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<strong>Barbara</strong> <strong>Pflüger</strong><br />
Schmerz lass nach!<br />
EIN LEBEN ALS<br />
SCHMERZPATIENT<br />
Verlag für Text- und Bildmedien Theodor Gerdon
Verlagsangaben<br />
Verlag für Text- und Bildmedien Theodor Gerdon<br />
Biberacher Str. 3<br />
88410 Bad Wurzach<br />
Deutschland<br />
Mobil: 0151 40764189<br />
E-Mail: verlag@itandmore.eu<br />
Internet: www.itandmore.eu<br />
• Materialsammlung, Textbearbeitung und Redaktion: <strong>Barbara</strong> <strong>Pflüger</strong><br />
• Lektorat: Christa Wilhelm M.A.<br />
• Design, Layout, Umschlaggestaltung und Satz: Theodor Gerdon<br />
ISBN: 978-3-947150-01-4<br />
1. durchgesehene Auflage 2017<br />
© Verlag für Text- und Bildmedien Theodor Gerdon<br />
Alle Rechte vorbehalten. Alle Rechte stehen unter dem internationalen<br />
Copyright-Gesetz. Inhalt und/oder Umschlag dürfen im Gesamten<br />
oder auszugsweise nur mit ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung<br />
des Herausgebers wiedergegeben werden.<br />
Druck und Bindung: Frick Kreativbüro & Onlinedruckerei e.K.<br />
86381 Krumbach, Deutschland<br />
http://www.online-druck.biz<br />
Printed in Germany
Inhaltsverzeichnis<br />
1. Prolog 9<br />
2. Nackenschmerzen 10<br />
3. Beginn einer Odyssee zu den Ärzten 14<br />
4. Das neue Jahr 2014 18<br />
5. Keine Veränderung 22<br />
6. Maßnahmen vor der Reha 25<br />
7. Meine ambulante Reha 27<br />
8. Vorstellung in der Neurochirurgie 32<br />
9. Meine Familie 36<br />
10. Die Angst vor der Myelographie 38<br />
11. Aufklärungsgespräche 41<br />
12. Der Tag der Operation 43<br />
13. Wieder zu Hause 46<br />
14. Warten 49<br />
15. In der Unfallnotaufnahme 50<br />
16. Telefonate 51<br />
17. Ein erneuter Klinikaufenthalt 52<br />
18. Gedanken zum Klinikalltag 57<br />
19. Folgen der Myelographie 60<br />
20. Besuch beim Schmerztherapeuten 62<br />
21. Zweitmeinungen 65<br />
22. Frau Dr. Schlüter 69<br />
23. Ein guter Anfang - ein enttäuschendes Ende 74
24. Der Beginn des nächsten Jahres 77<br />
25. Das Funktions-MRT 80<br />
26. Mein Aufenthalt in der Schmerztagesklinik 87<br />
27. Erwerbsminderungsrente 91<br />
28. Aussteuerung 94<br />
29. Die Tage bis zur zweiten Operation 96<br />
30. Die stationäre Aufnahme 99<br />
31. Der Abend davor 102<br />
32. Zweite Halswirbeloperation 104<br />
33. Der Tag danach 107<br />
34. Eine neue Bettnachbarin - die türkische Familie 109<br />
35. Die Bitte um ein Arztgespräch 111<br />
36. Erfahrungen eines Morgens 115<br />
37. Postoperative Versorgung 116<br />
38. Schmerzempfinden und Schmerzmedikation 118<br />
39. Ungewollte Perspektiven 121<br />
40. Gedanken, die mich bewegen 126<br />
41. Der Umgang mit Schmerzpatienten 127<br />
42. Eine weitere „zweite Meinung“ 130<br />
43. Die Praxis für rehabilitative und physikalische Medizin 132<br />
44. Positive Nachrichten 134<br />
45. In der Klinik für konservative Orthopädie 137<br />
46. Dr. Berg 139<br />
47. Volle Erwerbsminderungsrente auf Zeit 144<br />
48. Atempause 145
49. Das Upright-MRT 147<br />
50. Plan „B“ 154<br />
51. Rückenmarkstimulation 156<br />
52. Bekanntschaft mit Dr. Kammerer 159<br />
53. Die Einschätzung meines Funktions-MRTS 160<br />
54. Der Zufall 164<br />
55. Eine grundlegende Meinungsänderung 166<br />
56. Ein neuer Weg 169<br />
57. Die dritte Operation 173<br />
58. Die Intensivstation 178<br />
59. Auf Station „A“ 181<br />
60. Tage, Wochen, Monate danach 183<br />
61. Selbsthilfe 186<br />
62. Was es bedeutet, Schmerzpatient zu sein 187<br />
63. Was ich aus den vergangenen Monaten gelernt habe 189<br />
64. Unser Gesundheitssystem 190<br />
65. Ende 192<br />
66. Epilog 193<br />
•
•<br />
Steht dir ein Schmerz bevor,<br />
oder hat er dich bereits ergriffen, so<br />
bedenke, daß du ihn nicht vernichtest,<br />
indem du dich von ihm abwendest!<br />
Sieh‘ ihm fest ins Auge.<br />
Ernst Freiherr von Feuchtersleben<br />
(1806 - 1849), österreichischer Popularphilosoph, Arzt, Lyriker und<br />
Essayist<br />
Quelle: Feuchtersleben, Zur Diätetik der Seele, 1838<br />
•
1. Prolog<br />
Ich schreibe dieses Buch, weil ich seit drei Jahren Schmerzen habe<br />
und fast nichts an Möglichkeiten ausgelassen habe, diese zu bekämpfen<br />
bzw. deren Ursache zu finden. Ich habe während der vergangenen<br />
Monate so viel erlebt, dass ich diese Erfahrungen gerne an andere Patienten<br />
weitergeben möchte. Ich will ihnen Hoffnung machen und sie<br />
ermutigen, nicht aufzugeben.<br />
Ich möchte sie auffordern, sich nicht nur ausschließlich dem Urteil<br />
eines einzigen Arztes auszusetzen und sich zu fügen, sondern diesem<br />
kritisch gegenüberzustehen, nachzufragen und im Bedarfsfall immer<br />
eine zweite Meinung einzuholen. Es entsteht aber auch aus der Tatsache<br />
heraus, dass ich mich nicht mit meinen Schmerzen und Einschränkungen<br />
abfinden kann und nicht möchte, dass dieser Zustand von nun<br />
an mein Leben beeinflussen und bestimmen wird.<br />
Ein weiterer Grund, warum es zum Schreiben dieses Buches kam, ist<br />
die Information der Gesellschaft: Ein Schmerzpatient muss viele steinige<br />
Wege und kleine Schritte gehen, um für Außenstehende kaum<br />
sichtbare Fortschritte bzw. eine wahrnehmbare Besserung zu erlangen.<br />
Die häufig vertretene Meinung: „der Patient hat es schön, weil er über<br />
Monate, manchmal sogar Jahre nicht arbeitet und sein Leben genießen<br />
kann“, täuscht. Für einen chronischen Schmerzpatienten bedeutet<br />
seine Leidenszeit harte Arbeit. Sie ist mit vielen Verzichten und Einschränkungen,<br />
sowie mangelnder Lebensqualität verbunden um sein<br />
Ziel, seine Gesundheit zu erhalten.<br />
Mir ist es ein Anliegen Verständnis zu schaffen, sowie die Öffentlichkeit<br />
sensibler für die Belange von Schmerzpatienten zu machen, denn<br />
hinter jedem Schmerzpatient steckt eine eigene Geschichte.<br />
9
2. Nackenschmerzen<br />
Die Geschichte, die ich erzählen möchte, begann an einem Nachmittag<br />
im Mai 2013. Ich saß gemütlich im Garten meiner Freundin. Sie<br />
hatte sich neue Gartenstühle angeschafft, und wir tauschten uns, wie<br />
so oft, Neuigkeiten der vergangenen Tage aus, als ich während der<br />
Unterhaltung plötzlich ein leichtes Kribbeln, vergleichbar mit einem<br />
Ameisenrennen entlang des Nackens und im Bereich der Wirbelsäule<br />
wahrnahm. Was macht man mit so einer Wahrnehmung? Ich versuchte,<br />
sie zunächst zu ignorieren und besann mich auf unser Gespräch.<br />
Allerdings traten beim Blickkontakt und Fixieren meines Gegenübers<br />
Sehstörungen und ein leichter Schwindel auf. Nach einigen Minuten<br />
war alles wieder wie immer, und so dachte ich mir, dass dies ein<br />
einmaliger Zustand gewesen sei – vielleicht etwas mit dem Kreislauf<br />
– und ich vergaß diese unangenehme Situation. In der Zeit bis Juli<br />
wiederholten sich derartige Missempfindungen, allerdings für andere<br />
sicherlich nicht wahrzunehmen, für mich umso belastender, da sich<br />
die Länge und Intensität der „Ameisenläufe“ steigerte. Hinzu kamen<br />
immer häufiger Sehstörungen, die hauptsächlich beim Fixieren von<br />
Gegenständen, sowie bei direktem Blickkontakt auftraten.<br />
In der Zwischenzeit bekam ich noch zusätzlich starke Nackenbeschwerden<br />
und ziehende Kopfschmerzen im Bereich des Hinterkopfes.<br />
Ich bemerkte, dass sich meine Beschwerden im Sitzen und im Stehen<br />
verstärkten, sich jedoch bei jeglicher Art von schneller Fortbewegung<br />
besserten, bzw. gar nicht erst auftraten. Ein entspanntes Liegen auf<br />
dem Sofa war mir nicht mehr möglich, wenn ich links gelagert eine<br />
bestimmte Haltung annahm.<br />
Ich trage seit meinem vierten Lebensjahr eine Brille und mein Sehvermögen<br />
ist sehr eingeschränkt. In Anbetracht der Sehstörungen suchte<br />
ich deshalb einen Augenarzt auf, der mir eine Brille mit einer anderen<br />
Sehstärke verordnete und meine Schwierigkeiten beim Sehen auf die<br />
zu schwachen Gläser meiner Brille zurückführte. So kam ich zwar un-<br />
10
erwartet zu einer neuen Brille, der erhoffte Effekt des klaren Sehens<br />
beim Fixieren trat jedoch nicht ein. Die Nackenschmerzen steigerten<br />
sich zunehmend, weshalb ich im August zu einem Orthopäden ging,<br />
der mir ein pflanzliches Präparat mit niedriger Dosierung in den Nacken<br />
spritzte und mir zur Wiederholung riet. Vom Schmerz befreit<br />
setzte ich mich erleichtert in ein Cafe, in dem ich mit meinem Mann<br />
verabredet war. Ich genoss den schmerzfreien Glückszustand samt der<br />
bestellten Himbeertorte. Zwei Stunden später ließ die Wirkung des<br />
injizierten Präparates komplett nach.<br />
Nachdem ich dreimal in zweiwöchigen Abständen diese Spritzen erhalten<br />
hatte, bekam ich vom Arzt eine Halskrause verordnet. Er riet<br />
mir, diese mehrere Stunden am Tag zu tragen und mit der Einnahme<br />
von Ibuprofen wären die Schmerzen mit großer Wahrscheinlichkeit<br />
gut in den Griff zu bekommen. Dies war aber leider nicht der Fall - im<br />
Gegenteil - die Schmerzintensität nahm noch weiter zu.<br />
Ich bin von Beruf Erzieherin, arbeitete in einer Kindertagesstätte und<br />
merkte sehr schnell, dass mir einige Tätigkeiten, wie etwa das Sitzen an<br />
kleinen Tischen und auf niedrigen Stühlen, sowie das Stehen auf dem<br />
Spielgelände sehr schwer fielen. Ich könnte hier noch viele Beispiele<br />
anführen, die meine Schmerzen und die Kribbelparästhesien hervorriefen:<br />
beispielsweise beim simplen Stehen auf einer Stelle.<br />
Kribbelparästhesien sind Missempfindungen im Versorgungsgebiet<br />
eines Hautnervs. Sie werden von den Betroffenen meist als Kribbeln<br />
„Ameisenlaufen“, Pelzigkeit, Prickeln oder Jucken beschrieben. Die<br />
Berührungsempfindlichkeit der Haut ist unangenehm. Es kann sogar<br />
ein gestörtes Kälte- und Wärmeempfinden entstehen. Zurückzuführen<br />
sind diese Parästhesien unter anderem auf eine Schädigung sensibler<br />
Bahnen des zentralen Nervensystems.<br />
Für mich trifft das Wort „Ameisenlaufen“ genau zu. Es fühlt sich an,<br />
als wäre eine ganze Ameisenkompanie auf meinem oberen Rückenund<br />
Nackenbereich unterwegs. Ich werde unruhig und selbst „krib-<br />
11
elig“, was für mein Gegenüber oder für meine Mitmenschen häufig<br />
nicht nachvollziehbar und störend ist.<br />
Meine Unruhe äußert sich, indem ich auf meinem Stuhl hin und her<br />
rutsche, mit meiner Hand versuche, meinen Nacken zu massieren oder<br />
mit den Schultern kreise. Manchmal stehe ich einfach spontan auf und<br />
täusche eine Tätigkeit, die erledigt werden muss, vor, nur um mich zu<br />
bewegen. In der Bewegung empfinde ich das Kribbeln nicht so intensiv<br />
als in der Sitzhaltung oder im Stehen.<br />
Das Sitzen ist für mich alles andere als entspannend, da ich hier besonders<br />
diese Missempfindungen spüre. Für mich bedeutet es, wenn<br />
das Verhältnis von Tisch und Stuhl nicht passt, bzw. Stühle keine hohe<br />
Lehne haben, an der ich mich richtig mit dem Rücken oder mit meinem<br />
Schulter-Nackenbereich abstützen und anlehnen kann, dass ich<br />
dann starke Schmerzen habe. Sitzgelegenheiten, deren Sitzfläche und<br />
Lehne sich nach hinten neigen, sind für mich schmerzprovozierend<br />
und darum in meinem Fall überhaupt nicht zu gebrauchen.<br />
Wenn beispielsweise alle in geselliger Runde entspannt um einen Tisch<br />
sitzen, bin ich meistens angespannt und versuche, mich durch das Ausprobieren<br />
unterschiedlicher Haltungen in eine einigermaßen erträgliche<br />
Position zu bringen, um die Zeit irgendwie zu überstehen. Nicht<br />
immer gelingt mir das, und dann wird so ein Beisamensein für mich<br />
zur Qual.<br />
Zu diesem Zeitpunkt wurde vermutet, dass meine hauptsächlich im<br />
Sitzen und Stehen auftretenden Schmerzen und das damit verbundene<br />
Kribbeln wahrscheinlich auf eine Facettenüberbelastung zurückzuführen<br />
seien. Es sei ein Krankheitsbild, dem eine degenerative Erkrankung<br />
und der Wirbelsäule zugrunde liege. Die Ursache können Abnutzungserscheinungen<br />
in den Rückenwirbeln sein.<br />
Im September hatten wir für die gesamte Familie einen Urlaub gebucht.<br />
Da meine beiden Kinder in Berlin und Frankfurt wohnen, und<br />
wir uns als Familie selten sehen, freuten wir uns alle sehr auf diesen<br />
12
Urlaub. Ich wollte die Reise nicht meiner Beschwerden wegen absagen.<br />
So flogen wir zu unserer geplanten Städtetour nach Andalusien. Wir<br />
waren überwiegend zu Fuß unterwegs, dass das Kribbeln (dass inzwischen<br />
stetig andauerte) und meine Schmerzen erstaunlicherweise verringerte.<br />
Beim Beginn dieser Reise hatte ich große Befürchtungen, wie<br />
ich das Vorhaben mit meinem angeschlagenen Gesundheitszustand<br />
bewältigen sollte. Doch ich musste erkennen, dass sich durch die ständige<br />
Fortbewegung mein Allgemeinzustand etwas besserte. Ich hoffte<br />
darauf, dass durch die viele Bewegung nach unserer Rückkehr meine<br />
Schmerzen und das damit verbundene Kribbeln geringer wären.<br />
Aber das Gegenteil trat ein. Kaum zuhause hatte ich einen ähnlichen<br />
Schmerzzustand wie vor der Reise. Zusätzlich machte mich das Ameisenrennen<br />
zusehends unruhiger und die Schmerzen im Nacken und an<br />
der Halswirbelsäule traten zwischenzeitlich auch nachts auf.<br />
So erkundigte ich mich nach einem anderen, auf diesem Fachgebiet<br />
kompetenten und erfahrenen Orthopäden, von dem ich mir Hilfe erhoffte.<br />
Dieser meinte jedoch, ich solle nun über einen Zeitraum von<br />
sechs Wochen Ibuprofen einnehmen und ansonsten könne man ja,<br />
falls dieses nicht wirksam wäre, eine Untersuchung der Halswirbelsäule<br />
anstreben. Aber eigentlich, da ist er sich sicher, sei das unnötig.<br />
Da ich meinen Beruf liebe, versuchte ich meiner Arbeit weiterhin gewissenhaft<br />
nachzugehen, obwohl ich merkte, dass sich währenddessen<br />
mein Zustand, bedingt durch die Haltungen und Positionen, die<br />
dieser erforderte, stets verschlechterte. Im November nahm ich mir<br />
meinen Resturlaub, ich hatte in diesem Jahr nur wenige Urlaubstage<br />
beansprucht, und ich nahm mir vor, in dieser Zeit deswegen meinen<br />
Hausarzt aufzusuchen.<br />
13
3. Beginn einer Odyssee zu den Ärzten<br />
Nachdem auch die sechswöchige Ibuprofen-Therapie nicht angeschlagen<br />
hatte, machte ich mich also auf den Weg zu meinem Hausarzt Dr.<br />
Renz und erläuterte ihm meine Problematik. Ich erklärte ihm, dass<br />
die stetigen Kribbelparästhesien mich in einen totalen Unruhezustand<br />
versetzten. Auch die starken Schmerzen seien inzwischen mein stetiger<br />
Begleiter. Dieser Zustand nehme allmählich einen sehr großen Platz in<br />
meinem Alltag ein und verringere meine Lebensqualität. Dies war das<br />
erste Mal, dass ich die Konsequenzen, die meine Schmerzen nach sich<br />
zogen, in Worte fassen konnte. Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass<br />
ich von einer eingeschränkten Lebensqualität sprach.<br />
Mein Hausarzt vermutete, dass meine Leiden ein von der Halswirbelsäule<br />
verursachtes Problem sein könnten und versuchte mir zu erläutern,<br />
dass es Sinn machen würde, mich - so lange dieser Zustand<br />
sich nicht besserte – arbeitsunfähig schreiben zulassen um alles nicht<br />
noch zu verschlimmern. Er empfahl mir, zusätzlich einen Neurologen<br />
aufzusuchen, der entsprechende Untersuchungen veranlassen könnte,<br />
um herauszufinden, worauf die anhaltenden Beschwerden zurückzuführen<br />
seien. Er ordnete zudem eine seiner Meinung nach notwendige<br />
MRT-Aufnahme an, da nur so eine genaue Diagnose möglich wäre.<br />
Mit einem Medikament gegen das anhaltende Kribbelgefühl, wie gesagt<br />
auch Kribbelparästhesien oder „Ameisenlaufen“ genannt, verabschiedete<br />
ich mich an diesem Tag aus seiner Praxis. Ich meldete mich<br />
bei meinem Arbeitgeber krank und bemühte mich um eine Vorstellung<br />
beim Neurologen und um eine MRT-Aufnahme.<br />
Ich hatte Glück: innerhalb weniger Tage bekam ich die Gelegenheit,<br />
das benötigte MRT anzufertigen zu lassen. Die Aufnahme des MRTs<br />
war für mich äußerst unangenehm, da die Enge im - und die Nähe<br />
zum Gerät - mich in absolute Panik versetzte.<br />
14
Für alle, die so etwas noch nicht hatten: Die Aufgabe des Patienten ist<br />
es, für ca. zwanzig Minuten ruhig dazuliegen und sich nicht zu bewegen.<br />
Man liegt in einer sogenannten Röhre, in der der Abstand nach<br />
oben gefühlte zehn cm hoch ist und man nicht mehr als die Decke<br />
sieht. Da kann man nur die Augen schließen und sich etwas Schönes<br />
vorstellen, wenn einem das gelingt. Hinzu kommt ein hämmerndes<br />
und sehr laut tickendes Geräusch, weshalb man – um es für den<br />
Patienten erträglicher zu gestalten – Kopfhörer aufgesetzt bekommt.<br />
Musik, die er vielleicht gar nicht hören möchte, oder ein rauschender<br />
Radiosender begleiten ihn dann durch die gesamte Zeit der Aufzeichnung.<br />
Während ich also versuchte, ruhig und möglichst unbeweglich dazuliegen,<br />
bemerkte ich, dass ich auf eine Klaustrophobie zusteuerte. Ich<br />
spürte, wie mein Puls schneller schlug und ich hektisch atmete. Der<br />
Schweiß trat mir ins Gesicht. Ich versuchte mich selbst zu beruhigen<br />
und mir nicht die Enge im Gerät bewusst zu machen. Als Ablenkung<br />
stellte ich mir beispielsweise vor, in meinem Bett zu liegen und von<br />
Bauarbeiten (an Stelle des Lärms) gestört zu werden, oder ich dachte<br />
an die Auswahl und Besorgung eines benötigten Geburtstagsgeschenkes.<br />
Nach etwa der Hälfte der Aufnahme dachte ich, jetzt müsse ich<br />
den „Notfallknopf“ drücken, den sie mir, für alle Fälle, vor Beginn zwischen<br />
die Finger gelegt hatten. Gleichzeitig wurde mir aber klar, dass<br />
bei einem Abbruch alles nochmals von vorne beginnen würde, und<br />
diese Vorstellung ließ mich letztendlich durchhalten. Ich war wahrlich<br />
stolz auf mich, als es still wurde und sich endlich die Türe öffnete. Ich<br />
wurde aus der „Röhre“ herausgefahren.<br />
Nach der Aufnahme kam es zu einem für mich zu kurzen und hektischen<br />
Gespräch mit dem Radiologen, der mir rasch vermittelte, er<br />
würde keine Besonderheiten, nur ganz normale degenerative Erscheinungen<br />
an der Halswirbelsäule im Bereich C5/6 (die Bezeichnung der<br />
Wirbel) erkennen. Für mich zunächst ein zufriedenstellendes Ergebnis,<br />
deshalb verließ ich erleichtert diese Praxis.<br />
15
Mit diesem Wissen und mit dem MRT in der Tasche meldete ich mich<br />
bei einer Praxis für Neurologie und Psychotherapie an. Dort bekam ich<br />
sehr schnell innerhalb weniger Tage einen Termin, an dem ich bei Dr.<br />
Gerner, einem sehr sympathischen Arzt, vorstellig wurde.<br />
Ich erzählte ihm von meinen Beschwerden und zeigte ihm meine<br />
MRT-Bilder. Er führte eine gründliche neurologische Untersuchung<br />
durch, und nach eingehender Betrachtung meines Bildmaterials meinte<br />
er, dies sei ein „rein orthopädisches Problem“. Es würde sich auf den<br />
Aufnahmen eine eindeutige Verengung des Wirbelkanals im Bereich<br />
der Halswirbelsäule mit einem wahrscheinlich gewesenen Bandscheibenvorfall<br />
zeigen. Ich sollte zeitnah einen Orthopäden aufsuchen und<br />
ein funktionelles Training künftig in den Vordergrund stellen. Das<br />
Medikament gegen das Kribbeln, das mir Dr. Renz verordnet hatte,<br />
solle ich, wenn ich es gut vertragen würde, weiterhin nehmen, da es bewährt<br />
sei. Zudem riet er mir dringend zu einer Blutuntersuchung, um<br />
eine Borreliose auszuschließen. Zur Sicherstellung wolle er aber noch<br />
eine neurologische Untersuchung durchführen. Ich wurde an Elektroden<br />
angeschlossen und es wurden einige Messungen durchgeführt,<br />
deren Ergebnisse aber alle im normalen Rahmen lagen. Ich war froh<br />
über den Befund des Neurologen, insgesamt hörte sich alles doch recht<br />
zuversichtlich an. Ich blickte gelassen einer Genesung entgegen.<br />
Mit meiner neu erworbenen Kenntnis stellte ich mich wieder bei meinem<br />
Hausarzt vor, der mir zwei Überweisungen an einen Physiotherapeuten<br />
und einen Orthopäden schrieb. Da ich in der nahen Vergangenheit<br />
leider keine positiven Erfahrungen mit Fachärzten in diesem<br />
Bereich hatte, verließ ich mich auf die Empfehlungen verschiedener<br />
Bekannten und vereinbarte einen Termin für Anfang Januar bei Dr.<br />
Hans, Facharzt für Orthopädie und früherer Chefarzt an einem Städtischen<br />
Klinikum.<br />
Inzwischen war es Dezember geworden, Weihnachten stand vor der<br />
Tür und somit auch der Besuch unserer Kinder, auf den ich mich<br />
schon sehr freute. Meine Nächte waren zwischenzeitlich stets, bedingt<br />
16
durch extreme Schmerzen, von Wachphasen geprägt und die Medikamente,<br />
die mir mein Hausarzt Dr. Renz verschrieben hatte, zeigten nur<br />
noch eine gedämpfte Wirkung. Das Kribbeln wurde nun mein täglicher<br />
Begleiter, meine Schmerzen stärker. Es war ein Gefühl, als wäre<br />
mein Kopf zu schwer für die vom Körper vorgesehene „Halterung“.<br />
Vor allem das Sitzen bereitete mir zunehmend Probleme: ich bemerkte<br />
bald, dass eine wesentliche Besserung eintrat, wenn ich meinen Hinterkopf<br />
und den Rücken hinten anlehnte und mit dem Körper Gegendruck<br />
erzeugte. Immerhin eine Erkenntnis: nur gibt es nicht immer<br />
Sitzgelegenheiten, die einem dazu die Voraussetzung bieten, sei es im<br />
Privatem, in der Öffentlichkeit oder im Alltag.<br />
Ich erinnere mich beispielsweise an ein Silvesterkonzert. Mein Mann<br />
und ich freuten uns auf einen schönen Altjahresabend und besorgten<br />
uns Karten für ein Kirchenkonzert. In der Kirche angekommen<br />
stellten wir fest, dass die Plätze in den Bankreihen bereits vollständig<br />
besetzt waren. Wir wurden auf die Empore verwiesen, wo noch einige<br />
freie Stühle standen. Im Nachhinein weiß ich eigentlich nicht, wie<br />
ich diese Veranstaltung überstanden habe. Es waren genau jene Stühle<br />
ohne hohe Lehnen, die Sitzfläche leicht nach hinten geneigt, worauf<br />
sich bei mir das Sitzen immer Schmerz provozierend auswirkt.<br />
Da ich während der gesamten Dauer des Konzertes aus Rücksicht auf<br />
die anderen Konzertteilnehmer nicht aufstehen konnte, litt ich höllische<br />
Qualen. Der Abend war für mich nur noch Plagerei, die Musik<br />
nahm ich kaum mehr wahr. Die Schmerzen dominierten und hielten<br />
auch nach dem Konzert an. Ein ursprünglich netter Silvesterabend endete<br />
somit für mich zuhause auf dem Boden, wo ich versuchte, mir in<br />
irgendeiner angenehmen Lagerung Linderung zu verschaffen.<br />
Der Jahreswechsel verlief eher still und unspektakulär, was sollte mir<br />
auch auf dem Teppich liegend Aufregendes passieren? Vom neuen Jahr<br />
erhoffte ich mir Besserung und eine gute Chancen auf Heilung. Es war<br />
der Beginn des Jahres 2014. Über die Feiertage wurde mir bewusst,<br />
17
dass ich zwischenzeitlich ein erhebliches Maß an Einschränkungen<br />
hatte und das nicht nur ich, sondern auch mein Mann und mein gesamtes<br />
Umfeld. Ich erhoffte mir von dem bevorstehenden Orthopädie-Termin<br />
Hilfe.<br />
Kurz nach meinem Besuch beim Neurologen im November hatte ich<br />
einen guten Physiotherapeuten gefunden, den ich nun regelmäßig<br />
zweimal wöchentlich aufsuchte. Friedrich, der Krankengymnast, nahm<br />
meine Krankengeschichte sehr ernst und versuchte meine Schmerzen<br />
durch Deblockieren und mit Massage und Schlingentisch zu lindern.<br />
Er zeigte mir Übungen, die ich auch zuhause durchführen konnte, und<br />
die ich konsequent jeden Morgen trainierte. Trotz der regelmäßigen<br />
Behandlungen und meinem selbst durchgeführtem Übungsprogramm<br />
verspürte ich nur stundenweise Linderung .Ich merkte allerdings mit<br />
der Zeit, dass der Schwindel und die Kopfschmerzen nachließen und<br />
meine Sehstörungen weniger wurden, ja eigentlich ganz verschwunden<br />
waren. Dafür aber nahmen die Schmerzen im Hals-Nacken-Bereich<br />
zu, und die Kribbelparästhesien wurden immer stärker und intensiver.<br />
Es war, als würde sich alles darauf konzentrieren.<br />
4. Das neue Jahr 2014<br />
Am 6. Januar begab ich mich in die Praxis für Orthopädie. Nach kurzer<br />
Wartezeit betrat ich das Sprechzimmer von Dr. Hans, der mich<br />
freundlich begrüßte. Wie seinen zuvor aufgesuchten Kollegen schilderte<br />
ich auch ihm meine Beschwerden. Er untersuchte mich nicht,<br />
schaute kurz über das mitgebrachte MRT und meinte sehr bestimmt:<br />
das ist die Halswirbelsäule. Dann fing er lachend an festzustellen, dass<br />
die Art, wie ich das Kribbeln beschrieb, sich anhöre, als wären lauter<br />
Maikäfer in meinem Körper unterwegs. Da gäbe es nur eine Lösung:<br />
„Weitermachen mit Physiotherapie und die weitere Einnahme von<br />
Medikamenten“. Allerdings fügte er an, die vom Hausarzt verschriebenen<br />
Tabletten seien ja viel zu stark für mich, er würde diese Dosierung<br />
18
allenfalls einem zwei Zentner schweren Mann geben und verordnete<br />
mir deshalb Tabletten mit einen anderen Wirkstoff. Wenn das Physiotherapie-Rezept<br />
abgearbeitet sei, solle ich wieder bei ihm vorstellig<br />
werden.<br />
Mit zugegeben leichtem Zweifel löste ich mein Rezept für die Tabletten<br />
in der Apotheke ein und begann das neue Jahr, was meine Gesundheit<br />
betraf, leider nicht anders als das alte aufgehört hatte. Da meine<br />
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis Anfang Januar reichte, suchte<br />
ich erneut meinen Hausarzt auf. Ich erklärte ihm, dass die Schmerzen<br />
nach wie vor unverändert blieben und ich eigentlich nur noch das Bedürfnis<br />
hätte, mich den ganzen Tag zu bewegen, damit das Kribbeln<br />
etwas schwächer würde. Er riet mir daraufhin zu einem Reha-Sport-<br />
Programm, das über eineinhalb Jahre dauern sollte, unterstützt von der<br />
Krankenkasse.<br />
Ich möchte an dieser Stelle erwähnen, dass ich seit Oktober zusätzlich<br />
zur Physiotherapie zweimal wöchentlich für eine halbe Stunde zum<br />
Joggen ging. Ich war mit diesem Vorschlag dennoch einverstanden<br />
und meldete mich zu der vorgeschlagenen Maßnahme an. So ging ich,<br />
nach einer Einweisung eines Sporttherapeuten, von Februar bis Mai<br />
regelmäßig zweimal pro Woche zur Reha-Fit-Stunde. Dort zeigte sich<br />
allerdings, dass nicht alle Übungen am Gerät für mich geeignet waren,<br />
einige waren eher Schmerz fördernd als lindernd.<br />
Besonders das Laufband brachte mir Hilfe und so übte ich nach Rücksprache<br />
mit meinem Physiotherapeuten nur an den für mich geeigneten<br />
Geräten. Die Einheiten fanden immer an bestimmten Tagen statt und<br />
es bestand die Pflicht, an den anschließenden Gruppensportstunden<br />
teilzunehmen. Diese waren fast immer mit Partnerübungen verbunden.<br />
Die Einheiten bestanden überwiegend aus Übungen mit ausgestreckten<br />
Armen. Ich bekam bei dieser Haltung jedes Mal Schmerzen,<br />
zusätzlich verstärkte sich das Kribbeln. Also beschloss ich zwar zum<br />
Reha-Sport zu gehen, jedoch bei diesen Übungen auszusetzen. Die<br />
Folge war, dass ich beim Großteil des Kurses den anderen Teilnehmern<br />
19
zuschaute und selbst nicht aktiv mitmachen konnte.<br />
Erinnere ich mich heute an die Zeitspanne von Januar bis Mai 2014,<br />
so war mein gesamter Tagesablauf von Physiotherapie, Joggen und<br />
Reha-Fit-Stunden, sowie Arztbesuchen geprägt. Ich hatte wirklich zu<br />
tun, meinen Tagesablauf zu organisieren, musste ja auch noch die Zeit<br />
für entsprechend notwendige Arztbesuche eingeplant werden. Zusätzlich<br />
ruderte ich zweimal in der Woche für<br />
20 Minuten an einem Rudergerät, da mir diese Bewegungen, das weite<br />
Öffnen und Schließen der Schulterblätter momentane Erleichterung<br />
verschafften. Ich kann es im Nachhinein selbst kaum glauben, dass sich<br />
trotz des hohen Sportpensums insgesamt keine Veränderung meines<br />
Gesundheitszustandes einstellen wollte. Diese Wochen empfand ich<br />
als absoluten Stress.<br />
Immer wenn ich ein neues Rezept zur Physiotherapie benötigte suchte<br />
ich in regelmäßigen Abständen meinen Orthopäden Dr. Hans auf, der<br />
mir bei jedem meiner Besuche hinter seinem Schreibtisch hervorblickend<br />
erklärte, dies sei eine Bandscheibenangelegenheit und es würde<br />
entsprechend sehr lange dauern, bis sich die Schmerzen besserten.<br />
„Weitermachen mit Physio und alles wird schon werden“, so seine<br />
regelmäßige fachliche Beurteilung. Dazu immer wieder ein Lächeln<br />
über die Kribbelparästhesien und der Vergleich mit den krabbelnden<br />
Maikäfern.<br />
Zunächst schenkte ich ihm Glauben, wunderte mich allerdings über<br />
seine immer wiederkehrenden Äußerungen. Man hätte die Besuche<br />
bei ihm austauschen können, sie hatten immer den gleichen Ablauf.<br />
Der Februar verging mit all meinen Aktivitäten, doch es änderte sich<br />
nichts, außer dass ich bemerkte, dass die Frustration zunahm und meine<br />
Zweifel größer wurden.<br />
Ich trug meine angeschlagene Stimmung meinem Hausarzt vor. Ich<br />
bin schon viele Jahre Patientin bei ihm. Er ist sehr bemüht, nimmt sich<br />
stets Zeit und hat immer ein offenes Ohr für mich.<br />
20
Bei ihm fühlte ich mich als Patientin von Anfang an ernst genommen<br />
und beraten. Abgesehen davon, dass er mir zu einer anderen Medikation<br />
riet, schlug er mir zudem vor, eine ambulante Reha zu beantragen,<br />
um dort gezielt auf meine Beschwerden eingehen zu können. Ich<br />
war von dieser Idee begeistert, da es für mich ein neues Ziel, bzw. ein<br />
Stückchen Hoffnung bedeutete.<br />
Die neuen Medikamente schlugen nur bedingt an. Als ich wieder<br />
eine neue Verschreibung für Krankengymnastik benötigte, meinte Dr.<br />
Hans die Tabletten gegen das Kribbeln würden sowieso keine Wirkung<br />
zeigen, weshalb er sie für überflüssig hielt.<br />
Ansonsten war es bei ihm wie immer: keine Untersuchung, kein Blick<br />
auf meine Aufnahmen, ein Lächeln und sein Standardsatz: “Alles benötigt<br />
Zeit“. Die Aussage, dass die Tabletten unnötig seien, bewegte mich<br />
dazu, einen erneuten Termin bei meinem Neurologen zu vereinbaren.<br />
Ich war hin- und hergerissen von den unterschiedlichen Auffassungen<br />
dieser zwei Ärzte, obwohl ich ja selbst die positive Wirkung des Medikaments<br />
spürte. Deshalb wollte ich mich bei Dr. Gerner vergewissern,<br />
ob die Einnahme Sinn machen würde. Dieser beruhigte mich und<br />
meinte, es sei ein sehr bewährtes Medikament für derartige Nervenreizungen<br />
und ermutigte mich sogar zu einer Höherdosierung. Rückwirkend<br />
kann ich seine Aussage bestätigen. Ich nehme dieses Präparat bis<br />
heute täglich ein.<br />
Ich gebe offen zu, dass mein Vertrauen zu Dr. Hans zu schwinden<br />
begann. Aus meinem heutigen Blickwinkel hätte ich schon zu einem<br />
früheren Zeitpunkt einen Arztwechsel vornehmen sollen. Meine lange<br />
Krankheitsphase hat mich gelehrt, dass ich zu einem Arzt, den ich<br />
anzweifle, kein Vertrauen haben kann. Ist das Verhältnis zwischen Arzt<br />
und Patient schlecht, fehlt die Grundlage für ein fruchtbares Zusammenwirken.<br />
Dies aber ist der Schlüssel zu jedem Therapieansatz und<br />
letztendlich zum Heilungserfolg.<br />
21
5. Keine Veränderung<br />
Mein Physiotherapeut Friedrich gab sich alle Mühe und versuchte<br />
es mit immer anderen Behandlungsmethoden. Wir waren uns einig,<br />
meine Beschwerden mussten in einer mechanischen Ursache begründet<br />
sein. Nach wie vor kamen die Schmerzattacken im Sitzen, Stehen<br />
und beim langsamen Gehen. Selbst der Schlingentisch, in dem ich<br />
regelmäßig lag, brachte, so kann ich es heute beurteilen, absolut keine<br />
Erleichterung. Es ging mir hinterher nicht besser als vorher. Friedrich<br />
ermutigte mich, andere Wege zu bedenken, wie etwa die Vorstellung<br />
bei einem Chiropraktiker oder einem Neurochirurgen.<br />
Insgesamt muss ich festzustellen, dass eine Krankheit Geduld und vor<br />
allem Zeit bedeutet, und das musste ich erst erlernen. Ich habe die<br />
Erfahrung gemacht, dass ein Patient anscheinend immer Zeit zu haben<br />
hat, egal ob beim Vereinbaren von Terminen, bei denen man in<br />
einer Telefonschleife Minuten mit Warten verbringen muss, oder mit<br />
immer neuen Versuchen Kontakt mit einer Arztpraxis aufzunehmen,<br />
weil am anderen Ende der Leitung trotz Einhaltung der Sprechzeiten<br />
einfach niemand abnehmen will. Vereinbarte Termine finden dann irgendwann<br />
Wochen später statt. Von überfüllten Wartezimmern und<br />
den damit verbundenen Wartezeiten ganz zu schweigen.<br />
Alles geht seinen Gang, langsam und mäßig. Die Frage ist, ob jeder<br />
Arbeitgeber diese Einstellung teilt. Wobei ich mich absolut nicht beschweren<br />
darf: Ich habe einen sehr geduldigen Arbeitgeber, eine verständnisvolle<br />
Chefin und einfühlsame Kolleginnen, was ich sehr zu<br />
schätzen gelernt habe und wofür ich sehr dankbar bin. Sie erkundigen<br />
sich in gewissen Zeitabständen nach mir und meinem Gesundheitszustand,<br />
lassen mich in ihren Erzählungen an alltäglichen beruflichen<br />
Situationen und Ereignissen teilhaben und versuchen, mich selbst jetzt<br />
nach inzwischen drei Jahren, trotz meiner Abwesenheit stets auf ihre<br />
Art zu integrieren. Das längere „Kranksein“ bedeutet die stetige Entfernung<br />
von bis dahin Alltäglichem. Man entwickelt seinen eigenen<br />
22
Rhythmus und richtet seine Bedürfnisse und das Erledigen von Aufgaben<br />
im Tagesablauf nach dem Befinden seines Körpers aus. Ansonsten<br />
werden die Tage häufig von vorgegebenen Arztterminen bestimmt,<br />
von Physiotherapien oder Rehabilitationsmaßnahmen geprägt.<br />
Diese erwähnten Umstände und die mangelnde Anerkennung im Vergleich<br />
zum Berufsleben sind es, die schnell unzufrieden werden lassen,<br />
und es benötigt eine Menge an Selbstdisziplin, um an sich zu arbeiten,<br />
damit man für das Umfeld nicht „unausstehlich“ wird.<br />
Ich entwickelte in der Zeit meiner Krankheit eine Sensibilität in der<br />
Begegnung mit Menschen, die ich zuvor nicht kannte. Eine nette Begegnung,<br />
ein gutes Gespräch ist mir heute mehr wert und wichtiger als<br />
beispielsweise Einkaufen oder materielle Werte. Ich sehe heute einiges<br />
aus einer anderen Perspektive: Vieles ist für mich nicht mehr selbstverständlich,<br />
wie etwa Erkundigungen von Freunden und Bekannten<br />
nach meinem Befinden oder Hilfe und Unterstützung, die ich nach<br />
inzwischen drei Operationen immer wieder erfahren durfte.<br />
Bei Arztbesuchen bin ich selbstsicherer und selbstbewusster geworden,<br />
und ich habe durchaus zu unterscheiden gelernt, welcher Arzt bzw.<br />
Therapeut ein ehrliches Interesse an mir als Patient hat und wer nur<br />
einfach routinemäßig seinen Job ausübt. Ich bin der Meinung, die<br />
häufig verbreitete Ansicht, Ärzte würden ihren Beruf nur aus Nächstenliebe<br />
ausüben, führt zu einer Verklärung ihres Berufsbildes.<br />
Die ersten Krokusse kündigten den Frühling an, und ich hatte das<br />
Gefühl, mich in einem Hamsterrad zu bewegen. Keine Veränderung,<br />
das Kribbeln und die Schmerzen waren omnipräsent. Ich fühlte mich<br />
allein mit meinen Sorgen und meiner Ratlosigkeit, als sei ich der einzige<br />
Patient, dem dieses widerführe. An diesen Kribbelzustand habe<br />
ich mich bis heute nicht gewöhnen können, es ist etwas Eigenartiges,<br />
Fremdes, etwas, das nicht zu meinem Körper und meinem natürlichen,<br />
normalen Körperempfinden gehört. Dieser Zustand macht mich<br />
unruhig, nervös und unglücklich.<br />
23
Ganz abgesehen von den stetigen Schmerzattacken, die beim Sitzen<br />
und bei anderen ungünstigen Positionen auftreten. Ein entspanntes<br />
Sitzen ist für mich bis heute nicht mehr möglich. Sitzende Tätigkeiten<br />
muss ich nach einigen Minuten unterbrechen, um mich zu bewegen<br />
oder um mich mit dem Rücken an eine Wand zu stellen, um einen<br />
Druckpunkt zur Schmerzlinderung zu erzeugen. Zuhause lege ich<br />
mich des Öfteren auf den Boden, um die Wirbelsäule zu entlasten.<br />
Ich überlege mir noch heute, sei es bei Einladungen, Veranstaltungen<br />
oder anderen Unternehmungen, ob es mir die daraus resultierenden<br />
Schmerzen wert sind, daran teilzunehmen. Ich mache mir beispielsweise<br />
Gedanken darüber, welche Sitzgelegenheiten mir bei einer Einladung<br />
bei Freunden und Bekannten zur Verfügung stehen, wie lange<br />
ich beim Betrachten von Bildern in einer Ausstellung stehen muss oder<br />
ob diese durch mehrere Räume führt. Ich meide Einkaufszentren mit<br />
vielen Regalen und große Hallen, denn selbst langsames Gehen durch<br />
Gänge mit nach hinten geneigtem Kopf löst inzwischen Schmerzattacken<br />
aus.<br />
Anfänglich habe ich mich deshalb zurückgezogen und vor allem soziale<br />
Kontakte gemieden. Heute weiß ich aber, dass gerade diese von<br />
großer Notwendigkeit sind, um nicht in soziale Isolation zu verfallen.<br />
Eine Schmerztherapeutin, von der ich zu einem späteren Zeitpunkt<br />
berichten werde, bestätigte mich darin und ermutigte mich dazu, mein<br />
Handicap als eine ganz normale Krankheit anzusehen, wie etwa ein<br />
gebrochenes Bein. Meine Hilfe sei eben kein Gips, sondern Utensilien,<br />
wie etwa ein Keilkissen, ein aufblasbares Nackenhörnchen oder ein<br />
Tensgerät, die ich benötige, um mir das Sitzen einigermaßen erträglich<br />
zu gestalten. Ich verabredete mich in dieser Zeit häufig mit einer<br />
Bekannten im Schwimmbad. Im Wasser fühle ich mich wohl, da ich<br />
durch die Schwerelosigkeit entspannen kann.<br />
24
6. Maßnahmen vor der Reha<br />
Im März bekam ich einen Brief von meiner Rentenversicherung mit<br />
dem Bescheid, dass meinem Antrag auf eine ambulanten Rehabilitationsmaßnahme<br />
zugestimmt wurde und ich am 9. Mai diese antreten<br />
könne. Vorher allerdings gäbe es eine ärztliche Untersuchung, der Termin<br />
dazu würde mir demnächst mitgeteilt werden. Mit diesem Schreiben<br />
wuchs bei mir die Hoffnung auf Heilung und die Zuversicht auf<br />
Besserung.<br />
Ich ging anlässlich einer Krankengymnastikverordnung, ich weiß nicht<br />
zum wievielten Male, zu Herrn Dr. Hans, meinem Orthopäden. Dieser<br />
zeigte sich plötzlich sehr erstaunt, dass sich insgesamt kein Ansatz einer<br />
Besserung erkennen ließ und die Kribbelparästhesien noch immer vorhanden<br />
waren. Er stellte fest: “Das Kribbeln ist nicht normal“, er könne<br />
dies überhaupt nicht recht zuordnen. “Da muss etwas passieren“!<br />
Sein sonst so süffisantes Lächeln blieb aus und er fügte hinzu: “Dann<br />
muss man Sie halt in die Klinik einweisen“. Er bemerkte außerdem,<br />
er habe alles für mich getan und ein MRT hätte ich ja auch bereits<br />
erhalten. Etwas erstaunt entgegnete ich: “Ich beginne in zwei Wochen<br />
eine ambulante Reha“, worauf er meinte: „Na, dann...ist ja alles in<br />
Ordnung“. Für den Leser möchte ich noch anmerken, dass, außer der<br />
Verschreibung der benötigten Rezepte für Physiotherapie von seiner<br />
Seite aus nichts veranlasst wurde, weder ein informatives Gespräch, die<br />
Beantragung einer Reha, noch die Aufnahme eines MRTS. Abgesehen<br />
davon, dass bisher sein Verhalten nicht zur Verbesserung des Vertrauensverhältnisses<br />
zwischen Arzt und Patient beigetragen hatte und ich<br />
mich schlichtweg als Patient bei ihm nicht ernst genommen fühlte.<br />
Mit diesen Gedanken verabschiedete ich mich von ihm – ich habe ihn<br />
allerdings auch nicht mehr aufgesucht.<br />
Natürlich verließ ich seine Praxis aufgewühlt und mit unguten Gedanken.<br />
Ich suchte spontan meinen Hausarzt auf. Dort berichtete ich<br />
über das Geschehene und wir überlegten nun eine weitere Vorgehens-<br />
25
weise. Der Plan war, zunächst die Reha durchzuführen, und sollte diese<br />
nicht anschlagen, einen Neurochirurgen und Schmerztherapeuten<br />
zu konsultieren. Ich möchte an dieser Stelle kurz erwähnen, dass sich<br />
die Praxis von Dr. Hans in einer Gemeinschaftspraxis befindet, der<br />
Neurochirurgen angegliedert sind. Ich erahnte, dass die Terminvergabe<br />
mit zeitlichem Vorlauf verbunden ist, und deshalb vereinbarte ich prophylaktisch<br />
nach vielen Erkundigungen einen Termin für Juni in einer<br />
Klinik in Süddeutschland mit dem Fachgebiet Wirbelsäulenchirurgie<br />
bei Prof. Dr. Seiber.<br />
Ich hatte dazu vorher einige Informationen über gute Neurochirurgen<br />
eingeholt. Da mein Termin zeitnah, kurz nach Abschluss der Reha angesetzt<br />
war, Prof. Seiber aber aktuelle MRT- Aufnahmen wollte, die<br />
nicht älter als drei Monate sein sollten, ließ ich ein erneutes MRT<br />
anfertigen.<br />
Es gelang mir zwei Tage vor Antritt der Reha auch hierfür noch einen<br />
Termin zu bekommen. Für diese Aufnahme hatte ich schon allein bei<br />
der Vorstellung, in diesem Gerät liegen zu müssen, Panik. Ich weiß<br />
noch, ich kaufte mir unmittelbar zuvor eine Tüte Pfefferminzbonbons,<br />
die ich vorher lutschte. Ich stellte mir vor, ein freies Ein- und Ausatmen<br />
wäre im Gerät dann besser möglich. So mancher mag dieses belächeln,<br />
es half mir jedoch mich darauf vorzubereiten. Wie beim ersten<br />
Mal war der Ablauf der Gleiche, für mich eine halbe Stunde Panik pur.<br />
... hinterher: die totale Erleichterung, fast ein bisschen Stolz, dass ich<br />
alles, ohne es abzubrechen, überstanden hatte. Der Radiologe erkannte<br />
auch diesmal auf der Aufnahme keine Besonderheiten, außer einer<br />
degenerativen Abnützung, wie er feststellte.<br />
Zwei Tage vor Beginn der Reha stellte ich mich bei der Reha-Ärztin<br />
Frau Dr. Gengle vor. Sie hatte einige Fragen zu meiner Krankheit,<br />
und es folgte eine gründliche Untersuchung. Das Hin- und Herbewegen<br />
meines Kopfes mit ihren Händen war mir sehr unangenehm und<br />
schmerzhaft, so dass ich noch nach Tagen die dadurch verursachten<br />
Schmerzen empfand. Sie stellte abschließend fest, es wären bei mir<br />
26
keine wesentlichen Einschränkungen zu sehen und auf der Bildgebung<br />
nichts Auffälliges erkennbar, ihre eigene Wirbelsäule sei in einem<br />
schlechteren Zustand als meine.<br />
7. Meine ambulante Reha<br />
Am Freitag den 9. Mai begann meine ambulante orthopädische Reha.<br />
Ich freute mich darauf und wollte diese mit Engagement und vollem<br />
Einsatz antreten. Nach einer kurzen Einführung folgten für jeden<br />
Teilnehmer bereits die ersten Anwendungen. Alle Neuankömmlinge<br />
bekamen zudem einen Wochenplan, auf dem sie ihre täglichen<br />
Therapieeinheiten ablesen konnten. Meine erste Behandlung war der<br />
Schlingentisch. Man legte mich nach der Begrüßung ohne eine Untersuchung<br />
oder einem vorweg klärenden Gespräch in Bänder bzw.<br />
Schlingen und ließ mich dort für 30 Minuten allein zurück.<br />
Zum Vergleich: Bei meinem Physiotherapeuten ging immer eine Aufwärmung<br />
der Muskulatur durch Massage oder eine Fangopackung voraus,<br />
und er legte Wert auf ein Feedback, wie es mir aktuell erginge.<br />
Die Ausrichtung der Bänder war für mich nicht optimal, was zu einer<br />
anhaltenden Schmerzattacke führte, deren Nachwirkung das gesamte<br />
Wochenende über andauerte. Rückblickend wundert mich das nicht,<br />
da ich mich ja davor mit niemandem, außer beim Aufnahmegespräch<br />
mit der Reha-Ärztin Dr. Gengle, über meine Beschwerden und die bisherigen<br />
physiotherapeutische Maßnahmen unterhalten hatte. Meine<br />
Schmerzproblematik war somit niemand außer ihr bekannt.<br />
An diesem ersten Reha-Tag fand außer einer allgemeinen Einführung<br />
und der physiotherapeutischen Anwendung keine weitere Therapie<br />
statt. Na prima, dachte ich mir, die allererste Therapiemaßnahme der<br />
Reha - - und ich habe zwei Tage Schmerzen! Ich war innerlich hin- und<br />
hergerissen und beschloss, mit meiner Reha-Ärztin darüber zu sprechen.<br />
Am Montag suchte ich Frau Dr. Gengle in ihrer Sprechstunde<br />
27
auf und erklärte ihr zurückhaltend mein Problem. Sie ließ daraufhin<br />
die gesamten Anwendungen im Schlingentisch von meiner Therapieliste<br />
streichen. Insgesamt musste man im Reha-Zentrum täglich sechs<br />
Stunden Aufenthalt nachweisen. Da ich mich für das Selbstfahren entschieden<br />
hatte, konnte ich täglich darüber entscheiden, ob ich früher<br />
begann oder länger blieb, je nach Therapieplan. Andere Patienten wurden<br />
mit einem Bus zu fest vereinbarten Zeiten abgeholt. Ich hatte nur<br />
wenige Kilometer zurückzulegen und so kam mir das Fahren mit dem<br />
eigenen Auto entgegen. Die Therapiezeiten waren täglich vorgegeben,<br />
allerdings umfassten sie wesentlich weniger als sechs Stunden. Insgesamt<br />
gab es in dem für den jeweiligen Tag bestimmten Zeitrahmen oft<br />
Stunden, in denen gar keine Anwendung stattfand.<br />
Mein Tag begann stets auf dem Laufband und der Trainingsfläche mit<br />
Kraftübungen für die Muskulatur. Nach einer Einführung im Umgang<br />
mit den Geräten standen für weitere Fragen immer freundliche<br />
und hilfsbereite Sporttherapeuten zur Verfügung. Daran anschließend<br />
folgten dann entweder Krankengymnastik, Elektrotherapie, Massage,<br />
Fangopackung, Vorträge, Bewegung und Gymnastik in Gruppen, Ergotherapie,<br />
eine computergesteuerte Rücken-Straße, sowie Bewegungsbäder.<br />
Es gab ausreichend Ruheräume, und für das Mittagsessen wurde<br />
gesorgt. Um die Mittagszeit hatten die Patienten die Aufgabe, in einer<br />
zu Beginn ausgehändigten Schmerzskala die momentane Schmerzstärke<br />
einzutragen. Die Physiotherapeutin, die mir später nach dem ersten<br />
Tag für meine Behandlungen zugewiesen wurde, kümmerte sich sehr<br />
engagiert um mich und brachte viele neue Überlegungen und alternative<br />
Therapien in ihre Behandlungen mit ein. Die Auswirkung nach<br />
ihrer Therapiestunde war jedoch leider nicht von anhaltender Dauer<br />
bzw. Nachhaltigkeit.<br />
Die erste Woche meiner Reha hatte ich nachts ziemliche Schmerzen,<br />
so dass meine Nächte mehr aus Wach-, als aus Schlafphasen bestand.<br />
Auch am Tag hatte ich, trotz der täglichen Anwendungen, stärkere<br />
Schmerzen als vor Beginn der Reha. Und so meldete ich mich nach wenigen<br />
Tagen bei Frau Dr. Gengle, der während dieser Zeit für mich zu-<br />
28
ständigen Ärztin, zum Gespräch an. Ich erklärte ihr meinen Schmerzzustand<br />
und bat sie, ein für mich sinnvolles Medikament gegen die<br />
nächtlichen Attacken zu verschreiben. Sie empfing mich unfreundlich<br />
und gab mir zu verstehen, dass die Schmerzen gar nicht so stark sein<br />
können, wie ich es auf der Skala angegeben hatte, da ich keinen sehr<br />
leidenden Eindruck bei ihr erwecken würde.<br />
Nun, vielleicht sollte ich an dieser Stelle anmerken, dass ich, seit ich<br />
diese Krankheit habe, versuche, bewusst selbstdiszipliniert mit mir<br />
umzugehen und ich es mir verbiete, mit einer ständigen Leidensmiene<br />
herumzulaufen um anderen zu signalisieren: „Schaut her, ich habe<br />
Schmerzen!“ Ich versuchte ihr zu vermitteln, dass die mir verschriebenen<br />
Schmerztabletten nach meinem Ermessen zu lange benötigen,<br />
bis die zu erwartende Wirkung einer Schmerzreduzierung eintrat und,<br />
wenn überhaupt, die Dauer der Schmerzfreiheit nur für kurze Zeit<br />
anhielt. Sie gab mir daraufhin Tabletten für die Nacht, fügte aber hinzu,<br />
ich solle diese nur für kurze Zeit nehmen, da es leicht zu einer<br />
Abhängigkeit kommen könne. Sie tauschte das bislang eingestellte<br />
Schmerzmittel gegen das Medikament aus, das ich bereits zu Beginn<br />
meiner Krankheit genommen hatte: Ibuprofen. Es hatte bislang kaum<br />
Wirkung gezeigt, weshalb mein Hausarzt mich dann auf ein anderes<br />
Präparat eingestellt hatte. Die neuen Tabletten für die Nacht brachten<br />
immerhin etwas Erfolg, ich wurde nur noch kurzzeitig wach und<br />
konnte endlich fast wieder schmerzfrei durchschlafen.<br />
Als ordentlicher Patient nahm ich also folgsam Ibuprofen ein und wie<br />
bereits geahnt wirkte es kaum, bzw. nur sehr gering. Nach ca. eineinhalb<br />
Wochen stand laut Therapieplan ein Zwischengespräch bei der<br />
Reha-Ärztin an. Sie empfing mich, wie ich es wahrnahm, wenig begeistert<br />
und mit müdem Blick und meinte, nachdem ich ihr gegenüber<br />
saß und wir ins Gespräch kamen, dass meine Wirbelsäule in einem<br />
besseren Zustand sei als die vieler anderer Reha-Teilnehmer. Nochmals<br />
also die nachhaltige Betonung, andere Patienten hätten auffälligere<br />
Darstellungen und Krankheitsbilder.<br />
29
Ihre Einschätzung erstaunte mich, und ich gab ihr zur Antwort,<br />
dass ich ihr das glaube, aber es leider nichts an meinen bestehenden<br />
Schmerzen ändere. Daraufhin erklärte sie mir, ich hätte ihrer Meinung<br />
nach den Fokus zu sehr auf mich und meine Schmerzen gerichtet, und<br />
deshalb hielt sie „Arbeiten“ für eine gute Möglichkeit, um mich abzulenken.<br />
Es gäbe viele psychosomatische Krankheitsbilder, die sich<br />
ähnlich wie bei mir äußerten. Man muss sich vorstellen - ich saß vor<br />
ihr mit Schmerzen, da der Stuhl für mich, wie meistens beim Sitzen,<br />
ungeeignet war und sich mein Schmerzzustand minütlich verschlimmerte.<br />
Wie so oft in solchen Momenten presste ich die linke Hand in<br />
den linken Schulterbereich. Sie beobachtete mich genau und meinte,<br />
es gäbe Selbsthilfegruppen für psychosomatische Störungen und riet<br />
mir, eine solche nach der Entlassung aufzusuchen. Obwohl ich, wie<br />
gesagt, unter einer starken Schmerzattacke litt, brachte ich die nötige<br />
Energie auf ihr zu widersprechen. Ich äußerte, dass es ja wohl wenig<br />
Sinn machen würde, an einer Gesprächsrunde für psychosomatische<br />
Störungen teilzunehmen, wenn die Ursache an einem mechanischen<br />
Problem läge. Meiner Meinung nach würde irgendetwas gedrückt<br />
werden, das diese heftigen Schmerzen bei entsprechenden Positionen<br />
auslöse. Zudem habe sich die Schmerzintensität seit Beginn der Reha<br />
bislang nur wenig bis gar nicht gebessert und ich würde mich deshalb<br />
weiterhin als arbeitsunfähig einstufen. Die für unser Gespräch vorgesehene<br />
Zeit war zu Ende, und so verabschiedeten wir uns mit diesen<br />
unterschiedlichen Auffassungen.<br />
Bedingt durch einen Feiertag stand ein langes Wochenende an. Die<br />
Schmerzen wurden immer stärker, und so griff ich wieder zu meinem<br />
zwar nur für kurze Zeit wirkenden, aber dafür bewährten Schmerzmittel<br />
und hoffte auf eine Besserung, die sich so gar nicht einstellen<br />
wollte. Am Montagmorgen hielt ich es für notwendig, Frau Dr. Gengle<br />
darüber zu informieren, dass während des langen Wochenendes die<br />
Schmerzqualität und -intensität zugenommen hatte. Sie bat mich in<br />
