BC_Jahrbuch_2016
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Inhalt<br />
Mitarbeiter ............................................................................................................ 4<br />
Jahresbrief des Stiftungsvorstandes .................................................................................... 6<br />
„GUT GERÜSTET FÜR DIE UMBRÜCHE EINER DIGITALEN WELT“<br />
Wolfgang Hofer und Thomas Zimpfer über den Zusammenhang von Disruption und Innovation ....................... 8<br />
Ernennung von Mariella Schurz zur Generalsekretärin der B&C Privatstiftung ....................................... 12<br />
ERICH HAMPEL<br />
Vorsitzender des Stiftungsvorstandes<br />
das B&C-<strong>Jahrbuch</strong> <strong>2016</strong> beschäftigt sich mit dem breit<br />
gefächerten Themenkreis „Unternehmertum und Innovation“.<br />
Wir stellen Ihnen darin die vielfältigen Aktivitäten<br />
der gesamten B&C-Gruppe – B&C Privatstiftung, B&C<br />
Industrieholding GmbH und B&C Innovation Investments<br />
GmbH – vor und geben zusätzlich einen Überblick über die<br />
Ergebnisse und das Marktumfeld unserer Mehrheitsbeteiligungen<br />
AMAG, Lenzing AG und Semperit AG Holding.<br />
In diesem Buch erfahren Sie, wie die B&C Privatstiftung<br />
die heimische Industrie und den Forschungsstandort<br />
Österreich fördert, was die B&C Industrieholding an ihren<br />
Beteiligungen besonders schätzt und welche erste Schritte<br />
die B&C Innovation Investments gesetzt hat, um durch<br />
Beteiligungen an Start-up-Unternehmen Innovationen in<br />
der Wirtschaft zu unterstützen.<br />
Wir freuen uns, dass wir Ihnen in diesem B&C-<strong>Jahrbuch</strong><br />
auch dieses Jahr wieder mehrere spannende Kommentare<br />
und Gastbeiträge von international anerkannten Expertinnen<br />
und Experten präsentieren können. Der frühere<br />
BMW- und Magna-Vorstand Burkhard Göschel, Regina<br />
Prehofer, die in Aufsichtsgremien unterschiedlicher Unternehmen<br />
fungiert, sowie Andreas J. Ludwig, der Sprecher<br />
des Vorstandes der weltweit tätigen Umdasch Group,<br />
sind in diesem Buch ebenso als Gastautoren tätig wie die<br />
Uni-Professoren und Top-Juristen Susanne Kalss und<br />
Ulrich Torggler, die in ihrem Beitrag rechtliche Aspekte<br />
der immer umfassender werdenden Aufsichtsratstätigkeit<br />
betrachten.<br />
Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre und freuen<br />
uns auf einen Gedankenaustausch mit Ihnen!<br />
B&C PRIVATSTIFTUNG<br />
Erhalt der Forschung<br />
und Entwicklung in Österreich<br />
B&C INDUSTRIEHOLDING<br />
Unternehmenswerte kontinuierlich steigern<br />
und langfristig entwickeln<br />
AMAG<br />
Anteilshöhe 52,7 %<br />
LENZING<br />
Anteilshöhe 62,6 % 1<br />
SEMPERIT<br />
Anteilshöhe 54,2 %<br />
B&C INNOVATION INVESTMENTS<br />
SCHNITTSTELLE ZWISCHEN UNIVERSITÄTEN UND WIRTSCHAFT – DER HOUSKAPREIS .......................... 14<br />
„ÖSTERREICH BRAUCHT EINEN DIGITALISIERUNGSSPRUNG.“<br />
Burkhard Göschel über Emotionalität und Markenführung in Zusammenhang mit Innovation und Digitalisierung .... 16<br />
„MEHR WIRTSCHAFT, WENIGER GEOGRAFIE.“<br />
Heribert Pröbstl, AHS-Lehrer und Juror für den Bildungspreis der B&C Privatstiftung ............................... 20<br />
BIG DATA – FLUCH ODER SEGEN?<br />
Susanne Kalss und Ulrich Torggler im Gespräch anlässlich des fünften Wiener Unternehmensrechtstags ............. 22<br />
Bericht der Geschäftsführung......................................................................................... 24<br />
„DIGITALISIERUNG IST EIN STRATEGIETHEMA, KEIN IT-PROBLEM“<br />
Die Geschäftsführer der B&C Industrieholding Felix Strohbichler und Patrick F. Prügger im Gespräch ................ 26<br />
„OHNE FEHLERKULTUR WERDEN KEINE INNOVATIONEN GESCHAFFEN.“<br />
Andreas J. Ludwig, Sprecher des Vorstandes der Umdasch Group, im Interview mit Hans-Peter Siebenhaar .......... 30<br />
SCHNEIDERWERKSTATT B&C<br />
Hanno M. Bästlein zu maßgeschneiderten Lernprozessen und Lösungsansätzen im Wirtschaftsleben ................. 35<br />
DER BLICK ÜBER DEN TELLERRAND<br />
Regina Prehofer über den Beitrag der Aufsichtsräte zum Unternehmenserfolg ........................................ 38<br />
B&C weltweit ......................................................................................................... 40<br />
Was wir an der AMAG schätzen. Die Entwicklung des Unternehmens aus Sicht der B&C ............................. 42<br />
Facts & Figures ....................................................................................................... 46<br />
UNGEAHNTE MÖGLICHKEITEN<br />
Peter Uggowitzer und Helmut Antrekowitsch zur Zukunft des Werkstoffs Aluminium und der AMAG ................ 48<br />
Was wir an der Lenzing AG schätzen. Die Entwicklung des Unternehmens aus Sicht der B&C ........................ 52<br />
Facts & Figures ....................................................................................................... 56<br />
INTELLIGENTE KLEIDUNG – DIE FASER FÜR EXTREME ANFORDERUNGEN<br />
Lenzing setzt wegweisende Impulse in der Fasertechnologie .......................................................... 58<br />
Was wir an der Semperit AG Holding schätzen. Die Entwicklung des Unternehmens aus Sicht der B&C ............... 62<br />
Facts & Figures ....................................................................................................... 66<br />
„SCHNELLER, SICHERER, LEICHTER, LEISER“<br />
Robert H. Schuster über die Zukunftsaussichten von Gummi als industriellem Werkstoff ............................. 68<br />
Die Organe der B&C Industrieholding, Portfolio der Gesellschaft, Kennzahlen ........................................ 72<br />
WIR INVESTIEREN IN TECHNISCHE UND INDUSTRIELLE INNOVATIONEN<br />
Thomas Zimpfer, Geschäftsführer der B&C Innovation Investments .................................................. 74<br />
1) ab Mai 2017 50,0 % + 2 Aktien Impressum ........................................................................................................... 76
Wir sind die B&C.<br />
nicht im Bild: Brigitte Trebos<br />
Silvia Wieselmayer<br />
Edina Németh-Kóczán<br />
Hannah Hanfstingl<br />
Sonja Reichinger<br />
Johannes Stefan<br />
Bernd Schlegl<br />
Michael Glock<br />
Andreas Schmidradner<br />
Alexander<br />
Moser- Parapatits<br />
Sigrid Engleitner<br />
Alexander Steffel<br />
Felix Strohbichler<br />
Thomas Zimpfer<br />
Patrick F. Prügger<br />
Nora Dvorak<br />
Petra Preining<br />
Mariella Schurz
Die Industrie in der postfaktischen Gesellschaft ist ein<br />
Thema, das uns natürlich beschäftigt, auch wenn das<br />
Generalthema dieses <strong>Jahrbuch</strong>es „Unternehmertum und<br />
Innovation“ lautet. Tatsächlich haben wir jetzt nach<br />
vielen Jahren der heftigen, unvorhersehbaren oder nicht<br />
vorhergesehenen Volatilitäten an den Finanz- und Weltmärkten<br />
in nahezu allen wesentlichen Marktregionen<br />
wirtschaftliches Wachstum zu verzeichnen. Die politischen<br />
Spannungen und die von dort ausgehenden oder<br />
latenten Störungen sind es jedoch, die global tätige Unternehmen<br />
– so auch die Mehrheitsbeteiligungen der B&C-<br />
Gruppe – herausfordern und ein ständiges Ausbalancieren<br />
zwischen Umsetzung der langfristigen Unternehmensstrategie<br />
und kurzfristiger Opportunität erfordern.<br />
So „postfaktisch“ uns Ereignisse wie Brexit oder die Wahl<br />
von Donald Trump zum Präsidenten der USA erscheinen<br />
mögen, als Unternehmenseigner haben wir solche<br />
Ereignisse und deren Folgen als Marktbedingungen zur<br />
Kenntnis zu nehmen.<br />
Wir wissen um die Verflechtung zwischen gesellschaftlichen<br />
Entwicklungen und Wirtschaftspolitik und sind<br />
daher gut beraten, uns auf beginnende Re-Nationalisierungstendenzen,<br />
Protektionismus und Abschottung von<br />
Märkten einzustellen. Das Pendel schwingt nach vielen<br />
Jahren der zunehmenden Globalisierung wieder einmal<br />
zurück. Im Verbund mit den Auswirkungen der Digitalisierung<br />
auf die Medienindustrie und dem Siegeszug der<br />
sogenannten sozialen Medien wirken Überforderung,<br />
Alarmismus und Ängste stark auf die Gesellschaft und die<br />
verantwortlichen Politiker und bedrängen Vernunft und<br />
Zuversicht. Die ganz klar dokumentierte Erkenntnis, dass<br />
der Freihandel und die Globalisierung der Wirtschaft<br />
mehr Wohlstand in die Welt und insbesondere nach Europa<br />
gebracht haben, ist heute nur schwer vermittelbar. Welch<br />
Phänomen!<br />
Tatsächlich gibt es auch Globalisierungsverlierer: Menschen<br />
zum Beispiel, die als Folge der Veränderung abrupt aus<br />
ihren langfristigen Lebensplänen gerissen werden und es<br />
schwer haben, mit einer veralteten Ausbildungsrüstung<br />
in neuen beruflichen Herausforderungen zu bestehen, die<br />
ihnen die Bewahrung ihres Status sichern. Hier ist es die<br />
Aufgabe der binnenstaatlichen Solidargemeinschaft, nicht<br />
nur kurzfristig und nicht nur mit Transferzahlungen,<br />
sondern langfristig sinnvolle und sinnstiftende Abhilfe zu<br />
schaffen.<br />
Was kann getan werden, um die europäischen Gesellschaften<br />
auf den steten Wandel vorzubereiten? Es ist nach<br />
unserer Meinung die ureigene staatliche Infrastruktur-<br />
Jahresbrief<br />
des Stiftungsvorstandes<br />
aufgabe, zeitgemäße Bildungs- und Ausbildungsangebote<br />
zu entwickeln, die für die ganze Bevölkerung – auch für<br />
Zuwanderer – Chance, aber auch Verpflichtung sind.<br />
Zeitgemäße Bildung umfasst nicht nur berufs- und fachspezifische<br />
Informationen und Fertigkeiten, sondern auch<br />
Allgemeinbildung, die dazu beiträgt, die Zeit, in der wir<br />
leben, in Grundzügen zu verstehen. Verständnis benötigen<br />
wir in erster Linie für wirtschaftliche Zusammenhänge, die<br />
Organisation des Staates und die Verteilung der Rechte<br />
und Pflichten innerhalb der Gemeinwesen sowie für die<br />
unterschiedlichen Formen der internationalen Zusammenarbeit.<br />
Je weniger das Wissen um komplexe Zusammenhänge<br />
gepflegt wird, umso mehr werden „einfache“<br />
Lösungen verführerisch wirken. Diese gefährden jedoch<br />
schnell unsere Wettbewerbsfähigkeit und unseren<br />
Wohlstand. Populismus und Re-Nationalismus sind keine<br />
tragfähigen Gegenkonzepte für das staaten- und erdteilübergreifend<br />
vielfältig verflochtene System, das wir zur<br />
Gewährleistung unser aller Sicherheit und Wohlstand<br />
für möglichst viele entwickelt haben.<br />
Die Grenzen dieser Globalisierung liegen offensichtlich<br />
in der Aufnahme- und Verarbeitungskapazität von uns<br />
Individuen, und die Filterung aller möglichen Informationen,<br />
deren Flut uns überfordert, muss wohl erst gelernt<br />
werden. Sonst werden zu viele Inhalte relevant, deren<br />
Einordnung in unser Orientierungssystem nicht mehr<br />
möglich ist. Dies ist wohl eine mögliche Miterklärung der<br />
Tendenz zu vom Volk selbst gewählten Spitzenpolitikern<br />
mit populistischen und totalitären Anwandlungen – nicht<br />
nur in Übersee, sondern auch in unserer unmittelbaren<br />
Nachbarschaft. Die überforderte postfaktische manipulierte<br />
