbeit. Es meldete sich eine<br />

Stimme, die mich freundlicherweise via Anrufbeantworter darüber<br />

aufklärte, dass an diesem Tag das Amt geschlossen blieb und keine Besuche<br />

mehr möglich wären. Eine Zentrale leitete meinen Anruf weiter<br />

und am anderen Ende der Leitung meldete sich eine weibliche Stimme,<br />

die wissen wollte, um was für einen Belang es sich denn handle.<br />

Inzwischen war es 11:10 Uhr geworden und die Zeit drängte. Sie hörte<br />

sich die Angelegenheit an und auch sie empfahl mir dringendst, noch<br />

heute die nächstgelegene Agentur für Arbeit aufzusuchen, um mich<br />

dort arbeitslos zu melden, da ansonsten ein lückenloser Versicherungsschutz<br />

in der Tat nicht gegeben sei. Ich brachte meine Bedenken und<br />

Zweifel an, bis 12 Uhr, dem Ende der Öffnungszeit, die zwanzig km<br />

entfernte Stadt zu reichen. Die Frau jedoch ermutigte mich dazu, dies<br />

auf jeden Fall zu versuchen und wies noch auf die Mitnahme meines<br />

Personalausweises hin.<br />

Ich schnappte mir meine Jacke und die benötigten Unterlagen und<br />

fuhr, die Geschwindigkeitsbegrenzung ausreizend - wohl angemerkt:<br />

das Tempo nicht überschreitend - zur Agentur für Arbeit, die ich tat-<br />

94


sächlich um fünf Minuten vor 12 Uhr erreichte. Ich hastete die Eingangstüre<br />

hinein und meldete mich am Empfang an. Ich berichtete<br />

der dort erstaunt blickenden Angestellten vom überraschenden Erhalt<br />

meines Briefes und erklärte ihr,dass ich selbst vor einer Stunde noch<br />

nicht gewusst hatte, dass ich mich hier arbeitslos melden würde. Mir<br />

war wohl anzumerken, dass ich sehr aufgeregt war, denn die einfühlsame<br />

Dame erwiderte, es sei alles o.k, die Agentur würde zwar nun<br />

die Türen schließen, allerdings würde jeder, der hier wäre, noch aufgenommen<br />

und angehört. Mir fiel ein Stein vom Herzen.<br />

Ich wurde aufgefordert, ein Formular auszufüllen und meinen Personalausweis<br />

vorzuzeigen. Mit der Feststellung, dass ich „Neukunde“ sei<br />

forderte sie mich auf Platz zu nehmen. Natürlich blieb ich lieber stehen,<br />

denn meine Schmerzen machten sich gewaltig bemerkbar und es<br />

gab keine Aussicht auf eine mir erträgliche Sitzgelegenheit. Danach<br />

erschien eine freundliche und herzliche Dame, die mich mitnahm in<br />

ihren Arbeitsbereich. Sie stellte sich mit ihrem Namen vor und erzählte<br />

mir vom Prozedere, das mich nun erwarten würde. Sie bestätigte mir<br />

fast entschuldigend, dass ich ab sofort „arbeitslos“ wäre, obwohl ich es<br />

ja eigentlich nicht richtig sei. Die Kosten meiner Krankenversicherung<br />

würde ab sofort die Agentur für Arbeit übernehmen, meine Aufgabe<br />

sei es nun, die Anträge und Fragebögen auszufüllen und dann umgehend<br />

an sie zurückzusenden. Sie legte mir einen Stoß Papier zur Rechten<br />

und einen weiteren Stoß zur Linken auf den Tisch, alles ordentlich<br />

in Klarsichthüllen. Sie wies darauf hin, dass der linke Stapel für den<br />

ärztlichen Gutachter der Arbeitsagentur für Arbeit bestimmt wäre,<br />

dieser würde selbstverständlich streng vertraulich bearbeitet werden.<br />

Deshalb seien auch getrennte Briefumschläge erforderlich. Sobald alles<br />

ausgefüllt bei ihnen auf dem Tisch liegen würde, würde es bearbeitet.<br />

Die Sachbearbeiterin erklärte mir zudem, dass es Sinn machen würde,<br />

bei meiner Krankenversicherung Widerspruch einzulegen, da es nicht<br />

rechtens sei, rückwirkend und ohne vorherige Ankündigung eine Aussteuerung<br />

vorzunehmen. Ich verabschiedete mich eindeutig entspannter<br />

und in besserer Stimmungslage, als ich die Arbeitsagentur betreten<br />

95


hatte, obwohl meine Schmerzen sich in einem äußerst hohen Level<br />

befanden.<br />

Das kommende Wochenende war vorgeplant mit dem Ausfüllen der<br />

Formulare und dem Zusammenstellen meiner Arztbriefe, die zwischenzeitlich<br />

eine ganze Mappe füllten. Da ich auch bei der Beantragung<br />

der Erwerbsminderungsrente bereits manche Stellungsnahmen,<br />

sowie die gesammelten Arztbriefe vorweisen musste, kam mir dies hier<br />

zugute. Ich schrieb meinen Widerspruch an die Krankenkasse, so dass<br />

dieser am Montag zur Post kam. Ich war zufrieden, nun alles Nötige in<br />

die Wege geleitet zu haben und wartete ab, was nun diesbezüglich auf<br />

mich zukommen würde.<br />

29. Die Tage bis zur zweiten Operation<br />

Das Bewusstsein, nicht mehr völlig über meinen Körper verfügen zu<br />

können und vom ständigen Schmerz fremdgesteuert zu sein, ist für<br />

mich nur schwer zu akzeptieren. Da ist etwas in dir, was du nicht<br />

möchtest und du kannst es nicht abschütteln, sondern dein Leben,<br />

deine Vorhaben und Ziele werden von diesem Etwas bestimmt. Du<br />

hast zwar eigene Vorstellungen, musst dich jedoch dem Schmerz beugen.<br />

Er nagt in dir und du kannst ihn nicht zähmen.<br />

Wenn es um Ideale, Ziele, Lebensausrichtung geht, bin ich kämpferisch<br />

und unnachgiebig. Das kommt mir in meiner Bewältigung<br />

der Krankheit zugute. Ich merke immer mehr, wie ich mich diesem<br />

Schmerz nicht ergeben und unterwerfen möchte. Dafür kämpfe ich<br />

und werde alles mir mögliche und nötige tun, sowie auf mich nehmen,<br />

um an mein Ziel, Schmerzfreiheit zu erreichen, zu gelangen. Die zweite<br />

Operation lag vor mir und ich wusste von der ersten Halswirbel-OP<br />

her in etwa, was auf mich zukommen würde.<br />

Die von Prof. Dr. Seiber verlangte Bescheinigung eines HNO-Arztes,<br />

dass meine Stimmbänder in Ordnung seien, lag vor, wie auch die Ein-<br />

96


weisung vom Hausarzt ins Krankenhaus. Zwischen meinem Schmerzklinikaufenthalt<br />

und der stationären Aufnahme waren es genau vierzehn<br />

Tage, dazwischen lag Ostern und der Besuch unserer Kinder<br />

Helene und Felix. Ich hatte mir vorgenommen, die Zeit bis dahin,<br />

soweit es mein Schmerzverhalten zuließ, zu genießen. Ich liebe es, die<br />

gesamte Familie um mich zu haben. Nichts auf der Welt ist für mich<br />

wichtiger und wertvoller, als das gemeinsame Tun und Erleben mit<br />

meiner Familie.<br />

Die Tage vor Ostern waren diesmal geprägt von der Unsicherheit, was<br />

ich bezüglich meiner inzwischen fast andauernd tauben und schmerzhaft<br />

gewordenen Hand unternehmen sollte. Der Professor befand sich<br />

im Urlaub und ich wusste, würde ich in die Notaufnahme seiner Klinik<br />

gehen, würden sie mich evtl. behalten und beobachten. Andererseits:<br />

Käme es zu einer vorzeitigen Operation, wäre der Operateur nicht<br />

Prof. Dr. Seiber, sondern ein anderer Arzt, dem ich mich anvertrauen<br />

müsste. Das wollte ich nicht. Ich entschloss mich abzuwarten und die<br />

Meinung meines Sohnes dazu anzuhören, der zu den bevorstehenden<br />

Feiertagen anreiste. Nachdem er meinem Bericht gefolgt war, meinte<br />

er: „Das ist nun mal die Auswirkung deiner Krankheit, dass der Nerv<br />

gedrückt wird und eine der Folgen kann ein Taubheitsgefühl sein. Lass<br />

es uns beobachten“. Im Laufe der Woche hatte ich tatsächlich Stunden<br />

ohne „eingeschlafene Finger“, und das gab mir die Zuversicht, auch<br />

die letzten Tage bis zur Operation noch durchzustehen.<br />

„Durchzustehen“ im wahrsten Sinne des Wortes. Meine Schwiegermutter<br />

feierte am Ostersonntag ihren 90. Geburtstag. Wir hatten eine<br />

Anfahrt von zwei Stunden. Dies allein war für mich schon anstrengend.<br />

Die Feier fand in einem von meinen Schwiegereltern einige Kilometer<br />

entfernten Restaurant statt, mit Mittagsessen und Kaffee und<br />

Kuchen am Nachmittag. Bereits als ich das Lokal betrat war mir klar,<br />

dass ich auf diesen für mich schmerzauslösenden Stühlen - sie hatten<br />

eine tiefe Lehne, die leicht nach hinten gebogen war - keine Chance<br />

hatte, diesen Tag gut durchzustehen. Die Tafel war eingedeckt und<br />

gestellt. Es bot sich für mich keine Möglichkeit mich an eine Wand<br />

97


anzulehnen. Bereits nach dem Mittagsessen zog ich es vor, im Auto<br />

für Schmerzerleichterung zu sorgen: Ich stellte mir die Sitzlehne und<br />

Kopfstütze entsprechend ein, versuchte dort immer wieder mit meinem<br />

Tensgerät einige Zeit zu überbrücken und mich mit einem Buch<br />

abzulenken.<br />

Nach den Osterfeiertagen versuchte ich, soweit es mein Zustand zuließ,<br />

noch all das zu erledigen, was ich nach meinem Krankenhausaufenthalt<br />

für lange Zeit nicht mehr tun durfte. Andererseits wollte ich<br />

noch die verbleibenden Tage genießen. Ich traf mich beispielsweise mit<br />

zwei Schmerzpatientinnen aus unserer Gruppe zum Frühstück und besuchte<br />

eine Freundin. Ich machte einen ausgiebigen Stadtbummel und<br />

mein Mann und ich nahmen uns bewusst Zeit für uns.<br />

Im Vergleich zur ersten HWS-Operation war es mir wichtig, dieses<br />

Mal eine Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht zu erstellen. Ich<br />

hatte mir diesbezüglich bereits viele Gedanken gemacht, allerdings sie<br />

nie umgesetzt. Jetzt, eine Woche vor der Operation, war es mir bewusst,<br />

dass ich bei einer möglichen Komplikation keinerlei Vorsorge<br />

dafür getroffen hatte. So setzte ich mich einige Tage vor Beginn<br />

meines Klinikaufenthaltes an meinen Schreibtisch und stellte mich<br />

dieser doch äußerst unangenehmen, folgenschweren und entscheidenden<br />

Herausforderung. Wen ich für das Vertreten meiner Angelegenheiten<br />

für geeignet hielt und dass der- oder diejenige mir auch die<br />

Bereitschaft zugesichert hatte, wusste ich. Ebenso wusste ich, was bzw.<br />

was ich nicht in meiner Patientenverfügung haben wollte, etwa eine<br />

PEG-Magensonde, die ich ablehne. Schwer fiel mir vielmehr die Tatsache,<br />

dass das eventuelle Eintreten der Wirksamkeit einer Patientenverfügung<br />

plötzlich nah und greifbar erschien.<br />

Die stetige Unterstützung meines Mannes Max, der mir während der<br />

gesamten Krankheitsmonate viel abnahm, sein stetes Verständnis mir<br />

gegenüber, als auch unser Gesprächsaustausch bedeuteten mir mehr<br />

als nur Hilfe. Um meinem Mann die Tage der Sorgen um mich und<br />

um mir das Warten am Tag der Aufnahme zu erleichtern, nahm sich<br />

98


unser Sohn ganz selbstverständlich zwei Tage Zeit und reiste erneut an.<br />

Helene, die auch diesmal vorhatte bis nach überstandener Operation<br />

Urlaub zu nehmen, um für mich da zu sein, war dies, da sie eine Urlaubsvertretung<br />

ihrer Kollegin machen musste, leider nicht möglich.<br />

Dafür führte sie mit mir Telefonate und zeigte dadurch ihre Teilnahme.<br />

Allein dieses Wissen darum war ein Geschenk für mich.<br />

Ich glaube, ich kann es auch jetzt nicht mit Worten beschreiben und<br />

die Wertschätzung zum Ausdruck bringen, wie wichtig die Anteilnahme<br />

und Fürsorge meiner Familie für mich war und ist. Dies war genau<br />

das, was mir die nötige Kraft gab und half, doch einigermaßen mutig<br />

und „sortiert“ die Klinik zu betreten. Am Montag, den elften April,<br />

sollte ich mich im Krankenhaus zur stationären Aufnahme melden.<br />

Felix erklärte sich bereit mich in die Klinik zu fahren.<br />

30. Die stationäre Aufnahme<br />

Wie nicht anders zu erwarten war, musste ich bei der stationären Aufnahme<br />

eine Nummer ziehen und warten. Geduld ist ja nun etwas,<br />

das ich als Patient gelernt habe, deshalb nahmen wir das Warten mit<br />

Humor. Während der Stunden bis zur Zuteilung eines Bettes vertrieben<br />

wir uns die Zeit, indem wir das Geschehen und Treiben in der<br />

Ambulanz, sowie die Patienten beobachteten, die hier Auskunft oder<br />

Rat suchten.<br />

Irgendwann wurde meine Nummer aufgerufen und ich ging ins Büro<br />

zur Aufnahme. Viele Blätter und Aufklärungsbögen wurden über den<br />

Schreibtisch hin und her gereicht und ich musste meine Unterschrift<br />

darunter setzen. Ich hasse es, derartige wichtige Texte unterzeichnen zu<br />

müssen, sie aber mangels Zeit nur flüchtig bzw. diagonal durchlesen zu<br />

können. Ich bemerkte dass mein Gegenüber, ein Herr meines Alters,<br />

der mir von der ersten Aufnahme her vom Juli 2014 noch bekannt war,<br />

ungeduldig auf seine Uhr blickte. Keine Chance, der nächste Patient<br />

99


wartete bereits und mein Zeitrahmen war ausgefüllt. Noch die kurze<br />

Frage nach einem Patientenarmband, damit keine Verwechslung meiner<br />

Person möglich wurde. Wieder eine Unterschrift, um dies zu bestätigen.<br />

Dann wurde ein weißes Plastikband um meine rechte Hand<br />

geklickt. Es folgte die Aufforderung meine Patientenakte zur Blutabnahme<br />

zu bringen.<br />

Ich klopfte an der Tür, eine freundliche Krankenschwester drückte mir<br />

erneut Blätter in die Hand, die es zunächst auszufüllen galt. Sie verwies<br />

mich auf einen kleinen Wartebereich. Dort setzte ich mich hin<br />

und trug die Antworten zu den entsprechenden Fragen ein. Teilweise<br />

wiederholten sie sich, etwa die Angaben zur aktuellen Medikamenteneinnahme<br />

oder eine Bestätigung über dies oder das. Es folgte die<br />

Frage zu einer Bestätigung bezüglich des Aufklärungsgespräches in der<br />

Anästhesie, das eigentlich erst danach angesetzt war. Erneutes Warten.<br />

Dann wurde mir Blut abgenommen und ein EKG erstellt.<br />

Dem stetigen Drängen meines Sohnes in den vergangenen Wochen<br />

folgend, setzte ich mich, als eine erneute Operation im Raum stand,<br />

mit einem Krankenhaus in Verbindung, in dem ich vor einigen Jahren<br />

eine Schilddrüsenoperation und eine Titanplattenbefestigung und<br />

Entfernung am Augenbogen erhielt. Ich schrieb die dortige Abteilung<br />

für Anästhesie an, um Auskunft über das damals verabreichte Narkosemittel<br />

zu erhalten. Nach einigen Tagen erhielt ich die Antwort<br />

auf mein Schreiben. Ich erhoffte mir von dieser Auskunft den bereits<br />

beschriebenen Folgen, nämlich der Übelkeit und dem Erbrechen, die<br />

nach der ersten Operation aufgetreten waren, vorbeugen zu können.<br />

Mit diesem Brief ging ich nun in mein Anästhesie-Aufklärungsgespräch.<br />

Dort erwartete mich eine junge Ärztin, die pflichtbewusst mit<br />

mir alle Details samt den eventuell auftretenden Folgen besprach und<br />

Notizen machte. Dann telefonierte sie bezüglich meiner bekannten<br />

Amoxin- und Novalgin-Allergie mit dem Chefanästhesisten und besprach<br />

mit ihm mein Schreiben. Nach wenigen Minuten stellte dieser<br />

sich persönlich bei mir vor und wunderte sich darüber, dass bei den<br />

100


damaligen Operationen eine Narkose verwandt wurde, die im Allgemeinen<br />

schlechter verträglich sei, als die von ihm angewandte. Trotzdem<br />

ließ er sich auf das im Brief beschriebene Narkosepräparat ein und<br />

wollte es während der bevorstehenden Operation einsetzen. Er sprach<br />

mir Mut und Erfolg für den nächsten Tag zu. Es war inzwischen Nachmittag<br />

geworden und unser knurrender Magen ließ uns unweigerlich<br />

wissen, dass es höchste Zeit war die Cafeteria aufzusuchen, um unseren<br />

Hunger zu stillen. Für mich war das wie eine „Henkersmahlzeit“.<br />

Mir wurde in diesem Augenblick bewusst, mich bald dem Können der<br />

Ärzte anvertrauen zu müssen und den Abläufen der Klinik ausgeliefert<br />

zu sein. Danach suchte ich meine Station auf und mir wurde mein<br />

Zimmer zugewiesen.<br />

Die Station befand sich im Parallelgang zu der im vergangenen Juli<br />

bei meiner ersten HWS-OP gelegenen Station. Ich meldete mich im<br />

Stationszimmer an und eine Krankenschwester ging mit mir in mein<br />

Krankenzimmer. Sie stellte mich der im Bett liegenden Patientin vor<br />

und zeigte mir meine Schränke. Danach riss sie die Plastikfolie, die<br />

mein Krankenbett umhüllte, ab. Ein Schlüssel für einen verschließbaren<br />

Schrank wurde mir in die Hand gedrückt und mit den Worten:<br />

„Irgendwann kommt noch ein Arzt zum Aufklärungsgespräch vorbei“<br />

war sie auch schon wieder weg. Es munterte mich auf, in die leuchtenden<br />

Augen meiner Bettnachbarin zu blicken, die mit einer Halskrause,<br />

der sog. „Henßge Krawatte“ in ihrem Bett lag und mich neugierig<br />

musterte. Unsere Blicke trafen sich, und wir stellten beide sehr schnell<br />

fest, dass unsere Chemie passte und Sympathie die doch nüchterne<br />

Klinikatmosphäre ausfüllte. Wir stellten uns gegenseitig vor und erzählten<br />

uns in Kürze den Grund unseres Klinikaufenthaltes.<br />

Danach ging ich nach draußen zu meinem Sohn, der im Besucherbereich<br />

noch auf mich wartete. Hier hielten wir uns noch einige Minuten<br />

dort zusammen auf, um uns zu verabschieden. Schweren Herzens<br />

ging ich zurück ins Krankenzimmer. Die restliche Zeit, es war inzwischen<br />

17 Uhr geworden, verbrachte ich mit dem Einräumen meiner<br />

persönlichen Gegenstände und mit Gesprächen mit Simone, meiner<br />

Bettnachbarin.<br />

101


31. Der Abend davor<br />

Es ist ja immer wieder faszinierend, dass das Abendbrot in Krankenhäusern<br />

häufig bereits um 16:45 Uhr ausgeteilt und das Tablett mit<br />

dem gebrauchten Geschirr möglichst schnell, gegen 17:30 Uhr, wieder<br />

eingesammelt wird. Aus organisatorischen und personellen Gründen<br />

sicherlich verständlich. Aus Sicht des Patienten eine Zumutung. Wer<br />

nimmt Zuhause um diese Zeit sein Abendbrot ein, wenn nicht besondere<br />

Gründe vorliegen? Ich habe es öfters erlebt, dass eine Pflegerin<br />

oder ein Pfleger kamen, um mein Gedeck abzuholen. Manchmal trafen<br />

mich erstaunte, manchmal auch vorwurfsvolle Blicke, wenn ich<br />

das Essen noch nicht angerührt hatte und es für später aufheben wollte.<br />

Ich schaffte es noch nicht, mich in das Bett, das für die nächsten<br />

Tage sich das meine nennen sollte, hineinzulegen. Ich war zu aufgeregt<br />

und innerlich zu aufgewühlt.<br />

So gegen 18 Uhr öffnete sich die Zimmertüre und ein Arzt stand vor<br />

mir. Er hielt Blätter, die ich noch zu gut vom Juli 2014 kannte, in seiner<br />

Hand. Er meinte, er würde mit mir das Aufklärungsgespräch führen<br />

und benötige dann anschließend meine Unterschrift und Einwilligung<br />

zur morgigen Operation. Mir war alles andere danach, als vor Augen<br />

geführt zu bekommen, was eventuell während des bevorstehenden<br />

Eingriffes eintreten könnte und welche Gefahren und Risiken doch<br />

das Ganze birgt. Hatte ich mir doch bereits mehr als genug Gedanken<br />

darüber gemacht. Noch immer hallten mir die Worte des damaligen<br />

Arztes nach, der mich bei der letzten HWS-Operation damit aufklärte:<br />

„kann zum Tod führen, das hatten wir auch schon“.<br />

Ich machte mit dem Doktor einen Deal: Ich überzeugte ihn, über alles<br />

genau Bescheid zu wissen, allerdings es nicht erneut hören zu wollen.<br />

Dafür gab ich ihm sofort meine Unterschrift. Der Arzt war sehr nett,<br />

einfühlsam und verständig und ich bedauere, dass ich ihn während<br />

meines gesamten Aufenthaltes nicht mehr gesehen oder getroffen habe.<br />

102


Unser „Aufklärungsgespräch“ war somit schnell vorüber und ich war<br />

dankbar über diesen unkomplizierten Verlauf. Der Doktor unterhielt<br />

sich noch ein wenig mit meiner Bettnachbarin über ihre Physiotherapie,<br />

die nach einer Halswirbeloperation erst drei Monate nach einem<br />

Eingriff stattfinden solle, da ansonsten eine Lockerungsrate von 35 %<br />

gegeben sei. Ich schenkte ihrem Gespräch meine Aufmerksamkeit, da<br />

mich dieses Thema später ja auch betreffen würde. Wie sehr, das sollte<br />

sich nach meiner Entlassung herausstellen.<br />

Die Nasszelle befand sich in einem schlimmen, Ekel erregenden Zustand.<br />

Die Toilette war verschmutzt und das Waschbecken gelblich,<br />

verkrümelt und Schmutzränder zierten den Beckenrand. Für einen<br />

neu angekommenen Patienten kein angenehmer Anblick. Ich habe am<br />

zweiten Tag meiner Anwesenheit im Krankenhaus dies bei einer Pflegekraft,<br />

die gerade das Bett für die nächste Patientin herrichtete, beanstandet.<br />

Es war kaum zu fassen: Bei meinem nächsten Toilettenbesuch<br />

musste ich feststellen, dass die Toilette war ordentlich geputzt war und<br />

das Waschbecken blitzte! Na also, geht doch, denke ich mir gerade<br />

beim Schreiben der Zeilen. Wäre es nicht eine Selbstverständlichkeit,<br />

einen solchen Anblick bei der Ankunft und während der gesamten<br />

Dauer des Aufenthaltes vorzufinden und nicht erst nach Aufforderung?<br />

Ich setze eine derartige Hygienemaßnahme eigentlich voraus.<br />

So gegen 21 Uhr kam die Nachtschwester. Freundlich und zügig erledigte<br />

sie ihre Aufgaben wie das Verteilen der Nachtmedikamente<br />

und legte mir das Operationshemd und Netzhöschen hin. Für den<br />

Fall einer schlaflosen Nacht bekam ich eine Schlaftablette von ihr. Sie<br />

erzählte mir zudem, dass ich für 13:30 Uhr auf dem Operationsplan<br />

stand. Ich war dankbar, mir noch von zu Hause Bananen und Kekse<br />

mitgenommen zu haben. So konnte ich diese mir bis zur erlaubten<br />

Zeit bis 22 Uhr einverleiben. Der nächste Tag könnte auf Grund des<br />

spät angesetzten OP– Termins nämlich im nüchternen Zustand lang<br />

werden und deshalb stopfte ich in mich rein, was möglich war.<br />

Den Abend verbrachten wir mit Fernsehen und da ich zuhause die<br />

103


Nacht zuvor schlecht geschlafen hatte, war ich müde und schlief irgendwann<br />

ein. Gegen 1:30 Uhr wachte ich auf, weil mir Arme und<br />

Beine juckten. Erst versuchte ich dies zu ignorieren, aber das Jucken<br />

wurde immer schlimmer. Ich überlegte mir, woran das wohl liegen<br />

könnte. Ich wusste, dass ich eine empfindliche Haut habe, das sich<br />

häufiger schon in einer Kontaktallergie äußerte. Ich legte mich auf<br />

die Bettdecke, um mich etwas abzukühlen und stellte fest, dass die<br />

Hautreizung nachließ. Ich breitete die gesamte Decke über das Laken,<br />

mit dem die Matratze überzogen war. Darauf legte ich mich und mit<br />

der Zeit hörte das unangenehme Jucken tatsächlich auf. Ich nehme<br />

an, dass es das Bettlaken war, vielleicht mit einem starken Desinfektionsmittel<br />

gereinigt, welches bei mir den Juckreiz auslöste. Ich machte<br />

mich auf den Weg, die Nachtschwester ausfindig zu machen und bat<br />

um eine zusätzliche Bettdecke, um mich darin aufwärmen zu können.<br />

Diese erfüllte mir anteilnehmend diesen Wunsch. Ich ließ diese Decke<br />

während all der Tage auf meiner Matratze und ich bekam keinen weiteren<br />

Juckreiz.<br />

32. Zweite Halswirbeloperation<br />

Gegen 7 Uhr begann der übliche Tagesablauf einer Klinik: Fiebermessen,<br />

Medikamentenausgabe, Blutdruckkontrolle. Danach wurde Simone<br />

ein spärliches Frühstück, das aus einer Tasse Kaffee, einem Brötchen,<br />

einer kleinen Packung Diätmargarine und Marmelade bestand,<br />

gebracht. Es stellte sich am Tag ihrer Entlassung heraus, dass sie die<br />

gesamte Zeit aus Versehen ein Diätfrühstück bekam. Auf diese Mahlzeit<br />

musste ich wirklich nicht neidisch werden.<br />

Ich wusch mich, zog mir, wie aufgetragen, das „OP-Kostüm“ an und<br />

legte mich abwartend wieder in mein Bett. Es war der lockeren, aufgeschlossenen<br />

Art Simones zu verdanken, dass die Zeit, bis ich in den<br />

Operationssaal abgeholt wurde, relativ schnell verging. Den Vormittag<br />

vertrieben wir uns die Zeit mit Plaudereien über unterschiedliche<br />

104


Themen, tauschten Kochrezepte aus oder lachten über manche Begebenheit.<br />

Gegen Mittag brachte mir ein Krankenpfleger die Tablette,<br />

die einem alles „egal“ werden lässt und bat mich, diese einzunehmen.<br />

Ich betrachtete dies als ein gutes Zeichen, denn das hieß für mich,<br />

dass es nun bald losgehen würde. Aufgrund der fortgeschrittenen Tageszeit<br />

hatte ich nämlich innerlich schon die Befürchtung, auch diese<br />

Operation könnte, wie die erste, kurzfristig um einen Tag verschoben<br />

werden. Deshalb war ich nahezu erleichtert, dass alles nach Plan verlief.<br />

Ich legte meine Brille auf den Nachttisch und hoffte inständig,<br />

dass ich sie später im Aufwachraum gebracht bekäme. Ohne Brille sehe<br />

ich mein Umfeld wesentlich kleiner und ungenauer, die Welt ist für<br />

mich dann sehr viel weiter entfernt. Die Tablette wirkte innerhalb sehr<br />

kurzer Zeit, ich döste vor mich hin, Angst und Panik erfassten mich,<br />

zugleich Erleichterung, dass es nun endlich soweit war.<br />

Es dauerte keine halbe Stunde, als ich von einem Krankenpfleger abgeholt<br />

wurde, der übrigens durch sein charmantes, engagiertes und<br />

herzliches Auftreten den Patienten gut tat und durch seine schlichte<br />

Anwesenheit positive Stimmung verbreitete. Mit einem kurzen Händedruck<br />

wünschte er mir Glück und an viel mehr kann ich mich nicht<br />

erinnern. Danach Nebel.......Dämmerung.......Nacht....<br />

Ich nahm wahr, dass mich ein Arzt ansprach: „Sie haben alles überstanden<br />

und sind wieder bei uns“. Diese Worte drangen in mein Unterbewusstes.<br />

......Beine und Hände bewegen...alles funktioniert. Ich wollte<br />

etwas sprechen, um meine Stimme zu hören, aber ich war zu schwach.<br />

Noch ein Versuch.......ich registriere Schmerzen in der Kehle.......“-<br />

Meine Brille, kann ich sie haben?“ Ich hörte meine eigenen Worte.<br />

…..Dann nur noch E R L E I C H T E R U N G. Dieser Moment, die<br />

Feststellung, alles ohne Lähmungserscheinungen oder Stimmverlust<br />

hinter mich gebracht zu haben und wieder bei vollem Bewusstsein zu<br />

sein, ist wie ein innerliches Feuerwerk.<br />

Ein Arzt erklärte mir, dass ich mich auf der Intensivstation befände,<br />

da es zu leichten Schwellungen im Hals gekommen sei. Ich registrierte<br />

105


es, aber Müdigkeit, Schwäche und Schmerzen überlagerten die Wahrnehmung<br />

dieser Tatsache. Ich blickte irgendwann in die besorgten Augen<br />

meines Mannes und spürte seine Nähe. Dann das Gesicht meines<br />

Sohnes Felix, der sich für die Intensivmedizin und Geräte hinter mir<br />

interessierte und deren Funktionen später meinem Mann verständlich<br />

machte. Wegschlummern, eine neue Infusion wird angebracht, wegschlummern....aufwachen.....der<br />