ihr Sprechzimmer und meinte lächelnd: “Das habe ich mir schon gedacht,<br />
dass Sie heute zu mir kommen und mir so etwas erzählen“.<br />
Worauf ich antwortete: “Ich habe mir überlegt, ob ich überhaupt zu<br />
30
IHNEN kommen soll, aber ich hielt es für notwendig, Sie zu informieren.“<br />
Daraufhin verließ ich den Raum. Da ich während des Reha Aufenthaltes<br />
meinen Hausarzt nicht aufsuchen sollte, nahm ich ab diesem<br />
Moment nur noch Medikamente aus meiner Hausapotheke ein und<br />
zwar die, welche Wirkung zeigten und ich deshalb für angebracht hielt.<br />
Eine Woche, bevor meine Reha zu Ende ging, wurde ich zum sogenannten<br />
Abschlussgespräch eingeladen. Ich bekam wie immer freitags<br />
den Behandlungsplan für die kommende Woche und entnahm daraus,<br />
dass ich am darauffolgenden Mittwoch dafür den Termin hatte.<br />
Zwischenzeitlich überlegte ich mir ernsthaft, ob ein Arztwechsel angebracht<br />
wäre. Nach Unterhaltungen mit anderen Patienten und dem<br />
Austausch mit meinem Mann beschloss ich dennoch, weiterhin Termine<br />
bei Fr. Dr. Gengle wahrzunehmen. Gleich zu Beginn unseres Treffens<br />
teilte sie mir eine einwöchige Verlängerung der Reha-Maßnahme<br />
mit. Eigentlich verlief alles nicht wesentlich anders als bei unseren vorhergehenden<br />
Treffen, unsere „Chemie“ stimmte einfach so überhaupt<br />
nicht, und wir waren weiterhin unterschiedlicher Auffassungen. Sie<br />
erklärte mir, dass sie mich, wenn überhaupt, dann aus psychosomatischen<br />
Gründen arbeitsunfähig schreiben müsse. Ich erwiderte ihr, dass<br />
sie dieses dann tun solle. Wenn sie als Ärztin zu dieser Überzeugung<br />
gekommen sei, müsste ich das akzeptieren. Ich betonte nochmals, dass<br />
ich dennoch die Ursache der Schmerzen allerdings nicht in der Psychosomatik<br />
begründet sähe, wollte aber mit ihr darüber keine Diskussion<br />
mehr führen. Mit nahezu herablassender Miene und einem entsprechenden<br />
Unterton informierte sie mich, sie hätte sich im Internet<br />
schlau gemacht, man könne mich ja nach der Beendigung meiner Reha<br />
nicht so „ins Leere“ laufen lassen. Ich spürte meinen Ärger aufsteigen<br />
und versuchte ihr ruhig zu begegnen. Sie empfahl mir, nicht weit von<br />
meinem Heimatort entfernt, eine psychosomatische Therapiegruppe<br />
aufzusuchen, die sich regelmäßig trifft. Sie verabschiedete mich mit einem<br />
aufgesetzten Lächeln und drückte mir die Adresse der Gruppe in<br />
die Hand. Einerseits erleichtert, andererseits frustriert blickte ich dem<br />
Ende meiner Rehabilitationsmaßnahme entgegen.<br />
31
8. Vorstellung in der Neurochirurgie<br />
In den letzten drei Tagen der Reha lernte ich beim Mittagessen einen<br />
Patienten und eine Patientin kennen, die wie ich Schmerzen und Kribbeln<br />
an der Halswirbelsäule hatten. Ich konnte es überhaupt nicht fassen,<br />
dass es wirklich Patienten gab, die von ähnlichen Beschwerden wie<br />
ich sie empfand, berichteten. Es war für mich das erste Mal in der gesamten<br />
Zeit seit ich mit den Kribbelparästhesien konfrontiert worden<br />
war, dass ich so etwas von Anderen hörte, und ich fühlte mich plötzlich<br />
nicht mehr so ganz allein mit all meinen Sorgen und Befürchtungen.<br />
Sie bestätigten meine Vermutung, dass diese Reha-Einrichtung<br />
sich nicht an Halswirbelsäulen-Patienten orientiere, sondern speziell<br />
auf Patienten mit Erkrankungen an der Brust- und Lendenwirbelsäule<br />
ausgerichtet ist. Dies bestätigte mir zudem eine Sporttherapeutin, die<br />
ich in der Therapiestunde einmal fragte, weshalb alle Rückenpatienten<br />
in der gleichen Gymnastikgruppe zusammengefasst würden. Meine<br />
neuen Bekanntschaften erzählten mir von Erfahrungen mit Neurochirurgen<br />
und Schmerztherapeuten, was mich darin ermutigte, diese wie<br />
geplant als nächsten Schritt aufzusuchen. Ich war froh darüber, bereits<br />
vor Antritt der Reha die dafür nötigen Schritte eingleitet zu haben.<br />
Wenn ich die vergangenen Wochen in der ambulanten Reha gedanklich<br />
an mir vorüberziehen lasse, so kann ich diese sehr schnell zusammenfassen:<br />
Außer der Physiotherapie (mit einer wirklich am Patienten<br />
interessierten Therapeutin), der fast täglichen Massage sowie der Wassergymnastik,<br />
die allerdings nur selten stattfand, hat diese Reha für<br />
mich weder Hilfe noch wesentliche Schmerzlinderung gebracht. Die<br />
Übungen an den Geräten auf der Trainingsfläche hätte ich ebenso in<br />
jedem beliebigen Fitnessstudio oder in einer Praxis für Physiotherapie<br />
durchführen können. Wenn ich die Gesamtkosten für meine Rehabilitationsmaßnahme<br />
betrachte und die wirkliche Effektivität dazu<br />
im Verhältnis sehe, kann ich nur den Kopf schütteln und an unser<br />
Gesundheitssystem appellieren. Bestimmt wären Alternativen wie beispielsweise<br />
eine dreiwöchige tägliche Physiotherapie in einer Praxis, für<br />
32
sehr eingeschränkte Patienten auch von zuhause aus, sinnvoller und<br />
angebrachter, als beispielsweise Stunden, die vom Reha-Träger bezahlt<br />
werden müssen und die mit Warten verbracht werden, weil der Reha-<br />
Plan nur teilweise mit Therapien und Anwendungen ausgefüllt ist. An<br />
manchen Tagen hatte ich lediglich zwei bis drei Anwendungen von<br />
vierzig Minuten, den Rest verbrachte ich mit Warten, oder wie es in<br />
der Einrichtung genannt wird mit „Ruhen,“ um meinen sechsstündigen<br />
Aufenthalt auszufüllen. Genauso gut hätte ich auch nach Hause<br />
gehen können. Ganz nebenbei, an den zeitlichen Aufwand von der<br />
Ausstellung des Antrags bis hin zur Genehmigung mag ich gar nicht<br />
erst denken. Ich bin mir aus Unterhaltungen mit anderen Patienten<br />
sicher, dass ich nicht alleine diesen Standpunkt vertrete.<br />
Die Reha endete freitags vor Pfingsten. Da während einer Rehabilitationsmaßnahme<br />
nicht der Hausarzt, sondern ausschließlich der Reha<br />
- Arzt Ansprechpartner für die Patienten ist, so gibt es die Rentenversicherung<br />
vor, ging ich am Dienstag zu meinem Hausarzt Dr. Renz.<br />
Ich berichtete ihm von meiner Reha und bat um Einsicht in den vorläufigen<br />
Arztbrief. Wir besprachen noch die nötige Medikation, die ja<br />
zwischenzeitlich abermals geändert worden war, und so sah ich dem<br />
16.Juni entgegen, meinem Besuch bei einem Neurochirurgen.<br />
Seit geraumer Zeit spürte ich auch in den Fingern der rechten Hand<br />
ein ständiges Kribbeln und ein Taubheitsgefühl. Immer häufiger fielen<br />
mir aus für mich unerklärlichen Gründen Gegenstände aus der Hand<br />
und ich bemerkte, dass meine Feinmotorik nachließ. Streckte ich mein<br />
Arme aus, so fing die rechte Hand mitsamt den Fingern an zu kribbeln.<br />
Manche Tätigkeiten fallen mir bis zum heutigen Tag sehr schwer,<br />
wie z.B. das Halten einer Nadel, oder das Föhnen meiner Haare. Telefonieren<br />
ist nur noch mit Lautsprecher möglich, selbst beim Bügeln<br />
treten manchmal diese Beschwerden auf. Diese Tatsache bereitete mir<br />
zunehmend Sorgen. Ich organisierte eine Überweisung von Dr. Hans<br />
für das Klinikum, in dem der Neurochirurg arbeitete, den ich vorhatte<br />
aufzusuchen.<br />
33
Vierzehn Tage später saß ich im Warteraum der Klinik von Prof. Dr.<br />
Seiber. Mein Mann und ich waren erstaunt, wie viele verzweifelten<br />
Patienten mit ihren Beschwerden und den damit verbundenen Nöten<br />
diese Klinik aufsuchten und hofften nun bei der heutigen Vorstellung<br />
bei Prof. Dr. Seiber selbst auf Hilfe. Wir warteten insgesamt drei Stunden<br />
bis ich aufgerufen wurde. Ich war dankbar, dass mein Mann mich<br />
begleitete und muss zugeben, dass ich etwas aufgeregt war. Deshalb tat<br />
es mir gut, dass ich seine Nähe spürte und er mich mental unterstützte.<br />
Außerdem, wie heißt es ja so schön: „Vier Ohren hören mehr als<br />
zwei,“ war es mir wichtig, dass er das Gespräch beim bevorstehenden<br />
Arztbesuch mit anhörte.<br />
Prof. Dr. Seiber, ein sympathischer Arzt mittleren Alters, hörte sich<br />
meine Krankengeschichte an, und da ich durch das vorherige Warten<br />
im Sitzen inzwischen heftige Schmerzen hatte, erkannte er an meiner<br />
Mimik und Gestik sofort, dass es mir nicht gut ging. Er forderte mich<br />
auf, ihm in einem Satz meine Beschwerden zu erklären und weshalb<br />
ich ihn aufsuchte. Ich hatte mir meine gesamte Krankheitsgeschichte<br />
vorher kurz in Stichpunkten notiert, damit ich auch ja nichts Wichtiges<br />
vergessen würde. Weil ich überhaupt nicht damit gerechnet hatte,<br />
mich so kurz zu fassen, fiel es mir zunächst schwer, mich in wenigen<br />
Worten auszudrücken. Er hörte mir zu und konzentrierte sich danach<br />
auf das mitgebrachte MRT. Nach nur wenigen Sekunden erkannte<br />
er auf seinem Bildschirm eine Verengung des Wirbelkanals in der<br />
Halswirbelsäule zwischen dem fünften und sechsten Halswirbel. So<br />
wie es aussähe, sei die dort befindliche Bandscheibe abgenutzt. Der<br />
Körper bilde als Ersatz nämlich sogenannte Knochenvorbauten, das<br />
heißt Knochenmaterial, das auf den Nerv drückt. Eine Operation könne<br />
eventuell Abhilfe schaffen, eine Garantie, dass ich hinterher völlig<br />
beschwerdefrei sei, könne er allerdings nicht geben, so seine Aussage.<br />
In dieser Verengung, so vermutete er, könne die Ursache allen Übels<br />
liegen. Um allerdings Näheres beurteilen und um die weitere Vorgehensweise<br />
mit mir besprechen zu können, benötige er dafür eine Myelographie.<br />
Er erklärte mir, was eine Myeleographie ist und dass ich<br />
dazu eine Nacht zur Beobachtung in der Klinik bleiben müsse, um<br />
34
kein Risiko einzugehen.<br />
Eine Myelographie, wie sie bei mir erforderlich war, ist eine Röntgenuntersuchung<br />
oder Computertomographie des Wirbelkanals mit Hilfe<br />
eines Kontrastmittels. Nachdem ein Venenzugang gelegt wird, um bei<br />
eventuellen Kreislaufreaktionen medikamentös eingreifen zu können,<br />
wird der Patient gebeten sich in die Seitenlage zu begeben. Danach<br />
wird eine Hohlnadel zwischen zwei Wirbelkörper der oberen Halswirbelsäule<br />
in den Wirbelkanal eingeführt. Der Arzt entnimmt zunächst<br />
wenige Milliliter Hirnwasser. Dieses Liquor, wie es auch genannt wird,<br />
wird anschließend im Labor untersucht. Danach wird ein Kontrastmittel<br />
in den Wirbelkanal eingespritzt und die Nadel entfernt. Es folgen<br />
Röntgen- und Computertomographie-Aufnahmen. Nach der Untersuchung<br />
ist für die nächsten Stunden absolute Bettruhe angesagt.<br />
Außerdem muss sehr viel getrunken werden, um das Ausscheiden des<br />
Kontrastmittels zu beschleunigen. Abgesehen von vielen anderen Nebenwirkungen,<br />
können unter anderem Allergien und Unverträglichkeit<br />
auf das Kontrastmittel sowie starke Kopfschmerzen die Folge sein.<br />
Solche und andere Komplikationen sind unangenehm und können in<br />
seltenen Fällen lebensbedrohlich sein. Deshalb ist eine Nacht im Krankenhaus<br />
zur Beobachtung erforderlich.<br />
Nach dieser Untersuchung, so Prof. Dr. Seiber, werde er entscheiden,<br />
ob er operiere. Falls ja, betonte er nochmals, werde er keine hundertprozentige<br />
Erfolgsgarantie übernehmen, dass danach alle Beschwerden<br />
beseitigt wären. Er sei hier aber aufgrund seiner langjährigen Erfahrung<br />
jedoch zuversichtlich. Ich bat ihn, die Untersuchung und falls<br />
eine Operation erforderlich wäre, zeitnah durchzuführen, und er versprach<br />
mir, mein Anliegen zu ermöglichen. Im Falle einer Operation<br />
würde durch einen Schnitt auf der Vorderseite des Halses eingegriffen.<br />
Dazu wird allerdings eine Bescheinigung eines Hals-Nasen-Ohrenarztes<br />
benötigt, in der bestätigt wird, dass sich bei mir keine Verwachsungen<br />
aufgrund einer früheren Schilddrüsenoperation gebildet hätten<br />
und zudem die Aussage beinhalte, dass meine Stimmbänder soweit in<br />
Ordnung seien.<br />
35
Ich hatte sehr gemischte Gefühle. Einerseits war ich erleichtert, dass<br />
eine mögliche Ursache für meine Beschwerden gefunden wurde und<br />
ich mich darin bestätigt sah, dass ich mir die Schmerzen nicht einbildete<br />
oder sie in einer psychosomatischen Ursache begründet seien. Auf<br />
der anderen Seite hatte ich natürlich Angst und Bedenken vor dem,<br />
was auf mich zukommen würde. Dass der Professor meinen Schmerzen<br />
und deren Beschreibung Glauben schenkte, machte mich zuversichtlich.<br />
Eine Krankenschwester schickte meinen Mann und mich mit einigen<br />
Formularen und Zetteln ins Sekretariat der Ambulanz. Hier vereinbarte<br />
ich den Termin für den nötigen Krankenhausaufenthalt, für die bevorstehende<br />
Myelographie und eine eventuelle Operation. Nachdem<br />
der Termin stand, ging es weiter in die im Keller befindliche Röntgenabteilung.<br />
Dort hieß es wieder einmal „Warten“. Nach mehr als<br />
einer Stunde wurden wir von einem Röntgenarzt aufgerufen. Mit ihm<br />
zusammen schauten wir meine mitgebrachte CD der MRT-Aufnahme<br />
an. Er vermittelte uns Ruhe und Wissen, versuchte uns die Bilder verständlich<br />
zu machen und klärte mich ausführlich über die Gefahren<br />
einer Myelographie auf. Zur Unterzeichnung gab er mir einen Aufklärungsbogen,<br />
auf dem alles noch einmal schriftlich aufgeführt war und<br />
zudem meine momentane Medikation erfragt wurde. Dann war alles<br />
Nötige geklärt, und wir konnten uns mit den vielen Eindrücken und<br />
Informationen auf den Nachhauseweg machen.<br />
9. Meine Familie<br />
Die Tage bis zum geplanten Krankenhausaufenthalt vergingen sehr<br />
langsam. Auf der einen Seite versuchte ich, all meine Verdrängungsmechanismen<br />
einzusetzen, um diese Zeit voll auszuschöpfen und zu<br />
genießen, auf der anderen Seite war sie von Angst und Unsicherheiten<br />
geprägt. Hauptsächlich nachts, wenn die Ruhe kam, musste ich über<br />
das Bevorstehende nachdenken. In diesen Tagen, wie eigentlich die<br />
36
gesamte Zeit meiner Krankheit, lernte und lerne ich den Beistand meiner<br />
Familie schätzen. Bei ihr fand ich immer Verständnis, Ablenkung,<br />
sowie den für mich nötigen Rückhalt.<br />
Unsere Tochter Helene, die in Berlin lebt, nahm extra Urlaub und versprach<br />
mir, falls es zu einer Operation käme, mich täglich zu besuchen<br />
und sich um alles Wichtige, zu kümmern. Einfühlsam versuchte sie<br />
mich immer wieder aufzumuntern, da sie meine Zweifel und Ängste<br />
erkannte. Ihre Anwesenheit tat gut. Sie war für mich in dieser Zeit<br />
(und ist es immer noch) meine emotionale Anlaufstelle.<br />
Unser Sohn Felix, der sich in der Endphase seines Medizinstudiums<br />
befand, erkundigte sich ebenfalls nahezu täglich nach mir und beantwortete<br />
mir mit viel Geduld offene Fragen. Er erklärte mir die Wirkung<br />
der wechselnden Schmerztabletten und das Prinzip einer Schmerzmedikation<br />
bzw. Schmerztherapie. Er hat einen großen Teil zu meinem<br />
Verständnis und zur Akzeptanz gegenüber meinen inzwischen chronisch<br />
gewordenen Schmerzen beigetragen.<br />
Die Anteilnahme unserer Kinder und die meines Mannes Max gaben<br />
und geben mir ein gutes Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit. Es<br />
bedeutet für mich ein Stückchen Glück, und das ist bis heute so geblieben.<br />
Die Geduld, die mein Mann bislang und bis zum heutigen<br />
Tage für mich aufbringt und was er insgesamt für mich macht, möchte<br />
ich an dieser Stelle besonders hervorheben. Er hat viel Verständnis<br />
für mich und meine mit der Krankheit verbundenen Probleme. Er<br />
ist da, wenn ich ihn brauche, und ich kann ihm vertrauen und mich<br />
auf ihn verlassen. Er versucht mich zu unterstützen, wann und wo<br />
immer es geht und begleitet mich durch alle emotionalen Höhen und<br />
Tiefen. Für ihn ist dies alles selbstverständlich und er beklagt sich nie<br />
über Einschränkungen, die teilweise auch sein Leben betreffen, beispielsweise<br />
wenn der Besuch einer Veranstaltung oder ein Treffen mit<br />
Freunden bedingt durch die Schmerzen nicht stattfindet oder abgesagt<br />
werden muss. Meine Dankbarkeit dafür ist nicht in Worte zu fassen.<br />
37
Auch Anrufe und Erkundigungen von meiner Mutter, meinen Brüdern,<br />
sowie Freunden und Bekannten halfen mir sehr in diesen Tagen<br />
und erleichterten mir das Warten. Die Sorgen, die meine 85-jährige<br />
Mutter sich um mich machte, belasteten mich zusätzlich. Vor diesem<br />
ersten Eingriff erzählte sie mir bereits Wochen davor, wie sehr sie sich<br />
um meinen Gesundheitszustand sorgte und wie viel Kraft sie diese<br />
Aufregung koste. Bei ihrer täglichen Anteilnahme erzählte ich ihr anfänglich<br />
nur wenig von meinen Schmerzen und versuchte, zunächst<br />
aus Rücksichtnahme gegenüber ihrer eigenen instabilen Gesundheitslage<br />
erst einmal das Ganze zu verharmlosen.<br />
Mit der Zeit berichtete ich ihr jedoch nach und nach von meinen Arztbesuchen<br />
und dem bevorstehendem Eingriff. Das machte ihr, wie man<br />
so schön sagt, „sehr zu schaffen.“ Bis kurz vor ihrem Tod hatte ich<br />
jedoch gelernt, dass ich ihr die Besorgnis um mich nicht abnehmen<br />
konnte, und spürte, dass ich, so leid es mir tat, all meine Energie für<br />
mich selbst benötigte. Hinzu kam, dass sie ca. 300 km entfernt wohnte<br />
und mir das lange Sitzen während der Auto- oder Zugfahrt fast unmöglich<br />
war. Genauso wie ich vermisste Sie meine Besuche und meine<br />
Anwesenheit und freute sich deshalb auf die täglichen Telefonate mit<br />
mir. Ich musste erst lernen, mich für diese Situation, sowie für das<br />
Wissen, wie sehr sie darunter litt, nicht verantwortlich zu fühlen.<br />
10. Die Angst vor der Myelographie<br />
Und so rückte der Juli immer näher und damit der Tag, an dem die<br />
Myelographie vorgenommen wurde. Ich hatte entsetzlich Angst davor,<br />
obwohl die Ärzte behaupteten, es wäre nicht sehr schmerzhaft. Da ich<br />
einige Allergien habe, hatte ich zudem die Befürchtung, ich könnte<br />
allergisch reagieren.<br />
Mein Termin war auf 8:00 Uhr angesetzt, Max begleitete mich ins<br />
Krankenhaus. Kaum dass wir dort angekommen waren, wurde uns bei<br />
38
der Aufnahme mitgeteilt, ich solle mich unverzüglich in die Röntgenabteilung<br />
begeben, dort würde man schon auf mich warten.<br />
Noch das Gepäck in der Hand, ohne die Zuweisung eines Patientenzimmers,<br />
fanden wir uns dort ein. Trotzdem mussten wir hier noch<br />
einige Zeit warten, bis ich endlich an die Reihe kam. Als ich die zuständige<br />
Röntgenärztin sah, fiel mir ein Stein vom Herzen. Es war eine<br />
sehr angenehme herzliche Frau, die mir nochmals genau die geplante<br />
Vorgehensweise erklärte. Ich vertraute ihr meine Angst und meine Befürchtungen<br />
an. Sie beruhigte mich mit ihrer ruhigen sympathischen<br />
Art und tröstete mich, indem sie sagte: “Alle Patienten haben davor<br />
Angst, sie sind nicht die Einzige, wir gehen ganz vorsichtig vor.“<br />
Dann begann sie, wie ich es schon beschrieben habe, mit dem Einstechen<br />
der Nadel. Alles ging recht zügig vonstatten. Bei jeder Handlung<br />
erklärte sie mir, was sie tat, und dabei wurde das Kontrastmittel<br />
eingespritzt. Eigentlich ging alles relativ schnell vorüber, ich war total<br />
erleichtert, und es war tatsächlich nicht so schmerzhaft, wie ich es mir<br />
vorgestellt hatte. Ich dachte mir: „Wenn ich das überstanden habe,<br />
kann es nun nicht mehr schlimmer kommen“.<br />
Nach diesem psychischen Stress fing ich an mich etwas zu entspannen.<br />
Dann wurde ich in den Gang gefahren und mein Mann wurde gebeten<br />
zu mir zu kommen. Dort wartete ich, natürlich im Bett liegend, auf<br />
die Röntgenbilder und die noch ausstehende Computertomographie,<br />
die noch gemacht werden sollte. Nach ca. dreißig Minuten wurde ich<br />
dafür abgeholt und innerhalb weniger Minuten waren die Aufnahmen<br />
erfolgt.<br />
Wieder im dunklen Kellergang des Eingangbereichs angekommen,<br />
wurde erneut mein Mann zu mir gerufen. Ich lag im Bett und eigentlich<br />
sollte ich laut Aufklärungsgespräch und Aufklärungsbogen jetzt<br />
viel trinken. Leider war jedoch weder etwas Trinkbares, noch die von<br />
einer Krankenschwester versprochene baldige Aufnahme auf die Station<br />
in Sicht. Wir verweilten hier etwa zwei Stunden, und es geschah<br />
39
ein gar nichts. Irgendwann sprach mein Mann eine vorübergehende<br />
Krankenschwester an, ob sie mir nicht etwas Wasser bringen könne.<br />
Sie erklärte sich bereit und brachte mir eine Flasche Mineralwasser.<br />
Dann endlich, so gegen 12:30 Uhr, wurde ich auf Station gebracht<br />
und in ein Zweibett-Zimmer geschoben. Mein Mann verabschiedete<br />
sich von mir. Für den Rest des Tages ging es mir erstaunlich gut. Außer<br />
dass sich die Stationsschwester vorstellte und ich das Mittagessen bekam,<br />
passierte von Seiten der Klinik zunächst nichts. Ich trank tapfer<br />
meine zwei Liter Flüssigkeit und hielt mich an die zuvor besprochenen<br />
Verhaltensregeln. Am Abend freute ich mich auf den angekündigten<br />
Besuch meiner Tochter Helene.<br />
Die Tatsache einer möglichen Operation stand für mich nie wirklich<br />
im Vordergrund, da die Angst vor der Myelographie alles überschattete.<br />
Mein Hausarzt hatte mir im Vorfeld die Telefonnummer eines<br />
Mannes gegeben, der an der Halswirbelsäule erfolgreich operiert worden<br />
war, damit ich die Möglichkeit hätte, ihn darüber zu befragen<br />
(natürlich mit dessen vorhergehender Erlaubnis). Ich überwand meine<br />
Hemmungen bei ihm anzurufen und hörte mir die bereitwilligen Erzählungen<br />
über seine Operation an. Seine positiven Erfahrungen ermutigten<br />
mich zur Operation und gaben mir Zuversicht.<br />
Ich hatte allerdings bis zu diesem Nachmittag nie ernsthaft eine Operation<br />
in Erwägung gezogen. Abgesehen von der Angst vor der Myelographie<br />
kam mir die plötzliche Aussicht auf Besserung nach so langer<br />
Zeit und den zahlreich aufgesuchten, teilweise auch zweifelnden Ärzten,<br />
sehr unrealistisch vor. Mir wurde also erst an diesem Nachmittag<br />
bewusst, dass sich die besagte und von Prof. Dr. Seiber beschriebene<br />
Operation mit Riesenschritten nähern könnte und mit ihr eine Besserung.<br />
40
11. Aufklärungsgespräche<br />
So gegen 16:00 Uhr kam der Stationsarzt mit den Ergebnissen der<br />
Myelographie. Er hatte eine Kopie mitgebracht mit Abbildungen einer<br />
Halswirbelsäule und eines Wirbelkanals. Nach einer kurzen Vorstellung<br />
kam er gleich zur Sache: Es hätte sich gezeigt, dass eine Operation<br />
mehr als notwendig sei, da zwischen dem fünften und sechsten Halswirbel<br />
keine Bandscheibe mehr vorhanden sei. Der Körper habe dort<br />
zur ausgleichenden Stabilisierung einiges an Knochenmaterial gebildet<br />
und dieses würde an dem dort befindlichen Nerv reiben. Eigentlich<br />
drifteten meine Gedanken von da an ab, da ich, wie gesagt, mich nie<br />
wirklich mit der realen Möglichkeit einer Operation auseinander gesetzt<br />
hatte. Diese Nachricht musste ich nun erst einmal verarbeiten.<br />
Ich hörte den Arzt sprechen, konnte ihm aber in diesem Moment<br />
nicht folgen. Er legte mir die Kopie samt den zu unterzeichnenden<br />
Formularen auf das Bett und versprach, er würde zu einem späteren<br />
Zeitpunkt nochmals kommen.<br />
Eine halbe Stunde nachdem der Arzt gegangen war, stellte sich der<br />
Anästhesist bei mir vor. Er befragte mich zu Narkosen von vorhergehenden<br />
Operationen und erklärte mir, wie er diese handhaben werde.<br />
Wie in letzter Zeit so oft waren die Medikamenteneinnahme und vorhandenen<br />
Allergien Hauptthema unseres Gesprächs. Auch er benötigte<br />
meine Einwilligung per Unterschrift, dann ging er seines Weges.<br />
Nun hatte ich Zeit und war bereit, mich auf die für die Operation<br />
benötigten Unterlagen samt Einverständniserklärung zu konzentrieren,<br />
diese anzuschauen und alles möglichst aufmerksam durchzulesen.<br />
Ich versuchte alles zu verstehen, und mit einigen vorbereiteten Fragen<br />
erwartete ich den Besuch des Stationsarztes.<br />
Es war Spätnachmittag, zwischenzeitlich war Helene eingetroffen. Sie<br />
half mir, meine Gedanken etwas zu ordnen und mich abzulenken. Um<br />
17:30 Uhr trat Prof. Dr. Seiber an mein Bett. Nach einer freundlichen<br />
Begrüßung kam er auf die Auswertung meiner Myelographie zu spre-<br />
41
chen. Wie er vermutete habe es sich gezeigt, dass zwischen dem fünften<br />
und sechsten Halswirbel tatsächlich keine Bandscheibe mehr vorhanden<br />
sei. Meine starken Schmerzen würden aller Wahrscheinlichkeit<br />
nach durch eine Reibung am Nerv verursacht werden. Als Operation<br />
sei das Einsetzen eines Titankörbchens geplant, das mit dem gebildeten<br />
Knochenmaterial aufgefüllt werden würde. Es ersetze die fehlende<br />
Bandscheibe und diene zur Einhaltung des Abstandes zwischen den<br />
Wirbeln, so dass der Nerv wieder frei läge. Davor würde zusätzlich<br />
noch eine Platte angebracht werden. Dieser Eingriff würde von vorne,<br />
also wie besprochen, vom Hals aus vorgenommen werden.<br />
Übrigens wird dieser Eingriff, dem ich nun entgegenblickte und der<br />
auf vielen meiner Arztbriefe genannt wird, in der Medizin „HWS<br />
ventrale Fusion Cloward Robinson ADCF C5/6“ genannt. Prof. Dr.<br />
Seiber merkte an, dass am nächsten Tag für ihn und einen seiner Patienten<br />
eine sehr lange, schwierige und komplizierte Operation anstünde,<br />
die sich mit Sicherheit über mehrere Stunden hinziehen würde. Er<br />
könne mir darum nicht versprechen und mir keine Gewähr geben, ob<br />
er mich danach noch operieren würde. Anderenfalls würde er mich am<br />
übernächsten Tag als Erste auf die OP-Liste setzen.<br />
Es entstand eine nette Unterhaltung, in der Dr. Prof. Seiber unter anderem<br />
meiner Tochter und mir erklärte, dass er seit mehr als 25 Jahren<br />
hauptsächlich Halswirbelsäulen operiere. Diese Aussage vermittelte<br />
mir das Gefühl der Sicherheit, sich ihm und seinem Können anzuvertrauen.<br />
Später, am Abend, kam wie versprochen nochmals der Stationsarzt,<br />
holte sich meine Einwilligung zur OP und stand mir für all<br />
meine Fragen zur Verfügung.<br />
42
12. Der Tag der Operation<br />
Am Abend wurden alle Vorbereitungen für den Eingriff getroffen. Das<br />
Abendessen bestand aus einer heißen Instantbrühe, die lauwarm und<br />
in der das Pulver nicht aufgelöst war. Wasser trinken durfte ich nur<br />
bis Mitternacht. Ein Krankenpfleger zeigte mir, was ich zur Operation<br />
anziehen sollte. Es war die übliche OP-Kleidung mit OP-Hemd und<br />
Haube. Lediglich die von mir gefürchteten Thrombosestrümpfe fehlten.<br />
Danach gab es eine Tablette zur Beruhigung. Das ist irgendwie<br />
ein seltsamer Zustand, in dem man sich nur noch in der Rolle des<br />
Patienten befindet, nur noch funktioniert und alles macht, was von<br />
einem verlangt wird.<br />
Nach einer unruhigen Nacht mit schlimmen Vorstellungen und Befürchtungen<br />
folgte ein Morgen mit dem gewöhnlichen Krankenhausbetrieb.<br />
Ich bekam kein Frühstück und wartete mit Geduld darauf,<br />
dass ich zum Projekt „Halswirbelsäulenoperation“ abgeholt werden<br />
würde. Die Beruhigungspille zeigte noch ihre Nachwirkung, und so<br />
lag ich im Bett und dämmerte vor mich hin. Jedes Mal, wenn sich<br />
die Zimmertüre öffnete, bekam ich vor Aufregung Herzklopfen, aber<br />
es war nie ich gemeint. Gegen Mittag ließ die Wirkung nach und es<br />
regten sich in mir wieder die Lebensgeister. Ich bekam Hunger, und<br />
meine Geduld schlug in Ungeduld und schlechte Laune um. Gegen 14<br />
Uhr fragte ich die Schwester, ob sie sich erkundigen könne, ob überhaupt<br />
noch die Wahrscheinlichkeit bestünde, dass ich an diesem Tag<br />
operiert werden würde. Sie versprach mir, sich sofort darum zu kümmern<br />
und meinte nach wenigen Minuten, ich solle noch eine Stunde<br />
warten, dann würde sie nochmals telefonieren und mir endgültigen<br />
Bescheid geben können. Die 60 Minuten zogen sich in die Länge,<br />
mein Magen krampfte sich zusammen und gab inzwischen knurrende<br />
Geräusche von sich.<br />
Gegen 15 Uhr brachte mir eine Krankenschwester eine kalte Lasagne<br />
und berichtete, dass ich für heute vom Operationsplan gestrichen sei.<br />
43
Frustration und Erleichterung, beide Gefühle vermischten sich. Ich<br />
versuchte das Beste aus diesem restlichen Krankenhaustag zu machen.<br />
Ich aß Unmengen in mich hinein, sah mir einen Film auf meinem<br />
Tablet an, um mich auf andere Gedanken zu bringen, und erwartete<br />
freudig den Besuch meines Mannes und meiner Tochter, sowie den<br />
Anruf meines Sohnes.<br />
Abends dann wieder die willenlose Fügung und dann das gleiche Prozedere<br />
wie am Vortag: die OP-Vorbereitungen. Mir stand eine weitere<br />
unruhige Nacht bevor. Ich war nur noch froh, wenn ich das alles hinter<br />
mich gebracht und überstanden haben würde.<br />
Am darauffolgenden Morgen ging alles sehr schnell. Um 7:30 Uhr<br />
weckte mich ein Pfleger und forderte mich auf, nach der Morgentoilette<br />
die OP-Kleidung anzuziehen und danach vorbereitet im Bett zu<br />
bleiben: „Gleich geht’s los“, meinte er aufmunternd.<br />
Und es ging los!<br />
Ich wurde kurz darauf abgeholt und es folgten Krankenhausgänge,<br />
Aufzug, der Vorbereitungsraum. Es wurden Kanülen gelegt, viele<br />
Schwestern und Ärzte umringten mich, und an viel mehr kann ich<br />
mich dank der einsetzenden Narkose nicht mehr erinnern.<br />
Irgendwann spürte ich, dass mich jemand anfasste und ich hörte, wie<br />
er mit mir sprach. Ich trat langsam aus einem tiefen Schlaf in das Hier<br />
und Jetzt. Müde und geschwächt registrierte ich, dass alles vorbei sein<br />
musste und ich mich wohl im Aufwachraum befand. Für einen kurzen<br />
Moment überkam mich ein Hauch von Zufriedenheit.....es ist vorbei,<br />
dachte ich. Dann folgte für den Rest des Tages nur noch Übelkeit.<br />
Erinnere ich mich heute an diese Operation, so verbinde ich sie<br />
mit schlimmer Übelkeit und Erbrechen, wie ich das zuvor noch nicht<br />
erfahren hatte. Trotzdem war ich aus Sicht der Operateure und des<br />
Ärzteteams in einem gutem Zustand, so dass es nicht nötig war, eine<br />
Nacht zur Beobachtung auf der Intensivstation verbringen zu müssen,<br />
wie es bei vielen frisch operierten Wirbelsäulenpatienten zur Nachsor-<br />
44
ge wichtig ist. Darüber war ich wirklich froh.<br />
Nach einigen Stunden wurde ich auf die Station gebracht, wo bereits<br />
meine Tochter Helene auf mich wartete. Das freute mich sehr und gab<br />
mir ein Gefühl der Vertrautheit in dem nüchternen Krankenhausgeschehen.<br />
Nur meine Übelkeit verschwand nicht und ich erbrach mich<br />
unentwegt. Selbst ein Krankenpfleger, der mir Infusionen anhängte<br />
und irgendwelche Tropfen gab, die gegen diesen Zustand helfen sollten,<br />
schüttelte fassungslos den Kopf und meinte, er habe das so bei<br />
einem Patienten noch nicht erlebt.<br />
Meine Tochter saß den gesamten Nachmittag bei mir, hielt mir die<br />
Hand, reichte mir eine Pappschale nach der anderen und versuchte<br />
mir Beistand zu geben. Gegen Abend trat immer noch keine Besserung<br />
ein. Mein Mann, der inzwischen gekommen war, versuchte mir Tee<br />
und Zwieback einzuflößen, aber mein Magen wollte nichts behalten.<br />
Angeblich, so erzählen sie noch heute, war dies der einzige Satz, den<br />
ich ständig hervorbrachte: „Mir ist sooo schlecht“. Dann ging es weiter<br />
mit Erbrechen.<br />
Erst gegen 23 Uhr wurde es ein wenig besser und es meldete sich der<br />
Hunger. Ich vertilgte mit Appetit den Zwieback, den mir eine Krankenschwester<br />
anbot. Jetzt erst befühlte ich vorsichtig meinen Hals, der<br />
mit einem Pflaster beklebt war. Schmerzen hatte ich keine. Weder an<br />
der Wunde noch im Nacken. Kein Kribbeln, zum ersten Mal seit langem.<br />
Ich war geschwächt und gleichzeitig stolz und zufrieden, dass die Operation<br />
hinter mir lag und keine von den vielen möglichen Gefahren<br />
eingetreten war. Das alles ging mir durch den Kopf bevor ich einschlief.<br />
Die nächsten Tage vergingen und es ging mir erstaunlich gut. Keine<br />
Schmerzen - ich konnte es nicht glauben. Sicherlich musste ich<br />
vorsichtig sein und bestimmte Verhaltensregeln, die Voraussetzung<br />
für eine guten Heilungsprozess waren, berücksichtigen. Dazu gehörte,<br />
dass ich nur auf dem Rücken liegend schlafen durfte. Bewegungen<br />
45
sollten mit dem gesamten Kopf ausgeführt werden, und ich durfte für<br />
drei Monate nicht mehr als fünf Kilogramm tragen. Was mir am meisten<br />
zu schaffen machte war das Verbot des Autofahrens, ebenfalls für<br />
drei Monate. Ich hatte zwei Wochen bevor ich in die Klinik kam, ein<br />
neues Auto gekauft, und deshalb fiel mir die Vorstellung des Verzichts<br />
extrem schwer. Nach vier Tagen Aufenthalt durfte ich bereits duschen,<br />
die Wunde war dabei mit einem Duschpflaster abgedeckt worden. Am<br />
fünften Tag wurde mir eine Halskrause angepasst, die ich sechs Wochen<br />
lang zu tragen hatte. Am sechsten Tag verließ ich die Klinik.<br />
13. Wieder zu Hause<br />
Zunächst war ich glücklich, nach Hause gehen zu dürfen, und ich<br />
genoss den Zustand der Schmerzfreiheit. Es war Sommer, es hatte<br />
über 30 Grad und alle stöhnten unter der Hitze. Nur ich lief mit einer<br />
wärmenden Halskrause, einer Henßge-Krawatte, wie sie in Medizinerkreisen<br />
genannt wird, herum und suchte mir ein kühles, schattiges<br />
Plätzchen. Das alles machte mir nur wenig aus, ich war einfach nur<br />
glücklich, alles hinter mich gebracht zu haben. Allerdings fühlte ich<br />
mich insgesamt etwas abgeschlagen, müde und schwach. Obwohl ich<br />
mich innerlich dagegen wehrte, hatten die vorhergehende Aufregung,<br />
der Eingriff und die Narkose doch ihre Spuren hinterlassen. Max unterstützte<br />
mich, half mir, wo immer er konnte und erleichterte mir dadurch<br />
meinen Alltag. Meine Freundinnen und meine Nachbarin kümmerten<br />
sich fürsorglich um mich. Wenn mein Mann arbeitete und ich<br />
alleine war leisteten sie mir Gesellschaft oder kauften für mich ein.<br />
Am folgenden Samstag, ich hatte das Krankenhaus erst vier Tage zuvor<br />
verlassen, waren wir zum Geburtstag meiner Freundin eingeladen. Ich<br />
saß bei 35 Grad Hitze im Schatten und genoss das Vorrecht eines Patienten,<br />
der sich wenig bewegen durfte, wurde bedient und verwöhnt<br />
und ließ es mir richtig gut gehen. Es war schön, bekannte Gesichter<br />
zu sehen und es tat gut, in fröhlicher Runde zu feiern. Alles fühlte<br />
46
sich richtig an. Dieser Tag ist für mich in meiner Krankengeschichte<br />
von großer Relevanz und sehr einschneidend, es sollte der letzte unbeschwerte<br />
Tag ohne Schmerzen sein.<br />
Als ich am Sonntagabend aufwachte verspürte ich das altvertraute<br />
Kribbeln und leichte Schmerzen im Nacken. Ich konnte das zuerst<br />
nicht fassen und wollte es nicht wahrhaben. Irgendetwas war anders,<br />
ja fast so wie vor der Operation. Obwohl ich mich in den vergangenen<br />
Tage vernünftig und achtsam verhalten hatte und in keine Positionen<br />
verfiel, die sich negativ auf meine Gesundheit hätten auswirken können,<br />
verhielt ich mich an diesem Tag besonders aufmerksam und vorsichtig,<br />
was meine Bewegungen und mein Handeln betraf. Ich glaubte,<br />
dass die Beschwerden eventuell die Folgen einer unglücklichen Sitzhaltung<br />
am Vorabend seien. Jedoch auch in der kommenden Woche zeigte<br />
sich der mir bekannte Schmerzzustand mit dem immerwährenden<br />
Kribbeln.<br />
Ich suchte meinen Hausarzt auf und zog ihn zu Rate. Er bestätigte mir<br />
meine Vermutung, dass dies kein normaler postoperativer Verlauf wäre<br />
und kontrollierte mein Blutbild. Er begutachtete meine Narbe, die jedoch<br />
einen guten Heilungsverlauf zeigte. Ich konnte an ihr tägliche<br />
kleine Fortschritte erkennen.<br />
Das Laborergebnis ergab einen erhöhten Leukozytenwert, der auf eine<br />
Entzündung im Körper hinwies. Dr. Renz riet mir zu einer Abklärung<br />
um sicher zu sein, dass sich keine innerliche Entzündung gebildet<br />
habe. Er überwies mich deshalb als Sicherheitsmaßnahme wieder<br />
in dieselbe Klinik, in der ich operiert worden war. Da dieser Tag ein<br />
Freitag war und wir, mein Mann und ich, fast sechzig km Fahrt vor<br />
uns hatten, wurde es nach einem Stau Abend, bis wir das Krankenhaus<br />
erreicht hatten. Hier war es uns nur noch möglich, mit der dortigen<br />
Notfallstation Kontakt aufzunehmen. Wie gewohnt warteten wir hier<br />
einige Stunden, dann kam der diensthabende Notfallarzt für Rückenpatienten<br />
zu uns und nahm uns mit in sein Sprechzimmer. Wir besprachen<br />
mit ihm unsere Sorgen. Er veranlasste eine Röntgenaufnahme,<br />
47
um ein Verrutschen oder Lösen des Titankörbchens, der Platte oder<br />
der angebrachten Schrauben auszuschließen.<br />
Zurück beim Notfallarzt, der allen Patienten sehr freundlich und nett<br />
begegnete, meinte dieser, ich hätte eine schwere Operation hinter mir<br />
und das bräuchte schon seine Dauer, bis eine Einheilung erfolgen würde.<br />
Um aber wirklich alle Bedenken ausschließen zu können, bräuchte<br />
er erneute MRT-Aufnahmen. Dazu müsse er mich aber hier behalten<br />
und stationär aufnehmen. Leider stünde dafür momentan kein Bett<br />
zu Verfügung. Sollten die Schmerzen nicht abnehmen, möge ich am<br />
Montagmorgen erneut vorstellig werden. Mit der Verabreichung einiger<br />
Schmerztabletten verabschiedete er sich von mir und so verließen<br />
wir gegen 23 Uhr die Notfallstation.<br />
Das restliche Wochenende trat keine Schmerzminderung ein, und so<br />
machten wir uns am Montagmorgen zum wiederholten Male auf den<br />
Weg zur Klinik. Kaum dort angekommen und in der Ambulanz vorstellig<br />
geworden, wurden wir erneut in die Unfallnotaufnahme verwiesen.<br />
Prof. Dr. Seiber sei im Urlaub und ansonsten hätten sie weder<br />
einen Termin noch wäre ein Bett frei, so lautete die Begründung. Momentan<br />
könnten sie hier für mich nichts tun.<br />
In der Unfallnotaufnahme wurden wir einer wirklich hilfsbereiten und<br />
verständnisvollen Unfallärztin zugewiesen. Wir trugen unser Anliegen<br />
um Hilfe, sowie die Vereinbarung mit dem diensthabenden Unfallarzt<br />
des vorangegangenen Freitagabend vor. Sie sei keine Rückenspezialistin<br />
und eher für Knochenbrüche und Ähnliches zuständig. Da ihre<br />
Kompetenz in einem anderen Fachgebiet läge, würde sie aus der Wirbelsäulenchirurgie<br />
jemanden bitten zu kommen. Wir sollten uns gedulden<br />
und bitte Platz nehmen. Was nun folgte war WARTEN.<br />
48
14. Warten<br />
Zähle ich die Stunden meiner Wartezeiten auf einen Arzt oder auf eine<br />
Sprechstunde in den letzten drei Jahren zusammen, so komme ich auf<br />
Tage bzw. Wochen. Man muss sich das vorstellen: Man verbringt Tage<br />
mit Warten und weiß, dass man dieser Wirklichkeit einfach nur ausgeliefert<br />
ist und sie nicht ändern kann. Gleichzeitig befindet sich der Patient<br />
in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Arzt, weil er ihn nämlich<br />
zur Hilfe und Behandlung benötigt und jedes Mal die Hoffnung in<br />
ihn setzt, dass er einen neuen Lösungsansatz habe. Wenn ich überlege,<br />
wie viele Fahrten ich unternommen hatte, um eine Überweisung zum<br />
Facharzt zu organisieren, so komme ich auf eine Unmenge an Stunden,<br />
die mich viel Zeit und Kraft gekostet haben.<br />
Einige Beispiele:<br />
• Zum Neurochirurgen benötige ich als Kassenpatient die Überweisung<br />
eines Orthopäden. Der Orthopäde wiederum benötigt die<br />
Überweisung vom Hausarzt.<br />
• Um eine MRT-Aufnahme oder ein Röntgenbild erstellen zu lassen,<br />
brauche ich, wie jeder weiß, die Überweisung des Hausarztes.<br />
• Um eine Infiltration durchführen zu lassen benötigt man eine<br />
Überweisung von einem Schmerztherapeuten.<br />
• Der Schmerztherapeut verlangt aber für seine Abrechnung die<br />
Überweisung eines Orthopäden, der wiederum benötigt seinerseits<br />
eine Überweisung des Hausarztes.<br />
• Besuche ich einen Neurologen, so verlangt auch dieser ein Überweisungsformular.<br />
• Für ein ambulantes Schmerzzentrum werde ich ohne Überweisung<br />
von einem zuvor behandelnden Schmerztherapeuten nicht angenommen.<br />
49
Wenn ich nun dazu zähle, dass ich auch für alle physiotherapeutischen<br />
Maßnahmen ein vom Arzt erstelltes Rezept benötige, so entsteht ein<br />
realistischer Eindruck, was Warten und Hin- und Herfahren für mich<br />
bedeutete und noch immer bedeutet.<br />
Bei den aufgeführten Beispielen sind die Rezepterstellungen bzw. Rezeptabholungen<br />
für die nötigen Medikamente und Arztgespräche oder<br />
die Verlängerung meiner Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung noch gar<br />
nicht berücksichtigt.<br />
In den drei Monaten, in denen ich nicht Autofahren durfte, musste<br />
ich für alle Arztfahrten, um Überweisungen zu bekommen, zusätzlich<br />
Hilfe organisieren. Manchmal verbringe ich genauso viele Stunden mit<br />
dem Aufwand um meine Genesung wie die Jahre zuvor bei meiner<br />
Halbtagstätigkeit. Ich könnte auch zynisch anmerken: „Mein Beruf ist<br />
derzeit meine Krankheit bzw. deren Behandlung“.<br />
15. In der Unfallnotaufnahme<br />
Zurück zum Warten auf den Facharzt für Wirbelsäulenchirurgie. Wir<br />
nahmen, wie aufgefordert, im dortigen Wartezimmer Platz und ließen<br />
das Geschehen und die Hektik der Notaufnahme auf uns wirken. Die<br />
Unfallärztin bemühte sich erneut um den angeforderten Facharzt und<br />
versuchte auf dessen Abteilung anzurufen und ihn daran zu erinnern,<br />
dass er uns aufsuchen möge. Wir konnten aus dem Telefonat deutlich<br />
entnehmen, dass er eigentlich nicht kommen wollte. Die Gründe<br />
dafür wurden von beiden Ärzten ausführlich diskutiert. Er ließ sich<br />
aber von der Ärztin durch die geschilderten Symptomatik letztendlich<br />
überzeugen: Wir wurden kurz danach in das uns inzwischen vertraute<br />
Sprechzimmer gebeten, in das er nach einigen Minuten kam.<br />
Er stellte sich uns als Neurologe vor. Nach meinem Bericht und einer<br />
Untersuchung meiner Finger, die darin bestand, dass er zweimal<br />
darüber streifte und etwas von „Karpaltunnel-Symptom“ murmelte,<br />
50
erklärte er, dass die Dringlichkeit eines Handlungsbedarfs bezüglich<br />
des Kribbelns und der starken Schmerzen seinerseits doch eher gering<br />
einzustufen sei. Es gäbe hier Patienten, die Einblutungen in ihre Wirbelsäule<br />
hätten (was ich nicht bezweifelte) und das wären wirkliche<br />
Notfälle. Überhaupt, eine genauere Einschätzung meiner Problematik,<br />
so bestätigte er seinen Kollegen vom vorigem Freitagabend, könne<br />
nur durch ein MRT erfolgen. Ein MRT würde aber hohe Kosten<br />
verursachen. „Wissen Sie überhaupt, was das kostet?“ fragte er mich<br />
im verärgerten, vorwurfsvollen Ton. Er meinte, wenn er mich dafür<br />
nicht stationär aufnehmen würde, müsste ich dieses privat bezahlen.<br />
Eine Aufnahme in die Klinik sei heute und in den kommenden Tagen<br />
unmöglich, da keine Betten zur Verfügung stünden. Ich könne mich ja<br />
selbst um ein MRT kümmern, wenn ich dieses für notwendig hielte, so<br />
sein Kommentar. Mein Argument, dass ich, wenn ich bei einer Praxis<br />
für Radiologie anrufen und um ein MRT bitten würde, nach meinen<br />
Erfahrungen frühestens drei Wochen später einen Termin bekommen<br />
würde, ignorierte er gänzlich. Er verabschiedete sich eilig mit den ernst<br />
gemeinten Worten „Sie können es ja ein anderes Mal bei uns versuchen“.<br />
Die Notfallärztin, die wir beim Gehen im Gang trafen, versuchte uns<br />
nochmals fast entschuldigend begreiflich zu machen, dass sie großes<br />
Verständnis für uns hätte, uns jedoch aus ihrer Perspektive betrachtet,<br />
nicht helfen könne.<br />
16. Telefonate<br />
Auf der Rückfahrt, die bedingt durch das lange Sitzen, mit heftigen<br />
Schmerzen verbunden war, überlegten mein Mann und ich die weitere<br />
Vorgehensweise: Zunächst wollten wir die Vertretung unseres Hausarztes<br />
aufsuchen, um eine Überweisung für das MRT zu erhalten; danach<br />
alle im Umkreis vertretenen Röntgenpraxen anzurufen, um einen<br />
baldmöglichsten freien Termin für die erforderlichen Aufnahmen zu<br />
51
erhalten, um uns so auf schnellsten Wege Klarheit zu verschaffen.<br />
Ich versuchte mein Glück und traf tatsächlich nach vielen Telefonaten<br />
auf eine Dame in einer Röntgenpraxis, die mir, nachdem ich ihr mein<br />
Anliegen und meine Situation geschildert hatte, einen Termin in zehn<br />
Tagen zusicherte. Darüber war ich sehr dankbar, denn alle anderen<br />
hatten mir, wie bereits vermutet, erst mit vierwöchiger Wartezeit Termine<br />
angeboten. Diese Organisation war mir wenigsten gelungen.<br />
Drei Tage später rief völlig überraschend eine Sekretärin der Klinik an.<br />
Ich wurde aufgefordert umgehend vorbeizukommen, da nun ein Bett<br />
frei sei und ich stationär aufgenommen werden könne. Mein Staunen<br />
war groß. Hatten wir uns nicht verabschiedet mit der Vereinbarung,<br />
dass ich mich selbst um das erforderliche MRT kümmern sollte? Mit<br />
diesem Anruf hatte ich absolut nicht gerechnet. Diese Nachricht bedeutete<br />
für mich alle mit viel Glück erhaltenen Arzttermine wieder<br />
abzusagen, eilig meine Tasche zu packen und ohne Vorlauf ins Krankenhaus<br />
zu fahren. Privates konnte ich nicht mehr organisieren.<br />
17. Ein erneuter Klinikaufenthalt<br />
Auf dem MRT, das nun doch in der Klinik durchgeführt wurde, gab<br />
es jedoch leider keinen Hinweis darauf, was meine Schmerzen und<br />
das Kribbeln auslösen könnte. Inzwischen war Prof. Dr. Seiber vom<br />
Urlaub zurückgekehrt und hatte sich meiner wieder angenommen. Er<br />
schlug mir vor, eine sogenannte Facettengelenk-Infiltration vorzunehmen.<br />
Grund für eine solche Behandlung ist eine vorangegangene Bildgebung<br />
in Verbindung mit der Beschwerdesymptomatik. Zu Beginn der<br />
Maßnahme wird ein CT erstellt, auf dem die zu punktierende Region<br />
mit einem Stift auf der Haut gekennzeichnet wird. Der Patient liegt<br />
dabei auf dem Bauch und darf sich nicht bewegen. Die Liege fährt<br />
nun langsam in die kegelförmige Öffnung des Computertomographen<br />
52
hinein. Die Öffnung ist relativ weit und der Patient kann mit dem Arzt<br />
bzw. dessen Helfer sprechen. Je nach geplantem Betäubungsverfahren<br />
führt der Arzt nun eine dünne Injektionsnadel entweder im Bereich der<br />
Nervenwurzel an der Wirbelsäule oder in die Gelenke der Wirbelsäule<br />
ein. Nach einer Lagekontrolle wird das Medikament/Schmerz-/Betäubungsmittel<br />
eingespritzt. Wie bei jedem ärztlichen Eingriff ist auch<br />
hier mit Komplikationen zu rechnen, die zwar äußerst selten sind, aber<br />
im Falle des Auftretens lebensbedrohlich sein können. Häufig treten<br />
Kreislaufprobleme, Schwindel, Kopfschmerzen und Allergien oder ein<br />
vorübergehendes Taubheitsgefühl auf. Haut-, Gewebe- und Nervenschädigungen,<br />
sowie Verletzungen größerer Blutgefäße, des Rückenmarks<br />
oder eine Schädigung von Nervenstämmen können in seltenen<br />
Fällen die Folgen dieser Untersuchung sein.<br />
Aus vorhergehenden Unterhaltungen mit Wirbelsäulenpatienten<br />
wusste ich, dass dies ein mögliches Verfahren ist, um das Schmerzzentrum<br />
zu finden, weshalb ich auf diesen Vorschlag einging. Obwohl auch<br />
dieser Eingriff, wie oben beschrieben, bestimmte Nebenwirkungen hat<br />
und Gefahren beinhaltet, signalisierte er mir doch einen Funken Hoffnung.<br />
Während der Untersuchung hatte ich dennoch große Angst vor<br />
dem Einstechen der Nadeln. Die ausführende Ärztin forderte mich<br />
immer wieder auf, mich zu entspannen und nicht zu verkrampfen.<br />
Das allerdings war mir in diesem Moment nur schwer möglich; leicht<br />
gesagt, wenn man nicht selbst daliegt und die schlimmsten Vorstellungen<br />
in sich trägt.<br />
Sitzen die Nadeln nicht punktgenau, wird ihre Lage korrigiert, und<br />
es erfolgt eine erneute CT Aufnahme. Dieser Vorgang wird so lange<br />
wiederholt, bis letztendlich genau die Stelle erreicht wird, die für das<br />
Einspritzen des Betäubungsmittels bestimmt ist. Man spürt in diesem<br />
Moment einen leichten Druck, aber dann ist alles vorbei. Es ist fast ein<br />
Gefühl wie nach der Spritze beim Zahnarzt, ein in dieser Region pelziges<br />
Empfinden, bis sich das Betäubungsmittel verteilt hat. Nach dem<br />
langsamen Aufstehen sollte die Injektion bereits ihre Wirkung zeigen,<br />
d.h. die Schmerzen sollten nachlassen und schließlich verschwinden.<br />
53
All das geschah jedoch nicht.<br />
Vor der Infiltration hatte ich mir vorgenommen, mir hinterher in der<br />
Cafeteria einen Kaffee mitzunehmen, um ihn dann mit vollem Genuss<br />
auf dem Balkon des Krankenzimmers zu trinken. Es war, als hätte ich<br />
mir damit selbst eine Belohnung für die überstandenen Strapazen versprochen.<br />
Oben auf Station angekommen, bemerkte ich, dass mein<br />
Kreislauf versagte. Ich konnte gerade noch meinen Cappuccino auf<br />
dem Tisch abstellen, als ich nur noch Sternchen sah und umkippte.<br />
Dann war es dunkel. Eine Krankenschwester, die sich gerade im Zimmer<br />
befand, war mir beim Aufstehen behilflich und führte mich zu<br />
meinem Bett. Ein Pfleger, der hinzu gerufen wurde, meinte: „Machen<br />
sie uns keinen Kummer, sie sind eine so pflegeleichte Patientin“.<br />
Deute ich diese Worte, so beinhalteten sie die Botschaft, dass ich hoffentlich<br />
keine zusätzliche Arbeit für das Pflegepersonal bereiten sollte.<br />
Den Nachmittag verbrachte ich vorsichtshalber im Bett. Gegen Abend<br />
wurde mir vom Stationsarzt mitgeteilt, dass am folgenden Tag eine<br />
zweite vorgesehen sei, nachdem die Infiltration offensichtlich keine<br />
Wirkung gezeigt hatte. Irgendwann am nächsten Tag im Laufe des<br />
Vormittags klopfte es an die Tür und es kam ein Mann mit einem<br />
Rollstuhl herein. Er stellte sich als Patientenbegleiter vor und erklärte<br />
mir, er werde mich nun zur Infiltration fahren. Bestimmt habe ich sehr<br />
erstaunt geblickt, denn mit dieser übertriebenen Vorsichtsmaßnahme<br />
hatte ich nicht gerechnet. Sie kam für mich unvorbereitet, wie aus dem<br />
Nichts, und ich hielt sie für etwas übertrieben. Als ich mich wieder<br />
gefasst hatte, erklärte ich dem Mann freundlich, dass es mir momentan<br />
gut gehe und ich mobil sei. Ich wäre durchaus im Stande, den Weg in<br />
die Radiologie zu Fuß zurückzulegen; allerdings wäre ich ihm dankbar,<br />
wenn er mich nach dem Infiltrieren von der Röntgenabteilung zurück<br />
zu meinem Zimmer begleiten könne. Er verabschiedete sich einsichtig.<br />
Ich habe nach der Behandlung jedoch eine Stunde auf ihn gewartet, er<br />