Gesellschaft delegiert möglichst viele Pflichten, aber<br />
auch Rechte an heilsbringende nationale Überväter!<br />
Angesichts dieser Entwicklungen sehen wir es als Aufgabe<br />
von Führungskräften, mit Mut, Zuversicht und Weltoffenheit<br />
ihre Unternehmen zu führen und konsequent weiter<br />
zu entwickeln, um Veränderungen – auch disruptive –<br />
möglichst frühzeitig erkennen und nützen, vielleicht<br />
sogar mitgestalten zu können. Diese Haltung prägt unsere<br />
Arbeit für die Mehrheitsbeteiligungen unserer Gruppe.<br />
In diesem Sinne freuen wir uns über Entwicklungen in<br />
unserer Gruppe, z. B. die Eröffnung des neuen Kaltwalzwerkes<br />
der AMAG in Ranshofen. Mit einem Volumen<br />
von mehr als 550 Millionen Euro zählt das Investitionsprogramm<br />
der AMAG zu den allergrößten, die in den<br />
vergangenen Jahren an einem österreichischen Industriestandort<br />
verwirklicht wurden. Die neuen Walzkapazitäten<br />
müssen in den kommenden 40 Jahren profitabel ausgelastet<br />
werden, und das zeigt das Vertrauen, das wir in die<br />
Wachstumsperspektiven der AMAG, aber vor allem auch<br />
in das Team haben, das die Entwicklung des Unternehmens<br />
vorantreibt und für die Zukunft prägt.<br />
Lenzing hat nach schwierigen Jahren, die vor allem durch<br />
massive Verschiebungen am Weltfasermarkt verursacht<br />
waren, wieder festen Tritt gefasst und ist auf gutem<br />
Wachstumskurs. Diese Wendung ist nicht zuletzt der<br />
neuen Strategie geschuldet, die auf umfassende Nachhaltigkeit<br />
als Werttreiber für den Absatz hochwertiger Fasern<br />
setzt, aber wie bei jedem Erfolg war auch das Momentum<br />
des günstigen Zeitpunkts ausschlaggebend. Es ist das<br />
Kennzeichen der tüchtigen Unternehmensführer, dass sie<br />
damit auch richtig umgehen können.<br />
Bei Semperit bieten sich nun das Erfordernis und die Chance,<br />
eine neue strategische Positionierung zu entwickeln. So<br />
erfreulich sich das Industriegeschäft in Europa bereits entwickelt<br />
hat, so sehr bietet es auch Potenzial für die Überseemärkte,<br />
während das Segment Sempermed selbstkritisch<br />
reflektiert werden muss. Der Aufsichtsrat hat zuletzt rasch<br />
und konsequent die Weichen gestellt, damit die Unternehmensgruppe<br />
von der Spitze her erneuert werden kann.<br />
Die B&C-Gruppe kann auf 16 Jahre erfolgreicher Steigerung<br />
ihrer industriellen Substanz zurückblicken. Auch<br />
in den kommenden Jahren wird der Fokus auf der nachhaltigen<br />
Entwicklung der Werthaltigkeit und der Ertragskraft<br />
unserer Beteiligungen liegen. Die von der B&C<br />
entsandten Aufsichtsräte haben die Aufgabe, gemeinsam<br />
mit den Vorständen, die klug und umsichtig auszuwählen<br />
sind, die Unternehmen in ihrer Entwicklung zu begleiten.<br />
Um den intensiven Dialog mit den Vorständen auch in<br />
den technischen Fachbereichen auf Augenhöhe führen zu<br />
können, wird in der B&C Industrieholding ein technisches<br />
Kompetenzzentrum unter Führung eines international<br />
erfahrenen Technologen und Managers eingerichtet werden.<br />
Die B&C-Gruppe als eine junge muss eine lernende<br />
Organisation bleiben! Das gilt nicht nur für die B&C<br />
Innovation Investments GmbH, die die Aufgabe hat, aus<br />
der schier unendlichen Zahl von Start-up-Unternehmen<br />
jene zu identifizieren und zu fördern, die nachhaltig<br />
industrierelevant sind. Wir sind davon überzeugt, dass die<br />
gegenseitige Befruchtung zwischen etablierten Industrieunternehmen<br />
und jungen kreativen Unternehmern jene<br />
Innovationen generieren kann, die künftige Wertschöpfung<br />
und das Bestehen von Industrieunternehmen in der<br />
Zukunft ermöglichen.<br />
Wir wollen uns bei den vielen Menschen bedanken, die<br />
unseren anspruchsvollen Weg begleiten und ihren Beitrag<br />
zu unserem Erfolg leisten. Aus der Zusammenarbeit in<br />
gegenseitigem Respekt schöpfen wir Zuversicht für die<br />
Bewältigung aller weiter auf uns zukommenden Herausforderungen.<br />
WOLFGANG HOFER<br />
Mitglied des Stiftungsvorstandes<br />
6<br />
7
WOLFGANG HOFER<br />
Stiftungsvorstand<br />
„Gut gerüstet<br />
für die Umbrüche<br />
THOMAS ZIMPFER<br />
Geschäftsführer<br />
einer digitalen Welt“<br />
Wie Disruption und Innovation zusammenhängen, was Europa von<br />
den USA lernen kann und weshalb die B&C Innovation Investments<br />
GmbH für Gründer von Technologie-Unternehmen ein attraktiver<br />
Partner ist: Wolfgang Hofer und Thomas Zimpfer im Gespräch.<br />
Alles spricht von Disruption. Künftig<br />
scheint kein Stein auf dem anderen<br />
zu bleiben. Haben wir Grund zur<br />
Furcht oder zur Eile?<br />
WOLFGANG HOFER: Nicht alles, was<br />
als Disruption bezeichnet wird, ist<br />
wirklich disruptiv. Eine echte Disruption<br />
geschieht unvorhergesehen und<br />
ungeplant. Sie reißt Märkte, bisherige<br />
Anbieter von ähnlichen Produkten<br />
und Konsumenten aus ihren eingefahrenen,<br />
gewohnten Bahnen. Ein<br />
Beispiel dafür ist das mittlerweile<br />
überholte Format SMS. Dieses Kurznachrichtensystem<br />
wurde ursprünglich<br />
für andere Zwecke eingerichtet.<br />
Völlig unbeabsichtigt ist daraus ein<br />
Weltschlager geworden, der nicht nur<br />
die klassische Postkarte und das Telegramm<br />
obsolet gemacht hat. Das SMS<br />
hat die Kommunikation überhaupt<br />
verändert, eigene Sprachstile haben<br />
sich entwickelt, die Gesellschaft<br />
interagiert anders als zuvor.<br />
THOMAS ZIMPFER: Mit dem Internet<br />
und der Digitalisierung leben wir in<br />
einem völlig neuen Universum, in dem<br />
der Mensch das Internet nicht mehr<br />
als Bei-Produkt nützt, sondern selbst<br />
ein Teil davon ist und es – gefühlt –<br />
„braucht“. Das empfinde ich als große<br />
Veränderung. Denken Sie an Amazon:<br />
In Deutschland kaufen schon heute<br />
44 von 60 Millionen Internetnutzern<br />
bei Amazon ein – das zu Lasten des<br />
stationären Ladengeschäfts. Im Konsumentenfokus<br />
stehen Angebotsbreite<br />
und „Convenience“ über der Kombination<br />
Verfügbarkeit/Schnelligkeit/<br />
Preistransparenz. Diese Logik verändert<br />
viele Industrien. In New York<br />
haben im Tourismus rund 3.000 Hotelangestellte<br />
ihren Job verloren, seit es<br />
Airbnb gibt. Im Automobilgeschäft<br />
stellen sich die Premium-Hersteller<br />
auf eine Neuordnung der Umsätze ein,<br />
wobei digitale Services an Bedeutung<br />
gewinnen und den Anteil des reinen<br />
Produktverkaufes relativieren. Bei<br />
Letzterem wird Eigentum (Stichwort:<br />
„Sharing“) durch die digitalen<br />
Möglichkeiten keine ausschließliche<br />
Konstante mehr sein. Die digitale Welt<br />
bringt also große Änderungen.<br />
Werden digitale Plattformen zur<br />
Basis für das Geschäft der Zukunft?<br />
HOFER: Die Digitalisierung wird<br />
überall Einzug halten, weil dadurch<br />
Prozesse effizienter und umfassender<br />
gestaltet werden können. Größere<br />
Aufgaben können besser und rascher<br />
bewältigt werden. Mit den Möglichkeiten<br />
zur Auswertung von Big Data<br />
entstehen neue Geschäftsmodelle, die<br />
wiederum disruptive Auswirkungen<br />
haben können. Schauen wir uns nur<br />
an, wie Big Data im US-Wahlkampf<br />
und bei der Brexit-Abstimmung <strong>2016</strong><br />
genutzt wurden: Die Stimmberechtigten<br />
konnten durch ihre Datenspuren,<br />
die sie im Internet hinterlassen,<br />
genau nach ihren Interessen, Vorlieben<br />
und Einstellungen gescreent und<br />
in klar differenzierte Gruppen unterteilt<br />
werden. Über individualisierte<br />
Facebook-Postings, E-Mails und SMS<br />
konnten sie ganz gezielt angesprochen<br />
werden, was zu einem – wie wir alle<br />
wissen – äußerst überraschenden<br />
Wahl- bzw. Abstimmungsergebnis<br />
geführt hat. Da haben wir die Disruption<br />
durch Digitalisierung sogar im<br />
politischen System. Dieses Beispiel<br />
zeigt global auch die Gefahrenseite<br />
auf. Gemeint ist Manipulation von<br />
digitalem Content. Mahnbeispiele<br />
gibt es im Wirtschaftsleben ebenso<br />
wie in grundlegenden Gesellschaftsfragen.<br />
Sehen Sie in disruptiven<br />
Auswirkungen auch Chancen?<br />
HOFER: Jede Veränderung in der<br />
Menschheitsgeschichte hat tendenziell<br />
zu einer Verbesserung und<br />
Weiterentwicklung geführt. Ich kenne<br />
niemanden, der heute lieber noch<br />
im Mittelalter leben wollte oder in<br />
den 1950er Jahren unmittelbar nach<br />
zwei verheerenden Weltkriegen. Es<br />
gibt natürlich so eine Art von Retro-<br />
Insignien – die sind auch ganz lustig,<br />
aber der Mensch strebt grundsätzlich<br />
immer nach vorne und möchte sich<br />
sein Leben erleichtern, einfacher,<br />
besser gestalten. Dazu bedient er sich<br />
der Technik und der Innovationen,<br />
die die Menschheit hervorbringt.<br />
Innovationen sind aber nur dann<br />
erfolgreich, wenn es auch jemanden<br />
gibt, der an sie glaubt, und dann<br />
Leute, die sie auch brauchen können.<br />
ZIMPFER: Und der mit der Geschwindigkeit,<br />
mit welcher Innovationen<br />
mittlerweile in unser Leben kommen,<br />
mithalten kann. Ich wurde 1983 geboren.<br />
Führe ich mir die Umbrüche vor<br />
Augen, die ich bisher erleben durfte,<br />
bin ich von der Geschwindigkeit, in<br />
der diese durch andere Technologien<br />
erneut ersetzt wurden, beeindruckt.<br />
Tendenziell geht es also schneller,<br />
als man es erwartet. Wer kauft sich<br />
zum Beispiel heute noch einen<br />
iPod, der vor nicht allzu langer Zeit<br />
bahnbrechend war? Heute ist der<br />
Musik-Player in jedem Smartphone<br />
integriert. Von diesen gibt es weltweit<br />
rund 1,5 Milliarden Stück, und<br />
sie sind in unserem Leben dominant.<br />
Man beobachte beispielsweise, ob<br />
sich Menschen beim Abendessen<br />
gegenseitig ansehen oder doch ihr<br />
Smartphone. Und weil Sie vorhin<br />
davon gesprochen haben, dass man<br />
an eine Innovation glauben muss:<br />
Es überrascht mich immer wieder<br />
zu hören, dass dies oder das „nie<br />
kommen wird“ oder es zumindest<br />
„ewig dauern wird, bis es kommt“.<br />
Tesla ist es gelungen, 370.000 Autos<br />
des neuen Modells „3“ zu verkaufen,<br />
das es noch nicht einmal gibt und<br />
8<br />
9
für das Menschen bereit sind, 3.000<br />
US-Dollar Anzahlung zu leisten.<br />
Der Hunger nach Neuem und die<br />
Wechselbereitschaft sind groß. Ich<br />
verweise nochmals auf den raschen<br />
Umstieg von konventionellen Handys<br />
auf Smartphones.<br />
Was muss Europa tun,<br />
um den Vorsprung, der den USA<br />
zugeschrieben wird, einzuholen?<br />
HOFER: Es ist kein Zufall, dass<br />
radikale Innovationen aus den USA<br />
kommen oder in den USA weiterentwickelt<br />
werden. Die technischen<br />
Grundlagen werden oft dort zwar<br />
nicht erfunden, aber deren Anwendung<br />
wird dort entschlossen und mit<br />
Fokus auf Tempo weiterentwickelt.<br />
Im Unterschied zu Europa herrscht<br />
in den USA ein besonders innovationsfreundliches<br />
Klima. Erinnern Sie<br />
sich an den New-Economy-Boom<br />
rund um die Jahrtausendwende.<br />
Da gab es zwar die große Internetblase,<br />
