Als Mariner im Krieg - Kapitel 07
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<strong>Kapitel</strong> 7<br />
Warnemünde
Text: GUTENBERG-SPIEGEL<br />
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<strong>Als</strong> <strong>Mariner</strong> <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong> • <strong>Kapitel</strong> <strong>07</strong><br />
Warnemünde<br />
Wir fuhren unserer vier vergnügt los. In Rostock<br />
hatten wir die Dreistigkeit, uns selber einen Tag<br />
Urlaub zu genehmigen. Auf dem hübschen Marktplatz<br />
mit den alten Giebeln und den bunten Obstbuden war<br />
ein geschmackvolles Nageldenkmal errichtet. Nun<br />
spielte gerade eine Militärkapelle, und aus dem lustwandelnden<br />
Publikum wurden Blumenspenden dort<br />
niedergelegt. Das Rathaus war anläßlich einer Feier<br />
der Jungmannschaften freundlich geschmückt. Kurz,<br />
ich hatte die besten Eindrücke in Rostock. Zwei von<br />
Lehmann aufgegabelte Konfektionösen brachten uns<br />
vier Maate an den falschen Zug. Später, <strong>im</strong> richtigen<br />
Zug vielen lustigen Unsinn treibend, machten wir die<br />
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Bekanntschaft zweier Damen, Geschwister Reemi,<br />
die aus Mexiko geflüchtet waren, nun bei ihrer Mutter<br />
in Warnemünde wohnten, und die ich einmal zu besuchen<br />
versprach, um ein angefangenes Gespräch über<br />
Porfirio Diaz zu vollenden.<br />
Wir sollten uns bei Oberleutnant Däver in<br />
Warnemünde melden. Es dauerte aber lange, bis wir<br />
<strong>im</strong> Dunkeln die Halbflottille West fanden. Die ersten<br />
Boote, die wir entdeckten, hießen zu meinem<br />
Erstaunen »Bergedorf«, »Farmsen«, »Wohldorf« und<br />
»Brema«. Die waren also von Libau abkommandiert.<br />
Ich stieg sofort auf »Farmsen« und in die Kajüte hinunter,<br />
wo mir Leutnant Kaiser erfreut die Hand<br />
schüttelte. Er schilderte mir noch einmal das Unglück<br />
des Leutnants Wilkens, bei dem noch andere Leute,<br />
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so auch der anscheinend daran schuldige Minenmaat<br />
von der »Elsaß«, umgekommen waren. Und später<br />
hatte sich in Windau ein ganz ähnliches Unglück zugetragen.<br />
Auf den Vorpostenbooten in Warnemünde herrschte<br />
dasselbe Durcheinander, das ich in Libau auf der<br />
Flottille beobachtet hatte. Niemand wußte, was stattfinden<br />
sollte. Ich schlief auf »Farmsen« in der heißen<br />
Kabine eines beurlaubten Maschinistenmaaten und<br />
freute mich über die vielen Fliegen, weil ich hoffte,<br />
sie würden mich morgen rechtzeitig wecken. Denn ich<br />
hatte als Zugführer ein schlechtes Gewissen wegen<br />
unserer Fahrtunterbrechung in Rostock. <strong>Als</strong> ich mich<br />
aber dann be<strong>im</strong> Stab bei Leutnant Däver meldete, rief<br />
dieser: »Was, Sie sind schon da? Wir sind noch lange<br />
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nicht soweit. Kommen Sie mal am Nachmittag wieder.<br />
Da wollen wir theoretischen Unterricht machen.«<br />
So bezogen wir Privatquartiere. Für Engel und mich<br />
hatte man ein blitzsauberes Z<strong>im</strong>mer bei einer Frau<br />
Detloff in der John-Brinkmann-Str. 3 gemietet. Engel<br />
war ein gutmütiger, etwas kleinlicher und geiziger<br />
und äußerlich ein großer, starker, täppischer Mensch,<br />
<strong>im</strong> Zivilberuf Metzger.<br />
Am Nachmittag hielt ich vor der versammelten<br />
Division mit großem Selbstgefühl einen mehrstündigen<br />
Vortrag über Minensuchwesen. Lehmann,<br />
Culessa und Engel staunten mit offenen Mäulern über<br />
meine Redegewandtheit.<br />
Wir wurden mittags an Bord verpflegt. Abends kochte<br />
uns Frau Detloff Kaffee. Wir brachten ihr von Bord<br />
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die Bohnen und auch das Petroleum für die Lampe<br />
mit. Auch mit Bordseife erfreuten wir sie gelegentlich.<br />
Zwei losgerissene deutsche Minen wurden angeschwemmt.<br />
Culessa bekam und vollzog den Auftrag,<br />
sie zu entschärfen. – Ein Wasserflugzeug warf versehentlich<br />
eine Bombe über der Mole nieder. Die<br />
Fensterscheiben der nächstgelegenen Gebäude wurden<br />
zertrümmert. – Boot III von uns hatte ein englisches<br />
U-Boot vernichtet. Englische U-Boote in der<br />
Ostsee, das war jetzt der große aktuelle Schrecken.<br />
Andererseits wurde die Möglichkeit eines baldigen<br />
Friedensschlusses diskutiert.<br />
Unsere Boote liefen zu Übungszwecken aus. Wir<br />
Minenleute mußten das Suchgerät praktisch vorfüh-<br />
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ren und die Besatzungen anlernen. Das ging alles in<br />
Ordnung, zumal bei diesen Booten auf meine seinerzeitige<br />
Anregung hin niedrige Heckbauten vorgesehen<br />
waren.<br />
Engel verließ außerdienstlich nur selten die Wohnung.<br />
Er war zu geizig, um ins Wirtshaus zu gehen. Er saß<br />
stundenlang in der Küche und schwatzte kindisches<br />
Zeug mit Frau Detloff und deren Tochter. Diese verliebte<br />
sich ein wenig in den stattlichen Burschen, obgleich<br />
sie über dessen Fehler und Schwächen mit mir<br />
und auch vor ihm selber oft witzelte. Engel ging frühzeitig<br />
zu Bett und stand spät auf. Wenn ich schon<br />
früh erwachte, sah ich nur die Hälfte seines feuerroten<br />
Kugelkopfes aus den schneeigen Betten ragen. Ich<br />
wusch täglich ein Paar Strümpfe und Taschentücher,<br />
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denn es schien, als ob wir viel länger als vorgesehen<br />
in Warnemünde bleiben würden. Das beglückte mich<br />
sehr. Unsere Vorgesetzten dort waren äußerst angenehme<br />
und rücksichtsvolle Offiziere.<br />
Culessa war verlogen, Lehmann war ordinär, Engel<br />
beschränkt. Ich war der eigentliche und fehlerlose<br />
Engel. Ich verkehrte außerdienstlich nur wenig mit<br />
den drei andern. Ich hatte mich bald mit jenen mexikanischen<br />
Schwestern und deren Mutter angefreundet.<br />
Geschwister Reemi, Geigenkünstlerinnen. Sie<br />
hatten früher auch in München Konzerte gegeben,<br />
und ich besann mich nachträglich, sie dort einmal<br />
gehört zu haben. Die Mutter war eine ältere, sehr gescheite<br />
Dame.<br />
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Man traf sich mehrmals am Tage in dem sauberen<br />
kleinen Warnemünde, wo alle Häuser freundliche<br />
Veranden hatten und wo man wie <strong>im</strong> Schaufenster<br />
lebte. Ich kaufte mit Reemis Spinat ein. Ich hörte mit<br />
ihnen <strong>im</strong> Café Bechlin gute Musik. Dort verkehrten<br />
viele Offiziere, unter anderen ein komischer, grauhaariger<br />
alter Hauptmann, namens Brunnemann, ein berüchtigter<br />
Schwerenöter, der alle Damen kannte und<br />
<strong>im</strong> Café ihnen eine steife, gebrechliche Verbeugung<br />
machte. Am Tage aber ritt er mit gezogenem Säbel<br />
und mit Musik vor einem Häuflein Soldaten durch<br />
die Straßen, und wenn man vor ihm stramm machte,<br />
so winkte er mit einer merkwürdigen, gravitätischen<br />
Zweifingerbewegung ab. Abends saß ich mit Reemis<br />