kam nicht wieder. So ging ich vorsichtig und achtsam alleine wieder<br />
zurück auf die Station.<br />
54
Übrigens war auch diese Infiltration nicht erfolgreich. Der Vorgang des<br />
Eingriffes war der gleiche wie am Tag zuvor, nur wusste ich, was mich<br />
dabei erwartete, und ich konnte mich darauf einstellen. Alle anderen<br />
weiteren Infiltrationen, die im Laufe von zwei Jahren erfolgten, blieben<br />
ebenso erfolglos. Insgesamt habe ich bis zum heutigen Tag zwölf<br />
Infiltrationen bekommen, die keine Wirkung erzielten. Das bedeutete<br />
für mich immer wieder Hoffnung, Psychostress und anschließende<br />
Frustration; abgesehen von dem an sich sehr unangenehmen Eingriff<br />
mitsamt seinen Risiken. Hinsichtlich des wechselnden Zustands zwischen<br />
Hoffnung und Zuversicht bietet sich der Vergleich mit einer<br />
Frau an, die sich zu einer künstlichen Befruchtung entschlossen hat<br />
und jedes Mal darauf wartet, dass die Behandlung angeschlagen hat.<br />
Am Abend bei der Visite erklärte mir Prof. Dr. Seiber, dass ich nach<br />
Hause gehen könne. Ich solle allerdings in der darauffolgenden Woche<br />
anrufen, da er darüber nachdenken müsse, wie es nun weitergehe. Ich<br />
verständigte meinen Mann und noch in dieser Nacht verließ ich das<br />
Krankenhaus.<br />
Zwischenzeitlich war es Ende Juli geworden und sowohl an meinen<br />
Schmerzen, als auch an den Kribbelparästhesien hatte sich trotz OP<br />
nichts geändert. Ich nahm nach wie vor starke Schmerzmittel, die aber<br />
nur geringe Wirkung zeigten. Trotzdem glaubte ich an die Vorstellung,<br />
nach den drei Monaten Schonfrist und Einheilung würde sich dann<br />
endlich eine positive Veränderung zeigen. An meine Halskrause hatte<br />
ich mich gewöhnt, ebenso an alle Einschränkungen samt Fahrverbot.<br />
Am Mittwoch der darauf folgenden Woche rief ich wie vereinbart bei<br />
Prof. Dr. Seiber an. Seiner Auffassung nach, so ließ er mich wissen,<br />
sei eine weitere Myelographie angebracht, um nach einer möglichen<br />
Schmerzursache forschen zu können. Bei der Terminvergabe zur erneuten<br />
stationären Aufnahme wurde der 11. August vorgeschlagen.<br />
Jeder Krankenhausaufenthalt und die damit verbundenen Eingriffe<br />
bedeutete für mich: Organisieren, Tasche packen und Unsicherheit<br />
gegenüber dem, was mich erwartet. Er birgt eine Ungewissheit, einen<br />
55
gewissen Kontrollverlust im Bezug auf das, was mit mir geschieht,<br />
gleichzeitig aber die Hoffnung auf das Ende der Schmerzen. Am Tag<br />
der zweiten Myelographie verspürte ich wieder Angst, aber ich wusste<br />
immerhin, was auf mich zukam. In der Klinik aufgenommen und auf<br />
Station angekommen hatte ich gerade noch Zeit, meine Toilettenutensilien<br />
in die Nasszelle zu bringen, als ich bereits zur Radiologie gerufen<br />
wurde.<br />
Der positiven Ausstrahlung der mir inzwischen bekannten Röntgenärztin<br />
war es zu verdanken, dass sich meine angestaute Aufregung<br />
legte und es mir gelang, mich ihr und ihrem Können anzuvertrauen.<br />
Es war fast wie beim ersten Mal, wie bereits erwähnt: so ein Eingriff<br />
beinhaltet das Gefühl, die Kontrolle über sich und seinen Körper zu<br />
verlieren und dem Ganzen ausgeliefert zu sein. Es folgte ein ähnlicher<br />
Ablauf wie bei der vorherigen Myelographie, nur musste ich dieses Mal<br />
nicht lange warten, bis mich ein Pfleger wieder zurück in mein Zimmer<br />
brachte. Danach war wieder Liegen und viel Trinken angesagt.<br />
Mein Allgemeinzustand war zufriedenstellend, ich befand mich an diesem<br />
Tag in guter Verfassung, und ich spürte keine negativen Folgen.<br />
Am nächsten Morgen wartete ich auf die Visite des Arztes. Der erklärte<br />
mir, dass bei den Aufnahmen des gestrigen Tages keine Auffälligkeiten<br />
zu erkennen wären, die auf meine Schmerzen hinweisen würden.<br />
Er stellte mir in Aussicht, dass Prof. Dr. Seiber mich am Nachmittag<br />
aufsuchen würde. Der Tag verging mit Warten, und spätnachmittags<br />
stand Prof. Dr. Seiber dann vor meinem Bett.<br />
Er schlug eine Röntgenaufnahme meines linken Daumens vor, da die<br />
Schmerzen am Daumenballen in den letzten Monaten immer heftiger<br />
geworden waren. Er wolle damit eine Rhizarthrose ausschließen und<br />
sicher gehen, dass hier keine Gelenkabnutzung vorläge. Die Theorie<br />
für diese Annahme war, dass Schmerzen am Daumen auf eine Beeinträchtigung<br />
am sechsten Halswirbel hinweisen können.<br />
Am nächsten Tag wurde eine Röntgenaufnahme angefertigt, eine Einschätzung<br />
des Bildes bekam ich aber erst abends, als Prof. Dr. Seiber<br />
56
mich sprechen wollte. Er bestätigte seinen Verdacht, dass die Beschwerden<br />
im Daumen tatsächlich auf eine starke Rhizarthrose, eine Arthrose<br />
des Daumengelenkes, zurückzuführen seien. Er selbst könne sich<br />
vorstellen, dass hier eine eventuelle Verbindung bestünde. Er meinte,<br />
ich könne heute noch nach Hause gehen, allerdings möge ich einen<br />
Orthopäden aufsuchen, der ihm bestätigen solle, ob es einen Zusammenhang<br />
zwischen der Daumenarthrose und meinen Beschwerden<br />
im Halswirbelsäulenbereich gäbe. Erst danach sollte ich wieder einen<br />
ambulanten Sprechstundentermin bei ihm vereinbaren. Mein Mann<br />
holte mich gegen 20 Uhr ab und ich freute mich darauf, die Nacht im<br />
eigenen Bett verbringen zu dürfen.<br />
18. Gedanken zum Klinikalltag<br />
Nach dreimaligen kurz aufeinanderfolgenden Klinikaufenthalten mache<br />
ich mir als Patient und Beobachter zum Gesamtablauf des dortigen<br />
Klinikalltages und zum Krankenhaus insgesamt so meine Gedanken.<br />
Vorweg, die Praxis von Prof. Dr. Seiber befindet sich im Erdgeschoss<br />
und ist sehr gut organisiert. Dies ist sicherlich auf seine zuverlässigen<br />
Sekretärinnen zurückzuführen. Außerhalb seiner allgemeinen Sprechstunde,<br />
die sich nur auf montags beschränkt, befand er sich meist gerade<br />
dann im Operationssaal, wenn ich versuchte ihn zu erreichen. Seine<br />
freundlichen Damen im Vorzimmer sorgen stets für Terminvereinbarungen,<br />
Rückrufe und geben alle zu besprechenden Anliegen an ihn<br />
weiter. Sie haben vor allem in akuten Fällen bislang immer für mich<br />
ein Vorsprechen beim Professor möglich gemacht, trotz seines engen<br />
und gut gefüllten Terminkalenders.<br />
Die zentrale Anmeldung ermöglicht erst den ambulanten Besuch der<br />
Wirbelsäulenchirurgie und Radiologie. Hier arbeiten ebenfalls engagierte,<br />
nette Damen, die wirklich ihr Bestes geben und leisten. Sie haben<br />
mit teilweise ungeduldigen, egoistischen und schlechtgelaunten<br />
57
Menschen zu tun und ich bewundere die Gelassenheit und Ruhe, aber<br />
auch ihre Freundlichkeit, mit der sie allen Patienten begegnen. Da sich<br />
der Anmeldebereich in einem großen Vorraum befindet, werden sie an<br />
manchen Tagen zusätzlich mit einer Warteschlange von Patienten und<br />
einem überfüllten Warteraum konfrontiert. Ich habe wirklich allen Respekt<br />
vor diesen Damen.<br />
Die Chefärzte der dortigen Wirbelsäulenchirurgie und deren Team<br />
nahm bzw. nehme ich als wirklich kompetente, verantwortungsvolle<br />
und bemühte Ärzte wahr, die sich trotz der geringen verfügbaren Zeit<br />
für ihre Patienten einsetzen. Ich habe Prof. Dr. Seiber die ersten Jahre<br />
als für meine Beschwerden, Fragen und Sorgen offenen Arzt erlebt. Er<br />
nahm mich als Patient ernst, was auch psychisch einfach sehr gut tat.<br />
Selbst nach Jahren des Suchens und Forschens nach der Schmerzursache<br />
und leider nur teilweisem Erfolg, gab er mich als Patient nicht auf<br />
und war für mich weiterhin einer der ersten Ansprechpartner, der sich<br />
während seiner Sprechstunde stets Zeit für mich nahm.<br />
Auf Station herrscht das übliche hektische Krankenhaustreiben, das<br />
vermutlich aus dem bekannten Personalnotstand in der Pflege resultiert.<br />
Die Schwestern und Pfleger sind sichtlich überfordert mit ihren<br />
vielen Aufgaben. Obwohl sie teilweise Unterstützung von Schwesternhelferinnen<br />
bzw. Praktikanten für die Essensausgabe und für andere<br />
Tätigkeiten erhalten, bleibt kaum Zeit für die wichtigen zwischenmenschlichen<br />
Gespräche und Gesten. Ich habe dies bei einer 85-jährigen<br />
Patientin, die mit mir das Zimmer teilte, erlebt. Sie war nach einer<br />
schweren Operation bei allen mir selbstverständlichen Tätigkeiten<br />
auf die Gefälligkeit anderer angewiesen. Es war ihr selbst unmöglich,<br />
außer im Liegen und manchmal in einer Sitzposition ihre Nahrung<br />
aufzunehmen oder nach etwas zu greifen. Die Pflegekräfte begegneten<br />
ihr mürrisch und hektisch, und manchmal wurde ihre Bitte um Hilfe<br />
einfach ignoriert. Ich bemerkte, wie dankbar meine Bettnachbarin<br />
mein Angebot ihr zu helfen, annahm. Ich konnte meine Hilfe jedoch<br />
natürlich nur in dem Rahmen anbieten, den mein eigener Gesundheitszustand<br />
zuließ.<br />
58
Mir wurde anhand dieses Beispiels bewusst, wie notwendig gerade für<br />
das psychische Befinden Worte, und seien es nur ganz wenige, und<br />
längere Gespräche sind. Ein kurzes Handauflegen, aufmunternder<br />
Zuspruch, all dies trägt gerade bei schwerkranken Patienten zu einem<br />
positiven psychischen Befinden und das wiederum zu seinem Heilungsprozess<br />
bei. Bei einer permanenten Unterbesetzung und Überforderung<br />
des Personals ist diese Hilfestellung unmöglich. Jeder weiß und<br />
kann nachvollziehen: Befindet man sich als Mensch, und das gilt auch<br />
für das Pflegepersonal, in einem gehetzten, unausgeglichenem Zustand<br />
oder in schlechter Stimmung, so ist es schwer, sich den geforderten<br />
Aufgaben adäquat zu stellen. Ein sensibles Einfühlen im den Patienten<br />
gestaltet sich da schwierig. Nur wenn es einem selbst gut geht, kann<br />
man sein Umfeld mit positiver Energie beeinflussen.<br />
Da ich nur auf wenig bis gar keine Hilfe bei den Alltäglichkeiten angewiesen<br />
war, begegneten mir alle auf Station freundlich. Eine Schwester<br />
erzählte mir eines Abends, sie hatte bereits Feierabend, von der vorherrschenden<br />
Personalsituation. Sie schilderte, dass an einem kürzlich<br />
vergangenen Nachmittag nur eine Stationsschwester für zwei Stationen<br />
zur Verfügung stand. Sie vertraute mir weiterhin an, dass Urlaub<br />
und Krankheit des Personals eigentlich ständig ohne zusätzliche Kräfte<br />
abgedeckt werden müssten und sich alle ziemlich an der Grenze dessen<br />
befänden, was zu leisten ist. Auf diesen Umstand, meine ich, ist es<br />
wohl zurückzuführen, dass in keinem meiner Aufenthalte nur einmal<br />
ein Bett aufgeschüttelt oder frisch gemacht wurde. Ich habe es nicht<br />
erfahren, dass ein Betttuch oder ein Überzug erneuert wurde. Obwohl<br />
ich nie länger als einige Tage dort verbringen musste, bin ich der Meinung,<br />
dass dies in einem Krankenhaus nicht passieren darf. Man bedenke,<br />
dass eine große Sommerhitze herrschte und die Patienten viel<br />
schwitzten. Zudem zeigten sich auf den Betttüchern Spuren von Essensresten,<br />
Blut und Ähnlichem.<br />
Eine meiner Bettnachbarinnen, deren Operation bei meinem Erscheinen<br />
drei Wochen zurück lag, hatte erhebliche Probleme mit ihrer Wunde<br />
auf Grund einer Entzündung. Darin begründete sich ihr langer Kli-<br />
59
nikaufenthalt. Die Wundheilung zeigte nur langsam Fortschritte und<br />
wäre keine Besserung eingetreten, so hätte sie noch einmal operiert<br />
werden müssen. Auch andere Patienten, mit denen ich hier in Kontakt<br />
kam, erzählten von Wundheilungsstörungen und erforderlichen<br />
Folgeoperationen, bei denen Schwämmchen in die Wunde gelegt werden<br />
mussten um eine Heilung zu erzielen. Gerade bei diesen Patienten<br />
wäre die Einhaltung einer besonderen Hygiene sicherlich notwendig<br />
und erforderlich.<br />
Ich möchte noch auf meine Wahrnehmung hinsichtlich der Raumpflege<br />
eingehen. Das Krankenzimmer wurde zwar täglich durch eine<br />
Reinigungskraft geputzt, wenn ich jedoch rückblickend über die Reinigungsweise<br />
nachdenke, so wundere ich mich nicht über die große<br />
Menge der durch Keime und Viren hervorgerufenen Infektionen, die<br />
in Kliniken häufig auftreten. Ein einmaliges Eintauchen des Wischlappens<br />
ins Schmutzwasser reichte für den gesamten Raum. Egal, ob die<br />
Staubflocken sich dazwischen befanden oder der Boden von einer Patientin,<br />
die die Toilette nicht rechtzeitig erreichte, nass wurde - alles<br />
wurde mit diesem einen Lappen aufgewischt. Ich überlasse es nun jedem<br />
selbst, sich darüber eine Meinung zu bilden.<br />
19. Folgen der Myelographie<br />
An den Tag, an dem ich nach meiner zweiten Myelographie das Krankenhaus<br />
verlassen hatte, habe ich nur ungute Erinnerungen. Ich bekam<br />
plötzlich heftige Kopfschmerzen und war kaum fähig, meinen Kopf zu<br />
bewegen. Jede Drehung tat höllisch weh, und es war ein gleichzeitig<br />
andauerndes Ziehen im Nacken vorhanden. Übelkeit begleitete mich<br />
durch den gesamten Tag. Es war mir unmöglich aufzustehen, weshalb<br />
ich gezwungen war, den gesamten Tag liegend zu verbringen. Ich versuchte<br />
auf Anraten meines Sohnes Felix viel zu trinken und mehr Kaffee<br />
als sonst. Das Koffein sollte die Blutgefäße weiten und dadurch die<br />
Schmerzen lindern. Aber nur eine geringe Linderung trat ein.<br />
60
Auch der nächste Tag brachte schmerzbedingt massive Einschränkungen.<br />
Ich verbrachte einen weiteren Tag liegend. Ich kam zu der Überzeugung<br />
dass, sollte eine weitere Myelographie vorgeschlagen werden,<br />
ich diese nur noch als letzte Möglichkeit einer Untersuchung in Betracht<br />
ziehen würde. Vier Tage hatte ich mit den Nachwirkungen zu<br />
kämpfen, zusätzlich zu dem stetigen Kribbeln und den immerwährenden<br />
zermürbenden Schmerzen. Ich merkte insgesamt, dass meinem<br />
Körper in den letzten Monaten sehr viel zugemutet worden war. Es war<br />
nun Ende August geworden, und allmählich durfte ich mich meiner<br />
Halskrause entwöhnen. Ich legte sie nur noch stundenweise und zum<br />
Schlafen an, und irgendwann ließ ich sie ganz weg. Für mich bedeutete<br />
dies die Halbzeit der geforderten Einhaltungen an Verhaltensregeln,<br />
die zu meiner Genesung erforderlich waren, vor allem die Aufhebung<br />
des Fahrverbotes war absehbar. Die Hälfte dieser einschränkenden Zeit<br />
hinter mich gebracht zu haben, sah ich als einen kleinen Fortschritt an,<br />
und irgendwie war ich auch ein bisschen stolz auf mich durchgehalten<br />
zu haben. Alles wäre gut gewesen, hätten mich meine Schmerzen nicht<br />
permanent an die Tatsache erinnert, dass sich nach der Operation<br />
überhaupt keine Besserung einstellen wollte. Dieser Umstand machte<br />
mich sehr traurig und ratlos. Ich stellte nach wie vor fest dass, je weniger<br />
ich mich bewegte, meine Beschwerden desto stärker wurden. Also<br />
nahm ich mir tägliche Spaziergänge vor.<br />
Da ich zu der Zeit keinen Orthopäden hatte, ich aber die Rhizarthrose<br />
an meinem Daumen einschätzen lassen wollte, vereinbarte ich einen<br />
Termin bei einer mir wiederholt zu Gehör gekommenen Arztpraxis,<br />
zwanzig km von meinem Wohnort entfernt. Trotz umständlicher Anfahrt,<br />
da ich ja noch nicht selbst wieder Autofahren durfte, nahm ich<br />
die zu fahrenden Kilometer in Kauf und ließ mich von einer Freundin<br />
hinbringen. Zusätzlich organisierte ich noch einen Besuch in der<br />
Handchirurgie in einer Spezialklinik, die noch weiter entfernt von unserem<br />
Wohnort liegt. Gleichzeitig überlegte ich weitere Schritte, sollten<br />
bis Mitte Oktober, also drei Monate nach meiner Operation, sich<br />
die ziehenden Nacken- und Schulterschmerzen, sowie das Kribbeln<br />
nicht geändert haben.<br />
61
Mit diesen Gedanken suchte ich erneut meinen Hausarzt auf. Er gab<br />
mir den Hinweis, sich eine zweite Meinung zur Beurteilung meiner<br />
Beschwerden einzuholen, um sicher zu gehen, dass in der Klinik nichts<br />
übersehen worden war. Ich besprach mich mit ihm und nahm daraufhin<br />
Kontakt zur Neurochirurgischen Abteilung an einem Uniklinikum<br />
auf. Der Termin war auf Mitte September vorgesehen. Um meine<br />
Schmerzen einigermaßen in den Griff zu bekommen, sollte ich zudem<br />
eine Schmerztherapeutin aufsuchen, um mich von ihr auf eine optimale<br />
Schmerzmedikation einstellen zu lassen.<br />
Bei Dr. Martan, dem Orthopäden, bekam ich relativ schnell für Mitte<br />
September einen Termin. Er war ein hektischer Mann, der versuchte<br />
mir nach einer kurzen Untersuchung eindeutig zu vermitteln, dass er<br />
so gar keinen Zusammenhang zwischen der Vermutung von Prof. Dr.<br />
Seiber, der diagnostizierten Rhizarthrose und meinen Nackenschmerzen<br />
sehe. Des Weiteren beurteilte er die vergangene OP als einen nicht<br />
erforderlich gewesenen Eingriff. Er gab mir noch mit auf den Weg, dass<br />
Neurochirurgen immer gleich zum Operieren neigen würden, dann<br />
eilte er aus dem Sprechzimmer. Ich verließ seine Praxis, enttäuscht und<br />
mit unsicheren Eindrücken. Ich hatte mir ein etwas zeitintensiveres<br />
Gespräch erwartet und war gleichzeitig beruhigt, mir eine zusätzliche<br />
Einschätzung in der Handchirurgie gesichert zu haben – allerdings erst<br />
Mitte Oktober, erst dann hatte ich dort meine Vorstellung.<br />
20. Besuch beim Schmerztherapeuten<br />
Der Kalender zeigte bereits Ende September an, und es folgte die Vorstellung<br />
bei Frau Dr. Jakob, einer Schmerztherapeutin. Ich war schon<br />
sehr gespannt, was mich bei ihr erwartete. Nach einer Anfahrtszeit von<br />
30 Minuten wartete ich nach der Aufnahme in ihrer Praxis zweieinhalb<br />
Stunden. Während dieser Zeit bekam ich einen digitalen Schmerzfragebogen,<br />
den ich ausfüllen sollte. Ich wurde befragt nach Schmerzäußerung,<br />
Schmerzattacken, Schmerzintensität und wie ich diese erleb-<br />
62
te. Er beinhaltete außerdem psychologische Fragestellungen und die<br />
Information nach meiner momentanen Medikation. Das Warten, egal<br />
wo, erweist sich für mich immer als äußerst problematisch, da meine<br />
Schmerzen ja gerade im Sitzen provoziert werden. Längeres Stehen bietet<br />
mir keine wirkliche Alternative, da es sich ähnlich schmerzsteigernd<br />
auswirkt. Als ich endlich an der Reihe war, ging es mir, wie immer<br />
nach solchen Wartezeiten, nicht gut. Ich hatte deshalb Schwierigkeiten,<br />
mich auf das Gespräch zu konzentrieren, denn auch im Sprechzimmer<br />
wurde - typisch für Arztgespräche – sitzend kommuniziert.<br />
Bei jedem Arzt, bei dem ich mich zum ersten Mal vorstelle, muss ich<br />
meine gesamte Krankengeschichte natürlich von Anfang an erzählen.<br />
Diese dauert mittlerweile immer länger, und dabei muss ich aufpassen,<br />
dass ich nichts zu erwähnen vergesse, denn oft sind es gerade die<br />
Kleinigkeiten, die vielleicht entscheidend für die Diagnose bzw. einen<br />
möglichen Lösungsansatz sein könnten. Ich bin dankbar, dass ich Arztbriefe,<br />
Röntgenbilder und MRT-Aufnahmen in einem Ordner gesammelt<br />
habe und Dokumentationen vorweisen kann. Ich bemerkte, dass<br />
mich die Schmerztherapeutin Frau Dr. Jakob während meines Berichtes<br />
intensiv beobachtete, und ich fühlte mich dabei unwohl.<br />
Nachdem ich zu Ende erzählt hatte, stellte sie mir die Frage, ob ich<br />
schon einmal darüber nachgedacht hätte, dass meine beschriebenen<br />
Symptome primär aus der Psychosomatik heraus zu sehen wären. Die<br />
meisten Patienten würden den Einfluss der Psyche auf körperliche Leiden<br />
absolut unterschätzen. Sie forderte mich dazu auf, diese Sichtweise<br />
zuzulassen. Auf meinem Rücken würde viel lasten und hier könnte der<br />
Ansatzpunkt zur Schmerzbewältigung sein.<br />
Ich fragte mich insgeheim, wie sie dies nach zehn Minuten Kennenlernen<br />
so genau einschätzen konnte! Hatte ich die Verknüpfung meiner<br />
Schmerzproblematik mit der Psychosomatik nicht schon einmal mit<br />
einer Ärztin diskutiert? Ich versuchte auch diesmal meinen Standpunkt<br />
zu vertreten, nämlich dass sich meine Beschwerden eher nach einem<br />
mechanischen Problem anfühlten. Ich konnte Frau Dr. Jacob jedoch<br />
63
nicht von meiner Darstellung überzeugen. Abschließend unterhielten<br />
wir uns über die Einnahme der Tabletten und Tropfen, die sie mir<br />
verschrieb. Es waren andere Schmerzmedikamente als die, welche ich<br />
zum damaligen Zeitpunkt einnahm. Mit einem Rezept in der Hand<br />
verließ ich die Praxis.<br />
Das war also meine erste Erfahrung mit einem Besuch bei einer<br />
Schmerztherapeutin, und ich möchte anmerken, dass er für mich<br />
weder hilfreich noch überzeugend war. Die von ihr verschriebenen<br />
Medikamente schlugen nicht in der gewünschten Weise an, und das<br />
Gespräch hatte mich eigentlich nicht weiter gebracht. Weder von der<br />
Ärztin noch von der Sprechstundenhilfe wurde mir mitgeteilt, ob und<br />
in welchem Zeitrahmen die Vereinbarung zu einem neuen Termin erwünscht<br />
sei.<br />
Als Patientin empfinde ich es immer als schwierig, denn wie kann ich<br />
einschätzen, wann es richtig und wichtig ist, einen Folgetermin zu vereinbaren<br />
bzw. zur Kontrolle vorbeizukommen? Meine Erfahrung hat<br />
mich gelehrt, dass Arzttermine, insbesondere bei Fachärzten – meinen<br />
Hausarzt ausgenommen - nur in den seltensten Fällen spontan und zu<br />
dem Zeitpunkt, an dem ich ihren Rat benötige, vergeben werden können.<br />
Es gibt meist keine Chance ohne vorherige Terminvereinbarung<br />
einen entsprechenden Arzt in seiner Sprechstunde aufzusuchen. Deshalb<br />
habe ich mir angewöhnt, mir für den derartigen Fall einfach prophylaktisch<br />
einen Termin geben zu lassen. Somit muss ich mir je nach<br />
Dringlichkeit und Notwendigkeit keine unnötige Gedanken darüber<br />
machen, wie ich zu einem Termin komme. Brauche ich ihn nicht, sage<br />
ich ihn selbstverständlich rechtzeitig ab. Also ließ ich mir auch hier bei<br />
Frau Dr. Jakob einen Termin für den nächsten Besuch in einem Monat<br />
geben.<br />
Zuhause dachte ich nochmals ernsthaft über unser Gespräch nach,<br />
und ich ließ mir das Argument von Dr. Jakob wiederholt durch den<br />
Kopf gehen, dass meine Beschwerden psychosomatischer Ursache sein<br />
könnten. Nach kritischer Abwägung ihrer Argumente kam ich nach<br />
64
wie vor zu der Überzeugung, dass ich ihr in diesem Punkt überhaupt<br />
nicht beipflichten kann. Ich sah und sehe auch heute keinen Zusammenhang<br />
zwischen mechanischen Bewegungen und Positionen, bei<br />
denen ich meine Schmerzen provozieren kann und der Psychosomatik.<br />
Dass die Gesamtsituation sich mit der Zeit allmählich auch auf die<br />
Psyche niederlegt, das ist, denke ich, verständlich.<br />
21. Zweitmeinungen<br />
In der kommenden Woche fuhren mein Mann und ich in die Neurochirurgie<br />
eines nahegelegenen Uniklinikums, um die bereits erwähnte<br />
Zweitbeurteilung einzuholen. Wir hatten einen sehr frühen Termin<br />
und eine Strecke von sechzig km zurückzulegen. Nach einem durch<br />
den Berufsverkehr verursachten Stau kamen wir dort gerade noch<br />
pünktlich an. Kurz nach einer Vorstellung im Sekretariat der neurochirurgischen<br />
Ambulanz wurden wir bereits ins Sprechzimmer gerufen.<br />
Die mitgebrachten MRT-Aufnahmen und Arztbriefe wurden betrachtet<br />
und gelesen. Ein netter, kompetenter Neurochirurg bestätigte die<br />
professionelle Arbeit von Prof. Dr. Seiber samt einem inzwischen gut<br />
eingeheilten Titankörbchen als Ergebnis der Operation. Seine Aussage<br />
war, dass er die gleiche Vorgehensweise gewählt hätte und man zum<br />
derzeitigen Zeitpunkt nur warten könne, bis die gesamte Einheilung<br />
erfolgt sei. Danach sei mit einer Physiotherapie der Muskelaufbau zu<br />
fördern. Sollte dies keinen Erfolg haben und die Beschwerden immer<br />
noch auftreten, müssten weitere Infiltrationen angedacht und durchgeführt<br />
werden. Gerne könne ich dann Kontakt mit ihm aufnehmen.<br />
Wir verabschiedeten uns mit der Gewissheit und der Bestätigung, dass<br />
meine Operation ordentlich und zuverlässig durchgeführt wurde. Einen<br />
Hinweis oder eine Idee, warum ich noch immer Schmerzen hatte,<br />
erhielten wir aber auch hier nicht. Insgesamt fühlte ich mich frustriert,<br />
und es drängte sich mir erneut die Frage auf, ob ich die Beschwerden<br />
der Operation und die damit verbundenen Konsequenzen umsonst<br />
65
auf mich genommen hatte. Es gibt so viele Möglichkeiten um Krankheitsursachen<br />
festzustellen, warum kann meine Schmerzursache nicht<br />
gefunden werden? Dieser und andere Gedanken trieben und treiben<br />
mich bis heute um, und so nahte der Tag meiner Abschlussuntersuchung<br />
bei Prof. Dr. Seiber<br />
Ich freute mich darauf, da dieser Tag für mich „freie Fahrt“ bedeutete.<br />
Endlich durfte ich wieder Autofahren, das empfand ich nach Wochen<br />
der Einschränkung als große Freiheit. Prof. Dr. Seiber zeigte sich zufrieden<br />
mit den erneut aufgenommenen Röntgenaufnahmen. Er überzeugte<br />
sich vom richtigen Sitz des angebrachten Titankörbchens und<br />
der davor eingesetzten Platte. Seiner Aussage nach wäre alles richtig<br />
und gut verlaufen, es gäbe keine Lockerung des Materials. Er äußerte<br />
jedoch Bedenken, denn es dürften nach einer so schweren Operation<br />
keine Schmerzen mehr vorhanden sein. Er wollte weiter suchen<br />
und meine Schmerzursache finden. Er schlug drei Facetteninfiltrationen<br />
vor: C7, C6, C5, um sozusagen nach dem Ausschlussverfahren<br />
vorzugehen (Die Zahlen beschreiben die jeweiligen Halswirbel). Sollte<br />
eine der Infiltrationen anschlagen, so wäre da die Stelle des Schmerzpunktes,<br />
die einer genaueren Betrachtung bedürfe.<br />
Ich informierte ihn des Weiteren noch von meinem zwischenzeitlich<br />
stattgefundenen Besuch bei einem Orthopäden und dass Herr Dr.<br />
Martan keinen Zusammenhang zwischen meinen Beschwerden und<br />
der Rhizarthrose sehe. Allerdings, so fügte ich hinzu, hätte ich zur weiteren<br />
Beurteilung für die kommende Woche in der Handchirurgie einen<br />
Termin vereinbart.<br />
Prof. Dr. Seiber versuchte mir Mut zu machen und verglich mich mit<br />
einer harten Nuss, die irgendwann geknackt werden würde, was bedeutete,<br />
dass auch bei mir noch eine Erklärung für alles gefunden werden<br />
würde.<br />
Nachdem ich mich verabschiedet hatte, stellte ich mir vor wie es wäre,<br />
hätte ich nun kein Kribbeln und keine Beschwerden mehr und alles<br />
66
wäre zum Besten. Ich könnte mich unbeschwert freuen.<br />
Ich könnte wieder zur Arbeit gehen und mein gewohntes Leben aufnehmen<br />
ohne ständige Arzttermine oder regelmäßige Besuche beim<br />
Physiotherapeuten. Ich müsste mir keine Gedanken über die weitere<br />
Vorgehensweisen und meine Zukunft machen und könnte mein Leben<br />
einfach genießen und planen.<br />
Ich würde Sozial- und Außenkontakte pflegen, ohne mir zu überlegen:<br />
Wo kann ich hingehen, ohne mich den Schmerzen auszusetzen bzw.<br />
wer hat Verständnis für mein Verhalten in einer Schmerz-Situation.<br />
Wo immer ich hingehe, muss ich mit den gegebenen Umständen klar<br />
kommen und für mich eine Lösung zur Linderung der Schmerzen finden.<br />
So habe ich mir beispielsweise angewöhnt, immer mein Keilkissen<br />
mitzunehmen, wenn längeres Sitzen angesagt ist. Ich stecke es mir<br />
hinten als Rückenstütze an die Stuhllehne, das schafft etwas Erleichterung.<br />
Ich lege mein Tens-Gerät, eine Elektrostimulation auf die ich<br />
noch zu sprechen komme, an, wenn ich längere Strecken habe, die<br />
ich langsamen Schrittes zurücklegen muss. Das Stehen über längere<br />
Zeit ist mir nur mit einer zusätzlichen Tabletteneinnahme und mit<br />
dem Einschalten des Tens-Gerätes möglich. Aus diesen Gründen wäge<br />
ich sehr genau ab, wo ich hingehe und was ich mir zumuten möchte.<br />
Manchmal entscheide ich mich aber auch bewusst dafür, nicht zu<br />
Hause zurückgezogen den Tag zu verbringen. Mir ist die Notwendigkeit<br />
eines Aufenthaltes außerhalb der „eigenen vier Wände“ durchaus<br />
bewusst, und deshalb zwinge ich mich an manchen Tagen dazu, obwohl<br />
mir eigentlich dazu oft jeglicher Antrieb fehlt.<br />
Trotz alledem bin ich dankbar, dass bislang alle Eingriffe und Untersuchungen<br />
an meinem Körper ohne anhaltende Negativfolgen geblieben<br />
sind und weiß dies zu schätzen. Häufig treten Schmerzen an meinem<br />
linken Daumen schubweise auf und sind dann äußerst intensiv. Eine<br />
kleine Berührung genügt, um diese auszulösen. Der Daumen einer<br />
Hand ist stets in Bewegung und bei nahezu allen Tätigkeiten im Ein-<br />
67
satz, weshalb eine Schonung fast unmöglich ist.<br />
In der darauffolgenden Woche bestätigte uns die Ärztin in der Handchirurgie,<br />
dass an meinem linken Daumen eine fortgeschrittene Rhizarthrose<br />
vorhanden ist, eine Daumensattelgelenkarthrose, die auf<br />
Verschleiß zurückzuführen ist. Durch das Tragen einer Stütze erfolgt<br />
eine Erleichterung, aber letztendlich könne sie nur durch eine Operation<br />
behoben werden. Einen Zusammenhang zwischen meinen bestehenden<br />
Nackenschmerzen und der Arthrose sah auch sie nicht. Ich<br />
ließ mir ein Rezept für eine Gelenkstütze verschreiben und entschied<br />
mich, auf Grund der momentanen, schon vorhandenen gesundheitlichen<br />
Problematik gegen eine Operation. Allerdings trage ich die Stütze<br />
immer bei der Verrichtung alltäglicher Bewegungen und Arbeiten, wo<br />
sie mir Hilfe und Schmerzlinderung bringt.<br />
Zu dieser Zeit wuchs in mir die Überlegung und der Wunsch, zusätzlich<br />
die fachliche Meinung eines Wirbelsäulenspezialisten, nicht<br />
aus neurochirurgischer Einschätzung, sondern aus orthopädischer<br />
Sichtweise anzuhören. Ich wollte damit einfach sicher gehen, nichts<br />
Wesentliches zu versäumen, was meinen postoperativen Zustand und<br />
Heilungsprozess betraf. Vielleicht bot sich ja aus seiner Perspektive<br />
eine Erklärung, warum ich nach wie vor an diesen starken Schmerzen<br />
und Kribbelparästhesien litt.<br />
Auf Anraten unseres Sohnes Felix, der aus seinem Studium einen bekannten<br />
Professor für Wirbelsäulenchirurgie an einer Uniklinik kennt,<br />
vereinbarte ich im dortigen Sekretariat einen Termin zur Vorstellung.<br />
Die Kosten dafür hatte ich auf Grund der Tatsache, dass Prof. Dr. Glas<br />
nur Privatpatienten nahm, selbst zu tragen.<br />
Die Stadt liegt ca. eineinhalb Stunden von unserem Wohnort entfernt.<br />
Bei der Hinfahrt gerieten wir, mein Mann Max und ich, in einen Stau<br />
auf der Autobahn. Wir kamen deshalb erst mit zweistündiger Verspätung<br />
in der orthopädischen Ambulanz des Uniklinikums an. Trotzdem<br />
wurden wir hier noch freundlich empfangen. Prof. Dr. Glas studierte<br />
68
meine mitgebrachten Unterlagen und es folgte eine eingehende Untersuchung.<br />
Er diagnostizierte manuell-therapeutisch mehrere costotransversale<br />
Blockaden (Gelenke, die sich zwischen Wirbelsäule und<br />
Rippen befinden). Es gelang ihm eine davon zu lösen. Sein Procedere<br />
lautete: Vorstellung bei einem chiropraktischen Arzt und dauerhafte<br />
physiotherapeutische Behandlung. Sollte keine Besserung eintreten,<br />
empfahl auch er CT-gesteuerte Infiltrationen. Auch er bestätigte uns<br />
die korrekte Ausführung der Operation, sowie die gute Einheilung<br />
meines Implantats.<br />
22. Frau Dr. Schlüter<br />
Weitere ambulante Infiltrationen können nur erfolgen, wenn ich die<br />
Überweisung eines Schmerztherapeuten habe, so lautete die Aussage<br />
bei der Dame, die für die erforderliche Terminvergabe in der Röntgenabteilung<br />
der Klinik zuständig ist. Einen Termin für eine Infiltration<br />
und Folgetermine, so erklärte sie mir, könne erst in einem Zeitraum<br />
von sechs Wochen vergeben werden. Das bedeutete für mich also eine<br />
sechswöchige Wartezeit, in der diesbezüglich nichts geschah.<br />
So hatte ich einen großen Zeitrahmen, um meine Schmerztherapeutin<br />
Frau Dr. Jakob aufzusuchen und sie um die Ausstellung einer Überweisung<br />
zu bitten. Verbunden damit wollte ich mit ihr über die verordneten<br />
Medikamente sprechen, die leider bei mir nur wenig Wirkung<br />
erzielten. Ich hatte ein Opioid in Tablettenform bekommen, welches<br />
für zwölf Stunden hätte wirken sollen. Das Medikament benötigte bis<br />
zum Einsetzen der Wirkung eineinhalb Stunden und danach hielt die<br />
schmerzfreie Zeit genau für zwei Stunden an. Nachts wachte ich nach<br />
wie vor regelmäßig schmerzbedingt auf und konnte nicht mehr einschlafen.<br />
Eine permanente Müdigkeit war die Folge. Über all das wollte<br />
ich mich mit Frau Dr. Jakob austauschen.<br />
Auch heute erwartete mich eine längere Wartezeit von zwei Stunden,<br />
69
so dass ich bereits mit Schmerzattacken das Sprechzimmer betrat. Dr.<br />
Jakob erklärte mir auch heute, dass all das, was auf meinen Schultern<br />
laste, sich in meinem Schmerzbild äußern könnte. Sie schlug mir eine<br />
besondere Entspannungstechnik vor. Diese sollte an einem Abendtermin<br />
mit anderen Patienten erlernt werden. Eine Überweisung für eine<br />
Infiltration hielt sie für unbegründet und absolut nicht erforderlich.<br />
Auf meine Bitte, sie möge sich mit Prof. Dr. Seiber in Verbindung<br />
setzen, reagierte sie abweisend und verärgert.<br />
An dem für die Entspannungstechnik vorgesehenen einmaligen Gruppenabend<br />
nahm ich zwar teil, hatte allerdings Mühe, mich in dieser<br />
Form zu entspannen. Die anwesenden Patienten samt den teilnehmenden<br />
Sprechstundenhilfen der Praxis sollten sich in Rückenlage auf ihre<br />
mitgebrachten Unterlagen legen. Danach wurde zur Ruhe aufgefordert<br />
und eine CD abgespielt. Wir lauschten dieser CD, auf der eine<br />
Männerstimme zu Entspannungsübungen einlud und erklärte, wie<br />
diese auszuführen seien. Wir bekamen von Frau Dr. Jakob weder eine<br />
persönliche Hinführung noch eine schrittweise Einführung zu dieser<br />
Entspannungsstunde. Wenn ich die Entspannungseinheiten während<br />
meines späteren Schmerzklinikaufenthaltes in Betracht ziehe, so weiß<br />
ich, dass man diese Stunde sicherlich für mich als Patient verständlicher<br />
und interessanter hätte gestalten können. Nur um den Anweisungen<br />
einer CD zu folgen, hätte ich nicht dreißig km fahren müssen.<br />
Meine späteren Versuche, zuhause in Ruhe damit zu entspannen, sind<br />
kläglich gescheitert. Mir ist zwischenzeitlich auf Grund meiner Erfahrung<br />
mit anderen Entspannungstechniken, die ich in den vergangenen<br />
Monaten kennenlernen durfte, bewusst, dass diese Art der Entspannungsform<br />
für mich ungeeignet ist. Alle Gruppenteilnehmer erhielten<br />
anschließend die CD, um sie auch daheim anwenden zu können. Ich<br />
suchte Frau Dr. Jakob noch ein weiteres Mal auf; diesem Arztbesuch<br />
ging eine Wartezeit von drei Stunden voraus. Was dies für mich und<br />
die damit verbundenen Schmerzen bedeutete, vermag sich jeder vorzustellen.<br />
Frau Dr. Jakob schlug mir eine chinesische Weihrauchtherapie<br />
und als weitere Behandlung zweimalige wöchentliche Akupunktur<br />
70
vor. Auf meine Frage, ob ich bei jeder dafür vorgesehenen Therapie<br />
mit einer so langen Wartezeit wie heute bzw. den vorangegangenen<br />
Besuchen zu rechnen hätte, meinte Frau Dr. Jakob: „Ja, das könnte<br />
passieren“.<br />
Zuhause ließ ich mir das Verhältnis von Aufwand und Nutzen durch<br />
den Kopf gehen. Ich kam zum Entschluss, dass dieser Zeitaufwand mit<br />
dieser langen Wartezeit und dem Anfahrts- und Rückweg für mich nur<br />
Stress bringen würde. Überhaupt, so sehe ich es aus heutiger Perspektive,<br />
wage ich zu behaupten, dass bei unserem Arzt- Patienten-Verhältnis<br />
die Basis nicht stimmte. Ich kam mit meiner Einstellung gegenüber<br />
meinen Schmerzen und dem damit verbundenen medizinischen Ansatz<br />
aus einer gänzlich anderen Ecke als Frau Dr. Jakob. Die Konsequenz<br />
für mich war, das bestehende Arzt-Patienten-Verhältnis aufzulösen<br />
und mich nach einem anderen Schmerztherapeuten umzuschauen.<br />
Dies stellte sich für mich als echte Herausforderung dar. Die Zeit zum<br />
vorgesehenen Infiltrationstermin drängte. Ich wollte ihn nicht absagen,<br />
allerdings war ich auch nicht bereit, diese Sache selbst zu bezahlen.<br />
Schon allein aus diesem Grunde musste ich jemanden finden, der<br />
mir den benötigten Überweisungsschein ausstellte. Ich stellte mir via<br />
Internet eine Liste von Schmerztherapeuten zusammen, die Mediziner<br />
waren und sich nicht ausschließlich als Heilpraktiker definierten. Die<br />
Auswahl der in meiner Region ansässigen und dafür vorgesehenen Ärzte<br />
war ziemlich begrenzt. Nach einigen Telefonaten blieben mir noch<br />
genau zwei Schmerztherapeuten, jeweils in unterschiedlichen Städten<br />
mit einem Anfahrtsweg von etwa 30 km. Der eine hatte eine Notfallsprechstunde<br />
eingerichtet, die aber mit langer Wartezeit verbunden<br />
war, der andere bot mir an, innerhalb der nächsten Woche vorstellig<br />
zu werden.<br />
Ich entschied mich für die letzte Möglichkeit und versuchte, mit der<br />
Sprechstundenhilfe in der Praxis Dr. Schlüter einen Termin zu vereinbaren.<br />
Sie teilte mir die Sprechzeiten für die kommende Woche mit.<br />
Zu diesen Zeiten, so hieß es, könne ich mich in der Praxis vorstellen.<br />
71
Ich entschied mich für den Mittwochmorgen. Rechtzeitig machte ich<br />
mich auf den Weg, um möglichst früh dort zu sein.<br />
Um Punkt neun Uhr stand ich vor der verschlossenen Tür. Nach mehrmaligem<br />
Klingeln öffnete mir die Arzthelferin und meinte etwas kurz<br />
angebunden: „Heute haben wir keine Sprechstunde, die Quartalsabrechnung<br />
ist fällig“. Ich bezog mich auf das Telefonat von vergangener<br />
Woche und die Angabe ihrer Sprechzeiten. Zudem erläuterte ich ihr<br />
mein Anliegen, nämlich eine Überweisung für die anstehenden Infiltrationen<br />
zu erhalten und sich über eine sinnvolle Schmerzmedikation<br />
Gedanken zu machen. Sie erklärte mir, dass die Ärztin erst in einer<br />
Stunde kommen würde, sie könne momentan gar nichts für mich tun.<br />
„Gehen sie einen Kaffee trinken und kommen sie danach wieder“,<br />
meinte sie mit etwas aufmunterndem Ton. Diesem Ratschlag ging ich<br />
gerne nach, war es doch ein kalter, nebeliger Herbstmorgen, an dem<br />
man sich gerne an einem heißen Getränk erwärmte.<br />
Das nächste Café befand sich gleich um die Ecke und nach einer Stunde<br />
versuchte ich erneut mein Glück. Dieses Mal gewährte man mir<br />
Einlass und ich wurde in ein farbenfrohes, gemütliches Wartezimmer<br />
geführt. Nach kurzer Zeit bekam ich einen Schmerzfragebogen<br />
der Deutschen Schmerzgesellschaft, der aus vielen kopierten Blättern<br />
bestand. Ähnliche Fragen wie bei meinem zuletzt bei Frau Dr. Jakob<br />
digital ausgefüllten Fragebogen. Das Ausfüllen nahm einige Zeit in<br />
Anspruch und nach ca. dreißig Minuten spürte ich, wie sich eine<br />
Schmerzattacke ankündigte. Da ich mich allein im Wartezimmer befand,<br />
versuchte ich es mit Stehen bzw. mit dem Aufstützen auf dem<br />
Fensterbrett. Jedoch die Schmerzen nahmen ihren Lauf. Als die Arzthelferin<br />
den Bogen holte, fragte sie besorgt nach meinem Befinden.<br />
Sie erkannte, dass ich eine Schmerzspitze hatte.Trotzdem brachte sie<br />
mir noch zusätzlich ein Kästchen zur digitalen Schmerzerfassung mit<br />
dem Hinweis, ich hätte es gleich geschafft. Es würde nicht mehr lange<br />
dauern, dann könne ich zu Frau Dr. Schlüter.<br />
Frau Dr. Schlüter, eine sehr nette Dame Ende fünfzig, nahm sehr<br />
schnell zur Kenntnis, dass ich unter sehr starken Schmerzen litt. Sie<br />
72
ot mir einen für mich geeigneten Stuhl an. Um eine momentane<br />
Schmerzlinderung zu erzielen, schlug sie vor, mir etwas gegen meine<br />
Schmerzen spritzen. Damit schaffte sie für mich eine gute Voraussetzung<br />
für ein entspanntes Kennenlernen und für ein gutes Gespräch.<br />
Als die Injektion vorgenommen worden war, nahm sie Einsicht in meine<br />
mitgebrachten Unterlagen. Sie informierte mich über unterschiedliche<br />
Schmerzmittel und deren Wirkungsweise und Verträglichkeit. Dr.<br />
Schlüter nahm sich viel Zeit, es folgte die Ausarbeitung eines Medikamentenplanes.<br />
Sie stellte zwar unter Bedenken bezüglich der Strahlenbelastung,<br />
schließlich doch die gewünschten Überweisungsformulare<br />
zum Infiltrieren aus, allerdings mit der Bitte um Rückmeldung. Mit<br />
einem guten, stimmigen Gefühl verließ ich diese Praxis. Zusätzlich<br />
zeigte mir Frau Dr. Schlüter bei einem Folgetermin ein TENS-Gerät.<br />
TENS steht für transkutane elektrische Nervenstimulation. Bei richtiger<br />
Anwendung, so Dr. Schlüter, unterstütze das Gerät bei akuten und<br />
chronischen Schmerzen die Durchblutung und wirke sich so schmerzlindernd<br />
aus. Zudem wirke es muskelentspannend. Mit Hilfe von Klebeelektroden<br />
werden im Schmerzbereich elektrische Impulse gesetzt,<br />
die je nach Programm unterschiedliche Reize hervorrufen können. Es<br />
sollen dadurch Endorphine freigesetzt werden, ein vom Körper selbst<br />
produziertes Opioid. Dieses Gerät musste ich mir selbst kaufen und es<br />
bot sich mir eine große Auswahl. Letztendlich entschied ich mich für<br />
das von der Schmerzpraxis empfohlene. Diese Anschaffung war und<br />
ist für mich eine große Hilfe, was diese für mich bedeutete, erfuhr ich<br />
bereits nach der ersten Anwendung. Meine Schmerzen waren nicht<br />
weg, aber leichter zu ertragen.<br />
Wo immer ich längere Zeit bin und positionsbedingte Schmerzen auftreten,<br />
lege ich mein Tens-Gerät an. Ich erwähne hier beispielsweise<br />
eine Berlinreise, bei der ich viel gehen und stehen musste, die Aufenthalte<br />
in einem Einkaufscenter oder die Besuche von Veranstaltungen,<br />
bei denen längeres Sitzen erforderlich ist. Habe ich zuhause starke<br />
Schmerzen, versuche ich mit dem Tens-Gerät einer zusätzlichen Einnahme<br />
von Schmerztabletten entgegen zu wirken.<br />
73
23. Ein guter Anfang - ein enttäuschendes<br />
Ende<br />
An den drei darauf folgenden Montagen erfolgte jeweils eine Infiltration.<br />
Für mich war es wie immer ein Hoffen auf Erfolg und gleichzeitig<br />
ein Bangen, dass alles gut gehen und keine Nachwirkungen auftreten<br />
würden. Einmal hatte ich hinterher starke Kopfschmerzen, die zwei<br />
Tage anhielten. Ein anderes Mal spürte ich bei den Injektionen des<br />
Betäubungsmittels an diesen Stellen ein heftiges Kribbeln und ein über<br />
mehrere Stunden anhaltendes Taubheitsgefühl, das aber leider keinen<br />
Einfluss auf mein Schmerzempfinden hatte. Zudem belastete es den<br />
Kreislauf, was sich in Schwindel äußerte. Bei der letzten dieser drei<br />
Infiltrationen spürte ich außer dem unangenehmen Vorgang, d.h. dem<br />
Setzen der Nadeln und dem Einspritzen, überhaupt nichts. Meine<br />
Wahrnehmung war also jeweils unterschiedlich und ich konnte mich<br />
nie darauf einstellen und verlassen, wie es mir nach der jeweiligen Anwendung<br />
ergehen würde.<br />
Prof. Dr. Seiber erwartete von mir nach jedem dieser Eingriffe ein Feedback.<br />
Häufig konnte ich ihn nicht persönlich antreffen (er befand sich<br />
ja meistens im OP), dann gab ich bei seiner Sekretärin Rückmeldung.<br />
Nach der dritten Infiltrationen gab ich in seinem Sekretariat Bescheid<br />
und vereinbarte dort einen neuen Termin mit ihm zum Gespräch. Für<br />
meinen Mann war an diesen Tagen Chauffeurdienst angesagt. Bei einer<br />
Entfernung von ca. 60 km einfach kamen im Laufe des Jahres sehr<br />
viele Kilometer zusammen, abgesehen von der für ihn aufgewandten<br />
Zeit.<br />
Im Dezember gab ich Frau Dr. Schlüter den ihr zugesicherten Bericht<br />
über die Wirkung meiner Infiltrationen. Bei einem erneuten Besuch<br />
bei ihr stellte sich heraus, dass für sie weitere Facetteninfiltrationen auf<br />
Grund der Strahlenbelastung und des gesundheitlichen Risikos nicht<br />
in Frage kämen. Prof. Dr. Seiber aber sah in weiteren Infiltrationen<br />
nach wie vor eine Chance, die Schmerzquelle und die Schmerzursa-<br />
74
che zu finden. Ich befand mich in einer zwiespältigen Lage: Frau Dr.<br />
Schlüter schlug mir vor, einen weiteren ihr bekannten und vertrauten<br />
Neurochirurgen, Herrn Dr. Peter, an einer anderen Klinik zu diesem<br />
Thema zu befragen und dessen Einschätzung zu hören. Sie fühlte sich,<br />
so ihre eigene Aussage, in diesem Fachgebiet nicht ausreichend erfahren<br />
und informiert. Sie kontaktierte ihren Kollegen Dr. Peter mit meiner<br />
Einwilligung und beschrieb ihm ihre Bedenken. Er bot mir daraufhin<br />
an, ihm meine Unterlagen, Aufnahmen und Arztbriefe zukommen<br />
zu lassen, so dass er sich ein Bild meiner Krankheitsgeschichte machen<br />
konnte.<br />
Mich beeindruckte damals die ehrliche und interessierte Vorgehensweise<br />
von Frau Dr. Schlüter und das großzügige Angebot dieses Neurochirurgen.<br />
Er ließ mir innerhalb kürzester Zeit telefonisch seine Einschätzung<br />
zukommen mit dem Hinweis, ich könne mich jederzeit bei<br />
ihm persönlich vorstellen und seine Hilfe in Anspruch nehmen. Ein<br />
wirklich positives Beispiel von guter und schneller Zusammenarbeit<br />
unter Kollegen!<br />
Frau Dr. Schlüter besprach mit mir erneut meine Medikation. Die von<br />
ihr verordneten Schmerztabletten dauerten trotz der Umstellung auf<br />
andere Präparate immer noch zu lange, bis sie anschlugen, und zu kurz<br />
waren dann ihre Wirkungszeiten. Wieder mit dem Versprechen, ihr<br />
Rückmeldung zu geben, sobald sich der Neurochirurg, Herr Dr. Peter,<br />
bei mir gemeldet hätte, verabschiedete ich mich von ihr. Weihnachten<br />
stand vor der Tür und in fünf Tagen war Hl. Abend. Weil ich Frau Dr.<br />
Schlüter auf ihre eigene Aufforderung und ihr Drängen hin versprochen<br />
hatte, mich umgehend bei ihr zu melden, sobald ich mit dem ihr<br />
bekannten Neurochirurgen gesprochen hatte, rief ich sie an.<br />
Das, was mich dann erwartete, mit dem hatte ich alles andere als gerechnet.<br />
Ihre Stimme am Telefon war hektisch, und als ich ihr berichten<br />
wollte, herrschte sie mich an, ich könne ihr dies alles auch im<br />
Januar erzählen. Gut, dachte ich mir, sie hat wohl einen schlechten<br />
Tag, begriff aber nicht, warum es ihr plötzlich so unwichtig erschien.<br />
75
Ich setzte das Telefonat mit ihr fort und erzählte ihr, dass die von ihr<br />
gewählte Medikation noch immer kaum Linderung verschaffte und<br />
ich derzeit unter sehr starken Schmerzen, auch nachts, litt. Daraufhin<br />
donnerte sie ins Telefon, ich sei ungeduldig und müsse mich in Geduld<br />
üben. Außerdem m ü s s t e n die Tabletten wirken und überhaupt<br />
hätte sie schon so viel Zeit für mich aufgewandt, so ginge das nicht<br />
weiter, sie hätte schließlich auch noch andere Patienten. Sie betonte<br />
nochmals: „So geht das nicht, so nicht!“ Ich bedankte mich daraufhin<br />
für ihre Zeit, wünschte ihr ein frohes Weihnachtsfest und beendete<br />
das Gespräch. Ich führe normalerweise keine Selbstgespräche, aber ich<br />
stellte mir selbst laut die Frage: „Was war das denn?“ Ich war einfach<br />
nur entsetzt und betroffen. Ich konnte ihre Reaktion so überhaupt<br />
nicht verstehen und einordnen.<br />
Nachdem ich zu diesem Zeitpunkt seit mehr als einem Jahr starke<br />
Schmerzen hatte, fand ich die Bezeichnung u n g e d u l d i g doch<br />
mehr als unangebracht. Ich versuchte das Verhalten von Dr. Schlüter<br />
zu verstehen. Klar, am Ende eines Jahres und vor den Feiertagen kamen<br />
bestimmt noch zusätzliche Patienten in ihre Arztpraxis und es gab viel<br />
zu tun. Trotzdem entschuldigte dies nicht dieses abweisende, aufgebrachte<br />
und vorwurfsvolle Telefonat, das vor allem auf ihre ausdrückliche<br />
Bitte hin stattgefunden hatte. Es stimmte, sie hatte in mich schon<br />
viel Zeit investiert, aber es mir in diesem Ton vorzuhalten, ja fast zum<br />
Vorwurf zu machen, darüber war ich wirklich empört. Ich wollte mir<br />
bis ins neue Jahr Zeit geben, wie ich damit umging. Je mehr ich darüber<br />
nachdachte, desto mehr kam ich zu der Entscheidung, dass mein<br />
Vertrauen zu Frau Dr. Schlüter schwand. Ich musste mir eingestehen,<br />
dass ich verletzt war, ihre Worte klingen mir noch heute im Ohr. Ich<br />
war enttäuscht und es war bei mir absolut keine Vertrauensbasis mehr<br />
vorhanden, die ich eigentlich bei einem Arztbesuch voraussetze. Ich<br />
bedauerte dies sehr.<br />
Da ich wieder einmal eine Bestätigung meines Hausarztes für das<br />
Krankengeld benötigte, nahm ich meinen Besuch bei ihm zum Anlass,<br />
mich mit ihm über das Telefonat mit Frau Dr. Schlüter zu unterhalten.<br />
76
Er fragte mich bei dieser Gelegenheit, warum ich die Tabletten gegen<br />
das Kribbeln umgestellt hätte, die Verträglichkeit und Wirkung sei<br />
doch gut gewesen. Ich erklärte ihm, dass dies eine Entscheidung von<br />
Frau Dr. Schlüter war und ich vermute, dass sich die Tabletten eventuell<br />
nicht mit meinen anderen, von ihr umgestellten Schmerzmitteln<br />
vertrugen. Dr. Renz widmete sich daraufhin kurz seinem Computer,<br />
bis er zu der Erkenntnis kam, dass das zuvor von ihm verschriebene<br />
Medikament um das Vierfache teurer war, als das von Dr. Schlüter<br />
verordnete. Wir stellten fest, obwohl ich das von Dr. Renz verordnete<br />
und darauf eingestellte Medikament sehr gut vertrug, wurde ich aus<br />
Kostengründen auf ein neues Medikament umgestellt, ohne über den<br />
eigentlichen Grund informiert worden zu sein. Diese Erkenntnis bestätigte<br />
mich leider in meiner Überlegung, noch ein weiteres Mal meinen<br />
Schmerztherapeuten zu wechseln.<br />
Nachdem alle Schmerzmedikamente nicht wie gewünscht anschlugen,<br />
riet mir Dr. Renz, einen Termin in der Praxis einer Schmerzambulanz,<br />
angegliedert an eine Schmerztagesklinik, ungefähr 40 km entfernt, zu<br />
vereinbaren.<br />
24. Der Beginn des nächsten Jahres<br />
Wie von Dr. Glas empfohlen, suchte ich auf seine Empfehlung hin einen<br />
guten Chiropraktiker auf. Ich holte mir im Vorfeld Informationen<br />
über ihn ein und kam zu dem Entschluss, dieser Arzt entsprach meiner<br />
Vorstellung und erfüllte die Voraussetzungen, die ich mir von einem<br />
Chiropraktiker erhoffte. Dr. Karlosch ist Sportarzt, Chirurg und<br />
Chiropraktiker. Allerdings nimmt Dr. Karlosch nur Privatpatienten,<br />
was für mich als Kassenpatient die Konsequenz nach sich zog, dass ich<br />
jeden der Besuche bei ihm selbst bezahlen musste. Dennoch entschied<br />
ich mich für eine Behandlung bei ihm.<br />
Bei unserem ersten Kennenlernen traf ich auf eine kompetente Per-<br />
77