die mit lautem Knall geplatzt<br />
ist, doch nach zwei, drei weiteren<br />
Versuchen haben viele Unternehmen<br />
etwas sehr Vernünftiges zustande<br />
gebracht. Wohl auch deshalb, weil in<br />
den USA das Scheitern dazugehört und<br />
es fast schon ein Gütesiegel in jeder<br />
unternehmerischen Karriere ist. So<br />
wird sich auch der momentane Hype<br />
rund um Tesla zuerst einmal als Blase<br />
erweisen. Tesla ist eigentlich „retro“.<br />
Da wurde aus etwas technisch bereits<br />
Vorhandenem etwas „Stylisches“<br />
zusammengebastelt und ein großer<br />
Auftritt rundherum inszeniert.<br />
DR. WOLFGANG HOFER<br />
ist Vorstandsmitglied der B&C<br />
Privatstiftung, Vorsitzender des<br />
Aufsichtsrats der B&C Industrieholding<br />
GmbH und Partner bei<br />
Grohs Hofer Rechtsanwälte.<br />
ZIMPFER: In meinen Augen geht<br />
Tesla geschickt vor, indem das Unternehmen<br />
als Vorreiter mit einem Level<br />
2-3 Autopilot in Serie Nutzerdaten<br />
der Kunden sammelt. Das Innovative<br />
liegt für mich nicht im Design oder<br />
im Antriebskonzept, sondern in der<br />
Denkweise und Haltung von Tesla.<br />
Mit den Nutzerdaten, die Tesla heute<br />
wie kein anderer Hersteller sammelt,<br />
wird die Bestrebung verfolgt, einen<br />
nicht einfach aufholbaren Vorsprung<br />
gegenüber etablierten Autoproduzenten<br />
zu finden. Selbiges gilt für das<br />
Google-Projekt „Waymo“ – mit den vollautonomen<br />
Autos, die sich im Straßenverkehr<br />
bewegen, wurden bereits rund<br />
2 Millionen Meilen zurückgelegt. Der<br />
Wert liegt in den künftigen Services<br />
auf Basis der gewonnenen Daten.<br />
HOFER: Okay, autonomes Fahren<br />
braucht riesige Datenmengen. So<br />
gesehen ist das Konzept von Tesla<br />
bahnbrechend ...<br />
ZIMPFER: ... genauso wie das Drohnenprojekt<br />
von Amazon. In Europa lacht<br />
man darüber und kann sich nicht<br />
vorstellen, dass Pakete künftig von<br />
Drohnen zugestellt werden. Führt<br />
man sich insbesondere im ländlichen<br />
Bereich die Zustellung kleiner Postsendungen<br />
über weite Distanzen vor<br />
Augen, wird die Ratio erkennbar.<br />
Fragt man die Leute in den USA, hört<br />
man: „Na sicher kommt das! Bei uns<br />
arbeiten hervorragende Ingenieure<br />
an dem Projekt, und die Realisierung<br />
steht kurz bevor!“ Das ist ein völlig<br />
anderer Zugang. In Europa wird tendenziell<br />
zuerst erklärt, warum etwas<br />
nicht geht ...<br />
HOFER: ... natürlich! Man muss<br />
schließlich die Grenzen mitdenken!<br />
ZIMPFER: Aber genau da ist der<br />
Unterschied! Bei uns wird diskutiert,<br />
welche Straße man absperren könnte,<br />
um autonomes Fahren zu testen.<br />
In den USA ist im Handumdrehen<br />
gleich eine ganze Stadt (Mountain<br />
View, Kalifornien) dafür freigegeben.<br />
Aus meiner Sicht ist, wenn wir über<br />
Innovation und Disruption sprechen,<br />
außerdem das bereits von Dr. Hofer<br />
thematisierte Vorhandensein einer<br />
„Kultur des Scheiterns“ essenziell.<br />
Während man bei uns bisweilen das<br />
Gefühl hat, dass insgeheim auf das<br />
Scheitern eines Projektes gewartet<br />
wird, werden in den USA gerade jene<br />
Gründer von den Investoren ernst<br />
genommen, die bereits Misserfolge<br />
erfahren haben.<br />
HOFER: Scheitern ist eine wichtige<br />
Erfahrung, aber sie darf kein Dauerzustand<br />
werden. Mir gefällt der USamerikanische<br />
Zugang dazu: „Fail,<br />
but fail fast.“ Im Übrigen halte ich<br />
das europäische Modell so, wie es<br />
die letzten 50 bis 70 Jahre funktioniert<br />
hat, für eine Erfolgsgeschichte.<br />
Es gibt natürlich bei Weitem keine<br />
Garantie dafür, dass es so weitergeht.<br />
Aber müssen wir uns immer mit<br />
anderen vergleichen und mit anderen<br />
messen? Ich kann mich noch gut an<br />
den Japan-Hype erinnern. Heute ist<br />
einiges davon in den Unternehmen<br />
selbstverständlich, und kein Mensch<br />
redet mehr davon, dass es japanisch<br />
ist. Die Europäer können schon stolz<br />
auf das sein, was sie nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg erreicht und aufgebaut<br />
haben.<br />
ZIMPFER: Aus europäischer Perspektive<br />
frage ich mich nur: Bereiten wir<br />
uns – insbesondere ausbildungsseitig<br />
– auf das, was bevorsteht, richtig vor?<br />
Oder verkennen wir etwa die Tragweite<br />
der Umbrüche einer digitalen<br />
Welt? Ich bin ohne Krieg in einer<br />
absoluten Wohlstandsgeneration<br />
aufgewachsen, in einer Situation mit<br />
hohem Pro-Kopf-Einkommen und<br />
nahezu Vollbeschäftigung. Das könnte<br />
in gewisser Weise durch das, was jetzt<br />
auf uns zukommt, bedroht werden.<br />
Zur Ausbildung: In Schweden wird<br />
Programmieren in den Lehrplan<br />
von Schulen aufgenommen. Das ist<br />
aus meiner Sicht nicht als Luxus zu<br />
werten, sondern als Notwendigkeit,<br />
der vorausschauend begegnet wird.<br />
HOFER: Wenn man Entwicklung, die<br />
in der Menschheitsgeschichte immer<br />
schon da war und es weiterhin geben<br />
wird, schon an sich fürchtet, dann<br />
deshalb, weil man nicht darauf eingestellt<br />
ist. Man muss den Menschen<br />
beibringen, mit Veränderung umzugehen.<br />
Das war bisher immer die<br />
Leistung Europas – die Anpassung<br />
an veränderte Gegebenheiten. Und<br />
Innovation ist in diesem Gefüge nur<br />
eine Bedrohung für jene, die nicht<br />
bereit sind, mit der Veränderung<br />
mitzugehen.<br />
ZIMPFER: Damit sind wir bei einem<br />
der Beweggründe, warum die B&C<br />
das Projekt „Innovation Investments“<br />
(<strong>BC</strong>II) gestartet hat. Wir wollen<br />
über unsere Start-up-Investments<br />
technisch affine und vorausschauende<br />
Gründer nicht nur finanziell<br />
unterstützen, sondern diese an<br />
Unternehmen heranführen und ihnen<br />
eine Schnittstelle zu etablierten<br />
Unternehmen bieten. Zielsetzung<br />
ist, einen Mehrwert für alle Parteien<br />
zu erschließen: Im Idealfall erhalten<br />
Start-ups über den Investor <strong>BC</strong>II<br />
nebst Kapital wertvolle Vertriebskontakte<br />
– und etablierte Unternehmen,<br />
an die wir Start-ups heranführen,<br />
im Umkehrschluss den Zugang zu<br />
„Innovationsmotoren“.<br />
Wie sieht Ihre Vision für die B&C<br />
Innovation Investments aus?<br />
ZIMPFER: Wir wollen als Investor an<br />
der Schnittstelle zwischen Old und<br />
New Economy agieren. In unserem<br />
Fokus stehen erfolgshungrige<br />
technisch-/softwareseitig versierte<br />
Gründer, die einen langfristig orientierten<br />
Risikokapitalgeber suchen,<br />
um soliden Aufbau zu betreiben.<br />
HOFER: Risikokapital muss man aber<br />
vorher erst einmal verdient haben,<br />
um es einsetzen zu können. Das darf<br />
nicht vergessen werden.<br />
MAG. THOMAS ZIMPFER<br />
ist Geschäftsführer der B&C<br />
Innovation Investments GmbH<br />
und Beteiligungsmanager bei<br />
der B&C Industrieholding GmbH.<br />
Wie gehen Sie denn mit dem Thema<br />
Gründer-Finanzierung um?<br />
HOFER: Gründer sollten sich zunächst<br />
einmal mit ihrem Geschäftsmodell<br />
beschäftigen und nicht nur mit<br />
der Finanzierung. Es ist Aufgabe der<br />
B&C-Gruppe, das Geld, das wir durch<br />
klassisches Wirtschaften im Rahmen<br />
der Old Economy erarbeiten, auch ins<br />
Risiko zu stellen und innovative Investments,<br />
von denen niemand vorher<br />
weiß, ob sie wirklich je den Ertrag<br />
bringen, den sie möglicherweise<br />
versprechen, zu unterstützen. Dabei<br />
geht die B&C Privatstiftung selbstverständlich<br />
mit Bedacht vor. Wir ziehen<br />
nicht mit dem Sesterzenkübel durchs<br />
Land und werfen den am Wegrand<br />
lagernden Gründern Brosamen zu.<br />
Wir arbeiten und wirtschaften nach<br />
unseren Überzeugungen und haben<br />
einen Qualitätsanspruch. Bisher sind<br />
wir damit sehr gut gefahren.<br />
ZIMPFER: Um einen nennenswerten<br />
Beitrag zur Entwicklung von Start-ups<br />
zu leisten, greift es zu kurz, wenn ein<br />
Investor lediglich Kapital bereitstellt.<br />
Aus unserer Sicht sind zwei Gesichtspunkte<br />
relevant: Bei uns steht Flexibilität<br />
an erster Stelle. Gründer sollen<br />
nicht schon beim Einstieg unter dem<br />
Exit-Zwang stehen – also dem Gedanken,<br />
etwas realisieren zu müssen, was<br />
es im Wert noch gar nicht gibt. Dazu<br />
begleiten wir den Gründer längerfristig,<br />
soweit erforderlich, und wirtschaftlich<br />
sinnvoll, auch über mehrere<br />
Finanzierungsrunden und sehen einen<br />
wesentlichen Wert in der Tatsache,<br />
dass wir in keinem „Fonds-Korsett“<br />
stecken. Als Partner wollen wir mit<br />
den Gründern das „Mittelständler-<br />
Plus“ aufbauen. Die Dimension des<br />
Plus liegt in der Fantasie des Einzelnen.<br />
Aufgrund dieser Haltung können<br />
wir uns auch vorstellen, investiert zu<br />
bleiben. Zweitens ist es unser Ziel,<br />
Gründer wie dargestellt insbesondere<br />
auf der Vertriebsseite mit einem attraktiven<br />
Ökosystem zu vernetzen. Die<br />
B&C hat aufgrund ihres Kerngeschäfts<br />
ein Umfeld, das dabei äußerst hilfreich<br />
ist. Das sind die beiden Werthebel, die<br />
wir umlegen.<br />
Gibt es bestimmte Kriterien für eine<br />
Beteiligung durch die B&C?<br />
ZIMPFER: Es müssen zwei Fragen<br />
klar mit „ja“ beantwortet werden<br />
können: „Löst die Geschäftsidee ein<br />
brisantes Problem so, dass vorstellbar<br />
ist, dass das angestrebte Geschäft<br />
Potenzial für profitables Wachstum<br />
hat?“ und „Trauen wir es den handelnden<br />
Personen zu, dass sie diese<br />
große Herausforderung erfolgreich<br />
umsetzen können?“ Die oft gestellte<br />
Frage, ob das Start-up schon heute<br />
Umsatz macht, ordnen wir den eben<br />
genannten Punkten unter.<br />
HOFER: Was uns grundsätzlich<br />
motiviert hat, uns der Start-up- und<br />
Early-Stage-Szene zuzuwenden, ist<br />
der unprätentiöse unternehmerische<br />
Zugang der Gründer. Diese Leute<br />
sind bescheiden und sparsam, weil<br />
sie um ihr eigenes Geld laufen und<br />
sehen, dass jeder Euro von irgendwo<br />
herkommen muss.<br />
ZIMPFER: Wir versuchen auch,<br />
unseren Respekt den Gründern gegenüber<br />
zum Ausdruck zu bringen. Auch<br />
wenn es selbstverständlich anmutet:<br />
Jeder, der an uns herantritt, erhält Aufmerksamkeit<br />
und offenes Feedback.<br />
Dieses wird von Gründern geschätzt,<br />
auch wenn es kritisch ausfällt.<br />
Fortsetzung auf Seite 13<br />
10<br />
11
MARIELLA SCHURZ<br />
Generalsekretärin B&C Privatstiftung<br />
Mariella Schurz –<br />
Verstärkung für die B&C Förderaktivitäten<br />
Die B&C Privatstiftung ist seit vielen Jahren<br />
im Bereich der wirtschaftsnahen Forschungsförderung<br />
in Österreich aktiv. Dazu zählt insbesondere<br />
der „Houskapreis“, einer der größten<br />
privaten Forschungspreise des Landes. Die B&C<br />
förderte zuletzt auch Projekte zur Forschungsvermittlung<br />
an österreichischen Schulen mit dem<br />
eigenen „Bildungspreis“ sowie laufend Studien,<br />
Publikationen und Fachveranstaltungen.<br />
Zur weiteren Umsetzung und Fortentwicklung<br />
solcher Projekte hat die B&C Privatstiftung mit<br />