Stich einer Nadel, um Blut abzunehmen,<br />

wegschlummern.......Es tat gut, die Anwesenheit und Teilnahme<br />

der Familie zu spüren. Wegschlummern, die Stimme des Arztes, der<br />

mich aufforderte, ein Medikament mit abschwellender Wirkung zu inhalieren.<br />

Wegschlummern, Schmerzen, ein Engegefühl im Hals.<br />

Nachdem mein Mann und unser Sohn sich verabschiedet hatten, schlief<br />

ich ein bis zur Übergabe des Pflegepersonals an den Nachtdienst. Ich<br />

wurde aufmerksam, als der diensthabende Arzt seine Ablösung über<br />

meinen Zustand informierte. Keine Komplikationen hörte ich ihn sagen.<br />

Ein Gefühl von unsagbarer Dankbarkeit überkam mich. Er kam<br />

zu mir, verabschiedete sich und erklärte mir: „Sollte heute Nacht ein<br />

Notfall auf Intensiv kommen, dann dürfen sie auf die Station zurück“.<br />

Und der Notfall kam gegen 2:00 Uhr morgens. Der nun diensthabende<br />

Intensivmediziner ermutigte mich, sollte es zu irgendwelchen<br />

Auffälligkeiten oder Beschwerden kommen, dass ich sofort der Nachtschwester<br />

auf Station Bescheid geben solle. Er sicherte mir dann sein<br />

sofortiges Kommen zu. Morgen früh, fügte er noch an, würde mich ein<br />

Physiotherapeut besuchen, mir beim Aufstehen helfen und mir Übungen<br />

zeigen. Dann merkte ich, wie sich das Bett bewegte und ich davongeschoben<br />

wurde. Ich denke gerne an die „Rundum-Betreuung“ in der<br />

Intensivstation zurück. Ich hatte dort das Gefühl einer guten, kompetenten<br />

Versorgung, sowohl medizinisch wie auch pflegerisch. Keine<br />

mürrische Schwester, wenn ich wiederholt um die Bettpfanne bitten<br />

musste oder ein anderes Anliegen äußerte. Freundliche, aufmunternde<br />

Menschen, die mich dort umgaben. Ich empfand eine ehrliche Bereitschaft<br />

und das Engagement der Ärzte und Pfleger, für die Patienten da<br />

zu sein. Das sollte sich bald ändern.<br />

106


33. Der Tag danach<br />

Auf Station zurück wurde mir mein Blutdruck gemessen. Er zeigte sich<br />

im Normalbereich. „Da ersparen Sie mir Arbeit“, so die Aussage der<br />

lächelnden Schwester. Dieser Satz drang durch meinen matten Körper.<br />

Bedingt durch die vielen Infusionen musste ich häufig auf die Toilette.<br />

Die Nachtschwester brachte mir hektisch die Bettpfanne und holte sie<br />

genauso eilig wieder ab. Es kostete mich Überwindung, ein zweites<br />

und drittes Mal nach ihr zu klingeln. Der Morgen begann um 6:00<br />

Uhr mit Blutdruck- und Fiebermessen, sowie mit der Medikamentenausgabe.<br />

Kein unnötiges Geplauder seitens des Pflegepersonals. Alles<br />

beschränkte sich auf das Nötigste an diesem Morgen. Wie schön war<br />

es doch da, ein fröhliches „guten Morgen“ von der anderen Seite des<br />

Zimmers zu hören. Es war Simone, die inzwischen erwacht war und<br />

die sich freute, mich wieder zu sehen. Das beruhte auf Gegenseitigkeit.<br />

Ich wartete ungeduldig auf das Frühstück, die erste Mahlzeit seit gestern.<br />

Ich war hungrig.<br />

Als ich endlich mein Frühstück hatte, fiel mir allerdings das Essen<br />

schwer. Ich konnte nur sehr kleine Stückchen von meinem Vollkornbrot<br />

schlucken, das im Übrigen gänzlich ungeeignet für einen im Hals<br />

frisch operierten Patienten ist. Das Innere meines Halses war gereizt<br />

und besonders das Schlucken tat mir weh. Ich versuchte mit meinen<br />

Fingern an meinem Hals den Schnitt bzw. die Wunde zu erkunden.<br />

Dieser war mit einem Pflasterverband beklebt. Auf der linken Seite<br />

hing ein Wundschlauch, der das Blut in die Wundflasche tropfen ließ.<br />

Ich klingelte und fragte meinen Lieblingspfleger, ob ich das OP-Hemd<br />

ausziehen dürfe und ob er mir helfen könnte, mein eigenes T-Shirt<br />

überzuziehen. Er wusch mir bereitwillig das rote Desinfektionsmittel<br />

vom Oberkörper und versuchte, mich zum Aufstehen zu ermutigen.<br />

Er stützte mich auf dem Gang in die Nasszelle und wartete, bis ich<br />

mir die Zähne geputzt hatte. Die erste Hürde zur Selbstständigkeit<br />

hatte ich genommen, das war ein gutes Gefühl. Ich war nun wieder<br />

unabhängig vom Pflegepersonal und konnte aufstehen, wann immer<br />

ich wollte.<br />

107


Die Infusionsnadel wurde auf meine Nachfrage hin noch an diesem<br />

Vormittag gezogen. Sie tat ziemlich weh und ich war erleichtert, als<br />

sie entfernt war. Ich merkte erst jetzt, wie erschöpft ich noch war. Ich<br />

schlief während des Tages des Öfteren ein und war dankbar über die<br />

Ruhe. Die Reinigungskraft erschien und wir beobachteten, wie sie<br />

putzte. Simone und ich waren uns beide einig, dass dies mit Sicherheit<br />

nicht den Hygienevorschriften eines Krankenhauses entsprach. Da war<br />

kein zweites Eintauchen des Lappens in das Wassers, die gesamte Bodenfläche<br />

wurde in einem Zug durchgewischt. Ich erinnerte mich an<br />

die Beobachtungen und Erfahrungen meines letzten Klinikaufenthaltes<br />

und war im Gegensatz zu meiner Bettnachbarin darüber nicht allzu<br />

erstaunt.<br />

Bei der Arztvisite bekam Simone die Erlaubnis, am folgenden Tag nach<br />

Hause zu dürfen. Bei mir begutachtete der Arzt meine Wundflasche<br />

und spekulierte, dass diese am nächsten Morgen gezogen werden könne.<br />

Keine persönlichen Worte, keine Fragen nach dem Befinden des<br />

Patienten. Abends besuchte mich mein Mann. Wir versuchten einen<br />

kleinen Spaziergang rund um die Klinik zu machen. Es war für mich<br />

sehr anstrengend. Es war schön, mit ihm zu sprechen, Vertrautes zu<br />

spüren. Mit dem Wissen, das Schlimmste überstanden zu haben, genossen<br />

wir den Abend. Genauso wichtig waren für mich die Anteilnahme<br />

durch Telefonate, WhatsApp oder SMS-Nachrichten. Einfach<br />

zu wissen, dass Familie, Freunde und Bekannte an einen denken und<br />

daran teilhaben; dieses Wissen schenkte mir Kraft und Freude. Simone<br />

und ich verbrachten den Rest des Abends mit viel Unterhaltung und<br />

Fernsehen.<br />

Der nächste Morgen gestaltete sich wie immer mit Medikamentenausgabe,<br />

Fiebermessen und Frühstück. Simone hatte Schmerzen und<br />

drängte darauf, vor ihrer Entlassung noch einen Arzt zu sprechen.<br />

Nach einigem hin und her der Schwestern sollte sie um 8:00 Uhr bei<br />

Prof. Dr. Seiber vorstellig werden. Als sie wieder kam erzählte sie mir,<br />

dass ein türkischer Name auf einem Bett, das vor der Tür stünde, angebracht<br />

wäre. Ihre Nachfolgerin sei wohl eine Dame mit türkischem<br />

108


Namen, kommentierte sie. Dann begann sie mit dem Einpacken. Die<br />

Vorfreude über ihre Entlassung war nicht zu übersehen. Hektische Betriebsamkeit<br />

erfüllte den Raum. Sie stellte mir zum Abschied noch<br />

eine Kanne Pfefferminztee hin und dann folgten Umarmungen und<br />

ein Abschied mit dem gegenseitigen Versprechen, sich beim Anderen<br />

zu melden und in Kontakt zu bleiben. Der Abschied voneinander fiel<br />

uns beiden schwer.<br />

Den Vormittag über war ich allein in Zimmer. Ich ließ mein Bett von<br />

der einen Seite des Raumes auf die andere Seite zum Fenster und Balkon<br />

schieben, so dass ich den Blick in die Natur hatte. Dann wurde<br />

Simones Bett gegen ein anderes ausgetauscht.<br />

34. Eine neue Bettnachbarin - die türkische<br />

Familie<br />

Nach dem Mittagsessen klopfte es und eine türkische Familie mit sechs<br />

Personen betrat das Krankenzimmer. Wer davon die Patientin war,<br />

konnte ich sofort erkennen: Eine ältere, gebückte, am Stock gehende<br />

und in ein Kopftuch gehüllte Frau, die vom Rest der Gesellschaft in<br />

das Zimmer eingewiesen wurde. Lautes Durcheinanderreden erfüllte<br />

den Raum. Keine Aussicht auf Ruhe. Nach zwei Stunden verabschiedeten<br />

sich die Personen nach und nach. Lediglich die Tochter blieb. Sie<br />

wartete auf das Aufklärungsgespräch mit einem türkisch sprechenden<br />

Arzt. Ihre Mutter, so erklärte sie mir, hätte morgen eine achtstündige<br />

Operation vor sich. Sie sei Kurdin, sehr gläubig, aber spreche kein<br />

Wort Deutsch. Irgendwann erschien der erwartete Arzt. Danach verabschiedete<br />

sich auch die Tochter. Ich atmete durch, endlich Stille. Die<br />

hatte ich nun auch wirklich nötig.<br />

Inzwischen war es 17 Uhr geworden. Die Frau ging zur Toilette, plötzlich<br />

hörte ich sie laut und betont sprechen. Vielleicht dachte ich, hat<br />

sie ein Handy mitgenommen und telefoniert dort. Nach einiger Zeit<br />

109


trat sie heraus und holte sich an ihrem Schrank eine Gießkanne. Ich<br />

wunderte mich. Erneut ging sie ins Bad. Dort hörte ich sie plätschern.<br />

Ich verfolgte interessiert das für mich befremdende Geschehen, konnte<br />

aber keine Erklärung für ihr Verhalten und Handeln finden.<br />

Danach kam die Frau zu mir, schob meinen Nachttisch beiseite und<br />

ging nach draußen auf den Balkon. Dort blickte sie nach rechts und<br />

links und ging wieder nach innen. Sie nahm eine mitgebrachte karierte<br />

Wolldecke, breitete diese über ihr Bett aus und kniete sich verkehrt herum<br />

hinein. Dann fing sie an nach Mekka zu beten, laut, hemmungslos<br />

und gestikulierend. Ich suchte nach diesem Nachmittag eigentlich<br />

nur noch die Ruhe, die ich nach meinem Eingriff dringendst benötigte.<br />

Einerseits war ich fasziniert und bewunderte die Innigkeit, mit der<br />

sie ihr Gebet verrichtete, gleichzeitig fühlte ich mich absolut gestört.<br />

Nach etwa einer Stunde beendete sie ihr Tun. Dieses Ritual wurde<br />

stundenweise wiederholt, auch nachts und in Anwesenheit ihrer Familie.<br />

Ich erwachte um drei Uhr, blinzelte zum anderen Bett, da hörte<br />

bzw. sah ich die betende Frau. Um sechs Uhr morgens lautes Beten,<br />

die Patientin verkehrt herum in ihrem Bett, auf ihrer Decke kniend.<br />

Dieser Anblick bot sich mir Tag und Nacht, ohne Rücksicht auf meine<br />

Belange und Bedürfnisse. Keine Aussicht auf Stille. Meine eigene<br />

moralische Rücksichtnahme verbot mir fernzusehen oder selbst etwas<br />

lauter zu werden, wie etwa beim Telefonieren oder bei Gesprächen mit<br />

Besuchern. Ich verließ dazu immer das Krankenzimmer.<br />

Abends erhielt die neue Bettnachbarin Besuch von ihrem Sohn. Laute<br />

Unterhaltung folgte, dazwischen die Gebete. Manchmal hielt sie eine<br />

Perlenkette in der Hand, die einem Rosenkranz ähnlich war. Auch hier<br />

Gebetsgemurmel und das Abstreifen der Finger an den klappernden<br />

Perlen. Ich fühlte mich eingeschränkt und einfach nur gestört. Täglich<br />

morgens um sieben Uhr kam die Tochter der Patientin und blieb bis<br />

zum Abend. Ich befragte die junge Frau, die auch am folgenden Tag<br />

am Krankenbett ihrer Mutter ihre Zeit verbrachte, welche Bedeutung<br />

die Gießkanne hätte, die ihre Mutter nach wie vor mit zur Toilette<br />

nahm. Sie erzählte mir, dass diese zur rituellen Reinigung diene und<br />

110


das Waschen mit einem Gebet einhergehe. Die Erfahrung, die ich hier<br />

machen musste, war alles andere als angenehm und förderlich für einen<br />

frisch operierten Patienten. Die mangelnde Rücksichtnahme dieser<br />

Patientin und ihrer Familie und die ständige Unruhe trug nicht zu<br />

meiner Genesung und Ausgeglichenheit bei. Ich blickte deshalb sehnlichst<br />

dem Tag meiner Entlassung entgegen.<br />

35. Die Bitte um ein Arztgespräch<br />

Am dritten Tag trat nachmittags Prof. Dr. Seiber an mein Bett. Er<br />

trug eine grüne OP-Kleidung. Er erklärte mir in knappen Worten, dass<br />

er seinen Verdacht bestätigt sah, ein Knochenstückchen habe auf den<br />

Nerv gedrückt. Ich wollte gerade mit ihm ins Gespräch kommen und<br />

ihn fragen, ob meine Schmerzen, die ich noch hinten an der Halswirbelsäule<br />

verspürte, nach dem Eingriff normal wären, als er sich eilig<br />

mit den Worten verabschiedete: „Eigentlich bin ich gar nicht da, ich<br />

muss dringendst in den Operationssaal“; es blieb überhaupt keine Zeit<br />

für eine Frage. Mein Wundschlauch wurde einen Tag nach Simones<br />

Entlassung gezogen. Der Arzt blickte wiederholt kritisch auf meine<br />

Flasche, in der sich das abfließende Blut gesammelt hatte und entschied<br />

sich für das Entfernen des Wundschlauches. Ein kurzer Ruck,<br />

ein kleines Ziehen, weg war er. Auch heute keine Erkundigung oder<br />

Interesse, wie es mir geht. Nur die knappe Mitteilung, dass ich morgen<br />

heim darf. Freude stieg in mir auf. Ein Telefonat mit meinem Mann,<br />

ich wollte meine Freude mit ihm teilen.<br />

Betrachte ich den Tagesablauf aus der Sicht eines Patienten, so passierte<br />

nach meiner Operation außer der Medikamenten- und Essensausgabe,<br />

sowie dem Schichtwechsel der Pflegekräfte eigentlich wenig bis<br />

nichts. Kein Bettenmachen, keine Physiotherapie, keine wirkliche Unterhaltung<br />

zwischen Arzt und Patient oder eine kurze Unterhaltung<br />

mit den Pflegekräften. Fazit von meinen Krankenhausaufenthalten<br />

in dieser Klinik: „Schnellstmögliche Entlassung der Patienten“. Nach<br />

111


dieser kurzen Visite kam mir in den Sinn, dass ich eigentlich gar nicht<br />

wusste, mit welchem Faden meine Wunde genäht wurde. War es einer<br />

zum Entfernen, und wenn, zu welchem Zeitpunkt oder löste sich dieser<br />

nach Tagen von selbst auf? Alles ging zu schnell und der Arzt war<br />

verschwunden. Außerdem verspürte ich dumpfe Schmerzen im Nacken<br />

wenn ich aufstand oder umherging. Bevor ich morgen entlassen<br />

wurde, wollte ich auf jeden Fall noch mit einem Arzt sprechen.<br />

Dieses Vorhaben gestaltete sich allerdings als ein Problem. Bereits als<br />

ich von meiner Entlassung erfuhr und eine Krankenschwester uns das<br />

Mittagessen brachte, bat ich sie um ein Gespräch mit dem Stationsarzt.<br />

Dieser sei, so ihre Information, leider an diesem Tag noch im<br />

OP und darum nicht mehr zu erreichen. Sie reiche aber meine Bitte<br />

an ihn weiter. Am Abend bei der Medikamentenausgabe äußerte ich<br />

wiederholt meine Bitte: „Bevor ich meinen Nachhauseweg antreten<br />

würde, hätte ich gerne einen Arzt gesprochen“. Die Pflegekraft nickte<br />

und verließ den Raum.<br />

Später, kurz vor dem Schichtwechsel des Personals, trat der durch seine<br />

Freundlichkeit herausragende Pfleger an mein Bett und fragte, ob<br />

ich noch etwas für die Nacht benötigen würde. So erzählte ich ihm<br />

zum wiederholten Male von meiner Frage, mit welchem Faden die<br />

Wunde genäht wurde und von meinem Wunsch einen Arzt sprechen<br />

zu wollen. Er zeigte Verständnis und sagte, dass er den Sachverhalt<br />

bei der Übergabe weiterleiten wolle. Der nächste Morgen, der Tag der<br />

Entlassung, startete mit dem Nichterhalt meiner Medikamente. Ich<br />

war darüber zwar erstaunt, dachte mir aber, die Medikamentenausgabe<br />

würde sicherlich noch zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Es stellte<br />

sich jedoch heraus, dass diese schlichtweg vergessen wurde. Daraufhin<br />

nahm ich die in meiner Tasche befindlichen eigenen und für mich<br />

wichtigen und erforderlichen Medikamente ein. Das übliche Fiebermessen<br />

erfolgte durch eine Helferin und die Injektion der täglichen<br />

Thrombosespritze blieb aus. An diesem Freitag verspätete sich auch die<br />

Frühstücksausgabe um eine Stunde. Mein Hinweis an die Krankenschwester,<br />

die meine betende Bettnachbarin zur Operation abholte, sie<br />

112


möchte bitte für mich einen Kontakt zum Stationsarzt bzw. zum Professor<br />

herstellen, wurde mit einem Achselzucken beantwortet. Allerdings<br />

erhielt ich die klare Aufforderung von ihr, ich solle das Zimmer<br />

möglichst bis 10:00 Uhr verlassen.<br />

Ich verließ das Krankenzimmer und traf im Gang auf die Stationsschwester.<br />

Ein erneuter Versuch mit der Bitte um ein Arztgespräch.<br />

Die Antwort von ihr lautete: “Habe ich Sie operiert, wie soll ich denn<br />

wissen, was sie für einen Faden haben“. Eine Arztvisite sei an diesem<br />

Tag nicht vorgesehen, so ihre weitere Information. Auf meine Frage,<br />

was ich nun tun solle, meinte sie: „Gehen Sie in das Sekretariat des<br />

Professors und fragen sie dort nach“. Ich erklärte ihr, ich würde mein<br />

Zimmer nicht verlassen und frei machen, bevor es nicht zur einem<br />

Arztkontakt gekommen wäre. Erst dann würde ich mich abholen lassen.<br />

So ging ich zwei Stockwerke tiefer zum Sekretariat. Ich klopfte an und<br />

trat ein. Ich erblickte nicht wie bereits aus früheren Besuchen Frau<br />

Mohn, die Sekretärin von Prof. Dr. Seiber, sondern eine andere Dame,<br />

die hinter einer Thermoskanne auf dem Schreibtisch fragend hervorblickte<br />

und mit vollem Mund nach dem Grund meiner Anwesenheit<br />

fragte. Ich erklärte ihr den Sachverhalt und bekam eine ähnliche<br />

Antwort wie die der Stationsschwester. Sie habe nicht operiert, also<br />

könne sie auch keine Antwort auf meine Frage geben. Ihr Blick signalisierte<br />

mir, es wäre ihr nun recht, wenn ich das Büro verließe.<br />

Ich merkte, wie ich langsam ungemütlich wurde und ließ auch sie wie<br />

vorher auf Station in einem ziemlich bestimmten Ton wissen, dass ich<br />

mein Krankenzimmer erst räumen würde, wenn ich einen Arzt gesehen<br />

hätte. Darauf bemühte sie sich um eine Lösung: „Gehen sie zur<br />

Ambulanz, ich melde sie halt dann dort an“. In der Ambulanz traf ich<br />

auf eine Krankenschwester, die ich aus vorhergehenden Untersuchungen<br />

kannte. Sie erkundigte sich, ob bei meiner Operation und insgesamt<br />

soweit alles gut gelaufen sei. Während ich etwas mit ihr plauderte<br />

blickte sie mich fragend an, sie verstand nicht den Grund meiner An-<br />

113


wesenheit hier in der Ambulanz. Ich erzählte ihr von meiner Bitte um<br />

ein Arztgespräch. Sie bat mich daraufhin freundlich im Wartezimmer<br />

Platz zu nehmen und versprach mir Hilfe.<br />

Es folgte eine Stunde Warten. Dann wurde mein Name durch den<br />

Lautsprecher aufgerufen mit dem Hinweis, ich möchte mich bitte in<br />

das Sprechzimmer begeben. Beim Betreten des Raumes traf mein Blick<br />

auf genau den Arzt, einen Neurologen, der mir im vergangenen Sommer,<br />

als ich in der Notaufnahme war, das nötige MRT verweigerte. Es<br />

war allerdings nicht zu erwarten, dass er sich bei dem Patientendurchlauf<br />

dieser Klinik an mich erinnerte. Er fragte mich erstaunt, was ich<br />

für ein Anliegen hätte, würde ich doch von der Station kommen und<br />

dies hier sei eine Ambulanz. Es war mir allmählich leid, mich immer<br />

wieder rechtfertigen zu müssen. Als ich ihm die Frage nach dem Faden<br />

in der Naht und dessen Beschaffenheit stellte, wies er mich auf<br />

die Visite hin, die an diesem Vormittag auf Station stattfinden sollte.<br />

Ich wiederum verwies auf die Aussage der Stationsschwester, die<br />

eine Visite an diesem Morgen verneinte. Der Arzt schüttelte den Kopf<br />

und erklärte mir vehement, dass dort eine Visite stattfinden würde. Er<br />

spürte wohl meinen Ärger und so ließ er mich mit betont großzügiger<br />

Gestik und Mimik wissen: „Wenn Sie nun schon da sind, dann werde<br />

ich halt unter ihren Verband schauen“. Er meinte, allerdings könne<br />

er keinen neuen anlegen, da er so einen Pflasterverband (es war ein<br />

Allergiepflaster) nicht vorrätig hätte. „Na ja, könnte sich entzünden,<br />

aber wenn Luft hinkommt ist es auch nicht schlecht“, genau so seine<br />

Worte. Nach näherem Betrachten der Wunde wurde ich endlich informiert,<br />

dass es sich um einen selbstauflösenden Faden handelte. Er<br />

klopfte mir abschließend auf die Schulter und meinte: “Machen Sie<br />

weiter mit Physiotherapie“. „Ich habe hier während meines Aufenthaltes<br />

überhaupt keine bekommen“, so mein verwunderter Kommentar.<br />

Daraufhin er: „Trotzdem, machen sie weiter“ und schon war er aus<br />

dem Raum verschwunden.<br />

Gut, dachte ich, ich soll also Krankengymnastik fortsetzen, die ich nie<br />

hatte! Gleichzeitig ging mir durch den Kopf, dass in den ersten drei<br />

114


Monaten bei physiotherapeutischer Behandlung angeblich eine Lockerungsrate<br />

von 35% auftreten kann, wenn ich den Worten des Arztes<br />

auf Station Glauben schenken wollte, der Simone darüber aufgeklärt<br />

hatte. Auf dem Weg zurück zur Station, es war inzwischen 10:45 Uhr<br />

geworden, beschloss ich, mir vorbeugend frisches Verbandsmaterial<br />

auf meinen Hals kleben zu lassen, um eine Infektion zu vermeiden. Ich<br />

rief endlich meinen Mann an, der bereits seit dem Morgen auf meine<br />

Aufforderung zum Abholen wartete. Ich meldete mich im Stationszimmer,<br />

um dort meinen Arztbericht zu erhalten. Stattdessen bekam ich<br />

von der Stationsschwester drei Thrombosespritzen zur Prophylaxe und<br />

Medikamente für drei Tage. „Der Arztbrief sei leider nicht fertig und<br />

unterzeichnet“, dieser würde möglichst schnell nachgereicht und mir<br />

zugesandt werden, lautete ihr abschließender Satz.<br />

36. Erfahrungen eines Morgens<br />

Ich ging darüber verärgert auf mein Zimmer, um meine Sachen zu<br />

packen. Dort befand sich bereits das Bett einer neuen Patientin auf<br />

meinem Platz. Eine Dame unterhielt sich auf Türkisch mit der wartenden<br />

Tochter der kurdischen Patientin. In der Zeit, als ich auf meinen<br />

Mann wartete, erzählte mir die Dame, sie sei die für mich neu<br />

aufgenommene Patientin. Sie berichtete von starken Schmerzen an<br />

der Halswirbelsäule. Sie hatte eine Myelographie vor sich, um deren<br />

Ursache zu finden. Meine volle Aufmerksamkeit galt ihr. Ich habe, seit<br />

ich erkrankt bin, noch nie eine so detaillierte Beschreibung meiner<br />

eigenen Beschwerden erhalten. Als mein Mann kam und wir uns verabschiedeten,<br />

sprach ich ihr noch Mut zu.<br />

Kaum zu fassen, die Erfahrungen dieses Morgens. Ich war erstaunt,<br />

aber auch sehr verärgert, wie sich das Pflegepersonal und die Ärzte<br />

in dieser Klinik aus der Verantwortung nahmen. Entweder sie hatten<br />

keine Zeit, um vernünftige Patienten/ Arztgespräche führen zu können<br />

oder das Pflegepersonal übertrug die Verantwortung für Entschei-<br />

115


dungen von einem Diensthabenden auf den anderen. Sehr irritierend<br />

für mich als Patientin waren die unterschiedlichen Aussagen bezüglich<br />

einer Physiotherapie. Ich wollte keine der Rehabilitationsmaßnahmen<br />

unterlassen, um einem positiven Operationsergebnis entgegen zu<br />

blicken. Andererseits aber auch nichts veranlassen was einen Erfolg<br />

beeinträchtigen würde. Ich war unsicher und hatte für meine Fragen<br />

keinen richtigen Ansprechpartner. Es war unglaublich, aus dem Krankenhaus<br />

entlassen zu werden, ohne ein vernünftiges Abschlussgespräch<br />

mit dem Arzt zu erhalten und eine Auskunft darüber, was nach einer<br />

derartigen OP zu tun bzw. zu unterlassen sei. Hätte ich nicht eine<br />

Halswirbel-Operation im vergangenen Jahr hinter mich gebracht, ich<br />

hätte beispielsweise nicht gewusst, dass man danach drei Monate lang<br />

nur fünf kg tragen darf oder nur auf dem Rücken schlafen sollte. Dass<br />

eine Entlassung ohne Arztbrief erfolgte, bildete den Gipfel des Berges<br />

an diesem Vormittag.<br />

Zuhause angekommen legte ich mich ins Bett und schlief vor Erschöpfung<br />

ein. Die mangelnde Ruhe der letzten Tage und Nächte, sowie die<br />

Aufregung des Vormittags ließen mich in einen mehrstündigen Dornröschenschlaf<br />

versinken. Es war Wochenende und ich freute mich auf<br />

ruhige, entspannte Tage mit meinem Mann.<br />

37. Postoperative Versorgung<br />

Am Dienstag suchte ich meinen Hausarzt Dr. Renz auf und berichtete<br />

ihm von meiner Operation samt Klinikaufenthalt. Er verlangte nach<br />

einem Arztbrief, den ich ihm nicht geben konnte. Das war auch für<br />

ihn ungewöhnlich. Dies veranlasste ihn, ein Fax an die Klinik zu senden,<br />

um dadurch den erforderlichen Arztbericht zur Weiterbehandlung<br />

zu erhalten.<br />

Am Donnerstag bekam ich von ihm einen Anruf, dass er einen vorläufigen<br />

Arztbrief von der Klinik als Antwort erhalten habe. Es wa-<br />

116


en zur weiteren Prophylaxe Thrombosespritzen vorgesehen und eine<br />

Blutabnahme für die Laboruntersuchung nach zehn Tagen vorgeschlagen.<br />

Des Weiteren wurde empfohlen, die in der Klinik angefangene<br />

Physiotherapie fortzusetzen und die ebenfalls in der Klinik erhaltene<br />

Henßge-Krawatte (Halskrause) zu tragen. Diese sei nach sechs Wochen<br />

abzugewöhnen. Eine derartige Halskrause hatte ich bei diesem<br />

Krankenhausaufenthalt jedoch nie erhalten. Es ist festzustellen: seit<br />

vier Tagen war ich mangels Wissens ohne Thrombose-Prophylaxe. Ich<br />

legte meine alte Halskrawatte von meiner ersten HWS-OP an und<br />

bekam vom Hausarzt Physiotherapie verordnet. Er versicherte mir, ein<br />

erneutes Fax an das Krankenhaus zu senden, um den endgültigen Arztbrief<br />

anzufordern.<br />

Ich setzte mich mit dem Sekretariat von Prof. Dr. Seiber in Verbindung<br />

und teilte unmissverständlich mit, dass ich bei meinem Klinikaufenthalt<br />

weder Physiotherapie noch eine Henßge-Krawatte angepasst<br />

bekommen hatte. Den fehlenden Arztbrief bemängelte ich zudem. Die<br />

Person am Telefon, mit der ich mich unterhielt, gab an, es würden viele<br />

Patienten ohne Arztbrief entlassen und im vorläufigen Arztbrief, den<br />

der Hausarzt nun ja erhalten hätte, wären mit Sicherheit vorgegebene<br />

Textbausteine verwendet worden, wie die bezüglich einer Physiotherapie<br />

oder der Henßge-Krawatte. Diese Aussage trug noch mehr zu<br />

meiner inzwischen gewachsenen Verärgerung und Unsicherheit bei.<br />

Nach zehn Tagen ließ ich mir, wie empfohlen, in der hausärztlichen<br />

Praxis Blut abnehmen, um die Laborergebnisse über die Leber- und<br />

Nierenwerte, sowie die Entzündungsfaktoren zu erhalten. Dr. Renz<br />

gab mir die Kopie des inzwischen eingetroffenen endgültigen Arztbriefes.<br />

Eine physiotherapeutische Behandlung oder das Tragen einer Halskrawatte<br />

wurde dort überhaupt nicht mehr erwähnt. Ich wage heute<br />

zu behaupten, dass, begründet durch meine kritischen Bemerkungen<br />

im Telefonat mit der Klinik bezüglich der nicht durchgeführten Physiotherapie<br />

bzw. nicht angepassten Halskrause, dieser Sachverhalt im<br />

endgültigen Arztbrief einfach weggelassen und ignoriert wurde.<br />

117


Einen Physiotherapeuten aufzusuchen, dazu allerdings fehlte mir der<br />

Mut. Dr. Renz. erklärte mir, er müsse sich, da er es nun sozusagen<br />

schwarz auf weiß hätte, rechtlich absichern und mir ein Rezept für<br />

Physiotherapie verordnen. Allerdings verstand er auch meine Unsicherheit,<br />

begründet durch die unterschiedlichen Aussagen der Ärzte,<br />

die krankengymnastischen Übungen erst zu beginnen, wenn ich die<br />

verbindliche Zusage des Operateurs erhalten hätte. Ich versuchte immer<br />

wieder das Sekretariat von Prof. Dr. Seiber telefonisch zu kontaktieren,<br />

um eine endgültige und vernünftige Auskunft über eventuelle<br />

physiotherapeutische Maßnahmen zu bekommen. Leider war wohl<br />

laut Aussage seiner Sekretärin der Moment meiner Anrufe stets ungünstig<br />

und ich wurde mit der Aufforderung vertröstet, es am Folgetag<br />

zu versuchen. Nach dem siebten Anruf verließ mich endgültig meine<br />

Geduld, und ich verfasste eine E-Mail. Dies zeigte Erfolg. Noch am<br />

selben Tag wurde ich angerufen und erhielt von Prof. Dr. Seibers Sekretärin<br />

die freundliche Zusage, eine Physiotherapie wäre sinnvoll und<br />

erlaubt. Inzwischen waren vier Wochen seit meiner Operation verstrichen.<br />

38. Schmerzempfinden und Schmerzmedikation<br />

Meine Wunde an der Narbe verheilte zusehends. Die Fäden lösten sich<br />

auf und zurück blieb ein am Hals geröteter, etwas geschwollener Hautabschnitt<br />

in Form eines Striches von etwa sieben cm Länge. Innerlich<br />

hatte ich ein Engegefühl, welches mir noch Monate später zu schaffen<br />

machte, hauptsächlich bei starker Durchblutung. Meine Schmerzen<br />

nach der Operation nahmen zunächst etwas ab. Ich hatte die nach<br />

einem solchen Eingriff üblichen postoperativen Schmerzen, sowohl im<br />

vorderen Halsbereich, als auch an der Wirbelsäule. Im Rücken, in der<br />

Höhe des Eingriffs, spürte ich ein Ziehen. Im Krankenhaus war ich<br />

zu meiner eingestellten Medikation zusätzlich drei Mal täglich mit ei-<br />

118


ner starken Dosis Ibuprofen behandelt worden. Das hatte Einfluss auf<br />

mein Schmerzempfinden, ich nahm dadurch die Schmerzen nicht so<br />

intensiv wahr. Gleichzeitig wirkte es entzündungshemmend.<br />

Zuhause spürte ich sehr bald, dass ich im unteren Bereich der Halswirbelsäule<br />