sönlichkeit. Er untersuchte mich gründlich und diagnostizierte eine<br />
Dysfunktionsstörung meiner Bandscheibe und einiger Costotransversalgelenke.<br />
Des Weiteren stellte er fest, dass mein Becken verschoben<br />
wäre und ich eine ISG Blockierung hätte. Mehrere Besuche erfolgten<br />
bei ihm mit der vorsichtigen Lösung meiner Blockaden. Zudem riet er<br />
dringend zu einer krankengymnastischen Stabilisationsbehandlung im<br />
Schlingentisch, sowie zu Bindegewebsmassagen. Die Behandlung von<br />
Dr. Karlosch erfolgte über einen Zeitraum von zwei Monaten. Er empfahl<br />
mir im Anschluss an jede Behandlung 30 Minuten zu Fuß zu gehen<br />
und riet von manchen Tätigkeiten, wie beispielsweise Staubsaugen<br />
vorübergehend ab. Derartige Ratschläge befolgte ich gerne. Ich hielt<br />
mich strikt an seine Empfehlungen. Leider stellte sich aber auch hier<br />
trotz seiner ernsthaften Bemühungen für mich keine spürbare Besserung<br />
meiner Schmerzen ein.<br />
Im Januar 2015 suchte ich nun also die vom Hausarzt empfohlene<br />
ambulante Schmerzpraxis von Dr. Rister auf. Seine ambulante Praxis<br />
befindet sich in einer Schmerztagesklinik. Ich wurde dort sehr freundlich<br />
und verständnisvoll empfangen. Wie bislang in jeder Schmerzpraxis,<br />
bekam ich auch hier wieder einen Fragebogen, den ich auszufüllen<br />
hatte. Mit der Zeit merke ich, dass die Fragebögen im Bereich der<br />
Schmerztherapie und in den Schmerzpraxen im Prinzip ähnlich sind.<br />
Nach nicht allzu langer Zeit wurde ich von einer Ärztin abgeholt und<br />
ins Sprechzimmer geführt. Meine mitgebrachten Unterlagen, vor allem<br />
die Arztberichte, wurden für meine neu angelegte Patientenakte<br />
kopiert und es folgte ein intensives Gespräch über meine Schmerzproblematik<br />
und meinen bisherigen Medikamentenplan. Da die Schmerzmittel<br />
bislang nur eine unzureichende Wirkung zeigten, so die Ärztin,<br />
wäre daraus zu schließen, dass meine Dosierung noch immer zu gering<br />
wäre. Nach ihrer Ansicht benötigte ich die doppelte Menge der bislang<br />
eingenommenen Medikamente, um eine konstante Wirkung zu<br />
erzielen. Ich erzählte ihr, dass ich auch bei einer Zahnbehandlung in<br />
der Regel die doppelte Menge an Betäubungsmitteln benötige. Das<br />
bestätigte ihren Verdacht.<br />
78
Sie erarbeitete mit mir eine neue Medikation, zudem betonte sie die<br />
Dringlichkeit einer konsequenten Physiotherapie. Des Weiteren kam<br />
von ihr der Vorschlag, an einem fünfzehntägigen Therapie-Programm<br />
in ihrer Schmerztagesklinik teilzunehmen, um zu lernen mit meinen<br />
chronischen Schmerzen umzugehen. Ich sollte mir das mal überlegen<br />
und in Ruhe darüber nachdenken, so ihre Aufforderung. Sie gab mir<br />
dazu einen Flyer mit, um nähere Einzelheiten daraus entnehmen zu<br />
können. Mit dem positiven Gefühl, hier Hilfe zu bekommen, verließ<br />
ich zufrieden die Schmerzambulanz.<br />
Anfang des neuen Jahres suchte ich mir einen anderen Orthopäden.<br />
Mein Hausarzt konnte mir, obwohl er gerne bereit gewesen wäre, zu<br />
dieser Zeit keine Rezepte mehr für Physiotherapie ausstellen. Da der<br />
Hausarzt nur begrenzt Rezepte für diese Behandlung ausstellen kann,<br />
musste ich mich auf die Suche nach einem für mich neuen Orthopäden<br />
machen. Bislang hatte ich mich nach meinen negativen Erfahrungen<br />
nicht wieder in die Orthopädische Praxis von Dr. Hans begeben.<br />
Bis zum Jahresende war es mir gelungen, immer telefonisch eine Überweisung<br />
von ihm zu organisieren. Dr. Hans bekam selbstverständlich<br />
alle Arztbriefe entweder von den jeweiligen Ärzten oder von mir zugeschickt.<br />
Mir war allerdings bewusst, dass mich Dr. Hans irgendwann<br />
mal wieder persönlich sprechen wollte, bevor er bereit war, für mich<br />
weitere Überweisungen auszustellen. Es war eine Frage der Zeit und<br />
Ende Dezember 2014 ließ er mich wissen, dass dies nun der Fall sei.<br />
Deshalb suchte ich Anfang des Jahres 2015 Dr. Krähe auf, einen für<br />
mich bis dahin unbekannten Orthopäden. Ich hoffte darauf, dass sich<br />
dieses Mal ein besseres Arzt-Patienten-Verhältnis entwickeln würde als<br />
bei Dr. Hans. Ich versuchte ihm meinen Krankheitsverlauf transparent<br />
zu machen und übergab ihm die inzwischen gebündelten Arztbriefe<br />
und MRT-Aufnahmen. Als Dr. Krähe diese sah und die Namen der<br />
Professoren hörte, die ich bereits aufgesucht hatte, blätterte er lustlos<br />
durch die Unterlagen und - ein intensives Lesen und Befassen wäre im<br />
zeitlichen Rahmen einer Sprechstunde unmöglich gewesen - sicherte<br />
mir sofort zu, für mich eine Überweisung an Prof. Dr. Seiber auszu-<br />
79
stellen. Er habe zu dem Ganzen auch keinen Einfall, was zur Besserung<br />
beitragen könnte, fügte er noch an.<br />
Prima, die Überweisung war also gesichert. Ich benötigte sie nämlich<br />
dringend für weitere Gespräche und Überlegungen über die zukünftigen<br />
Schritte um die Schmerzursache ausfindig zu machen. Hatten<br />
doch die im vergangenen Jahr durchgeführten Infiltrationen auch zu<br />
keinem Erfolg. Ich bat Dr. Krähe im Weiteren um eine Verordnung für<br />
Physiotherapie. Der Orthopäde meinte daraufhin, er würde mir keine<br />
verschreiben, er wolle sein Kontingent schonen. Man bedenke, es<br />
war Anfang Januar! Ich solle mir diese von Prof. Dr. Seiber holen. Auf<br />
meinen Einwand, dass Prof. Dr. Seiber ein Neurochirurg und Operateur<br />
an einer Klinik sei und ich deshalb dort mit Gewissheit keine<br />
Verordnung für Physiotherapie erhalten könne, schwieg er zunächst.<br />
Dann antwortete er mir: „Jetzt gehen Sie erst mal da hin“. Mit diesem<br />
Satz gab er mir klar und deutlich zu verstehen, dass ich von ihm kein<br />
Rezept für eine krankengymnastische Behandlung erhalte würde.<br />
Für weitere Infiltrationen benötigte ich, wie bereits beschrieben, wieder<br />
eine Verordnung vom Schmerztherapeuten. Diese erhielt ich problemlos<br />
nach einem Telefonat mit der hilfsbereiten und freundlichen<br />
Sekretärin von Dr. Rister in der Schmerzambulanz. Zusätzlich bekam<br />
ich eine Verordnung für Physiotherapie. Beides wurde mir ganz selbstverständlich<br />
zugesandt. Von dieser Vorgehensweise war ich sehr angetan.<br />
25. Das Funktions-MRT<br />
Der erste Besuch im neuen Jahr bei Prof. Dr. Seiber war am 12. Januar<br />
2015 vorgesehen. Ich stellte mich wie immer auf eine längere Wartezeit<br />
ein. Dem Professor erklärte ich meine unglückliche Lage und das<br />
sich mein Schmerzzustand nicht gebessert habe, im Gegenteil: Meine<br />
Schmerzen samt Kribbeln wurden zunehmend stärker und die Atta-<br />
80
cken intensiver. Selbst mit meiner inzwischen gut eingestellten Medikation<br />
würden die aufkommenden Schmerzen nahezu unerträglich,<br />
beispielsweise beim „Nachhintenneigen“ des Kopfes. Die Schmerzen<br />
zogen zwischenzeitlich erheblich in den Schulterbereich und die Halswirbelsäule<br />
entlang. Ich versuchte ihm zu verdeutlichen, dass ich nicht<br />
gewillt sei, mit dieser Beeinträchtigung und diesem Leiden meine Zukunft<br />
zu verbringen.<br />
Wie immer zeigte sich Prof. Dr. Seiber sehr verständig. Er kam nach<br />
einigen Erläuterungen zu dem Entschluss, dass zwei weitere Infiltrationen<br />
Aufschluss geben könnten. Wir waren inzwischen mit den Injektionen<br />
am Übergang zur Brustwirbelsäule angekommen. Für mich<br />
bedeutete es weitere Unannehmlichkeiten, Strapazen und eine zusätzliche<br />
Gefährdung für meinen Körper. Zusätzlich weitere Fahrten in<br />
diese Klinik. Ich stimmte mit Bedenken dieser achten und neunten<br />
Infiltration zu, hatte aber für mich den Entschluss gefasst, danach keine<br />
weiteren mehr durchführen zu lassen. Inzwischen unterschrieb ich<br />
nur noch die dazu ausgehändigte Einwilligungserklärung, ohne die<br />
Aufklärungsbögen überhaupt durchzulesen. Ich wollte mich nicht jedes<br />
Mal mit den Risiken, die dieser Eingriff in sich birgt, auseinandersetzen.<br />
Ich wollte nur einfach zu einem Ergebnis kommen.<br />
Bei der neunten Infiltration fragte ich den durchführenden Röntgenarzt,<br />
ob es keine weitere Möglichkeit gäbe, ein MRT der Halswirbelsäule<br />
zu erstellen, als die herkömmliche Aufnahme im Liegen anzufertigen.<br />
Bei meiner Unterhaltung erzählte ich ihm, in liegender Position<br />
hätte ich die wenigsten Schmerzen, diese seien überwiegend in sitzender<br />
und stehender Haltung. Er wies mich auf die Möglichkeit eines<br />
Funktions-MRTs hin. Bei diesem können Bilder in „Kopf gesenkter“<br />
und „Kopf nach hinten gebeugter“ Haltung“ aufgenommen werden.<br />
Diese Aussage weckte natürlich mein Interesse. Der Arzt klärte mich<br />
darüber auf, dass ein solches Funktions-MRT an dieser Klinik nur<br />
an einem bestimmten Wochentag mit einem speziellen Röntgenarzt<br />
durchgeführt werden könne. Eigentlich, so seine Aussage, wäre es sehr<br />
kompliziert, an eine solche MRT-Aufnahme zu kommen. Als Kassen-<br />
81
patient dafür einen Termin zu bekommen, da hätte man nur wenige<br />
bis überhaupt keine Chancen, dies müsste schon wirklich ausdrücklich<br />
von einem bestimmten Professor und Wirbelsäulenspezialist angeordnet<br />
sein. Privatpatienten seien da absolut im Vorteil. Draußen, außerhalb<br />
der Klinik, wird dieses Verfahren nur selten durchgeführt und es<br />
sei außerdem sehr kostspielig.<br />
Ich konnte das nicht glauben. Wenn mir dies eine Chance bot, näher<br />
an das Ziel der Ursachenklärung zu kommen, warum war es mir dann<br />
nicht möglich, an eine solche Aufnahme zu gelangen? Etwa nur, weil<br />
ich kein Privatpatient war oder befand ich mich etwa in den Händen<br />
eines Professors, der so ein MRT nicht anordnen konnte? Das wollte<br />
ich für mich geklärt wissen. Mit diesen Fragen ging ich zur Anmeldung<br />
und verlangte freundlich einen Termin für ein Funktions-MRT.<br />
Die Dame dort schaute mich erstaunt an. Ich erklärte ihr, dass ich<br />
am neunten März mit einer dreiwöchigen Schmerztherapie an einer<br />
Schmerztagesklinik beginnen würde und ich deshalb diesen Termin<br />
vorher benötigte. Ohne dass Prof. Dr. Seiber dies ausdrücklich bescheinige,<br />
wäre ein solches MRT nicht zu veranlassen und deshalb<br />
auch leider kein Termin machbar, so ihre Antwort. Zumindest wusste<br />
ich nun durch die Aussage von Frau Pohl, so der Name der Dame, dass<br />
Prof. Dr. Seiber ein Funktions-MRT bei einem zwingenden Grund<br />
anordnen konnte.<br />
Prof. Dr. Seiber befand sich zu diesem Zeitpunkt, wie so oft, im Operationssaal<br />
und war deshalb nicht zu befragen. Frau Pohl zeigte sich<br />
aber auf Grund meiner misslichen Lage sehr verständnisvoll und reservierte<br />
mir auf mein Drängen und Bitten hin letztendlich einen Termin<br />
solange, bis mich Professor Seiber angerufen und sein Einverständnis<br />
dazu gegeben hätte. Ich versprach ihr nach seinem Telefonat sofortige<br />
Rückmeldung zu geben, um nicht unnötig anderen Patienten Platz<br />
wegzunehmen. Auf diesen Kompromiss einigten wir uns.<br />
Es waren die Karnevalstage und der erwartete Anruf kam nicht. Am<br />
Rosenmontag teilte ich Frau Pohl wie abgemacht mit, noch immer im<br />
82
Ungewissen zu sein, ob Prof. Seiber seine Zustimmung zum Funktions<br />
MRT geben würde. Sie versprach mir, sich darum zu kümmern.<br />
Abends, es war 19 Uhr, kam endlich der von mir erwartete Anruf. Er<br />
entschuldigte sich für seine verspätete Rückmeldung und begründete<br />
dies mit dringlichen und notwendigen Operationen in der vergangenen<br />
Woche. Er gab bereitwillig sein OK für die geplanten Aufnahmen.<br />
Nach seinen Überlegungen war er zwar nicht sehr überzeugt, wirklich<br />
mehr Aufschluss zu erhalten, allerdings sollte man auch nichts unversucht<br />
lassen, so seine Begründung für seine Zustimmung.<br />
Ich muss zugeben, es machte mich ein wenig stolz, nun doch die<br />
Durchführung dieser speziellen Aufnahmen erreicht zu haben. Der<br />
Tag dazu sollte am 26. Februar sein.<br />
Ich war sehr früh zu dieser Funktions-MRT-Aufnahme bestellt. Mein<br />
Mann fuhr mich in die Klinik, konnte mich aber berufsbedingt nicht<br />
begleiten. Da an diesem Tag nicht zu erwarten war, dass ich ein Medikament<br />
bzw. eine Injektion bekommen würde, nahm ich mir vor, zu<br />
seiner Entlastung mit der S-Bahn von der nahegelegenen Station aus<br />
nach Hause zu fahren.<br />
Ich meldete mich wie gewohnt im Wartebereich an und war gespannt,<br />
was auf mich zu kam. Natürlich ergriff mich auch dieses Mal beim<br />
Gedanken an die enge Röhre die absolute Panik. Jedoch, die Hoffnung<br />
in den Aufnahmen etwas zu sehen, was meine Schmerzen begründen<br />
könnte, überwog. Ich wurde ziemlich bald aufgerufen und aufgefordert,<br />
mich in die im Keller befindliche Röntgenabteilung zu begeben.<br />
Hier angekommen, kam mir bereits eine nette Schwester entgegen, die<br />
mich in den Raum führte, in dem die Aufnahmen erfolgen sollten. Ich<br />
wies sie auf meine Panikzustände hin, die ich bei diesen Untersuchungen<br />
in aller Regel hätte. Sie schlug mir vor, dass ich mir etwas zum<br />
Schlafen spritzen lassen könne. Allerdings hätte ich ihr dann versprechen<br />
müssen, mich danach abholen zu lassen.<br />
Der Wille, dieses eine Mal meinen Mann Max nicht mit der Fahrerei<br />
83
von der Klinik nach Hause belasten zu müssen, war für mich die Triebfeder,<br />
dies alles ohne Injektion durchzustehen. Die freundliche Dame<br />
machte Angaben über den weiteren Verlauf. Zunächst würde ein normales<br />
MRT angefertigt werden, danach folgten die Funktions-Aufnahmen.<br />
Sie versprach mir, zu meiner Beruhigung würde sie noch einige<br />
Zeit an meinem Fußende verbringen, während ich in der Röhre lag.<br />
Zusätzlich sicherte sie mir zu, dass ich jederzeit auf den Knopf, der sich<br />
zwischen meinen Händen befand, drücken könne, falls es für mich<br />
unerträglich werden würde. Letztendlich war es ihrer liebevollen und<br />
aufmunternden Art zu verdanken, dass ich relativ ruhig dalag, obwohl<br />
mich auch jetzt die absolute Panik ergriff. Trotzdem ließ ich alles ohne<br />
Abbruch über mich ergehen. Nach zwanzig Minuten war alles vorbei,<br />
dann wurde das Funktions-MRT angefertigt. Der Unterschied<br />
zur vorhergehenden Aufnahme war, dass ich vier Minuten kopfüber<br />
gebeugt und vier Minuten nach hinten gebeugt liegen musste. Das<br />
war es dann auch schon. Ich als Patientin frage mich bis heute, was in<br />
aller Welt an der Anfertigung eines Funktions-MRTs so schwierig und<br />
außerordentlich teuer ist! Aus dem Blickwinkel des Radiologen ist das<br />
sicherlich begründet, für mich als Patientin nicht nachvollziehbar.<br />
Kaum angekleidet, ging es auch schon zum Röntgenarzt. Dieser besprach<br />
mit mir die Aufnahmen. Er meinte, hier würde man deutlich<br />
eine Verengung linksseitig im Spinalkanal sehen. Auf die Frage, ob darauf<br />
meine Beschwerden zurückzuführen seien, bekam ich als Antwort,<br />
dies müsste ich mit Prof. Dr. Seiber besprechen. Dieser befand sich allerdings<br />
bei einer Operation. Zur Besprechung der Aufnahmen bekam<br />
ich eine Woche später einen Termin. Dies bedeutete wieder eine erneute<br />
Anfahrt, wieder eine Wartezeit, auf die ich mich einstellen musste.<br />
Dann die Nachricht der Krankenschwester, die mich aufrief. Sie flüsterte<br />
mir zu, der Herr Professor hätte die Grippe und wäre nach Hause<br />
gegangen. Ich hätte die Wahl, mit seinem Oberarzt zu sprechen oder in<br />
den nächsten Tagen telefonisch mit ihm in Kontakt zu kommen. Ich<br />
entschied mich nach einigen Überlegungen für den Oberarzt.<br />
Dr. Münz kannte meine Krankengeschichte nicht und ich erzählte<br />
84
ihm die Kurzfassung meiner Krankengeschichte. Er besah sich die<br />
Aufnahmen und befand, indem er auf diese wies, hier sei genau unterhalb<br />
des operierten Wirbels auf der Höhe C 6/C7 eindeutig eine<br />
Verengung zu erkennen. Eine Entlastung der Nerven sei mit einer<br />
Operation bestimmt möglich. Um sicher zu gehen, dass ein erneuter<br />
Eingriff erfolgreich sei, wolle er eine Injektion veranlassen und genau<br />
in die Nervenwurzel ein Betäubungsmittel spritzen lassen. Im Falle<br />
einer Schmerzbehebung könne davon ausgegangen werden, dass hier<br />
endlich die Schmerzursache gefunden wäre. Um einen Termin dafür<br />
und die erforderliche Nachbesprechung zu bekommen, solle ich mich<br />
an das Sekretariat von Prof. Dr. Seiber wenden.<br />
Ich begab mich also auf den Weg zur Sekretärin von Prof. Dr. Seiber.<br />
Meine Gefühle waren in Anbetracht dieser Neuigkeiten sehr ambivalent.<br />
Die Nachricht einer erneuten Operation brachte mich völlig<br />
aus der Fassung, andererseits war nun hoffentlich endlich die Ursache<br />
meiner Schmerzen gefunden. Durch die Schatten, die durch die Glastüre<br />
zum Sekretariat durchschimmerten, erkannte ich, dass eine Besprechung<br />
der Ärzte stattfand. Da ich eine Störung für unangebracht<br />
hielt, beschloss ich vor verschlossener Türe Platz zu nehmen. Plötzlich<br />
kam die Sekretärin heraus, sie musste mich erkannt haben, und trat auf<br />
mich zu. Sie meinte, der Professor sei zwar krank und habe sich abgemeldet,<br />
aber noch hier und ich solle mich gedulden, vielleicht wäre er<br />
ja noch kurz bereit, einen Blick auf meine Aufnahmen zu werfen. Ich<br />
erzählte ihr von der vorherigen Unterhaltung mit seinem Oberarzt. Sie<br />
jedoch meinte, wenn der Professor schon greifbar wäre, sollte man dies<br />
auch nutzen. Also übte ich mich in Geduld und wartete vor der Tür.<br />
Dann erschien endlich Prof. Dr. Seiber. Er führte mich in sein Büro<br />
und hörte sich die Sichtweise seines Oberarztes an. Danach begutachtete<br />
er das Bildmaterial der MRTs. Er saß vor seinem Bildschirm<br />
und konnte es nicht fassen, hier einen erneuten Bandscheibenvorfall<br />
zu sichten. Ich sah ihm deutlich an, dass er genauso erstaunt darüber<br />
war wie ich. Er pflichtete Dr. Münz bei, dort wo zu operieren geplant<br />
sei, erstmals die Nervenwurzeln zu betäuben. Sollten die Schmerzen<br />
85
danach weg sein, sei die weitere Vorgehensweise, nämlich eine Operation,<br />
zu überlegen.<br />
In Anbetracht dieser neuen Situation musste ich also einer zehnten<br />
Infiltration ins Auge blicken. Allerdings gab es hier einen Unterschied:<br />
Die Nadel wurde diesmal von vorne, d.h. seitlich in den Hals gesetzt.<br />
Hier wurde dann das Betäubungsmittel injiziert. Auf Grund der bei<br />
mir niedrigen Wirkung der Schmerz- und Betäubungsmittel bat ich<br />
vorweg den durchführenden Röntgenarzt um eine höhere Konzentration,<br />
damit sich mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Effekt einstellen<br />
würde.<br />
Kaum dass die Nadel gesetzt war, spürte ich bereits deutlich ein unangenehmes<br />
Kribbeln im Daumen. Nach dem Einspritzen der Injektion<br />
konnte ich meinen linken Arm nur noch mit Hilfe des Rechten<br />
hochnehmen. Die Muskeln waren schlaff, und der Arm hing lahm herunter.<br />
Dieser Zustand hielt bis zum Abend an, und ich kann seither<br />
nachempfinden, wie sich eine Körperbehinderung dieser Art anfühlen<br />
muss. Der Schmerz im Hals-und Nackenbereich ließ mit der Wurzelinfiltration<br />
nach, nicht aber die Muskelverspannung samt den Kribbelparästhesien.<br />
Unmittelbar nach der Nervenwurzelinfiltration wurde ich erneut bei<br />
Prof. Dr. Seiber vorstellig. Er ließ sich den momentanen Empfindungszustand<br />
beschreiben und sicherte mir zu, dass hiermit die Ursache<br />
wohl gefunden worden sei. Seine Empfehlung: den Nerv möglichst<br />
schnell freilegen! Er fand es vernünftig, im Hinblick auf die inzwischen<br />
chronisch gewordenen Schmerzen, zuerst die zwischenzeitlich geplante<br />
Schmerztherapie in der Schmerztagesklinik anzugehen. Anschließend<br />
daran, sollten sich die Schmerzen immer noch in dieser Schmerzqualität<br />
bemerkbar machen, wäre allerdings eine zeitnahe Operation sinnvoll.<br />
86
26. Mein Aufenthalt in der Schmerztagesklinik<br />
In der darauffolgenden Woche begann mein geplanter Aufenthalt in<br />
der Schmerztagesklinik. Ich war neugierig, sowie zuversichtlich und<br />
freute mich auf das Kennenlernen anderer Patienten, die wie ich unter<br />
chronischen Schmerzen litten. Bereits auf dem Parkplatz, der sich ca.<br />
zehn Minuten vom Krankenhaus entfernt befand, lernte ich beim Kauf<br />
des Parktickets Andrea kennen. Zusammen gingen wir den uns unbekannten<br />
Weg in die Klinik. Das deutete ich als einen guten Anfang.<br />
Hier angekommen erwartete uns eine achtköpfige Patientengruppe.<br />
Wir begutachteten uns gegenseitig mit noch vorsichtigen Blicken und<br />
mit Zurückhaltung. Das sollte sich aber bald ändern. Zwei freundliche<br />
Physiotherapeuten empfingen uns. Sie vermittelten das Gefühl des<br />
Willkommenseins und zeigten ehrliches Interesse an den Bedürfnissen<br />
eines jeden Patienten. Sie hatten Verständnis für unsere Fragen, Unsicherheiten<br />
und Ängste.<br />
Die erste Stunde verbrachten wir mit organisatorischen Dingen und<br />
einer Führung durch das Haus. Danach erhielten wir unseren Therapieplan.<br />
Dieser bestand aus einem Wochenplan mit Gruppen- und<br />
Einzeltherapien, sowie täglicher Physiotherapie, Trainingsfläche und<br />
zwei Mal wöchentlichem Bewegungsbad. Ebenso wöchentlich waren<br />
zwei Arztvisiten, ein psychologisches Einzelgespräch und Musiktherapie<br />
vorgesehen. Es fanden pro Woche viermal nachmittags Nordic<br />
Walking unter Anleitung der Physiotherapeuten statt, sowie täglich<br />
eine gemeinsame Abschlussrunde, in der ein bestimmtes Thema erarbeitet<br />
wurde. Der Tagesablauf beinhaltete Gruppentherapie zum Thema<br />
Achtsamkeit und Edukation (die Information des Patienten über<br />
sein Krankheitsbild und dessen Behandlung) und tägliche Entspannungsübungen.<br />
Der Morgen sollte mit einem gemeinsamen Frühstück beginnen und<br />
das Mittagsessen zum Gesprächsaustausch der Patienten genutzt werden.<br />
Die Behandlung dieser Schmerztagesklinik umfassten für mich<br />
87
persönliche und therapeutische Gesichtspunkte, die in den individuellen<br />
Therapieplan integriert wurden. Wie aus ihrem Flyer zu entnehmen<br />
ist, bietet die Schmerztagesklinik eine Therapie, die gezielt auf die<br />
ganzheitliche Behandlung chronischer Schmerzpatienten ausgerichtet<br />
ist. Unsere Behandlung fand fortlaufend von Montag bis Freitag von<br />
8–16 Uhr statt; d.h. an 15 ganzen Wochentagen in Folge.<br />
Im Vorfeld stellte ich mir das tägliche Hin- und Herfahren der 35 km<br />
Entfernung von meinem Wohnort aus anstrengend vor. Jedoch bildete<br />
ich schnell mit einer Mitpatientin eine Fahrgemeinschaft, die wirklich<br />
Spaß und Freude bereitete. Ich war insgesamt erstaunt, dass ich da abgeholt<br />
wurde, wo ich mit meinen Schmerzen bislang alleine stand. Es<br />
wurden mir dort viele Gelegenheiten geboten, über all meine Fragen,<br />
Zweifel und Bedürfnisse zu sprechen. Ich konnte mich so geben, wie<br />
es mein Zustand verlangte. Es boten sich Möglichkeiten der Entspannung<br />
und es wurden mir viele alternative Entspannungstechniken, die<br />
ich aktiv erfahren durfte, aufgezeigt.<br />
Die Behandlung der Physiotherapie beeindruckte mich sehr. Ich lernte<br />
zu verstehen, was in meinem Körper passierte und wie und warum<br />
durch bestimmte Bewegungen bei mir Schmerz ausgelöst wurde.<br />
Andererseits wurden mir Positionen und Übungen zur Stabilisation<br />
gezeigt, die ich unter akribischer Beobachtung und Anleitung des Physiotherapeuten<br />
ausführen sollte. Diese Übungen wurden von mir gemeinsam<br />
mit ihm notiert, um später, nach diesen drei Wochen, darauf<br />
zurückgreifen zu können. Ich bekam beim Abschied einen eigens für<br />
mich individuell erstellten Übungsplan mit in mein „Handgepäck“. Er<br />
ist praktisch und mit nur geringem Aufwand daheim umsetzbar. Ich<br />
setze diese Übungen zum Teil auch heute noch um. Unsere Psychologin,<br />
die uns durch die Therapiestunden und in den Einzelgesprächen<br />
begleitete, hatte durch ihre innere Ausstrahlung und durch ihre starke<br />
Persönlichkeit großen Einfluss auf uns. Sie erklärte uns den Zusammenhang<br />
zwischen dem Schmerzgedächtnis und dessen Wirken und<br />
welchen Einfluss es auf unsere Psyche nimmt. Sie brachte uns Strategien<br />
der Schmerzbewältigung nahe. Für meine subjektive Stimmungsla-<br />
88
ge leistete sie einen großen nachhaltigen Beitrag.<br />
Die Situation meiner Arztvisiten, die ich in der Schmerztagesklinik<br />
hatte, beurteile ich allerdings sehr kritisch. Beim jeweiligen Arztbesuch<br />
wurde je nach Verträglichkeit und Wirkung ein individueller Medikamentenplan<br />
auf mich abgestimmt und ich wurde auf ein Akut-Präparat<br />
eingestellt: Ein Präparat, das unmittelbar nach der Einnahme<br />
helfen soll die Schmerzen zu lindern. Es stellten sich aber bei den<br />
nächsten Visiten jedes Mal andere Ärztinnen vor, die sich meine Krankengeschichte<br />
von mir anhörten. Meine momentane Medikamenteneinstellung<br />
und andere wichtige Details übernahmen diese aus meiner<br />
Krankenakte, die wiederum aus Aufzeichnungen der Vorgängerinnen<br />
bestanden. Die jeweils wiederholte Beschreibung meiner Schmerzen<br />
empfand ich zudem als anstrengend.<br />
Ein Beispiel: Mir wurde ein Morphin verschrieben, das keinerlei Wirkung<br />
bei mir zeigte. Daraufhin bekam ich von einer anderen diensthabenden<br />
Ärztin stattdessen ein Akut-Präparat verabreicht, das evtl. sehr<br />
starke Nebenwirkungen wie Herzinfarkt oder andere massive Krankheitsbilder<br />
auslösen könnte. Allerdings erst die darauf folgende Ärztin<br />
machte mich bei der Visite darauf aufmerksam, dass dieses Medikament<br />
nur für eine Höchstdauer von vier Wochen eingenommen werden<br />
könne, da die Gefahr bestünde, dass Patienten von ihm abhängig<br />
werden. In der Konsequenz bedeutete dies, dass ich dieses Präparat<br />
mit all seinen möglichen Folgen für mich ablehnte und lieber meine<br />
Schmerzen aushielt.<br />
Während des gesamten Tagesklinikaufenthaltes stieß mein Körper<br />
immer wieder an seine Grenzen. Ich lernte zu erkennen und zu akzeptieren,<br />
dass dieser nur bedingt belastbar ist. Im Gegensatz zu den<br />
anderen Patienten zeigte sich mein Bandscheibenvorfall als eindeutiges<br />
Hindernis, das für mich zu diesem Zeitpunkt als unüberwindbar galt.<br />
Während bei Gesprächsrunden meine Mitpatienten auf ihren Stühlen<br />
saßen, stand ich an der Wand, meinen Rücken in den dazwischenliegenden<br />
Pilatus-Ball drückend. Dieser wurde mir übrigens immer<br />
89
mehr zum treuen Begleiter, erleichterte er mir doch so manche Position.<br />
Egal, ob im Speisesaal oder bei Therapiestunden, das Sitzen und<br />
langsame Gehen erwies sich für mich nach wie vor als die Haltung, die<br />
jedes Mal schlimme Schmerzen auslöste.<br />
In der ersten und zweiten Woche versuchte ich regelmäßig an den täglichen<br />
Nordic Walking-Einheiten teilzunehmen. Obwohl wir, je nach<br />
Einschränkung und Krankengeschichte, in drei Gruppen aufgeteilt<br />
wurden und ich mich gerne im Freien bewege, war es mir auf Grund<br />
meiner starken Schmerzen nicht mehr möglich daran teilzunehmen.<br />
Als auslösende Schmerzursache erwies sich das Abdrücken der Stöcke.<br />
Für die letzte Woche entschied ich mich deshalb alternativ für das<br />
Laufband, das mir die Bewegung in meinem eigenen Rhythmus ohne<br />
Probleme ermöglichte. Meine Schmerzattacken nahmen insgesamt zu,<br />
und dieser Zustand kostete mich zusätzlich zu den bereits bestehenden<br />
Schmerzen sehr viel Energie. Sie traten je nach Bewegung und Haltung<br />
in Intervallen auf. Ich fühle mich nach jeder Schmerzspitze leer<br />
und ausgepowert.<br />
Eigentlich befinde ich mich bis zum heutigen Tag im Zwiespalt zwischen<br />
meiner inneren Haltung zu Medikamenten, nämlich nicht gleich<br />
zur Medizin zu greifen, sondern erst mal abzuwarten und nach anderen<br />
Alternativen und Lösungen zu suchen und zwischen meiner eingestellten<br />
Schmerzmedikation. Trotzdem greife ich bei starken Schmerzen<br />
und Schmerzattacken darauf dankbar zurück. Es tröstete mich, dass<br />
sich auch andere Patienten in diesem Dilemma befanden. Ich konnte<br />
mich hier im Gespräch stets darüber mit ihnen austauschen. Wir als<br />
Gruppe und Schmerzpatienten, die wir alle waren, hatten Verständnis<br />
füreinander und wir wuchsen schnell eng zusammen. Manchmal war<br />
ich erstaunt, wie wichtig das für jeden Einzelnen von uns war. Noch<br />
heute pflegen wir den Kontakt und aus der Beziehung zu drei Patienten<br />
ist sogar so etwas wie Freundschaft geworden.<br />
Das Ziel eines jeden Therapeuten war, einer zweiten Operation entgegen<br />
zu wirken. Sie versuchten mich davon zu überzeugen, dass mit<br />
90
konsequentem Bewegungstraining, mit entsprechenden physiotherapeutischen<br />
Übungen, sowie mit positivem Denkansatz und mit Geduld<br />
meine Probleme in den Griff zu bekommen wären. Mental und emotional<br />
ging ich gestärkt und mit vielen positiven Gedanken aus diesem<br />
Klinikaufenthalt nach Hause. Nachdem ich zwischenzeitlich auch in<br />
meiner rechten Hand ein zunehmend langanhaltendes, schmerzendes<br />
Taubheitsgefühl hatte und sich mein körperlicher Allgemeinzustand so<br />
gar nicht verbessern wollte, zeigten sich selbst der Physiotherapeut und<br />
die Psychologin verständig bzw. einsichtig, zu meiner Entscheidung<br />
für die bevorstehende Operation.<br />
Irgendwie war ich an einem Punkt angekommen, an dem ich keine<br />
anderen Möglichkeiten sah, als die einer Operation. Alle Versuche<br />
einer konservativen Therapie schlugen nicht an. Hatte ich doch alles<br />
unternommen, um genau der Entscheidung, die ich nun treffen<br />
musste, ausweichen zu können. Ich befand mich in einer Sackgasse.<br />
Wollte ich diesen starken Schmerzen und der Einnahme des Opiates,<br />
sowie der anderen Medikamente etwas entgegensetzen, so blieb<br />
nur noch eine Operation. Zumindest wollte ich es damit versuchen.<br />
Dass es ohne Operation keine Garantie für eine Besserung meines Zustandes<br />
gab, war mir klar. Mit diesem Bewusstsein und mit der von<br />
der Schmerztherapie gestärkten positiven zuversichtlichen Einstellung<br />
stellte ich mich der bevorstehenden Operation mit all ihren Risiken<br />
und Konsequenzen.<br />
27. Erwerbsminderungsrente<br />
Da mein Krankengeld im kommenden Mai auslief und ich zu dieser<br />
Zeit keine Prognose über meinen weiteren gesundheitlichen Verlauf<br />
stellen konnte, beantragte ich im Januar 2015 „für alle Fälle“ Erwerbsminderungsrente.<br />
Zur Erklärung: Wenn das Krankengeld nach 78<br />
Wochen ausläuft, wird der Patient, der sich in einem Arbeitsverhältnis<br />
befindet, von der Krankenkasse ausgesteuert. Das bedeutet, dass er ab<br />
91
dem Datum der Aussteuerung vom Arbeitsamt unterstützt wird.<br />
Ab diesem Zeitpunkt ist es wichtig, dass dieser sich sofort bei der zuständigen<br />
Arbeitsagentur arbeitslos meldet, damit ein übergangsloser<br />
Versicherungsschutz der Krankenkasse gewährleistet wird. Das Arbeitsamt<br />
übernimmt nun die Kosten. Der Patient muss sich also arbeitslos<br />
melden, obwohl er zu diesem Zeitpunkt den Krankenstatus<br />
hat. Deshalb entscheidet ein Arzt des Arbeitsamtes, ein Gutachter, ob<br />
er eine mittelfristige Möglichkeit der Vermittlung des Patienten sieht<br />
oder nicht. Je nachdem legt der Arzt des Arbeitsamtes dann dem erkrankten<br />
Arbeitslosen nahe, eine Erwerbsminderungsrente zu beantragen.<br />
Um dem Ablauf, nämlich der Warterei auf Genehmigung einer Erwerbsminderungsrente,<br />
vorzugreifen, wollte ich die Beantragung frühzeitig<br />
vornehmen. Nach meiner Information kann man im Falle einer<br />
gesundheitlichen Besserung die Beantragung jederzeit Zeit rückgängig<br />
machen oder stilllegen. Um mir die finanzielle Existenzgrundlage zu<br />
sichern, setzte ich mich telefonisch mit der zuständigen Rentenversicherung<br />
in Verbindung. Eine freundliche Frau erklärte mir den genauen<br />
Ablauf der Beantragung. Sie schickte mir einen Teil der Antragsbögen<br />
zu, die ich auszufüllen hatte. Sie gab mir den Tipp, die weiteren<br />
Formulare könne ich mit einem Rentenbeauftragten bearbeiten. Dafür<br />
müsse ich aber mit ihr einen Termin festlegen. Ich vereinbarte einen<br />
Termin für Ende des Monats. In der Zwischenzeit füllte ich die von<br />
ihr zugesandten Blätter aus, was mit ziemlichem Aufwand verbunden<br />
war, da einige nicht sofort greifbare Nachweise erforderlich waren. Das<br />
Angebot, den Rest mit einem Rentenberater auszufüllen, nahm ich<br />
gerne an, besaß er doch das genauere Wissen und die entsprechende<br />
Möglichkeit, meinen Antrag gut und sicher weiterzuleiten. Meine Unterlagen<br />
waren bald vollständig und konnten deshalb weitergesandt<br />
werden.<br />
Anfang März bekam ich die Aufforderung meiner Rentenversicherung,<br />
dass ich mich bei einem Gutachter in der Nähe meines Wohn-<br />
92
ortes vorzustellen hätte. Ich erhielt Name, Adresse, Tag und Uhrzeit<br />
und war gespannt, was mich erwartete. Unglücklicher Weise befand<br />
sich der mir vorgeschlagene Tag innerhalb der Zeit meines Schmerzklinikaufenthaltes.<br />
Ich versuchte einen neuen Termin zur Erstellung<br />
des Gutachtens zu bekommen. Die Sekretärin des Arztes zeigte dafür<br />
aber wenig bis gar keine Einsicht. Also meldete ich mich zum vorgegebenen<br />
Zeitpunkt bei meinen Therapeuten in der Schmerzklinik ab<br />
und erklärte, dass ich an diesem Tag nicht zu den Terminen meines<br />
Therapieplanes erscheinen könne. Ich war dankbar, dass sie für mein<br />
Anliegen Verständnis hatten.<br />
Der Gutachter, ein freundlicher Arzt mittleren Alters, Orthopäde und<br />
Leiter einer Reha-Klinik, stellte sich mir vor und erledigte zuerst Formalitäten<br />
wie das Ausfüllen eines Formulars zur Genehmigung meiner<br />
Fahrtkosten, dem Absichern meiner Person mit dem Eintragen<br />
meiner Personalausweisnummer, etc. Danach folgte eine gründliche<br />
Befragung zu meiner familiären Situation. Daran schloss sich eine eingehende<br />
Untersuchung an. Ich denke, dass er wahrnahm, dass mir das<br />
Sitzen bzw. das Stehen während meines Aufenthaltes bei ihm fast nicht<br />
möglich war, stellte ich mich doch während der Befragung auch hier<br />
an die Wand, um meinen Schmerzen entgegenwirken zu können. Ich<br />
führte das Gespräch und die Befragung im Stehen, indem ich meinem<br />
Körper dabei unruhig hin und her wippte. Er ging auf diese ungewöhnliche<br />
Gesprächssituation überhaupt nicht ein. Der Gutachter<br />
riet mir beim abschließenden Gespräch, nicht ungeduldig zu werden<br />
und nicht mit einer Operation, sondern mit konservativen Therapiemaßnahmen<br />
weiter zu machen. Es folgte weder eine Stellungnahme<br />
noch ein Hinweis seiner Sichtweise für das von ihm zu erstellende Gutachten.<br />
Mein Bauchgefühl sagte mir, dass der Inhalt seines Schreibens<br />
nicht in meinem Sinne sein würde.<br />
Als ich zur Erstellung des Gutachtens von Familie, Freunden und Bekannten<br />
befragt wurde, teilte ich ihnen meine Skepsis gegenüber diesem<br />
Arzt mit. „Menschlich fand ich ihn sehr nett, ich weiß jedoch<br />
nicht wie er meine Beschwerden beurteilen wird und ob er sie in seinem<br />
Gutachten berücksichtigt“, so meine Antwort.<br />
93
28. Aussteuerung<br />
Am 27. Februar so gegen 11:00 Uhr öffnete ich meinen Briefkasten,<br />
um nach der eingegangenen Post zu sehen. Ich erhielt ein Schreiben<br />
meiner Krankenkasse, dass mein Krankengeld rückwirkend zum 21.<br />
Februar auslaufen würde. Ich war perplex über diesen Brief. Am Tag<br />
zuvor hatte ich mich noch mit meinem Hausarzt über die Aussteuerung<br />
unterhalten, die nach unserer Berechnung erst im Mai auf mich<br />
zukommen würde. Er wies mich dabei in unserer Unterhaltung eingehendst<br />
darauf hin, dass, sollte diesbezüglich eine Nachricht kommen,<br />
ich mich sofort mit dem zuständigen Arbeitsamt in Verbindung<br />
setzen solle, damit mein Versicherungsschutz durch die Krankenkasse<br />
gewährleistet bliebe.<br />
Diese Worte noch im Hinterkopf, suchte ich eiligst die Nummer der<br />
für mich zuständigen Bundesagentur für Arbeit. Es meldete sich eine<br />
Stimme, die mich freundlicherweise via Anrufbeantworter darüber<br />
aufklärte, dass an diesem Tag das Amt geschlossen blieb und keine Besuche<br />
mehr möglich wären. Eine Zentrale leitete meinen Anruf weiter<br />
und am anderen Ende der Leitung meldete sich eine weibliche Stimme,<br />
die wissen wollte, um was für einen Belang es sich denn handle.<br />
Inzwischen war es 11:10 Uhr geworden und die Zeit drängte. Sie hörte<br />
sich die Angelegenheit an und auch sie empfahl mir dringendst, noch<br />
heute die nächstgelegene Agentur für Arbeit aufzusuchen, um mich<br />
dort arbeitslos zu melden, da ansonsten ein lückenloser Versicherungsschutz<br />
in der Tat nicht gegeben sei. Ich brachte meine Bedenken und<br />
Zweifel an, bis 12 Uhr, dem Ende der Öffnungszeit, die zwanzig km<br />
entfernte Stadt zu reichen. Die Frau jedoch ermutigte mich dazu, dies<br />
auf jeden Fall zu versuchen und wies noch auf die Mitnahme meines<br />
Personalausweises hin.<br />
Ich schnappte mir meine Jacke und die benötigten Unterlagen und<br />
fuhr, die Geschwindigkeitsbegrenzung ausreizend - wohl angemerkt:<br />
das Tempo nicht überschreitend - zur Agentur für Arbeit, die ich tat-<br />
94
sächlich um fünf Minuten vor 12 Uhr erreichte. Ich hastete die Eingangstüre<br />
hinein und meldete mich am Empfang an. Ich berichtete<br />
der dort erstaunt blickenden Angestellten vom überraschenden Erhalt<br />
meines Briefes und erklärte ihr,dass ich selbst vor einer Stunde noch<br />
nicht gewusst hatte, dass ich mich hier arbeitslos melden würde. Mir<br />
war wohl anzumerken, dass ich sehr aufgeregt war, denn die einfühlsame<br />
Dame erwiderte, es sei alles o.k, die Agentur würde zwar nun<br />
die Türen schließen, allerdings würde jeder, der hier wäre, noch aufgenommen<br />
und angehört. Mir fiel ein Stein vom Herzen.<br />
Ich wurde aufgefordert, ein Formular auszufüllen und meinen Personalausweis<br />
vorzuzeigen. Mit der Feststellung, dass ich „Neukunde“ sei<br />
forderte sie mich auf Platz zu nehmen. Natürlich blieb ich lieber stehen,<br />
denn meine Schmerzen machten sich gewaltig bemerkbar und es<br />
gab keine Aussicht auf eine mir erträgliche Sitzgelegenheit. Danach<br />
erschien eine freundliche und herzliche Dame, die mich mitnahm in<br />
ihren Arbeitsbereich. Sie stellte sich mit ihrem Namen vor und erzählte<br />
mir vom Prozedere, das mich nun erwarten würde. Sie bestätigte mir<br />
fast entschuldigend, dass ich ab sofort „arbeitslos“ wäre, obwohl ich es<br />
ja eigentlich nicht richtig sei. Die Kosten meiner Krankenversicherung<br />
würde ab sofort die Agentur für Arbeit übernehmen, meine Aufgabe<br />
sei es nun, die Anträge und Fragebögen auszufüllen und dann umgehend<br />
an sie zurückzusenden. Sie legte mir einen Stoß Papier zur Rechten<br />
und einen weiteren Stoß zur Linken auf den Tisch, alles ordentlich<br />
in Klarsichthüllen. Sie wies darauf hin, dass der linke Stapel für den<br />
ärztlichen Gutachter der Arbeitsagentur für Arbeit bestimmt wäre,<br />
dieser würde selbstverständlich streng vertraulich bearbeitet werden.<br />
Deshalb seien auch getrennte Briefumschläge erforderlich. Sobald alles<br />
ausgefüllt bei ihnen auf dem Tisch liegen würde, würde es bearbeitet.<br />
Die Sachbearbeiterin erklärte mir zudem, dass es Sinn machen würde,<br />
bei meiner Krankenversicherung Widerspruch einzulegen, da es nicht<br />
rechtens sei, rückwirkend und ohne vorherige Ankündigung eine Aussteuerung<br />
vorzunehmen. Ich verabschiedete mich eindeutig entspannter<br />
und in besserer Stimmungslage, als ich die Arbeitsagentur betreten<br />
95
hatte, obwohl meine Schmerzen sich in einem äußerst hohen Level<br />
befanden.<br />
Das kommende Wochenende war vorgeplant mit dem Ausfüllen der<br />
Formulare und dem Zusammenstellen meiner Arztbriefe, die zwischenzeitlich<br />
eine ganze Mappe füllten. Da ich auch bei der Beantragung<br />
der Erwerbsminderungsrente bereits manche Stellungsnahmen,<br />
sowie die gesammelten Arztbriefe vorweisen musste, kam mir dies hier<br />
zugute. Ich schrieb meinen Widerspruch an die Krankenkasse, so dass<br />
dieser am Montag zur Post kam. Ich war zufrieden, nun alles Nötige in<br />
die Wege geleitet zu haben und wartete ab, was nun diesbezüglich auf<br />
mich zukommen würde.<br />
29. Die Tage bis zur zweiten Operation<br />
Das Bewusstsein, nicht mehr völlig über meinen Körper verfügen zu<br />
können und vom ständigen Schmerz fremdgesteuert zu sein, ist für<br />
mich nur schwer zu akzeptieren. Da ist etwas in dir, was du nicht<br />
möchtest und du kannst es nicht abschütteln, sondern dein Leben,<br />
deine Vorhaben und Ziele werden von diesem Etwas bestimmt. Du<br />
hast zwar eigene Vorstellungen, musst dich jedoch dem Schmerz beugen.<br />
Er nagt in dir und du kannst ihn nicht zähmen.<br />
Wenn es um Ideale, Ziele, Lebensausrichtung geht, bin ich kämpferisch<br />
und unnachgiebig. Das kommt mir in meiner Bewältigung<br />
der Krankheit zugute. Ich merke immer mehr, wie ich mich diesem<br />
Schmerz nicht ergeben und unterwerfen möchte. Dafür kämpfe ich<br />
und werde alles mir mögliche und nötige tun, sowie auf mich nehmen,<br />
um an mein Ziel, Schmerzfreiheit zu erreichen, zu gelangen. Die zweite<br />
Operation lag vor mir und ich wusste von der ersten Halswirbel-OP<br />
her in etwa, was auf mich zukommen würde.<br />
Die von Prof. Dr. Seiber verlangte Bescheinigung eines HNO-Arztes,<br />
dass meine Stimmbänder in Ordnung seien, lag vor, wie auch die Ein-<br />
96
weisung vom Hausarzt ins Krankenhaus. Zwischen meinem Schmerzklinikaufenthalt<br />
und der stationären Aufnahme waren es genau vierzehn<br />
Tage, dazwischen lag Ostern und der Besuch unserer Kinder<br />
Helene und Felix. Ich hatte mir vorgenommen, die Zeit bis dahin,<br />
soweit es mein Schmerzverhalten zuließ, zu genießen. Ich liebe es, die<br />
gesamte Familie um mich zu haben. Nichts auf der Welt ist für mich<br />
wichtiger und wertvoller, als das gemeinsame Tun und Erleben mit<br />
meiner Familie.<br />
Die Tage vor Ostern waren diesmal geprägt von der Unsicherheit, was<br />
ich bezüglich meiner inzwischen fast andauernd tauben und schmerzhaft<br />
gewordenen Hand unternehmen sollte. Der Professor befand sich<br />
im Urlaub und ich wusste, würde ich in die Notaufnahme seiner Klinik<br />
gehen, würden sie mich evtl. behalten und beobachten. Andererseits:<br />
Käme es zu einer vorzeitigen Operation, wäre der Operateur nicht<br />
Prof. Dr. Seiber, sondern ein anderer Arzt, dem ich mich anvertrauen<br />
müsste. Das wollte ich nicht. Ich entschloss mich abzuwarten und die<br />
Meinung meines Sohnes dazu anzuhören, der zu den bevorstehenden<br />
Feiertagen anreiste. Nachdem er meinem Bericht gefolgt war, meinte<br />
er: „Das ist nun mal die Auswirkung deiner Krankheit, dass der Nerv<br />
gedrückt wird und eine der Folgen kann ein Taubheitsgefühl sein. Lass<br />
es uns beobachten“. Im Laufe der Woche hatte ich tatsächlich Stunden<br />
ohne „eingeschlafene Finger“, und das gab mir die Zuversicht, auch<br />
die letzten Tage bis zur Operation noch durchzustehen.<br />
„Durchzustehen“ im wahrsten Sinne des Wortes. Meine Schwiegermutter<br />
feierte am Ostersonntag ihren 90. Geburtstag. Wir hatten eine<br />
Anfahrt von zwei Stunden. Dies allein war für mich schon anstrengend.<br />
Die Feier fand in einem von meinen Schwiegereltern einige Kilometer<br />
entfernten Restaurant statt, mit Mittagsessen und Kaffee und<br />
Kuchen am Nachmittag. Bereits als ich das Lokal betrat war mir klar,<br />
dass ich auf diesen für mich schmerzauslösenden Stühlen - sie hatten<br />
eine tiefe Lehne, die leicht nach hinten gebogen war - keine Chance<br />
hatte, diesen Tag gut durchzustehen. Die Tafel war eingedeckt und<br />
gestellt. Es bot sich für mich keine Möglichkeit mich an eine Wand<br />
97
anzulehnen. Bereits nach dem Mittagsessen zog ich es vor, im Auto<br />
für Schmerzerleichterung zu sorgen: Ich stellte mir die Sitzlehne und<br />
Kopfstütze entsprechend ein, versuchte dort immer wieder mit meinem<br />
Tensgerät einige Zeit zu überbrücken und mich mit einem Buch<br />
abzulenken.<br />
Nach den Osterfeiertagen versuchte ich, soweit es mein Zustand zuließ,<br />
noch all das zu erledigen, was ich nach meinem Krankenhausaufenthalt<br />
für lange Zeit nicht mehr tun durfte. Andererseits wollte ich<br />
noch die verbleibenden Tage genießen. Ich traf mich beispielsweise mit<br />
zwei Schmerzpatientinnen aus unserer Gruppe zum Frühstück und besuchte<br />
eine Freundin. Ich machte einen ausgiebigen Stadtbummel und<br />
mein Mann und ich nahmen uns bewusst Zeit für uns.<br />
Im Vergleich zur ersten HWS-Operation war es mir wichtig, dieses<br />
Mal eine Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht zu erstellen. Ich<br />
hatte mir diesbezüglich bereits viele Gedanken gemacht, allerdings sie<br />
nie umgesetzt. Jetzt, eine Woche vor der Operation, war es mir bewusst,<br />
dass ich bei einer möglichen Komplikation keinerlei Vorsorge<br />
dafür getroffen hatte. So setzte ich mich einige Tage vor Beginn<br />
meines Klinikaufenthaltes an meinen Schreibtisch und stellte mich<br />
dieser doch äußerst unangenehmen, folgenschweren und entscheidenden<br />
Herausforderung. Wen ich für das Vertreten meiner Angelegenheiten<br />
für geeignet hielt und dass der- oder diejenige mir auch die<br />
Bereitschaft zugesichert hatte, wusste ich. Ebenso wusste ich, was bzw.<br />
was ich nicht in meiner Patientenverfügung haben wollte, etwa eine<br />
PEG-Magensonde, die ich ablehne. Schwer fiel mir vielmehr die Tatsache,<br />
dass das eventuelle Eintreten der Wirksamkeit einer Patientenverfügung<br />
plötzlich nah und greifbar erschien.<br />
Die stetige Unterstützung meines Mannes Max, der mir während der<br />
gesamten Krankheitsmonate viel abnahm, sein stetes Verständnis mir<br />
gegenüber, als auch unser Gesprächsaustausch bedeuteten mir mehr<br />
als nur Hilfe. Um meinem Mann die Tage der Sorgen um mich und<br />
um mir das Warten am Tag der Aufnahme zu erleichtern, nahm sich<br />
98
unser Sohn ganz selbstverständlich zwei Tage Zeit und reiste erneut an.<br />
Helene, die auch diesmal vorhatte bis nach überstandener Operation<br />
Urlaub zu nehmen, um für mich da zu sein, war dies, da sie eine Urlaubsvertretung<br />
ihrer Kollegin machen musste, leider nicht möglich.<br />
Dafür führte sie mit mir Telefonate und zeigte dadurch ihre Teilnahme.<br />
Allein dieses Wissen darum war ein Geschenk für mich.<br />
Ich glaube, ich kann es auch jetzt nicht mit Worten beschreiben und<br />
die Wertschätzung zum Ausdruck bringen, wie wichtig die Anteilnahme<br />
und Fürsorge meiner Familie für mich war und ist. Dies war genau<br />
das, was mir die nötige Kraft gab und half, doch einigermaßen mutig<br />
und „sortiert“ die Klinik zu betreten. Am Montag, den elften April,<br />
sollte ich mich im Krankenhaus zur stationären Aufnahme melden.<br />
Felix erklärte sich bereit mich in die Klinik zu fahren.<br />
30. Die stationäre Aufnahme<br />
Wie nicht anders zu erwarten war, musste ich bei der stationären Aufnahme<br />
eine Nummer ziehen und warten. Geduld ist ja nun etwas,<br />
das ich als Patient gelernt habe, deshalb nahmen wir das Warten mit<br />
Humor. Während der Stunden bis zur Zuteilung eines Bettes vertrieben<br />
wir uns die Zeit, indem wir das Geschehen und Treiben in der<br />
Ambulanz, sowie die Patienten beobachteten, die hier Auskunft oder<br />
Rat suchten.<br />
Irgendwann wurde meine Nummer aufgerufen und ich ging ins Büro<br />
zur Aufnahme. Viele Blätter und Aufklärungsbögen wurden über den<br />
Schreibtisch hin und her gereicht und ich musste meine Unterschrift<br />
darunter setzen. Ich hasse es, derartige wichtige Texte unterzeichnen zu<br />
müssen, sie aber mangels Zeit nur flüchtig bzw. diagonal durchlesen zu<br />
können. Ich bemerkte dass mein Gegenüber, ein Herr meines Alters,<br />
der mir von der ersten Aufnahme her vom Juli 2014 noch bekannt war,<br />
ungeduldig auf seine Uhr blickte. Keine Chance, der nächste Patient<br />
99
wartete bereits und mein Zeitrahmen war ausgefüllt. Noch die kurze<br />
Frage nach einem Patientenarmband, damit keine Verwechslung meiner<br />
Person möglich wurde. Wieder eine Unterschrift, um dies zu bestätigen.<br />
Dann wurde ein weißes Plastikband um meine rechte Hand<br />
geklickt. Es folgte die Aufforderung meine Patientenakte zur Blutabnahme<br />
zu bringen.<br />
Ich klopfte an der Tür, eine freundliche Krankenschwester drückte mir<br />
erneut Blätter in die Hand, die es zunächst auszufüllen galt. Sie verwies<br />
mich auf einen kleinen Wartebereich. Dort setzte ich mich hin<br />
und trug die Antworten zu den entsprechenden Fragen ein. Teilweise<br />
wiederholten sie sich, etwa die Angaben zur aktuellen Medikamenteneinnahme<br />
oder eine Bestätigung über dies oder das. Es folgte die<br />
Frage zu einer Bestätigung bezüglich des Aufklärungsgespräches in der<br />
Anästhesie, das eigentlich erst danach angesetzt war. Erneutes Warten.<br />
Dann wurde mir Blut abgenommen und ein EKG erstellt.<br />
Dem stetigen Drängen meines Sohnes in den vergangenen Wochen<br />
folgend, setzte ich mich, als eine erneute Operation im Raum stand,<br />
mit einem Krankenhaus in Verbindung, in dem ich vor einigen Jahren<br />
eine Schilddrüsenoperation und eine Titanplattenbefestigung und<br />
Entfernung am Augenbogen erhielt. Ich schrieb die dortige Abteilung<br />
für Anästhesie an, um Auskunft über das damals verabreichte Narkosemittel<br />
zu erhalten. Nach einigen Tagen erhielt ich die Antwort<br />
auf mein Schreiben. Ich erhoffte mir von dieser Auskunft den bereits<br />
beschriebenen Folgen, nämlich der Übelkeit und dem Erbrechen, die<br />
nach der ersten Operation aufgetreten waren, vorbeugen zu können.<br />
Mit diesem Brief ging ich nun in mein Anästhesie-Aufklärungsgespräch.<br />
Dort erwartete mich eine junge Ärztin, die pflichtbewusst mit<br />
mir alle Details samt den eventuell auftretenden Folgen besprach und<br />
Notizen machte. Dann telefonierte sie bezüglich meiner bekannten<br />
Amoxin- und Novalgin-Allergie mit dem Chefanästhesisten und besprach<br />
mit ihm mein Schreiben. Nach wenigen Minuten stellte dieser<br />
sich persönlich bei mir vor und wunderte sich darüber, dass bei den<br />
100