1. Mai 2017 ein Generalsekretariat eingerichtet<br />
und Dr. Mariella Schurz mit dessen Leitung<br />
betraut. Ziel ist, damit die Grundlagen für den<br />
weiteren Ausbau der Stiftungsaktivitäten zu<br />
verstärken.<br />
ERICH HAMPEL<br />
Vorsitzender des Stiftungsvorstandes<br />
Mariella Schurz, bereits seit 2012 für die B&C<br />
Industrieholding als Prokuristin tätig, hat<br />
schon bisher als verantwortliche Organisatorin<br />
des Houskapreises wesentliche Beiträge zu<br />
den Förderaktivitäten der B&C Privatstiftung<br />
geleistet.<br />
Als Generalsekretärin vertritt sie die B&C<br />
Privatstiftung nach außen gegenüber öffentlichen<br />
Einrichtungen, Institutionen und Medien und<br />
ist in Abstimmung mit dem Stiftungsvorstand<br />
für die strategische Weiterentwicklung der<br />
Förderaktivitäten verantwortlich.<br />
Fortsetzung von Seite 11<br />
Gründer sind typischerweise sehr<br />
selbstkritische und wissbegierige<br />
Menschen, die in der Regel mit zwei<br />
Engpässen zu kämpfen haben: Zum<br />
einen ist das der Kapitalbedarf, zum<br />
anderen ist es die Herausforderung,<br />
die eigene Zeit richtig zu investieren,<br />
die richtigen Leute und den richtigen<br />
„Use Case“ zu finden, der sich skalieren<br />
lässt. Die Form, wie Gründer<br />
priorisieren, beeindruckt mich regelmäßig.<br />
Daran kann man sich ein<br />
Beispiel nehmen. Als Investor agieren<br />
wir übrigens nicht mit ausgefahrenen<br />
Ellenbogen in Bezug auf andere Investoren<br />
und Partner. Jeder weitere Investor,<br />
der die Erfolgsaussichten für<br />
den Gründer heben kann, ist uns ein<br />
willkommener Partner. Idealerweise<br />
ist dieser vom Fach, also aus dem<br />
technisch-industriellen Bereich, und<br />
steuert einen klaren Mehrwert bei.<br />
Wie ist das Verhältnis zwischen<br />
Start-up-Szene und etablierten<br />
Unternehmen?<br />
HOFER: Start-ups machen, was in<br />
etablierten Unternehmen schon fast<br />
an Untreue grenzen würde: Eine<br />
Gruppe von Menschen in einem nichthierarchischen<br />
Umfeld hat die Möglichkeit,<br />
ohne vorgegebenes Erfolgsziel<br />
und ohne Erfolgskontrolle aktiv<br />
zu werden und einmal zu schauen,<br />
was daraus wird. Solche Strukturen<br />
in etablierten Unternehmen zu installieren<br />
und Risikokapital im eigenen<br />
Unternehmen bereitzustellen ist ein<br />
schwieriges Unterfangen. Einfacher<br />
ist es, das Benötigte zuzukaufen –<br />
nach dem Motto „Innovation durch<br />
Akquisition“. Natürlich verändern<br />
sich auch etablierte Unternehmen,<br />
eine ständige evolutionäre Innovation<br />
ist ja notwendig, um Unternehmen<br />
am Markt zu halten.<br />
WAS BEDEUTET EIGENTLICH ...?<br />
DISRUPTION: Darunter ist eine Innovation zu verstehen, die ein<br />
bestehendes Produkt, eine bestehende Technologie, ein bestehendes<br />
Produktionslayout oder eine bestehende Dienstleistung stark schwächt<br />
bzw. vollständig vom Markt verdrängt.<br />
INNOVATION: Sie definiert sich als ein gezielter Veränderungsprozess<br />
hin zu etwas Erstmaligem, Neuem, das erfolgreich Anwendung findet<br />
und den Markt durchdringt (Diffusion).<br />
DISRUPTIVE INNOVATION: Eine solche spricht neue Märkte oder<br />
neue Kundengruppen durch eine radikale Änderung der Produkte bzw.<br />
Leistungen an.<br />
START-UP: Darunter ist ein junges Unternehmen mit einer innovativen<br />
Geschäftsidee und dem Ziel zu verstehen, stark zu wachsen und einen<br />
hohen Unternehmenswert zu erreichen.<br />
Gibt es Synergien zwischen Ihrer Welt<br />
und jener Ihrer Kernbeteiligungen?<br />
ZIMPFER: Die B&C Innovation<br />
Investments darf man nicht so verstehen<br />
oder gar derart beschränken,<br />
dass es eine Scouting-Plattform für<br />
die Kernbeteiligungen der B&C wäre.<br />
Sie ist eine Plattform, die Technologie-Gründer<br />
als Investor unterstützt<br />
und mit der etablierten Industrie<br />
vernetzt. Wenn eine Vernetzung<br />
möglich ist, weil sie inhaltlich sinnvoll<br />
erscheint, dann bieten wir diese<br />
an. Es obliegt aber den Vorständen<br />
und Verantwortlichen der Kernbeteiligungen,<br />
zu beurteilen, ob sie möglichen<br />
Projekten Potenzial beimessen.<br />
Welche sind Ihre Ziele für die B&C<br />
Innovation Investments?<br />
ZIMPFER: Entscheidend ist, den<br />
bestehenden Qualitätsfokus beizubehalten.<br />
Das bedeutet, dass Investments<br />
nur getätigt werden, wenn wir<br />
vom Geschäftscharakter und dem<br />
Gründerteam vollumfänglich überzeugt<br />
sind. Nur mit diesem Anspruch<br />
können wir unsere finanziellen wie<br />
personellen Ressourcen nach bester<br />
Überzeugung einsetzen. Außerdem<br />
möchte ich unter Beweis stellen, dass<br />
Flexibilität und Mehrwert durch die<br />
industrielle Vernetzung der B&C-<br />
Gruppe die Erfolgswahrscheinlichkeit<br />
von Start-ups deutlich anheben kann.<br />
Vielen Dank für das Gespräch.<br />
12<br />
13
B&C Privatstiftung: Erhalt der Forschung und Entwicklung in Österreich<br />
Schnittstelle zwischen<br />
Universitäten und Wirtschaft<br />
Dem Forscherteam rund um Stefan Pogatscher ist es<br />
gelungen, die atomaren Vorgänge in der Frühphase der<br />
Aushärtung von Aluminiumlegierungen grundlegend<br />
zu beschreiben und daraus ein neues Legierungsdesign<br />
abzuleiten. So konnte eine neue Methode zur maßgeblichen<br />
Verkürzung der Wärmebehandlungszeit und<br />
Verbesserung der Materialeigenschaften erarbeitet und<br />
in die betriebliche Praxis umgesetzt werden. „Wir freuen<br />
uns sehr über den Gewinn des Houskapreises und die<br />
öffentliche Anerkennung unserer Forschungsleistungen.<br />
Montanuniversität Leoben<br />
gewinnt mit einem Projekt<br />
zu Aluminiumlegierungen<br />
Kategorie „Universitäre Forschung“<br />
UNIV.-ASS. PROF. STEFAN POGATSCHER, Montanuniversität Leoben<br />
Mit unserem Projekt zeigen wir, dass die Kooperation<br />
von wissenschaftlicher Forschung mit Partnern aus der<br />
Wirtschaft zu praxisrelevanten Ergebnissen führt“, freut<br />
sich Stefan Pogatscher über den Hauptpreis in Höhe von<br />
150.000 Euro.<br />
VIDEO<br />
MANIPULATION DER HÄRTUNGSKINETIK<br />
VON ALUMINIUM<br />
B&C | JAHRBUCH <strong>2016</strong> | B&C PRIVATSTIFTUNG<br />
Houskapreis-Gala <strong>2016</strong>:<br />
Professor Burkhard Göschel,<br />
Brigitte Trebos (B&C),<br />
Moderatorin Nina Ruge,<br />
Mariella Schurz (B&C)<br />
Der Houskapreis der B&C Privatstiftung zählt zu den größten privaten<br />
Forschungspreisen in Österreich.<br />
Im Jahr 2005 wurde der Forschungspreis der<br />
B&C Privatstiftung mit der Intention ins Leben<br />
gerufen, die finanziellen Grundlagen für Innovation<br />
und Forschung in Österreich zu verbessern.<br />
Darüber hinaus wollte man damit den Wirtschaftsstandort<br />
Österreich nachhaltig stärken.<br />
Mit einer Dotierung von 400.000 Euro ist der<br />
Houskapreis einer der größten privat vergebenen<br />
Forschungspreise Österreichs. Prämiert werden<br />
herausragende Projekte in der universitären<br />
Forschung, seit <strong>2016</strong> in einer zusätzlichen Kategorie<br />
auch Forschung und Entwicklung in KMU.<br />
Hier werden Forschungsprojekte ausgezeichnet,<br />
die sich aufgrund radikaler Innovation nachhaltig<br />
positiv auf das Unternehmen auswirken.<br />
AUSGEZEICHNETE FORSCHUNG<br />
AUF SPITZENNIVEAU<br />
Seit seinem Bestehen hat der Houskapreis über<br />
3 Millionen Euro an Fördergeldern ausgeschüttet,<br />
rund 340 Forschungsprojekte wurden bislang<br />
eingereicht. Die Bewertung der Projekte und<br />
die Ermittlung der Sieger erfolgen zweistufig<br />
durch eine international anerkannte Fachjury<br />
und zwei renommiert besetzte Fachbeiräte. Im<br />
Jahr <strong>2016</strong> wurden 34 Projekte aus der Kategorie<br />
„Universitäre Forschung“ eingereicht, in der<br />
neuen Kategorie „Forschung & Entwicklung<br />
in KMU“ gingen insgesamt 28 Forscherteams<br />
um die begehrte Auszeichnung ins Rennen.<br />
Mittlerweile wohnen über 300 Top-Entscheidungsträger<br />
aus Wirtschaft und Forschung der<br />
feierlichen Preisverleihung im Frühjahr bei, der<br />
Houskapreis hat sich in den vergangenen elf<br />
Jahren zu einer Art österreichischem „Forschungs-<br />
Oscar“ entwickelt.<br />
HOUSKAPREIS-GALA <strong>2016</strong><br />
In der <strong>2016</strong> neu geschaffenen Kategorie für KMU konnte<br />
sich das Wiener Unternehmen Marinomed gegen starke<br />
Konkurrenz durchsetzen. Dem Biotechnologieunternehmen<br />
gelang es, eine wirksame Therapie gegen Schnupfen<br />
und grippale Infekte zu entwickeln. Der innovative<br />
Inhaltsstoff aus Rotalgen wirkt dabei gezielt gegen Viren,<br />
die die Atemwege infizieren. Eva Prieschl-Grassauer von<br />
Marinomed zeigt sich von der Anerkennung begeistert:<br />
„Wir sind überglücklich, diese wichtige Auszeichnung als<br />
allererstes Unternehmen erhalten zu haben, denn sie ist<br />
Marinomed gewinnt als erstes KMU mit<br />
einer Therapie gegen grippale Infekte<br />
Kategorie „Forschung und Entwicklung in KMU“<br />
DR. EVA PRIESCHL-GRASSAUER, Marinomed Biotechnologie GmbH<br />
eine Wertschätzung für unser Engagement. Wir freuen<br />
uns, dass die B&C Privatstiftung mit der neuen Kategorie<br />
nun auch die außeruniversitäre Forschungsarbeit von<br />
KMU anerkennt.“ Marinomed konnte den Forschungspreis<br />
in Höhe von 150.000 Euro entgegennehmen.<br />
VIDEO<br />
THERAPIE GEGEN SCHNUPFEN<br />
UND GRIPPALE INFEKTE<br />
DIE NOMINIERTEN FÜR DEN HOUSKAPREIS <strong>2016</strong> IN DEN KATEGORIEN UNIVERSITÄRE FORSCHUNG<br />
SOWIE FORSCHUNG & ENTWICKLUNG IN KMU FINDEN SIE HIER.<br />
14<br />
15
„Österreich braucht<br />
einen Digitalisierungssprung.“<br />
Sein Name steht für technologischen Fortschritt in der Automobilbranche<br />
und Exzellenz in der Führung von zukunftsorientierten<br />
Industriekonzernen: Professor Burkhard Göschel über die Bedeutung<br />
von Emotionalität und Markenführung in Zusammenhang mit Innovation<br />
und Digitalisierung.<br />
Ich wurde kürzlich zu einem Interview eingeladen<br />
und sollte – ganz nach „Ratgeber-Manier“ –<br />
auf Fragen antworten wie „Wodurch zeichnet<br />
sich eine innovative Marke aus?“ oder „Wie<br />
kann man Innovationen strategisch aus der<br />
Marke heraus fördern?“ Schön wär’s, wenn die<br />
Welt so einfach wäre und sich unternehmerische<br />
Innovation nach Kochrezept produzieren ließe.<br />
Innovationen gibt es nicht auf Bestellung, sie<br />
fallen nicht vom Himmel und sie sind nicht –<br />
auch wenn das eingefleischte Ingenieure nicht<br />
hören wollen – bloßes Ergebnis von technischem<br />
Genie, das ohne Kooperation mit Partnern<br />
auskommt.<br />
INNOVATION IST EINE FRAGE DER HALTUNG<br />
Damit Innovation stattfinden kann, braucht es<br />
zuallererst einmal eines: die richtige Kultur<br />
und Haltung innerhalb des Unternehmens.<br />
Innovation ist ein Prozess, der in den Köpfen<br />
der Menschen beginnt. Und er braucht Vorstellungskraft.<br />
Innovativ erfolgreiche Unternehmen<br />
sind in der Lage, eingefahrene Grundmuster<br />
zu verlassen und neu zu denken. Sie können<br />
sich heute schon vorstellen, was ihre künftigen<br />