am Strand. Auf dem Wasser lagen Fischerboote und<br />
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eine verlassene Dre<strong>im</strong>astbark, die ich schon einmal<br />
nach Verwendbarem durchsucht hatte.<br />
Bulgarien machte mobil. In Rußland stand das Spiel<br />
auf Revolution oder Null ouvert aus freier Hand. Im<br />
Volksblatt las ich, daß der Kaiser best<strong>im</strong>mt hätte, daß<br />
den beurlaubten Mannschaften die Löhnung unverkürzt<br />
weiter zu zahlen sei. Mir hatte man sie noch<br />
abgezogen.<br />
In Warnemünde ließ sichs gut leben. Wir vier<br />
Cuxhavener hatten tagelang nichts zu tun, weil die<br />
Vorpostenboote entweder in See oder in der Werft<br />
waren.<br />
Der S<strong>im</strong>pliziss<strong>im</strong>us lehnte meine Novelle ab mit<br />
Rücksicht auf die Zensur. Sie wäre zu grausig.<br />
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An der Westfront sollte es schl<strong>im</strong>m für uns stehen.<br />
Die große Offensive der Engländer und Franzosen<br />
hatte eingesetzt.<br />
Ich saß sonntags am Strand <strong>im</strong> sechsten Strandkorb,<br />
das heißt aus fünf anderen Strandkörben hatten mich<br />
die rechtmäßigen Mieter verjagt. Der H<strong>im</strong>mel war<br />
grau wie Zigarrenasche, und das Meer darunter sah<br />
aus wie ein angelaufener Spiegel. Ich dachte verärgert<br />
über die Ablehnung meiner Novelle nach und über die<br />
Einrichtung Zensur. Ich konnte mich nicht entschließen,<br />
die Geschichte zu ändern oder zu kürzen, denn<br />
ich hatte sie ohne Tendenz geschrieben. Ich trieb keine<br />
Politik. Oder wenn, dann die patriotischste. Denn ich<br />
wollte doch <strong>im</strong>mer unter die kühnsten Kämpfer gegen<br />
Deutschlands Feinde gestellt werden. Und wenn<br />
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ich mich gerade in solchem Bewußtsein bemühte,<br />
die Wahrheit zu sagen, dann schien mir solches nur<br />
heilsam. Und in dem Gegenteil, <strong>im</strong> Entstellen oder<br />
Verschweigen glaubte ich etwas äußerst Gefährliches<br />
zu erblicken. Dann wurden meine Gedanken abgelenkt.<br />
Kinder bauten Mondkrater <strong>im</strong> Sand. Ein märchenhaft<br />
schönes Mädchen tauchte zwischen den<br />
Körben auf. Und von der Mole löste sich die Fähre ab,<br />
die täglich große Viehtransporte aus Dänemark holte.<br />
Dann quälte ich mich mit einer neuen Novellenidee ab,<br />
die mir aber zu groß schien, um sie in dem Rahmen<br />
einer Zeitschrift unterzubringen. Es war so, als ob<br />
ich eine Hose in einen viel zu kleinen Karton packen<br />
wollte. Später sprach ich mit Mucky Reemi darüber.<br />
Die meinte bei dieser Gelegenheit: »Du bist doch ein<br />
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Dichter. Warum gibst du uns nie einmal eins von deinen<br />
Büchern zu lesen?«<br />
Ich kaufte eine gruselige Fünfgroschenbroschüre,<br />
entfernte das Titelblatt und lieh dieses Büchlein, als<br />
eine Arbeit von mir, der Mucky. Nachdem sie es gelesen,<br />
besprach sie es eingehend mit mir, es müßte wohl<br />
eine Jugendarbeit von mir sein. Ihre Tadel formte sie<br />
sehr liebenswürdig.<br />
Eines Morgens saß ich mit Engel be<strong>im</strong> Kaffee, den<br />
Detloffs uns <strong>im</strong>mer so appetitlich und mit viel Liebe<br />
servierten, und Engel vertraute mir gerade an, daß er<br />
sich in die dicke Blonde von der Molkerei verliebt hätte.<br />
Da ward die Tür aufgerissen, Oberleutnant Däver<br />
trat aufgeregt herein, entschuldigte sich kurz und unterzog<br />
dann unser Z<strong>im</strong>mer – Betten und Schränke<br />
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– einer eingehenden Untersuchung. Auch zu den zwei<br />
anderen Maaten begab er sich in gleicher Absicht.<br />
Lehmann war etwas peinlich überrascht, denn er hatte<br />
gerade ein Mädchen <strong>im</strong> Bett. Alle Schiffe wurden<br />
durchsucht. Eine peinliche Angelegenheit. Es bildete<br />
sich das Gerücht, in Rostock wären militärische<br />
Gehe<strong>im</strong>papiere entwendet.<br />
Ich hatte inzwischen viele Bekanntschaften gemacht<br />
und wurde bald als lustiger und allerwärts herumbummelnder<br />
Lebematrose sehr populär. Sogar<br />
die Kinder auf der Straße begrüßten mich als Onkel.<br />
Besonders gern gab ich mich mit einem idiotischen<br />
Kind in unserem Hause ab. Es machte Sprünge wie<br />
ein Kalb und hatte sonderbare, für mich wunderbare<br />
Handbewegungen. Von jeher liebte ich derar-<br />
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tige, geistesgestörte Kinder und konnte ihnen stundenlang<br />
zuhören. Im Ötztal in Tirol kannte ich ein<br />
Dorf, wo jedes zweite Kind idiotisch war, und diese<br />
Kinder dort hatten pompöse Namen wie »Germania«<br />
oder »Tudesca«.<br />
Meine wertvollste Bekanntschaft aber war die mit<br />
der dickwadigen Badefrau vom Damenbad. Ich hatte<br />
mich gelegentlich angeboten, ihr be<strong>im</strong> Zerkleinern<br />
von Brennholz behilflich zu sein, und nun hackte<br />
ich und sägte auf Teufel komm raus, und hatte <strong>im</strong>mer<br />
Zutritt zum Damenbad. Zwar war das Wetter<br />
schon kalt, so daß sich nur noch wenige Damen ins<br />
Wasser wagten, aber schon deren Anblick kostete<br />
mich manche Beil- und Sägewunde. Leider wurde<br />
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die Anstalt bald geschlossen, wie der Lesesaal und<br />
das Fünfpfennighäuschen.<br />
Abends saß ich mit Reemis <strong>im</strong> Strandkorb. Sie erzählten<br />
von ihrer He<strong>im</strong>atstadt Guadalajara, und ich<br />
schilderte meine Schiffsjungenstreiche in Westindien<br />
und Britisch-Honduras. Zwischendurch belauschten<br />
wir die Gespräche der benachbarten Strandkörbe.<br />
In einem Korbe erzählte ein Neuangekommener,<br />
Belgrad wäre in deutsch-österreichischen Händen,<br />
Bulgarien hätte Serbien angegriffen und in Bremen<br />
wäre augenblicklich Fliegeralarm. Schutzleute liefen<br />
klingelnd durch Bremer Straßen, und es würde aus<br />
Fenstern geschossen.<br />
Das Café Bechlin ward stiller. Man sah dort fast nur<br />
noch Offiziere, den Oberleutnant, Grafen Montgelas,<br />
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von dem ich anständige, schneidige Geschichten wußte,<br />
und natürlich Hauptmann Brunnemann. Dem<br />
war gerade ein Malheur passiert, Schokolade auf die<br />
Uniform gegossen. Er lag ausgestreckt <strong>im</strong> Korbstuhl,<br />
und während zwei Kellner seine Pantalons mit Salz<br />
und Warmwasser massierten, blinzelte er charmant<br />
puderfarbigen Damen zu.<br />
Ein englisches U-Boot hatte eins von unseren<br />
Torpedobooten beschossen. Dieses hatte mit einer<br />
Wasserbombe geantwortet. Nun sollte unsere<br />
Vorpostenflottille eine gewisse Stelle <strong>im</strong> Sund absuchen,<br />
wo das angeblich beschädigte U-Boot liegen<br />
mußte. Es wurde dann auch gefunden und der Fund<br />
von einem Taucher bestätigt. Bei günstigem Wetter<br />
sollte es demnächst gehoben werden.<br />