damaligen Operationen eine Narkose verwandt wurde, die im Allgemeinen<br />
schlechter verträglich sei, als die von ihm angewandte. Trotzdem<br />
ließ er sich auf das im Brief beschriebene Narkosepräparat ein und<br />
wollte es während der bevorstehenden Operation einsetzen. Er sprach<br />
mir Mut und Erfolg für den nächsten Tag zu. Es war inzwischen Nachmittag<br />
geworden und unser knurrender Magen ließ uns unweigerlich<br />
wissen, dass es höchste Zeit war die Cafeteria aufzusuchen, um unseren<br />
Hunger zu stillen. Für mich war das wie eine „Henkersmahlzeit“.<br />
Mir wurde in diesem Augenblick bewusst, mich bald dem Können der<br />
Ärzte anvertrauen zu müssen und den Abläufen der Klinik ausgeliefert<br />
zu sein. Danach suchte ich meine Station auf und mir wurde mein<br />
Zimmer zugewiesen.<br />
Die Station befand sich im Parallelgang zu der im vergangenen Juli<br />
bei meiner ersten HWS-OP gelegenen Station. Ich meldete mich im<br />
Stationszimmer an und eine Krankenschwester ging mit mir in mein<br />
Krankenzimmer. Sie stellte mich der im Bett liegenden Patientin vor<br />
und zeigte mir meine Schränke. Danach riss sie die Plastikfolie, die<br />
mein Krankenbett umhüllte, ab. Ein Schlüssel für einen verschließbaren<br />
Schrank wurde mir in die Hand gedrückt und mit den Worten:<br />
„Irgendwann kommt noch ein Arzt zum Aufklärungsgespräch vorbei“<br />
war sie auch schon wieder weg. Es munterte mich auf, in die leuchtenden<br />
Augen meiner Bettnachbarin zu blicken, die mit einer Halskrause,<br />
der sog. „Henßge Krawatte“ in ihrem Bett lag und mich neugierig<br />
musterte. Unsere Blicke trafen sich, und wir stellten beide sehr schnell<br />
fest, dass unsere Chemie passte und Sympathie die doch nüchterne<br />
Klinikatmosphäre ausfüllte. Wir stellten uns gegenseitig vor und erzählten<br />
uns in Kürze den Grund unseres Klinikaufenthaltes.<br />
Danach ging ich nach draußen zu meinem Sohn, der im Besucherbereich<br />
noch auf mich wartete. Hier hielten wir uns noch einige Minuten<br />
dort zusammen auf, um uns zu verabschieden. Schweren Herzens<br />
ging ich zurück ins Krankenzimmer. Die restliche Zeit, es war inzwischen<br />
17 Uhr geworden, verbrachte ich mit dem Einräumen meiner<br />
persönlichen Gegenstände und mit Gesprächen mit Simone, meiner<br />
Bettnachbarin.<br />
101
31. Der Abend davor<br />
Es ist ja immer wieder faszinierend, dass das Abendbrot in Krankenhäusern<br />
häufig bereits um 16:45 Uhr ausgeteilt und das Tablett mit<br />
dem gebrauchten Geschirr möglichst schnell, gegen 17:30 Uhr, wieder<br />
eingesammelt wird. Aus organisatorischen und personellen Gründen<br />
sicherlich verständlich. Aus Sicht des Patienten eine Zumutung. Wer<br />
nimmt Zuhause um diese Zeit sein Abendbrot ein, wenn nicht besondere<br />
Gründe vorliegen? Ich habe es öfters erlebt, dass eine Pflegerin<br />
oder ein Pfleger kamen, um mein Gedeck abzuholen. Manchmal trafen<br />
mich erstaunte, manchmal auch vorwurfsvolle Blicke, wenn ich<br />
das Essen noch nicht angerührt hatte und es für später aufheben wollte.<br />
Ich schaffte es noch nicht, mich in das Bett, das für die nächsten<br />
Tage sich das meine nennen sollte, hineinzulegen. Ich war zu aufgeregt<br />
und innerlich zu aufgewühlt.<br />
So gegen 18 Uhr öffnete sich die Zimmertüre und ein Arzt stand vor<br />
mir. Er hielt Blätter, die ich noch zu gut vom Juli 2014 kannte, in seiner<br />
Hand. Er meinte, er würde mit mir das Aufklärungsgespräch führen<br />
und benötige dann anschließend meine Unterschrift und Einwilligung<br />
zur morgigen Operation. Mir war alles andere danach, als vor Augen<br />
geführt zu bekommen, was eventuell während des bevorstehenden<br />
Eingriffes eintreten könnte und welche Gefahren und Risiken doch<br />
das Ganze birgt. Hatte ich mir doch bereits mehr als genug Gedanken<br />
darüber gemacht. Noch immer hallten mir die Worte des damaligen<br />
Arztes nach, der mich bei der letzten HWS-Operation damit aufklärte:<br />
„kann zum Tod führen, das hatten wir auch schon“.<br />
Ich machte mit dem Doktor einen Deal: Ich überzeugte ihn, über alles<br />
genau Bescheid zu wissen, allerdings es nicht erneut hören zu wollen.<br />
Dafür gab ich ihm sofort meine Unterschrift. Der Arzt war sehr nett,<br />
einfühlsam und verständig und ich bedauere, dass ich ihn während<br />
meines gesamten Aufenthaltes nicht mehr gesehen oder getroffen habe.<br />
102
Unser „Aufklärungsgespräch“ war somit schnell vorüber und ich war<br />
dankbar über diesen unkomplizierten Verlauf. Der Doktor unterhielt<br />
sich noch ein wenig mit meiner Bettnachbarin über ihre Physiotherapie,<br />
die nach einer Halswirbeloperation erst drei Monate nach einem<br />
Eingriff stattfinden solle, da ansonsten eine Lockerungsrate von 35 %<br />
gegeben sei. Ich schenkte ihrem Gespräch meine Aufmerksamkeit, da<br />
mich dieses Thema später ja auch betreffen würde. Wie sehr, das sollte<br />
sich nach meiner Entlassung herausstellen.<br />
Die Nasszelle befand sich in einem schlimmen, Ekel erregenden Zustand.<br />
Die Toilette war verschmutzt und das Waschbecken gelblich,<br />
verkrümelt und Schmutzränder zierten den Beckenrand. Für einen<br />
neu angekommenen Patienten kein angenehmer Anblick. Ich habe am<br />
zweiten Tag meiner Anwesenheit im Krankenhaus dies bei einer Pflegekraft,<br />
die gerade das Bett für die nächste Patientin herrichtete, beanstandet.<br />
Es war kaum zu fassen: Bei meinem nächsten Toilettenbesuch<br />
musste ich feststellen, dass die Toilette war ordentlich geputzt war und<br />
das Waschbecken blitzte! Na also, geht doch, denke ich mir gerade<br />
beim Schreiben der Zeilen. Wäre es nicht eine Selbstverständlichkeit,<br />
einen solchen Anblick bei der Ankunft und während der gesamten<br />
Dauer des Aufenthaltes vorzufinden und nicht erst nach Aufforderung?<br />
Ich setze eine derartige Hygienemaßnahme eigentlich voraus.<br />
So gegen 21 Uhr kam die Nachtschwester. Freundlich und zügig erledigte<br />
sie ihre Aufgaben wie das Verteilen der Nachtmedikamente<br />
und legte mir das Operationshemd und Netzhöschen hin. Für den<br />
Fall einer schlaflosen Nacht bekam ich eine Schlaftablette von ihr. Sie<br />
erzählte mir zudem, dass ich für 13:30 Uhr auf dem Operationsplan<br />
stand. Ich war dankbar, mir noch von zu Hause Bananen und Kekse<br />
mitgenommen zu haben. So konnte ich diese mir bis zur erlaubten<br />
Zeit bis 22 Uhr einverleiben. Der nächste Tag könnte auf Grund des<br />
spät angesetzten OP– Termins nämlich im nüchternen Zustand lang<br />
werden und deshalb stopfte ich in mich rein, was möglich war.<br />
Den Abend verbrachten wir mit Fernsehen und da ich zuhause die<br />
103
Nacht zuvor schlecht geschlafen hatte, war ich müde und schlief irgendwann<br />
ein. Gegen 1:30 Uhr wachte ich auf, weil mir Arme und<br />
Beine juckten. Erst versuchte ich dies zu ignorieren, aber das Jucken<br />
wurde immer schlimmer. Ich überlegte mir, woran das wohl liegen<br />
könnte. Ich wusste, dass ich eine empfindliche Haut habe, das sich<br />
häufiger schon in einer Kontaktallergie äußerte. Ich legte mich auf<br />
die Bettdecke, um mich etwas abzukühlen und stellte fest, dass die<br />
Hautreizung nachließ. Ich breitete die gesamte Decke über das Laken,<br />
mit dem die Matratze überzogen war. Darauf legte ich mich und mit<br />
der Zeit hörte das unangenehme Jucken tatsächlich auf. Ich nehme<br />
an, dass es das Bettlaken war, vielleicht mit einem starken Desinfektionsmittel<br />
gereinigt, welches bei mir den Juckreiz auslöste. Ich machte<br />
mich auf den Weg, die Nachtschwester ausfindig zu machen und bat<br />
um eine zusätzliche Bettdecke, um mich darin aufwärmen zu können.<br />
Diese erfüllte mir anteilnehmend diesen Wunsch. Ich ließ diese Decke<br />
während all der Tage auf meiner Matratze und ich bekam keinen weiteren<br />
Juckreiz.<br />
32. Zweite Halswirbeloperation<br />
Gegen 7 Uhr begann der übliche Tagesablauf einer Klinik: Fiebermessen,<br />
Medikamentenausgabe, Blutdruckkontrolle. Danach wurde Simone<br />
ein spärliches Frühstück, das aus einer Tasse Kaffee, einem Brötchen,<br />
einer kleinen Packung Diätmargarine und Marmelade bestand,<br />
gebracht. Es stellte sich am Tag ihrer Entlassung heraus, dass sie die<br />
gesamte Zeit aus Versehen ein Diätfrühstück bekam. Auf diese Mahlzeit<br />
musste ich wirklich nicht neidisch werden.<br />
Ich wusch mich, zog mir, wie aufgetragen, das „OP-Kostüm“ an und<br />
legte mich abwartend wieder in mein Bett. Es war der lockeren, aufgeschlossenen<br />
Art Simones zu verdanken, dass die Zeit, bis ich in den<br />
Operationssaal abgeholt wurde, relativ schnell verging. Den Vormittag<br />
vertrieben wir uns die Zeit mit Plaudereien über unterschiedliche<br />
104
Themen, tauschten Kochrezepte aus oder lachten über manche Begebenheit.<br />
Gegen Mittag brachte mir ein Krankenpfleger die Tablette,<br />
die einem alles „egal“ werden lässt und bat mich, diese einzunehmen.<br />
Ich betrachtete dies als ein gutes Zeichen, denn das hieß für mich,<br />
dass es nun bald losgehen würde. Aufgrund der fortgeschrittenen Tageszeit<br />
hatte ich nämlich innerlich schon die Befürchtung, auch diese<br />
Operation könnte, wie die erste, kurzfristig um einen Tag verschoben<br />
werden. Deshalb war ich nahezu erleichtert, dass alles nach Plan verlief.<br />
Ich legte meine Brille auf den Nachttisch und hoffte inständig,<br />
dass ich sie später im Aufwachraum gebracht bekäme. Ohne Brille sehe<br />
ich mein Umfeld wesentlich kleiner und ungenauer, die Welt ist für<br />
mich dann sehr viel weiter entfernt. Die Tablette wirkte innerhalb sehr<br />
kurzer Zeit, ich döste vor mich hin, Angst und Panik erfassten mich,<br />
zugleich Erleichterung, dass es nun endlich soweit war.<br />
Es dauerte keine halbe Stunde, als ich von einem Krankenpfleger abgeholt<br />
wurde, der übrigens durch sein charmantes, engagiertes und<br />
herzliches Auftreten den Patienten gut tat und durch seine schlichte<br />
Anwesenheit positive Stimmung verbreitete. Mit einem kurzen Händedruck<br />
wünschte er mir Glück und an viel mehr kann ich mich nicht<br />
erinnern. Danach Nebel.......Dämmerung.......Nacht....<br />
Ich nahm wahr, dass mich ein Arzt ansprach: „Sie haben alles überstanden<br />
und sind wieder bei uns“. Diese Worte drangen in mein Unterbewusstes.<br />
......Beine und Hände bewegen...alles funktioniert. Ich wollte<br />
etwas sprechen, um meine Stimme zu hören, aber ich war zu schwach.<br />
Noch ein Versuch.......ich registriere Schmerzen in der Kehle.......“-<br />
Meine Brille, kann ich sie haben?“ Ich hörte meine eigenen Worte.<br />
…..Dann nur noch E R L E I C H T E R U N G. Dieser Moment, die<br />
Feststellung, alles ohne Lähmungserscheinungen oder Stimmverlust<br />
hinter mich gebracht zu haben und wieder bei vollem Bewusstsein zu<br />
sein, ist wie ein innerliches Feuerwerk.<br />
Ein Arzt erklärte mir, dass ich mich auf der Intensivstation befände,<br />
da es zu leichten Schwellungen im Hals gekommen sei. Ich registrierte<br />
105
es, aber Müdigkeit, Schwäche und Schmerzen überlagerten die Wahrnehmung<br />
dieser Tatsache. Ich blickte irgendwann in die besorgten Augen<br />
meines Mannes und spürte seine Nähe. Dann das Gesicht meines<br />
Sohnes Felix, der sich für die Intensivmedizin und Geräte hinter mir<br />
interessierte und deren Funktionen später meinem Mann verständlich<br />
machte. Wegschlummern, eine neue Infusion wird angebracht, wegschlummern....aufwachen.....der<br />
Stich einer Nadel, um Blut abzunehmen,<br />
wegschlummern.......Es tat gut, die Anwesenheit und Teilnahme<br />
der Familie zu spüren. Wegschlummern, die Stimme des Arztes, der<br />
mich aufforderte, ein Medikament mit abschwellender Wirkung zu inhalieren.<br />
Wegschlummern, Schmerzen, ein Engegefühl im Hals.<br />
Nachdem mein Mann und unser Sohn sich verabschiedet hatten, schlief<br />
ich ein bis zur Übergabe des Pflegepersonals an den Nachtdienst. Ich<br />
wurde aufmerksam, als der diensthabende Arzt seine Ablösung über<br />
meinen Zustand informierte. Keine Komplikationen hörte ich ihn sagen.<br />
Ein Gefühl von unsagbarer Dankbarkeit überkam mich. Er kam<br />
zu mir, verabschiedete sich und erklärte mir: „Sollte heute Nacht ein<br />
Notfall auf Intensiv kommen, dann dürfen sie auf die Station zurück“.<br />
Und der Notfall kam gegen 2:00 Uhr morgens. Der nun diensthabende<br />
Intensivmediziner ermutigte mich, sollte es zu irgendwelchen<br />
Auffälligkeiten oder Beschwerden kommen, dass ich sofort der Nachtschwester<br />
auf Station Bescheid geben solle. Er sicherte mir dann sein<br />
sofortiges Kommen zu. Morgen früh, fügte er noch an, würde mich ein<br />
Physiotherapeut besuchen, mir beim Aufstehen helfen und mir Übungen<br />
zeigen. Dann merkte ich, wie sich das Bett bewegte und ich davongeschoben<br />
wurde. Ich denke gerne an die „Rundum-Betreuung“ in der<br />
Intensivstation zurück. Ich hatte dort das Gefühl einer guten, kompetenten<br />
Versorgung, sowohl medizinisch wie auch pflegerisch. Keine<br />
mürrische Schwester, wenn ich wiederholt um die Bettpfanne bitten<br />
musste oder ein anderes Anliegen äußerte. Freundliche, aufmunternde<br />
Menschen, die mich dort umgaben. Ich empfand eine ehrliche Bereitschaft<br />
und das Engagement der Ärzte und Pfleger, für die Patienten da<br />
zu sein. Das sollte sich bald ändern.<br />
106
33. Der Tag danach<br />
Auf Station zurück wurde mir mein Blutdruck gemessen. Er zeigte sich<br />
im Normalbereich. „Da ersparen Sie mir Arbeit“, so die Aussage der<br />
lächelnden Schwester. Dieser Satz drang durch meinen matten Körper.<br />
Bedingt durch die vielen Infusionen musste ich häufig auf die Toilette.<br />
Die Nachtschwester brachte mir hektisch die Bettpfanne und holte sie<br />
genauso eilig wieder ab. Es kostete mich Überwindung, ein zweites<br />
und drittes Mal nach ihr zu klingeln. Der Morgen begann um 6:00<br />
Uhr mit Blutdruck- und Fiebermessen, sowie mit der Medikamentenausgabe.<br />
Kein unnötiges Geplauder seitens des Pflegepersonals. Alles<br />
beschränkte sich auf das Nötigste an diesem Morgen. Wie schön war<br />
es doch da, ein fröhliches „guten Morgen“ von der anderen Seite des<br />
Zimmers zu hören. Es war Simone, die inzwischen erwacht war und<br />
die sich freute, mich wieder zu sehen. Das beruhte auf Gegenseitigkeit.<br />
Ich wartete ungeduldig auf das Frühstück, die erste Mahlzeit seit gestern.<br />
Ich war hungrig.<br />
Als ich endlich mein Frühstück hatte, fiel mir allerdings das Essen<br />
schwer. Ich konnte nur sehr kleine Stückchen von meinem Vollkornbrot<br />
schlucken, das im Übrigen gänzlich ungeeignet für einen im Hals<br />
frisch operierten Patienten ist. Das Innere meines Halses war gereizt<br />
und besonders das Schlucken tat mir weh. Ich versuchte mit meinen<br />
Fingern an meinem Hals den Schnitt bzw. die Wunde zu erkunden.<br />
Dieser war mit einem Pflasterverband beklebt. Auf der linken Seite<br />
hing ein Wundschlauch, der das Blut in die Wundflasche tropfen ließ.<br />
Ich klingelte und fragte meinen Lieblingspfleger, ob ich das OP-Hemd<br />
ausziehen dürfe und ob er mir helfen könnte, mein eigenes T-Shirt<br />
überzuziehen. Er wusch mir bereitwillig das rote Desinfektionsmittel<br />
vom Oberkörper und versuchte, mich zum Aufstehen zu ermutigen.<br />
Er stützte mich auf dem Gang in die Nasszelle und wartete, bis ich<br />
mir die Zähne geputzt hatte. Die erste Hürde zur Selbstständigkeit<br />
hatte ich genommen, das war ein gutes Gefühl. Ich war nun wieder<br />
unabhängig vom Pflegepersonal und konnte aufstehen, wann immer<br />
ich wollte.<br />
107
Die Infusionsnadel wurde auf meine Nachfrage hin noch an diesem<br />
Vormittag gezogen. Sie tat ziemlich weh und ich war erleichtert, als<br />
sie entfernt war. Ich merkte erst jetzt, wie erschöpft ich noch war. Ich<br />
schlief während des Tages des Öfteren ein und war dankbar über die<br />
Ruhe. Die Reinigungskraft erschien und wir beobachteten, wie sie<br />
putzte. Simone und ich waren uns beide einig, dass dies mit Sicherheit<br />
nicht den Hygienevorschriften eines Krankenhauses entsprach. Da war<br />
kein zweites Eintauchen des Lappens in das Wassers, die gesamte Bodenfläche<br />
wurde in einem Zug durchgewischt. Ich erinnerte mich an<br />
die Beobachtungen und Erfahrungen meines letzten Klinikaufenthaltes<br />
und war im Gegensatz zu meiner Bettnachbarin darüber nicht allzu<br />
erstaunt.<br />
Bei der Arztvisite bekam Simone die Erlaubnis, am folgenden Tag nach<br />
Hause zu dürfen. Bei mir begutachtete der Arzt meine Wundflasche<br />
und spekulierte, dass diese am nächsten Morgen gezogen werden könne.<br />
Keine persönlichen Worte, keine Fragen nach dem Befinden des<br />
Patienten. Abends besuchte mich mein Mann. Wir versuchten einen<br />
kleinen Spaziergang rund um die Klinik zu machen. Es war für mich<br />
sehr anstrengend. Es war schön, mit ihm zu sprechen, Vertrautes zu<br />
spüren. Mit dem Wissen, das Schlimmste überstanden zu haben, genossen<br />
wir den Abend. Genauso wichtig waren für mich die Anteilnahme<br />
durch Telefonate, WhatsApp oder SMS-Nachrichten. Einfach<br />
zu wissen, dass Familie, Freunde und Bekannte an einen denken und<br />
daran teilhaben; dieses Wissen schenkte mir Kraft und Freude. Simone<br />
und ich verbrachten den Rest des Abends mit viel Unterhaltung und<br />
Fernsehen.<br />
Der nächste Morgen gestaltete sich wie immer mit Medikamentenausgabe,<br />
Fiebermessen und Frühstück. Simone hatte Schmerzen und<br />
drängte darauf, vor ihrer Entlassung noch einen Arzt zu sprechen.<br />
Nach einigem hin und her der Schwestern sollte sie um 8:00 Uhr bei<br />
Prof. Dr. Seiber vorstellig werden. Als sie wieder kam erzählte sie mir,<br />
dass ein türkischer Name auf einem Bett, das vor der Tür stünde, angebracht<br />
wäre. Ihre Nachfolgerin sei wohl eine Dame mit türkischem<br />
108
Namen, kommentierte sie. Dann begann sie mit dem Einpacken. Die<br />
Vorfreude über ihre Entlassung war nicht zu übersehen. Hektische Betriebsamkeit<br />
erfüllte den Raum. Sie stellte mir zum Abschied noch<br />
eine Kanne Pfefferminztee hin und dann folgten Umarmungen und<br />
ein Abschied mit dem gegenseitigen Versprechen, sich beim Anderen<br />
zu melden und in Kontakt zu bleiben. Der Abschied voneinander fiel<br />
uns beiden schwer.<br />
Den Vormittag über war ich allein in Zimmer. Ich ließ mein Bett von<br />
der einen Seite des Raumes auf die andere Seite zum Fenster und Balkon<br />
schieben, so dass ich den Blick in die Natur hatte. Dann wurde<br />
Simones Bett gegen ein anderes ausgetauscht.<br />
34. Eine neue Bettnachbarin - die türkische<br />
Familie<br />
Nach dem Mittagsessen klopfte es und eine türkische Familie mit sechs<br />
Personen betrat das Krankenzimmer. Wer davon die Patientin war,<br />
konnte ich sofort erkennen: Eine ältere, gebückte, am Stock gehende<br />
und in ein Kopftuch gehüllte Frau, die vom Rest der Gesellschaft in<br />
das Zimmer eingewiesen wurde. Lautes Durcheinanderreden erfüllte<br />
den Raum. Keine Aussicht auf Ruhe. Nach zwei Stunden verabschiedeten<br />
sich die Personen nach und nach. Lediglich die Tochter blieb. Sie<br />
wartete auf das Aufklärungsgespräch mit einem türkisch sprechenden<br />
Arzt. Ihre Mutter, so erklärte sie mir, hätte morgen eine achtstündige<br />
Operation vor sich. Sie sei Kurdin, sehr gläubig, aber spreche kein<br />
Wort Deutsch. Irgendwann erschien der erwartete Arzt. Danach verabschiedete<br />
sich auch die Tochter. Ich atmete durch, endlich Stille. Die<br />
hatte ich nun auch wirklich nötig.<br />
Inzwischen war es 17 Uhr geworden. Die Frau ging zur Toilette, plötzlich<br />
hörte ich sie laut und betont sprechen. Vielleicht dachte ich, hat<br />
sie ein Handy mitgenommen und telefoniert dort. Nach einiger Zeit<br />
109
trat sie heraus und holte sich an ihrem Schrank eine Gießkanne. Ich<br />
wunderte mich. Erneut ging sie ins Bad. Dort hörte ich sie plätschern.<br />
Ich verfolgte interessiert das für mich befremdende Geschehen, konnte<br />
aber keine Erklärung für ihr Verhalten und Handeln finden.<br />
Danach kam die Frau zu mir, schob meinen Nachttisch beiseite und<br />
ging nach draußen auf den Balkon. Dort blickte sie nach rechts und<br />
links und ging wieder nach innen. Sie nahm eine mitgebrachte karierte<br />
Wolldecke, breitete diese über ihr Bett aus und kniete sich verkehrt herum<br />
hinein. Dann fing sie an nach Mekka zu beten, laut, hemmungslos<br />
und gestikulierend. Ich suchte nach diesem Nachmittag eigentlich<br />
nur noch die Ruhe, die ich nach meinem Eingriff dringendst benötigte.<br />
Einerseits war ich fasziniert und bewunderte die Innigkeit, mit der<br />
sie ihr Gebet verrichtete, gleichzeitig fühlte ich mich absolut gestört.<br />
Nach etwa einer Stunde beendete sie ihr Tun. Dieses Ritual wurde<br />
stundenweise wiederholt, auch nachts und in Anwesenheit ihrer Familie.<br />
Ich erwachte um drei Uhr, blinzelte zum anderen Bett, da hörte<br />
bzw. sah ich die betende Frau. Um sechs Uhr morgens lautes Beten,<br />
die Patientin verkehrt herum in ihrem Bett, auf ihrer Decke kniend.<br />
Dieser Anblick bot sich mir Tag und Nacht, ohne Rücksicht auf meine<br />
Belange und Bedürfnisse. Keine Aussicht auf Stille. Meine eigene<br />
moralische Rücksichtnahme verbot mir fernzusehen oder selbst etwas<br />
lauter zu werden, wie etwa beim Telefonieren oder bei Gesprächen mit<br />
Besuchern. Ich verließ dazu immer das Krankenzimmer.<br />
Abends erhielt die neue Bettnachbarin Besuch von ihrem Sohn. Laute<br />
Unterhaltung folgte, dazwischen die Gebete. Manchmal hielt sie eine<br />
Perlenkette in der Hand, die einem Rosenkranz ähnlich war. Auch hier<br />
Gebetsgemurmel und das Abstreifen der Finger an den klappernden<br />
Perlen. Ich fühlte mich eingeschränkt und einfach nur gestört. Täglich<br />
morgens um sieben Uhr kam die Tochter der Patientin und blieb bis<br />
zum Abend. Ich befragte die junge Frau, die auch am folgenden Tag<br />
am Krankenbett ihrer Mutter ihre Zeit verbrachte, welche Bedeutung<br />
die Gießkanne hätte, die ihre Mutter nach wie vor mit zur Toilette<br />
nahm. Sie erzählte mir, dass diese zur rituellen Reinigung diene und<br />
110
das Waschen mit einem Gebet einhergehe. Die Erfahrung, die ich hier<br />
machen musste, war alles andere als angenehm und förderlich für einen<br />
frisch operierten Patienten. Die mangelnde Rücksichtnahme dieser<br />
Patientin und ihrer Familie und die ständige Unruhe trug nicht zu<br />
meiner Genesung und Ausgeglichenheit bei. Ich blickte deshalb sehnlichst<br />
dem Tag meiner Entlassung entgegen.<br />
35. Die Bitte um ein Arztgespräch<br />
Am dritten Tag trat nachmittags Prof. Dr. Seiber an mein Bett. Er<br />
trug eine grüne OP-Kleidung. Er erklärte mir in knappen Worten, dass<br />
er seinen Verdacht bestätigt sah, ein Knochenstückchen habe auf den<br />
Nerv gedrückt. Ich wollte gerade mit ihm ins Gespräch kommen und<br />
ihn fragen, ob meine Schmerzen, die ich noch hinten an der Halswirbelsäule<br />
verspürte, nach dem Eingriff normal wären, als er sich eilig<br />
mit den Worten verabschiedete: „Eigentlich bin ich gar nicht da, ich<br />
muss dringendst in den Operationssaal“; es blieb überhaupt keine Zeit<br />
für eine Frage. Mein Wundschlauch wurde einen Tag nach Simones<br />
Entlassung gezogen. Der Arzt blickte wiederholt kritisch auf meine<br />
Flasche, in der sich das abfließende Blut gesammelt hatte und entschied<br />
sich für das Entfernen des Wundschlauches. Ein kurzer Ruck,<br />
ein kleines Ziehen, weg war er. Auch heute keine Erkundigung oder<br />
Interesse, wie es mir geht. Nur die knappe Mitteilung, dass ich morgen<br />
heim darf. Freude stieg in mir auf. Ein Telefonat mit meinem Mann,<br />
ich wollte meine Freude mit ihm teilen.<br />
Betrachte ich den Tagesablauf aus der Sicht eines Patienten, so passierte<br />
nach meiner Operation außer der Medikamenten- und Essensausgabe,<br />
sowie dem Schichtwechsel der Pflegekräfte eigentlich wenig bis<br />
nichts. Kein Bettenmachen, keine Physiotherapie, keine wirkliche Unterhaltung<br />
zwischen Arzt und Patient oder eine kurze Unterhaltung<br />
mit den Pflegekräften. Fazit von meinen Krankenhausaufenthalten<br />
in dieser Klinik: „Schnellstmögliche Entlassung der Patienten“. Nach<br />
111
dieser kurzen Visite kam mir in den Sinn, dass ich eigentlich gar nicht<br />
wusste, mit welchem Faden meine Wunde genäht wurde. War es einer<br />
zum Entfernen, und wenn, zu welchem Zeitpunkt oder löste sich dieser<br />
nach Tagen von selbst auf? Alles ging zu schnell und der Arzt war<br />
verschwunden. Außerdem verspürte ich dumpfe Schmerzen im Nacken<br />
wenn ich aufstand oder umherging. Bevor ich morgen entlassen<br />
wurde, wollte ich auf jeden Fall noch mit einem Arzt sprechen.<br />
Dieses Vorhaben gestaltete sich allerdings als ein Problem. Bereits als<br />
ich von meiner Entlassung erfuhr und eine Krankenschwester uns das<br />
Mittagessen brachte, bat ich sie um ein Gespräch mit dem Stationsarzt.<br />
Dieser sei, so ihre Information, leider an diesem Tag noch im<br />
OP und darum nicht mehr zu erreichen. Sie reiche aber meine Bitte<br />
an ihn weiter. Am Abend bei der Medikamentenausgabe äußerte ich<br />
wiederholt meine Bitte: „Bevor ich meinen Nachhauseweg antreten<br />
würde, hätte ich gerne einen Arzt gesprochen“. Die Pflegekraft nickte<br />
und verließ den Raum.<br />
Später, kurz vor dem Schichtwechsel des Personals, trat der durch seine<br />
Freundlichkeit herausragende Pfleger an mein Bett und fragte, ob<br />
ich noch etwas für die Nacht benötigen würde. So erzählte ich ihm<br />
zum wiederholten Male von meiner Frage, mit welchem Faden die<br />
Wunde genäht wurde und von meinem Wunsch einen Arzt sprechen<br />
zu wollen. Er zeigte Verständnis und sagte, dass er den Sachverhalt<br />
bei der Übergabe weiterleiten wolle. Der nächste Morgen, der Tag der<br />
Entlassung, startete mit dem Nichterhalt meiner Medikamente. Ich<br />
war darüber zwar erstaunt, dachte mir aber, die Medikamentenausgabe<br />
würde sicherlich noch zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Es stellte<br />
sich jedoch heraus, dass diese schlichtweg vergessen wurde. Daraufhin<br />
nahm ich die in meiner Tasche befindlichen eigenen und für mich<br />
wichtigen und erforderlichen Medikamente ein. Das übliche Fiebermessen<br />
erfolgte durch eine Helferin und die Injektion der täglichen<br />
Thrombosespritze blieb aus. An diesem Freitag verspätete sich auch die<br />
Frühstücksausgabe um eine Stunde. Mein Hinweis an die Krankenschwester,<br />
die meine betende Bettnachbarin zur Operation abholte, sie<br />
112
möchte bitte für mich einen Kontakt zum Stationsarzt bzw. zum Professor<br />
herstellen, wurde mit einem Achselzucken beantwortet. Allerdings<br />
erhielt ich die klare Aufforderung von ihr, ich solle das Zimmer<br />
möglichst bis 10:00 Uhr verlassen.<br />
Ich verließ das Krankenzimmer und traf im Gang auf die Stationsschwester.<br />
Ein erneuter Versuch mit der Bitte um ein Arztgespräch.<br />
Die Antwort von ihr lautete: “Habe ich Sie operiert, wie soll ich denn<br />
wissen, was sie für einen Faden haben“. Eine Arztvisite sei an diesem<br />
Tag nicht vorgesehen, so ihre weitere Information. Auf meine Frage,<br />
was ich nun tun solle, meinte sie: „Gehen Sie in das Sekretariat des<br />
Professors und fragen sie dort nach“. Ich erklärte ihr, ich würde mein<br />
Zimmer nicht verlassen und frei machen, bevor es nicht zur einem<br />
Arztkontakt gekommen wäre. Erst dann würde ich mich abholen lassen.<br />
So ging ich zwei Stockwerke tiefer zum Sekretariat. Ich klopfte an und<br />
trat ein. Ich erblickte nicht wie bereits aus früheren Besuchen Frau<br />
Mohn, die Sekretärin von Prof. Dr. Seiber, sondern eine andere Dame,<br />
die hinter einer Thermoskanne auf dem Schreibtisch fragend hervorblickte<br />
und mit vollem Mund nach dem Grund meiner Anwesenheit<br />
fragte. Ich erklärte ihr den Sachverhalt und bekam eine ähnliche<br />
Antwort wie die der Stationsschwester. Sie habe nicht operiert, also<br />
könne sie auch keine Antwort auf meine Frage geben. Ihr Blick signalisierte<br />
mir, es wäre ihr nun recht, wenn ich das Büro verließe.<br />
Ich merkte, wie ich langsam ungemütlich wurde und ließ auch sie wie<br />
vorher auf Station in einem ziemlich bestimmten Ton wissen, dass ich<br />
mein Krankenzimmer erst räumen würde, wenn ich einen Arzt gesehen<br />
hätte. Darauf bemühte sie sich um eine Lösung: „Gehen sie zur<br />
Ambulanz, ich melde sie halt dann dort an“. In der Ambulanz traf ich<br />
auf eine Krankenschwester, die ich aus vorhergehenden Untersuchungen<br />
kannte. Sie erkundigte sich, ob bei meiner Operation und insgesamt<br />
soweit alles gut gelaufen sei. Während ich etwas mit ihr plauderte<br />
blickte sie mich fragend an, sie verstand nicht den Grund meiner An-<br />
113
wesenheit hier in der Ambulanz. Ich erzählte ihr von meiner Bitte um<br />
ein Arztgespräch. Sie bat mich daraufhin freundlich im Wartezimmer<br />
Platz zu nehmen und versprach mir Hilfe.<br />
Es folgte eine Stunde Warten. Dann wurde mein Name durch den<br />
Lautsprecher aufgerufen mit dem Hinweis, ich möchte mich bitte in<br />
das Sprechzimmer begeben. Beim Betreten des Raumes traf mein Blick<br />
auf genau den Arzt, einen Neurologen, der mir im vergangenen Sommer,<br />
als ich in der Notaufnahme war, das nötige MRT verweigerte. Es<br />
war allerdings nicht zu erwarten, dass er sich bei dem Patientendurchlauf<br />
dieser Klinik an mich erinnerte. Er fragte mich erstaunt, was ich<br />
für ein Anliegen hätte, würde ich doch von der Station kommen und<br />
dies hier sei eine Ambulanz. Es war mir allmählich leid, mich immer<br />
wieder rechtfertigen zu müssen. Als ich ihm die Frage nach dem Faden<br />
in der Naht und dessen Beschaffenheit stellte, wies er mich auf<br />
die Visite hin, die an diesem Vormittag auf Station stattfinden sollte.<br />
Ich wiederum verwies auf die Aussage der Stationsschwester, die<br />
eine Visite an diesem Morgen verneinte. Der Arzt schüttelte den Kopf<br />
und erklärte mir vehement, dass dort eine Visite stattfinden würde. Er<br />
spürte wohl meinen Ärger und so ließ er mich mit betont großzügiger<br />
Gestik und Mimik wissen: „Wenn Sie nun schon da sind, dann werde<br />
ich halt unter ihren Verband schauen“. Er meinte, allerdings könne<br />
er keinen neuen anlegen, da er so einen Pflasterverband (es war ein<br />
Allergiepflaster) nicht vorrätig hätte. „Na ja, könnte sich entzünden,<br />
aber wenn Luft hinkommt ist es auch nicht schlecht“, genau so seine<br />
Worte. Nach näherem Betrachten der Wunde wurde ich endlich informiert,<br />
dass es sich um einen selbstauflösenden Faden handelte. Er<br />
klopfte mir abschließend auf die Schulter und meinte: “Machen Sie<br />
weiter mit Physiotherapie“. „Ich habe hier während meines Aufenthaltes<br />
überhaupt keine bekommen“, so mein verwunderter Kommentar.<br />
Daraufhin er: „Trotzdem, machen sie weiter“ und schon war er aus<br />
dem Raum verschwunden.<br />
Gut, dachte ich, ich soll also Krankengymnastik fortsetzen, die ich nie<br />
hatte! Gleichzeitig ging mir durch den Kopf, dass in den ersten drei<br />
114
Monaten bei physiotherapeutischer Behandlung angeblich eine Lockerungsrate<br />
von 35% auftreten kann, wenn ich den Worten des Arztes<br />
auf Station Glauben schenken wollte, der Simone darüber aufgeklärt<br />
hatte. Auf dem Weg zurück zur Station, es war inzwischen 10:45 Uhr<br />
geworden, beschloss ich, mir vorbeugend frisches Verbandsmaterial<br />
auf meinen Hals kleben zu lassen, um eine Infektion zu vermeiden. Ich<br />
rief endlich meinen Mann an, der bereits seit dem Morgen auf meine<br />
Aufforderung zum Abholen wartete. Ich meldete mich im Stationszimmer,<br />
um dort meinen Arztbericht zu erhalten. Stattdessen bekam ich<br />
von der Stationsschwester drei Thrombosespritzen zur Prophylaxe und<br />
Medikamente für drei Tage. „Der Arztbrief sei leider nicht fertig und<br />
unterzeichnet“, dieser würde möglichst schnell nachgereicht und mir<br />
zugesandt werden, lautete ihr abschließender Satz.<br />
36. Erfahrungen eines Morgens<br />
Ich ging darüber verärgert auf mein Zimmer, um meine Sachen zu<br />
packen. Dort befand sich bereits das Bett einer neuen Patientin auf<br />
meinem Platz. Eine Dame unterhielt sich auf Türkisch mit der wartenden<br />
Tochter der kurdischen Patientin. In der Zeit, als ich auf meinen<br />
Mann wartete, erzählte mir die Dame, sie sei die für mich neu<br />
aufgenommene Patientin. Sie berichtete von starken Schmerzen an<br />
der Halswirbelsäule. Sie hatte eine Myelographie vor sich, um deren<br />
Ursache zu finden. Meine volle Aufmerksamkeit galt ihr. Ich habe, seit<br />
ich erkrankt bin, noch nie eine so detaillierte Beschreibung meiner<br />
eigenen Beschwerden erhalten. Als mein Mann kam und wir uns verabschiedeten,<br />
sprach ich ihr noch Mut zu.<br />
Kaum zu fassen, die Erfahrungen dieses Morgens. Ich war erstaunt,<br />
aber auch sehr verärgert, wie sich das Pflegepersonal und die Ärzte<br />
in dieser Klinik aus der Verantwortung nahmen. Entweder sie hatten<br />
keine Zeit, um vernünftige Patienten/ Arztgespräche führen zu können<br />
oder das Pflegepersonal übertrug die Verantwortung für Entschei-<br />
115
dungen von einem Diensthabenden auf den anderen. Sehr irritierend<br />
für mich als Patientin waren die unterschiedlichen Aussagen bezüglich<br />
einer Physiotherapie. Ich wollte keine der Rehabilitationsmaßnahmen<br />
unterlassen, um einem positiven Operationsergebnis entgegen zu<br />
blicken. Andererseits aber auch nichts veranlassen was einen Erfolg<br />
beeinträchtigen würde. Ich war unsicher und hatte für meine Fragen<br />
keinen richtigen Ansprechpartner. Es war unglaublich, aus dem Krankenhaus<br />
entlassen zu werden, ohne ein vernünftiges Abschlussgespräch<br />
mit dem Arzt zu erhalten und eine Auskunft darüber, was nach einer<br />
derartigen OP zu tun bzw. zu unterlassen sei. Hätte ich nicht eine<br />
Halswirbel-Operation im vergangenen Jahr hinter mich gebracht, ich<br />
hätte beispielsweise nicht gewusst, dass man danach drei Monate lang<br />
nur fünf kg tragen darf oder nur auf dem Rücken schlafen sollte. Dass<br />
eine Entlassung ohne Arztbrief erfolgte, bildete den Gipfel des Berges<br />
an diesem Vormittag.<br />
Zuhause angekommen legte ich mich ins Bett und schlief vor Erschöpfung<br />
ein. Die mangelnde Ruhe der letzten Tage und Nächte, sowie die<br />
Aufregung des Vormittags ließen mich in einen mehrstündigen Dornröschenschlaf<br />
versinken. Es war Wochenende und ich freute mich auf<br />
ruhige, entspannte Tage mit meinem Mann.<br />
37. Postoperative Versorgung<br />
Am Dienstag suchte ich meinen Hausarzt Dr. Renz auf und berichtete<br />
ihm von meiner Operation samt Klinikaufenthalt. Er verlangte nach<br />
einem Arztbrief, den ich ihm nicht geben konnte. Das war auch für<br />
ihn ungewöhnlich. Dies veranlasste ihn, ein Fax an die Klinik zu senden,<br />
um dadurch den erforderlichen Arztbericht zur Weiterbehandlung<br />
zu erhalten.<br />
Am Donnerstag bekam ich von ihm einen Anruf, dass er einen vorläufigen<br />
Arztbrief von der Klinik als Antwort erhalten habe. Es wa-<br />
116
en zur weiteren Prophylaxe Thrombosespritzen vorgesehen und eine<br />
Blutabnahme für die Laboruntersuchung nach zehn Tagen vorgeschlagen.<br />
Des Weiteren wurde empfohlen, die in der Klinik angefangene<br />
Physiotherapie fortzusetzen und die ebenfalls in der Klinik erhaltene<br />
Henßge-Krawatte (Halskrause) zu tragen. Diese sei nach sechs Wochen<br />
abzugewöhnen. Eine derartige Halskrause hatte ich bei diesem<br />
Krankenhausaufenthalt jedoch nie erhalten. Es ist festzustellen: seit<br />
vier Tagen war ich mangels Wissens ohne Thrombose-Prophylaxe. Ich<br />
legte meine alte Halskrawatte von meiner ersten HWS-OP an und<br />
bekam vom Hausarzt Physiotherapie verordnet. Er versicherte mir, ein<br />
erneutes Fax an das Krankenhaus zu senden, um den endgültigen Arztbrief<br />
anzufordern.<br />
Ich setzte mich mit dem Sekretariat von Prof. Dr. Seiber in Verbindung<br />
und teilte unmissverständlich mit, dass ich bei meinem Klinikaufenthalt<br />
weder Physiotherapie noch eine Henßge-Krawatte angepasst<br />
bekommen hatte. Den fehlenden Arztbrief bemängelte ich zudem. Die<br />
Person am Telefon, mit der ich mich unterhielt, gab an, es würden viele<br />
Patienten ohne Arztbrief entlassen und im vorläufigen Arztbrief, den<br />
der Hausarzt nun ja erhalten hätte, wären mit Sicherheit vorgegebene<br />
Textbausteine verwendet worden, wie die bezüglich einer Physiotherapie<br />
oder der Henßge-Krawatte. Diese Aussage trug noch mehr zu<br />
meiner inzwischen gewachsenen Verärgerung und Unsicherheit bei.<br />
Nach zehn Tagen ließ ich mir, wie empfohlen, in der hausärztlichen<br />
Praxis Blut abnehmen, um die Laborergebnisse über die Leber- und<br />
Nierenwerte, sowie die Entzündungsfaktoren zu erhalten. Dr. Renz<br />
gab mir die Kopie des inzwischen eingetroffenen endgültigen Arztbriefes.<br />
Eine physiotherapeutische Behandlung oder das Tragen einer Halskrawatte<br />
wurde dort überhaupt nicht mehr erwähnt. Ich wage heute<br />
zu behaupten, dass, begründet durch meine kritischen Bemerkungen<br />
im Telefonat mit der Klinik bezüglich der nicht durchgeführten Physiotherapie<br />
bzw. nicht angepassten Halskrause, dieser Sachverhalt im<br />
endgültigen Arztbrief einfach weggelassen und ignoriert wurde.<br />
117
Einen Physiotherapeuten aufzusuchen, dazu allerdings fehlte mir der<br />
Mut. Dr. Renz. erklärte mir, er müsse sich, da er es nun sozusagen<br />
schwarz auf weiß hätte, rechtlich absichern und mir ein Rezept für<br />
Physiotherapie verordnen. Allerdings verstand er auch meine Unsicherheit,<br />
begründet durch die unterschiedlichen Aussagen der Ärzte,<br />
die krankengymnastischen Übungen erst zu beginnen, wenn ich die<br />
verbindliche Zusage des Operateurs erhalten hätte. Ich versuchte immer<br />
wieder das Sekretariat von Prof. Dr. Seiber telefonisch zu kontaktieren,<br />
um eine endgültige und vernünftige Auskunft über eventuelle<br />
physiotherapeutische Maßnahmen zu bekommen. Leider war wohl<br />
laut Aussage seiner Sekretärin der Moment meiner Anrufe stets ungünstig<br />
und ich wurde mit der Aufforderung vertröstet, es am Folgetag<br />
zu versuchen. Nach dem siebten Anruf verließ mich endgültig meine<br />
Geduld, und ich verfasste eine E-Mail. Dies zeigte Erfolg. Noch am<br />
selben Tag wurde ich angerufen und erhielt von Prof. Dr. Seibers Sekretärin<br />
die freundliche Zusage, eine Physiotherapie wäre sinnvoll und<br />
erlaubt. Inzwischen waren vier Wochen seit meiner Operation verstrichen.<br />
38. Schmerzempfinden und Schmerzmedikation<br />
Meine Wunde an der Narbe verheilte zusehends. Die Fäden lösten sich<br />
auf und zurück blieb ein am Hals geröteter, etwas geschwollener Hautabschnitt<br />
in Form eines Striches von etwa sieben cm Länge. Innerlich<br />
hatte ich ein Engegefühl, welches mir noch Monate später zu schaffen<br />
machte, hauptsächlich bei starker Durchblutung. Meine Schmerzen<br />
nach der Operation nahmen zunächst etwas ab. Ich hatte die nach<br />
einem solchen Eingriff üblichen postoperativen Schmerzen, sowohl im<br />
vorderen Halsbereich, als auch an der Wirbelsäule. Im Rücken, in der<br />
Höhe des Eingriffs, spürte ich ein Ziehen. Im Krankenhaus war ich<br />
zu meiner eingestellten Medikation zusätzlich drei Mal täglich mit ei-<br />
118
ner starken Dosis Ibuprofen behandelt worden. Das hatte Einfluss auf<br />
mein Schmerzempfinden, ich nahm dadurch die Schmerzen nicht so<br />
intensiv wahr. Gleichzeitig wirkte es entzündungshemmend.<br />
Zuhause spürte ich sehr bald, dass ich im unteren Bereich der Halswirbelsäule<br />
Schmerzen hatte, die ich vorher nicht kannte. Ich nahm meine<br />
üblichen Medikamente ein, wollte aber die Schmerzmedikamente<br />
reduzieren und verzichtete deshalb auf die Hälfte der Tagesdosis von<br />
Ibuprofen. Meine Vorstellung war, auch das Opiat herunterzufahren,<br />
jedoch wusste ich nicht wie. Bei zu schneller Reduktion käme es zu<br />
Entzugserscheinungen, so die Antwort eines Schmerztherapeuten, als<br />
ich ihn während meines Aufenthaltes in der Schmerzklinik darauf ansprach.<br />
Ich suchte Rat bei meinem Hausarzt. Dieser erklärte mir, dass<br />
ein Ausschleichen des Medikaments nur in Dosen von 25 mg möglich<br />
wäre. Da ich aber von zwei Medikamenten je 150 mg abends und morgens<br />
einnahm, erschien mir mein Vorhaben als endlos. Ich versuchte<br />
zunächst die Abenddosierung zu verringern. Auf meine Schmerzgrenzen<br />
wurde ich daraufhin sehr schnell gestoßen.<br />
Die Schmerzqualität verstärkte sich und ich wurde gezwungen, meine<br />
Medikamente wieder zu erhöhen. Mit dieser Situation musste ich<br />
mich erst auseinandersetzen.<br />
Seit ich erkrankt bin, kostet es mich jeden Morgen und Abend große<br />
Überwindung, meinen Tablettencocktail zu schlucken. Ich weigere<br />
mich innerlich, die Medikamente zu nehmen und in Abhängigkeit<br />
zu geraten. Ich befürchte eine Schädigung von Leber und Nieren. Ich<br />
habe sehr starke Schmerzen, wenn die Wirkung der eigentlich für<br />
zwölf Stunden vorgesehenen Retard-Tabletten nachlässt. Nach spätestens<br />
sieben Stunden steigt meine Schmerzkurve wieder erheblich an.<br />
Ich kann die Uhr danach stellen, wenn nach erneuter Einnahme eineinhalb<br />
Stunden später die Schmerzlinderung wieder einsetzt. Es stellt<br />
sich dann eine angenehme Ruhe und kurze Schmerzfreiheit ein. Bringe<br />
ich meinen Körper allerdings in eine ungeeignete Position, nach wie<br />
vor hauptsächlich beim Sitzen und längerem Stehen, habe ich trotz<br />
119
medikamentöser Einstellung Schmerzen. Das verunsichert mich, ich<br />
stelle mir vor, wie es ohne Medikation für mich wäre. Ich versuche<br />
derartige Gedanken nicht weiter zu verfolgen und verdränge sie.<br />
Für mich bedeutet dies regelmäßig Frustration und Ratlosigkeit. Egal,<br />
ob ich an der Tages- oder Nachtdosis drehe und versuche sie zu reduzieren,<br />
die Schmerzen werden dann in der Folge immer intensiver,<br />
und letztendlich bleibt es dann doch bei der üblichen Medikation. Das<br />
Schmerzverhalten änderte sich nach der zweiten Operation wenig, es<br />
blieb konstant. Lediglich die schmerzhaft taube Hand blieb aus und<br />
das Taubheitsgefühl war weg.<br />
Auf der einen Seite blieben die inzwischen chronisch irritierten und<br />
durch den Eingriff zusätzlich strapazierten Nerven, auf der anderen<br />
Seite ein ziehender, intervallartiger Wirbelsäulenschmerz, der kaum zu<br />
zähmen war. Die ersten Wochen dachte ich an eine Wundheilung, die<br />
noch andauerte. Dann kamen mir Ideen wie Wetterfühligkeit, Lockerung<br />
des Materials oder Materialunverträglichkeit in den Sinn. Und<br />
als nach fünf Wochen der Schmerz immer intensiver wurde, zog ich<br />
eine zusätzliche Meinung eines Neurochirurgen in Betracht. Ich vereinbarte,<br />
nachdem ich Informationen über ihn gesammelt hatte, einen<br />
Termin bei einem Professor im Städtischen Klinikum einer nahe gelegenen<br />
Stadt. Die Sekretärin, mit der ich verbunden wurde erklärte<br />
mir, dass ein Besuch mit einer Privatrechnung verbunden sei, die ich<br />
persönlich zu begleichen hätte. Ansonsten wäre es von äußerster Notwendigkeit,<br />
Bildmaterial von Aufnahmen vor, während und nach der<br />
letzten Operation zu beschaffen. Mein Termin sollte am 2. Juni sein.<br />
Von der Klinik, in der ich operiert wurde, forderte ich die nötigen<br />
Aufnahmen an. Diese wurden erstaunlicher Weise unkompliziert auf<br />
eine CD gebrannt und mir zugesandt.<br />
120
39. Ungewollte Perspektiven<br />
Die Tage vergingen wie die Zeit vor meiner Operation mit erheblichen<br />
Einschränkungen. Abgesehen von meinen erheblichen Schmerzen und<br />
der Tatsache, dass ich nicht entspannt sitzen konnte, war ich durch<br />
die Halskrause beeinträchtigt und durch das auferlegte Fahrverbot in<br />
meiner Freiheit eingeschränkt und abhängig von anderen.<br />
Es war Frühling, und ich konnte vieles von dem, was ich gerne machen<br />
wollte, nicht ausführen. So waren mir weder Radfahren, Joggen,<br />
noch die Arbeit im Garten erlaubt. Ich muss gestehen, dass es mir<br />
sehr schwer fiel, auf all dies erneut zu verzichten. Wäre das Operationsergebnis<br />
so gewesen, dass sich Erfolg und Fortschritt in meiner<br />
Genesung gezeigt hätten, so hätte ich alles leichter ertragen. Nun aber<br />
drehte sich das Karussell von neuem. Wieder standen Arztbesuche an,<br />
denn es hatte sich nichts geändert! Obwohl ich eigentlich sehr positiv<br />
und optimistisch denkend bin, merkte ich, dass meine psychische Verfassung<br />
darunter litt.<br />
Dazu kam, dass ich am zweiten Mai Post von der Rentenversicherung<br />
bekam mit der Mitteilung, mein Antrag auf Erwerbsminderungsrente<br />
sei abgelehnt worden. Mein Bauchgefühl bezüglich des Gutachters<br />
hatte mich also nicht getäuscht. Laut Aussage der Rentenversicherung<br />
sei ich mit meinem Gesundheitszustand durchaus in der Lage, sechs<br />
Stunden täglich zu arbeiten. Widerspruch könne bis zur vorgegebenen<br />
Frist eingelegt werden. Dieser Brief versetzte mir einen Stich ins Herzen<br />
und machte mir unmissverständlich die missliche Lage bewusst,<br />
in der ich mich befand. Sicherlich war ich mir über die Sachlage im<br />
Klaren, jetzt aber wurde sie Realität für mich: Mein Krankengeld lief<br />
zum einundzwanzigsten Mai aus. Ich befand mich dann in der Arbeitslosigkeit,<br />
obwohl ich eine Arbeitsstelle hatte … wie prekär war das eigentlich?<br />
Ich sah meiner Aussteuerung entgegen und musste handeln.<br />
Da ich nicht bei jedem Termin außerhalb meines Wohnortes meine<br />
121
Nachbarn bzw. Freunde beanspruchen wollte, die ohnehin bereits fleißig<br />
und stets hilfsbereit im Einsatz waren, nahm sich mein Mann einen<br />
Tag Urlaub, um mit mir zur Agentur für Arbeit zu fahren, zum<br />
Sozialverband und um einen Neurologen aufzusuchen. Kurzum all das<br />
zu erledigen, wohin ich nur mit einem Auto kommen konnte. An diesem<br />
Tag hatten wir dann zugegebenerweise viel erledigt, nur wusste ich<br />
auch, dass mein Mann Max momentan dringend Urlaub nötig gehabt<br />
hätte und wir wertvolle Zeit den Folgen meines Gesundheitszustandes<br />
geopfert hatten.<br />
Auf dem Arbeitsamt meldete ich mich nun wiederum arbeitslos, wie<br />
bereits vor Wochen. Ich erhielt erneut einen Fragebogen, den es für<br />
mich auszufüllen galt, obwohl ich ihn bereits abgegeben hatte. Außerdem<br />
bekam ich Formulare zur Bestätigung meines erhaltenen Kranken-<br />
und Überganggeldes, die ich von der Krankenkasse und Rentenversicherung<br />
ausgefüllt an die Agentur für Arbeit zurücksenden sollte.<br />
Zwei Wochen später folgte eine Einladung zu möglichen Stellenangeboten<br />
und Vermittlungen. Der Termin war vorgegeben, die Teilnahme<br />
Pflicht. Nur aus wirklich triftigen Gründen könne dieser Termin abgesagt<br />
werden. Den hatte ich allerdings, meine Vorstellung beim Professor<br />
im Städtischen Klinikum traf genau auf diesen Tag.<br />
Ich griff zum Telefon und wollte mich mit der für mich zuständigen<br />
Dame, die auf dem Zettel der Einladung vermerkt war, in Verbindung<br />
setzen. Ich musste jedoch feststellen, dass diese persönlich nicht erreichbar<br />
war. Eine zentrale Vermittlung meldete sich stattdessen, nahm<br />
meine Absage auf und leitete diese weiter. Die Dame am anderen Ende<br />
der Leitung erklärte mir die Wichtigkeit dieser Einladung. Nur mit einer<br />
Bestätigung des Arztes könne meine Absage akzeptiert werden. Ich<br />
sicherte ihr deren Erhalt zu und befragte sie über den Inhalt und die<br />
Zielsetzung des doch so wichtigen Termins. „Nur so können Sie erfahren,<br />
wie es mit Ihnen weiter geht“, erhielt ich von ihr als Antwort. Mit<br />
der Anmerkung, eine erneute Einladung würde mir zugesandt werden,<br />
endete unser Gespräch. Na, dachte ich mir, das kann ja spannend<br />
werden. Einen Tag später meldete sich bei mir Frau Brühne, meine<br />
122
zuständige Arbeitsvermittlerin, und vereinbarte in Absprache mit mir<br />
einen passenden Termin.<br />
In der darauf folgenden Woche lernte ich Frau Brühne dann persönlich<br />
kennen. Ich meldete mich an der Information der Arbeitsagentur<br />
an und nahm im Foyer Platz, bis mein Name aufgerufen wurde. Frau<br />
Brühne begleitete mich in ihr Büro mit der Aufforderung, dort Platz<br />
zu nehmen. Ich habe es mir inzwischen angewöhnt, auf eine derartige<br />
Aufforderung mit der Bitte, stehen bleiben zu dürfen, zu reagieren,<br />
da eine Schmerzattacke im Sitzen meist vorprogrammiert ist. So auch<br />
hier in der Arbeitsberatung. Die Dame mir gegenüber schaute mich<br />
verständnislos an und konzentrierte sich auf die in ihrem Computer<br />
aufgeschlagene Seite. Sie schlug mir vor, mit der Einschätzung des medizinischen<br />
Gutachters der Agentur für Arbeit zu beginnen und las mir<br />
seinen Text dazu vor. Dieser war überzeugt, dass eine sitzende Tätigkeit<br />
von mindestens sechs Stunden zumutbar sei. Auf meine Frage, ob ich<br />
dagegen Widerspruch einlegen könne, verneinte Frau Brühne. Ich erklärte<br />
ihr, dass gerade im Sitzen bzw. im Stehen mein Hauptproblem<br />
liegt und ich unter den vorausgesetzten Bedingungen nicht arbeiten<br />
könne.<br />
Eine Schmerzattacke bahnte sich an - die Zeit des Wartens und des<br />
Stehens dauerte bereits für mich zu lang - und ich versuchte, mich mit<br />
dem Rücken an die Wand zu drücken. Frau Brühne registrierte dies<br />
mit einem mitleidigen Blick, führte aber dennoch unser Gespräch fort.<br />
Da ich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis 30. Juni abgegeben<br />
hätte, sei ich bis dahin leider nicht vermittelbar. Ich bekäme deshalb<br />
auch kein Arbeitslosengeld und ich müsste meine Krankenversicherung<br />
selbst bezahlen.<br />
Da zwischenzeitlich eine Schmerzattacke die andere ablöste, lenkte<br />
sich ihre Aufmerksamkeit auf mich. Frau Brühne befragte mich nach<br />
der Häufigkeit meiner Schmerzen und sie brachte ihre Betroffenheit<br />
darüber zum Ausdruck. Sie überlegte die weitere Verfahrensweise und<br />
erklärte mir, dass in meinem „speziellen“ Fall ein neuer Antrag auf<br />
123
ein medizinisches Gutachten nun doch sinnvoll und angebracht wäre.<br />
Zumal das vorliegende, wie sich herausstellte, vom März sei, also vor<br />
meiner zweiten Operation. Es wäre allerdings notwendig aktuelle Arztbriefe<br />