Kunden wollen und brauchen, was sie begeistern<br />
und überraschen könnte – freilich immer<br />
mit dem Risiko, mit dieser Einschätzung auch<br />
einmal daneben zu liegen. Das ist die erste<br />
Voraussetzung, unter der Innovation sinnvoll<br />
stattfinden kann.<br />
Die zweite Voraussetzung: Innovativ erfolgreiche<br />
Unternehmen wissen genau, wofür sie<br />
stehen und sorgen dafür, dass auch ihre Kunden<br />
dies jederzeit wissen. An diesem Punkt kommt<br />
das Thema Markenführung ins Spiel. Wenn<br />
Produkte immer vergleichbarer werden oder<br />
die technische Differenzierung zunehmend<br />
schwierig wird, ist Markenführung unter<br />
Fokussierung auf Emotionalität immer stärker<br />
gefragt. Nehmen wir die Automobilindustrie<br />
als Beispiel: Ein Auto verkauft sich nicht mehr<br />
über die Rationalität technischer Features oder<br />
darüber, dass es bestimmte Abgaswerte gesetzeskonform<br />
einhält. Heute verkauft sich ein Auto<br />
über Emotionalität.<br />
STEIGEN SIE EINMAL IN EINEN TESLA EIN!<br />
Elon Musk macht uns das mit seinem Tesla<br />
richtig gut vor. Ihm ist es als erstem Autobauer<br />
gelungen, das Elektroauto als emotionales<br />
Objekt darzustellen und damit die Innovation<br />
an der Marke auszurichten. Die Frage nach dem<br />
Nutzen für den Kunden findet eine unmittelbar<br />
erlebbare Antwort. In diesem Auto passt die<br />
Architektur, der Innenraum ist freigeräumt,<br />
man hat Platz, der Wagen ist leise und sanft, hat<br />
aber trotzdem Power und schiebt. Die Marke<br />
Tesla repräsentiert, was die Emotionalität, das<br />
Wertegefüge der Interessenten widerspiegelt<br />
und deshalb das Produkt absolut begehrenswert<br />
macht.<br />
BURKHARD GÖSCHEL<br />
Innovationsexperte<br />
B&C | JAHRBUCH <strong>2016</strong> | B&C PRIVATSTIFTUNG: ERHALT DER FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG IN ÖSTERREICH<br />
16<br />
17
PROFESSOR DR. BURKHARD GÖSCHEL<br />
ist Maschinenbauer von der TU München. Promoviert hat er<br />
an der Universität Stuttgart. Seine Industrielaufbahn begann<br />
er als Ingenieur im Bereich Motorenentwicklung der Daimler-<br />
Benz AG. Nach seinem Wechsel zu BMW arbeitete er unter<br />
anderem maßgeblich an der Entwicklung des ersten BMW-<br />
Dieselmotors und des V12-Motors. Ab 1993 entstanden unter<br />
seiner Führung das Sondermodell Z3 Coupé, das Forschungsfahrzeug<br />
Z13, der BMW X5, der Supersportwagen Z8, der Range<br />
Rover und der Mini. Von 2000 bis 2006 zeichnete Professor<br />
Göschel bei BMW als Vorstandsmitglied für die Bereiche Entwicklung<br />
und Einkauf verantwortlich. In diese Zeit fiel auch die<br />
Verantwortung für das BMW-Formel-1-Programm. Bei Magna<br />
International bekleidete er ab September<br />
2007 die Position des Chief Technology<br />
Officers und setzte sich vor allem für<br />
die Entwicklung von Elektroautos ein.<br />
Dr. Göschel ist Honorarprofessor an<br />
der TU Graz, Ehrendoktor und Ehrensenator<br />
der TU München und Mitglied<br />
der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften.<br />
Er ist bei der<br />
FIA Präsident der Kommission<br />
für alternative Antriebsformen<br />
im Motorsport und<br />
hat die Formula E ins Leben<br />
gerufen.<br />
Gleichzeitig muss Tesla, wie alle anderen<br />
Hersteller auch, schon heute antizipieren, was<br />
seine Kunden im Jahr 2035 wollen und wie<br />
deren Empfindungen in Zukunft sein werden.<br />
Das Umfeld wird zu diesem Zeitpunkt ein<br />
anderes sein, Lebensgewohnheiten werden<br />
sich bis dahin verändert haben. Das Thema<br />
Megacities, der Trend zum autonomen Fahren<br />
werden ihre Auswirkungen zeigen. Da muss<br />
bereits heute überlegt werden, wie die Marke in<br />
diese Zukunft mitgenommen werden kann bzw.<br />
inwieweit sie dann überhaupt noch am Produkt<br />
selbst festgemacht werden kann oder schon an<br />
der Dienstleistung, die das Produkt erbringt –<br />
Transport von A nach B unter Berücksichtigung<br />
individuell unterschiedlicher Bedürfnisse –,<br />
auszurichten ist.<br />
IMMER FÜR ÜBERRASCHUNGEN GUT<br />
Emotional aufgeladene Marken funktionieren<br />
übrigens auch in Industrien, die nicht direkt für<br />
den Endkunden produzieren. Nehmen wir als<br />
Beispiel ein Aluminiumunternehmen, das vom<br />
aktuellen Trend zu Alu-Verbundwerkstoffen<br />
profitieren möchte. Dieses Unternehmen<br />
transportiert über seine Marke idealerweise die<br />
Botschaft, dass sie „diejenigen sind, die immer<br />
schon für Problemlösungen gut waren und mit<br />
Innovationen überrascht haben“. Warum ist der<br />
„Aha-Moment“ wichtig? Kunden überraschen<br />
und deren künftige Bedürfnisse antizipieren<br />
zu können spielt vor allem im Hinblick auf die<br />
Digitalisierung der industriellen Wertschöpfungsketten<br />
eine entscheidende Rolle.<br />
Durch die Digitalisierung werden Entscheidungsprozesse<br />
ganz allgemein und Innovationsprozesse<br />
im Besonderen ungemein beschleunigt.<br />
Die Unternehmen müssen sich an deutlich<br />
kürzere Industriezyklen anpassen und ihre<br />
Flexibilität dramatisch hochfahren, um die<br />
Intelligenz ihrer Dienstleistung auch in Zukunft<br />
aufrechterhalten zu können. Dies geschieht<br />
freilich wieder auf der Basis gut abgesicherter<br />
Markenwerte und setzt – wie bei Innovation<br />
– den „richtigen“ Mindset im Unternehmen<br />
voraus. Dieser findet sich zuallererst in der<br />
Führungsetage. Wird das Thema Digitalisierung<br />
nicht von ganz oben aktiv und vor allem mit<br />
Überzeugung vorangetrieben, muss jeder<br />
Digitalisierungsprozess unweigerlich scheitern.<br />
NÜTZT EUER POTENZIAL!<br />
Wenn Sie mich nun fragen, ob die österreichische<br />
Industrie aus meiner Sicht einen Digitalisierungssprung<br />
braucht, so lautet meine<br />
Antwort ganz klar: „Ja! Und zwar dringend!“<br />
Es geht bei diesem Sprung nicht darum, zu<br />
Deutschland, das immer wieder als Vorreiter<br />
und europäisches Zugpferd zitiert wird, aufzuschließen.<br />
Es geht darum, einen eigenen Weg<br />
über den Vergleichsmaßstab Deutschland<br />
hinaus zu finden. Das muss das Ziel sein!<br />
Wie kann es erreicht werden? Die Industrie<br />
muss sich maßgeblich an der universitären<br />
Forschung beteiligen und in ihren eigenen<br />
Unternehmen die Begeisterung wecken, für die<br />
Kunden der Zukunft etwas Überraschendes tun<br />
zu wollen. Das Potenzial dazu hat Österreich!<br />
Nützt es bitte!<br />
„Wissen Sie, warum das<br />
iPhone so erfolgreich war?<br />
Apple hat Sie gezwungen,<br />
Ihr Gerät zu streicheln.<br />
Damit hat man über die<br />
Berührung unbewusst<br />
eine Beziehung zu diesem<br />
Gegenstand entwickelt.<br />
Deshalb vertraut man<br />
diesem Produkt und will<br />
es nicht missen.“<br />
BURKHARD GÖSCHEL<br />
B&C | JAHRBUCH <strong>2016</strong> | B&C PRIVATSTIFTUNG: ERHALT DER FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG IN ÖSTERREICH<br />
18<br />
19
www.facebook.com/Bildungspreis<br />
www.twitter.com/<strong>BC</strong>Stiftung<br />
„Mehr Wirtschaft,<br />
weniger Geografie.“<br />
Anlässlich des 15-jährigen Bestehens der Stiftung<br />
wurde <strong>2016</strong> der Bildungspreis der B&C Privatstiftung<br />
zur Förderung der Forschungsvermittlung an österreichischen<br />
Schulen und Bildungseinrichtungen<br />
vergeben. Wie wichtig solche Initiativen für das<br />
Lernen von Kindern und Jugendlichen sind, skizziert<br />
AHS-Lehrer und Juror Mag. Heribert Pröbstl.<br />
Welche Relevanz haben Forschungsprojekte<br />
für das Lernen in der Schule?<br />
HERIBERT PRÖBSTL: Grundsätzlich<br />
halte ich jedes Projekt, das Wissen<br />
mit praktischem Tun, Erfahrung-Sammeln<br />
und sozialem Lernen verknüpft,<br />
für sehr sinnvoll. Praktisch lässt sich<br />
das leider nicht so einfach umsetzen.<br />
Es müssen Lehrpläne eingehalten,<br />
Lehr- und Lernziele erreicht und ein<br />
bestimmtes Pensum an fachlichem<br />
Wissen muss vermittelt werden.<br />
Dem steht oft der vergleichsweise<br />
große Zeitaufwand für Projekte entgegen.<br />
Außerdem erfordert Projektarbeit<br />
viel zusätzliches Engagement<br />
von Lehrerinnen und Lehrern. Da<br />
wägt man natürlich ab, welche Prioritäten<br />
man setzt.<br />
Lernen Schülerinnen und Schüler<br />
mit Projekten besser?<br />
PRÖBSTL: Die Verbindung von<br />
Praktischem und Theoretischem ist<br />
gut und hilfreich. Projekte dürfen<br />
aber nicht bloß der Bespaßung dienen.<br />
Das kognitive Lernen, also der<br />
Erwerb von grundlegendem Wissen,<br />
muss weiterhin im Vordergrund<br />
stehen. Was nützt ein lustiges, tolles<br />
Projekt, wenn es den Schülerinnen<br />
und Schülern an Basiswissen mangelt<br />
und sie die Möglichkeiten des Projekts<br />
deshalb gar nicht ausschöpfen<br />
oder für sich nützen können?<br />
Was gehört für Sie zum Basiswissen?<br />
Ist das ein unveränderlicher<br />
Bildungskanon oder darf es da<br />
schon einmal Anpassungen geben?<br />
PRÖBSTL: Aus meiner langjährigen<br />
Erfahrung als Lehrer für Geografie<br />
und Wirtschaftskunde:<br />
Es ist notwendig, wesentliche Grundkenntnisse<br />
der physischen Geografie<br />
und der Topografie zu besitzen,<br />
daneben sollen auch bevölkerungsgeografische<br />
Entwicklungen und<br />
Auswirkungen verstanden werden.<br />
Es ist aber für das zukünftige Leben<br />
der Schülerinnen und Schüler enorm<br />
wichtig, wirtschaftliche Zusammenhänge<br />
und Entwicklungen in der<br />
Volks- und Betriebswirtschaftslehre<br />
zu verstehen und erklären zu können.<br />
Daher glaube ich, dass die wirtschaftlichen<br />
Aspekte noch mehr in den<br />
Vordergrund rücken sollten.<br />
„Gamification“, also das Integrieren<br />
von spielerischen Elementen zur<br />
Motivationssteigerung, ist ein neuer<br />
Trend in der Lernwelt. Ihre Meinung<br />
dazu?<br />
PRÖBSTL: Es kommt weniger auf<br />
aktuelle Trends als auf einen klugen<br />
Methodenmix an. Das Einbeziehen<br />
von spielerischen Elementen an sich<br />
ist nichts Neues. Jedes Baby und<br />
Kleinkind lernt spielerisch. Neu ist<br />
jetzt das Einbeziehen von elektronischen<br />
Geräten wie Smartphones.<br />
Wenn ich in meiner Klasse aber<br />
immer nur auf digitale Präsentationsund<br />
Arbeitsmedien setze, finden das<br />
meine Schülerinnen und Schüler<br />
bald langweilig. Da wird dann zum<br />
Beispiel ein alter Diaprojektor wieder<br />
unglaublich interessant. Was lernen<br />
wir daraus? Auf einen ausgewogenen,<br />
vielfältigen Methodenmix kommt es<br />
an – nicht auf das Hinterherlaufen<br />
irgendwelcher Trends.<br />
Wären Sie für die Gestaltung von<br />
Lehrplänen zuständig: Worauf würden<br />
Sie am meisten achten?<br />
PRÖBSTL: Für mich ist die fächerübergreifende<br />
Komponente sehr<br />
wichtig. Diese würde ich forcieren<br />
und die Lehrpläne entsprechend<br />
noch stärker als bisher aufeinander<br />
abstimmen. Außerdem würde ich<br />
die Lehrpläne von Lehrerinnen und<br />
Lehrern machen lassen, die aktiv in<br />
den Klassen unterrichten. Sie kennen<br />
die Gegebenheiten und Bedürfnisse<br />
in den verschiedenen Schultypen und<br />