Schmerzen hatte, die ich vorher nicht kannte. Ich nahm meine<br />

üblichen Medikamente ein, wollte aber die Schmerzmedikamente<br />

reduzieren und verzichtete deshalb auf die Hälfte der Tagesdosis von<br />

Ibuprofen. Meine Vorstellung war, auch das Opiat herunterzufahren,<br />

jedoch wusste ich nicht wie. Bei zu schneller Reduktion käme es zu<br />

Entzugserscheinungen, so die Antwort eines Schmerztherapeuten, als<br />

ich ihn während meines Aufenthaltes in der Schmerzklinik darauf ansprach.<br />

Ich suchte Rat bei meinem Hausarzt. Dieser erklärte mir, dass<br />

ein Ausschleichen des Medikaments nur in Dosen von 25 mg möglich<br />

wäre. Da ich aber von zwei Medikamenten je 150 mg abends und morgens<br />

einnahm, erschien mir mein Vorhaben als endlos. Ich versuchte<br />

zunächst die Abenddosierung zu verringern. Auf meine Schmerzgrenzen<br />

wurde ich daraufhin sehr schnell gestoßen.<br />

Die Schmerzqualität verstärkte sich und ich wurde gezwungen, meine<br />

Medikamente wieder zu erhöhen. Mit dieser Situation musste ich<br />

mich erst auseinandersetzen.<br />

Seit ich erkrankt bin, kostet es mich jeden Morgen und Abend große<br />

Überwindung, meinen Tablettencocktail zu schlucken. Ich weigere<br />

mich innerlich, die Medikamente zu nehmen und in Abhängigkeit<br />

zu geraten. Ich befürchte eine Schädigung von Leber und Nieren. Ich<br />

habe sehr starke Schmerzen, wenn die Wirkung der eigentlich für<br />

zwölf Stunden vorgesehenen Retard-Tabletten nachlässt. Nach spätestens<br />

sieben Stunden steigt meine Schmerzkurve wieder erheblich an.<br />

Ich kann die Uhr danach stellen, wenn nach erneuter Einnahme eineinhalb<br />

Stunden später die Schmerzlinderung wieder einsetzt. Es stellt<br />

sich dann eine angenehme Ruhe und kurze Schmerzfreiheit ein. Bringe<br />

ich meinen Körper allerdings in eine ungeeignete Position, nach wie<br />

vor hauptsächlich beim Sitzen und längerem Stehen, habe ich trotz<br />

119


medikamentöser Einstellung Schmerzen. Das verunsichert mich, ich<br />

stelle mir vor, wie es ohne Medikation für mich wäre. Ich versuche<br />

derartige Gedanken nicht weiter zu verfolgen und verdränge sie.<br />

Für mich bedeutet dies regelmäßig Frustration und Ratlosigkeit. Egal,<br />

ob ich an der Tages- oder Nachtdosis drehe und versuche sie zu reduzieren,<br />

die Schmerzen werden dann in der Folge immer intensiver,<br />

und letztendlich bleibt es dann doch bei der üblichen Medikation. Das<br />

Schmerzverhalten änderte sich nach der zweiten Operation wenig, es<br />

blieb konstant. Lediglich die schmerzhaft taube Hand blieb aus und<br />

das Taubheitsgefühl war weg.<br />

Auf der einen Seite blieben die inzwischen chronisch irritierten und<br />

durch den Eingriff zusätzlich strapazierten Nerven, auf der anderen<br />

Seite ein ziehender, intervallartiger Wirbelsäulenschmerz, der kaum zu<br />

zähmen war. Die ersten Wochen dachte ich an eine Wundheilung, die<br />

noch andauerte. Dann kamen mir Ideen wie Wetterfühligkeit, Lockerung<br />

des Materials oder Materialunverträglichkeit in den Sinn. Und<br />

als nach fünf Wochen der Schmerz immer intensiver wurde, zog ich<br />

eine zusätzliche Meinung eines Neurochirurgen in Betracht. Ich vereinbarte,<br />

nachdem ich Informationen über ihn gesammelt hatte, einen<br />

Termin bei einem Professor im Städtischen Klinikum einer nahe gelegenen<br />

Stadt. Die Sekretärin, mit der ich verbunden wurde erklärte<br />

mir, dass ein Besuch mit einer Privatrechnung verbunden sei, die ich<br />

persönlich zu begleichen hätte. Ansonsten wäre es von äußerster Notwendigkeit,<br />

Bildmaterial von Aufnahmen vor, während und nach der<br />

letzten Operation zu beschaffen. Mein Termin sollte am 2. Juni sein.<br />

Von der Klinik, in der ich operiert wurde, forderte ich die nötigen<br />

Aufnahmen an. Diese wurden erstaunlicher Weise unkompliziert auf<br />

eine CD gebrannt und mir zugesandt.<br />

120


39. Ungewollte Perspektiven<br />

Die Tage vergingen wie die Zeit vor meiner Operation mit erheblichen<br />

Einschränkungen. Abgesehen von meinen erheblichen Schmerzen und<br />

der Tatsache, dass ich nicht entspannt sitzen konnte, war ich durch<br />

die Halskrause beeinträchtigt und durch das auferlegte Fahrverbot in<br />

meiner Freiheit eingeschränkt und abhängig von anderen.<br />

Es war Frühling, und ich konnte vieles von dem, was ich gerne machen<br />

wollte, nicht ausführen. So waren mir weder Radfahren, Joggen,<br />

noch die Arbeit im Garten erlaubt. Ich muss gestehen, dass es mir<br />

sehr schwer fiel, auf all dies erneut zu verzichten. Wäre das Operationsergebnis<br />

so gewesen, dass sich Erfolg und Fortschritt in meiner<br />

Genesung gezeigt hätten, so hätte ich alles leichter ertragen. Nun aber<br />

drehte sich das Karussell von neuem. Wieder standen Arztbesuche an,<br />

denn es hatte sich nichts geändert! Obwohl ich eigentlich sehr positiv<br />

und optimistisch denkend bin, merkte ich, dass meine psychische Verfassung<br />

darunter litt.<br />

Dazu kam, dass ich am zweiten Mai Post von der Rentenversicherung<br />

bekam mit der Mitteilung, mein Antrag auf Erwerbsminderungsrente<br />

sei abgelehnt worden. Mein Bauchgefühl bezüglich des Gutachters<br />

hatte mich also nicht getäuscht. Laut Aussage der Rentenversicherung<br />

sei ich mit meinem Gesundheitszustand durchaus in der Lage, sechs<br />

Stunden täglich zu arbeiten. Widerspruch könne bis zur vorgegebenen<br />

Frist eingelegt werden. Dieser Brief versetzte mir einen Stich ins Herzen<br />

und machte mir unmissverständlich die missliche Lage bewusst,<br />

in der ich mich befand. Sicherlich war ich mir über die Sachlage im<br />

Klaren, jetzt aber wurde sie Realität für mich: Mein Krankengeld lief<br />

zum einundzwanzigsten Mai aus. Ich befand mich dann in der Arbeitslosigkeit,<br />

obwohl ich eine Arbeitsstelle hatte … wie prekär war das eigentlich?<br />

Ich sah meiner Aussteuerung entgegen und musste handeln.<br />

Da ich nicht bei jedem Termin außerhalb meines Wohnortes meine<br />

121


Nachbarn bzw. Freunde beanspruchen wollte, die ohnehin bereits fleißig<br />

und stets hilfsbereit im Einsatz waren, nahm sich mein Mann einen<br />

Tag Urlaub, um mit mir zur Agentur für Arbeit zu fahren, zum<br />

Sozialverband und um einen Neurologen aufzusuchen. Kurzum all das<br />

zu erledigen, wohin ich nur mit einem Auto kommen konnte. An diesem<br />

Tag hatten wir dann zugegebenerweise viel erledigt, nur wusste ich<br />

auch, dass mein Mann Max momentan dringend Urlaub nötig gehabt<br />

hätte und wir wertvolle Zeit den Folgen meines Gesundheitszustandes<br />

geopfert hatten.<br />

Auf dem Arbeitsamt meldete ich mich nun wiederum arbeitslos, wie<br />

bereits vor Wochen. Ich erhielt erneut einen Fragebogen, den es für<br />

mich auszufüllen galt, obwohl ich ihn bereits abgegeben hatte. Außerdem<br />

bekam ich Formulare zur Bestätigung meines erhaltenen Kranken-<br />

und Überganggeldes, die ich von der Krankenkasse und Rentenversicherung<br />

ausgefüllt an die Agentur für Arbeit zurücksenden sollte.<br />

Zwei Wochen später folgte eine Einladung zu möglichen Stellenangeboten<br />

und Vermittlungen. Der Termin war vorgegeben, die Teilnahme<br />

Pflicht. Nur aus wirklich triftigen Gründen könne dieser Termin abgesagt<br />

werden. Den hatte ich allerdings, meine Vorstellung beim Professor<br />

im Städtischen Klinikum traf genau auf diesen Tag.<br />

Ich griff zum Telefon und wollte mich mit der für mich zuständigen<br />

Dame, die auf dem Zettel der Einladung vermerkt war, in Verbindung<br />

setzen. Ich musste jedoch feststellen, dass diese persönlich nicht erreichbar<br />

war. Eine zentrale Vermittlung meldete sich stattdessen, nahm<br />

meine Absage auf und leitete diese weiter. Die Dame am anderen Ende<br />

der Leitung erklärte mir die Wichtigkeit dieser Einladung. Nur mit einer<br />

Bestätigung des Arztes könne meine Absage akzeptiert werden. Ich<br />

sicherte ihr deren Erhalt zu und befragte sie über den Inhalt und die<br />

Zielsetzung des doch so wichtigen Termins. „Nur so können Sie erfahren,<br />

wie es mit Ihnen weiter geht“, erhielt ich von ihr als Antwort. Mit<br />

der Anmerkung, eine erneute Einladung würde mir zugesandt werden,<br />

endete unser Gespräch. Na, dachte ich mir, das kann ja spannend<br />

werden. Einen Tag später meldete sich bei mir Frau Brühne, meine<br />

122


zuständige Arbeitsvermittlerin, und vereinbarte in Absprache mit mir<br />

einen passenden Termin.<br />

In der darauf folgenden Woche lernte ich Frau Brühne dann persönlich<br />

kennen. Ich meldete mich an der Information der Arbeitsagentur<br />

an und nahm im Foyer Platz, bis mein Name aufgerufen wurde. Frau<br />

Brühne begleitete mich in ihr Büro mit der Aufforderung, dort Platz<br />

zu nehmen. Ich habe es mir inzwischen angewöhnt, auf eine derartige<br />

Aufforderung mit der Bitte, stehen bleiben zu dürfen, zu reagieren,<br />

da eine Schmerzattacke im Sitzen meist vorprogrammiert ist. So auch<br />

hier in der Arbeitsberatung. Die Dame mir gegenüber schaute mich<br />

verständnislos an und konzentrierte sich auf die in ihrem Computer<br />

aufgeschlagene Seite. Sie schlug mir vor, mit der Einschätzung des medizinischen<br />

Gutachters der Agentur für Arbeit zu beginnen und las mir<br />

seinen Text dazu vor. Dieser war überzeugt, dass eine sitzende Tätigkeit<br />

von mindestens sechs Stunden zumutbar sei. Auf meine Frage, ob ich<br />

dagegen Widerspruch einlegen könne, verneinte Frau Brühne. Ich erklärte<br />

ihr, dass gerade im Sitzen bzw. im Stehen mein Hauptproblem<br />

liegt und ich unter den vorausgesetzten Bedingungen nicht arbeiten<br />

könne.<br />

Eine Schmerzattacke bahnte sich an - die Zeit des Wartens und des<br />

Stehens dauerte bereits für mich zu lang - und ich versuchte, mich mit<br />

dem Rücken an die Wand zu drücken. Frau Brühne registrierte dies<br />

mit einem mitleidigen Blick, führte aber dennoch unser Gespräch fort.<br />

Da ich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis 30. Juni abgegeben<br />

hätte, sei ich bis dahin leider nicht vermittelbar. Ich bekäme deshalb<br />

auch kein Arbeitslosengeld und ich müsste meine Krankenversicherung<br />

selbst bezahlen.<br />

Da zwischenzeitlich eine Schmerzattacke die andere ablöste, lenkte<br />

sich ihre Aufmerksamkeit auf mich. Frau Brühne befragte mich nach<br />

der Häufigkeit meiner Schmerzen und sie brachte ihre Betroffenheit<br />

darüber zum Ausdruck. Sie überlegte die weitere Verfahrensweise und<br />

erklärte mir, dass in meinem „speziellen“ Fall ein neuer Antrag auf<br />

123


ein medizinisches Gutachten nun doch sinnvoll und angebracht wäre.<br />

Zumal das vorliegende, wie sich herausstellte, vom März sei, also vor<br />

meiner zweiten Operation. Es wäre allerdings notwendig aktuelle Arztbriefe<br />

beizufügen. Ansonsten ist abzuwarten und Ende Juni solle ich<br />

es erneut mit einem Antrag auf Arbeitslosigkeit versuchen. Sollte der<br />

Antrag genehmigt werden, müsste für mich ein neues Profil erstellt<br />

werden. Ich würde dann von ihr hören. Mit diesen freundlichen, aber<br />

bestimmten Worten verabschiedete sie sich von mir.<br />

Am Freitag, den 26. Juni, 11:00 Uhr, bekam ich von der Agentur für<br />

Arbeit einen Anruf, ich möchte mich bitte umgehend persönlich bei<br />

der Arbeitsagentur zum 1. Juli arbeitslos melden. Ich packte, wie schon<br />

im Februar, eiligst meine Unterlagen ein und fuhr zu meiner zuständigen<br />

Arbeitsagentur, die ich um 11:45 Uhr erreichte. Eine unfreundliche<br />

Mitarbeiterin erkundigte sich nach meinen Kundenwünschen und<br />

stellte fest, dass ich einen sehr ungünstigen Zeitpunkt ausgewählt hätte.<br />

Es wäre Freitag und um 12 Uhr würden alle Computer heruntergefahren<br />

werden. Ich bezog mich auf den Anruf und die Öffnungszeiten,<br />

die bis 12 Uhr an der Eingangstür angeschrieben waren. Daraufhin<br />

bekam ich die Vermittlung eines Arbeitsberaters und zum dritten Mal,<br />

seit ich mich Kunde der Arbeitsagentur nennen darf, Unterlagen für<br />

die Antragsstellung mit der Bitte, sie möglichst schnell auszufüllen.<br />

Warum ich dreimal innerhalb von vier Monaten die gleichen Fragen<br />

beantworten sollte, ist mir nicht begreiflich.<br />

Im November vergangenen Jahres riet mir mein Hausarzt auf Grund<br />

meiner langen Erkrankung und meinem Vorhaben, bei deren Fortdauer<br />

Erwerbsminderungsrente zu beantragen, Mitglied eines Sozialverbandes<br />

zu werden. Dieser, so seine Erfahrung, würde bei einer Ablehnung<br />

des Antrages auf Wunsch für Mitglieder Widerspruch einlegen.<br />

Ich überlegte mir seinen Hinweis und wurde zum Januar 2015 dort<br />

Mitglied. Dass es aber wirklich soweit kommen sollte und ich dessen<br />

Hilfe in Anspruch nehmen würde, war damals für mich weit entfernt<br />

bzw. unvorstellbar. Dennoch entschloss ich mich “für den Fall aller<br />

Fälle“ vorzusorgen und trat dem Verein bei. Ich vereinbarte, nachdem<br />

124


ich die Ablehnung meines Erwerbsminderungsrentenantrages erhalten<br />

hatte, beim Sozialverband einen Termin und erklärte den Grund meines<br />

Besuches. Dies schien für die Mitarbeiter dort ein häufiges und<br />

unproblematisches Verfahren zu sein: Ich füllte eine Vollmacht aus,<br />

in der ich den Verein bevollmächtige, Widerspruch für mich bei der<br />

Rentenversicherung einzulegen und meine Interessen zu vertreten. Die<br />

aufmerksame Sekretärin erklärte mir, sie würden zunächst meine Rentenversicherung<br />

um Einsicht in meine Akte bitten und sich dann bei<br />

mir wieder melden.<br />

Als mir die Unterlagen des Gutachters der Rentenversicherung zugesandt<br />

wurden, war ich doch sehr irritiert über seine Einschätzung. Er<br />

argumentierte, eine Arbeit von sechs Stunden, überwiegend im Sitzen,<br />

sei zumutbar. Mir drängt sich die naheliegende Frage auf, warum ich<br />

mich bei einem Gutachter vorstellen musste, der meine Schmerzen<br />

wahrnahm, sie allerdings in seinem Gutachten überhaupt nicht erwähnte<br />

bzw. darin einbezog. Ich ließ mir mit einem Schreiben meines<br />

Hausarztes und auch von Prof. Dr. Seiber bestätigen, dass meine Beschwerden<br />

bereits nach kurzer Dauer im Sitzen und Stehen auftreten<br />

und mir deshalb momentan eine Arbeit in diesen Positionen nicht zugemutet<br />

werden könne.<br />

Irgendwie befand ich mich im absoluten Zwiespalt. Ich liebe meinen<br />

Beruf und wollte nichts anderes, als in ihm arbeiten. Gleichzeitig spürte<br />

ich meine Schmerzen und meine Belastungsgrenzen und wusste nur<br />

allzu gut, dass ich ihn eigentlich mit meinen gesundheitlichen Einschränkungen<br />

derzeit nicht ausführen kann. Dieser Umstand führte<br />

mich zu der Frage: Was habe ich für berufliche Perspektiven? Eine Erwerbsminderungsrente<br />

kann jederzeit zurückgenommen werden, und<br />

es gibt viele Varianten, wie dies sein könnte. Auch stundenweises Arbeiten<br />

wäre eine Möglichkeit, sofern es der Arbeitgeber zulässt. Nur,<br />

kann ich das auch umsetzen? Das ehrliche Ergebnis ist momentan:<br />

NEIN.<br />

125


40. Gedanken, die mich bewegen<br />

Ich gehöre der Generation an, in der Frauen arbeiten und zum Lebensunterhalt<br />

beitragen. Ich benötige außer dem Haushalt Herausforderungen<br />

und Aufgaben, aber auch eine Bestätigung und ein Erfolgserlebnis.<br />

Ich bin es zudem nicht gewohnt, nur zu Hause zu sein. Das fällt<br />

mir schwer. Ich suche selbst jetzt im Krankenstand die geistige Auseinandersetzung<br />

mit verschiedenen Themen. Ich stille mein Bedürfnis,<br />

indem ich viel lese und entsprechende Radiobeiträge höre oder mir Videos<br />

und Beiträge anschaue. Ich freue mich immer auf Außenkontakte<br />

mit Freunden und Bekannten oder auf Veranstaltungen, an denen ich<br />

teilnehmen kann.<br />

Während ich diese Zeilen für mein Buch schreibe, ordne ich meine<br />

Gedanken und verarbeite so meine Krankengeschichte. Ich schreibe<br />

mir sozusagen “alles von der Seele“. Im Rahmen meiner gegenwärtigen<br />

Möglichkeiten bietet sich mir hier eine Aufgabe, etwas zu erstellen. Ich<br />

bin der Auffassung, der Mensch benötigt immer ein Ziel. Ohne Ziel<br />

lebt er nicht mehr. Deshalb ist es für mich so wichtig, letztendlich eine<br />

Perspektive zu haben und eine positive Einstellung und Haltung zu<br />

bewahren. Bei einer weiteren Ablehnung meines Rentenantrags würde<br />

das in der Konsequenz bedeuten, dass ich vom Unterhalt meines<br />

Mannes leben müsste. Ein sehr ungewohnter Umstand. Für meinen<br />

Mann wäre das in Ordnung, für mich fühlt es sich nicht richtig an.<br />

Ich befand und befinde mich immer noch in einer absoluten Neuorientierung.<br />

Diese Krankheit stellt mein bisheriges Leben auf den Kopf.<br />

Ich muss mein Alter, meine Möglichkeiten und meine Chancen abwägen,<br />

um mein neues Leben herauszufiltern. Das ist ein langer, langsam<br />

wachsender Prozess.<br />

Am Urlaubstag meines Mannes hatte ich noch einen Termin bei meinem<br />

Neurologen Dr. Gerner vereinbart, der meine Nervenleitungen<br />

mit Strom ausmessen sollte. Dadurch sollte festgestellt werden,<br />

ob die Ursachen für meine nicht schmerzhaften, aber tauben Finger<br />

126


der rechten Hand auf die Halswirbelsäule oder auf ein Karpaltunnelsyndrom<br />

zurückzuführen seien. Nachdem er alles ausgemessen hatte,<br />

stellte er tatsächlich ein Karpaltunnelsyndrom fest. Er verordnete mir<br />

eine Bandage, die ich nachts zu tragen hatte. Er riet mir allerdings auf<br />

Grund meiner derzeitigen Situation von einer Karpaltunneloperation<br />

ab.<br />

Auf Fragen bezüglich meiner irritierten Nerven und der Dauer der<br />

anhaltenden Kribbelparästhesien wollte er keine Stellungnahme abgeben.<br />

Dies müsse der Operateur oder ein Schmerztherapeut beurteilen.<br />

Ich denke, dass er sich dazu nicht äußern wollte, als er den Namen der<br />

Klinik in meinem mitgebrachten Arztbrief las, in der meine Eingriffe<br />

vorgenommen wurden. Das Krankenhaus und die dortigen Ärzte sind<br />

bekannt und haben einen ausgezeichneten Ruf, wie aus einer anerkennenden<br />

Bemerkung von ihm zu entnehmen war. Ich zwang mich<br />

dazu, keine weiteren Äußerungen bzw. Bemerkungen zur postoperativen<br />

Versorgung und Nachbehandlung in der Klinik zu machen. Links<br />

eine Bandage für die Daumenarthrose, rechts die für die Taubheit der<br />

Hand, zusätzlich zu meiner Halskrawatte, die ich noch zwei Wochen<br />

zu tragen hatte, kam ich mir wirklich behindert vor.<br />

Dies führte mich zum Entschluss, beim Versorgungsamt Prozente für<br />

Behinderungen zu beantragen. Ich erinnerte mich, dass der Arzt, der<br />

das Gutachten für die Erwerbsminderungsrente erstellte, sich damals<br />

nach meinen Prozenten erkundigte. Das veranlasste mich nun, mir ein<br />

Formular zur Beantragung von Prozenten zusenden zu lassen.<br />

41. Der Umgang mit Schmerzpatienten<br />

Schmerz ist nicht greifbar und deshalb für andere schwer vorstellbar.<br />

Immer wieder höre ich „man sieht es dir ja gar nicht an, wie es dir<br />

geht“. Allmählich wird die Gesellschaft auf Schmerzpatienten aufmerksam<br />

und chronische Schmerzen sind als eigenständige Krankheit<br />

anerkannt. Immer häufiger werden regelmäßige Treffen für Schmerz-<br />

127


patienten in Schmerzgruppen ins Leben gerufen. Schmerztherapeuten<br />

und die deutsche Schmerzgesellschaft machen in der Gesellschaft<br />

auf die Thematik „chronische Schmerzen“ aufmerksam: Dauert ein<br />

Schmerz länger als sechs Monate an, so spricht man von einem chronischen<br />

Schmerz. Akuter Schmerz hat normalerweise eine Schutzfunktion.<br />

Bei einem chronischen Schmerz hat sie sich davon abgekoppelt<br />

und er besitzt einen selbstständigen Krankheitswert. Nur Menschen,<br />

die unmittelbar mit Schmerzpatienten leben und im näheren Kontakt<br />

mit ihnen sind, erkennen die tatsächliche Nachhaltigkeit des Schmerzes<br />

und dessen Auswirkungen.<br />

Besonders meine Familie und Freunde wissen, dass eine spontan einsetzende<br />

Schmerzattacke alle Vorhaben und Pläne durcheinander bringen<br />

kann. Die Zumutbarkeit mancher Unternehmungen ist begrenzt<br />

oder sie müssen gar abgesagt werden. Es sollten immer Bedingungen<br />

gewährleistet sein, den Schmerz nicht zu provozieren oder ihm entgegen<br />

zu wirken. Für mich bedeutet dies, dass ich mich im Akutfall einer<br />

Attacke beispielsweise an eine Wand, Türe oder einen Pfosten anlehnen<br />

und dagegen drücken kann, dass es eine Möglichkeit gibt, mich<br />

auf einer Sitzgelegenheit so zu positionieren, dass ich mich nach hinten<br />

abstützen und an der Stuhllehne zur stabilen Haltung ausrichten kann.<br />

Manchmal spekuliere ich sogar darauf, dass es eine Gegebenheit gibt,<br />

dass ich mich hinlegen kann, bis sich meine zermürbenden Schmerzen<br />

verringern. Langes Stehen und langsames Gehen ist mir nach wie<br />

vor nicht möglich. Das ständige Kribbelgefühl ist stets präsent. Die<br />

Auswahl der Veranstaltungen und Angebote ist darum begrenzt. Es<br />

muss jederzeit ein Abbruch möglich sein, was für meine Mitmenschen<br />

anstrengend und häufig enttäuschend ist. Mein Mann ist diesbezüglich<br />

verständig und erträgt geduldig Einschränkungen, die ihn zumeist mit<br />

betreffen.<br />

Für andere ist der heftige Schmerz häufig nicht erkenn- und begreifbar,<br />

letztendlich weil mein Krankheitsbild ungewöhnlich und deshalb<br />

nur schwer nachvollziehbar ist. Für mich als inzwischen chronischer<br />

Schmerzpatient ist es schwierig, ihnen und vor allem Gutachtern das<br />

128


Krankheitsbild glaubhaft zu definieren und transparent zu machen.<br />

Das Schmerzbild ist nicht fassbar oder sichtbar, wie beispielsweise bei<br />

Krankheiten wie Hüftleiden, Brüchen oder Ähnlichem. Mein eher<br />

temperamentvoller Charakter und meine disziplinierte Haltung, gegenüber<br />

meinem Umfeld nicht zu klagen und zu jammern, bietet zusätzlich<br />

wenig Ansatz, dies auf den ersten Blick zu erkennen. Ich höre<br />

deshalb sehr häufig: „Man sieht dir deine Schmerzen gar nicht an“.<br />

Diese Aussage weist mich dann jedes Mal darauf hin, dass ich meine<br />

Schmerzen nach außen hin nicht für jeden transparent machen kann.<br />

Diese Tatsache grenzt mich von meinem Umfeld ab, es macht zeitweise<br />

einsam. Diejenigen, die mit mir stets im Kontakt sind, erleben häufig<br />

mit, wie eine Schmerzattacke sich anbahnt und äußert. Ich bin froh,<br />

dass beispielsweise Freunde es inzwischen als normal betrachten, wenn<br />

ich beim Essen oder während der Unterhaltung aufstehe oder mich<br />

erst gar nicht hinsetze, mich an den Türrahmen drücke oder mich auf<br />

den Boden lege. Ich bin dankbar und schätze die ehrliche Anteilnahme<br />

und Hilfsbereitschaft meines Umfeldes.<br />

Aber eine übertriebene Rücksichtnahme kann ich genauso wenig ertragen,<br />

wie die bewusste, absolute Ignoranz meiner Krankheit. Ganz<br />

normal behandelt und betrachtet zu werden, das ist es, was ich mir<br />

wünsche. Ständiges Fragen nach meinem Befinden führen zu dem einen<br />

immer wiederkehrenden Thema, nämlich meiner Erkrankung. Ich<br />

merke, dass ich an den Punkt komme, an dem es mir Leid wird, immer<br />

wieder von meiner Krankheit zu erzählen. Ich will von mir selbst und<br />

von anderen einfach mit meinen Schmerzen akzeptiert werden. Letztendlich<br />

muss ich einen Weg finden, mit ihnen umzugehen. Ich weiß,<br />

dass ich sie, sollten sie mir bleiben, in mein Leben und meinen Alltag<br />

integrieren muss und versuchen sollte, ihnen ihren Platz zu lassen. Ich<br />

kann versichern dass dieser leider groß werden wird. Meine Schmerzen<br />

sind vergleichbar mit einem Wurm, der in mir steckt, nagt und arbeitet<br />

und zwar dann, wenn er es möchte.<br />

129


42. Eine weitere „zweite Meinung“<br />

Ende Mai rief mich überraschend eine Mitarbeiterin aus dem Sekretariat<br />

des kontaktierten Städtischen Klinikums an und fragte mich, ob<br />

ich spontan den für Anfang Juni vereinbarten Termin vorziehen könne.<br />

Nach einigem Zögern - das Autofahren war mir ja noch nicht erlaubt<br />

und die Organisation der Anfahrt musste schnell geklärt werden - sagte<br />

ich zu. Zum Termin nahm ich meine kompletten Arztbriefe samt allen<br />

bislang erstellten radiologischen Aufnahmen mit und meldete mich im<br />

Sekretariat bei einer netten, freundlichen Dame in der Neurochirurgischen<br />

Ambulanz an. Ich musste nur kurz warten bis ich vom Professor,<br />

einem Mann mittleren Alters, persönlich abgeholt wurde.<br />

In seinem Sprechzimmer wies er auf einen Stuhl, auf dem ich Platz nehmen<br />

sollte. Er erklärte, die mitgebrachten Aufnahmen hätte er sich gut<br />

angesehen und fragte mich nach dem Grund meines Kommens. Wann<br />

und wo er sich in den wenigen Minuten meiner Wartezeit die Unterlagen<br />

angesehen haben konnte, frage ich mich noch heute, Ich vertraute<br />

ihm an, dass ich gerne seine Einschätzung bezüglich meiner Schmerzen<br />

nach der zweiten Operation hören würde und ob es dafür aus seinem<br />

Blickwinkel eine Erklärung gäbe. Des Weiteren sei ich dankbar<br />

um Hinweise bezüglich sinnvoller Rehabilitationsmaßnahmen, die ich<br />

Zuhause durchführen könne. Seine Antwort war kurz und klar. Meine<br />

Versteifung der Halswirbelsäule über zwei Wirbel würde zur Folge haben,<br />

dass die Halswirbel und die anschließenden Wirbel C7/Th1 (der<br />

Anfang der Brustwirbelsäule) mehr Belastung hätten. Eine Operation<br />

würde als Konsequenz häufig mehr Schmerzen hervorrufen als zuvor.<br />

„Nett“, dachte ich mir, „dass ich das nun auch erfahre“. Außerdem, so<br />

seine Auffassung, müssten „wir“ einen anderen Weg einschlagen und<br />

dringend das Opiat absetzen; Zitat: „Sie sind ja noch keine 85 Jahre<br />

alt“. Ziehe ich die Sichtweise eines Schmerztherapeuten in Betracht, so<br />

liegt diese genau auf der anderen Seite seines Heilungsansatzes. Dazwischen<br />