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Aber es spukten noch mehr englische U-Boote in<br />
der Ostsee und versenkten in der folgenden Zeit<br />
mehrere deutsche Dampfer. Die deutsche Fähre nach<br />
Dänemark fuhr deshalb nicht mehr aus, nur die dänische<br />
verkehrte weiter. In unseren Kreisen tadelte<br />
man bitter die deutsche Marineführung, weil sie die<br />
großen Kampfschiffe und Hochseetorpedoboote untätig<br />
in Kiel liegen ließ und die Säuberung der Ostsee<br />
von englischen U-Booten unseren geringwertigen und<br />
schutzlosen Fischdampfern überließ.<br />
Ein Torpedomatrose hatte sich aus nichtbekannten<br />
Gründen die Pulsader durchschnitten. Mir fiel die<br />
dicke Blutspur auf, die vom Kirchplatz bis zur John-<br />
Brinckmann-Straße führte. Ferner hatte ein anderer<br />
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<strong>Mariner</strong> nachts auf der Straße ein Mädchen überfallen,<br />
ausgezogen und beraubt.<br />
Wir vier Maate aus Cuxhaven schwelgten in Faulheit.<br />
Einmal mußten wir, ich weiß nicht, warum, eine<br />
Erklärung unterschreiben, ob bzw. wieviel Schulden<br />
wir hätten. Engel merkte nicht, daß sich das nur auf<br />
unsere Warnemünder Zeit bezog, und notierte da,<br />
wo wir anderen »Nein« hinschrieben, »fünfunddreißigtausend<br />
Mark Hypothekenschulden«, was den<br />
Feldwebel sehr verblüffte.<br />
Ich war mittags bei Mutter Reemi eingeladen.<br />
Die Töchter spielten herrlich auf ihren kostbaren<br />
Meistergeigen Mozartsche Duette und das Air von<br />
Schubert und »Der Tod und das Mädchen«. <strong>Als</strong> ich<br />
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he<strong>im</strong>kam, stand Engel bereit zum entscheidenden<br />
Sturm auf die Molkerei. Er hatte Glacéhandschuhe<br />
über seine gewaltigen Pratzen gepreßt und für zwanzig<br />
Pfennig Schokolade gekauft, die ihm aber <strong>im</strong><br />
Regen ganz aufgeweicht war. Er ertrug aber meinen<br />
und Detloffs Spott mit rührender Geduld.<br />
Auch Culessa hatte eine Liebschaft, eine Köchin<br />
auf der dänischen Fähre. Sie wäre ihm beinahe<br />
wegtorpediert, als ein englisches U-Boot einen<br />
Stettiner Dampfer versenkte. Die Fähre brachte übrigens<br />
einen deutschen Offizier mit, der aus englischer<br />
Gefangenschaft entflohen war. Erst kurz vor<br />
der Landung hatte er Uniform angelegt, und an der<br />
Mole wurde er von Warnemünder Militär mit Musik<br />
empfangen. Aber auch in diesem Falle wußten die<br />
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Mannschaften nicht, worum es sich handelte. Wußten<br />
wir nicht, daß dieser Offizier der große und – was<br />
darum nicht wundert – bescheidene Held zur See,<br />
Kapitän Lauterbach war.<br />
Ich ging zum Flugplatz und holte mir vom<br />
Oberleutnant von Winterfeld die Erlaubnis, einmal<br />
mitfliegen zu dürfen. Indem ich hastig ein schon<br />
startendes Wasserflugzeug erkletterte, trat ich aus<br />
Unkenntnis ein Loch in dessen Flügel, was freilich<br />
kein bedeutendes Unglück war.<br />
Culessa und Lehmann wurden abkommandiert. Sie<br />
kamen nach Kiel auf die »Deutschland«. Ich trauerte<br />
ihnen nicht nach. Aber ich trauerte, weil die Maate<br />
vom Jahrgang 04 befördert werden sollten. Ich war<br />
sogar vom Jahrgang 03, aber mich hatte man offenbar<br />
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übersehen, und ich wußte nicht, wie ich das aufdecken<br />
sollte. Ich wußte überhaupt nicht mehr, welchem<br />
Kommando ich unterstellt war.<br />
Detloffs waren und blieben reizend zu uns. Sie stellten<br />
uns <strong>im</strong>mer etwas Besonderes ins Z<strong>im</strong>mer, ein<br />
Blümchen oder ein Pflaumenmus. Vater Detloff war<br />
Gärtner.<br />
Das Land färbte sich gelb. Dazwischen standen grüne<br />
Fichten oder leuchteten rote Beeren. Die Sandwege<br />
durch das niedrige Gehölz ähnelten denen bei Riga.<br />
Nebel und Regen wechselten sich ab. Das Brausen von<br />
Propellern in der Luft scheuchte Krähenschwärme<br />
auf. Die ersten Schneeflocken fielen.<br />
<strong>Als</strong> ich bei Dunkelheit durch das Gehölz ging, hörte<br />
ich plötzlich Hilferufe. »Hilfe! Wächter! Wächter!«<br />
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Hineilend sah ich in einer Lichtung einen Obermaaten<br />
<strong>im</strong> Handgemenge mit einem Arbeiter. Unweit davon<br />
stand ein Mädchen. Der Arbeiter schrie: »Lassen Sie<br />
meine Tochter in Ruh!« und zu dem Mädchen: »Du<br />
gehst nach Hause!« Ich trennte die Ringenden und<br />
fragte das Mädchen: »Ist das wirklich Ihr Vater?«<br />
»Ja«, sagte sie, »hauen Sie ihm doch in die<br />
Augen!«<br />
»Was? Ich soll Ihren Vater schlagen?«<br />
»Ja, hauen Sie ihn tüchtig, er ist mein Pflegevater.«<br />
– – –<br />
Das Café Bechlin mied ich nun völlig, nachdem man<br />
dort den Matrosen Borak ausgewiesen hatte, nur weil<br />
er nicht Offizier war und nicht, wie ich zum Beispiel,<br />
durch größere Zechen oder gute Begleitung <strong>im</strong>po-<br />
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nierte. Diesen Borak lernte ich dann in einem anderen<br />
Café kennen. Er war mir sympathisch durch<br />
seine Intelligenz und durch seine Zuneigung zu<br />
mir, die beinahe an Verehrung grenzte. Er hatte<br />
auf einem Torpedoboot die Jagd auf das englische<br />
U-Boot A.E.13 mitgemacht. Dieses U-Boot flüchtete<br />
sich damals auf dänisches Hoheitsgebiet. »Der<br />
englische Kommandant«, erzählte Borak, »stand mit<br />
verschränkten Armen an Deck und sah stolz verachtend<br />
zu uns Verfolgern herüber. Wir fragten per<br />
Funkspruch in Swinemünde an, was wir tun sollten.<br />
Die Antwort lautete: U-Boot auf jeden Fall unschädlich<br />
machen. So schossen wir A.E.13 in den Grund.<br />
Fünfzehn Engländer kamen dabei um. Dann flohen<br />
wir, weil dänische <strong>Krieg</strong>sschiffe auftauchten. Später<br />
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kam aus Schweden die Nachricht, der englische<br />
Kapitän hätte absichtlich sein Schiff geopfert, um die<br />
Aufmerksamkeit von neun anderen U-Booten abzulenken,<br />
die inzwischen den Sund passierten.« Borak<br />
erzählte mir, daß er früher in Hamburg Vertreter einer<br />
großen Autogesellschaft gewesen wäre. Er interessierte<br />
sich sehr für meine Schriftstellerei und ließ<br />
sich eins meiner Bücher vom Verlag senden und in<br />
feinstes Leder binden.<br />
Am Sonntag erwachten Engel und ich von einer<br />
h<strong>im</strong>mlischen Musik. Vor unserer Tür. Es klang,<br />
als ob ein ganzes Orchester draußen spielte. Aber<br />
es waren nur die Geschwister Reemi, die mir ein<br />
Geigenständchen brachten, zum Abschied, denn sie<br />
siedelten am andern Tag nach Rostock über, wäh-<br />
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rend ihre alte Mutter zur Klärung ihrer finanziellen<br />
Interessen nach Mexiko fuhr, wo derzeit Revolution<br />
herrschte. Ich besuchte mit Reemis einen kleinen zoologischen<br />
Garten, der aber unter den augenblicklichen<br />