Altersstufen am besten – sie sind ja<br />
täglich unmittelbar „dran“. Ich würde<br />
auch verstärkt auf Projektarbeit setzen,<br />
denn das ist eine hervorragende<br />
Möglichkeit für die Schülerinnen und<br />
Schüler, ihre Stärken und Schwächen<br />
herauszufinden und danach ihre<br />
weitere Schul- und Berufswahl zu<br />
treffen.<br />
MAG. HERIBERT PRÖBSTL<br />
ist Lehrer für Geografie und Wirtschaftskunde<br />
am Haydngymnasium<br />
in Wien 5, Reinprechtsdorfer<br />
Straße. Der Didaktiker verfügt<br />
über mehr als 39 Jahre Berufserfahrung<br />
als AHS-Lehrer, hat während<br />
seiner Laufbahn innovative<br />
Medienpakete für den Einsatz im<br />
Unterricht entwickelt und war in<br />
der Lehrerfortbildung engagiert.<br />
Im Rahmen des Bildungspreises<br />
der B&C Privatstiftung zeichnete<br />
Mag. Pröbstl als Juror für<br />
die Auswahl der Siegerprojekte<br />
mitverantwortlich.<br />
JETZT KONZEPTE UND PROJEKTE EINREICHEN:<br />
BILDUNGSPREIS<br />
DER B&C PRIVATSTIFTUNG<br />
150.000 EURO<br />
FÜR FORSCHUNGS-<br />
VERMITTLUNG<br />
IN BILDUNGS-<br />
EINRICHTUNGEN<br />
www.bcprivatstiftung.at<br />
JUNG, ZUKUNFTSORIENTIERT UND HOCH DOTIERT: Das ist der Bildungspreis<br />
der B&C Privatstiftung, der <strong>2016</strong> anlässlich des 15-jährigen Bestehens der<br />
Stiftung für innovative Projekte und Lehrmethoden zur Forschungsvermittlung<br />
an österreichischen Bildungseinrichtungen ausgeschrieben wurde.<br />
Jung, zukunftsorientiert und hoch erfreut waren die Gewinnerinnen und<br />
Gewinner auf den ersten drei Plätzen, die aus insgesamt 113 Einreichungen<br />
ausgewählt wurden und sich im Rahmen einer feierlichen Preisverleihung<br />
Mitte Oktober <strong>2016</strong> über ein Preisgeld von 30.000 Euro freuen durften. Die<br />
restlichen 120.000 Euro stellt die B&C Privatstiftung für die Umsetzung der 20<br />
besten Projekte zur Verfügung.<br />
PLATZ 1<br />
ORGANISATION: School of Education/Universität Salzburg<br />
PROJEKTZIEL: Kindern und Jugendlichen zwischen elf und 15 Jahren soll die<br />
Bedeutung von Bienen für den Erhalt unserer Lebenswelt nahegebracht werden.<br />
PLATZ 2<br />
ORGANISATION: Höhere Graphische Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt/Wien<br />
PROJEKTZIEL: Schülerinnen und Schüler ab sechs Jahren bereiten naturwissenschaftliche<br />
Inhalte interessant und attraktiv auf und stellen das Ergebnis<br />
als Video auf YouTube.<br />
PLATZ 3<br />
Projekt „Bee a Scientist“<br />
Der B&C<br />
Bildungspreis<br />
zum 15-jährigen<br />
Bestehen<br />
Projekt „Kinder und Jugendliche forschen auf YouTube“<br />
Projekt „Kinder in der Technik“<br />
ORGANISATION: Kooperation HTL Mössingerstraße mit Kindergärten/<br />
Klagenfurt<br />
PROJEKTZIEL: Unter der Anleitung von Jugendlichen bauen Kindergartenkinder<br />
ein Luftkissenfahrzeug oder ein Spielzeugtier. Dabei stehen das eigenständige<br />
Lernen, das Organisieren in der Klasse und die Eigenverantwortung<br />
der Jugendlichen im Vordergrund.<br />
WEITERE INFORMATIONEN<br />
ZUM B&C BILDUNGSPREIS FINDEN SIE HIER.<br />
B&C | JAHRBUCH <strong>2016</strong> | B&C PRIVATSTIFTUNG: ERHALT DER FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG IN ÖSTERREICH<br />
20<br />
21
Big Data –<br />
Fluch oder Segen?<br />
Unternehmen bewegen sich in einem<br />
wachsenden Spannungsfeld zwischen<br />
Informationstransparenz und<br />
Datenschutz. Was das für die Auskunftsund<br />
Verschwiegenheitspflichten<br />
von Vorständen und Aufsichtsräten<br />
in der Praxis bedeutet, wurde beim<br />
fünften Wiener Unternehmensrechtstag<br />
rege diskutiert.<br />
Dank moderner Technologien können Unternehmen in<br />
kürzester Zeit große Datenmengen sammeln, analysieren,<br />
verwerten und auf Knopfdruck bestimmten Empfängerkreisen<br />
zugänglich machen. Dies ermöglicht und erleichtert<br />
die Entscheidungsfindung und das Informieren relevanter<br />
Anspruchsgruppen im unternehmerischen Alltag.<br />
Gleichzeitig muss mit vertraulichen Daten absolut rechtskonform<br />
und verantwortungsvoll umgegangen werden –<br />
sowohl innerhalb als auch außerhalb des Unternehmens.<br />
Zu diesem Themenkomplex – Big Data und die gesellschaftsrechtlichen<br />
Auskunfts- und Verschwiegenheitspflichten<br />
– diskutierten rund 140 namhafte Rechts- und<br />
Wirtschaftsexperten aus ganz Österreich im Rahmen des<br />
Wiener Unternehmensrechtstages. Die Tagungsreihe<br />
geht auf eine Initiative der B&C Privatstiftung zurück<br />
und fand im Oktober <strong>2016</strong> bereits zum fünften Mal unter<br />
der fachlichen Leitung von Univ.-Prof. Dr. Susanne Kalss<br />
und Univ.-Prof. Dr. Ulrich Torggler statt. Antworten der<br />
beiden Experten auf vier Kernfragen der Tagung sind im<br />
nachstehenden Doppelinterview zusammengefasst.<br />
UNIV.-PROF. DR. ULRICH TORGGLER, LL.M.<br />
ist seit 2011 Professor am Institut für Unternehmens-<br />
und Wirtschaftsrecht an der Universität<br />
Wien. Davor sammelte er praktische Erfahrungen<br />
in einer großen Wiener Wirtschaftskanzlei und<br />
wechselte später auf einen Lehrstuhl für „Privates<br />
Recht der Wirtschaft“ an der Universität Innsbruck.<br />
Torggler ist Träger des Walther-Kastner-Preises<br />
sowie des Kardinal-Innitzer-Förderungspreises<br />
und unter anderem Herausgeber eines Standardwerkes<br />
zum GmbH-Gesetz.<br />
Durch die fortschreitende Digitalisierung gelangen Unternehmen<br />
an immer mehr Daten – Stichwort Big Data.<br />
Damit vergrößert sich das Spannungsfeld zwischen Transparenz<br />
und Schutz von vertraulichen Daten. Sind da Konflikte<br />
zwischen den Interessengruppen vorprogrammiert?<br />
ULRICH TORGGLER: Mit dem Umfang zugänglicher<br />
Informationen steigt nicht nur die Bedeutung von Sonderwissen,<br />
sondern naturgemäß auch das Geheimhaltungsinteresse<br />
daran. Das erzeugt Konflikte, insbesondere<br />
wenn Gesellschafter ein Interesse an einer vertraulichen<br />
Information haben, über die die Gesellschaft verfügt.<br />
Besonders häufig stellt sich das Problem im Konzern:<br />
Konzernobergesellschaften sind bei ihrer Konzernleitung<br />
auf Informationen aus den Tochtergesellschaften angewiesen.<br />
Einen Auskunftsanspruch gewährt ihnen der<br />
Gesetzeswortlaut bei Aktiengesellschaften aber nur in<br />
Bezug auf solche Informationen, die zur Konsolidierung<br />
erforderlich sind (vgl. § 247 Abs. 3 UGB).<br />
Für die Vertrauensbildung zwischen Unternehmen und<br />
Anspruchsgruppen ist die Weitergabe von Informationen<br />
essenziell. Ist über den Gesetzeswortlaut hinausgehender<br />
Wissenstransfer nötig?<br />
SUSANNE KALSS: Grundsätzlich ist es nicht sehr vertrauensbildend,<br />
wenn nur dann informiert wird, wenn<br />
man dazu verpflichtet ist. Information muss freiwillig und<br />
UNIV.-PROF. DR. SUSANNE KALSS, LL.M.<br />
ERICH HAMPEL<br />
Vorsitzender des B&C-Stiftungsvorstandes<br />
ist seit 2003 Professorin am Institut für Zivil- und Unternehmensrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien.<br />
Davor war sie Professorin für Privatrecht an der Universität Klagenfurt. Kalss ist darüber hinaus Veranstalterin<br />
des Österreichischen Aufsichtsratstages und des Familienunternehmertages sowie Herausgeberin der Fachzeitschrift<br />
„Der Gesellschafter (GesRZ)“, Herausgeberin des Buches „Handbuch für den Aufsichtsrat“, des Buches<br />
„Handbuch für den Vorstand“ und Autorin mehrerer Standardwerke im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht.<br />
über das vorgegebene Mindestmaß hinausreichend gegeben<br />
werden, um vertrauensbildend wirken zu können.<br />
Mit dieser Frage bewegen wir uns allerdings nicht mehr<br />
nur auf der sachlich-inhaltlichen Ebene von Information,<br />
sondern auch auf der Beziehungsebene zwischen den<br />
Anspruchsgruppen. Entscheidend ist hier die individuelle<br />
Betrachtungsweise von Information: Wird Information<br />
als etwas Einseitiges gesehen, als eine zum Beispiel vom<br />
Vorstand zum Aufsichtsrat gerichtete Einbahn, oder wird<br />
sie als Teil von Kommunikation gesehen? Dann wird aus<br />
dem einseitigen Wissenstransfer ein Austausch. Ob dieser<br />
Austausch möglich ist und Erfolg haben kann, hängt –<br />
neben den gesetzlichen Zulässigkeiten – vom Beziehungsverhältnis<br />
zwischen den Anspruchsgruppen ab.<br />
Inwieweit ist die Politik gefordert, einen fairen rechtlichen<br />
Rahmen zu entwickeln, der den Unternehmen Rechtssicherheit<br />
durch klare Regeln im Umgang mit Big Data<br />
gewährleistet?<br />
TORGGLER: Die Entwicklung interessengerechter und<br />
möglichst einfach handhabbarer Regelungen ist in erster<br />
Linie Aufgabe des Gesetzgebers. Gerade im gegebenen<br />
Zusammenhang sind oft Interessensabwägungen im<br />
Einzelfall erforderlich. Das erfordert Regeln, die einen<br />
gewissen Spielraum lassen und durch die Rechtsprechung<br />
konkretisiert werden müssen. Darunter leidet die Rechtssicherheit.<br />
Auch lehrt das Bank- und Kapitalmarktrecht,<br />
dass sehr detailreiche Regelungswerke zwar die Rechtssicherheit<br />
fördern mögen, aber einerseits doch nicht alle<br />
Zweifelsfragen beseitigen können und andererseits zu einer<br />
Unübersichtlichkeit der Rechtslage und einem hohen<br />
Compliance-Aufwand führen – Stichwort Normenflut.<br />
Bei börsenotierten Aktiengesellschaften lässt sich<br />
feststellen, dass institutionelle Investoren zunehmend<br />
das Gespräch mit dem Aufsichtsrat suchen. Wie verhält<br />
sich ein Mitglied des Kontrollorgans in einem solchen<br />
Fall, ohne strafrechtliche Konsequenzen befürchten zu<br />
müssen?<br />
KALSS: Es gibt in der Tat eine neue Entwicklung, die da<br />
heißt: „Let’s talk“ oder „Die Hauptversammlung ist tot,<br />
es lebe der Investorendialog!“ Institutionelle Investoren<br />
möchten nicht mehr nur mit dem Vorstand, sondern auch<br />
mit dem Aufsichtsrat ins Gespräch kommen. In Deutschland<br />
ist dazu bereits eine breite gesellschaftsrechtliche<br />
Diskussion im Gange. Grundsätzlich ist die Zulässigkeit<br />
dafür gegeben, dass ein Aufsichtsrat mit Aktionären ins<br />
Gespräch geht, allerdings darf dies nur unter Wahrung<br />
der Kompetenzregelungen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat<br />
und unter Wahrung der in der Geschäftsordnung<br />
vereinbarten Geheimhaltung erfolgen. So darf ein Aufsichtsrat<br />
zum Beispiel nicht mit einem Investor über die<br />
Geschäftspolitik des Unternehmens sprechen bzw. nur<br />
nach vorheriger Abstimmung mit dem Vorstand.<br />
B&C | JAHRBUCH <strong>2016</strong> | B&C PRIVATSTIFTUNG: ERHALT DER FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG IN ÖSTERREICH<br />
22<br />
23
B&C Industrieholding: Unternehmenswerte kontinuierlich steigern und langfristig entwickeln<br />
Im Geschäftsjahr <strong>2016</strong> wurde der Anteil der<br />
B&C-Gruppe an der Lenzing AG mit dem Verkauf<br />
eines Aktienpakets an institutionelle Investoren<br />
in einem ersten Schritt von 67,6 auf 62,6 Prozent<br />
leicht reduziert, im Mai 2017 erfolgte dann eine<br />
weitere Absenkung der Beteiligungsquote auf<br />