ein Telefonat über die Dienstplaneinteilung der Ärzte aufgrund<br />

von Erkrankungen. Keine Entschuldigung für diese Störung.<br />

130


Unser Gespräch setzte sich fort, indem ich ihm zu verstehen gab, dass<br />

ich ohne Schmerzmittel zum momentanen Zeitpunkt nicht auskommen<br />

könne, diesen Versuch hätte ich bereits erfolglos abgebrochen.<br />

Der Professor schlug mir eine Reha vor und fügte an, bei mir in der<br />

Nähe gäbe es eine sehr gute ambulante Reha-Klinik. Auf meine Rückfrage<br />

hin wusste ich, dass er das Reha-Zentrum meinte, in dem ich<br />

meine Rehabilitationsmaßnahme hatte. Ich äußerte mich dazu und<br />

ließ ihn wissen, dass diese Reha-Klinik für mich nicht in Frage käme.<br />

Da auf dem Bildmaterial alles top aussähe, schlage er ein Wegkommen<br />

vom dem doch sehr starken Opiat vor. Eine aktuelle Bildaufnahme<br />

zum derzeitigen Stand lag nicht vor und forderte er auch nicht an.<br />

Meine Frage: „Und was mache ich mit meinen Schmerzen?“ wurde<br />

mit einem kritischen Blick beantwortet, der mir ziemlich deutlich zu<br />

verstehen gab, dass er mich in die Patientenkategorie „Psychosomatik“<br />

einordnete. Eine präzise Antwort dazu blieb er mir schuldig.<br />

Wir verabschiedeten uns innerhalb weniger Minuten und ich denke,<br />

jeder von uns beiden machte sich so seine eigenen Gedanken zu diesem<br />

Gespräch. Ich hatte von der erhofften Hilfe, nämlich ein im Vertrauen<br />

geführtes Gespräch mit genauerem Betrachten der Schmerzursache<br />

und praktischen, in meinen Patientenalltag umsetzbaren Hinweisen<br />

zur Schmerzlinderung, nichts bekommen.<br />

Das Fazit aus diesem Arztbesuch: ich fühlte mich als Patient mit<br />

Schmerzen weder ernst genommen, noch zeigte sich mir eine Hilfestellung.<br />

Ich hatte lediglich Zeit und Geld in den Privatpatientenstatus<br />

investiert. Des Weiteren ziehe ich daraus den Schluss, dass ich, was<br />

meine Schmerzen anbelangt, bei Facharztbesuchen in Zukunft aufpassen<br />

muss, dass ich nicht als Hypochonder oder eingebildeter Kranker<br />

gelte. Deshalb werde ich mir künftig gut überlegen, welche Arztbriefe<br />

bzw. Krankenunterlagen ich zur Einsicht mitbringen und vorlegen<br />

werde. Denn bei der Anzahl meiner inzwischen gehäuften Arztvorstellungen<br />

könnte es sehr leicht zu einem solchen Eindruck kommen.<br />

Wochen später bekam ich eine Arztrechnung über einen hohen Betrag.<br />

Begründung: „Erörterung des Befundes mindestens zwanzig Minuten.<br />

131


Sehr zeitaufwändige und zeitintensive Beratung bei zusätzlicher Auswertung<br />

von Fremdbefunden, symptombezogene Untersuchung, ausführlicher<br />

Krankheits- und Befundbericht.“<br />

43. Die Praxis für rehabilitative und physikalische<br />

Medizin<br />

Da ich zur Nachuntersuchung meiner Operation bei Prof. Dr. Seiber<br />

wie immer eine Überweisung eines Orthopäden benötigte, überlegte<br />

ich mir auf Empfehlung einer befreundeten Schmerzpatientin Dr.<br />

Berg zu konsultieren, einen Arzt für Physikalische und Konservative<br />

Orthopädie. Seine Praxis ist einem Krankenhaus einer nahe gelegenen<br />

Stadt angegliedert, wo er gleichzeitig Leiter der Konservativen Orthopädie<br />

ist.<br />

Ich ging mit wenig Erwartungen zu ihm, allerdings machte mich sein<br />

Heilungsverfahren neugierig. Nach Einholen einiger Informationen<br />

im Internet vereinbarte ich einen Termin bei ihm, den ich relativ zeitnah<br />

erhielt. Dr. Berg forderte nach kurzer Schilderung meines Krankheitsverlaufes<br />

eine aktuelle Röntgenaufnahme an und schickte mich<br />

dazu in die Röntgenabteilung der Klinik. Als ich wieder bei ihm im<br />

Sprechzimmer saß, betrachtete er intensiv und für mein Empfinden<br />

übermäßig lange das zuvor aufgenommene Bild meiner Halswirbelsäule.<br />

Er verließ wortlos den Raum. Zurück blieben ich und seine Sprechstundenhilfe,<br />

die mir erklärte, dass Dr. Berg seinen Oberarzt zur Betrachtung<br />

hinzuziehen würde. Minuten voller Spannung, die sich wie<br />

eine Ewigkeit anfühlten. Als er wieder kam, wollte er wissen, wann<br />

ich bei Prof. Dr. Seiber meinen Termin hätte. Auf meine Antwort hin<br />

meinte er, ich solle diesen wahrnehmen, die Röntgenaufnahme mitnehmen<br />

und ihn danach wieder aufsuchen. Es folgte kein Kommentar<br />

bezüglich seiner Auswertung, lediglich eine neue Terminvergabe.<br />

Der Tag der Nachuntersuchung bei Prof. Dr. Seiber war auf den 17.<br />

132


Juni gelegt worden. Prof. Dr. Seiber nahm sich für meine Vorstellung<br />

viel Zeit und bestätigte mir nach genauem Hinsehen auf das mitgebrachte<br />

Bildmaterial eine gute Einheilung des Titankörbchens. Er kam<br />

zu dem Entschluss, dass meine noch immer andauernden Schmerzen<br />

auf eine Facettenüberbelastung zurückzuführen sein könnten. Nach<br />

seiner Meinung wäre ich in den Händen von Dr. Berg „goldrichtig“<br />

aufgehoben. Er lobte in hohem Maße die Konservative Orthopäde<br />

und den damit verbundenen multimodalen Ansatz (individuelle und<br />

ganzheitliche Behandlung) der Schmerztherapie. Ich sollte mir aber<br />

auf jeden Fall in seinem Sekretariat einen Termin für Anfang Dezember<br />

geben lassen und dann nochmals bei ihm vorstellig werden.<br />

Zwei Tage später befand ich mich wieder im Wartezimmer von Dr.<br />

Berg. Zwei Patienten vor mir, danach der Aufruf meines Namens. Dr.<br />

Berg betrat das Sprechzimmer und wartete auf meinen Bericht vom<br />

Besuch bei Prof. Dr. Seiber. Er hörte mir konzentriert zu, dann folgten<br />

die Worte: „Kommen Sie zu mir in die Klinik und lassen Sie sich dort<br />

von mir helfen“. Keine weitere Äußerung seiner Einschätzung und<br />

keine Erklärung, warum er einen solchen Aufenthalt befürwortete.<br />

Ich forderte ihn auf, dazu Stellung zu nehmen. Er meinte in knappen<br />

Worten, dass meine ständigen Schmerzen nur durch eine intensiv<br />

übergreifende Therapie gemildert werden könnten; der Ansatz wäre<br />

die Lockerung meiner Tiefenmuskulatur. Er überzeugte mich mit seiner<br />

Darstellung. Wie sich herausstellte, betrug die Wartezeit für diesen<br />

geplanten Klinikaufenthalt zehn Wochen. Erst am 18. August sollte<br />

er beginnen und vierzehn Tage dauern. Für mich bedeutete es wieder<br />

einmal etwas Hoffnung, die Euphorie zu dem Ganzen fehlte mir allerdings<br />

gänzlich.<br />

133


44. Positive Nachrichten<br />

Mitte Juli erhielt ich Post von der Arbeitsagentur. Es wurde mir nun auf<br />

Grund der zweiten Einschätzung des Gutachters der Agentur für Arbeit<br />

mitgeteilt, dass meine Leistungsfähigkeit soweit gemindert wäre,<br />

dass ich nur noch weniger als fünfzehn Stunden wöchentlich arbeiten<br />

könne. Damit stünde ich der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung<br />

und wäre nicht arbeitslos im Sinne der §§ 137,138 Drittes Sozialgesetzbuch<br />

(SGBIII). Bis zur Feststellung des Rentenversicherungsträgers,<br />

ob eine Erwerbsminderung vorliegt, erhielte ich Arbeitslosengeld,<br />

längstens bis zur Erschöpfung des Anspruchs. Gleichzeitig zu diesem<br />

Schreiben erhielt ich eine Einladung (mit Hinweis auf das Sozialgesetzbuch)<br />

samt Termin von Fr. Brühne, meiner Arbeitsvermittlerin. Sie<br />

wolle mit mir auf Grund der inzwischen vorliegenden Stellungnahme<br />

des Arztes der Agentur für Arbeit ein abschließendes Gespräch über<br />

meine gesundheitliche Leistungsfähigkeit führen.<br />

Auch von meiner Rentenversicherung erhielt ich einige Tage zuvor die<br />

Nachricht, mich mit einem zweiten Gutachter, einem Arzt für Neurologie<br />

und Psychiatrie, in Verbindung zu setzen, um mir einen Termin<br />

zur dortigen Vorstellung geben zu lassen. Ich rief unter der angegebenen<br />

Telefonnummer an und besprach, wann ich mich in der Praxis<br />

einfinden sollte. Mitzubringen seien ein Lebenslauf, meine Familiengeschichte,<br />

meine Krankengeschichte, der Tagesablauf, eine aktuelle<br />

Ärzteliste, sowie eine Auflistung meiner Medikamente; alles kurz und<br />

in tabellarischer Form, so der Hinweis auf der Mitteilung, die ich einige<br />

Tage später nach meinem Anruf erhielt. Für mich bildete alleine schon<br />

das Schreiben der geforderten Auflistungen und Nachweise eine Herausforderung,<br />

da es notwendig war, auch Kleinigkeiten zu erwähnen<br />

und nichts Wichtiges, dass zum Allgemeinbild beitrug, zu vergessen.<br />

Auch das Schreiben an sich war für mich anstrengend, war es doch mit<br />

viel Sitzen verbunden, dies bedeutete eine erhöhte Schmerzintensität.<br />

Das zweite Gutachten sollte in einer Praxis für Neurologie und Psych-<br />

134


iatrie stattfinden, es war mit einer Fahrzeit von ca. einer Stunde verbunden.<br />

Eine Freundin bot sich an, mich zu fahren und zu begleiten,<br />

hatte ich doch noch erhebliche Bewegungseinschränkungen als Folge<br />

der zweiten Operation. Ich fühlte mich noch unsicher im Stadtverkehr,<br />

der häufigere und spontanere Bewegungen im Hals- und Nackenbereich<br />

für mich als Autofahrer erforderte. Wir fuhren früher als<br />

auf der Navigation angezeigt los, und es blieb uns noch eine Wartezeit<br />

von einer halben Stunde. Diese nutzten wir für eine Tasse Kaffee in<br />

einer nahe gelegenen Bäckerei. Ausgelöst durch das Sitzen während der<br />

Anfahrt und dem Stehen im Laden bekam ich eine Schmerzattacke,<br />

die sich so nachhaltig äußerte, dass ich bei der Vorstellung in der Arztpraxis<br />

des Gutachters später Mühe hatte, mich auf die erforderliche<br />

Unterhaltung zu konzentrieren. Wir erreichten den dritten Stock, in<br />

der sich die Praxis befand.<br />

Ein großes Schild an der Eingangstür machte uns darauf aufmerksam,<br />

wo wir uns befanden. „Dr. Sand - Neurologe und Psychiater“. Der<br />

Empfang gestaltete sich freundlich und aus der Frage der Sprechstundenhilfe:<br />

„Sie kommen um das Gutachten zu erstellen?“ konnte ich<br />

entnehmen, dass ich bereits erwartete wurde. Es folgten, wie so häufig,<br />

einige Fragen im Zusammenhang mit meinen Schmerzen, die sich<br />

in diesem Moment so demonstrativ äußerten, dass sich eine Antwort<br />

darauf eigentlich erübrigte. Danach wurde ich aufgefordert, in einem<br />

gesonderten Raum Platz zu nehmen, um dort meinen Blutdruck messen<br />

zu lassen Ob dies allerdings wichtig und erforderlich ist für die<br />

Erstellung meines Gutachtens, wage ich zu bezweifeln. Eine Schmerzattacke<br />

löste die andere ab und den Eindruck, den ich hier hinterlassen<br />

musste, entsprach genau dem, bei welchem sich selbst ein Gutachter<br />

mit nur wenig Fragen die richtige Einschätzung meines Krankheitsbildes<br />

verschaffen konnte.<br />

Dr. Sand, ein Mann Ende fünfzig, mit einer ruhigen, fast monotonen<br />

Stimme, meinte bei meinem Anblick verständnisvoll, wenn es mir Linderung<br />

verschaffen würde, sollte ich stehen bleiben oder mich an die<br />

Wand lehnen. Er blätterte durch meine mitgebrachten Unterlagen und<br />

135


etrachtete mich wortlos einige Zeit.<br />

„Sie können unter der starken Medikation und mit diesen Schmerzen<br />

derzeit nicht arbeiten“, so seine Zusammenfassung nach einer kurzen<br />

Befragung zu meinem Tagesablauf. Er ließ mich wissen, dass es ihm<br />

gänzlich unverständlich wäre, wie der erste Gutachter zu der Auffassung<br />

gekommen sei, dass ich noch mindestens sechs Stunden im Sitzen<br />

arbeiten könne. Dies entspreche einfach nicht der Wahrheit. Er riet<br />

mir, eine Richtigstellung einzufordern.<br />

Ich muss schon sagen, dass mich seine Äußerung und insgesamt sein<br />

wohlwollendes Verhalten irritierte. Ein Arzt und Gutachter, der sich<br />

für meine Interessen einsetzte, das hatte ich hier nicht erwartet. Er plädierte<br />

für eine Erwerbsminderungsrente auf die Dauer von zwei Jahren,<br />

um mir jeglichen existenziellen Druck wegzunehmen, dies sei nach seiner<br />

Auffassung die Voraussetzung für eine gute Heilung. Danach würde<br />

man weitersehen. Ob ich wirklich eine komplette Schmerzfreiheit<br />

erlangen würde, stellte er in Frage. Er nannte Beispiele von anderen<br />

Patienten, denen es ähnlich wie mir erging, d.h. die nachhaltige, intensive<br />

Schmerzen nach einer HWS-Operation hatten. Ob mich diese<br />

Beispiele trösteten, weiß ich nicht, zumindest beruhigten sie mich,<br />

dass ich nicht alleine bin mit nachhaltigen, intensiven Schmerzen.<br />

Natürlich blieb zum Schluss eine eingehende neurologische Untersuchung<br />

nicht aus. Beispielsweise wurde am Arm, an der Hand oder am<br />

Fuß ein Wattestäbchen entlang gestreift mit der Frage, wo es intensiver<br />

zu spüren sei, oder es wurde der Versuch mit dem berühmten Hämmerchen<br />

am Knie durchgeführt, usw. Danach durfte ich gehen. Ich<br />

verabschiedete mich von Dr. Sand und der Eindruck, den ich von ihm<br />

mitnahm, ist der eines vertrauenswürdigen, kompetenten, kritischen<br />

und dem Patienten zugewandten Arztes. Würde ich einen Psychiater<br />

benötigen, so könnte ich mir vorstellen, eine Behandlung bei ihm<br />

durchzuführen. Ich konnte die für mich wohlwollende Beurteilung<br />

noch nicht als real ansehen, bevor diese in seinem Gutachten nicht<br />

„schwarz auf weiß“ vorliegen würde.<br />

136


45. In der Klinik für konservative Orthopädie<br />

Am 18. August 2015 begann mein Klinikaufenthalt in der konservativen<br />

Orthopädie bei Dr. Berg. Ich fand mich in seiner Abteilung um<br />

9:00 Uhr ein und war gespannt, was mich hier erwartete. Da ich keine<br />

großen Erwartungen hatte, ließ ich alles in Ruhe auf mich zukommen.<br />

Ich wusste bereits von den Praxisbesuchen bei Dr. Berg, dass das Krankenhaus<br />

ein sehr altes Gebäude war, in dem momentan Bauarbeiten<br />

zur Sanierung durchgeführt wurden. Dies war auch nötig, hier gab es<br />

wie früher noch Etagenduschen bzw. -toiletten und es waren fast nur<br />

Dreibettzimmer mit Ausnahme der für Privatpatienten, die den Vorzug<br />

eines Zweibettzimmers mit Nasszelle genießen konnten. Anders<br />

ausgedrückt, Privatpatienten fanden das vor, was, denke ich, inzwischen<br />

in allen Krankenhäusern auch für Kassenpatienten Standard ist.<br />

Ich war, vor allem mit zunehmenden Klinikaufenthalten, dankbar, im<br />

Besitz einer privaten Zusatzversicherung zu sein und lernte die Vorzüge<br />

meines einfach ausgestatteten Krankenzimmers zu schätzen. Meine<br />

Bettnachbarin hatte einen Bandscheibenvorfall an einem Lendenwirbel<br />

und war bei meinem Eintreffen ziemlich an das Bett gebunden. Ich<br />

freute mich, eine nette, freundliche und herzliche Mitpatientin anzutreffen,<br />

und meine Befürchtung, mit jemandem das Zimmer teilen zu<br />

müssen, bei dem es keine Gemeinsamkeiten gab, trat nicht ein. Im Gegenteil,<br />

während ihrer gesamten Zeit im Krankenhaus verstanden wir<br />

uns so gut, dass wir auch jetzt noch den Kontakt pflegen. Sie wohnte<br />

in einer Nachbarortschaft und unser gegenseitiges Interesse und unsere<br />

Zuneigung verbinden uns. Die Anwesenheit von Gabi tat meiner Seele<br />

gut und erleichterte mir das Einleben und die kommenden tristen<br />

Tage im Krankenhaus.<br />

Nach dem üblichen Aufnahmeprozedere wurde ich eine Stunde später<br />

bereits zur Eingangsuntersuchung erwartet. Zwei Ärzte, eine Physiotherapeutin<br />

und eine Arzthelferin führten eine Befragung zu meinen<br />

Schmerzen durch und es folgte eine gründliche Untersuchung. Auch<br />

137


Vorerkrankungen schenkten sie intensive Aufmerksamkeit und nach<br />

einer Blutuntersuchung, dem Legen einer Infusionsnadel und einem<br />

aufgezeichneten EKG war der erste Tag, medizinisch gesehen, beendet.<br />

So hatte ich die nötige Zeit, mich mit den Gegebenheiten des Hauses<br />

vertraut zu machen und ließ mir von Gabi den Tagesablauf berichten.<br />

Der Morgen des zweiten Tages begann, wie künftig jeden Morgen, mit<br />

dem Verabreichen der Medikamente. Täglich um 5:00 Uhr brachte<br />

die Nachtschwester die Tabletten und damit war die Nacht vorüber.<br />

An ein Einschlafen war nicht mehr zu denken, bedingt durch das laute<br />

Hin- und Hergehen und dem hektische Treiben im Korridor. Die<br />

Schwestern erfüllten ihre morgendliche Pflicht und die ersten Patienten<br />

machten sich auf den Weg zu den zwei einzigen Etagenduschen<br />

bzw. zu den Toiletten. Um 7:00 Uhr gab es Frühstück, dieses wurde<br />

in einem Speisesaal im Keller eingenommen. Für mich stellte sich<br />

die Einnahme der Mahlzeiten als echtes Problem dar, waren doch die<br />

Stühle exakt so, wie ich sie überhaupt nicht gebrauchen kann, d.h.<br />

die Sitzfläche und die Stuhllehne nach hinten geneigt. Ich stellte sehr<br />

schnell nach dem ersten Frühstück fest, dass ich bei deren Benutzung<br />

sofort eine Schmerzattacke bekam und so machte ich es mir zur Gewohnheit,<br />

nur noch an einem Stehtisch zu essen. Zugegeben, ich kam<br />

mir anfänglich etwas als Außenseiter vor, saßen doch alle an Tischen<br />

und kommunizierten miteinander, während ich alleine meine Mahlzeit<br />

an einem Stehtisch einnahm und von oben auf die Gesellschaft<br />

herabblickte. Als ich mit anderen Patienten und Patientinnen Kontakt<br />

geschlossen und wir unsere gegenseitigen Krankheitsverläufe kennengelernt<br />

hatten, gesellten sich Mitpatientinnen an meinen Stehtisch<br />

und leisteten mir Gesellschaft.<br />

Um 7:30 Uhr mussten wir bereits wieder oben auf Station sein. Mit<br />

einer wärmenden Fangopackung im Bett warteten wir auf die tägliche<br />

Visite. Ähnlich wie in der Schmerztagesklinik bekam jeder Patient einen<br />

Behandlungsplan für die Tage des Aufenthaltes. Danach konnte<br />

man sich orientieren welche Anwendungen und Behandlungen den<br />

Tag über vorgesehen waren. Er sah täglich Bewegungstraining, als auch<br />

138


physiotherapeutische Behandlungen vor. Erstaunlich war für mich,<br />

dass von den vorgesehenen 30 Minuten Krankengymnastik auf meinem<br />

Plan fast immer nur 15 Minuten am Patienten gearbeitet wurde.<br />

Meine Physiotherapeutin kam regelmäßig mit einer Selbstverständlichkeit<br />

zehn Minuten zu spät und verließ fünf Minuten früher den<br />

Raum.<br />

Eine Psychologin führte mit jedem Patienten während der gesamten<br />

Aufenthaltsdauer zwei Gespräche von jeweils einer halben Stunde,<br />

mehr sind nach ihrer eigenen Aussage nicht vorgesehen. Ich selbst hatte<br />

nur ein einziges Fallgespräch, da, wie es die Psychologin nannte, ich<br />

eine „gesunde und stabile Psyche“ hätte und somit erübrige sich eine<br />

zweite Begegnung. Sie teilte mir des Weiteren mit, sie würde nach der<br />

Anzahl der Fälle bezahlt werden und so wirklich Zeit hätte sie für den<br />

einzelnen Patienten eigentlich nicht. Ihr Wissen über mich entnahm<br />

sie einem Fragebogen. Aus diesem und unserer einmaligen Begegnung<br />

resultierte ihre Einschätzung für meinen späteren Arztbrief. Eine psychologische<br />

Hilfe und Unterstützung hatte keiner der Patienten erfahren,<br />

mit denen ich gesprochen hatte.<br />

46. Dr. Berg<br />

Dr. Berg erklärte mir bei der ersten Visite, dass ich nun an drei Tagen<br />

eine Infusion mit dem Wirkstoff Oxygesic (ein sehr starkes opioides<br />

Schmerzmittel) angehängt bekäme, um die körpereigene Cortisonbildung<br />

anzuregen. Kurz darauf, wie auch an den zwei Folgetagen, wurde<br />

mir die Infusionsflasche gebracht und die Flüssigkeit verabreicht. Ich<br />

merkte schon nach einer Stunde, dass mein Körper mit Schwindel und<br />

Benommenheit darauf reagierte und verbrachte den zweiten Tag meines<br />

Aufenthaltes vor mich hin schlummernd, fast lethargisch, im Bett.<br />

Gabi erging es ähnlich.<br />

Als ich am folgenden Tag Dr. Berg davon berichtete, wurden von ihm<br />

139


zwei Tabletten, die zur Entspannung führen sollten, von meinem Medikamentenplan<br />

abgesetzt mit der Bemerkung, diese wären sowieso<br />

nicht notwendig. Er wollte aber seinem Oberarzt zunächst nicht widersprechen,<br />

denn dieser verordne diese Tabletten sehr gerne. Zudem<br />

erfolgte die Feststellung, die Flüssigkeit wäre zu schnell durchgelaufen,<br />

deshalb der Schwindel. Die folgenden zwei Tage achtete ich deshalb<br />

sehr genau auf die Einstellung der Infusion: nach jeweils sechs Stunden<br />

war das Schmerzmittel durchgelaufen; im Vergleich zur ersten Flasche,<br />

die nur zwei Stunden benötigte. Der Schwindel blieb, die Müdigkeit<br />

besserte sich allerdings. Heute weiß ich, dass der Schwindel auf eine<br />

Unverträglichkeit auf diesen starken Wirkstoff zurückzuführen war.<br />

Als ich in die Klinik kam, war ich auf zwei bestimmte Schmerzmittel<br />

eingestellt, mit einer Dosis von jeweils 300 mg täglich. Dr. Berg meinte,<br />

er wolle die Tabletten mit dem Wirkstoff Oxygesic gegen andere<br />

Ähnliche austauschen. Sollte ich bei Schmerzattacken eine Akut-Tablette<br />

benötigen (sie beinhalte auch den vorgesehenen Wirkstoff) solle<br />

ich mich bei einer Schwester melden. Da meine Schmerzspitzen regelmäßig<br />

kamen, griff ich gerne auf dieses Angebot zurück. Ich spürte<br />

bald, dass mein Magen und Darm aus dem Gleichgewicht kamen und<br />

hatte mit Magenkrämpfen und Durchfall zu kämpfen. Dennoch fügte<br />

ich mich den Anordnungen des Arztes im Glauben an eine Besserung<br />

meiner Schmerzen. Nach einer Woche meinte Dr. Berg bei der Visite,<br />

er wolle die Tablette, die hauptsächlich dem Kribbelgefühl entgegen<br />

wirken sollte, absetzen. Die Begründung war, dass ich ja trotz deren<br />

Einnahme das Ameisenrennen verspüren würde, was eigentlich bei<br />

dieser Stärke nicht mehr sein dürfe. Hätte ich gewusst, mit welchen<br />

Konsequenzen ich mit dieser Entscheidung für das Absetzen konfrontiert<br />

werden würde, hätte ich nicht dazu eingewilligt.<br />

Die deutsche Schmerzgesellschaft sieht vor, dass ein „Ausschleichen“,<br />

wie das Herunterfahren der Medikamente auch genannt wird, auf<br />

langsame Weise erfolgen muss, da es ansonsten zu heftigen Nebenerscheinungen<br />

kommen kann, vergleichbar mit einem Drogenentzug.<br />

Dies kann ich nur bestätigen: kalter Schweiß, Zittern, starke Magen-<br />

140


schmerzen, Durchfall, Schwindel, sowie eine abnorme Müdigkeit sind<br />

Beispiele dafür, wie sich das radikale Absetzen in den kommenden<br />

Tagen und Wochen äußerte. Erst später, als ich wieder zuhause war<br />

und mit meinem Hausarzt darüber sprach, klärte er mich auf, wie das<br />

vernünftige Ausschleichen eines Medikamentes anzugehen ist.<br />

Am siebten Tag war eine Infiltration der Halswirbelsäule vorgesehen.<br />

Da ich ja bereits genügend solcher Eingriffe hinter mich gebracht hatte,<br />

stand die Angst vor dem Setzen der Nadeln nicht mehr im Vordergrund,<br />

eher die möglichen Folgen und Risiken, über die ich ja Bescheid<br />

wusste. Im Vergleich zu allen früheren Infiltrationen musste ich<br />

hier nur einmal bei der Krankenhausaufnahme unterschreiben, dass<br />

ich mit den Spritzen und Infusionen im Rahmen der Behandlungen<br />

einverstanden bin. Um welche Spritzen es sich tatsächlich handelte,<br />

nahm ich erst zum Zeitpunkt des Geschehens wahr. Es gab dazu vorher<br />

überhaupt kein aufklärendes Gespräch, welcher Wirkstoff injiziert<br />

wird, auch keine Unterlagen zum Nachlesen und zur Aufklärung über<br />

mögliche Folgen und Unverträglichkeiten. Auf meine Frage, in welcher<br />

Facettenhöhe infiltriert werden würde, bekam ich, während ich<br />

bereits auf der Liege zum Eingriff vorbereitet war, von Dr. Berg die<br />

knappe Aussage, es würden heute alle HWS-Facetten auf einmal infiltriert.<br />

Es wurden also zwölf Nadeln gesetzt und die entsprechenden<br />

Schmerzen dazu muss ich, denke ich, kaum schildern. Der Eingriff<br />

blieb jedoch ohne erkennbare Besserung.<br />

Eine Woche später wurde eine weitere Infiltration durchgeführt. Auch<br />

dieses Mal die gesamte HWS entlang, ebenso ohne Aufklärung und<br />

ohne Erfolg. Hatte ich mir damals nicht bereits nach meiner zehnten<br />

Infiltration vorgenommen, einem solchen Eingriff nicht mehr zuzustimmen<br />

und diese Strapazen auf mich zu nehmen? Ich ärgerte mich<br />

über mich selbst. Eine zusätzliche Infiltration in zwei Rückenmuskeln<br />

nahm Dr. Berg spontan am achten Tag meines Aufenthaltes vor, nachdem<br />

er mich schmerzerfüllt und verzweifelt an der Wand lehnend sah.<br />

Er bat mich, mit in sein Sprechzimmer zu kommen und versuchte<br />

mich zu deblockieren. Danach injizierte er das Betäubungsmittel. Wie-<br />

141


der ohne Aufklärung, lediglich die Aufforderung, ganz ruhig liegen zu<br />

bleiben, damit kein Loch in der Lunge entstehe, da ich ansonsten laut<br />

seinen Worten einen „kleinen Ausflug auf die Intensivstation“ machen<br />

würde.<br />

Als sich gegen Wochenende keine Besserung meiner Schmerzen einstellen<br />

wollte, bekam ich von Dr. Berg die Anweisung, ich möchte<br />

das ganze Wochenende mich bitte ausruhen, um meine Muskeln und<br />

meine Psyche zu entspannen. Meine Reaktion, dass sich in der Ruhe<br />

meine Schmerzen verschlimmern würden, ignorierte er gänzlich. So<br />

verbrachte ich das Wochenende überwiegend im Bett, was sich, wie<br />

vorhersehbar, eher schmerzbildend als lindernd bemerkbar machte.<br />

Ein MRT der Brustwirbelsäule mit Kontrastmittel sollte in der darauf<br />

folgenden Woche Aufschluss bezüglich des Übergangs von der HWS<br />

zur Brustwirbelsäule geben. Ich erspare mir hierzu jegliche Schilderung<br />

meiner Panikzustände während der MRT-Aufnahmen. Es zeigten sich<br />

diesbezüglich keine Hinweise über einen möglichen Schmerzzusammenhang.<br />

Dr. Berg wollte mich erst dann aus der Klinik entlassen, wenn er sah,<br />

dass seine Behandlung anschlug. Aus diesem Grund wollte er mir an<br />

drei aufeinander folgenden Tagen intravenös hochdosiertes Cortison<br />

geben. Mit meinem Zweifel, ich könnte darauf mit Sehstörungen reagieren,<br />

wie ich es in der Vergangenheit bereits erfahren musste, wies<br />

er zurück. Ich fühlte mich von ihm nicht ernst genommen. Leider bestätigte<br />

sich hinterher meine Vermutung, es trat eine Verschlechterung<br />

meiner Sehkraft ein.<br />

Ich konfrontierte Dr. Berg mit der Frage, ob es sein könnte, dass es<br />

sich bei mir in diesem Fall ähnlich verhielt wie bei meinen Zahnbehandlungen.<br />

Für diese benötige ich oftmals die doppelte Stärke des<br />

Betäubungsmittels, um eine Wirkung zu erzielen. Dies bestätigten mir<br />

schon mehrere Zahnärzte. Er verneinte dies vehement, dies läge nur<br />

daran, dass der jeweilige Zahnarzt nicht richtig an den Nerv gespritzt<br />

hätte. Auf eine derartige Diskussion wollte ich mich nicht einlassen,<br />

142


denn ich glaube kaum, dass die von unterschiedlichen Dentisten ausgeführten<br />

Betäubungen nur deshalb keine Wirkung zeigten, weil diese<br />

nicht exakt den Zahnnerv getroffen hatten.<br />

Nach drei Tagen intravenöser Cortisongabe ohne erkennbaren Erfolg<br />

erklärte mir Dr. Berg, er könne nichts mehr für mich tun, ich könne<br />

die Klinik verlassen. Meine Schmerzen, so seine Ansicht, seien auf eine<br />

Überbeweglichkeit der Halswirbelsäule zurückzuführen, er hätte noch<br />

niemanden gesehen, der nach zwei Halswirbeloperationen so beweglich<br />

wäre. Meine Muskeln im Hals- und Schulterbereich seien permanent<br />

überfordert und würden die gesamte Tiefenmuskulatur samt den<br />

entsprechenden Nerven so anspannen, dass ich unter Dauerspannung<br />

stehen würde. Dagegen hilft hauptsächlich dauerhafte Physiotherapie<br />

und das stundenweise Tragen einer Halsmanschette, damit die Muskeln<br />

ruhig gestellt werden.<br />

Jeder Physiotherapeut schüttelte im Nachhinein den Kopf, denn ein<br />

weiteres Tragen der Halskrawatte hätte einen erneuten Muskelabbau<br />

der Halsmuskeln bedeutet. Siebzehn Tage Krankenhausaufenthalt,<br />

und es stellt sich mir die Frage, was habe ich davon eigentlich profitiert?<br />

Fazit: Ich leide unter Entzugserscheinungen, bin auf ein Opiat<br />

eingestellt, dessen Wirkstoff ich nicht vertrage und welches mir meine<br />

Schmerzen nur wenig nimmt. Mein Körper wurde die vergangenen<br />

Tagen mit „Chemiekeulen“ zugepumpt und ich habe erneute Infiltrationen<br />

auf mich genommen, die ich eigentlich ablehne. Meine Sehstärke<br />

hat durch die Cortisongabe abgenommen und ich habe erhebliche<br />

Magen- Darm- sowie Kreislaufprobleme.<br />

Ich habe nun die Bestätigung, dass ich eine gesunde Psyche habe und<br />

weiter regelmäßig zur Physiotherapie muss, um meine Muskeln zu entspannen.<br />

Allein die Sicherheit, dass meine Brustwirbelsäule in Ordnung<br />

ist, gibt mir ein wirklich gutes Gefühl. Ich werde mich erneut<br />

in die Schmerzambulanz begeben, um mich dort wieder von Grund<br />

auf einstellen zu lassen, in der Hoffnung, wieder einen für mich verträglichen<br />