Verhältnissen ein dürftiges und bedauerliches<br />
Bild bot. Man zeigte vorwiegend Haustiere, denen es<br />
<strong>im</strong>merhin noch am besten gehen mochte, da sie an die<br />
Hartherzigkeit der Menschen gewöhnt waren. Aber<br />
kläglich sahen die wilden, nun ganz abgemagerten<br />
Tiere aus. Die Adler steckten in Käfigen, wo sie kaum<br />
ihre Schwingen ausbreiten konnten. <strong>Als</strong> wir vor den<br />
Wölfen standen, klang gerade der Gesang marschierender<br />
Soldaten zu uns herüber. Da st<strong>im</strong>mten plötzlich<br />
die Wölfe mit unhe<strong>im</strong>lich klagendem Geheul ein.<br />
– Reemis waren für das Orchester an das Rostocker<br />
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<strong>Als</strong> <strong>Mariner</strong> <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong> • <strong>Kapitel</strong> <strong>07</strong><br />
Stadttheater engagiert. Ich besuchte sie bald. Und<br />
wohnte der Generalprobe von Rheingold bei. Der<br />
Pförtner wollte mir den Zutritt zum Theater verwehren,<br />
aber ich lief an ihm vorbei und schloß mich in<br />
der Fürstenloge ein. Sein wütendes Pochen an der Tür<br />
ignorierte ich. Die Schauspieler spielten in ihren militärischen<br />
Uniformen. Ein Feldgrauer auf dem Grunde<br />
des Rheines – ich mußte an den Kreuzer »Undine«<br />
denken, über dessen Versenkung ich gerade zuvor gelesen<br />
hatte.<br />
Am nächsten Sonntag sah ich mir auch die Premiere<br />
des Stückes an. Diesmal saß das großherzogliche Paar<br />
in der Fürstenloge; da donnerte gewiß kein Portier an<br />
die Tür.<br />
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<strong>Als</strong> <strong>Mariner</strong> <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong> • <strong>Kapitel</strong> <strong>07</strong><br />
Man übertrug Engel und mir die Wache <strong>im</strong><br />
Zollgebäude, Arrestwache. Die Arrestanten dort<br />
schliefen in kleinen, und bei strengem Arrest in dunklen<br />
Zellen auf Holzpritschen. Ich befragte alle nach<br />
ihren Vergehen. Einer hatte den Grafen v. d. Recke<br />
beleidigt und deswegen noch Festungshaft zu erwarten.<br />
Ein Maat, der wegen Betrunkenheit eingeliefert<br />
war, schien überhaupt nicht mehr nüchtern werden<br />
zu wollen. Er glaubte mir nicht, daß er eingesperrt<br />
sei und wollte durchaus nach Hause gehen. Erst als<br />
ich den Posten blank ziehen ließ, vermochte ich ihn<br />
einzuschüchtern. Zwei andere Matrosen büßten dort,<br />
weil sie mit dem Öl, das für die feinere Maschinerie<br />
der Torpedos best<strong>im</strong>mt war, sich Kartoffeln gebraten<br />
hatten. Dann brachte man einen siebzehnjähri-<br />
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<strong>Als</strong> <strong>Mariner</strong> <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong> • <strong>Kapitel</strong> <strong>07</strong><br />
gen verweinten Freiwilligen. Er hatte zusammen mit<br />
einem älteren Matrosen auf dem Torpedoboot V 158<br />
die Messekasse beraubt. Sie verjubelten das Geld mit<br />
dem Vorsatz, sich hinterher zu erschießen, was dann<br />
aber nur der ältere tat. Engel erschmeichelte sich den<br />
Auftrag, diesen Arrestanten am nächsten Tag ins<br />
Untersuchungsgefängnis nach Kiel zu transportieren.<br />
Ich freute mich, Engel zwei Tage loszuwerden. Er<br />
ging mir schon lange auf die Nerven. Bei dem armen<br />
Molkere<strong>im</strong>ädchen und deren Eltern hatte er sich als<br />
Heiratskandidat warm eingenistet. Sie ahnten nicht,<br />
daß er schon verheiratet war.<br />
Ferner brachte man einen Obermatrosen vom<br />
Prisenkommando, der zu sieben Tagen strengen<br />
Arrestes und Degradation verurteilt war, weil er den<br />
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<strong>Als</strong> <strong>Mariner</strong> <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong> • <strong>Kapitel</strong> <strong>07</strong><br />
Zivilkapitän eines neutralen Schiffes angepöbelt hatte.<br />
Aber sowohl Engel wie ich benahmen uns allzu<br />
gutmütig auf diesen Wachen. Wir steckten den<br />
Arrestanten Bier, Zigaretten und Speck zu, ja, ich ließ<br />
sogar einmal Mädchen in ihre Zellen. Einer, der entlassen<br />
wurde, konnte sich gar nicht trennen und sah<br />
ganz betrübt aus.<br />
Man übertrug uns auch die Wache »Villa Thea«.<br />
Außerdem wurden wir auf Torpedobooten an den<br />
Wasserbomben beschäftigt. Dazwischen fuhren wir von<br />
Zeit zu Zeit wieder mit unseren Vorpostenbooten aus.<br />
Bei Ahrenshoop war der Levantedampfer »Kypros«<br />
gestrandet. Den sollten wir wieder flottmachen. <strong>Als</strong><br />
wir aber hinkamen, hatte ein Bergungsdampfer ihn<br />
bereits <strong>im</strong> Schlepp.<br />
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<strong>Als</strong> <strong>Mariner</strong> <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong> • <strong>Kapitel</strong> <strong>07</strong><br />
Oberleutnant Däver empfahl den Minenmaaten und<br />
Deckoffizieren, nach einem Einbrecher zu fahnden,<br />
der seit Juli in Warnemünde sein Unwesen trieb und<br />
mehrfach Leute, die ihn bei Einbrüchen überraschten,<br />
überrannt hatte. Alle diese Leute beschrieben ihn als<br />
einen schlanken jüngeren Mann, der ein gewisses<br />
nervöses Augenzwinkern an sich hätte. Nur war er<br />
bald als Matrose, bald in Deckoffiziersuniform und<br />
einmal auch als Zivilist aufgetreten. Besonders auf<br />
Schmucksachen und Damenartikel wie Strümpfe,<br />
Korsetts usw. hatte er es abgesehen.<br />
Schnee und Kälte setzten ein. Die »Warnow« war<br />
zugefroren. Engel benahm sich mir gegenüber undankbar<br />
und unkameradschaftlich. Ich teilte alles mit<br />
ihm und hatte auch ein ernstes Zerwürfnis mit sei-<br />
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<strong>Als</strong> <strong>Mariner</strong> <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong> • <strong>Kapitel</strong> <strong>07</strong><br />
ner Frau wieder eingerenkt. Wenn er Speck gesandt<br />
erhielt, so verschwieg er es und aß den Speck dann<br />
he<strong>im</strong>lich <strong>im</strong> Klosett.<br />
Eine Anzahl eiserner Kreuze und mecklenburgischer<br />
Medaillen wurden verteilt. Auch wurden täglich<br />
neue Beförderungen verlesen. Von meiner war<br />
nie die Rede. Ich bekam nur einen Schnupfen und litt<br />
seit einiger Zeit an unerklärlichen Schwindelanfällen.<br />
Mißgest<strong>im</strong>mt legte ich mich zu Bett und mußte für<br />
neun Mark Sterbegeläute anhören, das heißt: Das<br />
Geläute kostete die Hinterbliebenen, wie mir Frau<br />
Detloff erzählte, neun Mark. Dann verfiel ich – was<br />
mir so selten geschah – in einen schönen Traum. Die<br />
Schwestern Reemi traten in weißen Kleidern zu mir<br />
und fragten, wen von ihnen ich heiraten möchte. Ich<br />
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<strong>Als</strong> <strong>Mariner</strong> <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong> • <strong>Kapitel</strong> <strong>07</strong><br />