50 Prozent + 2 Aktien. Dadurch wurden der<br />
Freefloat und die Liquidität der Lenzing-Aktie<br />
wesentlich erhöht. Mit dem Mittelzufluss aus<br />
dieser Transaktion sowie aus Dividendeneinnahmen<br />
konnten die Liquiditätsreserve der<br />
B&C-Gruppe deutlich ausgebaut und der Handlungsspielraum<br />
für die Zukunft erweitert werden.<br />
Soferne sich eine attraktive, dem Stiftungszweck<br />
der B&C Privatstiftung entsprechende<br />
Investitionsmöglichkeit ergeben sollte, ist die<br />
B&C-Gruppe für die Akquisition einer etwaigen<br />
vierten Kernbeteiligung vorbereitet.<br />
Mit einem Investment in das auf Luftfahrt-<br />
Software spezialisierte österreichische Start-up<br />
Flightkeys setzte die für die Betreuung der Startup-Aktivitäten<br />
der B&C-Gruppe zuständige<br />
B&C Innovation Investments GmbH (<strong>BC</strong>II)<br />
<strong>2016</strong> einen ersten aktiven Schritt. Die <strong>BC</strong>II<br />
investiert in innovative Start-ups mit technologischem<br />
Hintergrund, die für die Industrie<br />
relevant sind. Im Fokus stehen engagierte<br />
Gründerteams, die die <strong>BC</strong>II als Investor und<br />
aktiver Gesellschafter begleitet.<br />
Bei den Kernbeteiligungsunternehmen haben wir<br />
unsere wachstumsorientierte Strategiearbeit<br />
fortgesetzt. Bei Lenzing wurde am bestehenden<br />
Standort in Mobile/Alabama (USA) mit der<br />
Errichtung einer hochmodernen Anlage mit<br />
einer Produktionskapazität von 90.000 Tonnen<br />
begonnen. Sie stellt das bislang größte<br />
TENCEL®-Faserwerk der Welt mit einem Investitionsvolumen<br />
von rund 275 Millionen Euro dar.<br />
In diese Anlage, die im ersten Quartal 2019 den<br />
Betrieb aufnehmen soll, werden die neuesten<br />
technologischen Erkenntnisse integriert.<br />
Bei Semperit wurde <strong>2016</strong> die Beendigung der<br />
gemeinsamen Handschuhproduktion mit der<br />
thailändischen Sri Trang-Gruppe vorangetrieben<br />
und Anfang 2017 zu einem für uns guten<br />
Abschluss gebracht. Für Semperit ergab sich<br />
Bericht<br />
der Geschäftsführung<br />
daraus ein Liquiditätszufluss von rund 200<br />
Millionen Euro, wodurch eine solide Grundlage<br />
für eine Reorganisation und die notwendige<br />
strategische Weiterentwicklung gegeben ist. Bei<br />
der AMAG ist das Standorterweiterungsprojekt<br />
„AMAG 2020“ vollumfänglich im vorgesehenen<br />
Budget- und Zeitplan und wird konsequent<br />
umgesetzt. Derzeit werden für die Entwicklung<br />
des Werkes in Ranshofen zum modernsten<br />
Standort der europäischen Aluminiumindustrie<br />
insgesamt rund 500 Millionen Euro investiert.<br />
Personell ist es <strong>2016</strong> zu einigen Veränderungen in<br />
den Kernbeteiligungsunternehmen gekommen:<br />
Nach einer umfassenden Rochade im Vorstand<br />
setzt sich das Führungsgremium von Semperit<br />
nun aus Martin Füllenbach, Frank Gumbinger<br />
und Michele Melchiorre zusammen. Damit<br />
ist das Unternehmen für künftige Aufgaben<br />
bestens aufgestellt und kann mit einer starken<br />
Mannschaft in die Zukunft schreiten. Im<br />
Semperit-Aufsichtsrat sind der promovierte<br />
Maschinen- und Kunststofftechniker Klaus F.<br />
Erkes und die Betriebswirtin Petra Preining als<br />
Controlling-Spezialistin eingezogen.<br />
Mit Heiko Arnold ist bei Lenzing seit Mai 2017<br />
zusätzlich ein Technik-Vorstand mit an Bord,<br />
der mit seinem umfassenden Know-how über<br />
den asiatischen Markt und den Bereich Anlagenerrichtung<br />
einen wesentlichen Beitrag zur<br />
weiteren Entwicklung des Unternehmens leisten<br />
wird. Er komplettiert das Führungsgremium, für<br />
das der Aufsichtsrat im März <strong>2016</strong> mit Thomas<br />
Obendrauf bereits einen kompetenten und<br />
erfahrenen Finanzvorstand gewinnen konnte.<br />
Im Einklang mit den Wachstumsplänen der<br />
B&C-Gruppe ist <strong>2016</strong> die personelle Verstärkung<br />
unseres eigenen Teams erfolgt. Insgesamt<br />
wurden vier neue Beteiligungsmanager mit zum<br />
Teil starkem technischen Background an Bord<br />
geholt.<br />
FELIX STROHBICHLER<br />
Geschäftsführer<br />
B&C Industrieholding<br />
Um der weiteren Professionalisierung der<br />
Aufsichtsratstätigkeit Rechnung zu tragen, die<br />
die zunehmende Globalisierung, Digitalisierung<br />
und Komplexität der Wirtschaft sowie neue<br />
rechtliche Regelungen erfordern, und um die<br />
Attraktivität von Aufsichtsratsmandaten im<br />
internationalen Vergleich zu erhöhen, haben<br />
wir die Tantiemen bei Lenzing und AMAG<br />
erhöht. Wir sind der Ansicht, dass ein angemessenes<br />
Vergütungsniveau nur dann gegeben ist,<br />
wenn der gesamte Aufsichtsrat in etwa so viel<br />
verdient, wie ein einfaches Vorstandsmitglied<br />
kostet.<br />
Für das Jahr 2017 und darüber hinaus sind wir<br />
zuversichtlich. Unsere Kernbeteiligungen sind<br />
solide aufgestellt und international wettbewerbsfähig.<br />
Wir bedanken uns bei unseren Mitarbeitern für<br />
ihre Leistungen, ihren unermüdlichen Einsatz<br />
und ihre hohe Motivation. Ebenso danken wir<br />
den Vorständen und Aufsichtsräten unserer<br />
Beteiligungsunternehmen für ihre gute Arbeit<br />
und das gemeinsame Festhalten an langfristigen<br />
Zielen. Unser Dank für ihre Unterstützung und<br />
ihr Vertrauen gilt außerdem unserem Aufsichtsrat<br />
und dem Vorstand der B&C Privatstiftung.<br />
PATRICK F. PRÜGGER<br />
Geschäftsführer<br />
B&C Industrieholding<br />
B&C | JAHRBUCH <strong>2016</strong> | B&C INDUSTRIEHOLDING<br />
24<br />
25
Nichts ist so beständig wie die<br />
Veränderung. Was hat sich aus Ihrer<br />
Sicht in den vergangenen Jahren für<br />
Aufsichtsräte verändert?<br />
FELIX STROHBICHLER<br />
„Digitalisierung<br />
Geschäftsführer<br />
ist eine strategische Aufgabe,<br />
kein IT-Thema.“<br />
Die beiden Geschäftsführer der B&C Industrieholding im Gespräch über neue<br />
Kompetenzanforderungen in Aufsichtsräten, das Reizwort „Regulierung“ und den<br />
Weg zu einem „1,5-Tier-System“.<br />
PATRICK F. PRÜGGER: Das ist<br />
ganz klar der Anspruch an die altersund<br />
gendermäßige Zusammensetzung<br />
sowie an die fachlichen und<br />
die persönlichen Kompetenzen im<br />
Aufsichtsrat. Für die Zukunft braucht<br />
es eine noch breitere funktionale Aufstellung<br />
nach den Fachbereichen Finanzen,<br />
Technik, Strategie (inklusive<br />
Digitalisierung) sowie Personal- und<br />
Organisationsentwicklung. Ein innovationsorientiertes<br />
Unternehmen<br />
aus der Industriebranche sollte im<br />
Aufsichtsrat jedenfalls einen international<br />
erfahrenen Techniker sitzen<br />
haben – auch wir müssen uns hier<br />
noch weiterentwickeln! Dieses Mehr<br />
an Kompetenzbreite bedeutet mehr<br />
Arbeit, mehr Aufwand und mehr<br />
Spezialisierung für jedes einzelne<br />
Aufsichtsratsmitglied sowie mehr<br />
Kommunikation und Abstimmung<br />
untereinander.<br />
FELIX STROHBICHLER: Aufsichtsräte<br />
sind mittlerweile viel näher am<br />
Unternehmen dran als früher und<br />
setzen sich deutlich stärker mit der<br />
Zukunftsfähigkeit von Geschäftsmodellen<br />
auseinander. Durch Globalisierung,<br />
Digitalisierung, Erhöhung der<br />
Komplexität wirtschaftlicher Prozesse<br />
und rechtlicher Rahmenbedingungen,<br />
aber auch durch geopolitische<br />
Veränderungen nehmen Chancen<br />
und Risiken der Geschäftstätigkeit zu.<br />
Dadurch ist die Art des Arbeitens im<br />
Aufsichtsrat anders geworden, es sind<br />
eine entsprechende Eindringtiefe und<br />
ein hoher zeitlicher Einsatz nötig.<br />
PATRICK F. PRÜGGER<br />
Geschäftsführer<br />
Wie einfach ist es, adäquate Kompetenzträger<br />
für den Aufsichtsrat zu<br />
finden, oder – provokant gefragt –<br />
wer tut sich das in Österreich noch<br />
freiwillig an, zumal die Aufsichtsratsvergütungen<br />
im österreichischen<br />
Durchschnitt weit vom internationalen<br />
Standard entfernt liegen?<br />
STROHBICHLER: Es ist eine Herausforderung,<br />
mit dem aktuellen Vergütungsniveau<br />
einen fachlich kompetenten,<br />
international erfahrenen Aufsichtsrat<br />
zu finden. Noch schwieriger<br />
wird es, wenn man einen Aufsichtsrat<br />
sucht, der noch aktiv in seiner beruflichen<br />
Karriere als Vorstand tätig ist.<br />
Eine anspruchsvolle, professionell ausgeführte<br />
Aufsichtsratstätigkeit ist für<br />
die meisten aktiven Manager zeitlich<br />
schwer mit ihrer Vorstandsaufgabe<br />
vereinbar und dann auch noch finanziell<br />
wenig attraktiv. Um entsprechende<br />
Kandidaten zu finden, arbeiten<br />
wir mit renommierten und international<br />
erfahrenen Personalberatern<br />
zusammen.<br />
Stichwort Zeit und Sorgfalt: Haben<br />
B&C-Aufsichtsräte Unterstützung<br />
bei der Vorbereitung von Sitzungen?<br />
STROHBICHLER: Wir bieten den<br />
externen Aufsichtsratsmitgliedern<br />
die B&C als Aufsichtsrats-Backoffice<br />
an und unterstützen dadurch bei<br />
der Vorbereitung von Aufsichtsratssitzungen,<br />
was auch gerne angenommen<br />
wird.<br />
Sind B&C-Aufsichtsräte dadurch<br />
besser informiert?<br />
PRÜGGER: Grundsätzlich muss die<br />
Devise der „gleichen Information für<br />
alle“ gelten. Aufsichtsräte, die für<br />
unsere Kernbeteiligungen arbeiten,<br />
haben durch den Backoffice-Support<br />
sicherlich einen umfassenderen<br />
Zugang zu relevanten Markt- und<br />
Wettbewerbsanalysen als so mancher<br />
ihrer Standeskollegen ohne diese<br />
Unterstützung durch die B&C. Unser<br />
äußerst leistungsstarkes Backoffice<br />
ermöglicht es den Aufsichtsräten,<br />
sich ein erweitertes Bild der Lage zu<br />
machen bzw. eine zusätzliche Sicht<br />
des Unternehmens zu entwickeln und<br />
damit in eine konstruktive Diskussion<br />
mit dem Vorstand zu gehen.<br />
B&C | JAHRBUCH <strong>2016</strong> | B&C INDUSTRIEHOLDING: UNTERNEHMENSWERTE KONTINUIERLICH STEIGERN UND LANGFRISTIG ENTWICKELN<br />
26<br />
27
Redet der Aufsichtsrat<br />
bei der Strategieentwicklung mit?<br />
STROHBICHLER: Klarerweise sind die<br />
Strategieausschüsse der Aufsichtsräte<br />
eng in die Strategieentwicklung<br />
eingebunden. Die Aufsichtsratsmitglieder<br />
können dort ihre Sichtweisen<br />
und Erfahrungen einbringen. Insbesondere<br />
bei der Strategiearbeit zeigt<br />
sich, dass eine entsprechende Diversität<br />
im Aufsichtsgremium und eine<br />
Zusammensetzung mit unterschiedlichen<br />
fachlichen Kompetenzen einen<br />
erheblichen Mehrwert bieten, da<br />
verschiedene Perspektiven von außen<br />
die Innensicht des operativ tätigen<br />
Vorstandes bereichern und erweitern.<br />
Die Umsetzung der erarbeiteten Strategie<br />
erfolgt dann selbstverständlich<br />
durch den Vorstand.<br />
Stichwort Regularien: Hier wird neuerdings<br />
durch das Abschlussprüfungsrechts-Änderungsgesetz,<br />
kurz APRÄG,<br />
noch mehr Einsatz des Aufsichtsrats –<br />
konkret im Prüfungsausschuss –<br />
gefordert als bisher. Wird „Regulierung“<br />
damit für Sie zum Reizwort?<br />
PRÜGGER: Bei diesem Thema schlagen<br />
zwei Herzen in meiner Brust.<br />
Zum einen ist ein klarer regulatorischer<br />
Rahmen für den Prüfungsausschuss<br />
eine zu begrüßende Entwicklung,<br />