beizufügen. Ansonsten ist abzuwarten und Ende Juni solle ich<br />
es erneut mit einem Antrag auf Arbeitslosigkeit versuchen. Sollte der<br />
Antrag genehmigt werden, müsste für mich ein neues Profil erstellt<br />
werden. Ich würde dann von ihr hören. Mit diesen freundlichen, aber<br />
bestimmten Worten verabschiedete sie sich von mir.<br />
Am Freitag, den 26. Juni, 11:00 Uhr, bekam ich von der Agentur für<br />
Arbeit einen Anruf, ich möchte mich bitte umgehend persönlich bei<br />
der Arbeitsagentur zum 1. Juli arbeitslos melden. Ich packte, wie schon<br />
im Februar, eiligst meine Unterlagen ein und fuhr zu meiner zuständigen<br />
Arbeitsagentur, die ich um 11:45 Uhr erreichte. Eine unfreundliche<br />
Mitarbeiterin erkundigte sich nach meinen Kundenwünschen und<br />
stellte fest, dass ich einen sehr ungünstigen Zeitpunkt ausgewählt hätte.<br />
Es wäre Freitag und um 12 Uhr würden alle Computer heruntergefahren<br />
werden. Ich bezog mich auf den Anruf und die Öffnungszeiten,<br />
die bis 12 Uhr an der Eingangstür angeschrieben waren. Daraufhin<br />
bekam ich die Vermittlung eines Arbeitsberaters und zum dritten Mal,<br />
seit ich mich Kunde der Arbeitsagentur nennen darf, Unterlagen für<br />
die Antragsstellung mit der Bitte, sie möglichst schnell auszufüllen.<br />
Warum ich dreimal innerhalb von vier Monaten die gleichen Fragen<br />
beantworten sollte, ist mir nicht begreiflich.<br />
Im November vergangenen Jahres riet mir mein Hausarzt auf Grund<br />
meiner langen Erkrankung und meinem Vorhaben, bei deren Fortdauer<br />
Erwerbsminderungsrente zu beantragen, Mitglied eines Sozialverbandes<br />
zu werden. Dieser, so seine Erfahrung, würde bei einer Ablehnung<br />
des Antrages auf Wunsch für Mitglieder Widerspruch einlegen.<br />
Ich überlegte mir seinen Hinweis und wurde zum Januar 2015 dort<br />
Mitglied. Dass es aber wirklich soweit kommen sollte und ich dessen<br />
Hilfe in Anspruch nehmen würde, war damals für mich weit entfernt<br />
bzw. unvorstellbar. Dennoch entschloss ich mich “für den Fall aller<br />
Fälle“ vorzusorgen und trat dem Verein bei. Ich vereinbarte, nachdem<br />
124
ich die Ablehnung meines Erwerbsminderungsrentenantrages erhalten<br />
hatte, beim Sozialverband einen Termin und erklärte den Grund meines<br />
Besuches. Dies schien für die Mitarbeiter dort ein häufiges und<br />
unproblematisches Verfahren zu sein: Ich füllte eine Vollmacht aus,<br />
in der ich den Verein bevollmächtige, Widerspruch für mich bei der<br />
Rentenversicherung einzulegen und meine Interessen zu vertreten. Die<br />
aufmerksame Sekretärin erklärte mir, sie würden zunächst meine Rentenversicherung<br />
um Einsicht in meine Akte bitten und sich dann bei<br />
mir wieder melden.<br />
Als mir die Unterlagen des Gutachters der Rentenversicherung zugesandt<br />
wurden, war ich doch sehr irritiert über seine Einschätzung. Er<br />
argumentierte, eine Arbeit von sechs Stunden, überwiegend im Sitzen,<br />
sei zumutbar. Mir drängt sich die naheliegende Frage auf, warum ich<br />
mich bei einem Gutachter vorstellen musste, der meine Schmerzen<br />
wahrnahm, sie allerdings in seinem Gutachten überhaupt nicht erwähnte<br />
bzw. darin einbezog. Ich ließ mir mit einem Schreiben meines<br />
Hausarztes und auch von Prof. Dr. Seiber bestätigen, dass meine Beschwerden<br />
bereits nach kurzer Dauer im Sitzen und Stehen auftreten<br />
und mir deshalb momentan eine Arbeit in diesen Positionen nicht zugemutet<br />
werden könne.<br />
Irgendwie befand ich mich im absoluten Zwiespalt. Ich liebe meinen<br />
Beruf und wollte nichts anderes, als in ihm arbeiten. Gleichzeitig spürte<br />
ich meine Schmerzen und meine Belastungsgrenzen und wusste nur<br />
allzu gut, dass ich ihn eigentlich mit meinen gesundheitlichen Einschränkungen<br />
derzeit nicht ausführen kann. Dieser Umstand führte<br />
mich zu der Frage: Was habe ich für berufliche Perspektiven? Eine Erwerbsminderungsrente<br />
kann jederzeit zurückgenommen werden, und<br />
es gibt viele Varianten, wie dies sein könnte. Auch stundenweises Arbeiten<br />
wäre eine Möglichkeit, sofern es der Arbeitgeber zulässt. Nur,<br />
kann ich das auch umsetzen? Das ehrliche Ergebnis ist momentan:<br />
NEIN.<br />
125
40. Gedanken, die mich bewegen<br />
Ich gehöre der Generation an, in der Frauen arbeiten und zum Lebensunterhalt<br />
beitragen. Ich benötige außer dem Haushalt Herausforderungen<br />
und Aufgaben, aber auch eine Bestätigung und ein Erfolgserlebnis.<br />
Ich bin es zudem nicht gewohnt, nur zu Hause zu sein. Das fällt<br />
mir schwer. Ich suche selbst jetzt im Krankenstand die geistige Auseinandersetzung<br />
mit verschiedenen Themen. Ich stille mein Bedürfnis,<br />
indem ich viel lese und entsprechende Radiobeiträge höre oder mir Videos<br />
und Beiträge anschaue. Ich freue mich immer auf Außenkontakte<br />
mit Freunden und Bekannten oder auf Veranstaltungen, an denen ich<br />
teilnehmen kann.<br />
Während ich diese Zeilen für mein Buch schreibe, ordne ich meine<br />
Gedanken und verarbeite so meine Krankengeschichte. Ich schreibe<br />
mir sozusagen “alles von der Seele“. Im Rahmen meiner gegenwärtigen<br />
Möglichkeiten bietet sich mir hier eine Aufgabe, etwas zu erstellen. Ich<br />
bin der Auffassung, der Mensch benötigt immer ein Ziel. Ohne Ziel<br />
lebt er nicht mehr. Deshalb ist es für mich so wichtig, letztendlich eine<br />
Perspektive zu haben und eine positive Einstellung und Haltung zu<br />
bewahren. Bei einer weiteren Ablehnung meines Rentenantrags würde<br />
das in der Konsequenz bedeuten, dass ich vom Unterhalt meines<br />
Mannes leben müsste. Ein sehr ungewohnter Umstand. Für meinen<br />
Mann wäre das in Ordnung, für mich fühlt es sich nicht richtig an.<br />
Ich befand und befinde mich immer noch in einer absoluten Neuorientierung.<br />
Diese Krankheit stellt mein bisheriges Leben auf den Kopf.<br />
Ich muss mein Alter, meine Möglichkeiten und meine Chancen abwägen,<br />
um mein neues Leben herauszufiltern. Das ist ein langer, langsam<br />
wachsender Prozess.<br />
Am Urlaubstag meines Mannes hatte ich noch einen Termin bei meinem<br />
Neurologen Dr. Gerner vereinbart, der meine Nervenleitungen<br />
mit Strom ausmessen sollte. Dadurch sollte festgestellt werden,<br />
ob die Ursachen für meine nicht schmerzhaften, aber tauben Finger<br />
126
der rechten Hand auf die Halswirbelsäule oder auf ein Karpaltunnelsyndrom<br />
zurückzuführen seien. Nachdem er alles ausgemessen hatte,<br />
stellte er tatsächlich ein Karpaltunnelsyndrom fest. Er verordnete mir<br />
eine Bandage, die ich nachts zu tragen hatte. Er riet mir allerdings auf<br />
Grund meiner derzeitigen Situation von einer Karpaltunneloperation<br />
ab.<br />
Auf Fragen bezüglich meiner irritierten Nerven und der Dauer der<br />
anhaltenden Kribbelparästhesien wollte er keine Stellungnahme abgeben.<br />
Dies müsse der Operateur oder ein Schmerztherapeut beurteilen.<br />
Ich denke, dass er sich dazu nicht äußern wollte, als er den Namen der<br />
Klinik in meinem mitgebrachten Arztbrief las, in der meine Eingriffe<br />
vorgenommen wurden. Das Krankenhaus und die dortigen Ärzte sind<br />
bekannt und haben einen ausgezeichneten Ruf, wie aus einer anerkennenden<br />
Bemerkung von ihm zu entnehmen war. Ich zwang mich<br />
dazu, keine weiteren Äußerungen bzw. Bemerkungen zur postoperativen<br />
Versorgung und Nachbehandlung in der Klinik zu machen. Links<br />
eine Bandage für die Daumenarthrose, rechts die für die Taubheit der<br />
Hand, zusätzlich zu meiner Halskrawatte, die ich noch zwei Wochen<br />
zu tragen hatte, kam ich mir wirklich behindert vor.<br />
Dies führte mich zum Entschluss, beim Versorgungsamt Prozente für<br />
Behinderungen zu beantragen. Ich erinnerte mich, dass der Arzt, der<br />
das Gutachten für die Erwerbsminderungsrente erstellte, sich damals<br />
nach meinen Prozenten erkundigte. Das veranlasste mich nun, mir ein<br />
Formular zur Beantragung von Prozenten zusenden zu lassen.<br />
41. Der Umgang mit Schmerzpatienten<br />
Schmerz ist nicht greifbar und deshalb für andere schwer vorstellbar.<br />
Immer wieder höre ich „man sieht es dir ja gar nicht an, wie es dir<br />
geht“. Allmählich wird die Gesellschaft auf Schmerzpatienten aufmerksam<br />
und chronische Schmerzen sind als eigenständige Krankheit<br />
anerkannt. Immer häufiger werden regelmäßige Treffen für Schmerz-<br />
127
patienten in Schmerzgruppen ins Leben gerufen. Schmerztherapeuten<br />
und die deutsche Schmerzgesellschaft machen in der Gesellschaft<br />
auf die Thematik „chronische Schmerzen“ aufmerksam: Dauert ein<br />
Schmerz länger als sechs Monate an, so spricht man von einem chronischen<br />
Schmerz. Akuter Schmerz hat normalerweise eine Schutzfunktion.<br />
Bei einem chronischen Schmerz hat sie sich davon abgekoppelt<br />
und er besitzt einen selbstständigen Krankheitswert. Nur Menschen,<br />
die unmittelbar mit Schmerzpatienten leben und im näheren Kontakt<br />
mit ihnen sind, erkennen die tatsächliche Nachhaltigkeit des Schmerzes<br />
und dessen Auswirkungen.<br />
Besonders meine Familie und Freunde wissen, dass eine spontan einsetzende<br />
Schmerzattacke alle Vorhaben und Pläne durcheinander bringen<br />
kann. Die Zumutbarkeit mancher Unternehmungen ist begrenzt<br />
oder sie müssen gar abgesagt werden. Es sollten immer Bedingungen<br />
gewährleistet sein, den Schmerz nicht zu provozieren oder ihm entgegen<br />
zu wirken. Für mich bedeutet dies, dass ich mich im Akutfall einer<br />
Attacke beispielsweise an eine Wand, Türe oder einen Pfosten anlehnen<br />
und dagegen drücken kann, dass es eine Möglichkeit gibt, mich<br />
auf einer Sitzgelegenheit so zu positionieren, dass ich mich nach hinten<br />
abstützen und an der Stuhllehne zur stabilen Haltung ausrichten kann.<br />
Manchmal spekuliere ich sogar darauf, dass es eine Gegebenheit gibt,<br />
dass ich mich hinlegen kann, bis sich meine zermürbenden Schmerzen<br />
verringern. Langes Stehen und langsames Gehen ist mir nach wie<br />
vor nicht möglich. Das ständige Kribbelgefühl ist stets präsent. Die<br />
Auswahl der Veranstaltungen und Angebote ist darum begrenzt. Es<br />
muss jederzeit ein Abbruch möglich sein, was für meine Mitmenschen<br />
anstrengend und häufig enttäuschend ist. Mein Mann ist diesbezüglich<br />
verständig und erträgt geduldig Einschränkungen, die ihn zumeist mit<br />
betreffen.<br />
Für andere ist der heftige Schmerz häufig nicht erkenn- und begreifbar,<br />
letztendlich weil mein Krankheitsbild ungewöhnlich und deshalb<br />
nur schwer nachvollziehbar ist. Für mich als inzwischen chronischer<br />
Schmerzpatient ist es schwierig, ihnen und vor allem Gutachtern das<br />
128
Krankheitsbild glaubhaft zu definieren und transparent zu machen.<br />
Das Schmerzbild ist nicht fassbar oder sichtbar, wie beispielsweise bei<br />
Krankheiten wie Hüftleiden, Brüchen oder Ähnlichem. Mein eher<br />
temperamentvoller Charakter und meine disziplinierte Haltung, gegenüber<br />
meinem Umfeld nicht zu klagen und zu jammern, bietet zusätzlich<br />
wenig Ansatz, dies auf den ersten Blick zu erkennen. Ich höre<br />
deshalb sehr häufig: „Man sieht dir deine Schmerzen gar nicht an“.<br />
Diese Aussage weist mich dann jedes Mal darauf hin, dass ich meine<br />
Schmerzen nach außen hin nicht für jeden transparent machen kann.<br />
Diese Tatsache grenzt mich von meinem Umfeld ab, es macht zeitweise<br />
einsam. Diejenigen, die mit mir stets im Kontakt sind, erleben häufig<br />
mit, wie eine Schmerzattacke sich anbahnt und äußert. Ich bin froh,<br />
dass beispielsweise Freunde es inzwischen als normal betrachten, wenn<br />
ich beim Essen oder während der Unterhaltung aufstehe oder mich<br />
erst gar nicht hinsetze, mich an den Türrahmen drücke oder mich auf<br />
den Boden lege. Ich bin dankbar und schätze die ehrliche Anteilnahme<br />
und Hilfsbereitschaft meines Umfeldes.<br />
Aber eine übertriebene Rücksichtnahme kann ich genauso wenig ertragen,<br />
wie die bewusste, absolute Ignoranz meiner Krankheit. Ganz<br />
normal behandelt und betrachtet zu werden, das ist es, was ich mir<br />
wünsche. Ständiges Fragen nach meinem Befinden führen zu dem einen<br />
immer wiederkehrenden Thema, nämlich meiner Erkrankung. Ich<br />
merke, dass ich an den Punkt komme, an dem es mir Leid wird, immer<br />
wieder von meiner Krankheit zu erzählen. Ich will von mir selbst und<br />
von anderen einfach mit meinen Schmerzen akzeptiert werden. Letztendlich<br />
muss ich einen Weg finden, mit ihnen umzugehen. Ich weiß,<br />
dass ich sie, sollten sie mir bleiben, in mein Leben und meinen Alltag<br />
integrieren muss und versuchen sollte, ihnen ihren Platz zu lassen. Ich<br />
kann versichern dass dieser leider groß werden wird. Meine Schmerzen<br />
sind vergleichbar mit einem Wurm, der in mir steckt, nagt und arbeitet<br />
und zwar dann, wenn er es möchte.<br />
129
42. Eine weitere „zweite Meinung“<br />
Ende Mai rief mich überraschend eine Mitarbeiterin aus dem Sekretariat<br />
des kontaktierten Städtischen Klinikums an und fragte mich, ob<br />
ich spontan den für Anfang Juni vereinbarten Termin vorziehen könne.<br />
Nach einigem Zögern - das Autofahren war mir ja noch nicht erlaubt<br />
und die Organisation der Anfahrt musste schnell geklärt werden - sagte<br />
ich zu. Zum Termin nahm ich meine kompletten Arztbriefe samt allen<br />
bislang erstellten radiologischen Aufnahmen mit und meldete mich im<br />
Sekretariat bei einer netten, freundlichen Dame in der Neurochirurgischen<br />
Ambulanz an. Ich musste nur kurz warten bis ich vom Professor,<br />
einem Mann mittleren Alters, persönlich abgeholt wurde.<br />
In seinem Sprechzimmer wies er auf einen Stuhl, auf dem ich Platz nehmen<br />
sollte. Er erklärte, die mitgebrachten Aufnahmen hätte er sich gut<br />
angesehen und fragte mich nach dem Grund meines Kommens. Wann<br />
und wo er sich in den wenigen Minuten meiner Wartezeit die Unterlagen<br />
angesehen haben konnte, frage ich mich noch heute, Ich vertraute<br />
ihm an, dass ich gerne seine Einschätzung bezüglich meiner Schmerzen<br />
nach der zweiten Operation hören würde und ob es dafür aus seinem<br />
Blickwinkel eine Erklärung gäbe. Des Weiteren sei ich dankbar<br />
um Hinweise bezüglich sinnvoller Rehabilitationsmaßnahmen, die ich<br />
Zuhause durchführen könne. Seine Antwort war kurz und klar. Meine<br />
Versteifung der Halswirbelsäule über zwei Wirbel würde zur Folge haben,<br />
dass die Halswirbel und die anschließenden Wirbel C7/Th1 (der<br />
Anfang der Brustwirbelsäule) mehr Belastung hätten. Eine Operation<br />
würde als Konsequenz häufig mehr Schmerzen hervorrufen als zuvor.<br />
„Nett“, dachte ich mir, „dass ich das nun auch erfahre“. Außerdem, so<br />
seine Auffassung, müssten „wir“ einen anderen Weg einschlagen und<br />
dringend das Opiat absetzen; Zitat: „Sie sind ja noch keine 85 Jahre<br />
alt“. Ziehe ich die Sichtweise eines Schmerztherapeuten in Betracht, so<br />
liegt diese genau auf der anderen Seite seines Heilungsansatzes. Dazwischen<br />
ein Telefonat über die Dienstplaneinteilung der Ärzte aufgrund<br />
von Erkrankungen. Keine Entschuldigung für diese Störung.<br />
130
Unser Gespräch setzte sich fort, indem ich ihm zu verstehen gab, dass<br />
ich ohne Schmerzmittel zum momentanen Zeitpunkt nicht auskommen<br />
könne, diesen Versuch hätte ich bereits erfolglos abgebrochen.<br />
Der Professor schlug mir eine Reha vor und fügte an, bei mir in der<br />
Nähe gäbe es eine sehr gute ambulante Reha-Klinik. Auf meine Rückfrage<br />
hin wusste ich, dass er das Reha-Zentrum meinte, in dem ich<br />
meine Rehabilitationsmaßnahme hatte. Ich äußerte mich dazu und<br />
ließ ihn wissen, dass diese Reha-Klinik für mich nicht in Frage käme.<br />
Da auf dem Bildmaterial alles top aussähe, schlage er ein Wegkommen<br />
vom dem doch sehr starken Opiat vor. Eine aktuelle Bildaufnahme<br />
zum derzeitigen Stand lag nicht vor und forderte er auch nicht an.<br />
Meine Frage: „Und was mache ich mit meinen Schmerzen?“ wurde<br />
mit einem kritischen Blick beantwortet, der mir ziemlich deutlich zu<br />
verstehen gab, dass er mich in die Patientenkategorie „Psychosomatik“<br />
einordnete. Eine präzise Antwort dazu blieb er mir schuldig.<br />
Wir verabschiedeten uns innerhalb weniger Minuten und ich denke,<br />
jeder von uns beiden machte sich so seine eigenen Gedanken zu diesem<br />
Gespräch. Ich hatte von der erhofften Hilfe, nämlich ein im Vertrauen<br />
geführtes Gespräch mit genauerem Betrachten der Schmerzursache<br />
und praktischen, in meinen Patientenalltag umsetzbaren Hinweisen<br />
zur Schmerzlinderung, nichts bekommen.<br />
Das Fazit aus diesem Arztbesuch: ich fühlte mich als Patient mit<br />
Schmerzen weder ernst genommen, noch zeigte sich mir eine Hilfestellung.<br />
Ich hatte lediglich Zeit und Geld in den Privatpatientenstatus<br />
investiert. Des Weiteren ziehe ich daraus den Schluss, dass ich, was<br />
meine Schmerzen anbelangt, bei Facharztbesuchen in Zukunft aufpassen<br />
muss, dass ich nicht als Hypochonder oder eingebildeter Kranker<br />
gelte. Deshalb werde ich mir künftig gut überlegen, welche Arztbriefe<br />
bzw. Krankenunterlagen ich zur Einsicht mitbringen und vorlegen<br />
werde. Denn bei der Anzahl meiner inzwischen gehäuften Arztvorstellungen<br />
könnte es sehr leicht zu einem solchen Eindruck kommen.<br />
Wochen später bekam ich eine Arztrechnung über einen hohen Betrag.<br />
Begründung: „Erörterung des Befundes mindestens zwanzig Minuten.<br />
131
Sehr zeitaufwändige und zeitintensive Beratung bei zusätzlicher Auswertung<br />
von Fremdbefunden, symptombezogene Untersuchung, ausführlicher<br />
Krankheits- und Befundbericht.“<br />
43. Die Praxis für rehabilitative und physikalische<br />
Medizin<br />
Da ich zur Nachuntersuchung meiner Operation bei Prof. Dr. Seiber<br />
wie immer eine Überweisung eines Orthopäden benötigte, überlegte<br />
ich mir auf Empfehlung einer befreundeten Schmerzpatientin Dr.<br />
Berg zu konsultieren, einen Arzt für Physikalische und Konservative<br />
Orthopädie. Seine Praxis ist einem Krankenhaus einer nahe gelegenen<br />
Stadt angegliedert, wo er gleichzeitig Leiter der Konservativen Orthopädie<br />
ist.<br />
Ich ging mit wenig Erwartungen zu ihm, allerdings machte mich sein<br />
Heilungsverfahren neugierig. Nach Einholen einiger Informationen<br />
im Internet vereinbarte ich einen Termin bei ihm, den ich relativ zeitnah<br />
erhielt. Dr. Berg forderte nach kurzer Schilderung meines Krankheitsverlaufes<br />
eine aktuelle Röntgenaufnahme an und schickte mich<br />
dazu in die Röntgenabteilung der Klinik. Als ich wieder bei ihm im<br />
Sprechzimmer saß, betrachtete er intensiv und für mein Empfinden<br />
übermäßig lange das zuvor aufgenommene Bild meiner Halswirbelsäule.<br />
Er verließ wortlos den Raum. Zurück blieben ich und seine Sprechstundenhilfe,<br />
die mir erklärte, dass Dr. Berg seinen Oberarzt zur Betrachtung<br />
hinzuziehen würde. Minuten voller Spannung, die sich wie<br />
eine Ewigkeit anfühlten. Als er wieder kam, wollte er wissen, wann<br />
ich bei Prof. Dr. Seiber meinen Termin hätte. Auf meine Antwort hin<br />
meinte er, ich solle diesen wahrnehmen, die Röntgenaufnahme mitnehmen<br />
und ihn danach wieder aufsuchen. Es folgte kein Kommentar<br />
bezüglich seiner Auswertung, lediglich eine neue Terminvergabe.<br />
Der Tag der Nachuntersuchung bei Prof. Dr. Seiber war auf den 17.<br />
132
Juni gelegt worden. Prof. Dr. Seiber nahm sich für meine Vorstellung<br />
viel Zeit und bestätigte mir nach genauem Hinsehen auf das mitgebrachte<br />
Bildmaterial eine gute Einheilung des Titankörbchens. Er kam<br />
zu dem Entschluss, dass meine noch immer andauernden Schmerzen<br />
auf eine Facettenüberbelastung zurückzuführen sein könnten. Nach<br />
seiner Meinung wäre ich in den Händen von Dr. Berg „goldrichtig“<br />
aufgehoben. Er lobte in hohem Maße die Konservative Orthopäde<br />
und den damit verbundenen multimodalen Ansatz (individuelle und<br />
ganzheitliche Behandlung) der Schmerztherapie. Ich sollte mir aber<br />
auf jeden Fall in seinem Sekretariat einen Termin für Anfang Dezember<br />
geben lassen und dann nochmals bei ihm vorstellig werden.<br />
Zwei Tage später befand ich mich wieder im Wartezimmer von Dr.<br />
Berg. Zwei Patienten vor mir, danach der Aufruf meines Namens. Dr.<br />
Berg betrat das Sprechzimmer und wartete auf meinen Bericht vom<br />
Besuch bei Prof. Dr. Seiber. Er hörte mir konzentriert zu, dann folgten<br />
die Worte: „Kommen Sie zu mir in die Klinik und lassen Sie sich dort<br />
von mir helfen“. Keine weitere Äußerung seiner Einschätzung und<br />
keine Erklärung, warum er einen solchen Aufenthalt befürwortete.<br />
Ich forderte ihn auf, dazu Stellung zu nehmen. Er meinte in knappen<br />
Worten, dass meine ständigen Schmerzen nur durch eine intensiv<br />
übergreifende Therapie gemildert werden könnten; der Ansatz wäre<br />
die Lockerung meiner Tiefenmuskulatur. Er überzeugte mich mit seiner<br />
Darstellung. Wie sich herausstellte, betrug die Wartezeit für diesen<br />
geplanten Klinikaufenthalt zehn Wochen. Erst am 18. August sollte<br />
er beginnen und vierzehn Tage dauern. Für mich bedeutete es wieder<br />
einmal etwas Hoffnung, die Euphorie zu dem Ganzen fehlte mir allerdings<br />
gänzlich.<br />
133
44. Positive Nachrichten<br />
Mitte Juli erhielt ich Post von der Arbeitsagentur. Es wurde mir nun auf<br />
Grund der zweiten Einschätzung des Gutachters der Agentur für Arbeit<br />
mitgeteilt, dass meine Leistungsfähigkeit soweit gemindert wäre,<br />
dass ich nur noch weniger als fünfzehn Stunden wöchentlich arbeiten<br />
könne. Damit stünde ich der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung<br />
und wäre nicht arbeitslos im Sinne der §§ 137,138 Drittes Sozialgesetzbuch<br />
(SGBIII). Bis zur Feststellung des Rentenversicherungsträgers,<br />
ob eine Erwerbsminderung vorliegt, erhielte ich Arbeitslosengeld,<br />
längstens bis zur Erschöpfung des Anspruchs. Gleichzeitig zu diesem<br />
Schreiben erhielt ich eine Einladung (mit Hinweis auf das Sozialgesetzbuch)<br />
samt Termin von Fr. Brühne, meiner Arbeitsvermittlerin. Sie<br />
wolle mit mir auf Grund der inzwischen vorliegenden Stellungnahme<br />
des Arztes der Agentur für Arbeit ein abschließendes Gespräch über<br />
meine gesundheitliche Leistungsfähigkeit führen.<br />
Auch von meiner Rentenversicherung erhielt ich einige Tage zuvor die<br />
Nachricht, mich mit einem zweiten Gutachter, einem Arzt für Neurologie<br />
und Psychiatrie, in Verbindung zu setzen, um mir einen Termin<br />
zur dortigen Vorstellung geben zu lassen. Ich rief unter der angegebenen<br />
Telefonnummer an und besprach, wann ich mich in der Praxis<br />
einfinden sollte. Mitzubringen seien ein Lebenslauf, meine Familiengeschichte,<br />
meine Krankengeschichte, der Tagesablauf, eine aktuelle<br />
Ärzteliste, sowie eine Auflistung meiner Medikamente; alles kurz und<br />
in tabellarischer Form, so der Hinweis auf der Mitteilung, die ich einige<br />
Tage später nach meinem Anruf erhielt. Für mich bildete alleine schon<br />
das Schreiben der geforderten Auflistungen und Nachweise eine Herausforderung,<br />
da es notwendig war, auch Kleinigkeiten zu erwähnen<br />
und nichts Wichtiges, dass zum Allgemeinbild beitrug, zu vergessen.<br />
Auch das Schreiben an sich war für mich anstrengend, war es doch mit<br />
viel Sitzen verbunden, dies bedeutete eine erhöhte Schmerzintensität.<br />
Das zweite Gutachten sollte in einer Praxis für Neurologie und Psych-<br />
134
iatrie stattfinden, es war mit einer Fahrzeit von ca. einer Stunde verbunden.<br />
Eine Freundin bot sich an, mich zu fahren und zu begleiten,<br />
hatte ich doch noch erhebliche Bewegungseinschränkungen als Folge<br />
der zweiten Operation. Ich fühlte mich noch unsicher im Stadtverkehr,<br />
der häufigere und spontanere Bewegungen im Hals- und Nackenbereich<br />
für mich als Autofahrer erforderte. Wir fuhren früher als<br />
auf der Navigation angezeigt los, und es blieb uns noch eine Wartezeit<br />
von einer halben Stunde. Diese nutzten wir für eine Tasse Kaffee in<br />
einer nahe gelegenen Bäckerei. Ausgelöst durch das Sitzen während der<br />
Anfahrt und dem Stehen im Laden bekam ich eine Schmerzattacke,<br />
die sich so nachhaltig äußerte, dass ich bei der Vorstellung in der Arztpraxis<br />
des Gutachters später Mühe hatte, mich auf die erforderliche<br />
Unterhaltung zu konzentrieren. Wir erreichten den dritten Stock, in<br />
der sich die Praxis befand.<br />
Ein großes Schild an der Eingangstür machte uns darauf aufmerksam,<br />
wo wir uns befanden. „Dr. Sand - Neurologe und Psychiater“. Der<br />
Empfang gestaltete sich freundlich und aus der Frage der Sprechstundenhilfe:<br />
„Sie kommen um das Gutachten zu erstellen?“ konnte ich<br />
entnehmen, dass ich bereits erwartete wurde. Es folgten, wie so häufig,<br />
einige Fragen im Zusammenhang mit meinen Schmerzen, die sich<br />
in diesem Moment so demonstrativ äußerten, dass sich eine Antwort<br />
darauf eigentlich erübrigte. Danach wurde ich aufgefordert, in einem<br />
gesonderten Raum Platz zu nehmen, um dort meinen Blutdruck messen<br />
zu lassen Ob dies allerdings wichtig und erforderlich ist für die<br />
Erstellung meines Gutachtens, wage ich zu bezweifeln. Eine Schmerzattacke<br />
löste die andere ab und den Eindruck, den ich hier hinterlassen<br />
musste, entsprach genau dem, bei welchem sich selbst ein Gutachter<br />
mit nur wenig Fragen die richtige Einschätzung meines Krankheitsbildes<br />
verschaffen konnte.<br />
Dr. Sand, ein Mann Ende fünfzig, mit einer ruhigen, fast monotonen<br />
Stimme, meinte bei meinem Anblick verständnisvoll, wenn es mir Linderung<br />
verschaffen würde, sollte ich stehen bleiben oder mich an die<br />
Wand lehnen. Er blätterte durch meine mitgebrachten Unterlagen und<br />
135
etrachtete mich wortlos einige Zeit.<br />
„Sie können unter der starken Medikation und mit diesen Schmerzen<br />
derzeit nicht arbeiten“, so seine Zusammenfassung nach einer kurzen<br />
Befragung zu meinem Tagesablauf. Er ließ mich wissen, dass es ihm<br />
gänzlich unverständlich wäre, wie der erste Gutachter zu der Auffassung<br />
gekommen sei, dass ich noch mindestens sechs Stunden im Sitzen<br />
arbeiten könne. Dies entspreche einfach nicht der Wahrheit. Er riet<br />
mir, eine Richtigstellung einzufordern.<br />
Ich muss schon sagen, dass mich seine Äußerung und insgesamt sein<br />
wohlwollendes Verhalten irritierte. Ein Arzt und Gutachter, der sich<br />
für meine Interessen einsetzte, das hatte ich hier nicht erwartet. Er plädierte<br />
für eine Erwerbsminderungsrente auf die Dauer von zwei Jahren,<br />
um mir jeglichen existenziellen Druck wegzunehmen, dies sei nach seiner<br />
Auffassung die Voraussetzung für eine gute Heilung. Danach würde<br />
man weitersehen. Ob ich wirklich eine komplette Schmerzfreiheit<br />
erlangen würde, stellte er in Frage. Er nannte Beispiele von anderen<br />
Patienten, denen es ähnlich wie mir erging, d.h. die nachhaltige, intensive<br />
Schmerzen nach einer HWS-Operation hatten. Ob mich diese<br />
Beispiele trösteten, weiß ich nicht, zumindest beruhigten sie mich,<br />
dass ich nicht alleine bin mit nachhaltigen, intensiven Schmerzen.<br />
Natürlich blieb zum Schluss eine eingehende neurologische Untersuchung<br />
nicht aus. Beispielsweise wurde am Arm, an der Hand oder am<br />
Fuß ein Wattestäbchen entlang gestreift mit der Frage, wo es intensiver<br />
zu spüren sei, oder es wurde der Versuch mit dem berühmten Hämmerchen<br />
am Knie durchgeführt, usw. Danach durfte ich gehen. Ich<br />
verabschiedete mich von Dr. Sand und der Eindruck, den ich von ihm<br />
mitnahm, ist der eines vertrauenswürdigen, kompetenten, kritischen<br />
und dem Patienten zugewandten Arztes. Würde ich einen Psychiater<br />
benötigen, so könnte ich mir vorstellen, eine Behandlung bei ihm<br />
durchzuführen. Ich konnte die für mich wohlwollende Beurteilung<br />
noch nicht als real ansehen, bevor diese in seinem Gutachten nicht<br />
„schwarz auf weiß“ vorliegen würde.<br />
136
45. In der Klinik für konservative Orthopädie<br />
Am 18. August 2015 begann mein Klinikaufenthalt in der konservativen<br />
Orthopädie bei Dr. Berg. Ich fand mich in seiner Abteilung um<br />
9:00 Uhr ein und war gespannt, was mich hier erwartete. Da ich keine<br />
großen Erwartungen hatte, ließ ich alles in Ruhe auf mich zukommen.<br />
Ich wusste bereits von den Praxisbesuchen bei Dr. Berg, dass das Krankenhaus<br />
ein sehr altes Gebäude war, in dem momentan Bauarbeiten<br />
zur Sanierung durchgeführt wurden. Dies war auch nötig, hier gab es<br />
wie früher noch Etagenduschen bzw. -toiletten und es waren fast nur<br />
Dreibettzimmer mit Ausnahme der für Privatpatienten, die den Vorzug<br />
eines Zweibettzimmers mit Nasszelle genießen konnten. Anders<br />
ausgedrückt, Privatpatienten fanden das vor, was, denke ich, inzwischen<br />
in allen Krankenhäusern auch für Kassenpatienten Standard ist.<br />
Ich war, vor allem mit zunehmenden Klinikaufenthalten, dankbar, im<br />
Besitz einer privaten Zusatzversicherung zu sein und lernte die Vorzüge<br />
meines einfach ausgestatteten Krankenzimmers zu schätzen. Meine<br />
Bettnachbarin hatte einen Bandscheibenvorfall an einem Lendenwirbel<br />
und war bei meinem Eintreffen ziemlich an das Bett gebunden. Ich<br />
freute mich, eine nette, freundliche und herzliche Mitpatientin anzutreffen,<br />
und meine Befürchtung, mit jemandem das Zimmer teilen zu<br />
müssen, bei dem es keine Gemeinsamkeiten gab, trat nicht ein. Im Gegenteil,<br />
während ihrer gesamten Zeit im Krankenhaus verstanden wir<br />
uns so gut, dass wir auch jetzt noch den Kontakt pflegen. Sie wohnte<br />
in einer Nachbarortschaft und unser gegenseitiges Interesse und unsere<br />
Zuneigung verbinden uns. Die Anwesenheit von Gabi tat meiner Seele<br />
gut und erleichterte mir das Einleben und die kommenden tristen<br />
Tage im Krankenhaus.<br />
Nach dem üblichen Aufnahmeprozedere wurde ich eine Stunde später<br />
bereits zur Eingangsuntersuchung erwartet. Zwei Ärzte, eine Physiotherapeutin<br />
und eine Arzthelferin führten eine Befragung zu meinen<br />
Schmerzen durch und es folgte eine gründliche Untersuchung. Auch<br />
137
Vorerkrankungen schenkten sie intensive Aufmerksamkeit und nach<br />
einer Blutuntersuchung, dem Legen einer Infusionsnadel und einem<br />
aufgezeichneten EKG war der erste Tag, medizinisch gesehen, beendet.<br />
So hatte ich die nötige Zeit, mich mit den Gegebenheiten des Hauses<br />
vertraut zu machen und ließ mir von Gabi den Tagesablauf berichten.<br />
Der Morgen des zweiten Tages begann, wie künftig jeden Morgen, mit<br />
dem Verabreichen der Medikamente. Täglich um 5:00 Uhr brachte<br />
die Nachtschwester die Tabletten und damit war die Nacht vorüber.<br />
An ein Einschlafen war nicht mehr zu denken, bedingt durch das laute<br />
Hin- und Hergehen und dem hektische Treiben im Korridor. Die<br />
Schwestern erfüllten ihre morgendliche Pflicht und die ersten Patienten<br />
machten sich auf den Weg zu den zwei einzigen Etagenduschen<br />
bzw. zu den Toiletten. Um 7:00 Uhr gab es Frühstück, dieses wurde<br />
in einem Speisesaal im Keller eingenommen. Für mich stellte sich<br />
die Einnahme der Mahlzeiten als echtes Problem dar, waren doch die<br />
Stühle exakt so, wie ich sie überhaupt nicht gebrauchen kann, d.h.<br />
die Sitzfläche und die Stuhllehne nach hinten geneigt. Ich stellte sehr<br />
schnell nach dem ersten Frühstück fest, dass ich bei deren Benutzung<br />
sofort eine Schmerzattacke bekam und so machte ich es mir zur Gewohnheit,<br />
nur noch an einem Stehtisch zu essen. Zugegeben, ich kam<br />
mir anfänglich etwas als Außenseiter vor, saßen doch alle an Tischen<br />
und kommunizierten miteinander, während ich alleine meine Mahlzeit<br />
an einem Stehtisch einnahm und von oben auf die Gesellschaft<br />
herabblickte. Als ich mit anderen Patienten und Patientinnen Kontakt<br />
geschlossen und wir unsere gegenseitigen Krankheitsverläufe kennengelernt<br />
hatten, gesellten sich Mitpatientinnen an meinen Stehtisch<br />
und leisteten mir Gesellschaft.<br />
Um 7:30 Uhr mussten wir bereits wieder oben auf Station sein. Mit<br />
einer wärmenden Fangopackung im Bett warteten wir auf die tägliche<br />
Visite. Ähnlich wie in der Schmerztagesklinik bekam jeder Patient einen<br />
Behandlungsplan für die Tage des Aufenthaltes. Danach konnte<br />
man sich orientieren welche Anwendungen und Behandlungen den<br />
Tag über vorgesehen waren. Er sah täglich Bewegungstraining, als auch<br />
138
physiotherapeutische Behandlungen vor. Erstaunlich war für mich,<br />
dass von den vorgesehenen 30 Minuten Krankengymnastik auf meinem<br />
Plan fast immer nur 15 Minuten am Patienten gearbeitet wurde.<br />
Meine Physiotherapeutin kam regelmäßig mit einer Selbstverständlichkeit<br />
zehn Minuten zu spät und verließ fünf Minuten früher den<br />
Raum.<br />
Eine Psychologin führte mit jedem Patienten während der gesamten<br />
Aufenthaltsdauer zwei Gespräche von jeweils einer halben Stunde,<br />
mehr sind nach ihrer eigenen Aussage nicht vorgesehen. Ich selbst hatte<br />
nur ein einziges Fallgespräch, da, wie es die Psychologin nannte, ich<br />
eine „gesunde und stabile Psyche“ hätte und somit erübrige sich eine<br />
zweite Begegnung. Sie teilte mir des Weiteren mit, sie würde nach der<br />
Anzahl der Fälle bezahlt werden und so wirklich Zeit hätte sie für den<br />
einzelnen Patienten eigentlich nicht. Ihr Wissen über mich entnahm<br />
sie einem Fragebogen. Aus diesem und unserer einmaligen Begegnung<br />
resultierte ihre Einschätzung für meinen späteren Arztbrief. Eine psychologische<br />
Hilfe und Unterstützung hatte keiner der Patienten erfahren,<br />
mit denen ich gesprochen hatte.<br />
46. Dr. Berg<br />
Dr. Berg erklärte mir bei der ersten Visite, dass ich nun an drei Tagen<br />
eine Infusion mit dem Wirkstoff Oxygesic (ein sehr starkes opioides<br />
Schmerzmittel) angehängt bekäme, um die körpereigene Cortisonbildung<br />
anzuregen. Kurz darauf, wie auch an den zwei Folgetagen, wurde<br />
mir die Infusionsflasche gebracht und die Flüssigkeit verabreicht. Ich<br />
merkte schon nach einer Stunde, dass mein Körper mit Schwindel und<br />
Benommenheit darauf reagierte und verbrachte den zweiten Tag meines<br />
Aufenthaltes vor mich hin schlummernd, fast lethargisch, im Bett.<br />
Gabi erging es ähnlich.<br />
Als ich am folgenden Tag Dr. Berg davon berichtete, wurden von ihm<br />
139
zwei Tabletten, die zur Entspannung führen sollten, von meinem Medikamentenplan<br />
abgesetzt mit der Bemerkung, diese wären sowieso<br />
nicht notwendig. Er wollte aber seinem Oberarzt zunächst nicht widersprechen,<br />
denn dieser verordne diese Tabletten sehr gerne. Zudem<br />
erfolgte die Feststellung, die Flüssigkeit wäre zu schnell durchgelaufen,<br />
deshalb der Schwindel. Die folgenden zwei Tage achtete ich deshalb<br />
sehr genau auf die Einstellung der Infusion: nach jeweils sechs Stunden<br />
war das Schmerzmittel durchgelaufen; im Vergleich zur ersten Flasche,<br />
die nur zwei Stunden benötigte. Der Schwindel blieb, die Müdigkeit<br />
besserte sich allerdings. Heute weiß ich, dass der Schwindel auf eine<br />
Unverträglichkeit auf diesen starken Wirkstoff zurückzuführen war.<br />
Als ich in die Klinik kam, war ich auf zwei bestimmte Schmerzmittel<br />
eingestellt, mit einer Dosis von jeweils 300 mg täglich. Dr. Berg meinte,<br />
er wolle die Tabletten mit dem Wirkstoff Oxygesic gegen andere<br />
Ähnliche austauschen. Sollte ich bei Schmerzattacken eine Akut-Tablette<br />
benötigen (sie beinhalte auch den vorgesehenen Wirkstoff) solle<br />
ich mich bei einer Schwester melden. Da meine Schmerzspitzen regelmäßig<br />
kamen, griff ich gerne auf dieses Angebot zurück. Ich spürte<br />
bald, dass mein Magen und Darm aus dem Gleichgewicht kamen und<br />
hatte mit Magenkrämpfen und Durchfall zu kämpfen. Dennoch fügte<br />
ich mich den Anordnungen des Arztes im Glauben an eine Besserung<br />
meiner Schmerzen. Nach einer Woche meinte Dr. Berg bei der Visite,<br />
er wolle die Tablette, die hauptsächlich dem Kribbelgefühl entgegen<br />
wirken sollte, absetzen. Die Begründung war, dass ich ja trotz deren<br />
Einnahme das Ameisenrennen verspüren würde, was eigentlich bei<br />
dieser Stärke nicht mehr sein dürfe. Hätte ich gewusst, mit welchen<br />
Konsequenzen ich mit dieser Entscheidung für das Absetzen konfrontiert<br />
werden würde, hätte ich nicht dazu eingewilligt.<br />
Die deutsche Schmerzgesellschaft sieht vor, dass ein „Ausschleichen“,<br />
wie das Herunterfahren der Medikamente auch genannt wird, auf<br />
langsame Weise erfolgen muss, da es ansonsten zu heftigen Nebenerscheinungen<br />
kommen kann, vergleichbar mit einem Drogenentzug.<br />
Dies kann ich nur bestätigen: kalter Schweiß, Zittern, starke Magen-<br />
140
schmerzen, Durchfall, Schwindel, sowie eine abnorme Müdigkeit sind<br />
Beispiele dafür, wie sich das radikale Absetzen in den kommenden<br />
Tagen und Wochen äußerte. Erst später, als ich wieder zuhause war<br />
und mit meinem Hausarzt darüber sprach, klärte er mich auf, wie das<br />
vernünftige Ausschleichen eines Medikamentes anzugehen ist.<br />
Am siebten Tag war eine Infiltration der Halswirbelsäule vorgesehen.<br />
Da ich ja bereits genügend solcher Eingriffe hinter mich gebracht hatte,<br />
stand die Angst vor dem Setzen der Nadeln nicht mehr im Vordergrund,<br />
eher die möglichen Folgen und Risiken, über die ich ja Bescheid<br />
wusste. Im Vergleich zu allen früheren Infiltrationen musste ich<br />
hier nur einmal bei der Krankenhausaufnahme unterschreiben, dass<br />
ich mit den Spritzen und Infusionen im Rahmen der Behandlungen<br />
einverstanden bin. Um welche Spritzen es sich tatsächlich handelte,<br />
nahm ich erst zum Zeitpunkt des Geschehens wahr. Es gab dazu vorher<br />
überhaupt kein aufklärendes Gespräch, welcher Wirkstoff injiziert<br />
wird, auch keine Unterlagen zum Nachlesen und zur Aufklärung über<br />
mögliche Folgen und Unverträglichkeiten. Auf meine Frage, in welcher<br />
Facettenhöhe infiltriert werden würde, bekam ich, während ich<br />
bereits auf der Liege zum Eingriff vorbereitet war, von Dr. Berg die<br />
knappe Aussage, es würden heute alle HWS-Facetten auf einmal infiltriert.<br />
Es wurden also zwölf Nadeln gesetzt und die entsprechenden<br />
Schmerzen dazu muss ich, denke ich, kaum schildern. Der Eingriff<br />
blieb jedoch ohne erkennbare Besserung.<br />
Eine Woche später wurde eine weitere Infiltration durchgeführt. Auch<br />
dieses Mal die gesamte HWS entlang, ebenso ohne Aufklärung und<br />
ohne Erfolg. Hatte ich mir damals nicht bereits nach meiner zehnten<br />
Infiltration vorgenommen, einem solchen Eingriff nicht mehr zuzustimmen<br />
und diese Strapazen auf mich zu nehmen? Ich ärgerte mich<br />
über mich selbst. Eine zusätzliche Infiltration in zwei Rückenmuskeln<br />
nahm Dr. Berg spontan am achten Tag meines Aufenthaltes vor, nachdem<br />
er mich schmerzerfüllt und verzweifelt an der Wand lehnend sah.<br />
Er bat mich, mit in sein Sprechzimmer zu kommen und versuchte<br />
mich zu deblockieren. Danach injizierte er das Betäubungsmittel. Wie-<br />
141
der ohne Aufklärung, lediglich die Aufforderung, ganz ruhig liegen zu<br />
bleiben, damit kein Loch in der Lunge entstehe, da ich ansonsten laut<br />
seinen Worten einen „kleinen Ausflug auf die Intensivstation“ machen<br />
würde.<br />
Als sich gegen Wochenende keine Besserung meiner Schmerzen einstellen<br />
wollte, bekam ich von Dr. Berg die Anweisung, ich möchte<br />
das ganze Wochenende mich bitte ausruhen, um meine Muskeln und<br />
meine Psyche zu entspannen. Meine Reaktion, dass sich in der Ruhe<br />
meine Schmerzen verschlimmern würden, ignorierte er gänzlich. So<br />
verbrachte ich das Wochenende überwiegend im Bett, was sich, wie<br />
vorhersehbar, eher schmerzbildend als lindernd bemerkbar machte.<br />
Ein MRT der Brustwirbelsäule mit Kontrastmittel sollte in der darauf<br />
folgenden Woche Aufschluss bezüglich des Übergangs von der HWS<br />
zur Brustwirbelsäule geben. Ich erspare mir hierzu jegliche Schilderung<br />
meiner Panikzustände während der MRT-Aufnahmen. Es zeigten sich<br />
diesbezüglich keine Hinweise über einen möglichen Schmerzzusammenhang.<br />
Dr. Berg wollte mich erst dann aus der Klinik entlassen, wenn er sah,<br />
dass seine Behandlung anschlug. Aus diesem Grund wollte er mir an<br />
drei aufeinander folgenden Tagen intravenös hochdosiertes Cortison<br />
geben. Mit meinem Zweifel, ich könnte darauf mit Sehstörungen reagieren,<br />
wie ich es in der Vergangenheit bereits erfahren musste, wies<br />
er zurück. Ich fühlte mich von ihm nicht ernst genommen. Leider bestätigte<br />
sich hinterher meine Vermutung, es trat eine Verschlechterung<br />
meiner Sehkraft ein.<br />
Ich konfrontierte Dr. Berg mit der Frage, ob es sein könnte, dass es<br />
sich bei mir in diesem Fall ähnlich verhielt wie bei meinen Zahnbehandlungen.<br />
Für diese benötige ich oftmals die doppelte Stärke des<br />
Betäubungsmittels, um eine Wirkung zu erzielen. Dies bestätigten mir<br />
schon mehrere Zahnärzte. Er verneinte dies vehement, dies läge nur<br />
daran, dass der jeweilige Zahnarzt nicht richtig an den Nerv gespritzt<br />
hätte. Auf eine derartige Diskussion wollte ich mich nicht einlassen,<br />
142
denn ich glaube kaum, dass die von unterschiedlichen Dentisten ausgeführten<br />
Betäubungen nur deshalb keine Wirkung zeigten, weil diese<br />
nicht exakt den Zahnnerv getroffen hatten.<br />
Nach drei Tagen intravenöser Cortisongabe ohne erkennbaren Erfolg<br />
erklärte mir Dr. Berg, er könne nichts mehr für mich tun, ich könne<br />
die Klinik verlassen. Meine Schmerzen, so seine Ansicht, seien auf eine<br />
Überbeweglichkeit der Halswirbelsäule zurückzuführen, er hätte noch<br />
niemanden gesehen, der nach zwei Halswirbeloperationen so beweglich<br />
wäre. Meine Muskeln im Hals- und Schulterbereich seien permanent<br />
überfordert und würden die gesamte Tiefenmuskulatur samt den<br />
entsprechenden Nerven so anspannen, dass ich unter Dauerspannung<br />
stehen würde. Dagegen hilft hauptsächlich dauerhafte Physiotherapie<br />
und das stundenweise Tragen einer Halsmanschette, damit die Muskeln<br />
ruhig gestellt werden.<br />
Jeder Physiotherapeut schüttelte im Nachhinein den Kopf, denn ein<br />
weiteres Tragen der Halskrawatte hätte einen erneuten Muskelabbau<br />
der Halsmuskeln bedeutet. Siebzehn Tage Krankenhausaufenthalt,<br />
und es stellt sich mir die Frage, was habe ich davon eigentlich profitiert?<br />
Fazit: Ich leide unter Entzugserscheinungen, bin auf ein Opiat<br />
eingestellt, dessen Wirkstoff ich nicht vertrage und welches mir meine<br />
Schmerzen nur wenig nimmt. Mein Körper wurde die vergangenen<br />
Tagen mit „Chemiekeulen“ zugepumpt und ich habe erneute Infiltrationen<br />
auf mich genommen, die ich eigentlich ablehne. Meine Sehstärke<br />
hat durch die Cortisongabe abgenommen und ich habe erhebliche<br />
Magen- Darm- sowie Kreislaufprobleme.<br />
Ich habe nun die Bestätigung, dass ich eine gesunde Psyche habe und<br />
weiter regelmäßig zur Physiotherapie muss, um meine Muskeln zu entspannen.<br />
Allein die Sicherheit, dass meine Brustwirbelsäule in Ordnung<br />
ist, gibt mir ein wirklich gutes Gefühl. Ich werde mich erneut<br />
in die Schmerzambulanz begeben, um mich dort wieder von Grund<br />
auf einstellen zu lassen, in der Hoffnung, wieder einen für mich verträglichen<br />
Wirkstoff zu erhalten, der meinen Schmerzen einigermaßen<br />
entgegenwirkt.<br />
143
47. Volle Erwerbsminderungsrente auf Zeit<br />
Noch während meines Klinikaufenthaltes bekam ich ein Schreiben<br />
der Rentenversicherung, ich hätte Anspruch auf volle Erwerbsminderungsrente<br />
auf Zeit. Der Brief erhielt die Aufforderung, ich solle mich<br />
entscheiden über den Zeitpunkt des Beginns meiner Erwerbsminderungsrente,<br />
entweder ab 1. Juni 2014 oder ab 1. Januar 2015.<br />
Da meine Rehabilitationsmaßnahme im vergangenen Jahr ohne Erfolg<br />
gewesen wären, hätte ich ab diesem Zeitpunkt bereits Anspruch.<br />
Ich frage mich nun natürlich, warum eigentlich zuerst die Ablehnung,<br />
dann der ganze Aufwand mit Widerspruchsverfahren etc., wenn ich<br />
doch bereits nach meiner Reha berechtigt gewesen wäre, eine Erwerbsminderungsrente<br />
anzutreten? Für mich als Patientin und Rentenversicherte<br />
nicht nachvollziehbar. Worin der Unterschied und die Vor- und<br />
Nachteile des jeweiligen Rentenbeginns lagen, ging aus diesem Schreiben<br />
nicht hervor, nur die Frist, bis wann das Schreiben beantwortet<br />
werden müsse. Ein Anruf bei der entsprechenden Stelle informierte<br />
mich darüber, dass alle Zahlungen seitens der Krankenkasse bzw. des<br />
Arbeitsamtes dagegen gerechnet werden würden. Auf Grund dieses<br />
Sachverhaltes entschied ich mich für den 1. Januar 2015.<br />
Ende September 2015 erhielt ich nun meinen Rentenbescheid mit der<br />
Mitteilung, dass ich rückwirkend zum 1. Januar 2015 Rente wegen<br />
voller Erwerbsminderung für die Dauer von zwei Jahren und acht Monaten<br />
erhalten werde. Damit habe ich wieder einen Status, zwar nicht<br />
unbedingt den, den ich als gesunde Person angestrebt hätte. Andererseits<br />
nimmt es mir eine große psychische Last, meine momentane<br />
finanzielle Grundsicherung geklärt zu wissen. Ein Durchatmen kann<br />
diesbezüglich folgen und ich kann mich auf meine Genesung und persönliche<br />
Neuorientierung konzentrieren.<br />
144
48. Atempause<br />
Nach dem vergangenen, ich würde fast behaupten “missglückten“<br />
Krankenhausaufenthalt stand für mich jetzt Anfang September fest,<br />
dass ich dringend eine Atempause von allen Ärzten und Krankenhäusern<br />
benötigte. Ich wollte Abstand und musste mich erst wieder selbst<br />
finden. Ich war nicht bereit, mich erneut auf unbekannte Therapien<br />
und Ärzte einzulassen. Ich spürte den vorangegangenen Stress in meinem<br />
Körper und wollte einfach nur zur Ruhe kommen. Trotz Schmerzen<br />
verordnete ich mir selbst eine Ruhephase von allen Medizinern.<br />
Außer meinem Hausarzt Dr. Renz und meinem Schmerztherapeuten<br />
Dr. Rister wollte ich keinen Arzt mehr an meinen Körper heranlassen.<br />
Ich suchte bis Mitte Dezember keine anderen Ärzte auf.<br />
Wieder Zuhause stellte sich zudem sehr schnell heraus, dass das in<br />
der Klinik erhaltene und von Dr. Berg empfohlene Opiat für mich<br />
gänzlich ungeeignet war. Ich hatte ein ganztägiges Schwindelgefühl,<br />
die Schmerzen wollten nicht aufhören, ich litt unter starker Müdigkeit<br />
und hatte nach wie vor heftige Bauchschmerzen und Durchfall. Da<br />
ich vierzehn Tage Vorlauf benötigte, um einen Termin bei Dr. Rister,<br />
dem Leiter der Schmerzambulanz, zu erhalten, ging ich zu meinem<br />
Hausarzt, um dort Rat für meine Medikamenteneinnahme zu suchen.<br />
Dieser bot mir ein Schmerzpflaster mit einem anderen Wirkstoff in<br />
geringer Stärke an, bis ich wieder Rücksprache mit der Schmerzambulanz<br />
nehmen könnte. Als Alternative, so der Vorschlag von Dr. Renz,<br />
könne ich es mal damit probieren, ein Schmerzpflaster sei sicher verträglicher<br />
und ging nicht über den Magen. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt<br />
keine andere Wahl und ließ mich darauf ein. Am Abend klebte<br />
ich mir das Pflaster auf die Haut. In der Nacht erwachte ich mit Übelkeit<br />
und am nächsten Morgen war mir fürchterlich elend. Ich erbrach,<br />
hatte Kopfschmerzen und einen übermäßigen Hirndruck, wie ich es in<br />
dieser Form nie zuvor kannte. Es war mir unmöglich aufzustehen und<br />
alles drehte sich im Kreis. Dazu kam nach wie vor anhaltende Übelkeit<br />
und Erbrechen. Mein erste Gedanke für die Ursache meines schlechten<br />
145
Zustandes galt dem Schmerzpflaster; ich entfernte es umgehend.<br />
Die Schwäche zog sich über den gesamten Tag hin und ich erinnere<br />
mich nur mit großem Unbehagen an diesen Tag. Ich habe seither großen<br />
Respekt vor Schmerzpflastern und vor Medikamenten, die einen<br />
mir nicht bekannten Wirkstoff enthalten. Als ich vierzehn Tage später<br />
mit Dr.Rister, meinem Schmerztherapeuten, sprach, bestätigte dieser<br />
meine Unverträglichkeit gegenüber diesem Medikament.<br />
Seit September fahre ich nun regelmäßig, nach gewissen Abständen,<br />
zur Schmerzambulanz. Ich wurde dort auf ein Opiat mit einem anderen,<br />
mir verträglichen Wirkstoff eingestellt und ich muss zugeben,<br />
dass es mich nach den Erfahrungen der vergangenen Wochen große<br />
Überwindung gekostet hat, mich nochmals auf ein neues Präparat einzulassen.<br />
Meine Befürchtungen jedoch haben sich nicht bestätigt, ich<br />
vertrage es gut, und es hilft mir zumindest zeitweise, wenn ich nicht<br />
in einer ungünstigen Position verharre, meine Schmerzen nur noch<br />
dumpf wahrzunehmen. Übrigens wurde ich zwischenzeitlich auch<br />
wieder von Dr. Rister auf das Medikament eingestellt, dass mir Dr.<br />
Berg in seiner Klinik entzog. Zudem wurde mir von ihm bestätigt,<br />
dass mein Körper Opiate sehr schnell abbaut und ich deshalb mehr<br />
und eine höhere Dosierung als andere Patienten benötige. Um eine<br />
Krankheit bzw. ein Versagen von Leber und Nieren auf Grund der<br />
starken Medikation auszuschließen, gehe ich regelmäßig alle vier bis<br />
sechs Wochen zur Blutabnahme.<br />
Im Oktober erhielt ich erneut ein Rezept für Physiotherapie. Nach<br />
vielen Überlegungen und einigen Empfehlungen entschloss ich mich<br />
schweren Herzens, meinen Physiotherapeuten zu wechseln. Vielleicht<br />
böte sich ja hier eine andere Perspektive und ein anderer Ansatz zur<br />
Behandlung, die dann letztendlich zum Erfolg, sprich zur Besserung<br />
meiner gesundheitlichen Lage und damit zur Heilung führen könnte.<br />
Bei meinem ersten Besuch stellte ich fest, dass ich mich in dieser Praxis<br />
wohl fühle und in sie Vertrauen fassen kann. Die Physiotherapeuten<br />
sind alle bemüht, sich auf mich und meine Krankheit einzulassen und<br />
146
ieten andere Behandlungsmöglichkeiten und Ansätze an: alternative<br />
Behandlungsmethoden aus der Osteopathie, Ohrakupunktur oder Laserakupunktur.<br />
Diese hatte ich bislang nicht erfahren. Zwischenzeitlich<br />
werde ich von Tom behandelt und ich fühle mich bei ihm genau<br />
in den richtigen Händen. Ich suche ihn einmal wöchentlich auf. Nach<br />
meinem Ärztemarathon bin ich bedacht, auf mein seelisches Gleichgewicht<br />