sagte Mucky. Da küßte mich Tula und ward auf einmal<br />
zu einem schönen Engel, der seine Flügel ausbreitete<br />
und unter den Klängen einer zauberhaften Musik,<br />
mir gütig Abschied winkend, entfloh. – Da erwachte<br />
ich und sah wirklich einen Engel, aber es war der<br />
verfluchte knallrote, unmanierliche Metzgermeister<br />
Maat Engel. Der riß die Fenster auf, weil draußen<br />
ausrückende Landsturmleute mit klingendem Spiele<br />
vorbe<strong>im</strong>arschierten.<br />
Unsere Truppen in Holstein erhielten auffällige<br />
Verstärkungen. – Auf »Prinz Adalbert« sollten fünfzehn<br />
Mann während der Katastrophe in Arrestzellen<br />
gesteckt haben. – Die <strong>Krieg</strong>sgewinnsteuer kam <strong>im</strong><br />
Reichstag zur Besprechung. – Uns ward <strong>im</strong>mer wieder<br />
verlesen, daß es verboten sei, Tagebuch zu führen.<br />
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<strong>Als</strong> <strong>Mariner</strong> <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong> • <strong>Kapitel</strong> <strong>07</strong><br />
Ich war daher noch ängstlicher darauf bedacht, meine<br />
Bücher zu verbergen und sie bei jeder passenden<br />
Gelegenheit he<strong>im</strong>zuschicken. Außerdem bediente ich<br />
mich noch häufiger meiner Gehe<strong>im</strong>schrift.<br />
Mein Stammlokal war das Café Meyer geworden.<br />
Dort traf ich mich täglich mit Maaten anderer<br />
Divisionen und Zivilisten. Sie nannten mich allgemein<br />
nur noch den Wasserbombenmaat, und ich wurde<br />
bald ihr Hauptspaßmacher. Meyers waren wohlerzogene<br />
und freundliche Leute, und der schönen<br />
Frau Meyer durfte ich den Hof machen. Ich lernte<br />
dort den Feldwebel Hans Brinckmann kennen, einen<br />
Großneffen des Dichters.<br />
Es wurde eisigkalt. Ich fror, denn ich lief noch <strong>im</strong>mer<br />
<strong>im</strong> Hemd mit entblößter Brust herum, weil sich mein<br />
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<strong>Als</strong> <strong>Mariner</strong> <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong> • <strong>Kapitel</strong> <strong>07</strong><br />
Überzieher noch in Kiel bei einem Flickschneider befand,<br />
dessen Namen und Adresse ich vergessen hatte.<br />
Dann gab es plötzlich Gewitter, und dann rüttelten<br />
wieder wilde Stürme an unsere Fenster in der John-<br />
Brinckmann-Straße. Im Hofe hatte Frau Lange aus<br />
dem Hinterhaus ihre unermeßlich weite Flanellhose<br />
zum Trocknen aufgehängt. Ich machte mir mit Engel<br />
das Vergnügen, diese Hose allnächtlich mit Wasser<br />
zu begießen.<br />
Ich lud Engel zum Frühstück ein, und weil es auf<br />
meine Kosten ging, aß der Kerl fünf Neunaugen und<br />
zwei Portionen saure Scholle. Plötzlich lauschte er, und<br />
seine Augen strahlten verständnisvoll. Man hörte die<br />
fernen Schmerzenstöne eines <strong>im</strong> Geschlachtetwerden<br />
begriffenen Schweines.<br />
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<strong>Als</strong> <strong>Mariner</strong> <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong> • <strong>Kapitel</strong> <strong>07</strong><br />
Ich wurde täglich depr<strong>im</strong>ierter, und nur, wenn ich<br />
– mit Urlaubschein oder he<strong>im</strong>lich – nach Rostock fuhr,<br />
fand ich bei Reemis vorübergehenden Trost. Einmal<br />
traf ich dort mit einer jungen aber baßst<strong>im</strong>migen und<br />
Zigarren rauchenden Dame namens Heidweiler zusammen.<br />
Die erzählte Interessantes über Lauterbachs<br />
Flucht. Reemis erzogen mich auch in gewissen Dingen<br />
und redeten mir zu, meine vernachlässigten Zähne<br />
zu pflegen und eine drei Zähne breite Lücke durch<br />
künstliche Zähne zu ersetzen. Ich grübelte lange und<br />
sehr betrübt über dieses peinliche Thema nach, ehe<br />
ich nachfolgendes Rundschreiben an gewisse Freunde<br />
und Bekannte erließ:<br />
»Bitte teilt mir eure ehrliche und ausführliche<br />
Meinung über folgende Fragen mit:<br />
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<strong>Als</strong> <strong>Mariner</strong> <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong> • <strong>Kapitel</strong> <strong>07</strong><br />
1.<br />
2.<br />
3.<br />
4.<br />
5.<br />
6.<br />
7.<br />
Sind falsche Zähne mit Kautschukplatten etwas<br />
Unappetitliches be<strong>im</strong> Kuß? be<strong>im</strong> Essen? oder auch<br />
schon be<strong>im</strong> Anblick?<br />
Sind falsche Zähne sympathischer als keine oder<br />
wenig oder schlechte Zähne?<br />
Kann man harte Brotrinden mit falschen Zähnen<br />
beißen?<br />
Kann man mit falschen Zähnen laut schreien oder<br />
singen, zum Beispiel: ›Lache, Bajazzo‹?<br />
Kann man pfeifen?<br />
Kommt es vor, daß ein künstliches Gebiß be<strong>im</strong><br />
Essen, Sprechen usw. plötzlich herausfällt?<br />
Spricht man mit falschen Zähnen besser als mit<br />
wenig echten?<br />
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<strong>Als</strong> <strong>Mariner</strong> <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong> • <strong>Kapitel</strong> <strong>07</strong><br />
8.<br />
Gibt es Schauspieler, die ein künstliches Gebiß tragen?<br />
–«<br />
Ehe noch die ersten Antworten auf diese Rundfrage<br />
eintrafen, die von den meisten als Witz aufgefaßt wurde,<br />
hatte ich mir auf langen bürokratischen Wegen in<br />
der Universitätsklinik drei neue Zähne angeschafft.<br />
Und nun lief ich durch die Straßen, und die Passanten<br />
hielten mich vielleicht für verrückt, weil ich in allen<br />
Tonarten vor mich hindeklamierte. Und Reemis zogen<br />
mich auf, weil ich anfangs während des Sprechens<br />
plötzlich »zwitscherte«.<br />
Es waren neue Fischdampfer eingetroffen, deren<br />
Mannschaften sich alsbald in den Straßen sehr übel<br />
bemerkbar machten. Sie rissen auf dem Kirchplatz<br />
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<strong>Als</strong> <strong>Mariner</strong> <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong> • <strong>Kapitel</strong> <strong>07</strong><br />
die aufgestapelten Weihnachtsbäume auseinander<br />
und zogen grölend damit an Bord. Die Nachtwächter<br />
versteckten sich vor ihnen. Die vielen Bestrafungen<br />
nützten wenig. Man hätte dem Frohsinnsdrang dieser<br />
Bordleute ein vernünftiges Ventil geben sollen.<br />
Das deutsche Schiff »Bremen« war in der Ostsee<br />
versenkt worden. Nur siebenundfünfzig Mann sollten<br />
gerettet sein. Graf v. d. Recke hatte am Kattegatt<br />
einen englischen Attaché auf einem dänischen<br />
Passagierdampfer abgefangen. – Trotz gewisser<br />
Gegenmaßregeln wurde der Lebensmittelwucher <strong>im</strong>mer<br />
schl<strong>im</strong>mer betrieben. In Berlin waren Weiber vor<br />
das kaiserliche Palais gezogen und hatten gerufen:<br />
»Gebt uns unsere Männer heraus!« Bis die Polizei sie<br />
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<strong>Als</strong> <strong>Mariner</strong> <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong> • <strong>Kapitel</strong> <strong>07</strong><br />