Wirkstoff zu erhalten, der meinen Schmerzen einigermaßen<br />

entgegenwirkt.<br />

143


47. Volle Erwerbsminderungsrente auf Zeit<br />

Noch während meines Klinikaufenthaltes bekam ich ein Schreiben<br />

der Rentenversicherung, ich hätte Anspruch auf volle Erwerbsminderungsrente<br />

auf Zeit. Der Brief erhielt die Aufforderung, ich solle mich<br />

entscheiden über den Zeitpunkt des Beginns meiner Erwerbsminderungsrente,<br />

entweder ab 1. Juni 2014 oder ab 1. Januar 2015.<br />

Da meine Rehabilitationsmaßnahme im vergangenen Jahr ohne Erfolg<br />

gewesen wären, hätte ich ab diesem Zeitpunkt bereits Anspruch.<br />

Ich frage mich nun natürlich, warum eigentlich zuerst die Ablehnung,<br />

dann der ganze Aufwand mit Widerspruchsverfahren etc., wenn ich<br />

doch bereits nach meiner Reha berechtigt gewesen wäre, eine Erwerbsminderungsrente<br />

anzutreten? Für mich als Patientin und Rentenversicherte<br />

nicht nachvollziehbar. Worin der Unterschied und die Vor- und<br />

Nachteile des jeweiligen Rentenbeginns lagen, ging aus diesem Schreiben<br />

nicht hervor, nur die Frist, bis wann das Schreiben beantwortet<br />

werden müsse. Ein Anruf bei der entsprechenden Stelle informierte<br />

mich darüber, dass alle Zahlungen seitens der Krankenkasse bzw. des<br />

Arbeitsamtes dagegen gerechnet werden würden. Auf Grund dieses<br />

Sachverhaltes entschied ich mich für den 1. Januar 2015.<br />

Ende September 2015 erhielt ich nun meinen Rentenbescheid mit der<br />

Mitteilung, dass ich rückwirkend zum 1. Januar 2015 Rente wegen<br />

voller Erwerbsminderung für die Dauer von zwei Jahren und acht Monaten<br />

erhalten werde. Damit habe ich wieder einen Status, zwar nicht<br />

unbedingt den, den ich als gesunde Person angestrebt hätte. Andererseits<br />

nimmt es mir eine große psychische Last, meine momentane<br />

finanzielle Grundsicherung geklärt zu wissen. Ein Durchatmen kann<br />

diesbezüglich folgen und ich kann mich auf meine Genesung und persönliche<br />

Neuorientierung konzentrieren.<br />

144


48. Atempause<br />

Nach dem vergangenen, ich würde fast behaupten “missglückten“<br />

Krankenhausaufenthalt stand für mich jetzt Anfang September fest,<br />

dass ich dringend eine Atempause von allen Ärzten und Krankenhäusern<br />

benötigte. Ich wollte Abstand und musste mich erst wieder selbst<br />

finden. Ich war nicht bereit, mich erneut auf unbekannte Therapien<br />

und Ärzte einzulassen. Ich spürte den vorangegangenen Stress in meinem<br />

Körper und wollte einfach nur zur Ruhe kommen. Trotz Schmerzen<br />

verordnete ich mir selbst eine Ruhephase von allen Medizinern.<br />

Außer meinem Hausarzt Dr. Renz und meinem Schmerztherapeuten<br />

Dr. Rister wollte ich keinen Arzt mehr an meinen Körper heranlassen.<br />

Ich suchte bis Mitte Dezember keine anderen Ärzte auf.<br />

Wieder Zuhause stellte sich zudem sehr schnell heraus, dass das in<br />

der Klinik erhaltene und von Dr. Berg empfohlene Opiat für mich<br />

gänzlich ungeeignet war. Ich hatte ein ganztägiges Schwindelgefühl,<br />

die Schmerzen wollten nicht aufhören, ich litt unter starker Müdigkeit<br />

und hatte nach wie vor heftige Bauchschmerzen und Durchfall. Da<br />

ich vierzehn Tage Vorlauf benötigte, um einen Termin bei Dr. Rister,<br />

dem Leiter der Schmerzambulanz, zu erhalten, ging ich zu meinem<br />

Hausarzt, um dort Rat für meine Medikamenteneinnahme zu suchen.<br />

Dieser bot mir ein Schmerzpflaster mit einem anderen Wirkstoff in<br />

geringer Stärke an, bis ich wieder Rücksprache mit der Schmerzambulanz<br />

nehmen könnte. Als Alternative, so der Vorschlag von Dr. Renz,<br />

könne ich es mal damit probieren, ein Schmerzpflaster sei sicher verträglicher<br />

und ging nicht über den Magen. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt<br />

keine andere Wahl und ließ mich darauf ein. Am Abend klebte<br />

ich mir das Pflaster auf die Haut. In der Nacht erwachte ich mit Übelkeit<br />

und am nächsten Morgen war mir fürchterlich elend. Ich erbrach,<br />

hatte Kopfschmerzen und einen übermäßigen Hirndruck, wie ich es in<br />

dieser Form nie zuvor kannte. Es war mir unmöglich aufzustehen und<br />

alles drehte sich im Kreis. Dazu kam nach wie vor anhaltende Übelkeit<br />

und Erbrechen. Mein erste Gedanke für die Ursache meines schlechten<br />

145


Zustandes galt dem Schmerzpflaster; ich entfernte es umgehend.<br />

Die Schwäche zog sich über den gesamten Tag hin und ich erinnere<br />

mich nur mit großem Unbehagen an diesen Tag. Ich habe seither großen<br />

Respekt vor Schmerzpflastern und vor Medikamenten, die einen<br />

mir nicht bekannten Wirkstoff enthalten. Als ich vierzehn Tage später<br />

mit Dr.Rister, meinem Schmerztherapeuten, sprach, bestätigte dieser<br />

meine Unverträglichkeit gegenüber diesem Medikament.<br />

Seit September fahre ich nun regelmäßig, nach gewissen Abständen,<br />

zur Schmerzambulanz. Ich wurde dort auf ein Opiat mit einem anderen,<br />

mir verträglichen Wirkstoff eingestellt und ich muss zugeben,<br />

dass es mich nach den Erfahrungen der vergangenen Wochen große<br />

Überwindung gekostet hat, mich nochmals auf ein neues Präparat einzulassen.<br />

Meine Befürchtungen jedoch haben sich nicht bestätigt, ich<br />

vertrage es gut, und es hilft mir zumindest zeitweise, wenn ich nicht<br />

in einer ungünstigen Position verharre, meine Schmerzen nur noch<br />

dumpf wahrzunehmen. Übrigens wurde ich zwischenzeitlich auch<br />

wieder von Dr. Rister auf das Medikament eingestellt, dass mir Dr.<br />

Berg in seiner Klinik entzog. Zudem wurde mir von ihm bestätigt,<br />

dass mein Körper Opiate sehr schnell abbaut und ich deshalb mehr<br />

und eine höhere Dosierung als andere Patienten benötige. Um eine<br />

Krankheit bzw. ein Versagen von Leber und Nieren auf Grund der<br />

starken Medikation auszuschließen, gehe ich regelmäßig alle vier bis<br />

sechs Wochen zur Blutabnahme.<br />

Im Oktober erhielt ich erneut ein Rezept für Physiotherapie. Nach<br />

vielen Überlegungen und einigen Empfehlungen entschloss ich mich<br />

schweren Herzens, meinen Physiotherapeuten zu wechseln. Vielleicht<br />

böte sich ja hier eine andere Perspektive und ein anderer Ansatz zur<br />

Behandlung, die dann letztendlich zum Erfolg, sprich zur Besserung<br />

meiner gesundheitlichen Lage und damit zur Heilung führen könnte.<br />

Bei meinem ersten Besuch stellte ich fest, dass ich mich in dieser Praxis<br />

wohl fühle und in sie Vertrauen fassen kann. Die Physiotherapeuten<br />

sind alle bemüht, sich auf mich und meine Krankheit einzulassen und<br />

146


ieten andere Behandlungsmöglichkeiten und Ansätze an: alternative<br />

Behandlungsmethoden aus der Osteopathie, Ohrakupunktur oder Laserakupunktur.<br />

Diese hatte ich bislang nicht erfahren. Zwischenzeitlich<br />

werde ich von Tom behandelt und ich fühle mich bei ihm genau<br />

in den richtigen Händen. Ich suche ihn einmal wöchentlich auf. Nach<br />

meinem Ärztemarathon bin ich bedacht, auf mein seelisches Gleichgewicht<br />

zu achten. Deshalb achte ich darauf, dass ich mich nicht zu sehr<br />

mit Terminen wie Arztbesuche oder Physiotherapie einenge.<br />

49. Das Upright-MRT<br />

Mitte Dezember machte ich mich auf den Weg zu Prof. Dr. Seiber, um<br />

den bei ihm im Juni vereinbarten Termin wahrzunehmen, sollten sich<br />

meine Beschwerden nicht zum Positiven wenden. Ich meldete mich<br />

beim Empfang an. Wie ich zuvor bereits im Auto mit meinem Mann<br />

beim Gespräch befürchtete, erhielt ich von einer freundlichen Dame<br />

die Nachricht, dass sich der Professor leider im Operationssaal befand<br />

und deshalb die Sprechstunde heute leider von einem anderen, mir<br />

nicht bekannten Arzt abgehalten würde. Ich erklärte ihr, dass ich nicht<br />

bereit und willens sei, zu diesem Arzt zu gehen. Ich begründete dies<br />

damit, dass Prof. Dr. Seiber meine Krankengeschichte kenne und mich<br />

zweimal operiert hätte. Ich wäre gerne bereit auf ihn zu warten, bis er<br />

Zeit hätte, mit mir zu sprechen. Sie führte daraufhin ein Telefonat;<br />

danach meinte sie, es könnte allerdings bis Mittag dauern, aber Prof.<br />

Dr. Seiber wäre dann bereit, sich Zeit für mich zu nehmen.<br />

Ich hatte mich bereits auf „Warten“ eingestellt und darum war ich mit<br />

ausreichendem Lesestoff versorgt, so dass es für mich relativ kurzweilig<br />

wurde, bis ich ins Sprechzimmer gebeten wurde. Dort empfing mich<br />

Professor Dr. Seiber. Im Hintergrund befand sich ein Herr, der sich<br />

als Freund und Neurochirurg vorstellte. Nachdem wir geklärt hatten,<br />

dass ich seiner Anwesenheit zustimmte, berichtete ich. Prof. Dr. Seiber<br />

vom vergangenen halben Jahr und meiner unveränderten Lage.<br />

147


Er gab zu, hier an einem Punkt angelangt zu sein, an dem er mir zwar<br />

meine Schmerzen abnahm, aber keine Ursache dafür wüsste. Alles sei<br />

soweit ordentlich verheilt, so seine Einschätzung. Allerdings kam ihm<br />

der Gedanke eines Upright-MRTs. Dieses wäre teuer und nicht in der<br />

Krankenkassenleistung enthalten, deshalb müsste es zuvor von meiner<br />

Krankenkasse genehmigt werden. Er sei sich aber sicher, dass auf<br />

Grund meiner besonderen Situation dies sich nicht als Problem gestalten<br />

würde.<br />

Ein Upright-MRT kann nur in einer speziell dafür vorgesehenen Praxis,<br />

die es in Deutschland nur wenige Male gibt, gemacht werden.<br />

Während der gesamten Aufzeichnungsdauer werden die Aufnahmen<br />

in einem offenen Gerät im Stehen und Sitzen durchgeführt. Prof. Dr.<br />

Seiber betonte, dass er normalerweise von dieser Art einer Aufnahme<br />

nicht Gebrauch machen würde, aber in meinem speziellen Fall wäre<br />

das eine gute Möglichkeit, um ein Bild der Wirbelsäule im Stehen und<br />

im Liegen zu erhalten.<br />

Am selben Tag wollte er zugleich Aufnahmen meiner Wirbelsäule mit<br />

einem herkömmlichen MRT, also liegend, so dass sich dann unterschiedliche<br />

Bildgebungen in unterschiedlichen Positionen ergaben. Er<br />

hoffe darauf, mit diesen Bildern doch endlich Aufschluss darüber zu<br />

bekommen, was meine Schmerzen auslösen würde. Prof. Dr. Seiber<br />

diktierte in meiner Anwesenheit den Arztbrief mit der Begründung.<br />

Meine Aufgabe war es nun, dieses Schreiben der Krankenkasse zur Genehmigung<br />

vorzulegen. Wir verabschiedeten uns mit der Zusicherung,<br />

sollte es genehmigt werden, dass er mir dann die weiteren Schritte erklären<br />

würde, die für ein Upright-MRT zu tun sind. Anschließend<br />

ging ich noch kurz ins Sekretariat um mich zu erkundigen, wann ich<br />

mit dem Eingang des diktierten Briefes zu rechnen hätte. Die Sekretärin<br />

seufzte und meinte, sie hätten krankheitsbedingt Personalmangel,<br />

aber er würde sicherlich in den nächsten Tagen eintreffen. Es wurde<br />

Weihnachten, das Ende des Jahres 2015 stand bevor, ich erhielt keinen<br />

Arztbrief.<br />

148


Das neue Jahr 2016 hatte begonnen und nach drei Wochen erhielt<br />

ich endlich Post mit den erwarteten Arztbrief. Mein Mann und ich<br />

machten uns sofort auf den Weg und statteten der Krankenkasse einen<br />

Besuch ab. Wir erhofften, die Genehmigung für das notwendige<br />

MRT zu erhalten. Es wäre jedoch zu einfach gewesen, einer unkomplizierten<br />

Genehmigung entgegenzublicken. Der Sachbearbeiter meiner<br />

zuständigen Krankenkasse verhielt sich unsicher, gab sich unwissend,<br />

sah aber ein großes Problem in einer Zustimmung. Er müsse zunächst<br />

darüber informiert werden, was die erforderlichen Aufnahmen kosten<br />

würden und außerdem sah er keinen Sinn in einer derartigen Aufzeichnung,<br />

wenn ich doch eigentlich „austherapiert“ wäre. Des Weiteren<br />

sei es für ihn von großer Wichtigkeit zu wissen, ob die Aufnahmen<br />

ambulant oder stationär durchgeführt werden würden. Das vorgelegte<br />

Schreiben, so seine Auffassung, beinhalte keine ausreichende Information<br />

über die Gründe und die Notwendigkeit für ein Upright-MRT. Er<br />

forderte mich auf, ihm einen Kostenvoranschlag für ein Upright-MRT<br />

vorzulegen und nach seinen Worten einen „erneuten exakt ausgeführten<br />

Arztbrief“ von Prof. Dr. Seiber anzufordern.<br />

Ich möchte hierbei anmerken: Weder machte sich der Angestellte der<br />

Krankenkassenfiliale die Mühe, meine Krankendaten und Fakten aus<br />

dem Computer abzurufen, noch sich über ein Upright-MRT zu informieren,<br />

um was es sich eigentlich bei diesem speziellen MRT handelt.<br />

Stattdessen erhielt ich von ihm den Auftrag, Informationen über die<br />

Kosten einer solchen Aufnahme einzuholen. Ich war ziemlich verärgert,<br />

da ich der Meinung war, dass der Arztbrief eigentlich alle wichtigen<br />

Details beinhalte und beschloss deshalb, auch keinen anderen<br />

bei Prof. Dr. Seiber anzufordern. Das hätte für mich wieder erneutes<br />

Warten bedeutet, bis dieser bei mir eintreffen würde und zudem wäre<br />

unnötig Zeit verstrichen. Außerdem war ich, wie erwähnt, der Meinung,<br />

dass dieses Schreiben alle notwendigen Informationen enthielt.<br />

Bei drei verschiedenen radiologischen Praxen Deutschlands forderte<br />

ich Kostenvoranschläge an und verfasste einen Brief an meine Krankenkasse<br />

mit der Bitte um Genehmigung. Als Anhang heftete ich das<br />

149


Schreiben von Prof. Dr. Seiber und die drei Kostenvoranschläge bei.<br />

Das Ganze schickte ich an die Zentrale meiner Krankenkasse. Eigentlich<br />

war ich schon etwas verwundert, dass es meine Aufgabe war, mich<br />

um einen Kostenvoranschlag zu kümmern. Auf diese Art und Weise<br />

ersparte sich die Kasse den zeitlichen Aufwand und wenn Patienten<br />

verärgert sind, geben sie sich vielleicht langfristig geschlagen; auch eine<br />

Methode, mit dem Ganzen umzugehen, dachte ich mir.<br />

Drei Tage später erhielt ich einen Anruf der Krankenkasse mit der Bitte<br />

um etwas Geduld bezüglich der Genehmigung des Upright-MRTs.<br />

Die freundliche, zuständige Sachbearbeiterin informierte mich darüber,<br />

dass sie mein Anliegen schnell bearbeiten wolle und es im Eilverfahren<br />

an den Medizinischen Dienst weiterleiten würde. Zwei Wochen<br />

später lag ein Schreiben von meiner Krankenkasse in meinem Briefkasten,<br />

dass der Medizinische Dienst Unterlagen von der Klinik, in der<br />

ich operiert wurde, anfordern wollte. Sie erklärte sich dazu nicht bereit<br />

ohne mein Einverständnis. Im Anhang war ein Formular zur Einwilligung<br />

in die Aushändigung der Unterlagen, welches ich unterzeichnen<br />

und postwendend zurücksenden sollte.<br />

Auf dem Weg zur Post überlegte ich mir, dass dies nun für mich erneut<br />

eine weitere Verzögerung bedeutete. Man stelle sich vor: Es vergehen<br />

Tage, Wochen, ja inzwischen Monate, nur für eine simple Genehmigung<br />

eines zwar außergewöhnlichen, aber erforderlichen MRTs. Inzwischen<br />

zeigte der Kalender Mitte Februar und es geschah nichts.<br />

Meine Schmerzen änderten sich nicht und ich übte mich weiter im<br />

Warten und in Geduld. Dann zwei Tage später ein Anruf der Klinik,<br />

es sei für sie unverständlich, weshalb sie die gesamten Unterlagen dem<br />

Medizinischen Dienst zur Verfügung stellen sollten, es wären doch<br />

Arztbriefe und der gesamte Krankheitsverlauf samt Operationen und<br />

Therapien der Krankenkasse soweit bekannt. Ich bat sie trotzdem, ihnen<br />

alle erforderlichen Unterlagen zukommen zu lassen und wir einigten<br />

uns darauf, dass eigentlich ein Gespräch zwischen Prof. Dr. Seiber<br />

und dem Arzt des Medizinischen Dienstes die beste Möglichkeit sei,<br />

zur Klärung der Wichtigkeit eines des MRTs beizutragen.<br />

150


Am 13. Februar erhielt ich die nächste Nachricht meiner Krankenkasse,<br />

dass sie mich weiterhin um Geduld und Verständnis bitte, die<br />

Unterlagen der Klinik seien nun endlich vollständig beim Medizinischen<br />

Dienst eingegangen und die Genehmigung meines Anliegens<br />

würde nun leider doch mehr als fünf Wochen in Anspruch nehmen.<br />

In meinen Gedanken registrierte ich: Die Angelegenheit befand sich<br />

bereits in der sechsten Woche! Mit der Zuversicht, dass mein Antrag<br />

in Bearbeitung sei und mit freundlichen Grüßen endete auch dieses<br />

Schreiben, allerdings ohne konkreten Inhalt. Ich spürte Aggression<br />

in mir aufkommen. Es verging kein Tag ohne Schmerzen. Ich griff<br />

zum Telefon und rief bei meiner Krankenkasse an. Ich erklärte dem<br />

Herrn am Ende der Leitung, dass ich unerträgliche Schmerzen hätte<br />

und etwas passieren müsse. Wenn ich zum momentanen Zeitpunkt<br />

allerdings einen Arzt aufsuchen würde, werde dieser mit Sicherheit ein<br />

MRT anfordern. Das wiederum wäre unangebracht, sollte ich die Zustimmung<br />

für das Upright-MRT bekommen.<br />

Es stellte sich heraus, dass mein Gesprächspartner auch dieses Mal der<br />

Angestellte war, mit dem ich bereits verhandelt hatte, und dieser sich an<br />

mich erinnerte. Das war zwar nett, aber es brachte mich nicht weiter.<br />

Er gab an, Verständnis für meine Anliegen zu haben (was ich bezweifelte)<br />

und riet, mich mit dem Medizinischen Dienst in Verbindung zu<br />

setzen. Ihm solle ich meine missliche Lage erklären. Meine Bitte, dass<br />

er dort selbst als Vertreter meiner Krankenkasse anrufen solle, lehnte<br />

er ab und meinen Zweifeln, dort als ungeduldiger Patient eingestuft<br />

zu werden, widersprach er. Ich wählte die Nummer des Medizinischen<br />

Dienstes und es trat genau das ein, was ich in meinen Gedanken befürchtet<br />

hatte: Mein Gegenüber in der Telefonleitung forderte mich<br />

auf, nicht so ungeduldig zu sein. Hier würde jeder Antrag der Reihe<br />

nach bearbeitet werden und es gäbe weitaus schlimmere Fälle als meiner,<br />

da ginge es oft um Leben und Tod. Genauso hatte ich mir dieses<br />

Gespräch vorgestellt. Das Schlimmste war, ich konnte wirklich nichts<br />

anderes unternehmen als abzuwarten.<br />

Es wurde Ende Februar, bis ich endlich das Schreiben mit der Nach-<br />

151


icht über die Entscheidung des Medizinischen Dienstes in den Händen<br />

halten durfte. Ich muss gestehen, dass der Inhalt dieser Nachricht<br />

mich in Aufregung versetzte. Sie enthielt eine Ablehnung meines Antrages<br />

für eine Magnetresonanz-Tomographie- Untersuchung in einem<br />

Upright-MRT-Gerät mit der Begründung, dass dies aus sozialmedizinischer<br />

Sicht nicht indiziert wäre. Die Krankenkasse sei an enge Regelungen<br />

gebunden, die auch Ausnahmeentscheidungen nicht erlauben<br />

würden. Ich solle mich an meinen Arzt wenden, um das weitere therapeutische<br />

Vorgehen abzustimmen. Wenn ich mit dieser Entscheidung<br />

nicht einverstanden wäre, könne ich allerdings innerhalb eines Monats<br />

nach Bekanntgabe des Bescheides Widerspruch einlegen.<br />

Ich fühlte mich machtlos, nicht verstanden und sehr klein gegen den<br />

Rest der Welt. Ich wusste, bevor ich handelte brauchte ich zuerst Zeit<br />

zum Nachdenken, um meinen Emotionen Lauf zu lassen und um mir<br />

darüber klar zu werden, welche Möglichkeiten sich mir noch boten,<br />

gegen diesen Bescheid anzugehen. Ich sendete Prof. Dr. Seiber eine<br />

Kopie des Bescheides zu, der mir daraufhin erneut in einem Brief an<br />

die Krankenkasse einige Zeilen über die Notwendigkeit der Aufnahmen<br />

bestätigte. Anfang März suchte ich den Sozialverband auf, der<br />

mich ja bereits in meiner Rentenangelegenheit erfolgreich vertreten<br />

hatte. Ich versuchte ihm die Sachlage transparent zu machen und erteilte<br />

ihm meine Vollmacht, Widerspruch gegen das Schreiben der<br />

Krankenkasse einzulegen. Mit einem Termin zum Besprechen der<br />

Widerspruchsgründe trat ich dort aus der Türe und verspürte einen<br />

Hauch von Hoffnung, eventuell damit etwas erreichen zu können.<br />

Ostern war in diesem Jahr sehr zeitig. Ich versuchte, mich wie immer,<br />

wenn ich schlechten Nachrichten hatte, abzulenken. Es waren<br />

die Vorbereitungen auf die bevorstehenden Feiertage, die ich im Fokus<br />

hatte, als am Mittwoch in der Karwoche ein Telefonanruf aus dem<br />

Sozialverband mich aus meinem Tun riss: sie hätten meinen Termin<br />

gestrichen, ich würde ihn nicht benötigen. Alles, was darüber zu sagen<br />

wäre, erhielte ich in einem Schreiben. Ich war erstaunt und verwundert<br />

über die kurz angebundene Aussage und es gelang mir nicht, diese<br />

152


einzustufen. Schon bereits am nächsten Tag erhielt ich das Schreiben<br />

und damit die Antwort auf meine Frage. In dem Brief bezog sich der<br />

Sozialverband auf die Ablehnung des Widerspruchs des Medizinischen<br />

Dienstes der Krankenkasse: Es würden keine wissenschaftlich fundierten<br />

Untersuchungen vorliegen, die einen klaren Vorteil in der Entdeckung<br />

von Pathologien in diesem Wirbelsäulenbereich zeigen; d.h.<br />

es existiert derzeit keine wissenschaftlich valide Bewertung einer Notwendigkeit<br />

einer Untersuchung durch ein Upright-MRT. Die weitere<br />

Aussage des Gutachters war, dass ich nun zwei Möglichkeiten hätte:<br />

Eine Rücknahme des Widerspruchs, das dazu benötigte Schreiben läge<br />

bereits als Anhang bei. Ich könnte aber auch eine ärztliche Bestätigung<br />

einreichen, das dem Gutachten widerspricht, also eine Bestätigung,<br />

dass nur mit diesem Gerät eine Untersuchung möglich wäre.<br />

Ich beschloss, die Dinge nun selbst in die Hand zu nehmen und verfasste<br />

eine dreiseitige Begründung meines Widerspruchs. In ihm zählte<br />

ich alle Therapien und Untersuchungen, sowie Maßnahmen während<br />

meiner gesamten Krankengeschichte auf. Zusammen mit dem Schreiben<br />

von Prof. Dr. Seiber brachte ich es, um den Vorgang zu beschleunigen,<br />

persönlich zur Krankenkasse. Der Kalender zeigte mittlerweile<br />

den 3. April 2016.<br />

Ich wartete ganze sechs Wochen auf eine Reaktion der Krankenkasse<br />

bzw. auf eine Antwort des Medizinischen Dienstes. Meine Schmerzen<br />

waren zwischenzeitlich so stark, dass ich trotz der regelmäßigen Einnahme<br />

des Opiates beim Sitzen vor Schmerzen aufstehen musste und<br />

mir das Stehen fast unmöglich war. Es gab Tage, an denen ich Stunden<br />

im Liegen verbrachte. So wagte ich einen schüchternen Anruf beim<br />

zuständigen Sachbearbeiter der Krankenkasse und erhielt als Antwort,<br />

mein Anliegen sei in Bearbeitung, am 19. Mai sei mein Widerspruchsschreiben<br />

beim Medizinischen Dienst eingegangen. Mir fehlten die<br />

Worte: sechs Wochen bis zum Eingang! Ich mochte mir nicht vorstellen,<br />

wie lange die Zeit bis zur Bearbeitung meines Schreibens noch<br />

dauern würde!<br />

153


Die Konsequenz daraus veranlasste mich nun jeweils eine E-Mail an<br />

die Zentralen der Krankenkasse und des MDK zu senden, um nachzuhaken,<br />

wann denn mit einer Entscheidung zu rechnen sei. Von der<br />

Krankenkasse erhielt ich die Antwort, dass mein Widerspruch noch<br />

nicht bearbeitet wäre, da der MDK in Verzug sei und erst die Monate<br />

März u. April abarbeiten müsse. Inzwischen war es Juni, und für mich<br />

hieß dies ganz klar, dass ein Plan B nun für mich in Kraft treten muss.<br />

50. Plan „B“<br />

Ein halbes Jahr warten für eine offene Entscheidung, das setzte in mir<br />

einen Tatendrang in Kraft, den ich, wenn ich über die vergangenen<br />

Monate reflektiere, schon wesentlich früher hätte aktivieren sollen.<br />

Letztendlich ausschlaggebend für meine erneute Aktivität war ein Besuch<br />

bei meiner erkrankten Mutter. Nachdem wir eine vierstündige<br />

Autofahrt hinter uns gebracht hatten, besuchten wir sie im Krankenhaus<br />

und verbrachten dort einige Stunden mit ihr. Der restliche Tag<br />

war mit der Organisation, wie es nach ihrem Krankenhausaufenthalt<br />

weiter gehen sollte, verplant. Den ganzen Tag über quälte ich mich<br />

bereits mit Schmerzen und nahm zusätzlich Akuttabletten ein. Abends<br />

wollten wir in einem griechischen Restaurant gemütlich den Tag ausklingen<br />

lassen und entspannen. Schon nach der Bestellung der Speisen<br />

steigerten sich die Schmerzen so sehr, dass ich anfing, im Restaurant<br />

Runden zu gehen, um dem Schmerz etwas an Stärke zu nehmen. Es<br />

war mir unmöglich, ruhig zu sitzen, geschweige denn mein inzwischen<br />

serviertes Essen mit Genuss zu verspeisen. Kaum hatte mein Mann<br />

Max seinen letzten Bissen vom Teller gegessen, ich hatte zwischenzeitlich<br />

die Rechnung beglichen, verließen wir nahezu fluchtartig das<br />

Lokal. Dieser Abend war für uns Anlass zum Gespräch über die weitere<br />

Vorgehensweise, denn so konnte es jedenfalls nicht weitergehen,<br />

irgend etwas musste passieren.<br />

Ich vereinbarte wieder einmal einen Termin bei meinem Hausarzt.<br />

154


Wir überlegten zusammen weitere Optionen, die ich während meiner<br />

„Warteposition“ auf das Upright-MRT unternehmen könnte. Er<br />

verschrieb mir MRTs für die Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule,<br />

um wirklich auszuschließen, dass kein erneuter sichtbarer Bandscheibenvorfall<br />

mein Leiden verursachte. In einer E-Mail bat ich Prof. Dr.<br />

Seiber, den Professor, der mich operiert hatte, um einen zeitnahen Termin.<br />

Um mir eine Zweiteinschätzung einzuholen und um mehr über<br />

eine alternative Schmerztherapie zu erfahren, vereinbarten wir einen<br />

Termin bei einem 300 km entfernten, mir empfohlenen Neurochirurgen<br />

und Schmerztherapeuten. Nach meinen Informationen, bot er<br />

ein relativ neues Verfahren zur Behandlung chronischer Schmerzen an.<br />

Zwei Wochen später rief mich die Mitarbeiterin des Sozialverbandes<br />

an und teilte mir mit, dass ich nun zum zweiten Mal die Ablehnung<br />

des Upright-MRTs erhalten habe. Sie wollte das Begründungsschreiben<br />

anfordern: Die Krankenkasse wollte es ihr aus nicht nachvollziehbaren<br />

Gründen, trotz vorliegender Vollmacht, nicht aushändigen und<br />

ihr den Inhalt transparent machen. So forderte ich die Unterlagen an,<br />

las die nahezu verwaschene Begründung und ärgerte mich, dass ich<br />

nicht schon früher gehandelt hatte und ein halbes Jahr mit Schmerzen<br />

ins Land gegangen war, ohne dass eine Nachforschung bzw. Erklärung<br />

der Schmerzursache gefunden wurde.<br />

Ich vereinbarte Termine für die MRTs und erhielt tatsächlich noch<br />

welche, bevor<br />

ich Professor Dr. Seiber aufsuchte, wenngleich sie in verschiedenen<br />

Praxen durchgeführt wurden. Für mich hieß es nun tapfer zu sein,<br />

denn was der Vorgang einer Aufzeichnung für mich bedeutete, muss<br />

ich nicht näher ausführen. Wie immer, mit schlimmen Vorstellungen<br />

und Panik, suchte ich die Praxis für Radiologie auf. Nachdem eine<br />

nette Dame mir den Hinweis gab, dass ich bereits beim Einfahren in<br />

die Röhre die Augen geschlossen halten und sie erst wieder nach dem<br />

Herausfahren öffnen solle, gelang es mir, das MRT der Halswirbelsäule<br />

so einigermaßen ohne Panikattacken zu überstehen. Ich war sehr zu-<br />

155


frieden mit mir, voller Stolz verließ ich die Kabine um zu hören, was<br />

mir der Arzt über die Aufzeichnung berichten würde. Bei den Aufnahmen<br />

der Brust- und Lendenwirbelsäule folgte ich gleicherweise diesem<br />

Rat und so überstand ich auch diese tatsächlich ohne weitere Angstvorstellungen.<br />