zu achten. Deshalb achte ich darauf, dass ich mich nicht zu sehr<br />
mit Terminen wie Arztbesuche oder Physiotherapie einenge.<br />
49. Das Upright-MRT<br />
Mitte Dezember machte ich mich auf den Weg zu Prof. Dr. Seiber, um<br />
den bei ihm im Juni vereinbarten Termin wahrzunehmen, sollten sich<br />
meine Beschwerden nicht zum Positiven wenden. Ich meldete mich<br />
beim Empfang an. Wie ich zuvor bereits im Auto mit meinem Mann<br />
beim Gespräch befürchtete, erhielt ich von einer freundlichen Dame<br />
die Nachricht, dass sich der Professor leider im Operationssaal befand<br />
und deshalb die Sprechstunde heute leider von einem anderen, mir<br />
nicht bekannten Arzt abgehalten würde. Ich erklärte ihr, dass ich nicht<br />
bereit und willens sei, zu diesem Arzt zu gehen. Ich begründete dies<br />
damit, dass Prof. Dr. Seiber meine Krankengeschichte kenne und mich<br />
zweimal operiert hätte. Ich wäre gerne bereit auf ihn zu warten, bis er<br />
Zeit hätte, mit mir zu sprechen. Sie führte daraufhin ein Telefonat;<br />
danach meinte sie, es könnte allerdings bis Mittag dauern, aber Prof.<br />
Dr. Seiber wäre dann bereit, sich Zeit für mich zu nehmen.<br />
Ich hatte mich bereits auf „Warten“ eingestellt und darum war ich mit<br />
ausreichendem Lesestoff versorgt, so dass es für mich relativ kurzweilig<br />
wurde, bis ich ins Sprechzimmer gebeten wurde. Dort empfing mich<br />
Professor Dr. Seiber. Im Hintergrund befand sich ein Herr, der sich<br />
als Freund und Neurochirurg vorstellte. Nachdem wir geklärt hatten,<br />
dass ich seiner Anwesenheit zustimmte, berichtete ich. Prof. Dr. Seiber<br />
vom vergangenen halben Jahr und meiner unveränderten Lage.<br />
147
Er gab zu, hier an einem Punkt angelangt zu sein, an dem er mir zwar<br />
meine Schmerzen abnahm, aber keine Ursache dafür wüsste. Alles sei<br />
soweit ordentlich verheilt, so seine Einschätzung. Allerdings kam ihm<br />
der Gedanke eines Upright-MRTs. Dieses wäre teuer und nicht in der<br />
Krankenkassenleistung enthalten, deshalb müsste es zuvor von meiner<br />
Krankenkasse genehmigt werden. Er sei sich aber sicher, dass auf<br />
Grund meiner besonderen Situation dies sich nicht als Problem gestalten<br />
würde.<br />
Ein Upright-MRT kann nur in einer speziell dafür vorgesehenen Praxis,<br />
die es in Deutschland nur wenige Male gibt, gemacht werden.<br />
Während der gesamten Aufzeichnungsdauer werden die Aufnahmen<br />
in einem offenen Gerät im Stehen und Sitzen durchgeführt. Prof. Dr.<br />
Seiber betonte, dass er normalerweise von dieser Art einer Aufnahme<br />
nicht Gebrauch machen würde, aber in meinem speziellen Fall wäre<br />
das eine gute Möglichkeit, um ein Bild der Wirbelsäule im Stehen und<br />
im Liegen zu erhalten.<br />
Am selben Tag wollte er zugleich Aufnahmen meiner Wirbelsäule mit<br />
einem herkömmlichen MRT, also liegend, so dass sich dann unterschiedliche<br />
Bildgebungen in unterschiedlichen Positionen ergaben. Er<br />
hoffe darauf, mit diesen Bildern doch endlich Aufschluss darüber zu<br />
bekommen, was meine Schmerzen auslösen würde. Prof. Dr. Seiber<br />
diktierte in meiner Anwesenheit den Arztbrief mit der Begründung.<br />
Meine Aufgabe war es nun, dieses Schreiben der Krankenkasse zur Genehmigung<br />
vorzulegen. Wir verabschiedeten uns mit der Zusicherung,<br />
sollte es genehmigt werden, dass er mir dann die weiteren Schritte erklären<br />
würde, die für ein Upright-MRT zu tun sind. Anschließend<br />
ging ich noch kurz ins Sekretariat um mich zu erkundigen, wann ich<br />
mit dem Eingang des diktierten Briefes zu rechnen hätte. Die Sekretärin<br />
seufzte und meinte, sie hätten krankheitsbedingt Personalmangel,<br />
aber er würde sicherlich in den nächsten Tagen eintreffen. Es wurde<br />
Weihnachten, das Ende des Jahres 2015 stand bevor, ich erhielt keinen<br />
Arztbrief.<br />
148
Das neue Jahr 2016 hatte begonnen und nach drei Wochen erhielt<br />
ich endlich Post mit den erwarteten Arztbrief. Mein Mann und ich<br />
machten uns sofort auf den Weg und statteten der Krankenkasse einen<br />
Besuch ab. Wir erhofften, die Genehmigung für das notwendige<br />
MRT zu erhalten. Es wäre jedoch zu einfach gewesen, einer unkomplizierten<br />
Genehmigung entgegenzublicken. Der Sachbearbeiter meiner<br />
zuständigen Krankenkasse verhielt sich unsicher, gab sich unwissend,<br />
sah aber ein großes Problem in einer Zustimmung. Er müsse zunächst<br />
darüber informiert werden, was die erforderlichen Aufnahmen kosten<br />
würden und außerdem sah er keinen Sinn in einer derartigen Aufzeichnung,<br />
wenn ich doch eigentlich „austherapiert“ wäre. Des Weiteren<br />
sei es für ihn von großer Wichtigkeit zu wissen, ob die Aufnahmen<br />
ambulant oder stationär durchgeführt werden würden. Das vorgelegte<br />
Schreiben, so seine Auffassung, beinhalte keine ausreichende Information<br />
über die Gründe und die Notwendigkeit für ein Upright-MRT. Er<br />
forderte mich auf, ihm einen Kostenvoranschlag für ein Upright-MRT<br />
vorzulegen und nach seinen Worten einen „erneuten exakt ausgeführten<br />
Arztbrief“ von Prof. Dr. Seiber anzufordern.<br />
Ich möchte hierbei anmerken: Weder machte sich der Angestellte der<br />
Krankenkassenfiliale die Mühe, meine Krankendaten und Fakten aus<br />
dem Computer abzurufen, noch sich über ein Upright-MRT zu informieren,<br />
um was es sich eigentlich bei diesem speziellen MRT handelt.<br />
Stattdessen erhielt ich von ihm den Auftrag, Informationen über die<br />
Kosten einer solchen Aufnahme einzuholen. Ich war ziemlich verärgert,<br />
da ich der Meinung war, dass der Arztbrief eigentlich alle wichtigen<br />
Details beinhalte und beschloss deshalb, auch keinen anderen<br />
bei Prof. Dr. Seiber anzufordern. Das hätte für mich wieder erneutes<br />
Warten bedeutet, bis dieser bei mir eintreffen würde und zudem wäre<br />
unnötig Zeit verstrichen. Außerdem war ich, wie erwähnt, der Meinung,<br />
dass dieses Schreiben alle notwendigen Informationen enthielt.<br />
Bei drei verschiedenen radiologischen Praxen Deutschlands forderte<br />
ich Kostenvoranschläge an und verfasste einen Brief an meine Krankenkasse<br />
mit der Bitte um Genehmigung. Als Anhang heftete ich das<br />
149
Schreiben von Prof. Dr. Seiber und die drei Kostenvoranschläge bei.<br />
Das Ganze schickte ich an die Zentrale meiner Krankenkasse. Eigentlich<br />
war ich schon etwas verwundert, dass es meine Aufgabe war, mich<br />
um einen Kostenvoranschlag zu kümmern. Auf diese Art und Weise<br />
ersparte sich die Kasse den zeitlichen Aufwand und wenn Patienten<br />
verärgert sind, geben sie sich vielleicht langfristig geschlagen; auch eine<br />
Methode, mit dem Ganzen umzugehen, dachte ich mir.<br />
Drei Tage später erhielt ich einen Anruf der Krankenkasse mit der Bitte<br />
um etwas Geduld bezüglich der Genehmigung des Upright-MRTs.<br />
Die freundliche, zuständige Sachbearbeiterin informierte mich darüber,<br />
dass sie mein Anliegen schnell bearbeiten wolle und es im Eilverfahren<br />
an den Medizinischen Dienst weiterleiten würde. Zwei Wochen<br />
später lag ein Schreiben von meiner Krankenkasse in meinem Briefkasten,<br />
dass der Medizinische Dienst Unterlagen von der Klinik, in der<br />
ich operiert wurde, anfordern wollte. Sie erklärte sich dazu nicht bereit<br />
ohne mein Einverständnis. Im Anhang war ein Formular zur Einwilligung<br />
in die Aushändigung der Unterlagen, welches ich unterzeichnen<br />
und postwendend zurücksenden sollte.<br />
Auf dem Weg zur Post überlegte ich mir, dass dies nun für mich erneut<br />
eine weitere Verzögerung bedeutete. Man stelle sich vor: Es vergehen<br />
Tage, Wochen, ja inzwischen Monate, nur für eine simple Genehmigung<br />
eines zwar außergewöhnlichen, aber erforderlichen MRTs. Inzwischen<br />
zeigte der Kalender Mitte Februar und es geschah nichts.<br />
Meine Schmerzen änderten sich nicht und ich übte mich weiter im<br />
Warten und in Geduld. Dann zwei Tage später ein Anruf der Klinik,<br />
es sei für sie unverständlich, weshalb sie die gesamten Unterlagen dem<br />
Medizinischen Dienst zur Verfügung stellen sollten, es wären doch<br />
Arztbriefe und der gesamte Krankheitsverlauf samt Operationen und<br />
Therapien der Krankenkasse soweit bekannt. Ich bat sie trotzdem, ihnen<br />
alle erforderlichen Unterlagen zukommen zu lassen und wir einigten<br />
uns darauf, dass eigentlich ein Gespräch zwischen Prof. Dr. Seiber<br />
und dem Arzt des Medizinischen Dienstes die beste Möglichkeit sei,<br />
zur Klärung der Wichtigkeit eines des MRTs beizutragen.<br />
150
Am 13. Februar erhielt ich die nächste Nachricht meiner Krankenkasse,<br />
dass sie mich weiterhin um Geduld und Verständnis bitte, die<br />
Unterlagen der Klinik seien nun endlich vollständig beim Medizinischen<br />
Dienst eingegangen und die Genehmigung meines Anliegens<br />
würde nun leider doch mehr als fünf Wochen in Anspruch nehmen.<br />
In meinen Gedanken registrierte ich: Die Angelegenheit befand sich<br />
bereits in der sechsten Woche! Mit der Zuversicht, dass mein Antrag<br />
in Bearbeitung sei und mit freundlichen Grüßen endete auch dieses<br />
Schreiben, allerdings ohne konkreten Inhalt. Ich spürte Aggression<br />
in mir aufkommen. Es verging kein Tag ohne Schmerzen. Ich griff<br />
zum Telefon und rief bei meiner Krankenkasse an. Ich erklärte dem<br />
Herrn am Ende der Leitung, dass ich unerträgliche Schmerzen hätte<br />
und etwas passieren müsse. Wenn ich zum momentanen Zeitpunkt<br />
allerdings einen Arzt aufsuchen würde, werde dieser mit Sicherheit ein<br />
MRT anfordern. Das wiederum wäre unangebracht, sollte ich die Zustimmung<br />
für das Upright-MRT bekommen.<br />
Es stellte sich heraus, dass mein Gesprächspartner auch dieses Mal der<br />
Angestellte war, mit dem ich bereits verhandelt hatte, und dieser sich an<br />
mich erinnerte. Das war zwar nett, aber es brachte mich nicht weiter.<br />
Er gab an, Verständnis für meine Anliegen zu haben (was ich bezweifelte)<br />
und riet, mich mit dem Medizinischen Dienst in Verbindung zu<br />
setzen. Ihm solle ich meine missliche Lage erklären. Meine Bitte, dass<br />
er dort selbst als Vertreter meiner Krankenkasse anrufen solle, lehnte<br />
er ab und meinen Zweifeln, dort als ungeduldiger Patient eingestuft<br />
zu werden, widersprach er. Ich wählte die Nummer des Medizinischen<br />
Dienstes und es trat genau das ein, was ich in meinen Gedanken befürchtet<br />
hatte: Mein Gegenüber in der Telefonleitung forderte mich<br />
auf, nicht so ungeduldig zu sein. Hier würde jeder Antrag der Reihe<br />
nach bearbeitet werden und es gäbe weitaus schlimmere Fälle als meiner,<br />
da ginge es oft um Leben und Tod. Genauso hatte ich mir dieses<br />
Gespräch vorgestellt. Das Schlimmste war, ich konnte wirklich nichts<br />
anderes unternehmen als abzuwarten.<br />
Es wurde Ende Februar, bis ich endlich das Schreiben mit der Nach-<br />
151
icht über die Entscheidung des Medizinischen Dienstes in den Händen<br />
halten durfte. Ich muss gestehen, dass der Inhalt dieser Nachricht<br />
mich in Aufregung versetzte. Sie enthielt eine Ablehnung meines Antrages<br />
für eine Magnetresonanz-Tomographie- Untersuchung in einem<br />
Upright-MRT-Gerät mit der Begründung, dass dies aus sozialmedizinischer<br />
Sicht nicht indiziert wäre. Die Krankenkasse sei an enge Regelungen<br />
gebunden, die auch Ausnahmeentscheidungen nicht erlauben<br />
würden. Ich solle mich an meinen Arzt wenden, um das weitere therapeutische<br />
Vorgehen abzustimmen. Wenn ich mit dieser Entscheidung<br />
nicht einverstanden wäre, könne ich allerdings innerhalb eines Monats<br />
nach Bekanntgabe des Bescheides Widerspruch einlegen.<br />
Ich fühlte mich machtlos, nicht verstanden und sehr klein gegen den<br />
Rest der Welt. Ich wusste, bevor ich handelte brauchte ich zuerst Zeit<br />
zum Nachdenken, um meinen Emotionen Lauf zu lassen und um mir<br />
darüber klar zu werden, welche Möglichkeiten sich mir noch boten,<br />
gegen diesen Bescheid anzugehen. Ich sendete Prof. Dr. Seiber eine<br />
Kopie des Bescheides zu, der mir daraufhin erneut in einem Brief an<br />
die Krankenkasse einige Zeilen über die Notwendigkeit der Aufnahmen<br />
bestätigte. Anfang März suchte ich den Sozialverband auf, der<br />
mich ja bereits in meiner Rentenangelegenheit erfolgreich vertreten<br />
hatte. Ich versuchte ihm die Sachlage transparent zu machen und erteilte<br />
ihm meine Vollmacht, Widerspruch gegen das Schreiben der<br />
Krankenkasse einzulegen. Mit einem Termin zum Besprechen der<br />
Widerspruchsgründe trat ich dort aus der Türe und verspürte einen<br />
Hauch von Hoffnung, eventuell damit etwas erreichen zu können.<br />
Ostern war in diesem Jahr sehr zeitig. Ich versuchte, mich wie immer,<br />
wenn ich schlechten Nachrichten hatte, abzulenken. Es waren<br />
die Vorbereitungen auf die bevorstehenden Feiertage, die ich im Fokus<br />
hatte, als am Mittwoch in der Karwoche ein Telefonanruf aus dem<br />
Sozialverband mich aus meinem Tun riss: sie hätten meinen Termin<br />
gestrichen, ich würde ihn nicht benötigen. Alles, was darüber zu sagen<br />
wäre, erhielte ich in einem Schreiben. Ich war erstaunt und verwundert<br />
über die kurz angebundene Aussage und es gelang mir nicht, diese<br />
152
einzustufen. Schon bereits am nächsten Tag erhielt ich das Schreiben<br />
und damit die Antwort auf meine Frage. In dem Brief bezog sich der<br />
Sozialverband auf die Ablehnung des Widerspruchs des Medizinischen<br />
Dienstes der Krankenkasse: Es würden keine wissenschaftlich fundierten<br />
Untersuchungen vorliegen, die einen klaren Vorteil in der Entdeckung<br />
von Pathologien in diesem Wirbelsäulenbereich zeigen; d.h.<br />
es existiert derzeit keine wissenschaftlich valide Bewertung einer Notwendigkeit<br />
einer Untersuchung durch ein Upright-MRT. Die weitere<br />
Aussage des Gutachters war, dass ich nun zwei Möglichkeiten hätte:<br />
Eine Rücknahme des Widerspruchs, das dazu benötigte Schreiben läge<br />
bereits als Anhang bei. Ich könnte aber auch eine ärztliche Bestätigung<br />
einreichen, das dem Gutachten widerspricht, also eine Bestätigung,<br />
dass nur mit diesem Gerät eine Untersuchung möglich wäre.<br />
Ich beschloss, die Dinge nun selbst in die Hand zu nehmen und verfasste<br />
eine dreiseitige Begründung meines Widerspruchs. In ihm zählte<br />
ich alle Therapien und Untersuchungen, sowie Maßnahmen während<br />
meiner gesamten Krankengeschichte auf. Zusammen mit dem Schreiben<br />
von Prof. Dr. Seiber brachte ich es, um den Vorgang zu beschleunigen,<br />
persönlich zur Krankenkasse. Der Kalender zeigte mittlerweile<br />
den 3. April 2016.<br />
Ich wartete ganze sechs Wochen auf eine Reaktion der Krankenkasse<br />
bzw. auf eine Antwort des Medizinischen Dienstes. Meine Schmerzen<br />
waren zwischenzeitlich so stark, dass ich trotz der regelmäßigen Einnahme<br />
des Opiates beim Sitzen vor Schmerzen aufstehen musste und<br />
mir das Stehen fast unmöglich war. Es gab Tage, an denen ich Stunden<br />
im Liegen verbrachte. So wagte ich einen schüchternen Anruf beim<br />
zuständigen Sachbearbeiter der Krankenkasse und erhielt als Antwort,<br />
mein Anliegen sei in Bearbeitung, am 19. Mai sei mein Widerspruchsschreiben<br />
beim Medizinischen Dienst eingegangen. Mir fehlten die<br />
Worte: sechs Wochen bis zum Eingang! Ich mochte mir nicht vorstellen,<br />
wie lange die Zeit bis zur Bearbeitung meines Schreibens noch<br />
dauern würde!<br />
153
Die Konsequenz daraus veranlasste mich nun jeweils eine E-Mail an<br />
die Zentralen der Krankenkasse und des MDK zu senden, um nachzuhaken,<br />
wann denn mit einer Entscheidung zu rechnen sei. Von der<br />
Krankenkasse erhielt ich die Antwort, dass mein Widerspruch noch<br />
nicht bearbeitet wäre, da der MDK in Verzug sei und erst die Monate<br />
März u. April abarbeiten müsse. Inzwischen war es Juni, und für mich<br />
hieß dies ganz klar, dass ein Plan B nun für mich in Kraft treten muss.<br />
50. Plan „B“<br />
Ein halbes Jahr warten für eine offene Entscheidung, das setzte in mir<br />
einen Tatendrang in Kraft, den ich, wenn ich über die vergangenen<br />
Monate reflektiere, schon wesentlich früher hätte aktivieren sollen.<br />
Letztendlich ausschlaggebend für meine erneute Aktivität war ein Besuch<br />
bei meiner erkrankten Mutter. Nachdem wir eine vierstündige<br />
Autofahrt hinter uns gebracht hatten, besuchten wir sie im Krankenhaus<br />
und verbrachten dort einige Stunden mit ihr. Der restliche Tag<br />
war mit der Organisation, wie es nach ihrem Krankenhausaufenthalt<br />
weiter gehen sollte, verplant. Den ganzen Tag über quälte ich mich<br />
bereits mit Schmerzen und nahm zusätzlich Akuttabletten ein. Abends<br />
wollten wir in einem griechischen Restaurant gemütlich den Tag ausklingen<br />
lassen und entspannen. Schon nach der Bestellung der Speisen<br />
steigerten sich die Schmerzen so sehr, dass ich anfing, im Restaurant<br />
Runden zu gehen, um dem Schmerz etwas an Stärke zu nehmen. Es<br />
war mir unmöglich, ruhig zu sitzen, geschweige denn mein inzwischen<br />
serviertes Essen mit Genuss zu verspeisen. Kaum hatte mein Mann<br />
Max seinen letzten Bissen vom Teller gegessen, ich hatte zwischenzeitlich<br />
die Rechnung beglichen, verließen wir nahezu fluchtartig das<br />
Lokal. Dieser Abend war für uns Anlass zum Gespräch über die weitere<br />
Vorgehensweise, denn so konnte es jedenfalls nicht weitergehen,<br />
irgend etwas musste passieren.<br />
Ich vereinbarte wieder einmal einen Termin bei meinem Hausarzt.<br />
154
Wir überlegten zusammen weitere Optionen, die ich während meiner<br />
„Warteposition“ auf das Upright-MRT unternehmen könnte. Er<br />
verschrieb mir MRTs für die Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule,<br />
um wirklich auszuschließen, dass kein erneuter sichtbarer Bandscheibenvorfall<br />
mein Leiden verursachte. In einer E-Mail bat ich Prof. Dr.<br />
Seiber, den Professor, der mich operiert hatte, um einen zeitnahen Termin.<br />
Um mir eine Zweiteinschätzung einzuholen und um mehr über<br />
eine alternative Schmerztherapie zu erfahren, vereinbarten wir einen<br />
Termin bei einem 300 km entfernten, mir empfohlenen Neurochirurgen<br />
und Schmerztherapeuten. Nach meinen Informationen, bot er<br />
ein relativ neues Verfahren zur Behandlung chronischer Schmerzen an.<br />
Zwei Wochen später rief mich die Mitarbeiterin des Sozialverbandes<br />
an und teilte mir mit, dass ich nun zum zweiten Mal die Ablehnung<br />
des Upright-MRTs erhalten habe. Sie wollte das Begründungsschreiben<br />
anfordern: Die Krankenkasse wollte es ihr aus nicht nachvollziehbaren<br />
Gründen, trotz vorliegender Vollmacht, nicht aushändigen und<br />
ihr den Inhalt transparent machen. So forderte ich die Unterlagen an,<br />
las die nahezu verwaschene Begründung und ärgerte mich, dass ich<br />
nicht schon früher gehandelt hatte und ein halbes Jahr mit Schmerzen<br />
ins Land gegangen war, ohne dass eine Nachforschung bzw. Erklärung<br />
der Schmerzursache gefunden wurde.<br />
Ich vereinbarte Termine für die MRTs und erhielt tatsächlich noch<br />
welche, bevor<br />
ich Professor Dr. Seiber aufsuchte, wenngleich sie in verschiedenen<br />
Praxen durchgeführt wurden. Für mich hieß es nun tapfer zu sein,<br />
denn was der Vorgang einer Aufzeichnung für mich bedeutete, muss<br />
ich nicht näher ausführen. Wie immer, mit schlimmen Vorstellungen<br />
und Panik, suchte ich die Praxis für Radiologie auf. Nachdem eine<br />
nette Dame mir den Hinweis gab, dass ich bereits beim Einfahren in<br />
die Röhre die Augen geschlossen halten und sie erst wieder nach dem<br />
Herausfahren öffnen solle, gelang es mir, das MRT der Halswirbelsäule<br />
so einigermaßen ohne Panikattacken zu überstehen. Ich war sehr zu-<br />
155
frieden mit mir, voller Stolz verließ ich die Kabine um zu hören, was<br />
mir der Arzt über die Aufzeichnung berichten würde. Bei den Aufnahmen<br />
der Brust- und Lendenwirbelsäule folgte ich gleicherweise diesem<br />
Rat und so überstand ich auch diese tatsächlich ohne weitere Angstvorstellungen.<br />
Einen Vorteil hatte die häufige Anfertigung meiner MRTs, ich habe<br />
inzwischen erreicht, dass ich zwar immer noch ungern, aber ohne<br />
Schweißtropfen auf der Stirn, feuchte Hände und vorherigen Alpträumen<br />
in die Röhre gehen kann. Fasse ich den Bericht der Radiologen<br />
über den Zustand meiner Wirbelsäule zusammen, so ergab sich kein<br />
neuer Befund. Die Lendenwirbel zeigen Abnützungen, die Brustwirbelsäule<br />
zeigt eine leichte Skoliose (eine Verdrehung der Wirbel), und<br />
die Halswirbelsäule hatte keine Auffälligkeiten. Ich war froh und erleichtert,<br />
keine krankhaften Zeichen zu finden und gleichzeitig frustriert,<br />
dass sich kein Ansatz für die Schmerzursache bot.<br />
51. Rückenmarkstimulation<br />
Mitte Juli machten sich mein Mann und ich um fünf Uhr morgens auf<br />
den Weg zu Dr. Tonson, um uns über die Möglichkeit, sowie die Verfahrensweise<br />
seiner besonderen Schmerzbehandlung zu informieren.<br />
Die Anfahrt, 300 km, verlief ohne weitere Staus, so dass wir pünktlich<br />
das Klinikum erreichten, in dem Dr. Tonson praktiziert. Nach der Anmeldung<br />
hatten wir noch ausreichend Zeit, um uns in der Cafeteria an<br />
einem Cappuccino zu erfreuen, den wir dringend nach dem zeitigen<br />
Aufstehen am Morgen und der langen Anfahrt nötig hatten. Nach kurzem<br />
Aufenthalt im Wartebereich saßen wir schon im Sprechzimmer<br />
Dr. Tonson gegenüber.<br />
Ich sah einen freundlichen Herrn mit Krawatte und blütenweißem<br />
Kittel, der sich nach dem Grund meiner Anwesenheit erkundigte.<br />
Ich übergab ihm meine Operationsberichte und erzählte von meiner<br />
156
dreijährigen Suche nach der Ursache der Schmerzen und den Therapien,<br />
die bislang keine große Wirkung zeigen wollten. Des Weiteren<br />
berichtete ich ihm von der Art meiner chronischen Schmerzen, meiner<br />
Schmerzintensität, der Schmerzqualität und meiner derzeitigen Medikamenteneinstellung.<br />
Dr. Tonson hörte sich alles aufmerksam an. Es folgte ein kurzer neurologischer<br />
Check: Hände nach vorne halten, dagegen drücken, usw.<br />
Mit den Worten “Sie sind gesund“ endete diese kurze Untersuchung.<br />
Danach versuchte er mir verständlich zu machen, welche Optionen<br />
sich mir böten. Eine weitere Operation wäre derzeit nicht sinnvoll,<br />
warum sollte man auch einen Eingriff vornehmen, wenn die Ursache<br />
meines Leidens noch nicht geklärt war? Um schnelle Hilfe zu erhalten<br />
und von meiner Medikamentenabhängigkeit weg zu kommen würde<br />
er vorschlagen, entlang des Rückenmarks eine Elektrode einzuschieben,<br />
vergleichbar mit einem Draht von 1,5 mm Stärke. Diese würde<br />
genau an den Schmerzpunkt gesetzt und mit Strom versorgt. Das Kabel<br />
könnte an der Hüfte zunächst seitlich ausgeleitet und mit einem<br />
externen Kästchen, dem sogen. Neurostimulationsgerät, verbunden<br />
werden. Dieses versorge die Elektrode mit Strom. Dabei würden elektrische<br />
Schläge an ausgewählte Nervenenden gesandt und somit der<br />
Weg der Schmerzsignale zum Gehirn unterbrochen. Seine Begründung<br />
für diese Vorgehensweise war: Schmerzen sind eine Reaktion auf<br />
Signale, die von einer Schmerzquelle durch die vorhandenen Nerven<br />
im Rückenmark zum Gehirn gesendet werden.<br />
Dies alles geschähe unter Narkose, so seine weitere Erläuterung. Der<br />
Patient nimmt die Impulse als angenehmes Kribbeln wahr. Nachdem<br />
der Patient die kommenden drei Tage im Krankenhaus individuell<br />
auf eine schwache, elektrische Energieversorgung eingestellt wäre und<br />
den Umgang und die Handhabung des Gerätes erlernt habe, dürfe er<br />
für zwei Wochen nach Hause. Dort sollte er ein ganz normales Leben<br />
führen. Wenn er in dieser Zeit dauerhaft eine Schmerzlinderung bzw.<br />
Schmerzverringerung verspüre, wird nach vierzehn Tagen Erprobung<br />
ein kleines Neurostimulationsgerät im Bereich der Hüfte, hinten oder<br />
157
seitlich implantiert. Viele Patienten würden danach innerhalb kurzer<br />
Zeit von einem schnellen Schmerz- und Medikamentenrückgang berichten.<br />
Mit einer Art Fernbedienung kann sich der Patient die Intensität<br />
der Stromimpulse einstellen bzw. das Gerät an- oder ausschalten.<br />
Nach ca. zehn Jahren würde die Batterie ausgetauscht werden müssen,<br />
was dann einen erneuten minimalinvasiven Eingriff bedeutet. Einziger<br />
Nachteil sei, so die Antwort auf meine Frage, dass mit dem Draht im<br />
Körper kein MRT mehr angefertigt werden könne.<br />
Diese Behandlung nennt sich SCS und bedeutet „Spinal Cord Stimulation“.<br />
Der Vergleich mit einem Herzschrittmacher ist angebracht.<br />
Der Neurostimulator ist aber im klassischen Sinne kein Heilmittel.<br />
Chronische Schmerzpatienten haben gute Chancen für eine erfolgreiche<br />
Therapie. Dr. Tonson schlug vor, einen baldigen Termin für den<br />
erforderlichen Krankenhausaufenthalt zu wählen und schon stand ich<br />
für den SCS-Eingriff am 24.August in einer Spalte seines Terminplaners.<br />
Absagen, so seine Auffassung, könne man immer noch. Ich willigte<br />
ein, allerdings mit keinem guten Gefühl. Danach verabschiedeten<br />
wir uns. Dr. Tonson hatte mich von seinem Können und von der Idee<br />
des SCS überzeugt; je mehr ich allerdings in mich ging um darüber<br />
nachzudenken, desto mehr fehlte mir das gewisse Etwas, um wirklich<br />
diesem Eingriff aus Überzeugung zustimmen zu können. Hätte ich es<br />
an diesem Tag definieren müssen, was mich vor der Rückenmark-Stimulation<br />
zurückschrecken ließ, ich hätte es nicht in Worte fassen können,<br />
denn eigentlich erschien mir alles logisch und nachvollziehbar.<br />
Mit vielen Fragen, Eindrücken und Abwägungen kamen Max und ich<br />
zu Hause an. Im Internet suchte ich nach Erfahrungsberichten anderer<br />
Schmerzpatienten mit SCS. Dort fand ich teilweise Antworten auf<br />
meine Fragen und auf die Überlegung, welche Nachteile und Gefahren<br />
letztendlich eine SCS-Therapie haben kann. Ich las von Berichten,<br />
wo das implantierte Kästchen störte und als unangenehm empfunden<br />
wurde. Patienten erzählten, dass der Draht verrutschen kann und deshalb<br />
schnelle, ruckartige Bewegungen vermieden werden sollten. Eine<br />
Frau erzählte, sie hätte eine Störung der Stromversorgung erlebt. Es<br />
158
wurde empfohlen, sich von starken Magnetfeldern fern zu halten. Fazit<br />
aus diesen Erfahrungswerten: Trotzdem würden sich alle Patienten<br />
immer wieder dafür entscheiden.<br />
52. Bekanntschaft mit Dr. Kammerer<br />
Am darauf folgenden Mittwoch hatte ich eine Vorstellung im Städtischen<br />
Klinikum in einer nahe gelegenen Stadt. Ich war bei meinen<br />
Recherchen durch Zufall auf Dr. Kammerer gestoßen, der ebenso wie<br />
Dr. Tonson SCS-Therapien vornahm. Das machte mich neugierig.<br />
Dr. Kammerer ließ sich all meine Arztbriefe und Unterlagen zeigen<br />
und war über eine halbe Stunde mit deren Durchsicht beschäftigt. In<br />
Anbetracht der Dicke meines Ordners war es erstaunlich, wie intensiv<br />
er sich in meine Krankengeschichte einarbeitete. Mein Mann und<br />
ich geduldeten uns derweil draußen im Wartebereich. Als wir gerufen<br />
wurden, stellte er sich vor und meinte gleich zu Beginn seiner Vorstellung,<br />
den meisten Aufschluss hätte ihm meine Schmerzbeschreibung<br />
gegeben, die im Ordner abgeheftet war. Er entnähme aus dem Unterlagen,<br />
dass alle Orthopäden bislang nur überwiesen hätten, aber niemals<br />
eine gründliche Untersuchung von ihnen vorgenommen wurde. Ich<br />
pflichtete ihm bei. Des Weiteren stellte er fest, dass auf den CD-Aufnahmen<br />
keine Auffälligkeiten zu erkennen seien. Die beiden Operationen<br />
wären ordentlich durchgeführt worden. Anschließend ließ er<br />
sich von mir den genauen Schmerzpunkt zeigen und beschreiben. Dr.<br />
Kammerer drückte einmal hier und da auf meiner Wirbelsäule und<br />
dem Schulterblatt herum und befragte mich, wann und wodurch dabei<br />
das Kribbeln ausgelöst würde.<br />
Nach dieser gründlichen Untersuchung folgte die Feststellung, einen<br />
derartigen Fall hätte er noch nicht gehabt. Er sei stets bestrebt, zunächst<br />
die Ursache für Schmerzen zu finden. Erst wenn diese nicht<br />
gefunden werde, bestehe unter anderem die Möglichkeit, eine Elekt-<br />
159
ode für die SCS-Therapie zu setzen. Er sei sich aber momentan noch<br />
im Unklaren, ob diese wirklich geeignet und hilfreich für mich sei und<br />
greife. Er bat mich am kommenden Montag nochmals zu kommen, er<br />
wolle dann versuchen, ein Betäubungspräparat in einen Muskel in der<br />
Nähe des Schulterblattes zu spritzen.<br />
Als ich am Montag zum vereinbarten Termin erschien, schickte mich<br />
seine Sekretärin auf Veranlassung von Dr. Kammerer zu meinem Erstaunen<br />
zu einer CT– Aufnahme der Halswirbelsäule in die Radiologie.<br />
Oben zur erneuten Anmeldung im Sekretariat angekommen,<br />
spürte ich, dass sich eine Schmerzattacke ankündigte. Um mir die<br />
Wartezeit auf Dr. Kammerer zu erleichtern, stellte ich mich lesend an<br />
die Wand, um auf die entsprechenden Schmerzpunkte Druck auszuüben.<br />
Ins Lesen vertieft merkte ich nicht, dass Dr. Kammerer mich<br />
bereits einige Zeit beobachtet hatte, wie und wo ich mich abdrückte.<br />
Wir gingen in sein Sprechzimmer. Er besah sich die CT-Aufnahme<br />
und wunderte sich über eine kleine Auffälligkeit, eine kleine kaum<br />
sichtbare Mulde, wie er es beschrieb, zwischen Hals und Brustwirbelsäule.<br />
Danach erfolgte die geplante Injektion in den Muskel, ohne<br />
Reaktion und erwartete Wirkung. Die Folgerung von Dr. Kammerer<br />
war, dass es sich hier wirklich nicht um ein orthopädisches, sondern<br />
neurochirurgisches Problem handle. Er empfehle eine Infiltration C7/<br />
Th1 und in die darunter liegende Facette. Dazu wäre leider eine Überweisung<br />
vom Schmerztherapeuten notwendig. Dieser sollte mich an<br />
eine Adresse vermitteln, an der die Infiltration ordentlich durchgeführt<br />
werden würde.<br />
53. Die Einschätzung meines Funktions-MRTS<br />
Die Frage, ob ich trotz meiner heutigen Vorstellung bei ihm, das von<br />
Prof. Dr. Seiber gewünschte Funktions-MRT anfertigen lassen solle,<br />
beantwortete er mit einem “Ja“. Der nächste Tag war nämlich dafür<br />
160
vorgesehen. Wieder eine lange Anfahrt, wieder warten, wieder Schmerzen.<br />
Dann die Aufnahme. Vier Minuten nach vorne gebeugt, vier Minuten<br />
nach hinten. Dabei unsägliche Schmerzen, die ich nachhaltig<br />
spüren sollte. Wieder Warten. Dann der Ruf meines Namens durch<br />
den Lautsprecher. Der Leiter der Wirbelsäulenchirurgie, Dr. Faust, besah<br />
sich die Aufnahmen. Zunächst erkannte er nichts Auffälliges. Bei<br />
der Aufnahme in der nach hinten geneigten Haltung stoppte er und<br />
konfrontierte mich mit dem Hinweis, zwischen C7/Th1 sei ein “Lücke“<br />
zu erkennen, die auf eine Instabilität der Wirbel hinweise. Darauf<br />
seien meine Schmerzen wahrscheinlich zurückzuführen. Er empfehle<br />
dort eine Infiltration. Sollte sich hier die erwünschte Besserung einstellen,<br />
würde eine Operation unumgänglich sein, um zur Stabilität<br />
beizutragen.<br />
Meine momentanen Schmerzen überlagerten die Nachricht. Das Neigen<br />
nach vorne und nach hinten hatte Schmerzen ausgelöst, mit denen<br />
ich noch Tage später zu kämpfen hatte. Ich merkte, wie sich langsam<br />
der Schock in mir ausbreitete. Ich war erstarrt und wollte es nicht glauben.<br />
Eine dritte Operation, das war eine ziemlich schreckliche Vorstellung<br />
und löste Angst in mir aus. Ich brachte langsam die Frage<br />
heraus, ob da wirklich etwas Sichtbares wäre. Er antwortete sachlich<br />
mit einem „Ja“, bei Kindern wäre das des Öfteren gegeben, seltener<br />
bei Erwachsenen. Sein Kommentar dazu war, ich solle es als Schicksal<br />
betrachten. Alles Nötige müsste ich mit Prof. Dr. Seiber besprechen,<br />
meinem behandelnden Arzt.<br />
Montag darauf der Termin bei Prof. Dr. Seiber: eine Stunde Anfahrt,<br />
drei Stunden Wartezeit, fünf Minuten Gespräch zwischen Patientin<br />
und Arzt. Prof. Dr. Seiber betrat schwungvoll den Raum, blickte auf<br />
den Bildschirm mit den Aufnahmen und meinte: „Na, wurde das Upright-MRT<br />
genehmigt?“ Auf meine Verneinung und meinen Hinweis,<br />
es handle sich hier auf seinem Bildschirm um das von ihm vorgeschlagene<br />
Funktions-MRT, erwiderte er nach kurzem Blick auf die Aufnahmen:<br />
„Hier ist doch alles in Ordnung, prima“. Er ließ mich den<br />
darunter stehenden Befund des Radiologen durchlesen: „Kein patholo-<br />
161
gischer Befund“. Ich entgegnete ihm, sein Kollege hätte mir eine andere<br />
Sichtweise und Darstellung der Dinge gegeben. Prof. Dr. Seiber ließ<br />
sich von mir die auffällige Stelle beschreiben und nach einem weiterem<br />
Blick auf die Aufnahmen auf seinem Bildschirm hörte ich ihn sagen:<br />
„Ja, das könnte er gemeint haben. Je länger ich mir die Stelle betrachte,<br />
kann ich mir vorstellen, dass Dr. Faust diese minimale Auffälligkeit<br />
meinte“. Dieser sei heute leider nicht im Haus. Er schlug vor, dass er<br />
mit ihm Rücksprache halten werde und mich innerhalb weniger Tage<br />
anrufen würde, um über die weitere Auswertung zu sprechen. Dann<br />
zur Verabschiedung der Satz: „Nun sind sie aber froh dass w i r die<br />
Ursache gefunden haben“. “Nein, bin ich nicht“, lautete die Antwort<br />
einer verunsicherten, erstaunten, sowie sehr verärgerten Patientin.<br />
Zusammenfassend stellte ich fest, dass sich die Aussagen von Dr. Kammerer<br />
und Dr. Faust deckten. Ich war mehr als erstaunt und verunsichert,<br />
als mir Prof. Dr. Seiber seine Deutung der Bilder unterbreitete.<br />
Als Patientin sah ich mich in einer diffusen, ratlosen Situation<br />
und wusste nicht, welche Schritte als Nächstes zu gehen wären. Am<br />
Dienstagmorgen suchte ich, wie schon so häufig, meinen Hausarzt Dr.<br />
Renz auf. Ich schilderte ihm meine Eindrücke und die unterschiedliche<br />
Einschätzung dieser zwei Ärzte bezüglich des Funktions-MRTs.<br />
Mit Verwunderung nahm er meinen Bericht auf und riet mir, zunächst<br />
abzuwarten, auf welches Ergebnis sie sich geeinigt hätten.<br />
Am Montag der Besuch bei Dr. Seiber, am Freitag immer noch kein<br />
Anruf oder eine Mail. Das hieß: In der Unsicherheit verweilen, abwarten<br />
und mit meinen Schmerzen klar kommen. Ich stelle fest: Eine<br />
Woche später noch immer keine Rückmeldung bezüglich der unterschiedlichen<br />
Aussagen und Einschätzungen des Funktions-MRTs. Am<br />
darauf folgenden Montag sendete ich Prof. Dr. Seiber eine Nachricht<br />
mit der Erinnerung, er möge mich bitte anrufen und diesbezüglich<br />
Stellung nehmen. Fünf Minuten später die Antwort, er habe es nicht<br />
vergessen, aber Dr. Faust hätte in dieser Woche Urlaub. Seine Bitte, ich<br />
solle ihn am darauf folgenden Montag anrufen.<br />
162
Aus meiner Warteposition heraus betrachtet war ich ziemlich verärgert.<br />
Hätte man mir nicht kurz über diesen Umstand Bescheid geben<br />
können? Stattdessen keine Reaktion, keine Information, weitere Unsicherheit,<br />
weiteres Abwarten. Selbst wenn ich mir vor Augen halte, dass<br />
Prof. Dr. Seiber viel beschäftigt und seine Kompetenz immer gefragt<br />
ist, trotzdem habe ich als Patient an ihn die Erwartung, dass ich nicht<br />
ohne Information im Unklaren gelassen werde.<br />
In den folgenden Tagen versuchte ich, mich mit vielen Sozialkontakten<br />
und Unternehmungen abzulenken, um meinen Kummer zu vergessen.<br />
Ich wusste, dass ich mir zu viel in die Woche gepackt hatte, mein Körper<br />
zeigte mir klar meine Grenzen. Die Folge war erhöhte Schmerzintensität<br />
und Frustration. Wieder eine neue Woche hatte begonnen,<br />
montags nun der wiederholte Versuch, von Prof. Dr. Seiber Auskunft<br />
zu erhalten. Mit Unbehagen wählte ich die Nummer seines Sekretariates.<br />
Es meldete sich eine Frau Viscar, die meine Bitte, mich mit ihm<br />
zu verbinden, nicht erfüllen konnte, da er sich in der Sprechstunde<br />
befand. Ich solle bitte in drei Stunden nochmals Kontakt aufnehmen,<br />
dann hätte ich eine gute Chance ihren Chef zu erreichen. Meine Bitte,<br />
ob er, wenn es sein zeitlicher Rahmen erlauben würde, mich anrufen<br />
könne, wurde von ihr abgelehnt.<br />
Drei Stunden später ein erneuter Versuch. Leider habe Prof. Dr. Seiber<br />
sein Telefon nicht mitgenommen, so die Auskunft am anderen Ende<br />
der Leitung. Nun müsse er mich doch zurückrufen, lautete der abschließende<br />
Kommentar des Gespräches mit einer, wie ich sie wahrnahm,<br />
genervten Sekretärin. Ich musste an diesem Tag in der Schmerzambulanz<br />
vorstellig werden, die zwei Tage später wegen Urlaub für drei<br />
Wochen geschlossen hatte. Ich benötigte Medikamente, neue Termine<br />
für das nächste Quartal, sowie die Überweisung zur Infiltration, sollte<br />
es überhaupt dazu kommen. Momentan stand auf Grund der unterschiedlichen<br />
Aussagen die weitere Vorgehensweise offen. Deshalb<br />
musste ich für alle Fälle Vorkehrungen treffen, um die erforderlichen<br />
Papiere bereit zu haben, sollte ich sie nun doch benötigen.<br />
163
Während ich dort meine Zeit mit Warten verbrachte, ging mir durch<br />
den Kopf, dass ich mich, seit ich meinen “Plan B“ verfolgte, im gleichen<br />
Ärzte-Stress befand wie im vergangenem Jahr. Nahezu jeder Tag<br />
war, meine Gesundheit betreffend, mit irgendwelchen Terminen ausgefüllt.<br />
Ich spürte, dass ich erneut die “Notbremse“ ziehen musste, um<br />
zur Ruhe und Ausgeglichenheit zu kommen. Gleichzeitig aber arbeiteten<br />
meine Gedanken auf Hochtouren, wie eine nahe mögliche Therapie<br />
oder gar Operation sich gestalten würde. Ich hatte in letzter Zeit<br />
viele Inputs und Informationen bekommen, dass ich diese erst einmal<br />
verarbeiten musste.<br />
54. Der Zufall<br />
Ich saß am späten Nachmittag in einer Besprechung, als mein Handy<br />
klingelte. Prof. Dr. Seiber meldete sich und kam gleich zur Sache. Er<br />
habe mit Dr. Faust nun meine Bilder besprochen und das Ergebnis war<br />
folgendes: Es wäre tatsächlich etwas sichtbar, das er übersehen habe. Er<br />
habe immer an meine Schmerzen geglaubt und nun verstehe er noch<br />
besser, dass ich unter starken Schmerzen leide. Meine Frage, ob eine<br />
Operation anstehe, ignorierte er und meinte: „“Vereinbaren Sie bitte<br />
morgen mit Frau Viscar einen Einschubtermin, um alles Weitere zu<br />
besprechen“. Außerdem wolle er mir dann alles in Ruhe erklären. Er<br />
benötige zudem von mir eine exakte Schmerzbeschreibung und das<br />
Anfertigen einer Röntgenaufnahme wäre sinnvoll.<br />
Die Tatsache, dass Prof. Dr. Seiber zugab, bislang die wohl entscheidende<br />
Kleinigkeit, nämlich die mögliche Schmerzursache, auf meiner<br />
Bildgebung übersehen zu haben, stimmte mich versöhnlicher. Sicherlich<br />
benötigt es eine Portion Selbstkritik, dies gegenüber einer Patientin<br />
zuzugeben. Gleich am Morgen des darauf folgenden Tages rief ich in<br />
der Klinik bei Frau Viscar an, um den besprochenen Einschubtermin<br />
bei Prof. Dr. Seiber zu erhalten. Wider Erwarten schnell erhielt ich<br />
dieses Mal bereits in der kommenden Woche in seiner Privatsprech-<br />
164
stunde einen Termin. Vom Besuch meiner Tochter Helene wurde ich<br />
abgelenkt und so sah ich, ich muss es zugeben, neugierig dem Besuch<br />
bei Prof. Dr. Seiber entgegen. Ich war für Dienstag um 10 Uhr bestellt<br />
und musste im Gegensatz zu anderen Tagen keine Wartezeiten in Kauf<br />
nehmen.<br />
Mein Mann Max hatte sich bereit erklärt, mich zu begleiten, und bereits<br />
nach wenigen Minuten bat uns Prof. Dr. Prof. Seiber in sein Büro.<br />
Er versuchte uns nahe zu bringen, dass es ein glücklicher Zufall sei, dass<br />
Dr. Faust über das Funktions- MRT blickte. Er habe es aus einer anderen<br />
Perspektive betrachtet und deshalb anders als er gedeutet. Auf die<br />
Bilder seines Bildschirms blickend erklärte er uns, dass sich zwischen<br />
dem letzten Hals- und dem ersten Brustwirbel zwischen den Dornfortsätzen<br />
beim Vorbeugen ein Zwischenraum von 26 mm ergäbe. Wie<br />
bereits auch Dr. Faust schilderte er uns, dass meine Halswirbelsäule<br />
dadurch kaum eine Stabilität habe und die Gelenke und das Gewebe<br />
in einem permanenten Überdehnungszustand seien. Das Band in<br />
der Wirbelsäule sei kaputt und die Gelenknerven überreizt. Er sei sich<br />
ziemlich sicher, dass hiermit endlich die Ursache meiner Schmerzen<br />
entdeckt und erklärt worden sei. Er empfahl mir um ganz sicher zu<br />
gehen, wie die beiden anderen Ärzte, Dr. Faust und Dr. Kammerer,<br />
eine Facetteninfiltration zwischen die Wirbel. Schlägt die Infiltration<br />
an, sei dies die Bestätigung zum Handeln. In der Konsequenz bedeutete<br />
das eine Operation. Bei dieser würden von hinten Stäbe angebracht<br />
(und verschraubt) werden, um den richtigen Abstand und damit die<br />
nötige Stabilität zu erhalten. Bei diesem dritten Eingriff würde er von<br />
hinten operieren, um das Risiko einer Verletzung der Stimmbänder<br />
auszuschließen. Alles andere wolle er mir zu einem späteren Zeitpunkt<br />
besprechen, wenn es denn zur Operation käme.<br />
Aus dem Arztbrief, den ich zwei Wochen später dazu erhielt, entnehme<br />
ich folgenden Text: „Ich habe der Patientin zu einer Infiltration<br />
geraten. Sollte diese über kurze Zeit eine Beschwerdelinderung bringen<br />
(Facettengelenksinfiltration C7/Th1bds.), dann würden wir dieses<br />
Segment in die Fusion mit einbeziehen, zunächst einmal über den dorsalen<br />
Zugang, ggf. aber auch dorso-ventral“.<br />
165
55. Eine grundlegende Meinungsänderung<br />
Das Warten auf eine Facetteninfiltration dauerte zwei Monate. Ich telefonierte<br />
im gesamten Umkreis die Neuroradiologischen Praxen ab, die<br />
eine solche Maßnahme durchführen. Es gab keine Chance dafür, einen<br />
früheren Termin zu erhalten, zwei Monate also weiterhin Schmerzen,<br />
Tabletten schlucken und Warten. Dazu kam durch den Beginn eines<br />
neuen Quartals die sechzig km lange Fahrt zur Einholung einer Überweisung<br />
für eine derartige Indikation bei meinem Schmerztherapeuten,<br />
sowie die Beschaffung einer Überweisung vom Orthopäden.<br />
Eine Woche später suchten mein Mann und ich Dr. Kammerer auf,<br />
um uns seine Einschätzung und Auswertung des Bildmaterial anzuhören.<br />
Ich erhoffte mir durch dessen Zweitmeinung Klärung bezüglich<br />
der vorgeschlagenen und eventuell erforderlichen Operation zu verschaffen.<br />
Als er das Funktions-MRT sah, war er mehr als erstaunt über<br />
den Sachverhalt. Er bestätigte, dass ein Eingriff dringend erforderlich<br />
wäre. Er empfahl mir sogar, bis zur Operation beim Autofahren meine<br />
Halskrawatte zu tragen, um bei einer eventuellen Erschütterung oder<br />
bei einem Aufprall das Ganze nicht zu verschlimmern. Ansonsten riet<br />
er mir von gebückter Haltung, wie etwa bei Gartenarbeit oder Ähnlichem,<br />
sowie von Tätigkeiten mit überstreckter Haltung ab. Selbst längeres<br />
Sitzen solle ich vermeiden. Dies führte mich nach einigen Tagen,<br />
die stets von äußerst starken Schmerzattacken geprägt waren, zu der<br />
Frage, ob ich nicht gleich einer Operation zustimmen sollte. Worauf<br />
sollte ich eigentlich noch warten? Die Meinungen stimmten überein<br />
und wenn ich die Deutung der Ärzte richtig verstand, musste sowieso<br />
gehandelt werden, um den Abstand zwischen den Dornfortsätzen der<br />
Wirbelsäule nicht noch größer werden zu lassen.<br />
Ganz nebenbei sei erwähnt, dass ich vom Medizinischen Dienst außer<br />
einer Bestätigung, dass mein Widerspruch für das Funktions-MRT bei<br />
der Widerspruchsstelle meiner Krankenkasse zur Bearbeitung vorlag,<br />
keinerlei Rückmeldung oder gar Hoffnung auf Genehmigung erhielt.<br />
166
Ich wurde lediglich um weitere Geduld gebeten. Inzwischen waren<br />
neun Monate seit meiner ersten Beantragung des Upright-MRTs vergangen.<br />
Ich wartete trotz meiner Zweifel dennoch die Infiltration ab, und da<br />
diese mangels anderer Optionen wie immer an der Klinik von Prof.<br />
Dr. Seiber stattfand, hatte ich drei Stunden danach meine Vorstellung<br />
bei ihm, um über deren Wirkung zu berichten. Ich verspürte nach<br />
der Behandlung nur einen geringen Effekt, sprich keine erkenntliche<br />
Besserung. Diese Information gefiel ihm so überhaupt nicht. Er fragte<br />
mich, ob ich denn, bevor die Infiltration durchgeführt wurde, Schmerzen<br />
hatte. Ich versuchte ihm zu erklären, dass ich ohne Schmerztabletten<br />
nicht hätte aus dem Haus gehen wollen und ich meine Schmerzen<br />
durch das Weglassen der Medikation bestimmt nicht freiwillig provozieren<br />
würde. Prof. Dr. Seiber zeigte sich erstaunt, dass ich nicht darüber<br />
informiert worden war, dass eine Infiltration unter akuten Schmerzen<br />
die optimale Voraussetzung böte, um ein optimales Ergebnis zu<br />
erzielen.<br />
Seine Erkenntnis: Sehr viele Patienten-Arzt-Gespräche beruhen auf<br />
Missverständnissen. Er werde künftig seine Patienten auf den Schmerzfaktor<br />
vor einer Infiltration hinweisen. Mein Fazit: eine Wiederholung<br />
der Infiltration unter Schmerzen. Nun sollte ich also zum nächsten<br />
Termin meine Schmerzmedikation weglassen. Das wiederum ist nicht<br />
einfach, da ich nach so langer Zeit abhängig von den Medikamenten<br />
geworden bin und ein einfaches Weglassen sich für mich zu einem<br />
außerordentlich schwierigen Tag gestalten würde.<br />
Ich gebe zu, dass ich ziemlich verärgert über diesen Sachverhalt war.<br />
Hätte man mich darüber wirklich nicht vorher aufklären können? Eine<br />
Infiltration ist wahrlich kein Zuckerlecken, dazu kam noch die Tatsache<br />
- der Kalender zeigte inzwischen Oktober - ein nächster Infiltrationstermin<br />
war frühestens im Januar möglich. Dazu benötigte ich<br />
durch das neue Quartal erneut eine Überweisung vom Schmerztherapeuten.<br />
Diese Tatsache veranlasste in der Folge wohl mein sehr be-<br />
167
stimmtes und hartnäckiges Auftreten. Prof. Dr. Seiber erklärte, er hätte<br />
auf Termine überhaupt keinen Einfluss; ich brachte ich ihn dazu, dass<br />
mich seine Krankenschwester zur Unterstützung an die Terminvergabe<br />
begleitete, bei der ich nach längerem Hin und Her doch noch einen<br />
Einschubtermin zur erneuten Infiltration in der darauf folgenden Woche<br />
erhielt. Prof. Dr. Seiber erklärte uns an diesem Tag zudem, sollte<br />
die nächste Infiltration Wirkung zeigen, würde das im Kehrschluss für<br />
mich einen dritten Eingriff bedeuten. Darüber aber werde er mich bei<br />
meinem nächsten Besuch aufklären. Mein Mann und ich verabschiedeten<br />
uns von ihm, ich hatte ein mulmiges Gefühl.<br />
Eine Woche später selbiges Procedere einer Facetteninfiltration mit<br />
Schmerzen. Danach das wiederholte Aufsuchen der Sprechstunde bei<br />
Prof. Dr. Seiber. Ich hatte den Eindruck, dass er mit Interesse meinen<br />
Schilderungen folgte. Leider konnte ich ihm nichts wesentlich anderes<br />
als bei der vorangegangenen Infiltration berichten. Ich verspürte eine<br />
maximale Besserung von 20 bis 30 %, für meine Begriffe leider nicht<br />
genug, um von einer wesentlichen Verbesserung zu sprechen.<br />
Professor Dr. Seiber allerdings hatte eine andere Meinung dazu. Er betrachtete<br />
es als einen Erfolg. Zwar nicht den, den er sich erhofft hatte,<br />
aber doch groß genug, um zu handeln. Ich hatte mich darauf eingestellt,<br />
dass er nun mit mir über die geplante Operation sprechen würde,<br />
so hatte er es bei meinem letzten Besuch in der vergangenen Woche<br />
in Anwesenheit meines Mannes Max und mir dargestellt. Stattdessen<br />
sprach er nun von einer Vereisung. Mit ihr sehe er eine realistische<br />
Möglichkeit, mir die Schmerzen zu nehmen, ich möge mich bitte dafür<br />
um einen Termin bemühen. Es folgte überhaupt keine Aufklärung<br />
bezüglich einer derartigen Behandlung, nur die sichere und bestimmte<br />
Anmerkung, er wolle nämlich wenn möglich, kein drittes Mal einen<br />
operativen Eingriff an mir vornehmen. Das Risiko einer Stimmbandverletzung<br />
durch Verwachsungen wäre ihm zu hoch.<br />
Heute betrachte ich es im Nachhinein als eine Ablenkung, dass er dem<br />
Gespräch eine andere Wendung gab. Ich vergaß zu erfragen, welche<br />
168
Maßnahmen bezüglich der Instabilität meiner Halswirbelsäule zu unternehmen<br />
wären. Er hatte es eilig und wir verabschiedeten uns. Wie<br />
ist es möglich dass Prof. Dr. Seiber innerhalb einer Woche seine Meinung<br />
über eine anstehende Operation grundlegend änderte? Mit dieser<br />
Frage beschäftigt, vereinbarte ich also einen Termin zur Vereisung,<br />
der zwei Monate später, Ende Januar, stattfinden sollte.<br />
Ich wusste von einer Bekannten, an der eine Vereisung oder „Kryoanalgesie“,<br />
wie sie auch genannt wird, vorgenommen wurde, in etwa,<br />
was auf mich zukommen würde. Trotzdem holte ich mir, zu Hause angekommen,<br />
„Google sei Dank“, die für mich notwendige, detaillierte<br />
Information zum Thema Vereisung ein.<br />
Eine Vereisung kommt in der Schmerztherapie häufig dann zum Einsatz,<br />
wenn andere Methoden keine Verbesserung des Schmerzzustandes<br />
bewirken. Es wird beschrieben, dass sie nicht für jeden Patienten<br />
geeignet ist und es zu einer irreversiblen Schädigung der Nerven, Infektionen<br />
oder gar Einfrierungen der Hautoberfläche kommen kann.<br />
Mittels einer Sonde, die zum betroffenen Nerv geführt wird, wird<br />
komprimiertes Gas von minus 60 bis minus 70 Grad an die entsprechende<br />
Stelle am betroffenen Nerv geleitet. Der Vorgang findet ähnlich<br />
wie eine Infiltration, mit Hilfe einer Computertomographie statt,<br />
um möglichst millimetergenau den Schmerzpunkt zu ermitteln. Ziel<br />
ist es dabei, den Nerv zu betäuben. Sollte eine längere Schmerzfreiheit<br />
erlangt werden, kann dieser Vorgang bei einer eventuellen Regeneration<br />
des Nervs wiederholt werden.<br />
56. Ein neuer Weg<br />
In zwiespältiger Stimmungslage trat ich meinen Heimweg an. Ich war<br />
enttäuscht, irritiert, wütend und voller Fragen und fühlte mich unaufgeklärt<br />
und äußerst ratlos. Dazu kamen mangels Schmerzmittel die<br />
Schmerzattacken.<br />
169
Nach einer gründlichen Information im Internet, benötigte ich den<br />
gesamten Nachmittag, über meine Gedanken und Gefühle nachzudenken.<br />
Dazu kamen etliche Telefonate seitens der Familie und Freunde,<br />
die sich über die zweite Infiltration erkundigen wollten. Jeder, mit<br />
dem ich mich über die vorgeschlagene Vereisung unterhielt, stellte mir<br />