mit blanker Waffe vertrieb. – Ein Freund schrieb an<br />
Engel, daß seine Kompanie 80 km vor Paris stände.<br />
Es trafen Berge von Weihnachtsgeschenken ein. Ich<br />
wurde reich bedacht.<br />
Am Heiligen Abend lagen vierundzwanzig<br />
Vorpostenbote mit 800 Mann Besatzung <strong>im</strong> Hafen. Die<br />
offizielle Weihnachtsfeier fand statt. Die Leute knabberten<br />
bedrückt oder schläfrig an ihren Pfefferkuchen,<br />
nörgelten oder lauschten stumpf dem Geigensolo<br />
und dann einem Vortrag mit Lichtbildern. Es gab<br />
Punsch und Freibier auf Marken. Engel schmunzelte.<br />
Aber ich nahm es übel, daß man für uns beide keine<br />
Plätze reserviert hatte, weder bei den Deckoffizieren<br />
noch be<strong>im</strong> Büropersonal, noch an den Tischen der<br />
Mannschaften und Unteroffiziere. Außerdem war ich<br />
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<strong>Als</strong> <strong>Mariner</strong> <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong> • <strong>Kapitel</strong> <strong>07</strong><br />
verst<strong>im</strong>mt, weil ich kein Geld besaß. Daher verließ ich<br />
den Saal sehr bald. Und da trafen abends plötzlich telegraphisch<br />
hundert Mark von Albert Langen ein. Dr.<br />
Geheeb schrieb hinterher:<br />
»München, 23. Dezember 15. Sehr verehrter Herr<br />
Hester, das ist eine wunderbare besoffene Geschichte!<br />
Furchtbar lang, aber so gut, daß wir sie doch bringen<br />
werden. Vielleicht gestatten Sie uns einige kleine<br />
Kürzungen. – Aber nur, wenn es aus Raumgründen<br />
sein muß. Das Honorar geht telegraphisch an Sie.<br />
Frohe Weihnachten wünscht Ihnen mit besten Grüßen<br />
Ihr Dr. R. Geheeb.«<br />
Von meinem Onkel, dem internierten Kapitän<br />
Engelhart, erhielt ich einen Kartengruß aus<br />
Soerabaja.<br />
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<strong>Als</strong> <strong>Mariner</strong> <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong> • <strong>Kapitel</strong> <strong>07</strong><br />
Die überraschende telegraphische Geldsendung<br />
beglückte mich sehr, denn nun konnte ich noch geschwind<br />
Geschenke für Detloffs und andere Freunde<br />
besorgen. Und Oberleutnant Däver bewilligte mir<br />
zehn Tage He<strong>im</strong>aturlaub. Ich badete meine Seligkeit<br />
in einem Rausch, wobei ich eine Fensterscheibe mit<br />
dem Kopf einschlug. Detloffs, über meine kleinen<br />
Gaben bis zu Tränen gerührt, bügelten, nähten, bürsteten<br />
und verproviantierten mich für die Reise. Ich<br />
lief noch in einen Barbierladen, um mir Spitz- und<br />
Schnurrbart abnehmen zu lassen. Eine Frau kratzte<br />
mir in unkundiger Weise den Spitzbart weg. <strong>Als</strong> sie<br />
danach ein Drittel meines Schnurrbartes ausgestückelt<br />
hatte, ließ sie plötzlich das Messer sinken und<br />
erklärte stockend, Schnurrbärte abzunehmen ver-<br />
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<strong>Als</strong> <strong>Mariner</strong> <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong> • <strong>Kapitel</strong> <strong>07</strong><br />
stünde sie nicht. Wütend griff ich nun selbst zum<br />
Messer, mit dem Erfolg, daß ich mir sofort eine tiefe<br />
Schnittwunde beibrachte. Aber es war schon spät,<br />
und ich mußte stark blutend und mit zwei Drittel<br />
Schnurrbart in den Zug steigen.<br />
Die Kupees waren von Urlaubern überfüllt. All diese<br />
sch<strong>im</strong>pften oder stichelten laut oder leise über die<br />
unverhältnismäßig hohen Offiziersgehälter und über<br />
andere Ungerechtigkeiten bei Heer und Marine. Ich<br />
fand einen Platz <strong>im</strong> Speisewagen, einem Amerikaner<br />
gegenüber. Und ich schluckte Aspirin und trank<br />
schwarzen Kaffee mit Zitronensaft auf das Wohl meiner<br />
fernen Lieben. Weil mein Gegenüber kein Wort<br />
Deutsch verstand, half ich ihm als Dolmetscher vor<br />
dem Kellner. Der Amerikaner vertraute mir, er habe<br />
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<strong>Als</strong> <strong>Mariner</strong> <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong> • <strong>Kapitel</strong> <strong>07</strong><br />
den deutschen Kaiser wegen einer Torpedoerfindung<br />
sprechen wollen, sei aber nicht vorgelassen worden.<br />
Die übrigen Fahrgäste warfen mir scheele Blicke zu,<br />
weil ich Englisch sprach.<br />
Zehn Tage Urlaub, in Leipzig, Berlin, Merseburg,<br />
Schleußig, Halle a. d. Saale, Eisenach, Waltershausen<br />
in Thüringen und in der Eisenbahn verbracht, verflogen<br />
wie eine Stunde Verhätscheltwerden. Dann<br />
gab es bei Detloffs und <strong>im</strong> Café Meyer ein herzliches<br />
Wiedersehen mit mancherlei Neuigkeiten, wechselseitig<br />
ausgepackt. Von der deutschen zur dänischen<br />
Küste sollte eine U-Boots-Netzsperre zum Schutze der<br />
Fähre gelegt werden. – Ein Matrose vom »Seeadler«<br />
hatte einen Kameraden erstochen. – Landsoldaten<br />
hatten den Gastwirt Salzmann mit dem Seitengewehr<br />
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<strong>Als</strong> <strong>Mariner</strong> <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong> • <strong>Kapitel</strong> <strong>07</strong><br />
verwundet. – Ein von Privatfirmen gestifteter Preis<br />
für Vernichtung englischer U-Boote sollte jetzt an die<br />
Mannschaft und Offiziere jenes Bootes verteilt werden,<br />
das C.A.13 versenkt hatte. – Ein Matrose hatte<br />
sich <strong>im</strong> Strom ertränkt. – Oberleutnant Däver feierte<br />
Hochzeit. – Montenegro bat um Separatfrieden.<br />
– Die Sozialdemokraten brachten <strong>im</strong> Reichstage die<br />
Willkürherrschaft der Zensur zur Sprache.<br />
Ich mußte nun wieder an verschiedenen Stellen<br />
Wache schieben, meistens Arrestwache.<br />
Vom Arrestlokal aus hörte ich die Festrede des<br />
Halbflottillenchefs zu Kaisers Geburtstag an. »– –<br />
Noch niemals ist ein Herrscher seelisch so eng mit seinem<br />
Volke verwachsen gewesen. –« Aber das Hurra<br />
klang dann sehr lau. Meine Arrestanten wurden anläß-<br />
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<strong>Als</strong> <strong>Mariner</strong> <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong> • <strong>Kapitel</strong> <strong>07</strong><br />
lich des Geburtstages aus kaiserlicher Gnade entlassen.<br />
So konnten die Zellen einmal gründlich gereinigt<br />
werden. Häufig fuhr ich he<strong>im</strong>lich nach Rostock, was<br />
<strong>im</strong>mer schwieriger wurde, da die Bahnsperre schärfer<br />
bewacht wurde. Ich mußte schließlich, um die Posten<br />
zu umgehen, auf der Rückfahrt jedesmal an einer gewissen<br />
Kurve kurz vor Warnemünde vom fahrenden<br />
Schnellzug abspringen. Eine gefährliche Sache, die<br />
aber <strong>im</strong>mer glückte. In Rostock besuchte ich Reemis<br />
und sah die Oper Carmen und sprach einen Mann,<br />
der be<strong>im</strong> Untergang des Kreuzers »Friedrich Carl«<br />
gerettet wurde. Das Schiff war von einem unserer eigenen<br />
U-Boote versenkt worden. Auch erfuhr ich den<br />