Einen Vorteil hatte die häufige Anfertigung meiner MRTs, ich habe<br />

inzwischen erreicht, dass ich zwar immer noch ungern, aber ohne<br />

Schweißtropfen auf der Stirn, feuchte Hände und vorherigen Alpträumen<br />

in die Röhre gehen kann. Fasse ich den Bericht der Radiologen<br />

über den Zustand meiner Wirbelsäule zusammen, so ergab sich kein<br />

neuer Befund. Die Lendenwirbel zeigen Abnützungen, die Brustwirbelsäule<br />

zeigt eine leichte Skoliose (eine Verdrehung der Wirbel), und<br />

die Halswirbelsäule hatte keine Auffälligkeiten. Ich war froh und erleichtert,<br />

keine krankhaften Zeichen zu finden und gleichzeitig frustriert,<br />

dass sich kein Ansatz für die Schmerzursache bot.<br />

51. Rückenmarkstimulation<br />

Mitte Juli machten sich mein Mann und ich um fünf Uhr morgens auf<br />

den Weg zu Dr. Tonson, um uns über die Möglichkeit, sowie die Verfahrensweise<br />

seiner besonderen Schmerzbehandlung zu informieren.<br />

Die Anfahrt, 300 km, verlief ohne weitere Staus, so dass wir pünktlich<br />

das Klinikum erreichten, in dem Dr. Tonson praktiziert. Nach der Anmeldung<br />

hatten wir noch ausreichend Zeit, um uns in der Cafeteria an<br />

einem Cappuccino zu erfreuen, den wir dringend nach dem zeitigen<br />

Aufstehen am Morgen und der langen Anfahrt nötig hatten. Nach kurzem<br />

Aufenthalt im Wartebereich saßen wir schon im Sprechzimmer<br />

Dr. Tonson gegenüber.<br />

Ich sah einen freundlichen Herrn mit Krawatte und blütenweißem<br />

Kittel, der sich nach dem Grund meiner Anwesenheit erkundigte.<br />

Ich übergab ihm meine Operationsberichte und erzählte von meiner<br />

156


dreijährigen Suche nach der Ursache der Schmerzen und den Therapien,<br />

die bislang keine große Wirkung zeigen wollten. Des Weiteren<br />

berichtete ich ihm von der Art meiner chronischen Schmerzen, meiner<br />

Schmerzintensität, der Schmerzqualität und meiner derzeitigen Medikamenteneinstellung.<br />

Dr. Tonson hörte sich alles aufmerksam an. Es folgte ein kurzer neurologischer<br />

Check: Hände nach vorne halten, dagegen drücken, usw.<br />

Mit den Worten “Sie sind gesund“ endete diese kurze Untersuchung.<br />

Danach versuchte er mir verständlich zu machen, welche Optionen<br />

sich mir böten. Eine weitere Operation wäre derzeit nicht sinnvoll,<br />

warum sollte man auch einen Eingriff vornehmen, wenn die Ursache<br />

meines Leidens noch nicht geklärt war? Um schnelle Hilfe zu erhalten<br />

und von meiner Medikamentenabhängigkeit weg zu kommen würde<br />

er vorschlagen, entlang des Rückenmarks eine Elektrode einzuschieben,<br />

vergleichbar mit einem Draht von 1,5 mm Stärke. Diese würde<br />

genau an den Schmerzpunkt gesetzt und mit Strom versorgt. Das Kabel<br />

könnte an der Hüfte zunächst seitlich ausgeleitet und mit einem<br />

externen Kästchen, dem sogen. Neurostimulationsgerät, verbunden<br />

werden. Dieses versorge die Elektrode mit Strom. Dabei würden elektrische<br />

Schläge an ausgewählte Nervenenden gesandt und somit der<br />

Weg der Schmerzsignale zum Gehirn unterbrochen. Seine Begründung<br />

für diese Vorgehensweise war: Schmerzen sind eine Reaktion auf<br />

Signale, die von einer Schmerzquelle durch die vorhandenen Nerven<br />

im Rückenmark zum Gehirn gesendet werden.<br />

Dies alles geschähe unter Narkose, so seine weitere Erläuterung. Der<br />

Patient nimmt die Impulse als angenehmes Kribbeln wahr. Nachdem<br />

der Patient die kommenden drei Tage im Krankenhaus individuell<br />

auf eine schwache, elektrische Energieversorgung eingestellt wäre und<br />

den Umgang und die Handhabung des Gerätes erlernt habe, dürfe er<br />

für zwei Wochen nach Hause. Dort sollte er ein ganz normales Leben<br />

führen. Wenn er in dieser Zeit dauerhaft eine Schmerzlinderung bzw.<br />

Schmerzverringerung verspüre, wird nach vierzehn Tagen Erprobung<br />

ein kleines Neurostimulationsgerät im Bereich der Hüfte, hinten oder<br />

157


seitlich implantiert. Viele Patienten würden danach innerhalb kurzer<br />

Zeit von einem schnellen Schmerz- und Medikamentenrückgang berichten.<br />

Mit einer Art Fernbedienung kann sich der Patient die Intensität<br />

der Stromimpulse einstellen bzw. das Gerät an- oder ausschalten.<br />

Nach ca. zehn Jahren würde die Batterie ausgetauscht werden müssen,<br />

was dann einen erneuten minimalinvasiven Eingriff bedeutet. Einziger<br />

Nachteil sei, so die Antwort auf meine Frage, dass mit dem Draht im<br />

Körper kein MRT mehr angefertigt werden könne.<br />

Diese Behandlung nennt sich SCS und bedeutet „Spinal Cord Stimulation“.<br />

Der Vergleich mit einem Herzschrittmacher ist angebracht.<br />

Der Neurostimulator ist aber im klassischen Sinne kein Heilmittel.<br />

Chronische Schmerzpatienten haben gute Chancen für eine erfolgreiche<br />

Therapie. Dr. Tonson schlug vor, einen baldigen Termin für den<br />

erforderlichen Krankenhausaufenthalt zu wählen und schon stand ich<br />

für den SCS-Eingriff am 24.August in einer Spalte seines Terminplaners.<br />

Absagen, so seine Auffassung, könne man immer noch. Ich willigte<br />

ein, allerdings mit keinem guten Gefühl. Danach verabschiedeten<br />

wir uns. Dr. Tonson hatte mich von seinem Können und von der Idee<br />

des SCS überzeugt; je mehr ich allerdings in mich ging um darüber<br />

nachzudenken, desto mehr fehlte mir das gewisse Etwas, um wirklich<br />

diesem Eingriff aus Überzeugung zustimmen zu können. Hätte ich es<br />

an diesem Tag definieren müssen, was mich vor der Rückenmark-Stimulation<br />

zurückschrecken ließ, ich hätte es nicht in Worte fassen können,<br />

denn eigentlich erschien mir alles logisch und nachvollziehbar.<br />

Mit vielen Fragen, Eindrücken und Abwägungen kamen Max und ich<br />

zu Hause an. Im Internet suchte ich nach Erfahrungsberichten anderer<br />

Schmerzpatienten mit SCS. Dort fand ich teilweise Antworten auf<br />

meine Fragen und auf die Überlegung, welche Nachteile und Gefahren<br />

letztendlich eine SCS-Therapie haben kann. Ich las von Berichten,<br />

wo das implantierte Kästchen störte und als unangenehm empfunden<br />

wurde. Patienten erzählten, dass der Draht verrutschen kann und deshalb<br />

schnelle, ruckartige Bewegungen vermieden werden sollten. Eine<br />

Frau erzählte, sie hätte eine Störung der Stromversorgung erlebt. Es<br />

158


wurde empfohlen, sich von starken Magnetfeldern fern zu halten. Fazit<br />

aus diesen Erfahrungswerten: Trotzdem würden sich alle Patienten<br />

immer wieder dafür entscheiden.<br />

52. Bekanntschaft mit Dr. Kammerer<br />

Am darauf folgenden Mittwoch hatte ich eine Vorstellung im Städtischen<br />

Klinikum in einer nahe gelegenen Stadt. Ich war bei meinen<br />

Recherchen durch Zufall auf Dr. Kammerer gestoßen, der ebenso wie<br />

Dr. Tonson SCS-Therapien vornahm. Das machte mich neugierig.<br />

Dr. Kammerer ließ sich all meine Arztbriefe und Unterlagen zeigen<br />

und war über eine halbe Stunde mit deren Durchsicht beschäftigt. In<br />

Anbetracht der Dicke meines Ordners war es erstaunlich, wie intensiv<br />

er sich in meine Krankengeschichte einarbeitete. Mein Mann und<br />

ich geduldeten uns derweil draußen im Wartebereich. Als wir gerufen<br />

wurden, stellte er sich vor und meinte gleich zu Beginn seiner Vorstellung,<br />

den meisten Aufschluss hätte ihm meine Schmerzbeschreibung<br />

gegeben, die im Ordner abgeheftet war. Er entnähme aus dem Unterlagen,<br />

dass alle Orthopäden bislang nur überwiesen hätten, aber niemals<br />

eine gründliche Untersuchung von ihnen vorgenommen wurde. Ich<br />

pflichtete ihm bei. Des Weiteren stellte er fest, dass auf den CD-Aufnahmen<br />

keine Auffälligkeiten zu erkennen seien. Die beiden Operationen<br />

wären ordentlich durchgeführt worden. Anschließend ließ er<br />

sich von mir den genauen Schmerzpunkt zeigen und beschreiben. Dr.<br />

Kammerer drückte einmal hier und da auf meiner Wirbelsäule und<br />

dem Schulterblatt herum und befragte mich, wann und wodurch dabei<br />

das Kribbeln ausgelöst würde.<br />

Nach dieser gründlichen Untersuchung folgte die Feststellung, einen<br />

derartigen Fall hätte er noch nicht gehabt. Er sei stets bestrebt, zunächst<br />

die Ursache für Schmerzen zu finden. Erst wenn diese nicht<br />

gefunden werde, bestehe unter anderem die Möglichkeit, eine Elekt-<br />

159


ode für die SCS-Therapie zu setzen. Er sei sich aber momentan noch<br />

im Unklaren, ob diese wirklich geeignet und hilfreich für mich sei und<br />

greife. Er bat mich am kommenden Montag nochmals zu kommen, er<br />

wolle dann versuchen, ein Betäubungspräparat in einen Muskel in der<br />

Nähe des Schulterblattes zu spritzen.<br />

Als ich am Montag zum vereinbarten Termin erschien, schickte mich<br />

seine Sekretärin auf Veranlassung von Dr. Kammerer zu meinem Erstaunen<br />

zu einer CT– Aufnahme der Halswirbelsäule in die Radiologie.<br />

Oben zur erneuten Anmeldung im Sekretariat angekommen,<br />

spürte ich, dass sich eine Schmerzattacke ankündigte. Um mir die<br />

Wartezeit auf Dr. Kammerer zu erleichtern, stellte ich mich lesend an<br />

die Wand, um auf die entsprechenden Schmerzpunkte Druck auszuüben.<br />

Ins Lesen vertieft merkte ich nicht, dass Dr. Kammerer mich<br />

bereits einige Zeit beobachtet hatte, wie und wo ich mich abdrückte.<br />

Wir gingen in sein Sprechzimmer. Er besah sich die CT-Aufnahme<br />

und wunderte sich über eine kleine Auffälligkeit, eine kleine kaum<br />

sichtbare Mulde, wie er es beschrieb, zwischen Hals und Brustwirbelsäule.<br />

Danach erfolgte die geplante Injektion in den Muskel, ohne<br />

Reaktion und erwartete Wirkung. Die Folgerung von Dr. Kammerer<br />

war, dass es sich hier wirklich nicht um ein orthopädisches, sondern<br />

neurochirurgisches Problem handle. Er empfehle eine Infiltration C7/<br />

Th1 und in die darunter liegende Facette. Dazu wäre leider eine Überweisung<br />

vom Schmerztherapeuten notwendig. Dieser sollte mich an<br />

eine Adresse vermitteln, an der die Infiltration ordentlich durchgeführt<br />

werden würde.<br />

53. Die Einschätzung meines Funktions-MRTS<br />

Die Frage, ob ich trotz meiner heutigen Vorstellung bei ihm, das von<br />

Prof. Dr. Seiber gewünschte Funktions-MRT anfertigen lassen solle,<br />

beantwortete er mit einem “Ja“. Der nächste Tag war nämlich dafür<br />

160


vorgesehen. Wieder eine lange Anfahrt, wieder warten, wieder Schmerzen.<br />

Dann die Aufnahme. Vier Minuten nach vorne gebeugt, vier Minuten<br />

nach hinten. Dabei unsägliche Schmerzen, die ich nachhaltig<br />

spüren sollte. Wieder Warten. Dann der Ruf meines Namens durch<br />

den Lautsprecher. Der Leiter der Wirbelsäulenchirurgie, Dr. Faust, besah<br />

sich die Aufnahmen. Zunächst erkannte er nichts Auffälliges. Bei<br />

der Aufnahme in der nach hinten geneigten Haltung stoppte er und<br />

konfrontierte mich mit dem Hinweis, zwischen C7/Th1 sei ein “Lücke“<br />

zu erkennen, die auf eine Instabilität der Wirbel hinweise. Darauf<br />

seien meine Schmerzen wahrscheinlich zurückzuführen. Er empfehle<br />

dort eine Infiltration. Sollte sich hier die erwünschte Besserung einstellen,<br />

würde eine Operation unumgänglich sein, um zur Stabilität<br />

beizutragen.<br />

Meine momentanen Schmerzen überlagerten die Nachricht. Das Neigen<br />

nach vorne und nach hinten hatte Schmerzen ausgelöst, mit denen<br />

ich noch Tage später zu kämpfen hatte. Ich merkte, wie sich langsam<br />

der Schock in mir ausbreitete. Ich war erstarrt und wollte es nicht glauben.<br />

Eine dritte Operation, das war eine ziemlich schreckliche Vorstellung<br />

und löste Angst in mir aus. Ich brachte langsam die Frage<br />

heraus, ob da wirklich etwas Sichtbares wäre. Er antwortete sachlich<br />

mit einem „Ja“, bei Kindern wäre das des Öfteren gegeben, seltener<br />

bei Erwachsenen. Sein Kommentar dazu war, ich solle es als Schicksal<br />

betrachten. Alles Nötige müsste ich mit Prof. Dr. Seiber besprechen,<br />

meinem behandelnden Arzt.<br />

Montag darauf der Termin bei Prof. Dr. Seiber: eine Stunde Anfahrt,<br />

drei Stunden Wartezeit, fünf Minuten Gespräch zwischen Patientin<br />

und Arzt. Prof. Dr. Seiber betrat schwungvoll den Raum, blickte auf<br />

den Bildschirm mit den Aufnahmen und meinte: „Na, wurde das Upright-MRT<br />

genehmigt?“ Auf meine Verneinung und meinen Hinweis,<br />

es handle sich hier auf seinem Bildschirm um das von ihm vorgeschlagene<br />

Funktions-MRT, erwiderte er nach kurzem Blick auf die Aufnahmen:<br />

„Hier ist doch alles in Ordnung, prima“. Er ließ mich den<br />

darunter stehenden Befund des Radiologen durchlesen: „Kein patholo-<br />

161


gischer Befund“. Ich entgegnete ihm, sein Kollege hätte mir eine andere<br />

Sichtweise und Darstellung der Dinge gegeben. Prof. Dr. Seiber ließ<br />

sich von mir die auffällige Stelle beschreiben und nach einem weiterem<br />

Blick auf die Aufnahmen auf seinem Bildschirm hörte ich ihn sagen:<br />

„Ja, das könnte er gemeint haben. Je länger ich mir die Stelle betrachte,<br />

kann ich mir vorstellen, dass Dr. Faust diese minimale Auffälligkeit<br />

meinte“. Dieser sei heute leider nicht im Haus. Er schlug vor, dass er<br />

mit ihm Rücksprache halten werde und mich innerhalb weniger Tage<br />

anrufen würde, um über die weitere Auswertung zu sprechen. Dann<br />

zur Verabschiedung der Satz: „Nun sind sie aber froh dass w i r die<br />

Ursache gefunden haben“. “Nein, bin ich nicht“, lautete die Antwort<br />

einer verunsicherten, erstaunten, sowie sehr verärgerten Patientin.<br />

Zusammenfassend stellte ich fest, dass sich die Aussagen von Dr. Kammerer<br />

und Dr. Faust deckten. Ich war mehr als erstaunt und verunsichert,<br />

als mir Prof. Dr. Seiber seine Deutung der Bilder unterbreitete.<br />

Als Patientin sah ich mich in einer diffusen, ratlosen Situation<br />

und wusste nicht, welche Schritte als Nächstes zu gehen wären. Am<br />

Dienstagmorgen suchte ich, wie schon so häufig, meinen Hausarzt Dr.<br />

Renz auf. Ich schilderte ihm meine Eindrücke und die unterschiedliche<br />

Einschätzung dieser zwei Ärzte bezüglich des Funktions-MRTs.<br />

Mit Verwunderung nahm er meinen Bericht auf und riet mir, zunächst<br />

abzuwarten, auf welches Ergebnis sie sich geeinigt hätten.<br />

Am Montag der Besuch bei Dr. Seiber, am Freitag immer noch kein<br />

Anruf oder eine Mail. Das hieß: In der Unsicherheit verweilen, abwarten<br />

und mit meinen Schmerzen klar kommen. Ich stelle fest: Eine<br />

Woche später noch immer keine Rückmeldung bezüglich der unterschiedlichen<br />

Aussagen und Einschätzungen des Funktions-MRTs. Am<br />

darauf folgenden Montag sendete ich Prof. Dr. Seiber eine Nachricht<br />

mit der Erinnerung, er möge mich bitte anrufen und diesbezüglich<br />

Stellung nehmen. Fünf Minuten später die Antwort, er habe es nicht<br />

vergessen, aber Dr. Faust hätte in dieser Woche Urlaub. Seine Bitte, ich<br />

solle ihn am darauf folgenden Montag anrufen.<br />

162


Aus meiner Warteposition heraus betrachtet war ich ziemlich verärgert.<br />

Hätte man mir nicht kurz über diesen Umstand Bescheid geben<br />

können? Stattdessen keine Reaktion, keine Information, weitere Unsicherheit,<br />

weiteres Abwarten. Selbst wenn ich mir vor Augen halte, dass<br />

Prof. Dr. Seiber viel beschäftigt und seine Kompetenz immer gefragt<br />

ist, trotzdem habe ich als Patient an ihn die Erwartung, dass ich nicht<br />

ohne Information im Unklaren gelassen werde.<br />

In den folgenden Tagen versuchte ich, mich mit vielen Sozialkontakten<br />

und Unternehmungen abzulenken, um meinen Kummer zu vergessen.<br />

Ich wusste, dass ich mir zu viel in die Woche gepackt hatte, mein Körper<br />

zeigte mir klar meine Grenzen. Die Folge war erhöhte Schmerzintensität<br />

und Frustration. Wieder eine neue Woche hatte begonnen,<br />

montags nun der wiederholte Versuch, von Prof. Dr. Seiber Auskunft<br />

zu erhalten. Mit Unbehagen wählte ich die Nummer seines Sekretariates.<br />

Es meldete sich eine Frau Viscar, die meine Bitte, mich mit ihm<br />

zu verbinden, nicht erfüllen konnte, da er sich in der Sprechstunde<br />

befand. Ich solle bitte in drei Stunden nochmals Kontakt aufnehmen,<br />

dann hätte ich eine gute Chance ihren Chef zu erreichen. Meine Bitte,<br />

ob er, wenn es sein zeitlicher Rahmen erlauben würde, mich anrufen<br />

könne, wurde von ihr abgelehnt.<br />

Drei Stunden später ein erneuter Versuch. Leider habe Prof. Dr. Seiber<br />

sein Telefon nicht mitgenommen, so die Auskunft am anderen Ende<br />

der Leitung. Nun müsse er mich doch zurückrufen, lautete der abschließende<br />

Kommentar des Gespräches mit einer, wie ich sie wahrnahm,<br />

genervten Sekretärin. Ich musste an diesem Tag in der Schmerzambulanz<br />

vorstellig werden, die zwei Tage später wegen Urlaub für drei<br />

Wochen geschlossen hatte. Ich benötigte Medikamente, neue Termine<br />

für das nächste Quartal, sowie die Überweisung zur Infiltration, sollte<br />

es überhaupt dazu kommen. Momentan stand auf Grund der unterschiedlichen<br />

Aussagen die weitere Vorgehensweise offen. Deshalb<br />

musste ich für alle Fälle Vorkehrungen treffen, um die erforderlichen<br />

Papiere bereit zu haben, sollte ich sie nun doch benötigen.<br />

163


Während ich dort meine Zeit mit Warten verbrachte, ging mir durch<br />

den Kopf, dass ich mich, seit ich meinen “Plan B“ verfolgte, im gleichen<br />

Ärzte-Stress befand wie im vergangenem Jahr. Nahezu jeder Tag<br />

war, meine Gesundheit betreffend, mit irgendwelchen Terminen ausgefüllt.<br />

Ich spürte, dass ich erneut die “Notbremse“ ziehen musste, um<br />

zur Ruhe und Ausgeglichenheit zu kommen. Gleichzeitig aber arbeiteten<br />

meine Gedanken auf Hochtouren, wie eine nahe mögliche Therapie<br />

oder gar Operation sich gestalten würde. Ich hatte in letzter Zeit<br />

viele Inputs und Informationen bekommen, dass ich diese erst einmal<br />

verarbeiten musste.<br />

54. Der Zufall<br />

Ich saß am späten Nachmittag in einer Besprechung, als mein Handy<br />

klingelte. Prof. Dr. Seiber meldete sich und kam gleich zur Sache. Er<br />

habe mit Dr. Faust nun meine Bilder besprochen und das Ergebnis war<br />

folgendes: Es wäre tatsächlich etwas sichtbar, das er übersehen habe. Er<br />

habe immer an meine Schmerzen geglaubt und nun verstehe er noch<br />

besser, dass ich unter starken Schmerzen leide. Meine Frage, ob eine<br />

Operation anstehe, ignorierte er und meinte: „“Vereinbaren Sie bitte<br />

morgen mit Frau Viscar einen Einschubtermin, um alles Weitere zu<br />

besprechen“. Außerdem wolle er mir dann alles in Ruhe erklären. Er<br />

benötige zudem von mir eine exakte Schmerzbeschreibung und das<br />

Anfertigen einer Röntgenaufnahme wäre sinnvoll.<br />

Die Tatsache, dass Prof. Dr. Seiber zugab, bislang die wohl entscheidende<br />

Kleinigkeit, nämlich die mögliche Schmerzursache, auf meiner<br />

Bildgebung übersehen zu haben, stimmte mich versöhnlicher. Sicherlich<br />

benötigt es eine Portion Selbstkritik, dies gegenüber einer Patientin<br />

zuzugeben. Gleich am Morgen des darauf folgenden Tages rief ich in<br />

der Klinik bei Frau Viscar an, um den besprochenen Einschubtermin<br />

bei Prof. Dr. Seiber zu erhalten. Wider Erwarten schnell erhielt ich<br />

dieses Mal bereits in der kommenden Woche in seiner Privatsprech-<br />

164


stunde einen Termin. Vom Besuch meiner Tochter Helene wurde ich<br />

abgelenkt und so sah ich, ich muss es zugeben, neugierig dem Besuch<br />

bei Prof. Dr. Seiber entgegen. Ich war für Dienstag um 10 Uhr bestellt<br />

und musste im Gegensatz zu anderen Tagen keine Wartezeiten in Kauf<br />

nehmen.<br />

Mein Mann Max hatte sich bereit erklärt, mich zu begleiten, und bereits<br />

nach wenigen Minuten bat uns Prof. Dr. Prof. Seiber in sein Büro.<br />

Er versuchte uns nahe zu bringen, dass es ein glücklicher Zufall sei, dass<br />

Dr. Faust über das Funktions- MRT blickte. Er habe es aus einer anderen<br />

Perspektive betrachtet und deshalb anders als er gedeutet. Auf die<br />

Bilder seines Bildschirms blickend erklärte er uns, dass sich zwischen<br />

dem letzten Hals- und dem ersten Brustwirbel zwischen den Dornfortsätzen<br />

beim Vorbeugen ein Zwischenraum von 26 mm ergäbe. Wie<br />

bereits auch Dr. Faust schilderte er uns, dass meine Halswirbelsäule<br />

dadurch kaum eine Stabilität habe und die Gelenke und das Gewebe<br />

in einem permanenten Überdehnungszustand seien. Das Band in<br />

der Wirbelsäule sei kaputt und die Gelenknerven überreizt. Er sei sich<br />

ziemlich sicher, dass hiermit endlich die Ursache meiner Schmerzen<br />

entdeckt und erklärt worden sei. Er empfahl mir um ganz sicher zu<br />

gehen, wie die beiden anderen Ärzte, Dr. Faust und Dr. Kammerer,<br />

eine Facetteninfiltration zwischen die Wirbel. Schlägt die Infiltration<br />

an, sei dies die Bestätigung zum Handeln. In der Konsequenz bedeutete<br />

das eine Operation. Bei dieser würden von hinten Stäbe angebracht<br />

(und verschraubt) werden, um den richtigen Abstand und damit die<br />

nötige Stabilität zu erhalten. Bei diesem dritten Eingriff würde er von<br />

hinten operieren, um das Risiko einer Verletzung der Stimmbänder<br />

auszuschließen. Alles andere wolle er mir zu einem späteren Zeitpunkt<br />

besprechen, wenn es denn zur Operation käme.<br />

Aus dem Arztbrief, den ich zwei Wochen später dazu erhielt, entnehme<br />

ich folgenden Text: „Ich habe der Patientin zu einer Infiltration<br />

geraten. Sollte diese über kurze Zeit eine Beschwerdelinderung bringen<br />

(Facettengelenksinfiltration C7/Th1bds.), dann würden wir dieses<br />

Segment in die Fusion mit einbeziehen, zunächst einmal über den dorsalen<br />

Zugang, ggf. aber auch dorso-ventral“.<br />

165


55. Eine grundlegende Meinungsänderung<br />

Das Warten auf eine Facetteninfiltration dauerte zwei Monate. Ich telefonierte<br />

im gesamten Umkreis die Neuroradiologischen Praxen ab, die<br />

eine solche Maßnahme durchführen. Es gab keine Chance dafür, einen<br />

früheren Termin zu erhalten, zwei Monate also weiterhin Schmerzen,<br />

Tabletten schlucken und Warten. Dazu kam durch den Beginn eines<br />

neuen Quartals die sechzig km lange Fahrt zur Einholung einer Überweisung<br />

für eine derartige Indikation bei meinem Schmerztherapeuten,<br />

sowie die Beschaffung einer Überweisung vom Orthopäden.<br />

Eine Woche später suchten mein Mann und ich Dr. Kammerer auf,<br />

um uns seine Einschätzung und Auswertung des Bildmaterial anzuhören.<br />

Ich erhoffte mir durch dessen Zweitmeinung Klärung bezüglich<br />

der vorgeschlagenen und eventuell erforderlichen Operation zu verschaffen.<br />

Als er das Funktions-MRT sah, war er mehr als erstaunt über<br />

den Sachverhalt. Er bestätigte, dass ein Eingriff dringend erforderlich<br />

wäre. Er empfahl mir sogar, bis zur Operation beim Autofahren meine<br />

Halskrawatte zu tragen, um bei einer eventuellen Erschütterung oder<br />

bei einem Aufprall das Ganze nicht zu verschlimmern. Ansonsten riet<br />

er mir von gebückter Haltung, wie etwa bei Gartenarbeit oder Ähnlichem,<br />

sowie von Tätigkeiten mit überstreckter Haltung ab. Selbst längeres<br />

Sitzen solle ich vermeiden. Dies führte mich nach einigen Tagen,<br />

die stets von äußerst starken Schmerzattacken geprägt waren, zu der<br />

Frage, ob ich nicht gleich einer Operation zustimmen sollte. Worauf<br />

sollte ich eigentlich noch warten? Die Meinungen stimmten überein<br />

und wenn ich die Deutung der Ärzte richtig verstand, musste sowieso<br />

gehandelt werden, um den Abstand zwischen den Dornfortsätzen der<br />

Wirbelsäule nicht noch größer werden zu lassen.<br />

Ganz nebenbei sei erwähnt, dass ich vom Medizinischen Dienst außer<br />

einer Bestätigung, dass mein Widerspruch für das Funktions-MRT bei<br />

der Widerspruchsstelle meiner Krankenkasse zur Bearbeitung vorlag,<br />

keinerlei Rückmeldung oder gar Hoffnung auf Genehmigung erhielt.<br />

166


Ich wurde lediglich um weitere Geduld gebeten. Inzwischen waren<br />

neun Monate seit meiner ersten Beantragung des Upright-MRTs vergangen.<br />

Ich wartete trotz meiner Zweifel dennoch die Infiltration ab, und da<br />

diese mangels anderer Optionen wie immer an der Klinik von Prof.<br />

Dr. Seiber stattfand, hatte ich drei Stunden danach meine Vorstellung<br />

bei ihm, um über deren Wirkung zu berichten. Ich verspürte nach<br />

der Behandlung nur einen geringen Effekt, sprich keine erkenntliche<br />

Besserung. Diese Information gefiel ihm so überhaupt nicht. Er fragte<br />

mich, ob ich denn, bevor die Infiltration durchgeführt wurde, Schmerzen<br />

hatte. Ich versuchte ihm zu erklären, dass ich ohne Schmerztabletten<br />

nicht hätte aus dem Haus gehen wollen und ich meine Schmerzen<br />

durch das Weglassen der Medikation bestimmt nicht freiwillig provozieren<br />

würde. Prof. Dr. Seiber zeigte sich erstaunt, dass ich nicht darüber<br />

informiert worden war, dass eine Infiltration unter akuten Schmerzen<br />

die optimale Voraussetzung böte, um ein optimales Ergebnis zu<br />

erzielen.<br />

Seine Erkenntnis: Sehr viele Patienten-Arzt-Gespräche beruhen auf<br />

Missverständnissen. Er werde künftig seine Patienten auf den Schmerzfaktor<br />

vor einer Infiltration hinweisen. Mein Fazit: eine Wiederholung<br />

der Infiltration unter Schmerzen. Nun sollte ich also zum nächsten<br />

Termin meine Schmerzmedikation weglassen. Das wiederum ist nicht<br />

einfach, da ich nach so langer Zeit abhängig von den Medikamenten<br />

geworden bin und ein einfaches Weglassen sich für mich zu einem<br />

außerordentlich schwierigen Tag gestalten würde.<br />

Ich gebe zu, dass ich ziemlich verärgert über diesen Sachverhalt war.<br />

Hätte man mich darüber wirklich nicht vorher aufklären können? Eine<br />

Infiltration ist wahrlich kein Zuckerlecken, dazu kam noch die Tatsache<br />

- der Kalender zeigte inzwischen Oktober - ein nächster Infiltrationstermin<br />

war frühestens im Januar möglich. Dazu benötigte ich<br />

durch das neue Quartal erneut eine Überweisung vom Schmerztherapeuten.<br />

Diese Tatsache veranlasste in der Folge wohl mein sehr be-<br />

167


stimmtes und hartnäckiges Auftreten. Prof. Dr. Seiber erklärte, er hätte<br />

auf Termine überhaupt keinen Einfluss; ich brachte ich ihn dazu, dass<br />

mich seine Krankenschwester zur Unterstützung an die Terminvergabe<br />

begleitete, bei der ich nach längerem Hin und Her doch noch einen<br />

Einschubtermin zur erneuten Infiltration in der darauf folgenden Woche<br />

erhielt. Prof. Dr. Seiber erklärte uns an diesem Tag zudem, sollte<br />

die nächste Infiltration Wirkung zeigen, würde das im Kehrschluss für<br />

mich einen dritten Eingriff bedeuten. Darüber aber werde er mich bei<br />

meinem nächsten Besuch aufklären. Mein Mann und ich verabschiedeten<br />

uns von ihm, ich hatte ein mulmiges Gefühl.<br />

Eine Woche später selbiges Procedere einer Facetteninfiltration mit<br />

Schmerzen. Danach das wiederholte Aufsuchen der Sprechstunde bei<br />

Prof. Dr. Seiber. Ich hatte den Eindruck, dass er mit Interesse meinen<br />

Schilderungen folgte. Leider konnte ich ihm nichts wesentlich anderes<br />

als bei der vorangegangenen Infiltration berichten. Ich verspürte eine<br />

maximale Besserung von 20 bis 30 %, für meine Begriffe leider nicht<br />

genug, um von einer wesentlichen Verbesserung zu sprechen.<br />

Professor Dr. Seiber allerdings hatte eine andere Meinung dazu. Er betrachtete<br />