dieselbe Frage: „Was passiert mit deiner Instabilität, sollte die Vereisung<br />
greifen. Sie ist ja dennoch vorhanden?“ Ich merkte, wie ich mich<br />
zunehmend in die Rolle einer hilflosen, zu bedauernden Patientin begab<br />
und mich an Ende des Tages zuletzt selbst bemitleidete. Ich sah an<br />
diesem Abend überhaupt keine Perspektive mehr.<br />
Ausschlaggebend war nicht zuletzt der Anruf meiner Tochter Helene,<br />
der mich wieder in das Hier und Jetzt zurückversetzte. Sie hielt mir<br />
die Konsequenzen nach einer falschen Vorgehensweise vor Augen und<br />
bezog sich auf das Ignorieren meiner Instabilität seitens des Arztes.<br />
In einer schlaflosen Nacht fingen meine Betrachtungen an klarer und<br />
sortierter zu werden. Ich wägte hin und her und stellte dabei fest, dass<br />
mein Vertrauen zu Prof. Dr. Seiber gesunken war. Dies beruhte nicht<br />
zuletzt in der Feststellung, dass er zunächst den übergroßen Abstand<br />
zwischen den Dornfortsätzen übersah und sich nun an eine vielleicht<br />
nötige wichtige Operation nicht mehr heranwagen wollte. Auch fehlte<br />
mir eine patientennahe Erklärung und eine Aufklärung über seine<br />
geplante Vorgehensweise. Obwohl ich Prof. Dr. Seiber mochte und<br />
er, wie mir immer wieder bestätigt wurde, „gute Arbeit“ bei seinen<br />
Operationen leistete, mein Verstand fasste den Entschluss, den Arzt<br />
zu wechseln. Ich konnte in dieser Nacht kein Auge zu tun, bevor ich<br />
mir nicht über meine nächsten Schritte im Klaren war. Gegen vier Uhr<br />
wusste ich, was ich zu tun hatte und konnte endlich einschlafen.<br />
Am nächsten Morgen versuchte ich bereits vor dem Frühstück Kontakt<br />
mit dem Sekretariat von Prof. Lud herzustellen. Prof. Lud genießt<br />
in Fachkreisen hohes Ansehen und war früher an einer renommierten<br />
Klinik tätig. Nach Jahren als anerkannter Wirbelsäulenspezialist eines<br />
bekannten Krankenhauses verließ er dieses. Prof. Lud hat einen ausgezeichneten<br />
Ruf und viele Operationen an der Wirbelsäule, bei denen<br />
170
man zunächst nur wenig Chancen sah, mit großem Erfolg durchgeführt.<br />
Wider Erwarten war es unkompliziert, in einem Gespräch mit seiner<br />
Sekretärin abzuklären, ob es prinzipiell auch mir als Kassenpatient<br />
möglich wäre, von ihm eine Einschätzung über meine Halswirbelsäule<br />
und den damit verbundenen Schmerzen an Hand meines Bildmaterials<br />
zu bekommen. Sie klärte mich über die Vorgehensweise bei Kassenpatienten<br />
auf. Demnach sollte ich ihm alle vorhandenen MRT-Aufnahmen<br />
und Arztberichte zukommen lassen, er würde mir dann in<br />
Form eines Briefes seine Einschätzung und eine von ihm empfohlene<br />
Vorgehensweise mitteilen. Ich packte alle Unterlagen zusammen und<br />
mein Mann Max erklärte sich bereit, am nächsten Tag die benötigten<br />
Aufnahmen und Arztbriefe direkt zum Sekretariat zu bringen.<br />
Ich war erstaunt, als ich bereits nach einer knappen Woche tatsächlich<br />
seine Einschätzung und Empfehlung erhielt, die klar den Rat zu einer<br />
Operation beinhaltete. Dieses Schreiben von Prof. Lud bedeutete<br />
mir sehr viel. Es bestätigte mich in meinem Tun richtig gehandelt zu<br />
haben. Da mir bewusst war, dass eine Operation durch Prof. Lud in<br />
seinem neuen Arbeitsumfeld sehr unwahrscheinlich sein würde, entschloss<br />
ich mich, zusätzlich noch den Rat von Prof. Dr. Glas, dem<br />
Wirbelsäulenspezialisten an der Uniklinik, einzuholen.<br />
Ich hatte mich bei ihm bereits nach meiner ersten Halswirbeloperation<br />
im Oktober 2014 vorgestellt und war damals von dessen eingehender<br />
Untersuchung, seinem Wissen und seiner Gründlichkeit beeindruckt.<br />
Auch bei ihm vereinbarte ich an diesem Morgen einen Termin für seine<br />
Sprechstunde. Im Gegensatz zur Wartezeit auf eine Sprechstunde<br />
bei Prof. Dr. Seiber, die meistens zwei bis drei Monate dauerte, erhielt<br />
ich bei ihm innerhalb von drei Wochen einen Vorstellungstermin. Ich<br />
konnte aufatmen. Die ersten Schritte waren veranlasst und nun hieß<br />
es abwarten bis zur Vorstellung Mitte Oktober bei Professor Dr. Glas.<br />
Als mein Mann und ich bei ihm in der Klinik eintrafen, freuten wir<br />
171
uns nach dem Anmeldeprocedere über ein schnelles Drankommen.<br />
Nach meiner ausführlichen Schilderung meiner Schmerzen stellte er<br />
nüchtern fest, dass er nun ja wohl innerhalb kurzer Zeit der dritte Arzt<br />
wäre, den ich mit meiner Angelegenheit aufsuchte und dessen Beurteilung<br />
ich gerne hätte. Er saß lange und mit viel Zeit schweigend vor<br />
seinem Bildschirm und untersuchte zusätzlich meine Halswirbelsäule,<br />
sowie deren Beweglichkeit.<br />
Danach folgte seine Einschätzung. Prof. Dr. Glas versuchte mir sachlich<br />
zu erklären, dass es sich um einen beträchtlichen Abstand zwischen<br />
den Wirbeln handle. Eine Operation sei mit Sicherheit sinnvoll<br />
und angebracht, da meine Schmerzen wohl auf diese Anschlussinstabilität<br />
zurückzuführen wären. Da keine meiner Infiltrationen bislang<br />
nachhaltigen Erfolg gezeigt hätten, glaube er in meinem Fall nicht an<br />
eine Verbesserung durch die von Prof. Dr. Seiber vorgeschlagene Vereisung.<br />
Es wäre eine vom vorderen Halsbereich durchgeführte Operation<br />
ratsam, da eine Durchtrennung der Halsmuskulatur von hinten<br />
einen sehr langen Muskelaufbau zur Folge hätte. Nur wenn sich bei der<br />
Operation die Instabilität nicht zufriedenstellend beheben ließe, wäre<br />
ein zusätzlicher Eingriff, von hinten vorgenommen, ratsam.<br />
Auf meine Frage, ob er sich vorstellen könne, diese dritte Operation<br />
mit all den verbundenen Gefahren durchzuführen, antwortete er ohne<br />
zu zögern mit einem klaren und sicheren „Ja“. Seine konkrete Vorstellung,<br />
wie er an diesen Eingriff herangehen und wie er ihn vornehmen<br />
würde, vermittelte mir seit langem ein sicheres und gutes Gefühl, auf<br />
das ich mich einlassen konnte. Ich spürte die Gewissheit, dass ich mich<br />
Professor Glas anvertrauen konnte. Ich verließ die Klinik nach der Vereinbarung<br />
eines Operationstermins für Ende November und mit etwas<br />
Optimismus. Allerdings bis zu diesem bevorstehenden Operationstag<br />
wurde ich von Schmerzen und Zweifeln geplagt. Je näher der Termin<br />
auf mich zu kam, stellte ich mir insgeheim immer mehr die Frage, ob<br />
es wirklich die richtige Entscheidung war, die ich für mich getroffen<br />
hatte.<br />
172
Während dieser Wochen verstarb meine Mutter. Ich war dankbar, dass<br />
sie vor meiner Operation gehen durfte. Sie war bereits seit längerem<br />
erkrankt, trotzdem kam ihr Tod zu diesem Zeitpunkt unerwartet. Diese<br />
Situation stellte eine zusätzliche Herausforderung dar, da der Anfahrtsweg<br />
von 300 km für mich schwierig zu bewältigen war. Die mit<br />
der Beerdigung und später mit der Wohnungsauflösung verbundenen<br />
Strapazen belasteten mich zusätzlich zu meiner Trauer.<br />
57. Die dritte Operation<br />
Knapp eine Woche vor der Operation sollte ich freitags zur Blutentnahme,<br />
zur Röntgenuntersuchung, zur stationären Aufnahme, sowie<br />
zum Anästhesie-Aufklärungsgespräch in der Klinik vorstellig werden.<br />
Ich wurde zeitnah von einem zum anderen Raum geschickt und innerhalb<br />
von drei Stunden war das gesamte Aufnahmeprocedere erledigt.<br />
Die kommenden Tage bis zur Operation versuchte ich mit Aktivitäten<br />
und Besuchen auszufüllen, kurzum ich versuchte, das mir Bevorstehende<br />
zu verdrängen. Am Montag, ich war gerade damit beschäftigt<br />
alles Nötige für meinen Krankenhausaufenthalt zusammenzupacken,<br />
erhielt ich einen Anruf, dass sich meine Operation um einen Tag verschieben<br />
würde: ein Notfall müsste mir vorgezogen werden. Dafür<br />
hatte ich natürlich vollstes Verständnis. Für mich bedeutete es noch<br />
einen Tag „Galgenfrist“.<br />
Am Mittwoch, früh am Morgen begleitete mich Max ins Krankenhaus.<br />
Dort kaum angekommen und vorstellig geworden, noch mit der<br />
Gepäcktasche in der Hand, wurde mir wieder Blut abgenommen und<br />
eine CT-Aufnahme angefertigt. An diesem Aufnahmetag waren keine<br />
weiteren Untersuchungen mehr geplant. Es folgte ein Gespräch mit<br />
einer Krankenschwester, die mir verständlich machte, dass heute leider<br />
kein Zimmer für mich auf dieser Station A zur Verfügung stünde. Sie<br />
stellte mir ernsthaft die Frage, ob ich nicht wieder nach Hause fahren<br />
173
und am anderen Morgen um sechs Uhr wieder kommen wolle.<br />
Ich musste nicht lange überlegen, das wollte ich mit Sicherheit nicht.<br />
Für meinen Mann und mich würde das bedeuten, dass wir am Operationstag<br />
um 3:30 Uhr hätten aufstehen müssen, um rechtzeitig wieder<br />
zur Operation zu erscheinen, abgesehen von der Wahrscheinlichkeit,<br />
nicht eingeplante Zeit bei der Anfahrt im morgendlichen Stau verbringen<br />
zu müssen. Wir wurden aufgefordert in den Patientenaufenthaltsraum<br />
zu gehen, bis eine Lösung für mich gefunden sei. Nach dreistündiger<br />
geduldiger Wartezeit, in der wir keinerlei Nachricht bezüglich<br />
meines weiteren Aufenthaltes erhielten, dafür aber jede Menge „durchsichtigen“<br />
Kaffee, beschlossen wir um die Mittagszeit, uns für einige<br />
Stunden dem Krankenhausgeschehen zu entziehen. Wir meldeten uns<br />
ab, um etwas Essbares zu finden und um uns anderweitig als mit Warten<br />
die Zeit zu vertreiben. In einer Pizzeria fanden wir Unterhaltung<br />
und das Gesuchte.<br />
Gegen 15 Uhr wieder auf Station A angekommen, erhielten wir die Information,<br />
dass ich die kommende Nacht auf der darunter liegenden<br />
Station B verbringen müsse. Von dort würde ich am nächsten Morgen<br />
in den Operationssaal abgeholt werden. Nach meinem Aufenthalt auf<br />
der Intensivstation käme ich in ein bereits für mich reserviertes Zimmer<br />
auf Station A. Wir machten uns mit meinem Gepäck also auf<br />
den Weg zur Station B. Hier wurde ich bereits erwartet und bekam<br />
ein Einbettzimmer zugewiesen. Das war für mich ein ausgesprochener<br />
Glücksfall, konnte doch mein Mann Max bei mir bleiben, mir die<br />
Stunden bis zum Abend Gesellschaft leisten und beistehen, ohne dass<br />
dabei eine Mitpatientin gestört wurde.<br />
Ich muss zugeben, ich hatte ziemlich Angst vor diesem dritten Eingriff,<br />
weit mehr als bei den anderen davor. Vielleicht war es der Tatsache<br />
geschuldet, dass ich sehr genau wusste, was auf mich zu kam und was<br />
mich erwartete. Ich war mir der realen Gefahren bewusst, die diese<br />
Operation barg. Insgesamt kann ich die Tage davor und danach für<br />
mich als „Höllentrip“ beschreiben. Alle Gedanken kreisten nur noch<br />
174
um dieses eine Thema und alle Vorstellungen gingen dabei ins Unermessliche.<br />
Ich wusste nach meinem Aufklärungsgespräch, dass ich<br />
danach einen Tag und eine Nacht auf der Intensivstation verbringen<br />
würde. Diese Maßnahme beruhigte mich keineswegs, im Gegenteil.<br />
Als sich mein Mann Max später verabschiedete, stellte ich mir die Frage,<br />
ob und in welchem Zustand ich ihn wohl wieder sehen würde.<br />
Danach verbrachte ich den Abend und die halbe Nacht mit Fernsehen.<br />
Ich stellte den Fernsehapparat so übermäßig laut, dass ich gezwungen<br />
wurde, hinzusehen und hinzuhören. Ich wollte mich damit ablenken<br />
und irgendwie gelang es mir auch, zumindest teilweise. Ein Klopfen an<br />
der Tür, dann vernahm ich Schritte, die auf mein Bett zukamen. Ich<br />
erkannte Professor Glas mit einem seiner Ärzte. Es war 19 Uhr und<br />
ich war erstaunt über sein spätes Erscheinen. Ich hatte nicht mit ihm<br />
gerechnet. Ein kurzes Händeschütteln, ein zwar lächelnder, aber doch<br />
eher interessierter Blick auf meinen Hals und einige knappe Worte bezüglich<br />
meiner Schmerzen, dann die nüchterne Feststellung, wo er das<br />
Skalpell ansetzen wird. Es folgten keine persönlichen Worte, nur eine<br />
Verabschiedung mit dem für mich wahrlich „informativen“ Hinweis,<br />
dass wir uns morgen sehen werden.<br />
Ich verwehrte es mir, über ein distanziertes Arzt-Patienten-Verhältnis<br />
nachzudenken. Denn wie sollte das auch entstehen, wenn gerade mal<br />
nach einer persönlichen Vorstellung bei ihm gleich eine Operation<br />
folgte. Als Gespräch vermag ich diesen kurzen Auftritt des Professors<br />
gar nicht definieren. Was ich ihm wiederum nicht verüble, lag doch<br />
sicher ein äußerst anstrengender und verantwortungsvoller Arbeitstag<br />
hinter ihm. Um mir jegliche Aufregung durch meine sorgenvollen<br />
Gedanken zu vermeiden, widmete ich mich wieder meiner TV-Serie,<br />
die auf Grund der Lautstärke nicht zu überhören war. Später ein weiteres<br />
Klopfen und eine Krankenschwester mit dem Operationshemd<br />
samt Haube in der Hand trat an mein Bett. Sie wies mich freundlich<br />
darauf hin, dass ich mich morgen früh ab 7 Uhr für die OP bereithalten<br />
solle und übergab mir einen Plastikbeutel. Dieser war für die<br />
Aufbewahrung meiner Wertsachen und meines Schrankschlüssels be-<br />
175
stimmt. Den Beutel sollte ich dann beim Abholen meines Bettes der<br />
Krankenschwester übergeben. Sie erklärte mir zudem, wenn ich die<br />
Intensivstation verlassen dürfte würde ich oben auf Station A wieder<br />
meine gesamten persönlichen Sachen in meinem Zimmer vorfinden.<br />
Ich wünschte ihr einen schönen Feierabend und stellte mir vor, wie es<br />
wäre, könnte ich mich drei Tage nach vorne „beamen“ und alles, zumindest<br />
das Schlimmste, wäre überstanden und vorbei. Als mir gegen<br />
ein Uhr endlich die Augen zufielen hatte ich erstaunlicher Weise einen<br />
guten und erholsamen Schlaf.<br />
Es war das Klingeln des Weckers, das mich am nächsten Morgen aus<br />
meinen Träumen riss und mich in das Hier und Jetzt zurückholte. Ich<br />
sah es als gutes Zeichen, dass ich tief geschlafen hatte und begab mich<br />
ins Badezimmer, um mich zu waschen und für die Operation fertig zu<br />
machen. Wieder in meinem Bett erhielt ich einige Anrufe. Einen von<br />
meinem Mann mit aufmunternden, zuversichtlichen Worten; die liebevolle<br />
Teilnahme meiner Tochter lenkte mich zusätzlich ab, und mein<br />
Sohn versuchte mich mit Humor aufzuheitern.<br />
Unsere Kinder hatten sich, wie bereits bei den beiden anderen Operationen,<br />
mit meinem Mann Max abgesprochen, wer wann kommen<br />
und mich besuchen würde. Helene nahm sich Urlaub und reiste am<br />
Donnerstag, dem Operationstag an. Sie quartierte sich für die nächsten<br />
Tage bei einer Freundin ein und versprach mir, mich anschließend<br />
nach der OP in der Intensivstation zu besuchen. Ein Lichtblick an diesem<br />
für mich düsteren Morgen. Am übernächsten Tag besuchte mich<br />
Felix und am Sonntag versammelte sich die gesamte Familie um mein<br />
Bett. Ich schaffte es sogar, trotz meiner Schwäche und meines noch instabilen<br />
Kreislaufs mit ihnen gemeinsam zur Cafeteria zu gehen, bevor<br />
jeder wieder seines Weges gehen musste.<br />
Meine Familie brachte mir positive Energie und durch ihre pure Anwesenheit<br />
schuf sie die Voraussetzung, dass die Tage im Krankenhaus<br />
schnell und abwechslungsreich vergingen. Ich konnte also nach dem<br />
bevorstehenden Eingriff optimistisch in die Welt blicken und war stolz<br />
176
auf meine Familie. Darüber, über meine Familie und wie glücklich ich<br />
bin, sie zu haben, dachte ich nach.<br />
Ich stellte zunehmend fest, dass ich höllische Angst vor dem Eingriff<br />
hatte, die mich fast erschaudern ließ. Gleichzeit war mir bewusst, dass<br />
ich an meiner momentanen Situation nichts ändern konnte. Ich nahm<br />
mir vor, mich voller Vertrauen in die Hände von Prof. Dr. Glas zu begeben<br />
und versuchte mit Atemübungen zu entspannen, als ich in diesem<br />
Moment von einer Krankenschwester aus meinen Gedanken gerissen<br />
wurde. Sie verlangte nach dem Plastikbeutel mit meinen Wertgegenständen<br />
und erzählte mir, dass ich als Zweite auf dem OP-Plan stehen<br />
würde. Es wäre etwa gegen 10 Uhr mit meiner Abholung zu rechnen.<br />
Es war erst 7:30 Uhr, und um irgendwie die Zeit zu überbrücken,<br />
schaltete ich erneut den Fernsehapparat ein. Ich war über mich selbst<br />
erstaunt, dass ich plötzlich so ruhig und gelassen war, obwohl ich in<br />
diesem Krankenhaus nicht mal die sonst vor einem Eingriff übliche<br />
Beruhigungstablette erhalten hatte.<br />
Ich musste wohl eingenickt sein, als ich bereits gegen 9 Uhr mitsamt<br />
dem für die Intensivstation ausgestatteten Kulturbeutel abgeholt wurde.<br />
Es war gut, dass kein längeres Warten vorherging und ich war noch<br />
immer entspannt, als die darüber erstaunten Ärzte meinen Blutdruck<br />
vor der bevorstehenden Anästhesie maßen. Nachdem ich in die sterile<br />
Zone eingeschleust worden war, nahm ich zunächst die kahl ausgestattete<br />
Umgebung mitsamt den benötigten Apparaten und Instrumenten<br />
wahr. Ich empfand es als ziemlich kühl in den Räumen. Einige Ärzte<br />
und Schwestern waren mit den Vorbereitungen der Operation beschäftigt,<br />
da tauchte vor mir kurz das Gesicht von Prof. Dr. Glas auf, der<br />
mit einem anderen Mediziner sein Vorgehen besprach. Er deutete auf<br />
meinen Halsbereich. Es folgte, nachdem mir der sympathische Anästhesist<br />
versprochen hatte gut auf mich aufzupassen, das Legen der<br />
Zugänge und dann, nach einigen tiefen Zügen des Einatmens, endlich<br />
die Narkose.<br />
Das Eintauchen in das Nichts, Dunkelheit, ein bisschen wie ein Auf-<br />
177
lösen seiner selbst ist die Beschreibung, die mir zum Zustand einer<br />
Narkose seitens des Patienten einfällt. Das Aufwachen auch dieses Mal,<br />
wie bereits nach den beiden anderen Eingriffen, in Etappen, langsam<br />
und schrittweise. Die Realisierung, was passiert ist, aus einer Schwere<br />
des Körpers heraus, fordert Kraft, die nicht vorhanden ist. Aus dem<br />
Unterbewussten vernahm ich, dass ich mich auf der Intensivstation<br />
befand.<br />
58. Die Intensivstation<br />
Schlafen, Aufwachen, Wegdämmern, dann ein Fühlen des Schmerzes<br />
im und am Hals. Einschlafen und Aufwachen, dazwischen das Verlangen<br />
nach meiner Brille. Im Moment des Aussprechens das leise und<br />
dankbare Erkennen: „Alles ging gut. Ich bin operiert und kann sprechen,<br />
keine Schädigung meiner Stimmbänder“. Glück im Elend. Das<br />
in diesem Moment Energie raubende Bewegen der Beine und Finger<br />
gab mir die Gewissheit: „Alles ist vorüber, ohne Komplikationen“.<br />
Eine innere Zufriedenheit stellte sich ein.<br />
Nach einem weiteren Wegdämmern erkannte ich einen immer wieder<br />
erscheinenden Krankenpfleger, der in regelmäßigen Abständen<br />
meinen Blutdruck und Puls maß und das Ergebnis mit akribischer<br />
Genauigkeit in einem Papierbogen, am unteren Teil des Bettes befestigt,<br />
notierte. Ganz allmählich tauchte ich aus der Tiefe heraus in die<br />
Gegenwart und vernahm all die Maschinen, sowie das Klagen und die<br />
Nöte meiner Mitpatienten. Ein Arzt erkundigt sich nach meinem Befinden.<br />
Er bemängelte das Fehlen einer Halskrawatte und ordnete diese<br />
umgehend an. Ich nahm die inzwischen angelegte Halskrause mit<br />
ihrer Dicke und Starre wahr.<br />
Aus dem nächsten Einschlummern erwachte ich erst wieder, als ein<br />
zartes Streicheln meine Hände berührte und ich in das Gesicht meiner<br />
Tochter blickte, die mir zulächelte. Es war mir fast, als ginge über<br />
178
mir die Sonne auf. In dieser absolut sterilen Umgebung sog ich ihren<br />
bei der Begrüßung allzu vertrauten Geruch ein. Ja, ich möchte es als<br />
Vertrautheit und Geborgenheit definieren, was ich in dem Moment<br />
empfand. Trotz meiner Schwäche war es mir möglich, wach zu bleiben<br />
und ihre Anwesenheit zu genießen.<br />
Während des Besuchs meiner Tochter Helene erhielten wir Patienten<br />
unser Abendessen, bestehend aus einem Wurstsalat, Frischkäse und<br />
zwei dünnen Scheiben Brot. Ich war froh, dass ich Hilfe seitens meiner<br />
Tochter beanspruchen konnte, war mir doch ein Aufsetzen im Bett<br />
oder gar das Beschmieren eines Brotes unmöglich. Den Wurstsalat<br />
lehnte ich auf Grund des Salz- und Essiggehaltes ab. Überhaupt wundere<br />
ich mich noch heute, dass dies einer im und am Hals frisch Operierten<br />
vorgesetzt wurde. Ich begnügte mich mit den von Helene liebevoll<br />
beschmierten und in Stücke geschnittenen Frischkäsehappen und<br />
ignorierte meinen immer noch vorhandenen Hunger. Als sich meine<br />
Tochter verabschiedet hatte, fielen mir bereits wieder die Augen zu.<br />
Trotzdem konnte ich in dieser Nacht nicht schlafen. Die verschiedenen<br />
Geräte gaben fremde und unterschiedliche Geräusche von sich.<br />
Es gestaltete sich für mich mehr als schwierig, trotz meines frisch operierten<br />
schwachen Zustandes Ruhe zu finden. Zudem machte sich das<br />
zunehmende Hungergefühl bemerkbar. Besondere Unruhe brachte<br />
eine Nachtschwester, die durch ihre hektische Art und ihr ungestümes<br />
Verhalten ständig beim Vorübergehen an meinem Bett anstieß. Ich<br />
empfand das als sehr störend und belästigend. Wir waren vier Patienten,<br />
die in einem engen Raum in einer Reihe liegend, lediglich durch<br />
einen jeweiligen ca.1,20 m hohen Paravent voneinander getrennt waren.<br />
Im hinteren Teil des Raumes, gegenüber meinem Bett, befand sich<br />
ein Materialschrank, zu dem der jeweilige Pfleger oder die jeweilige<br />
Schwester häufig gehen mussten um Kanülen, Binden, Salben, Desinfektionsmittel<br />
oder Ähnliches zu holen.<br />
Ein weiteres Problem war für mich die Situation, dass bedingt durch<br />
die räumliche Nähe, jeder am Geschehen des anderen teilhaben konn-<br />
179
te. Wir konnten uns zwar nicht sehen, dafür aber umso besser hören.<br />
Es kostete mich jedes Mal Überwindung, um eine Bettpfanne zu bitten,<br />
was durch die Vielzahl an Infusionen oft nötig war. Umgekehrt<br />
hörte ich jeden Laut meines Nachbarn und der anderen Patienten.<br />
Diese mangelnde Distanz erlebte ich mehr als unangenehm und so<br />
freute ich mich, als der Zeiger der gegenüber hängenden Uhr endlich<br />
sechs Uhr anzeigte: Damit begann die Übergabe am Morgen und somit<br />
der Schichtwechsel des Pflegepersonals.<br />
Ich hatte Hunger, fühlte mich unausgeschlafen, verschwitzt und wollte<br />
nur noch eines, hoch auf meine Station und auf eine Toilette. Der Tag<br />
begann nach der ärztlichen Übergabe mit dem Waschen. Jedem Patienten<br />
wurden dafür angewärmte Feuchttücher gereicht, mit denen er<br />
sich, soweit möglich, reinigen sollte; Gesäß und Rücken wurden vom<br />
Pfleger gewaschen. Anschließend erhielten wir einen Zahnputzbecher<br />
und eine Schale zum Zähneputzen. Die Morgentoilette endete mit<br />
dem Erhalt eines frischen OP-Hemdes.<br />
Das Frühstück stimmte mich etwas besser gelaunt, konnte ich doch<br />
meinen Hunger stillen und hatte ich die Aussicht, nach der Visite die<br />
Intensivstation verlassen zu dürfen. Im Vergleich zu gestern ging es mir<br />
wesentlich besser und die Welt sah heute für mich wieder etwas bunter<br />
aus. Ich fühlte, bedingt durch die engmaschige Medikamentengabe,<br />
weniger Schmerzen. Nach dem Frühstück kamen nach und nach die<br />
zuständigen Ärzte an die Betten ihrer Patienten, um die Entlassungspapiere<br />
für die Stationen vorzubereiten. Erst wenn diese vorliegen würden,<br />
gäbe es das OK für die Abholung auf die jeweilige Station.<br />
Nachdem nacheinander meine Mitpatienten entlassen und weggebracht<br />
wurden, erschien ein Reinigungstrupp, dessen Aufgabe darin<br />
bestand, mit aus einem Eimer entnommenen Feuchttüchern das Umfeld<br />
zu desinfizieren. Ich verfolgte interessiert das Geschehen. Alles außer<br />
dem Boden wurde mit diesen Tüchern gesäubert. Ich verließ als<br />
Letzte an diesem Vormittag die Intensivstation. Ich wurde von den<br />
Geräten befreit. Es war bereits 12 Uhr, als ich endlich abgeholt wurde.<br />
180
Auf Station A wurde ich in ein Zweibettzimmer gefahren, wo bereits<br />
Helene mit einem wunderbaren Blumenstrauß auf mich wartete. Ein<br />
schöner Empfang.<br />
59. Auf Station „A“<br />
Leider musste ich feststellen, dass sich mein Gepäck samt den Wertsachen<br />
noch immer auf Station B befand und nicht, wie mir zugesagt,<br />
nach oben zur Station A gebracht worden war. Ich klingelte nach<br />
einer Schwester. Ich versuchte ihr zu erklären, dass ich dringend auf<br />
die Toilette müsste, dass sich aber meine Schuhe in meiner hier nicht<br />
vorhandenen Tasche befanden. Sie versprach mir, sich umgehend darum<br />
zu kümmern. Nach 50 Minuten noch immer keine Aussicht auf<br />
meine Sachen, also klingelte ich erneut um Hilfe. Bedingt durch den<br />
Schichtwechsel kam eine andere Krankenschwester, der ich versuchte<br />
meine missliche und vor allem dringliche Lage wieder zu erläutern.<br />
Barfuß wollte ich den Boden des Krankenzimmers auf keinen Fall betreten.<br />
Zudem trug ich noch immer nur mein OP-Hemd und hatte<br />
das zunehmende Verlangen nach meiner eigenen Kleidung. Sie zeigte<br />
Verständnis und bot mir Schuh-Überzieher an, die sie mir fünf Minuten<br />
später brachte. Meine 83-jährige Bettnachbarin lieh mir zudem<br />
ihre Söckchen und so versuchte ich mein erstes Aufstehen und ging<br />
mit Hilfe meiner Tochter zur Nasszelle. Bei einer Kostümprämierung<br />
wäre ich mit diesem Erscheinen mit Sicherheit gekürt worden. Mein<br />
Kreislauf war instabil und ich fühlte mich äußerst schwach. Ich war<br />
froh, als ich wieder mein Bett erreichte. Trotzdem war ich mit mir zufrieden,<br />
das erste Aufstehen war geglückt und damit wieder ein Stück<br />
Selbstständigkeit erreicht.<br />
30 Minuten später erhielt ich von der Stationsschwester die Nachricht,<br />
dass mein Gepäck nicht geholt werden könne, da der gestern zuständige<br />
Pfleger leider versehentlich den Tresorschlüssel mit nach Hause<br />
genommen habe. Sie veranlasse nun auf Grund dessen das Aufbrechen<br />
181
des Kleiderschrankes, es würde aber noch dauern. Die Wertsachen bekäme<br />
ich allerdings erst, wenn der Krankenpfleger und damit auch<br />
der Tresorschlüssel wieder in der Klinik seien. Mit der Bitte, ich solle<br />
mich nicht aufregen, verließ sie den Raum. Ich regte mich auf und<br />
zwar heftig.<br />
Gegen 17 Uhr wurde tatsächlich meine Kleidertasche gebracht. Ich<br />
konnte endlich, mit Unterstützung meiner Tochter, meine eigenen Sachen<br />
anziehen und war im Besitz meiner Schuhe. Jedes Mal, wenn<br />
eine Pflegekraft den Raum betrat, erkundigte ich mich nach meinen<br />
Wertgegenständen, jedoch wusste niemand darüber Bescheid. Eine<br />
Schwester versprach mir allerdings, bis sie heute Nacht nach Hause<br />
ginge hätte ich sie bekommen. Sie werde sich persönlich darum bemühen.<br />
Diese Worte von ihr klangen glaubwürdig. Das beruhigte mich.<br />
Befanden sich doch mein Ehering, mein Handy und mein E-Book in<br />
diesem Plastikbeutel. Abends, es war gegen 21:30 Uhr, öffnete sich die<br />
Türe, und ein Pfleger überreichte mir meinen Beutel mit den Worten:<br />
„Sind Sie die Dame, die ihre persönlichen Gegenstände vermisst? Die<br />
hätten schon längst auf Station A sein sollen, als ich gestern meinen<br />
Dienst beendet habe“. Damit drehte er sich um und verließ das Zimmer.<br />
Keine Entschuldigung, keine „Wiedergutmachungsgeste“, lediglich<br />
ein vorwurfsvoller Blick.<br />
Insgesamt allerdings zeigten sich die Schwestern und Pfleger auf dieser<br />
Station äußerst fürsorglich und hilfsbereit. Obwohl sichtlich im Stress,<br />
sorgten sie für eine positive Atmosphäre. Die medizinische Betreuung<br />
war vorbildlich. Auf Station wurden in regelmäßigen Abständen mein<br />
Blutdruck und Puls gemessen, sowie Blutkontrollen genommen. Es<br />
war mir jederzeit möglich, einen Arzt um Auskunft zu bitten, und<br />
auf meine Fragen erhielt ich verständliche und informative Antworten.<br />
Wurde man zur Röntgenuntersuchung oder zu anderen Behandlungen<br />
geschickt, so war dies nicht mit lästiger Warterei verbunden, sondern<br />
man wurde direkt zur entsprechenden Maßnahme bzw. Abteilung weitergeleitet.<br />
182
Bereits auf der Intensivstation stellte sich mir eine Physiotherapeutin<br />
vor, die während meines gesamten Klinikaufenthaltes für mich zuständig<br />
war. Obwohl mir Physiotherapie für die nächsten drei Monate untersagt<br />
war, gab sie mir dennoch Tipps und übte mit mir beispielsweise<br />
das Treppengehen mit der Halskrawatte. Ohne Anforderung bekam<br />
ich aus hygienischen Gründen eine zweite Halskrause ausgehändigt<br />
und meine Medikamenteneinnahme wurde mit mir besprochen. Bei<br />
der Entlassung erhielt ich zuverlässig meinen Arztbrief, gute Ratschläge,<br />
sowie ein Rezept für meine Medikamente.<br />
Prof. Dr. Glas allerdings bekam ich nur zweimal zu sehen: Am Abend<br />
nach der Operation kam er an mein Bett und sprach mit mir über den<br />
Eingriff. Leider aber war ich so matt und geschwächt, dass ich mich<br />
daran kaum noch erinnern kann. Das einzige, was zu mir durchgedrungen<br />
war, war der Hinweis, dass er die nächsten Tage abwesend<br />
sei, da er sich auf einem Kongress befände. Am Tag meiner Entlassung<br />
erschien er zur Visite, fragte mich, ob ich Schmerzen hätte und erläuterte,<br />
wie ich meine Medikamente reduzieren solle. Des Weiteren bat<br />
er mich, nach zwei Monaten bei ihm vorstellig zu werden.<br />
Über das allgemeine Klinikgeschehen möchte ich nicht weiter berichten.<br />
Es war auch hier der übliche Krankenhausalltag mit all seiner Problematik<br />
und seinen Facetten, die ich aus meinen früheren Klinikaufenthalten<br />
kannte. Trotzdem verließ ich insgesamt gesehen diese Klinik<br />
als zufriedene Patientin.<br />
60. Tage, Wochen, Monate danach<br />
Meine Entlassung war nach fünf Tagen, und wenn ich ehrlich bin,<br />
eindeutig zu früh. Ob sich ein Patient beispielsweise auf Grund der<br />
Narkose schlecht fühlt, ist in den Augen unseres auf Einsparungen<br />
ausgerichtetes Gesundheitssystems nicht von Bedeutung. Ich hatte<br />
Schmerzen, fühlte mich abgeschlagen, kraftlos und sehr müde. Die<br />
183
meiste Zeit des Tages verbrachte ich liegend, abwechselnd zwischen<br />
Bett und Sofa. Erst nach etwa vier Wochen fühlte ich mich etwas kräftiger<br />
und stabiler. Wie nach jedem meiner Eingriffe sollte ich nun für<br />
drei Monate meine Halskrause tragen und das Autofahren war mir<br />
während dieses Zeitraums gänzlich untersagt. Ich stellte mich mental<br />
darauf ein und hatte deshalb bereits im Vorfeld vieles entsprechend<br />
organisiert. Ich wusste um meine Schwachpunkte und wo ich Hilfe<br />
benötigte.<br />
Ich war so glücklich und dankbar, alles komplikationslos überstanden<br />
zu haben, dass ich die Zeit danach, in der das Implantat einwachsen<br />
musste, geduldig hinnahm. Nach zwölf Tagen wurden vom Hausarzt<br />
die Fäden gezogen. Die Narbe heilte schnell und zeigte lediglich an der<br />
Schnittfläche der Haut Rötungen und Verhärtungen. Es verging fast<br />
kein Tag, an dem ich nicht Besuch von Bekannten und Freunden bekam.<br />
Durch deren Anteilnahme hatte ich Abwechslung, und die Wochen<br />
vergingen schnell. Dann endlich stand Weihnachten vor der Tür,<br />
und ich freute mich nach all der Unruhe auf eine ruhige, gemütliche<br />
Zeit mit der Familie.<br />
Alles wäre gut gewesen, hätten sich nicht meine Schmerzen nach wie<br />
vor von einer ziemlich heftigen Seite bemerkbar gemacht. Hinzu kamen<br />
die Schmerzen, die der Eingriff verursachte. Ich stellte mir vor,<br />
langsam und stückchenweise meine Medikamente auszuschleichen.<br />
Jedoch wurde jeder Ansatz, den ich machte, indem ich meine Medikation<br />
verringerte, mit Schmerzen bestraft und scheiterte. Es blieb<br />
bei meiner Medikation und an ein Zurückfahren des Opiates war zu<br />
diesem Zeitpunkt überhaupt nicht zu denken. Noch immer nahm ich<br />
alle sechs Stunden mein Opiat und ein anderes Medikament ein und<br />
ich kam von diesen Tabletten nicht weg. Ich kam zu der Überzeugung,<br />
dass dieser Eingriff zwar die Stabilität meiner Wirbelsäule, jedoch momentan<br />
noch nicht die erwünschte Schmerzreduzierung gebracht hat.<br />
Ich brauchte nach dieser dritten Operation insgesamt länger um mich<br />
zu erholen, ich fühlte mich abgeschlagen und ziemlich müde.<br />
184
Nach acht Wochen wurde ich, wie erwünscht, bei Prof. Dr. Glas vorstellig.<br />
Er betrachtete die angefertigte Röntgenaufnahme und stellte<br />
zufrieden fest, dass das Implantat gut einwachse und sich keine Materiallockerung<br />
zeige. Ich dürfe nun meine Halskrawatte weglassen und<br />
wieder Auto fahren. Die Belastung der Halswirbelsäule z.B. beim Tragen<br />
könne ich nun zunehmend steigern. Physiotherapie und leichte<br />
Massage wären nun einmal wöchentlich angebracht. Zuhause solle ich<br />
zudem mit leichten Stabilisationsübungen der Halswirbelsäule beginnen,<br />
damit sich die Muskulatur langsam aufbauen könne. Das hörte<br />
sich doch mal gut an!<br />
Allerdings riet er mir dringend meine Schmerzmedikamente zu reduzieren.<br />
Ich solle dies langsam angehen, aber mit Konsequenz. Soweit<br />
die Theorie. Praktisch war es mir nicht möglich. Ich erkannte, alleine<br />
konnte ich dies nicht schaffen. Deshalb vereinbarte ich bei meinem<br />
Schmerztherapeuten einen Termin, um mir erneut dessen Rat und<br />
Hilfe einzuholen.<br />
Vom heutigen Standpunkt aus betrachtet, d.h. Monate später, weiß<br />
ich, dass ich mir und meinem Körper Zeit geben muss, um sich zu<br />
regenerieren und um sich von den massiven Eingriffen zu erholen.<br />
Waren es doch drei Operationen innerhalb von drei Jahren, die es zu<br />
verarbeiten galt. Im Nachhinein bin ich Prof. Dr. Glas dankbar, dass<br />
er sich bereit erklärt hatte, diesen dritten, meine Stimmbänder betreffend,<br />
riskanten Eingriff vorzunehmen. Mit meiner gut eingestellten<br />
Medikation kann ich heute vieles machen, was ich vorher nicht konnte.<br />
Es gelingt mir beispielsweise eine Stunde, manchmal sogar länger,<br />
schmerzfrei an einem Tisch zu sitzen oder auch einmal länger als zehn<br />
Minuten ruhig zu stehen. Für mich ein großer Fortschritt! Ich versuche,<br />
mich viel zu bewegen und halte mich an die empfohlenen Übungen<br />
meines Physiotherapeuten. Bewegungen und Haltungen, die zu<br />
Schmerzen führen, versuche ich tunlichst zu vermeiden. Ich versuche<br />
auf meine innere Stimme zu achten, zugegeben, nicht immer einfach.<br />
Geduld mit mir und meiner Krankheit ist, was ich nach wie vor lernen<br />
und wofür ich kämpfen muss. Daran arbeite ich täglich.<br />
185
61. Selbsthilfe<br />
Zwischenzeitlich bin ich in der Schmerzambulanz von meinem<br />
Schmerztherapeuten auf eine gute, akzeptable Medikation eingestellt.<br />
Mit der konstanten Einnahme des Wirkstoffes wird der Medikamentenspiegel<br />
gehalten, der meine Schmerzen merklich verringert. Ich<br />
weiß, dass es mir nach wie vor schwer fällt, meine Medikation zu akzeptieren<br />
und mit ihr zu leben. Ich denke, der Grund dafür ist, dass<br />
eine Akzeptanz dieser Tatsache für mich zum momentanen Zeitpunkt<br />
gleichzusetzen wäre mit einer Resignation. Um mein Denken umzupolen<br />
und die Einnahme lediglich als eine mögliche Therapie der<br />
Schmerzverringerung zu sehen, habe ich mich entschlossen, mir Hilfe<br />
von außen zu holen. Ich habe mich dazu entschieden, eine psychotherapeutische<br />
Schmerzambulanz aufzusuchen. Diese besuche ich nun<br />
einmal wöchentlich und arbeite gezielt an meinem Problem.<br />
Des Weiteren habe ich eine Schmerzgruppe gefunden, die sich im vierwöchigem<br />
Rhythmus trifft. Mir ist bewusst, wie wichtig es ist, ab und<br />
zu unter Menschen zu sein, die ebenso wie ich vom Schmerz betroffen<br />
sind. Bei jedem Treffen wundere ich mich, wie viele Menschen unter<br />
chronischen Schmerzen leiden und staune, wie viel Verzweiflung vorherrscht,<br />
die hier im geschlossenem Rahmen Ausdruck finden kann.<br />
Die Schmerzgruppe bietet einen Platz, an dem wir uns öffnen, ein<br />
Ort, an dem wir unsere Erfahrungen und Informationen austauschen<br />
können. In zusätzlich außerhalb des Gruppenabends organisierten<br />
Veranstaltungen haben Schmerzpatienten zudem die Möglichkeit zum<br />
persönlichen Kennenlernen. Ohne sich für seine Schmerzen rechtfertigen<br />
zu müssen kann jeder an Unternehmungen teilnehmen. Jeder darf<br />
sich so geben wie er kann, jeder wird so akzeptiert, wie er ist. Es gibt<br />
keine Nachfragen, warum sich beispielsweise jemand nicht setzen will,<br />
sich mit der Krücke fortbewegt oder etwa frühzeitig wegen Schmerzen<br />
den Ort des Treffens verlässt. Eine ehrliche Anteilnahme am anderen<br />
und sein Annehmen ist es, was hier ein positives Klima schafft und uns<br />
verbindet.<br />
186
62. Was es bedeutet, Schmerzpatient zu sein<br />
Die Tatsache, eventuell nie mehr Schmerzfreiheit zu erlangen, birgt<br />
etwas Endgültiges in sich. Ich möchte mir nicht bewusst machen und<br />
vorstellen, wie es ist, dauerhaft, bis ans Ende meines Daseins in permanenter<br />
Abhängigkeit von Medikamenten zu leben. Die Auseinandersetzung<br />
mit dieser Realität fällt mir schwer und erfordert einen Prozess,<br />
dem ich mich eigentlich gar nicht aussetzen möchte. Trotzdem ist mir<br />
bewusst, dass dieser notwendig ist, um mich psychisch nicht ständig<br />
damit zu belasten.<br />
Schmerzpatient sein heißt, sich in einer ständigen Berg- und Talfahrt<br />
zu befinden. Es ist ein steter Wechsel von Hoffnung und Enttäuschung.<br />
Geht es etwa an einem Tag etwas besser, folgt der nächste mit Schmerzen<br />
und zerstört den Optimismus von gestern. Ich bewege mich einen<br />
Schritt nach vorne und glaube, eine Besserung durch medikamentöse<br />
Einstellungen, psychotherapeutische Übungen oder einen schmerzreduzierten<br />
Tag zu verspüren. Aber der nächste Schritt geht nach hinten<br />
und heißt Schmerzattacken oder Schmerzen, ohne dass mir eine<br />
spontane Linderung möglich ist. Zudem empfinde ich das andauernde<br />
Kribbeln als große Belastung. Die Redewendung „es ist zum aus der<br />
Haut fahren“ trifft sehr passend zu, um diesen Zustand zu beschreiben.<br />
Es fällt mir nicht immer leicht, gegen meine in manchen Phasen mental<br />
negative Stimmungslage anzukämpfen. Es kostet mich Kraft, die<br />
teilweise, gerade wenn Schmerzattacken gehäuft auftreten, nur noch<br />
in geringem Maße vorhanden ist. Manchmal möchte ich an diesen<br />
„Negativ-Tagen“, wie ich sie insgeheim nenne, keinerlei Kontakt nach<br />
außen, obwohl ich gleichzeitig weiß, dass gerade in diesen Zeiten positive<br />
Impulse und Erlebnisse von großer Wichtigkeit sind, um den<br />
Energiehaushalt wieder aufzutanken. Ich denke, beides hat seine Berechtigung.<br />
Ein Gespür, es zu erkennen und wie damit umzugehen ist,<br />
musste ich für mich erst entwickeln. Ich versuche es mit Schmerzbewältigungsstrategien<br />
(Entspannung, Atemübungen, genussvolle Tätig-<br />
187
keiten, Bewegung, etc. ....) die ich mir im Laufe der letzten zwei Jahre<br />
angeeignet und gelernt habe. Darauf greife ich sozusagen als Notfallplan<br />
zurück. Ich denke bewusst an etwas Schönes, um nicht in ein<br />
totales Stimmungstief zu verfallen.<br />
Ich kämpfe gegen eine depressive Stimmungslage an, um mein Umfeld,<br />
vor allem meine Familie, welche ohnehin Einschränkungen durch<br />
mich erleben muss, damit nicht zu belasten. Ich tue es aber auch für<br />
mich; denn nur, wenn ich mich gegen negative Stimmungseinflüsse<br />
oder eine Depression entscheide und gegen sie ankämpfe, ist es mir<br />
möglich, mich an Kleinigkeiten zu erfreuen. Ich bin in dieser Zeit sensibler<br />
geworden für das kleine, stille Glück. Es belebt positiv meine<br />
Gedanken und bietet mir dadurch wieder neue Kraft. Ich versuche,<br />
mich nicht „hängen“ zu lassen und ein Stück meinen eigenen Alltag<br />
und die Normalität, natürlich nur soweit diese mir möglich ist, zu<br />
leben.<br />
Schmerzpatient zu sein heißt aber auch, durchwachte Nächte zu erleben,<br />
in denen man von Schmerzen geweckt wird und die so heftig<br />
an einem zehren, dass der gesamte Energiehaushalt des Körpers<br />
aufgebraucht wird. An ein Weiter- bzw. Durchschlafen ist dann nicht<br />
zu denken und am anderen Morgen und dem darauf folgenden Tag<br />
fühlt man sich schlapp, müde und kraftlos. Es sieht einem niemand<br />
an, denn der Cocktail an Medikamenten, der täglich geschluckt wird,<br />
putscht einen auf, obwohl man sich innerlich leer wie eine ausgepresste<br />
Zitrone fühlt.<br />
Es gibt Tage, da möchte ich alleine sein, es ist wie eine Trauer, die<br />
mich umgibt. Manchmal bin ich wütend über meine Schmerzen, die<br />
immer präsent sind, ich gestehe mir das zu. Dann hadere ich mit dem<br />
Schicksal „Schmerzpatient“. Ich habe es mir nicht ausgesucht und ich<br />
empfinde es für mich als eine Herausforderung, damit klar zu kommen<br />
und meinen Frieden mit meiner Erkrankung zu schließen. Wenn ich<br />
mir Wut und Traurigkeit darüber zugestehen darf, ist es für mich einfacher,<br />
mich mit ihr auseinanderzusetzen und sie zu ertragen.<br />
188
Spreche ich nach zeitlichen Abständen mit Freunden und Bekannten,<br />
so höre ich immer wieder den Satz: „Ich habe gedacht, dass es dir jetzt<br />
endlich besser geht“. Oft ist es wie ein unterschwelliger Vorwurf, den<br />
ich aus diesen Worten entnehmen muss. Ich antworte dann mit einem<br />
klaren „Nein“ und äußere mich nicht weiter dazu. Eine solche Bemerkung<br />
macht mich still, aber auch einsam. Es ist nicht zu erwarten,<br />
dass es ein Außenstehender versteht. Kann ich es doch selbst nicht<br />
begreifen, warum trotz meiner Operationen und meiner Bemühungen,<br />
einen Heilungserfolg zu erhalten, sich dieser noch immer nicht<br />
eingestellt hat.<br />
63. Was ich aus den vergangenen Monaten<br />
gelernt habe<br />
Die vergangenen drei Jahre veranlassen mich, eine persönliche Rückschau<br />
zu halten. Ich überlege mir, was ich aus diesen Monaten gelernt<br />
und mitgenommen habe. Bei all den negativen Erfahrungen gab es<br />
sicherlich viel Positives, das erwähnenswert ist.<br />
Hätte sich mein Leben weiter in meinem früheren Alltag, Umfeld, sowie<br />
Berufsleben abgespielt und wäre ich nicht erkrankt mit all seinen<br />
Höhen und Tiefen, wäre mir sicherlich nicht in dem Ausmaß bewusst<br />
geworden, wie wichtig für mich die Beziehung zu meinem Mann und<br />
zu meiner Familie ist. Ich durfte von ihnen Liebe, Zusammenhalt und<br />
Geborgenheit erfahren, die sich tief in meinem Herzen eingeprägt haben.<br />
Früher habe ich dies als etwas Selbstverständliches begriffen, heute<br />
weiß ich diese Werte als etwas außerordentlich Wertvolles zu schätzen<br />
und zu bewahren. Bestimmt hätte ich manche Menschen nicht<br />
getroffen, deren Beziehung mir heute sehr viel bedeutet und deren<br />
Lebensgeschichten und die von anderen Patienten nie kennen gelernt.<br />
Durch meine regelmäßigen Rehabilitationsmaßnahmen habe ich den<br />
Zugang und die Einsicht zur Notwendigkeit von sportlichen Aktivi-<br />
189
täten gewonnen, die ich früher überhaupt nicht leiden konnte und<br />
deshalb verweigerte. Heute weiß ich, dass Bewegung eine der Grundlagen<br />
zur Heilung der Wirbelsäulenkrankheiten ist. Meine permanenten<br />
Schmerzen haben mich gelehrt, den Augenblick zu genießen und im<br />
Hier und Jetzt zu leben und nicht mehr alles zu verplanen. Im Gegensatz<br />
zu früher lebe ich heute nicht mehr leistungsorientiert im Sinne<br />
von nachweisbaren, offensichtlichen Ergebnissen und dem Zeitdruck,<br />
unter dem die meisten Berufstätigen leiden.<br />
Ich kann heute erkennen, wo meine Grenzen sind und weiß einzuschätzen,<br />
was ich mir und anderen abverlangen kann. Ich lernte zu<br />
unterscheiden, was mir wichtig ist und was warten kann; diese Abwägung<br />
gelingt mir erst in letzter Zeit. Es bedurfte einer gewissen Auseinandersetzung<br />
und war ein längerer Prozess. Manchmal erkenne ich,<br />
dass ich durch den geringeren Stress und Zeitdruck befähigt werde,<br />
mein Leben anders zu gestalten. Dies empfinde ich als ein Privileg. Es<br />
sind kleine Erfahrungen, Momente, Beobachtungen und Begegnungen,<br />
eigentlich nichts Aufregendes, die meine jetzigen Tage ausfüllen,<br />
bereichern und bunt werden lassen. Diese positiven Gedanken bilden<br />
manchmal für mich die Grundlage, mit meinen Schmerzen besser umgehen<br />
zu können, an ihnen nicht zu verzweifeln und deshalb auch<br />
nicht unzufrieden zu werden.<br />
64. Unser Gesundheitssystem<br />
Ich habe dieses Buch immer aus der Sichtweise und Wahrnehmung von<br />
mir als Patient geschrieben. Ich möchte es nicht unterlassen, sondern<br />
erwähnen, dass ich sehr wohl auch die Perspektive der anderen Seite,<br />
wie etwa die der Ärzte oder des Klinikpersonals verstehe. Ich weiß, und<br />
mir ist völlig bewusst, dass von ihnen häufig Dinge gefordert werden,<br />
die sie an die Grenze ihrer Belastbarkeit bringen. Menschlich gesehen<br />
sind deshalb nicht genaues Zuhören, Oberflächlichkeiten, Unfreundlichkeiten<br />
oder gar Fehler verständlich.<br />
190
Ich möchte aber ganz bewusst auf die Perspektive eines Patienten aufmerksam<br />
machen und aufzeigen, wie viel Zeit, Kraft, Hartnäckigkeit,<br />
Kritik, Geduld und Hinterfragen es benötigt, um als Patient oft ganz<br />
einfache Dinge zu erreichen. Anstelle vieler Beispiele seien hier erwähnt:<br />
Einen spontanen Arzttermin, der nicht vorgeplant ist, als Persönlichkeit<br />
wahrgenommen, sowie wegen einer Krankheit, die nicht<br />
einen normalen Verlauf zeigt, ernst genommen zu werden.<br />
Meine Krankheit hat mir verdeutlicht, wie wichtig es als Patient ist,<br />
sich in den Händen eines guten, vertrauenswürdigen, dem Patienten<br />
zugewandten Hausarztes zu befinden. Ein Arzt, der zuhört, handelt<br />
und entscheidet und zwischen all den Fachärzten koordinieren kann,<br />
ist das, was Patienten benötigen.<br />
Die vielen Monate haben mir des Weiteren gezeigt, wie notwendig es<br />
ist, sich für sich selbst einzusetzen. Nur, nicht jedem Patienten ist dies<br />
möglich: Ich denke da gerade an Menschen, besonders an ältere, die<br />
ein selbstbewusstes Auftreten gegenüber Ärzten nicht gelernt haben.<br />
Sie nehmen Mediziner als dominant wahr, deshalb erfolgt oft eine kritiklose<br />
Hinnahme des Gesagten. Sie trauen sich nicht einen anderen<br />
Weg einzuschlagen oder scheuen sich „Nein“ zu sagen und ihre Zweifel<br />
zu äußern. Muss wirklich ein Kassenpatient auf für ihn wichtige Behandlungen<br />
und Röntgenaufnahmen verzichten, nur weil diese sich<br />
nicht im Leistungskatalog abbilden lassen?<br />
Denke ich an meine Rehabilitationsmaßnahme, so weiß ich, dass<br />
hier große Kosten aufgrund von Maßnahmen entstanden sind, die<br />
eigentlich nicht notwendig gewesen wären. Eine Untersuchung, die<br />
abgelehnt wurde, obwohl sie eventuell dazu beigetragen hätte, eine<br />
Schmerzursache zu finden. So beläuft sich das Angebot über meine<br />
Upright-MRTs auf ca. 700 €, kein Vergleich mit den Kosten für Krankenhausaufenthalte,<br />
Medikamente und Therapien.<br />
Ich könnte endlos weitere Beispiele aufzählen, warum z.B. ein Patient<br />
mit Zahnlücken herum laufen muss, weil er für eine erforderliche<br />
191
Zahnbehandlung die Kosten nicht bezahlen kann. Wie viele Menschen<br />
gibt es, die sich mit einer Sehbehinderungen herum quälen, weil sie<br />
sich keine Sehhilfe bzw. keine andere Brille aus Kostengründen leisten<br />
können? So erfuhr ich beispielsweise kürzlich zu meinem Erstaunen<br />
bei einem erforderlichen Augenarztbesuch, dass allein für das Ausmessen<br />
der Sehstärke für jeden Patienten ein Eigenanteil von 15 € verlangt<br />
wird. Wäre hier nicht auch ein Ansatz für die Grundsicherung der viel<br />
gelobten Lebensqualität zu sehen?<br />
65. Ende<br />
Nun haben wir das Jahr 2017. An dieser Stelle möchte ich einen<br />
Schlusspunkt setzen und darauf hoffen, dass mein Krankheitsverlauf<br />
letztendlich doch noch eine positive, für mich zufriedenstellende Wendung<br />
nimmt. Ich bin eine optimistische, zuversichtlich denkende Person,<br />
die immer ein Ziel benötigt und verfolgt. Mein Ziel heißt „gesund<br />
werden“ mit langsamen, kleinen Fortschritten. Dieses Ziel zu haben,<br />
ist für mich von großer Notwendigkeit und spielt eine große Rolle in<br />
meinem derzeitigen Patientenalltag. Es setzt bei mir positive Impulse,<br />
unterstützt meine Geduld bzw. die Ausdauer gegenüber meiner Krankheit<br />
und gibt meinem Leben Struktur, Halt und einen Sinn. Ich bleibe<br />
somit nicht in einer festgelegten, starren Patientenrolle und diese Haltung<br />
gibt mir die Hoffnung, mich wieder in Richtung eines normalen<br />
Lebens zu bewegen.<br />
Ich werde mich weiterhin für MICH und für meine Belange und Bedürfnisse<br />
als Schmerzpatient einsetzen und nicht aufgeben, nach der<br />
Schmerzursache zu forschen. Ich hoffe, dass ich dazu die nötige Energie<br />
aufbringe und es mir trotz anhaltender Schmerzen gelingen wird,<br />
an meiner Lebensfreude festzuhalten.<br />
192
66. Epilog<br />
Dieses Buch widme ich in Dankbarkeit meinem Mann Max, der mit<br />
mir gemeinsam durch die vergangenen Monate der Schmerzen, durch<br />
alle meine Höhen und Tiefen ging und noch immer geht. Er hat<br />
mich stets unterstützt und begleitet, wo immer es ihm möglich war.<br />
Ohne ihn könnte ich mir die Bewältigung dieser schwierigen Zeit als<br />
Schmerzpatient nicht vorstellen.<br />
Des Weiteren widme ich es meinen Kinder Helene und Felix, die versucht<br />
haben, mir die leidvollen Jahre zu erleichtern und immer Ansprechpartner<br />
für mich waren und weiterhin sind. Dem Zuspruch<br />
meiner Familie ist es zu verdanken, dass dieses Buch überhaupt entstanden<br />
ist.<br />
Ein besonderer Dank geht an meinen Hausarzt Dr. Renz, der immer<br />
für mich und für meine Belange als Patient da war und nie an den von<br />
mir beschriebenen Schmerzen gezweifelt hat. Er sprach mir Mut zu<br />
und gab mir den nötigen Zuspruch, meinen Weg als Schmerzpatient<br />
zu gehen und nicht aufzugeben.<br />
•<br />
Anmerkung: Sämtliche Namen von Ärzten und weiteren Personen,<br />
sowie die Ortsangaben wurden in diesem Buch geändert.<br />
Quellen:<br />
Kribbelparästhesien: Wikepedia https://de.org/wiki/Parästhesie<br />
Myelographie: Patientenaufklärungsbogen/proCompliance/R12, De<br />
Facetteninfiltration: Patientenaufklärungsbogen/proCompliance/<br />
R35/Sk 45, De<br />
193
•<br />
„Der Schatten des Schmerzes<br />
bleibt in meiner Seele.“<br />
•<br />
194
Verlag für Text- und Bildmedien Theodor Gerdon