Untergang von »King Edward VII.«.<br />
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Weil <strong>im</strong>mer wieder von neuen Einbrüchen in<br />
Warnemünde die Rede war und weil ich den größten<br />
Teil der Privatleute und Militärs dieses Ortes zu<br />
kennen glaubte, begann ich einmal ganz für mich zu<br />
recherchieren. Wer war der mysteriöse Einbrecher?<br />
Nein, ich fragte mich: Wer war es best<strong>im</strong>mt nicht?<br />
– Die Kinder – die Frauen – die von Statur kleinen<br />
Menschen – alle diejenigen, die nur vorübergehend,<br />
also nicht seit Juli in Warnemünde waren. Wer war<br />
anzunehmenderweise nicht der Verbrecher? Die<br />
Offiziere – viele mir persönlich bekannte redliche,<br />
gutbürgerliche, harmlose oder unintelligente Leute.<br />
So zog ich <strong>im</strong>mer engere Kreise und zuletzt fand<br />
ich den Gesuchten. Ich will vorsichtshalber sagen:<br />
Ich war fest davon überzeugt, ihn gefunden zu ha-<br />
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<strong>Als</strong> <strong>Mariner</strong> <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong> • <strong>Kapitel</strong> <strong>07</strong><br />
ben. Es war jener Matrose Borak, der mich so verehrte,<br />
und der mein Novellenbuch in feinstes Leder<br />
binden ließ. Ich erinnerte mich nun, daß ich ihn einmal<br />
in seiner Privatwohnung besucht hatte, die ihm<br />
als Offiziersburschen bewilligt war. Damals fielen<br />
mir die vielen geschmackvollen Luxusgegenstände<br />
auf, die er besaß. Auch hatte er mich damals in seine<br />
Zukunftspläne eingeweiht. Er wollte nach dem <strong>Krieg</strong>e<br />
<strong>im</strong> großen Stile eine Kaninchenzucht in Australien<br />
beginnen und belegte seine Ausführungen mit logischen<br />
und sachkundigen Erwägungen und Zahlen.<br />
Ferner hatte er mir die Kopie vom Grundriß einer interessanten<br />
Mine gezeigt. Diesen Konstruktionsplan<br />
hatte er bei seinem Leutnant entdeckt und he<strong>im</strong>lich<br />
durchgepaust. Damals war mir die Sache nicht weiter<br />
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<strong>Als</strong> <strong>Mariner</strong> <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong> • <strong>Kapitel</strong> <strong>07</strong><br />
ernst vorgekommen. Aber nun zurückdenkend, re<strong>im</strong>te<br />
sich mir das geniale hochstaplerische Wesen dieses<br />
Borak mit seinen äußerlichen Kennzeichen, seiner<br />
Größe, seinem nervösen Augenzwinkern zweifellos<br />
verdächtig zusammen. Er war inzwischen syphiliskrank<br />
in ein Lazarett eingeliefert. Ich sah von einer<br />
Anzeige ab. Vielleicht weil ich fürchtete, daß meine<br />
an sich ganz harmlosen und meinerseits ahnungslosen<br />
Beziehungen zu ihm zur Sprache kämen.<br />
In dem mustergültig modernen und sauberen<br />
Schulhause, das unserer Wohnung gegenüberlag, wurde<br />
ein Soldatenhe<strong>im</strong> aufgemacht; ich sah mir das an.<br />
Den Soldaten war freie Lese- und Schreibgelegenheit<br />
gegeben. Bücher und Zeitschriften nach zensierten<br />
kleinen Ansichten ausgewählt und Tinte, Feder und<br />
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<strong>Als</strong> <strong>Mariner</strong> <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong> • <strong>Kapitel</strong> <strong>07</strong><br />
Papier. Wer von den Soldaten nicht ganz auf den Kopf<br />
gefallen war, konnte sich das besser selbst beschaffen.<br />
Die etwa zehn Leute, die bei der Eröffnung dort auf<br />
den Bänken hockten, sahen wie bedrückte, gepreßte<br />
Almosenempfänger aus, und zwischen ihnen stolzierten<br />
liebenswürdig jene leitenden ehrenamtlichen<br />
Damen der Gesellschaft umher und schwelgten in<br />
vermeintlicher Wohltätigkeit.<br />
Ich hatte großen Verdruß. Mein Verleger schrieb mir<br />
bezüglich des Manuskriptes zu dem <strong>Krieg</strong>smarine-<br />
Novellenbuch, daß die Zensur des Admiralstabes<br />
nicht nur die beiden stärksten Geschichten ganz, sondern<br />
auch aus dem übrigen Text so viel Stellen gestrichen,<br />
obendrein sogar Worte »verbessert« hätte, daß<br />
das Buch um 35 Seiten Umfang verlöre und ich des-<br />
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<strong>Als</strong> <strong>Mariner</strong> <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong> • <strong>Kapitel</strong> <strong>07</strong><br />
halb doch noch etwas Neues hinzuschreiben möchte.<br />
Mit dem Gift und der Galle <strong>im</strong> Herzen schien mir das<br />
aber unmöglich.<br />
Es hieß, unsere große Offensive an der Westfront<br />
würde beginnen, wenn der für unsere Giftgase günstige<br />
Wind einsetzte. Ich schrieb in mein Tagebuch:<br />
»Wäre dieser <strong>Krieg</strong> doch endlich ex! Käme es meinetwegen<br />
so, daß wir eine große Schlappe erlitten, wenn<br />
wir dadurch nur einen einigermaßen annehmbaren<br />
Frieden erhielten.«<br />
Das Arrestlokal war wieder gefüllt. Engel und ich<br />
mußten viel Wache gehen und wurden <strong>im</strong> übrigen<br />
mit der Verteilung und Behandlung der Wasser- und<br />
Nebelbomben beschäftigt.<br />
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<strong>Als</strong> <strong>Mariner</strong> <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong> • <strong>Kapitel</strong> <strong>07</strong><br />
Das Prisenkommando hatte manche Erfolge <strong>im</strong><br />
Handelskrieg zu verzeichnen. Aber wenn ich die<br />
Leute morgens weckte, waren sie noch todmüde und<br />
apathisch.<br />
Ich erhielt Befehl, einen gemütskranken Signalgast<br />
in eine Nervenheilanstalt nach Kiel zu transportieren.<br />
Da dehnte ich denn meine Reise reichlich aus.<br />
Erst ließ ich mich in Lübeck verwöhnen. <strong>Als</strong> ich dort<br />
das Atelier einer Schneiderin Maria T<strong>im</strong>m betrat, um<br />
mir ein neues Minenabzeichen auf den Ärmel nähen<br />
zu lassen, nahm Fräulein T<strong>im</strong>m keine Bezahlung an,<br />
und sie und ihre Hilfsdamen traktierten mich mit<br />
Zigaretten und sonstigen Gefälligkeiten.<br />
In meine Warnemünder Wohnung zurückgekehrt,<br />
fand ich dort eine Flasche edlen Weines vor, die mir<br />
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Mucky hingestellt hatte. Ich beschloß sofort, mir eine<br />
festliche Stunde zu bereiten, die ein Gedicht gebären<br />
sollte. Ich räumte also das Z<strong>im</strong>mer sorgfältig auf,<br />
zog meine besten Uniformstücke an, holte mir feine<br />
Zigaretten und Detloffs vornehmstes Weinglas. So<br />
setzte ich mich vors Schreibzeug. Kaum hatte ich den<br />
ersten Schluck feierlich geschlürft, so polterte Engel<br />
ins Z<strong>im</strong>mer, plazierte sich neben mich und machte<br />
sich daran, ein Fußbad <strong>im</strong> Waschbecken zu nehmen.<br />
Ich teilte den kostbaren Wein mit ihm in verhaltenem<br />
Gr<strong>im</strong>m und mit komischer Eile. Dann ging ich allein<br />
in einen Liederabend der Lotte Lehmann aus<br />
Hamburg.<br />
Nachdem wir noch einmal mit sämtlichen Booten<br />