es als einen Erfolg. Zwar nicht den, den er sich erhofft hatte,<br />

aber doch groß genug, um zu handeln. Ich hatte mich darauf eingestellt,<br />

dass er nun mit mir über die geplante Operation sprechen würde,<br />

so hatte er es bei meinem letzten Besuch in der vergangenen Woche<br />

in Anwesenheit meines Mannes Max und mir dargestellt. Stattdessen<br />

sprach er nun von einer Vereisung. Mit ihr sehe er eine realistische<br />

Möglichkeit, mir die Schmerzen zu nehmen, ich möge mich bitte dafür<br />

um einen Termin bemühen. Es folgte überhaupt keine Aufklärung<br />

bezüglich einer derartigen Behandlung, nur die sichere und bestimmte<br />

Anmerkung, er wolle nämlich wenn möglich, kein drittes Mal einen<br />

operativen Eingriff an mir vornehmen. Das Risiko einer Stimmbandverletzung<br />

durch Verwachsungen wäre ihm zu hoch.<br />

Heute betrachte ich es im Nachhinein als eine Ablenkung, dass er dem<br />

Gespräch eine andere Wendung gab. Ich vergaß zu erfragen, welche<br />

168


Maßnahmen bezüglich der Instabilität meiner Halswirbelsäule zu unternehmen<br />

wären. Er hatte es eilig und wir verabschiedeten uns. Wie<br />

ist es möglich dass Prof. Dr. Seiber innerhalb einer Woche seine Meinung<br />

über eine anstehende Operation grundlegend änderte? Mit dieser<br />

Frage beschäftigt, vereinbarte ich also einen Termin zur Vereisung,<br />

der zwei Monate später, Ende Januar, stattfinden sollte.<br />

Ich wusste von einer Bekannten, an der eine Vereisung oder „Kryoanalgesie“,<br />

wie sie auch genannt wird, vorgenommen wurde, in etwa,<br />

was auf mich zukommen würde. Trotzdem holte ich mir, zu Hause angekommen,<br />

„Google sei Dank“, die für mich notwendige, detaillierte<br />

Information zum Thema Vereisung ein.<br />

Eine Vereisung kommt in der Schmerztherapie häufig dann zum Einsatz,<br />

wenn andere Methoden keine Verbesserung des Schmerzzustandes<br />

bewirken. Es wird beschrieben, dass sie nicht für jeden Patienten<br />

geeignet ist und es zu einer irreversiblen Schädigung der Nerven, Infektionen<br />

oder gar Einfrierungen der Hautoberfläche kommen kann.<br />

Mittels einer Sonde, die zum betroffenen Nerv geführt wird, wird<br />

komprimiertes Gas von minus 60 bis minus 70 Grad an die entsprechende<br />

Stelle am betroffenen Nerv geleitet. Der Vorgang findet ähnlich<br />

wie eine Infiltration, mit Hilfe einer Computertomographie statt,<br />

um möglichst millimetergenau den Schmerzpunkt zu ermitteln. Ziel<br />

ist es dabei, den Nerv zu betäuben. Sollte eine längere Schmerzfreiheit<br />

erlangt werden, kann dieser Vorgang bei einer eventuellen Regeneration<br />

des Nervs wiederholt werden.<br />

56. Ein neuer Weg<br />

In zwiespältiger Stimmungslage trat ich meinen Heimweg an. Ich war<br />

enttäuscht, irritiert, wütend und voller Fragen und fühlte mich unaufgeklärt<br />

und äußerst ratlos. Dazu kamen mangels Schmerzmittel die<br />

Schmerzattacken.<br />

169


Nach einer gründlichen Information im Internet, benötigte ich den<br />

gesamten Nachmittag, über meine Gedanken und Gefühle nachzudenken.<br />

Dazu kamen etliche Telefonate seitens der Familie und Freunde,<br />

die sich über die zweite Infiltration erkundigen wollten. Jeder, mit<br />

dem ich mich über die vorgeschlagene Vereisung unterhielt, stellte mir<br />

dieselbe Frage: „Was passiert mit deiner Instabilität, sollte die Vereisung<br />

greifen. Sie ist ja dennoch vorhanden?“ Ich merkte, wie ich mich<br />

zunehmend in die Rolle einer hilflosen, zu bedauernden Patientin begab<br />

und mich an Ende des Tages zuletzt selbst bemitleidete. Ich sah an<br />

diesem Abend überhaupt keine Perspektive mehr.<br />

Ausschlaggebend war nicht zuletzt der Anruf meiner Tochter Helene,<br />

der mich wieder in das Hier und Jetzt zurückversetzte. Sie hielt mir<br />

die Konsequenzen nach einer falschen Vorgehensweise vor Augen und<br />

bezog sich auf das Ignorieren meiner Instabilität seitens des Arztes.<br />

In einer schlaflosen Nacht fingen meine Betrachtungen an klarer und<br />

sortierter zu werden. Ich wägte hin und her und stellte dabei fest, dass<br />

mein Vertrauen zu Prof. Dr. Seiber gesunken war. Dies beruhte nicht<br />

zuletzt in der Feststellung, dass er zunächst den übergroßen Abstand<br />

zwischen den Dornfortsätzen übersah und sich nun an eine vielleicht<br />

nötige wichtige Operation nicht mehr heranwagen wollte. Auch fehlte<br />

mir eine patientennahe Erklärung und eine Aufklärung über seine<br />

geplante Vorgehensweise. Obwohl ich Prof. Dr. Seiber mochte und<br />

er, wie mir immer wieder bestätigt wurde, „gute Arbeit“ bei seinen<br />

Operationen leistete, mein Verstand fasste den Entschluss, den Arzt<br />

zu wechseln. Ich konnte in dieser Nacht kein Auge zu tun, bevor ich<br />

mir nicht über meine nächsten Schritte im Klaren war. Gegen vier Uhr<br />

wusste ich, was ich zu tun hatte und konnte endlich einschlafen.<br />

Am nächsten Morgen versuchte ich bereits vor dem Frühstück Kontakt<br />

mit dem Sekretariat von Prof. Lud herzustellen. Prof. Lud genießt<br />

in Fachkreisen hohes Ansehen und war früher an einer renommierten<br />

Klinik tätig. Nach Jahren als anerkannter Wirbelsäulenspezialist eines<br />

bekannten Krankenhauses verließ er dieses. Prof. Lud hat einen ausgezeichneten<br />

Ruf und viele Operationen an der Wirbelsäule, bei denen<br />

170


man zunächst nur wenig Chancen sah, mit großem Erfolg durchgeführt.<br />

Wider Erwarten war es unkompliziert, in einem Gespräch mit seiner<br />

Sekretärin abzuklären, ob es prinzipiell auch mir als Kassenpatient<br />

möglich wäre, von ihm eine Einschätzung über meine Halswirbelsäule<br />

und den damit verbundenen Schmerzen an Hand meines Bildmaterials<br />

zu bekommen. Sie klärte mich über die Vorgehensweise bei Kassenpatienten<br />

auf. Demnach sollte ich ihm alle vorhandenen MRT-Aufnahmen<br />

und Arztberichte zukommen lassen, er würde mir dann in<br />

Form eines Briefes seine Einschätzung und eine von ihm empfohlene<br />

Vorgehensweise mitteilen. Ich packte alle Unterlagen zusammen und<br />

mein Mann Max erklärte sich bereit, am nächsten Tag die benötigten<br />

Aufnahmen und Arztbriefe direkt zum Sekretariat zu bringen.<br />

Ich war erstaunt, als ich bereits nach einer knappen Woche tatsächlich<br />

seine Einschätzung und Empfehlung erhielt, die klar den Rat zu einer<br />

Operation beinhaltete. Dieses Schreiben von Prof. Lud bedeutete<br />

mir sehr viel. Es bestätigte mich in meinem Tun richtig gehandelt zu<br />

haben. Da mir bewusst war, dass eine Operation durch Prof. Lud in<br />

seinem neuen Arbeitsumfeld sehr unwahrscheinlich sein würde, entschloss<br />

ich mich, zusätzlich noch den Rat von Prof. Dr. Glas, dem<br />

Wirbelsäulenspezialisten an der Uniklinik, einzuholen.<br />

Ich hatte mich bei ihm bereits nach meiner ersten Halswirbeloperation<br />

im Oktober 2014 vorgestellt und war damals von dessen eingehender<br />

Untersuchung, seinem Wissen und seiner Gründlichkeit beeindruckt.<br />

Auch bei ihm vereinbarte ich an diesem Morgen einen Termin für seine<br />

Sprechstunde. Im Gegensatz zur Wartezeit auf eine Sprechstunde<br />

bei Prof. Dr. Seiber, die meistens zwei bis drei Monate dauerte, erhielt<br />

ich bei ihm innerhalb von drei Wochen einen Vorstellungstermin. Ich<br />

konnte aufatmen. Die ersten Schritte waren veranlasst und nun hieß<br />

es abwarten bis zur Vorstellung Mitte Oktober bei Professor Dr. Glas.<br />

Als mein Mann und ich bei ihm in der Klinik eintrafen, freuten wir<br />

171


uns nach dem Anmeldeprocedere über ein schnelles Drankommen.<br />

Nach meiner ausführlichen Schilderung meiner Schmerzen stellte er<br />

nüchtern fest, dass er nun ja wohl innerhalb kurzer Zeit der dritte Arzt<br />

wäre, den ich mit meiner Angelegenheit aufsuchte und dessen Beurteilung<br />

ich gerne hätte. Er saß lange und mit viel Zeit schweigend vor<br />

seinem Bildschirm und untersuchte zusätzlich meine Halswirbelsäule,<br />

sowie deren Beweglichkeit.<br />

Danach folgte seine Einschätzung. Prof. Dr. Glas versuchte mir sachlich<br />

zu erklären, dass es sich um einen beträchtlichen Abstand zwischen<br />

den Wirbeln handle. Eine Operation sei mit Sicherheit sinnvoll<br />

und angebracht, da meine Schmerzen wohl auf diese Anschlussinstabilität<br />

zurückzuführen wären. Da keine meiner Infiltrationen bislang<br />

nachhaltigen Erfolg gezeigt hätten, glaube er in meinem Fall nicht an<br />

eine Verbesserung durch die von Prof. Dr. Seiber vorgeschlagene Vereisung.<br />

Es wäre eine vom vorderen Halsbereich durchgeführte Operation<br />

ratsam, da eine Durchtrennung der Halsmuskulatur von hinten<br />

einen sehr langen Muskelaufbau zur Folge hätte. Nur wenn sich bei der<br />

Operation die Instabilität nicht zufriedenstellend beheben ließe, wäre<br />

ein zusätzlicher Eingriff, von hinten vorgenommen, ratsam.<br />

Auf meine Frage, ob er sich vorstellen könne, diese dritte Operation<br />

mit all den verbundenen Gefahren durchzuführen, antwortete er ohne<br />

zu zögern mit einem klaren und sicheren „Ja“. Seine konkrete Vorstellung,<br />

wie er an diesen Eingriff herangehen und wie er ihn vornehmen<br />

würde, vermittelte mir seit langem ein sicheres und gutes Gefühl, auf<br />

das ich mich einlassen konnte. Ich spürte die Gewissheit, dass ich mich<br />

Professor Glas anvertrauen konnte. Ich verließ die Klinik nach der Vereinbarung<br />

eines Operationstermins für Ende November und mit etwas<br />

Optimismus. Allerdings bis zu diesem bevorstehenden Operationstag<br />

wurde ich von Schmerzen und Zweifeln geplagt. Je näher der Termin<br />

auf mich zu kam, stellte ich mir insgeheim immer mehr die Frage, ob<br />

es wirklich die richtige Entscheidung war, die ich für mich getroffen<br />

hatte.<br />

172


Während dieser Wochen verstarb meine Mutter. Ich war dankbar, dass<br />

sie vor meiner Operation gehen durfte. Sie war bereits seit längerem<br />

erkrankt, trotzdem kam ihr Tod zu diesem Zeitpunkt unerwartet. Diese<br />

Situation stellte eine zusätzliche Herausforderung dar, da der Anfahrtsweg<br />

von 300 km für mich schwierig zu bewältigen war. Die mit<br />

der Beerdigung und später mit der Wohnungsauflösung verbundenen<br />

Strapazen belasteten mich zusätzlich zu meiner Trauer.<br />

57. Die dritte Operation<br />

Knapp eine Woche vor der Operation sollte ich freitags zur Blutentnahme,<br />

zur Röntgenuntersuchung, zur stationären Aufnahme, sowie<br />

zum Anästhesie-Aufklärungsgespräch in der Klinik vorstellig werden.<br />

Ich wurde zeitnah von einem zum anderen Raum geschickt und innerhalb<br />

von drei Stunden war das gesamte Aufnahmeprocedere erledigt.<br />

Die kommenden Tage bis zur Operation versuchte ich mit Aktivitäten<br />

und Besuchen auszufüllen, kurzum ich versuchte, das mir Bevorstehende<br />

zu verdrängen. Am Montag, ich war gerade damit beschäftigt<br />

alles Nötige für meinen Krankenhausaufenthalt zusammenzupacken,<br />

erhielt ich einen Anruf, dass sich meine Operation um einen Tag verschieben<br />

würde: ein Notfall müsste mir vorgezogen werden. Dafür<br />

hatte ich natürlich vollstes Verständnis. Für mich bedeutete es noch<br />

einen Tag „Galgenfrist“.<br />

Am Mittwoch, früh am Morgen begleitete mich Max ins Krankenhaus.<br />

Dort kaum angekommen und vorstellig geworden, noch mit der<br />

Gepäcktasche in der Hand, wurde mir wieder Blut abgenommen und<br />

eine CT-Aufnahme angefertigt. An diesem Aufnahmetag waren keine<br />

weiteren Untersuchungen mehr geplant. Es folgte ein Gespräch mit<br />

einer Krankenschwester, die mir verständlich machte, dass heute leider<br />

kein Zimmer für mich auf dieser Station A zur Verfügung stünde. Sie<br />

stellte mir ernsthaft die Frage, ob ich nicht wieder nach Hause fahren<br />

173


und am anderen Morgen um sechs Uhr wieder kommen wolle.<br />

Ich musste nicht lange überlegen, das wollte ich mit Sicherheit nicht.<br />

Für meinen Mann und mich würde das bedeuten, dass wir am Operationstag<br />

um 3:30 Uhr hätten aufstehen müssen, um rechtzeitig wieder<br />

zur Operation zu erscheinen, abgesehen von der Wahrscheinlichkeit,<br />

nicht eingeplante Zeit bei der Anfahrt im morgendlichen Stau verbringen<br />

zu müssen. Wir wurden aufgefordert in den Patientenaufenthaltsraum<br />

zu gehen, bis eine Lösung für mich gefunden sei. Nach dreistündiger<br />

geduldiger Wartezeit, in der wir keinerlei Nachricht bezüglich<br />

meines weiteren Aufenthaltes erhielten, dafür aber jede Menge „durchsichtigen“<br />

Kaffee, beschlossen wir um die Mittagszeit, uns für einige<br />

Stunden dem Krankenhausgeschehen zu entziehen. Wir meldeten uns<br />

ab, um etwas Essbares zu finden und um uns anderweitig als mit Warten<br />

die Zeit zu vertreiben. In einer Pizzeria fanden wir Unterhaltung<br />

und das Gesuchte.<br />

Gegen 15 Uhr wieder auf Station A angekommen, erhielten wir die Information,<br />

dass ich die kommende Nacht auf der darunter liegenden<br />

Station B verbringen müsse. Von dort würde ich am nächsten Morgen<br />

in den Operationssaal abgeholt werden. Nach meinem Aufenthalt auf<br />

der Intensivstation käme ich in ein bereits für mich reserviertes Zimmer<br />

auf Station A. Wir machten uns mit meinem Gepäck also auf<br />

den Weg zur Station B. Hier wurde ich bereits erwartet und bekam<br />

ein Einbettzimmer zugewiesen. Das war für mich ein ausgesprochener<br />

Glücksfall, konnte doch mein Mann Max bei mir bleiben, mir die<br />

Stunden bis zum Abend Gesellschaft leisten und beistehen, ohne dass<br />

dabei eine Mitpatientin gestört wurde.<br />

Ich muss zugeben, ich hatte ziemlich Angst vor diesem dritten Eingriff,<br />

weit mehr als bei den anderen davor. Vielleicht war es der Tatsache<br />

geschuldet, dass ich sehr genau wusste, was auf mich zu kam und was<br />

mich erwartete. Ich war mir der realen Gefahren bewusst, die diese<br />

Operation barg. Insgesamt kann ich die Tage davor und danach für<br />

mich als „Höllentrip“ beschreiben. Alle Gedanken kreisten nur noch<br />

174


um dieses eine Thema und alle Vorstellungen gingen dabei ins Unermessliche.<br />

Ich wusste nach meinem Aufklärungsgespräch, dass ich<br />

danach einen Tag und eine Nacht auf der Intensivstation verbringen<br />

würde. Diese Maßnahme beruhigte mich keineswegs, im Gegenteil.<br />

Als sich mein Mann Max später verabschiedete, stellte ich mir die Frage,<br />

ob und in welchem Zustand ich ihn wohl wieder sehen würde.<br />

Danach verbrachte ich den Abend und die halbe Nacht mit Fernsehen.<br />

Ich stellte den Fernsehapparat so übermäßig laut, dass ich gezwungen<br />

wurde, hinzusehen und hinzuhören. Ich wollte mich damit ablenken<br />

und irgendwie gelang es mir auch, zumindest teilweise. Ein Klopfen an<br />

der Tür, dann vernahm ich Schritte, die auf mein Bett zukamen. Ich<br />

erkannte Professor Glas mit einem seiner Ärzte. Es war 19 Uhr und<br />

ich war erstaunt über sein spätes Erscheinen. Ich hatte nicht mit ihm<br />

gerechnet. Ein kurzes Händeschütteln, ein zwar lächelnder, aber doch<br />

eher interessierter Blick auf meinen Hals und einige knappe Worte bezüglich<br />

meiner Schmerzen, dann die nüchterne Feststellung, wo er das<br />

Skalpell ansetzen wird. Es folgten keine persönlichen Worte, nur eine<br />

Verabschiedung mit dem für mich wahrlich „informativen“ Hinweis,<br />

dass wir uns morgen sehen werden.<br />

Ich verwehrte es mir, über ein distanziertes Arzt-Patienten-Verhältnis<br />

nachzudenken. Denn wie sollte das auch entstehen, wenn gerade mal<br />

nach einer persönlichen Vorstellung bei ihm gleich eine Operation<br />

folgte. Als Gespräch vermag ich diesen kurzen Auftritt des Professors<br />

gar nicht definieren. Was ich ihm wiederum nicht verüble, lag doch<br />

sicher ein äußerst anstrengender und verantwortungsvoller Arbeitstag<br />

hinter ihm. Um mir jegliche Aufregung durch meine sorgenvollen<br />

Gedanken zu vermeiden, widmete ich mich wieder meiner TV-Serie,<br />

die auf Grund der Lautstärke nicht zu überhören war. Später ein weiteres<br />

Klopfen und eine Krankenschwester mit dem Operationshemd<br />

samt Haube in der Hand trat an mein Bett. Sie wies mich freundlich<br />

darauf hin, dass ich mich morgen früh ab 7 Uhr für die OP bereithalten<br />

solle und übergab mir einen Plastikbeutel. Dieser war für die<br />

Aufbewahrung meiner Wertsachen und meines Schrankschlüssels be-<br />

175


stimmt. Den Beutel sollte ich dann beim Abholen meines Bettes der<br />

Krankenschwester übergeben. Sie erklärte mir zudem, wenn ich die<br />

Intensivstation verlassen dürfte würde ich oben auf Station A wieder<br />

meine gesamten persönlichen Sachen in meinem Zimmer vorfinden.<br />

Ich wünschte ihr einen schönen Feierabend und stellte mir vor, wie es<br />

wäre, könnte ich mich drei Tage nach vorne „beamen“ und alles, zumindest<br />

das Schlimmste, wäre überstanden und vorbei. Als mir gegen<br />

ein Uhr endlich die Augen zufielen hatte ich erstaunlicher Weise einen<br />

guten und erholsamen Schlaf.<br />

Es war das Klingeln des Weckers, das mich am nächsten Morgen aus<br />

meinen Träumen riss und mich in das Hier und Jetzt zurückholte. Ich<br />

sah es als gutes Zeichen, dass ich tief geschlafen hatte und begab mich<br />

ins Badezimmer, um mich zu waschen und für die Operation fertig zu<br />

machen. Wieder in meinem Bett erhielt ich einige Anrufe. Einen von<br />

meinem Mann mit aufmunternden, zuversichtlichen Worten; die liebevolle<br />

Teilnahme meiner Tochter lenkte mich zusätzlich ab, und mein<br />

Sohn versuchte mich mit Humor aufzuheitern.<br />

Unsere Kinder hatten sich, wie bereits bei den beiden anderen Operationen,<br />

mit meinem Mann Max abgesprochen, wer wann kommen<br />

und mich besuchen würde. Helene nahm sich Urlaub und reiste am<br />

Donnerstag, dem Operationstag an. Sie quartierte sich für die nächsten<br />

Tage bei einer Freundin ein und versprach mir, mich anschließend<br />

nach der OP in der Intensivstation zu besuchen. Ein Lichtblick an diesem<br />

für mich düsteren Morgen. Am übernächsten Tag besuchte mich<br />

Felix und am Sonntag versammelte sich die gesamte Familie um mein<br />

Bett. Ich schaffte es sogar, trotz meiner Schwäche und meines noch instabilen<br />

Kreislaufs mit ihnen gemeinsam zur Cafeteria zu gehen, bevor<br />

jeder wieder seines Weges gehen musste.<br />

Meine Familie brachte mir positive Energie und durch ihre pure Anwesenheit<br />

schuf sie die Voraussetzung, dass die Tage im Krankenhaus<br />

schnell und abwechslungsreich vergingen. Ich konnte also nach dem<br />

bevorstehenden Eingriff optimistisch in die Welt blicken und war stolz<br />

176


auf meine Familie. Darüber, über meine Familie und wie glücklich ich<br />

bin, sie zu haben, dachte ich nach.<br />

Ich stellte zunehmend fest, dass ich höllische Angst vor dem Eingriff<br />

hatte, die mich fast erschaudern ließ. Gleichzeit war mir bewusst, dass<br />

ich an meiner momentanen Situation nichts ändern konnte. Ich nahm<br />

mir vor, mich voller Vertrauen in die Hände von Prof. Dr. Glas zu begeben<br />

und versuchte mit Atemübungen zu entspannen, als ich in diesem<br />

Moment von einer Krankenschwester aus meinen Gedanken gerissen<br />

wurde. Sie verlangte nach dem Plastikbeutel mit meinen Wertgegenständen<br />

und erzählte mir, dass ich als Zweite auf dem OP-Plan stehen<br />

würde. Es wäre etwa gegen 10 Uhr mit meiner Abholung zu rechnen.<br />

Es war erst 7:30 Uhr, und um irgendwie die Zeit zu überbrücken,<br />

schaltete ich erneut den Fernsehapparat ein. Ich war über mich selbst<br />

erstaunt, dass ich plötzlich so ruhig und gelassen war, obwohl ich in<br />

diesem Krankenhaus nicht mal die sonst vor einem Eingriff übliche<br />

Beruhigungstablette erhalten hatte.<br />

Ich musste wohl eingenickt sein, als ich bereits gegen 9 Uhr mitsamt<br />

dem für die Intensivstation ausgestatteten Kulturbeutel abgeholt wurde.<br />

Es war gut, dass kein längeres Warten vorherging und ich war noch<br />

immer entspannt, als die darüber erstaunten Ärzte meinen Blutdruck<br />

vor der bevorstehenden Anästhesie maßen. Nachdem ich in die sterile<br />

Zone eingeschleust worden war, nahm ich zunächst die kahl ausgestattete<br />

Umgebung mitsamt den benötigten Apparaten und Instrumenten<br />

wahr. Ich empfand es als ziemlich kühl in den Räumen. Einige Ärzte<br />

und Schwestern waren mit den Vorbereitungen der Operation beschäftigt,<br />

da tauchte vor mir kurz das Gesicht von Prof. Dr. Glas auf, der<br />

mit einem anderen Mediziner sein Vorgehen besprach. Er deutete auf<br />

meinen Halsbereich. Es folgte, nachdem mir der sympathische Anästhesist<br />

versprochen hatte gut auf mich aufzupassen, das Legen der<br />

Zugänge und dann, nach einigen tiefen Zügen des Einatmens, endlich<br />

die Narkose.<br />

Das Eintauchen in das Nichts, Dunkelheit, ein bisschen wie ein Auf-<br />

177


lösen seiner selbst ist die Beschreibung, die mir zum Zustand einer<br />

Narkose seitens des Patienten einfällt. Das Aufwachen auch dieses Mal,<br />

wie bereits nach den beiden anderen Eingriffen, in Etappen, langsam<br />

und schrittweise. Die Realisierung, was passiert ist, aus einer Schwere<br />

des Körpers heraus, fordert Kraft, die nicht vorhanden ist. Aus dem<br />

Unterbewussten vernahm ich, dass ich mich auf der Intensivstation<br />

befand.<br />

58. Die Intensivstation<br />

Schlafen, Aufwachen, Wegdämmern, dann ein Fühlen des Schmerzes<br />

im und am Hals. Einschlafen und Aufwachen, dazwischen das Verlangen<br />

nach meiner Brille. Im Moment des Aussprechens das leise und<br />

dankbare Erkennen: „Alles ging gut. Ich bin operiert und kann sprechen,<br />

keine Schädigung meiner Stimmbänder“. Glück im Elend. Das<br />

in diesem Moment Energie raubende Bewegen der Beine und Finger<br />

gab mir die Gewissheit: „Alles ist vorüber, ohne Komplikationen“.<br />

Eine innere Zufriedenheit stellte sich ein.<br />

Nach einem weiteren Wegdämmern erkannte ich einen immer wieder<br />

erscheinenden Krankenpfleger, der in regelmäßigen Abständen<br />

meinen Blutdruck und Puls maß und das Ergebnis mit akribischer<br />

Genauigkeit in einem Papierbogen, am unteren Teil des Bettes befestigt,<br />

notierte. Ganz allmählich tauchte ich aus der Tiefe heraus in die<br />

Gegenwart und vernahm all die Maschinen, sowie das Klagen und die<br />

Nöte meiner Mitpatienten. Ein Arzt erkundigt sich nach meinem Befinden.<br />

Er bemängelte das Fehlen einer Halskrawatte und ordnete diese<br />

umgehend an. Ich nahm die inzwischen angelegte Halskrause mit<br />

ihrer Dicke und Starre wahr.<br />

Aus dem nächsten Einschlummern erwachte ich erst wieder, als ein<br />

zartes Streicheln meine Hände berührte und ich in das Gesicht meiner<br />

Tochter blickte, die mir zulächelte. Es war mir fast, als ginge über<br />

178


mir die Sonne auf. In dieser absolut sterilen Umgebung sog ich ihren<br />

bei der Begrüßung allzu vertrauten Geruch ein. Ja, ich möchte es als<br />

Vertrautheit und Geborgenheit definieren, was ich in dem Moment<br />

empfand. Trotz meiner Schwäche war es mir möglich, wach zu bleiben<br />

und ihre Anwesenheit zu genießen.<br />

Während des Besuchs meiner Tochter Helene erhielten wir Patienten<br />

unser Abendessen, bestehend aus einem Wurstsalat, Frischkäse und<br />

zwei dünnen Scheiben Brot. Ich war froh, dass ich Hilfe seitens meiner<br />

Tochter beanspruchen konnte, war mir doch ein Aufsetzen im Bett<br />

oder gar das Beschmieren eines Brotes unmöglich. Den Wurstsalat<br />

lehnte ich auf Grund des Salz- und Essiggehaltes ab. Überhaupt wundere<br />

ich mich noch heute, dass dies einer im und am Hals frisch Operierten<br />

vorgesetzt wurde. Ich begnügte mich mit den von Helene liebevoll<br />

beschmierten und in Stücke geschnittenen Frischkäsehappen und<br />

ignorierte meinen immer noch vorhandenen Hunger. Als sich meine<br />

Tochter verabschiedet hatte, fielen mir bereits wieder die Augen zu.<br />

Trotzdem konnte ich in dieser Nacht nicht schlafen. Die verschiedenen<br />

Geräte gaben fremde und unterschiedliche Geräusche von sich.<br />

Es gestaltete sich für mich mehr als schwierig, trotz meines frisch operierten<br />

schwachen Zustandes Ruhe zu finden. Zudem machte sich das<br />

zunehmende Hungergefühl bemerkbar. Besondere Unruhe brachte<br />

eine Nachtschwester, die durch ihre hektische Art und ihr ungestümes<br />

Verhalten ständig beim Vorübergehen an meinem Bett anstieß. Ich<br />

empfand das als sehr störend und belästigend. Wir waren vier Patienten,<br />

die in einem engen Raum in einer Reihe liegend, lediglich durch<br />

einen jeweiligen ca.1,20 m hohen Paravent voneinander getrennt waren.<br />

Im hinteren Teil des Raumes, gegenüber meinem Bett, befand sich<br />

ein Materialschrank, zu dem der jeweilige Pfleger oder die jeweilige<br />

Schwester häufig gehen mussten um Kanülen, Binden, Salben, Desinfektionsmittel<br />

oder Ähnliches zu holen.<br />

Ein weiteres Problem war für mich die Situation, dass bedingt durch<br />

die räumliche Nähe, jeder am Geschehen des anderen teilhaben konn-<br />

179


te. Wir konnten uns zwar nicht sehen, dafür aber umso besser hören.<br />

Es kostete mich jedes Mal Überwindung, um eine Bettpfanne zu bitten,<br />

was durch die Vielzahl an Infusionen oft nötig war. Umgekehrt<br />

hörte ich jeden Laut meines Nachbarn und der anderen Patienten.<br />

Diese mangelnde Distanz erlebte ich mehr als unangenehm und so<br />

freute ich mich, als der Zeiger der gegenüber hängenden Uhr endlich<br />

sechs Uhr anzeigte: Damit begann die Übergabe am Morgen und somit<br />

der Schichtwechsel des Pflegepersonals.<br />

Ich hatte Hunger, fühlte mich unausgeschlafen, verschwitzt und wollte<br />

nur noch eines, hoch auf meine Station und auf eine Toilette. Der Tag<br />

begann nach der ärztlichen Übergabe mit dem Waschen. Jedem Patienten<br />

wurden dafür angewärmte Feuchttücher gereicht, mit denen er<br />

sich, soweit möglich, reinigen sollte; Gesäß und Rücken wurden vom<br />

Pfleger gewaschen. Anschließend erhielten wir einen Zahnputzbecher<br />

und eine Schale zum Zähneputzen. Die Morgentoilette endete mit<br />

dem Erhalt eines frischen OP-Hemdes.<br />

Das Frühstück stimmte mich etwas besser gelaunt, konnte ich doch<br />

meinen Hunger stillen und hatte ich die Aussicht, nach der Visite die<br />

Intensivstation verlassen zu dürfen. Im Vergleich zu gestern ging es mir<br />

wesentlich besser und die Welt sah heute für mich wieder etwas bunter<br />

aus. Ich fühlte, bedingt durch die engmaschige Medikamentengabe,<br />

weniger Schmerzen. Nach dem Frühstück kamen nach und nach die<br />

zuständigen Ärzte an die Betten ihrer Patienten, um die Entlassungspapiere<br />

für die Stationen vorzubereiten. Erst wenn diese vorliegen würden,<br />

gäbe es das OK für die Abholung auf die jeweilige Station.<br />

Nachdem nacheinander meine Mitpatienten entlassen und weggebracht<br />

wurden, erschien ein Reinigungstrupp, dessen Aufgabe darin<br />

bestand, mit aus einem Eimer entnommenen Feuchttüchern das Umfeld<br />

zu desinfizieren. Ich verfolgte interessiert das Geschehen. Alles außer<br />

dem Boden wurde mit diesen Tüchern gesäubert. Ich verließ als<br />

Letzte an diesem Vormittag die Intensivstation. Ich wurde von den<br />

Geräten befreit. Es war bereits 12 Uhr, als ich endlich abgeholt wurde.<br />

180


Auf Station A wurde ich in ein Zweibettzimmer gefahren, wo bereits<br />

Helene mit einem wunderbaren Blumenstrauß auf mich wartete. Ein<br />

schöner Empfang.<br />

59. Auf Station „A“<br />

Leider musste ich feststellen, dass sich mein Gepäck samt den Wertsachen<br />

noch immer auf Station B befand und nicht, wie mir zugesagt,<br />

nach oben zur Station A gebracht worden war. Ich klingelte nach<br />

einer Schwester. Ich versuchte ihr zu erklären, dass ich dringend auf<br />

die Toilette müsste, dass sich aber meine Schuhe in meiner hier nicht<br />

vorhandenen Tasche befanden. Sie versprach mir, sich umgehend darum<br />

zu kümmern. Nach 50 Minuten noch immer keine Aussicht auf<br />

meine Sachen, also klingelte ich erneut um Hilfe. Bedingt durch den<br />

Schichtwechsel kam eine andere Krankenschwester, der ich versuchte<br />

meine missliche und vor allem dringliche Lage wieder zu erläutern.<br />

Barfuß wollte ich den Boden des Krankenzimmers auf keinen Fall betreten.<br />

Zudem trug ich noch immer nur mein OP-Hemd und hatte<br />

das zunehmende Verlangen nach meiner eigenen Kleidung. Sie zeigte<br />

Verständnis und bot mir Schuh-Überzieher an, die sie mir fünf Minuten<br />

später brachte. Meine 83-jährige Bettnachbarin lieh mir zudem<br />

ihre Söckchen und so versuchte ich mein erstes Aufstehen und ging<br />

mit Hilfe meiner Tochter zur Nasszelle. Bei einer Kostümprämierung<br />

wäre ich mit diesem Erscheinen mit Sicherheit gekürt worden. Mein<br />

Kreislauf war instabil und ich fühlte mich äußerst schwach. Ich war<br />

froh, als ich wieder mein Bett erreichte. Trotzdem war ich mit mir zufrieden,<br />