ausgelaufen waren und das Minensuchen wie <strong>im</strong><br />
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Examen dem Divisionschef vorgeführt hatten, brachte<br />
Engel die Kunde nach Hause, daß er und ich am<br />
nächsten Morgen endgültig nach Cuxhaven zurückreisen<br />
sollten. Das traf mich wie ein Schlag. Aber<br />
als Engel hinzufügte, er hätte heute schon einmal<br />
geweint, und als Detloffs, die gerade geschlachtet<br />
hatten, uns dann mit Wellfleisch und Herzlichkeit<br />
und heißen Würstchen und heißen Tränen trösteten,<br />
schickte ich mich in diese nur allzu berechtigte<br />
Abkommandierung.<br />
An dreißig Maate versammelten sich <strong>im</strong> Café Meyer,<br />
um meinen Abschied zu feiern. Obermaat Proetel<br />
und der frohe Bernkasteler Stefan Heinz hielten erbauliche<br />
Reden, Frau Meyer kredenzte Krabbensalat<br />
und Herr Meyer spendierte Whisky. Ich schlug ein<br />
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<strong>Als</strong> <strong>Mariner</strong> <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong> • <strong>Kapitel</strong> <strong>07</strong><br />
Auszählspiel vor, nach dem der Verlierer sich in eine<br />
Torte setzen mußte, und dieses bittere (Geschmack-)<br />
Los traf dann mich selber.<br />
Zum letzten Male weckte uns Fräulein Detloff.<br />
Engel war verzweifelt. Unsere Wirtsleute schluchzten.<br />
Irgend jemand hatte Glasstücke vor unsere Tür<br />
gestreut, daß wir in Glücksscherben treten möchten.<br />
Der Übergang in das strenge und militärische<br />
Cuxhavener Leben ward uns durch einen Hamburger<br />
Tag versüßt. Die Mädchen in Sankt Pauli bewarfen<br />
mich mit Schneebällen. Dann wollte ich mir ein Brot<br />
kaufen, bekam aber keins. Ich wollte Butter kaufen.<br />
»Butter ist ein Fremdwort«, sagten die Verkäufer. Es<br />
gab auch kein Fett, nicht einmal Margarine. Aber von<br />
den Bekannten, die ich aufsuchte, hatte jeder etwas<br />
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Leckeres aufzutischen, was »hintenrum besorgt«<br />
war.<br />
<strong>Als</strong> ich wieder mit Engel zusammentraf, war dieser<br />
heiser wie eine Dampfpfeife. Wir ließen beide<br />
die Köpfe hängen. Er seufzte <strong>im</strong> Zuge einmal über<br />
das andere, und ich summte trübsinnig das österreichische<br />
Reiterlied vor mich hin, in das ich gerade sent<strong>im</strong>ental<br />
verliebt war.<br />
Nun schlief ich wieder in der großen Wetternkaserne<br />
auf einem Strohsack und hatte wieder Gesuche<br />
<strong>im</strong> Gange und machte den Büroschreibern<br />
Bestechungsgeschenke, weil verlautete, es würde ein<br />
Sonderkommando für die Türkei zusammengestellt.<br />
Wir bekamen weder Butter noch Milch noch<br />
Schnaps. Der Dienst war langweilig. Appell mit<br />
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<strong>Als</strong> <strong>Mariner</strong> <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong> • <strong>Kapitel</strong> <strong>07</strong><br />
langem Stehen <strong>im</strong> Schnee – Drückebergereien –<br />
Meldungen und Beschwerden – Sonntags zwangsweiser<br />
Kirchgang. – Dazwischen einmal Kleiderausgabe,<br />
die sofort einen schwunghaften he<strong>im</strong>lichen Handel<br />
mit Kleidungsstücken und Schuhwerk bewirkte.<br />
Der Hilfskreuzer »Wolf«, frisch ausgerüstet, war auf<br />
Schlick gelaufen, was eine Kesselexplosion zur Folge<br />
hatte. Es hieß, an Bord habe bei der Ausfahrt große<br />
Betrunkenheit geherrscht.<br />
Im Kasino wurde rege dem Schachspiel gefrönt.<br />
Nachts in den Stuben vorm Einschlafen witzelten wir<br />
noch lange. Wenn einer einen Wind ließ, sagte der<br />
Witz: »Dem ist die Haut zu kurz. Wenn er die Augen<br />
schließt, öffnet sich sein Arschloch.«<br />
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<strong>Als</strong> <strong>Mariner</strong> <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong> • <strong>Kapitel</strong> <strong>07</strong><br />
Der Schreiber Zuckmantel bot mir einen Posten bei<br />
einem Sonderkommando an, für das nur Englisch<br />
sprechende Leute gebraucht würden. Ich lehnte aber<br />
ab, weil es sich um bürokratische Tätigkeit handelte.<br />
Ein Matrose aus meiner Kaserne erschoß sich, weil<br />
man seine Bitte um He<strong>im</strong>aturlaub spöttisch abgeschlagen<br />
hatte. Der Oberfeuermeister hielt uns eine verbohrte<br />
Ansprache über diesen Fall. – Ein Soldat dürfe<br />
nicht solche Schwäche zeigen. – »Die Wurzel des<br />
Übels wurzelt darin, daß der Tote sich auf unerklärliche<br />
und unredliche Weise eine scharfe Patrone verschafft<br />
hat. –« Ich verkehrte neuerdings <strong>im</strong> Gasthaus<br />
»Zur Sonne«, wo ein Stammtisch von Frankfurtern<br />
Apfelwein eingeführt hatte, der mir zum Dichten besonders<br />
günstig schien. – Engel wußte sich mit Hilfe<br />
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<strong>Als</strong> <strong>Mariner</strong> <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong> • <strong>Kapitel</strong> <strong>07</strong><br />
eines undatierten Zeugnisses eines Landrates schon<br />
wieder vierzehn Tage Urlaub zu verschaffen.<br />
Ein Mann s<strong>im</strong>ulierte Wahnsinn und lehnte sich vor<br />
versammelter Mannschaft gegen seine Vorgesetzten<br />
auf. Er kam auf Festung.<br />
Die »Möwe« war glücklich durchgekommen und<br />
eingelaufen. Sie brachte zweihundert Gefangene und<br />
eine Million in Goldbarren mit.<br />
Unsere Stuben wurden nunmehr einen Tag um den<br />
andern geheizt, weil es an Kohlen mangelte. Ein allgemeiner<br />
Husten bellte.<br />
Ich wurde zum Minendepot bestellt. Es handelte sich<br />
um ein Sonderkommando. Oberleutnant Heinrichs<br />
prüfte und verhörte mich wie etwa fünfzig andere<br />
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<strong>Als</strong> <strong>Mariner</strong> <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong> • <strong>Kapitel</strong> <strong>07</strong><br />
Leute. »Sind Sie <strong>im</strong> Räum- und Suchgerät unterrichtet?«<br />
»Jawohl. Ich war sogar Instrukteur für<br />
Minensuchwesen.«<br />
»Haben Sie einen Sprengkursus durchgemacht?«<br />
»Jawohl.«<br />
»Einen Minenvormannskursus?«<br />
»Jawohl.«<br />
»Haben Sie schon Minen geworfen?«<br />
»Jawohl.«<br />
»Gefischt?«<br />
»Jawohl.«<br />
»Entschärft?«<br />
»Jawohl.«<br />
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<strong>Als</strong> <strong>Mariner</strong> <strong>im</strong> <strong>Krieg</strong> • <strong>Kapitel</strong> <strong>07</strong><br />
»Gut!« – Ich wurde vom Oberarzt auf Bordfähigkeit<br />
untersucht. Dann kleidete man mich und die andern<br />
Ausgewählten feldmarschmäßig und feldgrau<br />
ein. Rucksack, Kochzeug, Feldflasche, Leibbinde,<br />
Verbandzeug, Mantel, grauer Wachstuchbezug für<br />
die Mütze, Gamaschen usw. Schneider und Schuster<br />
änderten und fluchten.<br />
Es hieß, wir würden nach Rußland kommen. Wir<br />
waren alle sehr aufgeregt.<br />
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