das erste Aufstehen war geglückt und damit wieder ein Stück<br />

Selbstständigkeit erreicht.<br />

30 Minuten später erhielt ich von der Stationsschwester die Nachricht,<br />

dass mein Gepäck nicht geholt werden könne, da der gestern zuständige<br />

Pfleger leider versehentlich den Tresorschlüssel mit nach Hause<br />

genommen habe. Sie veranlasse nun auf Grund dessen das Aufbrechen<br />

181


des Kleiderschrankes, es würde aber noch dauern. Die Wertsachen bekäme<br />

ich allerdings erst, wenn der Krankenpfleger und damit auch<br />

der Tresorschlüssel wieder in der Klinik seien. Mit der Bitte, ich solle<br />

mich nicht aufregen, verließ sie den Raum. Ich regte mich auf und<br />

zwar heftig.<br />

Gegen 17 Uhr wurde tatsächlich meine Kleidertasche gebracht. Ich<br />

konnte endlich, mit Unterstützung meiner Tochter, meine eigenen Sachen<br />

anziehen und war im Besitz meiner Schuhe. Jedes Mal, wenn<br />

eine Pflegekraft den Raum betrat, erkundigte ich mich nach meinen<br />

Wertgegenständen, jedoch wusste niemand darüber Bescheid. Eine<br />

Schwester versprach mir allerdings, bis sie heute Nacht nach Hause<br />

ginge hätte ich sie bekommen. Sie werde sich persönlich darum bemühen.<br />

Diese Worte von ihr klangen glaubwürdig. Das beruhigte mich.<br />

Befanden sich doch mein Ehering, mein Handy und mein E-Book in<br />

diesem Plastikbeutel. Abends, es war gegen 21:30 Uhr, öffnete sich die<br />

Türe, und ein Pfleger überreichte mir meinen Beutel mit den Worten:<br />

„Sind Sie die Dame, die ihre persönlichen Gegenstände vermisst? Die<br />

hätten schon längst auf Station A sein sollen, als ich gestern meinen<br />

Dienst beendet habe“. Damit drehte er sich um und verließ das Zimmer.<br />

Keine Entschuldigung, keine „Wiedergutmachungsgeste“, lediglich<br />

ein vorwurfsvoller Blick.<br />

Insgesamt allerdings zeigten sich die Schwestern und Pfleger auf dieser<br />

Station äußerst fürsorglich und hilfsbereit. Obwohl sichtlich im Stress,<br />

sorgten sie für eine positive Atmosphäre. Die medizinische Betreuung<br />

war vorbildlich. Auf Station wurden in regelmäßigen Abständen mein<br />

Blutdruck und Puls gemessen, sowie Blutkontrollen genommen. Es<br />

war mir jederzeit möglich, einen Arzt um Auskunft zu bitten, und<br />

auf meine Fragen erhielt ich verständliche und informative Antworten.<br />

Wurde man zur Röntgenuntersuchung oder zu anderen Behandlungen<br />

geschickt, so war dies nicht mit lästiger Warterei verbunden, sondern<br />

man wurde direkt zur entsprechenden Maßnahme bzw. Abteilung weitergeleitet.<br />

182


Bereits auf der Intensivstation stellte sich mir eine Physiotherapeutin<br />

vor, die während meines gesamten Klinikaufenthaltes für mich zuständig<br />

war. Obwohl mir Physiotherapie für die nächsten drei Monate untersagt<br />

war, gab sie mir dennoch Tipps und übte mit mir beispielsweise<br />

das Treppengehen mit der Halskrawatte. Ohne Anforderung bekam<br />

ich aus hygienischen Gründen eine zweite Halskrause ausgehändigt<br />

und meine Medikamenteneinnahme wurde mit mir besprochen. Bei<br />

der Entlassung erhielt ich zuverlässig meinen Arztbrief, gute Ratschläge,<br />

sowie ein Rezept für meine Medikamente.<br />

Prof. Dr. Glas allerdings bekam ich nur zweimal zu sehen: Am Abend<br />

nach der Operation kam er an mein Bett und sprach mit mir über den<br />

Eingriff. Leider aber war ich so matt und geschwächt, dass ich mich<br />

daran kaum noch erinnern kann. Das einzige, was zu mir durchgedrungen<br />

war, war der Hinweis, dass er die nächsten Tage abwesend<br />

sei, da er sich auf einem Kongress befände. Am Tag meiner Entlassung<br />

erschien er zur Visite, fragte mich, ob ich Schmerzen hätte und erläuterte,<br />

wie ich meine Medikamente reduzieren solle. Des Weiteren bat<br />

er mich, nach zwei Monaten bei ihm vorstellig zu werden.<br />

Über das allgemeine Klinikgeschehen möchte ich nicht weiter berichten.<br />

Es war auch hier der übliche Krankenhausalltag mit all seiner Problematik<br />

und seinen Facetten, die ich aus meinen früheren Klinikaufenthalten<br />

kannte. Trotzdem verließ ich insgesamt gesehen diese Klinik<br />

als zufriedene Patientin.<br />

60. Tage, Wochen, Monate danach<br />

Meine Entlassung war nach fünf Tagen, und wenn ich ehrlich bin,<br />

eindeutig zu früh. Ob sich ein Patient beispielsweise auf Grund der<br />

Narkose schlecht fühlt, ist in den Augen unseres auf Einsparungen<br />

ausgerichtetes Gesundheitssystems nicht von Bedeutung. Ich hatte<br />

Schmerzen, fühlte mich abgeschlagen, kraftlos und sehr müde. Die<br />

183


meiste Zeit des Tages verbrachte ich liegend, abwechselnd zwischen<br />

Bett und Sofa. Erst nach etwa vier Wochen fühlte ich mich etwas kräftiger<br />

und stabiler. Wie nach jedem meiner Eingriffe sollte ich nun für<br />

drei Monate meine Halskrause tragen und das Autofahren war mir<br />

während dieses Zeitraums gänzlich untersagt. Ich stellte mich mental<br />

darauf ein und hatte deshalb bereits im Vorfeld vieles entsprechend<br />

organisiert. Ich wusste um meine Schwachpunkte und wo ich Hilfe<br />

benötigte.<br />

Ich war so glücklich und dankbar, alles komplikationslos überstanden<br />

zu haben, dass ich die Zeit danach, in der das Implantat einwachsen<br />

musste, geduldig hinnahm. Nach zwölf Tagen wurden vom Hausarzt<br />

die Fäden gezogen. Die Narbe heilte schnell und zeigte lediglich an der<br />

Schnittfläche der Haut Rötungen und Verhärtungen. Es verging fast<br />

kein Tag, an dem ich nicht Besuch von Bekannten und Freunden bekam.<br />

Durch deren Anteilnahme hatte ich Abwechslung, und die Wochen<br />

vergingen schnell. Dann endlich stand Weihnachten vor der Tür,<br />

und ich freute mich nach all der Unruhe auf eine ruhige, gemütliche<br />

Zeit mit der Familie.<br />

Alles wäre gut gewesen, hätten sich nicht meine Schmerzen nach wie<br />

vor von einer ziemlich heftigen Seite bemerkbar gemacht. Hinzu kamen<br />

die Schmerzen, die der Eingriff verursachte. Ich stellte mir vor,<br />

langsam und stückchenweise meine Medikamente auszuschleichen.<br />

Jedoch wurde jeder Ansatz, den ich machte, indem ich meine Medikation<br />

verringerte, mit Schmerzen bestraft und scheiterte. Es blieb<br />

bei meiner Medikation und an ein Zurückfahren des Opiates war zu<br />

diesem Zeitpunkt überhaupt nicht zu denken. Noch immer nahm ich<br />

alle sechs Stunden mein Opiat und ein anderes Medikament ein und<br />

ich kam von diesen Tabletten nicht weg. Ich kam zu der Überzeugung,<br />

dass dieser Eingriff zwar die Stabilität meiner Wirbelsäule, jedoch momentan<br />

noch nicht die erwünschte Schmerzreduzierung gebracht hat.<br />

Ich brauchte nach dieser dritten Operation insgesamt länger um mich<br />

zu erholen, ich fühlte mich abgeschlagen und ziemlich müde.<br />

184


Nach acht Wochen wurde ich, wie erwünscht, bei Prof. Dr. Glas vorstellig.<br />

Er betrachtete die angefertigte Röntgenaufnahme und stellte<br />

zufrieden fest, dass das Implantat gut einwachse und sich keine Materiallockerung<br />

zeige. Ich dürfe nun meine Halskrawatte weglassen und<br />

wieder Auto fahren. Die Belastung der Halswirbelsäule z.B. beim Tragen<br />

könne ich nun zunehmend steigern. Physiotherapie und leichte<br />

Massage wären nun einmal wöchentlich angebracht. Zuhause solle ich<br />

zudem mit leichten Stabilisationsübungen der Halswirbelsäule beginnen,<br />

damit sich die Muskulatur langsam aufbauen könne. Das hörte<br />

sich doch mal gut an!<br />

Allerdings riet er mir dringend meine Schmerzmedikamente zu reduzieren.<br />

Ich solle dies langsam angehen, aber mit Konsequenz. Soweit<br />

die Theorie. Praktisch war es mir nicht möglich. Ich erkannte, alleine<br />

konnte ich dies nicht schaffen. Deshalb vereinbarte ich bei meinem<br />

Schmerztherapeuten einen Termin, um mir erneut dessen Rat und<br />

Hilfe einzuholen.<br />

Vom heutigen Standpunkt aus betrachtet, d.h. Monate später, weiß<br />

ich, dass ich mir und meinem Körper Zeit geben muss, um sich zu<br />

regenerieren und um sich von den massiven Eingriffen zu erholen.<br />

Waren es doch drei Operationen innerhalb von drei Jahren, die es zu<br />

verarbeiten galt. Im Nachhinein bin ich Prof. Dr. Glas dankbar, dass<br />

er sich bereit erklärt hatte, diesen dritten, meine Stimmbänder betreffend,<br />

riskanten Eingriff vorzunehmen. Mit meiner gut eingestellten<br />

Medikation kann ich heute vieles machen, was ich vorher nicht konnte.<br />

Es gelingt mir beispielsweise eine Stunde, manchmal sogar länger,<br />

schmerzfrei an einem Tisch zu sitzen oder auch einmal länger als zehn<br />

Minuten ruhig zu stehen. Für mich ein großer Fortschritt! Ich versuche,<br />

mich viel zu bewegen und halte mich an die empfohlenen Übungen<br />

meines Physiotherapeuten. Bewegungen und Haltungen, die zu<br />

Schmerzen führen, versuche ich tunlichst zu vermeiden. Ich versuche<br />

auf meine innere Stimme zu achten, zugegeben, nicht immer einfach.<br />

Geduld mit mir und meiner Krankheit ist, was ich nach wie vor lernen<br />

und wofür ich kämpfen muss. Daran arbeite ich täglich.<br />

185


61. Selbsthilfe<br />

Zwischenzeitlich bin ich in der Schmerzambulanz von meinem<br />

Schmerztherapeuten auf eine gute, akzeptable Medikation eingestellt.<br />

Mit der konstanten Einnahme des Wirkstoffes wird der Medikamentenspiegel<br />

gehalten, der meine Schmerzen merklich verringert. Ich<br />

weiß, dass es mir nach wie vor schwer fällt, meine Medikation zu akzeptieren<br />

und mit ihr zu leben. Ich denke, der Grund dafür ist, dass<br />

eine Akzeptanz dieser Tatsache für mich zum momentanen Zeitpunkt<br />

gleichzusetzen wäre mit einer Resignation. Um mein Denken umzupolen<br />

und die Einnahme lediglich als eine mögliche Therapie der<br />

Schmerzverringerung zu sehen, habe ich mich entschlossen, mir Hilfe<br />

von außen zu holen. Ich habe mich dazu entschieden, eine psychotherapeutische<br />

Schmerzambulanz aufzusuchen. Diese besuche ich nun<br />

einmal wöchentlich und arbeite gezielt an meinem Problem.<br />

Des Weiteren habe ich eine Schmerzgruppe gefunden, die sich im vierwöchigem<br />

Rhythmus trifft. Mir ist bewusst, wie wichtig es ist, ab und<br />

zu unter Menschen zu sein, die ebenso wie ich vom Schmerz betroffen<br />

sind. Bei jedem Treffen wundere ich mich, wie viele Menschen unter<br />

chronischen Schmerzen leiden und staune, wie viel Verzweiflung vorherrscht,<br />

die hier im geschlossenem Rahmen Ausdruck finden kann.<br />

Die Schmerzgruppe bietet einen Platz, an dem wir uns öffnen, ein<br />

Ort, an dem wir unsere Erfahrungen und Informationen austauschen<br />

können. In zusätzlich außerhalb des Gruppenabends organisierten<br />

Veranstaltungen haben Schmerzpatienten zudem die Möglichkeit zum<br />

persönlichen Kennenlernen. Ohne sich für seine Schmerzen rechtfertigen<br />

zu müssen kann jeder an Unternehmungen teilnehmen. Jeder darf<br />

sich so geben wie er kann, jeder wird so akzeptiert, wie er ist. Es gibt<br />

keine Nachfragen, warum sich beispielsweise jemand nicht setzen will,<br />

sich mit der Krücke fortbewegt oder etwa frühzeitig wegen Schmerzen<br />

den Ort des Treffens verlässt. Eine ehrliche Anteilnahme am anderen<br />

und sein Annehmen ist es, was hier ein positives Klima schafft und uns<br />

verbindet.<br />

186


62. Was es bedeutet, Schmerzpatient zu sein<br />

Die Tatsache, eventuell nie mehr Schmerzfreiheit zu erlangen, birgt<br />

etwas Endgültiges in sich. Ich möchte mir nicht bewusst machen und<br />

vorstellen, wie es ist, dauerhaft, bis ans Ende meines Daseins in permanenter<br />

Abhängigkeit von Medikamenten zu leben. Die Auseinandersetzung<br />

mit dieser Realität fällt mir schwer und erfordert einen Prozess,<br />

dem ich mich eigentlich gar nicht aussetzen möchte. Trotzdem ist mir<br />

bewusst, dass dieser notwendig ist, um mich psychisch nicht ständig<br />

damit zu belasten.<br />

Schmerzpatient sein heißt, sich in einer ständigen Berg- und Talfahrt<br />

zu befinden. Es ist ein steter Wechsel von Hoffnung und Enttäuschung.<br />

Geht es etwa an einem Tag etwas besser, folgt der nächste mit Schmerzen<br />

und zerstört den Optimismus von gestern. Ich bewege mich einen<br />

Schritt nach vorne und glaube, eine Besserung durch medikamentöse<br />

Einstellungen, psychotherapeutische Übungen oder einen schmerzreduzierten<br />

Tag zu verspüren. Aber der nächste Schritt geht nach hinten<br />

und heißt Schmerzattacken oder Schmerzen, ohne dass mir eine<br />

spontane Linderung möglich ist. Zudem empfinde ich das andauernde<br />

Kribbeln als große Belastung. Die Redewendung „es ist zum aus der<br />

Haut fahren“ trifft sehr passend zu, um diesen Zustand zu beschreiben.<br />

Es fällt mir nicht immer leicht, gegen meine in manchen Phasen mental<br />

negative Stimmungslage anzukämpfen. Es kostet mich Kraft, die<br />

teilweise, gerade wenn Schmerzattacken gehäuft auftreten, nur noch<br />

in geringem Maße vorhanden ist. Manchmal möchte ich an diesen<br />

„Negativ-Tagen“, wie ich sie insgeheim nenne, keinerlei Kontakt nach<br />

außen, obwohl ich gleichzeitig weiß, dass gerade in diesen Zeiten positive<br />

Impulse und Erlebnisse von großer Wichtigkeit sind, um den<br />

Energiehaushalt wieder aufzutanken. Ich denke, beides hat seine Berechtigung.<br />

Ein Gespür, es zu erkennen und wie damit umzugehen ist,<br />

musste ich für mich erst entwickeln. Ich versuche es mit Schmerzbewältigungsstrategien<br />

(Entspannung, Atemübungen, genussvolle Tätig-<br />

187


keiten, Bewegung, etc. ....) die ich mir im Laufe der letzten zwei Jahre<br />

angeeignet und gelernt habe. Darauf greife ich sozusagen als Notfallplan<br />

zurück. Ich denke bewusst an etwas Schönes, um nicht in ein<br />

totales Stimmungstief zu verfallen.<br />

Ich kämpfe gegen eine depressive Stimmungslage an, um mein Umfeld,<br />

vor allem meine Familie, welche ohnehin Einschränkungen durch<br />

mich erleben muss, damit nicht zu belasten. Ich tue es aber auch für<br />

mich; denn nur, wenn ich mich gegen negative Stimmungseinflüsse<br />

oder eine Depression entscheide und gegen sie ankämpfe, ist es mir<br />

möglich, mich an Kleinigkeiten zu erfreuen. Ich bin in dieser Zeit sensibler<br />

geworden für das kleine, stille Glück. Es belebt positiv meine<br />

Gedanken und bietet mir dadurch wieder neue Kraft. Ich versuche,<br />

mich nicht „hängen“ zu lassen und ein Stück meinen eigenen Alltag<br />

und die Normalität, natürlich nur soweit diese mir möglich ist, zu<br />

leben.<br />

Schmerzpatient zu sein heißt aber auch, durchwachte Nächte zu erleben,<br />

in denen man von Schmerzen geweckt wird und die so heftig<br />

an einem zehren, dass der gesamte Energiehaushalt des Körpers<br />

aufgebraucht wird. An ein Weiter- bzw. Durchschlafen ist dann nicht<br />

zu denken und am anderen Morgen und dem darauf folgenden Tag<br />

fühlt man sich schlapp, müde und kraftlos. Es sieht einem niemand<br />

an, denn der Cocktail an Medikamenten, der täglich geschluckt wird,<br />

putscht einen auf, obwohl man sich innerlich leer wie eine ausgepresste<br />

Zitrone fühlt.<br />

Es gibt Tage, da möchte ich alleine sein, es ist wie eine Trauer, die<br />

mich umgibt. Manchmal bin ich wütend über meine Schmerzen, die<br />

immer präsent sind, ich gestehe mir das zu. Dann hadere ich mit dem<br />

Schicksal „Schmerzpatient“. Ich habe es mir nicht ausgesucht und ich<br />

empfinde es für mich als eine Herausforderung, damit klar zu kommen<br />

und meinen Frieden mit meiner Erkrankung zu schließen. Wenn ich<br />

mir Wut und Traurigkeit darüber zugestehen darf, ist es für mich einfacher,<br />

mich mit ihr auseinanderzusetzen und sie zu ertragen.<br />

188


Spreche ich nach zeitlichen Abständen mit Freunden und Bekannten,<br />

so höre ich immer wieder den Satz: „Ich habe gedacht, dass es dir jetzt<br />

endlich besser geht“. Oft ist es wie ein unterschwelliger Vorwurf, den<br />

ich aus diesen Worten entnehmen muss. Ich antworte dann mit einem<br />

klaren „Nein“ und äußere mich nicht weiter dazu. Eine solche Bemerkung<br />

macht mich still, aber auch einsam. Es ist nicht zu erwarten,<br />

dass es ein Außenstehender versteht. Kann ich es doch selbst nicht<br />

begreifen, warum trotz meiner Operationen und meiner Bemühungen,<br />

einen Heilungserfolg zu erhalten, sich dieser noch immer nicht<br />

eingestellt hat.<br />

63. Was ich aus den vergangenen Monaten<br />

gelernt habe<br />

Die vergangenen drei Jahre veranlassen mich, eine persönliche Rückschau<br />

zu halten. Ich überlege mir, was ich aus diesen Monaten gelernt<br />

und mitgenommen habe. Bei all den negativen Erfahrungen gab es<br />

sicherlich viel Positives, das erwähnenswert ist.<br />

Hätte sich mein Leben weiter in meinem früheren Alltag, Umfeld, sowie<br />

Berufsleben abgespielt und wäre ich nicht erkrankt mit all seinen<br />

Höhen und Tiefen, wäre mir sicherlich nicht in dem Ausmaß bewusst<br />

geworden, wie wichtig für mich die Beziehung zu meinem Mann und<br />

zu meiner Familie ist. Ich durfte von ihnen Liebe, Zusammenhalt und<br />

Geborgenheit erfahren, die sich tief in meinem Herzen eingeprägt haben.<br />

Früher habe ich dies als etwas Selbstverständliches begriffen, heute<br />

weiß ich diese Werte als etwas außerordentlich Wertvolles zu schätzen<br />

und zu bewahren. Bestimmt hätte ich manche Menschen nicht<br />

getroffen, deren Beziehung mir heute sehr viel bedeutet und deren<br />

Lebensgeschichten und die von anderen Patienten nie kennen gelernt.<br />

Durch meine regelmäßigen Rehabilitationsmaßnahmen habe ich den<br />

Zugang und die Einsicht zur Notwendigkeit von sportlichen Aktivi-<br />

189


täten gewonnen, die ich früher überhaupt nicht leiden konnte und<br />

deshalb verweigerte. Heute weiß ich, dass Bewegung eine der Grundlagen<br />

zur Heilung der Wirbelsäulenkrankheiten ist. Meine permanenten<br />

Schmerzen haben mich gelehrt, den Augenblick zu genießen und im<br />

Hier und Jetzt zu leben und nicht mehr alles zu verplanen. Im Gegensatz<br />

zu früher lebe ich heute nicht mehr leistungsorientiert im Sinne<br />

von nachweisbaren, offensichtlichen Ergebnissen und dem Zeitdruck,<br />

unter dem die meisten Berufstätigen leiden.<br />

Ich kann heute erkennen, wo meine Grenzen sind und weiß einzuschätzen,<br />

was ich mir und anderen abverlangen kann. Ich lernte zu<br />

unterscheiden, was mir wichtig ist und was warten kann; diese Abwägung<br />

gelingt mir erst in letzter Zeit. Es bedurfte einer gewissen Auseinandersetzung<br />

und war ein längerer Prozess. Manchmal erkenne ich,<br />

dass ich durch den geringeren Stress und Zeitdruck befähigt werde,<br />

mein Leben anders zu gestalten. Dies empfinde ich als ein Privileg. Es<br />

sind kleine Erfahrungen, Momente, Beobachtungen und Begegnungen,<br />

eigentlich nichts Aufregendes, die meine jetzigen Tage ausfüllen,<br />

bereichern und bunt werden lassen. Diese positiven Gedanken bilden<br />

manchmal für mich die Grundlage, mit meinen Schmerzen besser umgehen<br />

zu können, an ihnen nicht zu verzweifeln und deshalb auch<br />

nicht unzufrieden zu werden.<br />

64. Unser Gesundheitssystem<br />

Ich habe dieses Buch immer aus der Sichtweise und Wahrnehmung von<br />

mir als Patient geschrieben. Ich möchte es nicht unterlassen, sondern<br />

erwähnen, dass ich sehr wohl auch die Perspektive der anderen Seite,<br />

wie etwa die der Ärzte oder des Klinikpersonals verstehe. Ich weiß, und<br />

mir ist völlig bewusst, dass von ihnen häufig Dinge gefordert werden,<br />

die sie an die Grenze ihrer Belastbarkeit bringen. Menschlich gesehen<br />

sind deshalb nicht genaues Zuhören, Oberflächlichkeiten, Unfreundlichkeiten<br />

oder gar Fehler verständlich.<br />

190


Ich möchte aber ganz bewusst auf die Perspektive eines Patienten aufmerksam<br />

machen und aufzeigen, wie viel Zeit, Kraft, Hartnäckigkeit,<br />

Kritik, Geduld und Hinterfragen es benötigt, um als Patient oft ganz<br />

einfache Dinge zu erreichen. Anstelle vieler Beispiele seien hier erwähnt:<br />

Einen spontanen Arzttermin, der nicht vorgeplant ist, als Persönlichkeit<br />

wahrgenommen, sowie wegen einer Krankheit, die nicht<br />

einen normalen Verlauf zeigt, ernst genommen zu werden.<br />

Meine Krankheit hat mir verdeutlicht, wie wichtig es als Patient ist,<br />

sich in den Händen eines guten, vertrauenswürdigen, dem Patienten<br />

zugewandten Hausarztes zu befinden. Ein Arzt, der zuhört, handelt<br />

und entscheidet und zwischen all den Fachärzten koordinieren kann,<br />

ist das, was Patienten benötigen.<br />

Die vielen Monate haben mir des Weiteren gezeigt, wie notwendig es<br />

ist, sich für sich selbst einzusetzen. Nur, nicht jedem Patienten ist dies<br />

möglich: Ich denke da gerade an Menschen, besonders an ältere, die<br />

ein selbstbewusstes Auftreten gegenüber Ärzten nicht gelernt haben.<br />

Sie nehmen Mediziner als dominant wahr, deshalb erfolgt oft eine kritiklose<br />

Hinnahme des Gesagten. Sie trauen sich nicht einen anderen<br />

Weg einzuschlagen oder scheuen sich „Nein“ zu sagen und ihre Zweifel<br />

zu äußern. Muss wirklich ein Kassenpatient auf für ihn wichtige Behandlungen<br />

und Röntgenaufnahmen verzichten, nur weil diese sich<br />

nicht im Leistungskatalog abbilden lassen?<br />

Denke ich an meine Rehabilitationsmaßnahme, so weiß ich, dass<br />

hier große Kosten aufgrund von Maßnahmen entstanden sind, die<br />

eigentlich nicht notwendig gewesen wären. Eine Untersuchung, die<br />

abgelehnt wurde, obwohl sie eventuell dazu beigetragen hätte, eine<br />

Schmerzursache zu finden. So beläuft sich das Angebot über meine<br />

Upright-MRTs auf ca. 700 €, kein Vergleich mit den Kosten für Krankenhausaufenthalte,<br />

Medikamente und Therapien.<br />

Ich könnte endlos weitere Beispiele aufzählen, warum z.B. ein Patient<br />

mit Zahnlücken herum laufen muss, weil er für eine erforderliche<br />

191


Zahnbehandlung die Kosten nicht bezahlen kann. Wie viele Menschen<br />

gibt es, die sich mit einer Sehbehinderungen herum quälen, weil sie<br />

sich keine Sehhilfe bzw. keine andere Brille aus Kostengründen leisten<br />

können? So erfuhr ich beispielsweise kürzlich zu meinem Erstaunen<br />

bei einem erforderlichen Augenarztbesuch, dass allein für das Ausmessen<br />

der Sehstärke für jeden Patienten ein Eigenanteil von 15 € verlangt<br />

wird. Wäre hier nicht auch ein Ansatz für die Grundsicherung der viel<br />

gelobten Lebensqualität zu sehen?<br />

65. Ende<br />

Nun haben wir das Jahr 2017. An dieser Stelle möchte ich einen<br />

Schlusspunkt setzen und darauf hoffen, dass mein Krankheitsverlauf<br />

letztendlich doch noch eine positive, für mich zufriedenstellende Wendung<br />

nimmt. Ich bin eine optimistische, zuversichtlich denkende Person,<br />

die immer ein Ziel benötigt und verfolgt. Mein Ziel heißt „gesund<br />

werden“ mit langsamen, kleinen Fortschritten. Dieses Ziel zu haben,<br />

ist für mich von großer Notwendigkeit und spielt eine große Rolle in<br />

meinem derzeitigen Patientenalltag. Es setzt bei mir positive Impulse,<br />

unterstützt meine Geduld bzw. die Ausdauer gegenüber meiner Krankheit<br />

und gibt meinem Leben Struktur, Halt und einen Sinn. Ich bleibe<br />

somit nicht in einer festgelegten, starren Patientenrolle und diese Haltung<br />

gibt mir die Hoffnung, mich wieder in Richtung eines normalen<br />

Lebens zu bewegen.<br />

Ich werde mich weiterhin für MICH und für meine Belange und Bedürfnisse<br />

als Schmerzpatient einsetzen und nicht aufgeben, nach der<br />

Schmerzursache zu forschen. Ich hoffe, dass ich dazu die nötige Energie<br />

aufbringe und es mir trotz anhaltender Schmerzen gelingen wird,<br />

an meiner Lebensfreude festzuhalten.<br />

192


66. Epilog<br />

Dieses Buch widme ich in Dankbarkeit meinem Mann Max, der mit<br />

mir gemeinsam durch die vergangenen Monate der Schmerzen, durch<br />

alle meine Höhen und Tiefen ging und noch immer geht. Er hat<br />

mich stets unterstützt und begleitet, wo immer es ihm möglich war.<br />

Ohne ihn könnte ich mir die Bewältigung dieser schwierigen Zeit als<br />

Schmerzpatient nicht vorstellen.<br />

Des Weiteren widme ich es meinen Kinder Helene und Felix, die versucht<br />

haben, mir die leidvollen Jahre zu erleichtern und immer Ansprechpartner<br />

für mich waren und weiterhin sind. Dem Zuspruch<br />

meiner Familie ist es zu verdanken, dass dieses Buch überhaupt entstanden<br />

ist.<br />

Ein besonderer Dank geht an meinen Hausarzt Dr. Renz, der immer<br />

für mich und für meine Belange als Patient da war und nie an den von<br />

mir beschriebenen Schmerzen gezweifelt hat. Er sprach mir Mut zu<br />

und gab mir den nötigen Zuspruch, meinen Weg als Schmerzpatient<br />

zu gehen und nicht aufzugeben.<br />

•<br />

Anmerkung: Sämtliche Namen von Ärzten und weiteren Personen,<br />

sowie die Ortsangaben wurden in diesem Buch geändert.<br />

Quellen:<br />

Kribbelparästhesien: Wikepedia https://de.org/wiki/Parästhesie<br />

Myelographie: Patientenaufklärungsbogen/proCompliance/R12, De<br />

Facetteninfiltration: Patientenaufklärungsbogen/proCompliance/<br />

R35/Sk 45, De<br />

193


•<br />

„Der Schatten des Schmerzes<br />

bleibt in meiner Seele.“<br />

•<br />

194


Verlag für Text- und Bildmedien Theodor Gerdon

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