weil damit eine gesetzliche<br />
Grundlage geschaffen wird, die<br />
Orientierung gibt und den Aufsichtsrat<br />
legitimiert – aber auch verpflichtet!<br />
–, das zu tun, was im Sinne einer<br />
aktiven Aufsichtsratstätigkeit zur<br />
Wertentwicklung des Unternehmens<br />
beiträgt. Das bedeutet aber nicht,<br />
dass wir bei der B&C aufgrund dieser<br />
gesetzlichen Weiterentwicklungen<br />
jetzt plötzlich mehr Aufgaben wahrnehmen<br />
oder vieles anders machen<br />
müssen als vorher. Wir haben schon<br />
bisher inhaltlich gemacht, was jetzt<br />
durch das Gesetz formal vorgeschrieben<br />
ist. Aufgrund unserer langfristig<br />
orientierten wirtschaftlichen Denkweise<br />
war dieses „Mehr“ immer<br />
schon ein wesentlicher und selbstverständlicher<br />
Grundsatz bei der B&C.<br />
FELIX STROHBICHLER<br />
ist seit Mai 2015 Geschäftsführer<br />
der B&C Industrieholding.<br />
Der gelernte Jurist begann seine<br />
berufliche Karriere als Rechtsanwaltsanwärter<br />
in Salzburg,<br />
bevor er im Jahr 2000 die Leitung<br />
der Rechtsabteilung der börsennotierten<br />
Palfinger AG übernahm.<br />
Bald avancierte er in das operative<br />
Geschäft und war schließlich als<br />
General Manager für die Absatzerfolge<br />
des Weltmarktführers für<br />
Ladekräne und andere Hebe-,<br />
Lade- und Handlingsysteme in<br />
Europa, Afrika und Naher Osten<br />
verantwortlich. Strohbichler ist<br />
Aufsichtsrat bei Lenzing und<br />
Semperit.<br />
Was ist für einen Aufsichtsrat<br />
„selbstverständlich“?<br />
PRÜGGER: Als Aufsichtsrat muss man<br />
in die Tiefe gehen und mit großer Sorgfalt<br />
und im Detail hinterfragen und<br />
arbeiten. Eine oberflächliche Prüfung<br />
und Beurteilung eines Jahresabschlusses,<br />
in dessen Rahmen beispielsweise<br />
ja auch die Effektivität von IKS- und<br />
Risikomanagement-Systemen zu<br />
bewerten ist, ist selbst bei bester und<br />
besonders langjähriger praktischer<br />
Erfahrung nicht ausreichend.<br />
Wofür schlägt Ihr zweites Herz beim<br />
Thema Regulierung?<br />
PRÜGGER: In Österreich fehlen nach<br />
wie vor die geeigneten Rahmenbedingungen<br />
für eine professionelle<br />
Aufsichtsratstätigkeit. Eine zentrale<br />
Frage ist die angemessene Vergütung.<br />
Und ich halte es für müßig, immer<br />
noch darüber diskutieren bzw. sich<br />
als quasi Berufsaufsichtsrat dafür<br />
rechtfertigen zu müssen. Wir reden<br />
hier von einer Größenordnung, bei der<br />
es bloß darum geht, dass das gesamte<br />
Aufsichtsratsgremium das verdienen<br />
soll, was ein einziges, einfaches Vorstandsmitglied<br />
verdient. Für die breite<br />
Öffentlichkeit klingt das nach viel,<br />
in Wahrheit ist es – verglichen mit<br />
internationalen Aufsichtsräten – im<br />
Kontext der gegebenen Verantwortung<br />
viel zu wenig.<br />
STROHBICHLER: Man hat hierzulande<br />
leider immer noch häufig das Bild vom<br />
Aufsichtsrat, der „nicht wirklich etwas<br />
tut“, viermal im Jahr zur Aufsichtsratssitzung<br />
kommt und dafür kräftig<br />
abkassiert. Viele Menschen wissen<br />
einfach nicht, was die Anforderungen<br />
an einen Aufsichtsrat sind, und auch<br />
qualifizierte Beobachter haben bedauerlicherweise<br />
nur ein eingeschränktes<br />
Verständnis dafür.<br />
Dann unternehmen wir doch einmal<br />
mehr den Versuch, Aufklärung zu betreiben:<br />
Was sind die Anforderungen<br />
an einen Aufsichtsrat, insbesondere<br />
im Prüfungsausschuss, und wo liegt<br />
derzeit das konkrete Problem damit?<br />
PRÜGGER: Laut APRÄG muss der<br />
Prüfungsausschuss nun in seiner<br />
Gesamtheit mit allen Aspekten des<br />
Unternehmens vertraut sein. Selbstverständlich!<br />
In der Praxis bedeutet<br />
das jedoch, dass es für den Prüfungsausschuss<br />
eine neue gesetzliche<br />
Regelung gibt, die deutlich mehr<br />
Arbeitsaufwand und Know-how-<br />
Einsatz für ihn bedeutet. Wie soll<br />
sichergestellt werden, dass sich der<br />
Prüfungsausschuss tatsächlich bis ins<br />
kleinste Detail „mit allen Aspekten<br />
des Unternehmens“ auskennt und das<br />
sowohl in einer ex ante- als auch einer<br />
ex post-Betrachtung angemessen<br />
dokumentiert ist? Müssen künftig<br />
Fit & Proper-Tests abgelegt werden,<br />
wie man das aus dem Bankenbereich<br />
kennt? Oder lädt sich die Aufsichtsbehörde<br />
als Gast in den Prüfungsausschuss<br />
ein, wie mir unlängst ein<br />
Berufskollege aus Holland erzählt<br />
hat? Ich frage mich ernsthaft: Wer tut<br />
sich in Zukunft noch die Tätigkeit im<br />
Prüfungsausschuss oder als Aufsichtsrat<br />
an, wenn die Rahmenbedingungen<br />
nicht passen? Da muss sich<br />
noch einiges ändern – ich könnte und<br />
würde diese Verantwortung ohne<br />
Unterstützung durch die B&C in dieser<br />
Form nicht wahrnehmen wollen.<br />
Könnte die Einführung eines<br />
One-Tier-Board-Systems<br />
die Lösung sein?<br />
STROHBICHLER: Diese Perspektive<br />
klingt zunächst einmal verlockend,<br />
denn in einem solchen System sind<br />
Aufsichtsräte näher am Geschäft dran<br />
und haben direkteren Zugang zu Informationen.<br />
Das ist eine eindeutige<br />
Stärke des One-Tier-Board-Systems.<br />
Allerdings überwacht sich in einer<br />
solchen Konstruktion das Board selbst,<br />
da es keine klare Trennung von<br />
Geschäftsführung und Kontrolle gibt.<br />
PRÜGGER: Ich denke, dass One- und<br />
Two-Tier-System in der gelebten<br />
Praxis im Rahmen der gesetzlichen<br />
Möglichkeiten zusammenwachsen<br />
werden – zu einer Art „1,5-Tier-<br />
System“, mit einer angemessenen<br />
Mischung aus Voll- und Teilzeitaufsichtsräten.<br />
Fragt sich halt nur, wer<br />
die Vollzeitaufsichtsräte angemessen<br />
entlohnt.<br />
PATRICK F. PRÜGGER<br />
ist seit Jänner 2011 Geschäftsführer<br />
der B&C Industrieholding<br />
und in erster Linie für<br />
die Finanzen der Gruppe verantwortlich.<br />
Er studierte Handelswissenschaften<br />
in Linz und<br />
erwarb bei KPMG eine Zulassung<br />
als Wirtschaftsprüfer in den<br />
USA. Für GE Medical Systems<br />
leitete er das Finanz- und Rechnungswesen,<br />
bevor er im Jahr<br />
2004 zuerst zum Finanzvorstand<br />
der Cross Beteiligungsgruppe<br />
und dann zum Finanzvorstand<br />
der KTM Power Sports AG<br />
berufen wurde. Prügger ist<br />
Aufsichtsrat bei AMAG, Lenzing<br />
und Semperit.<br />
Unabhängig vom System: Die voranschreitende<br />
Digitalisierung ist ein<br />
Megatrend, der alle Unternehmen<br />
betrifft. Besteht als Anforderung an<br />
künftige Aufsichtsräte, auch einen<br />
„Digitalisierungsexperten“ in ihrem<br />
Gremium zu haben?<br />
PRÜGGER: Digitalisierung ist für<br />
mich insbesondere auch ein Überbegriff<br />
für die Entstehung und<br />
Entwicklung neuer, möglicherweise<br />
auch disruptiver Geschäftsmodelle,<br />
das ist weit mehr als ein „IT-Trend“.<br />
Damit sind wir aber wiederum mitten<br />
in der Strategiediskussion. Die steht<br />
natürlich in der originären Verantwortung<br />
des Vorstandes, ist zentraler<br />
Bestandteil einer Unternehmens- und<br />
Führungskultur und als solche vom<br />
gesamten Aufsichtsrat zu begleiten<br />
und mitzudenken.<br />
STROHBICHLER: In vielen derzeit<br />
bestehenden Aufsichtsratsgremien<br />
wird dieses Thema vielleicht noch<br />
nicht von allen Mitgliedern mitgedacht<br />
bzw. fehlen hinsichtlich Alter<br />
und Diversität die Kompetenz oder<br />
Affinität, um diesen Aspekt und eine<br />
Sichtweise dazu einbringen zu können<br />
und die nötigen Impulse zu geben.<br />
PRÜGGER: Digitalisierung erfordert<br />
eine Weiterentwicklung der herkömmlichen<br />
Denkweisen. Ein Beispiel:<br />
Im Aufsichtsrat und Vorstand eines<br />
Automobilzulieferers sollte nicht nur<br />
diskutiert werden, wie viel Komponenten<br />
im Jahr X für den Kunden Y<br />
planmäßig zu erzeugen sind. Vielmehr<br />
sollte auch diskutiert werden,<br />
wie sich die Nutzergewohnheiten<br />
der Menschen im Jahr X verändert<br />
haben werden und wie viele Autos<br />
es dann überhaupt noch brauchen<br />
wird, wenn sich der Trend zu Carsharing<br />
– insbesondere auch im<br />
Kontext autonomer Mobilitätskonzepte<br />
– im urbanen Bereich<br />
verstärkt. Damit diese Diskussionen<br />
in Gang kommen, braucht es eine<br />
deutliche Weiterentwicklung des<br />
Mindsets von Vorständen und –<br />
mehr noch – von Aufsichtsräten,<br />
die diese Diskussion gegebenenfalls<br />
einfordern müssen.<br />
B&C | JAHRBUCH <strong>2016</strong> | B&C INDUSTRIEHOLDING: UNTERNEHMENSWERTE KONTINUIERLICH STEIGERN UND LANGFRISTIG ENTWICKELN<br />
28<br />
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„Ohne Fehlerkultur werden<br />
keine Innovationen geschaffen.“<br />
Dr. Andreas J. Ludwig, Sprecher des Vorstandes der Umdasch Group,<br />
im Gespräch mit Hans-Peter Siebenhaar über den richtigen Weg,<br />
wie Österreich wieder zur Spitze in Europa aufschließen kann.<br />
Herr Ludwig, der österreichische Psychotherapeut<br />
Alfred Adler sagte einst: „Die größte<br />
Gefahr im Leben ist, dass man zu vorsichtig<br />
wird.“ Ist Österreich in den vergangenen Jahren<br />
viel zu vorsichtig geworden?<br />
ANDREAS J. LUDWIG: Ein eindeutiges Ja. Wir<br />
verharren in zu großer Vorsicht. In der vergangenen<br />
Dekade hat uns der Mut etwas verlassen.<br />
Welchen Mut meinen Sie?<br />
LUDWIG: Den Mut, auf neue Herausforderungen<br />
proaktiv zu reagieren. Als Unternehmer beobachte<br />
ich, dass unser Land nur reagiert und<br />
zu wenig agiert. Als Konzernlenker habe ich<br />
gelernt, Herausforderungen anzunehmen und<br />
schnelle sowie richtige Antworten zu finden.<br />
Genau das fehlt aber derzeit in der österreichischen<br />
Gesellschaft.<br />
Sie sagten als Chef der Umdasch Group<br />
einmal: „Höchste Zeit, Altbewährtes auf den<br />
Prüfstand zu stellen, Systeme zu hinterfragen<br />
und Rollen neu zu definieren.“ Was für Ihr<br />
Unternehmen gilt, ist das auch für Österreich<br />
gültig?<br />
LUDWIG: Wir haben die besten Voraussetzungen<br />
in Österreich – geografisch, kulturell<br />
und historisch –, um beispielsweise von der<br />
Multikulturalität am Schnittpunkt zwischen<br />
West- und Osteuropa zu profitieren. Das hatten<br />
Sie ja auch in Ihrem Buch „Österreich – die<br />
zerrissene Republik“ dargestellt. Leider haben<br />
wir aber eine Passivität entwickelt, die wir uns<br />
angesichts des verschärften Wettbewerbs nicht<br />
leisten können. Wir müssen diese Passivität<br />
schleunigst überwinden.<br />
Was ist denn der größte Hemmschuh, damit<br />
Österreich das Mittelmaß verlässt und wieder<br />
an die Spitze in Europa kommt?<br />
LUDWIG: Wir haben Strukturen im öffentlichen<br />
Leben geschaffen, die sich selbst verwalten und<br />
auch selbst beschützen.<br />
Spielen Sie auf die Sozialpartnerschaft an?<br />
LUDWIG: Die Sozialpartnerschaft war früher<br />
ein sinnvolles Modell, um in Österreich soziale<br />
Sicherheit und Wohlstand zu fördern. Wir erleben<br />
aber gerade, dass sich die Partner mehr mit<br />
sich selbst beschäftigen, als ihrem eigentlichen<br />
Zweck zu dienen.<br />
Die misslungene Reform der Gewerbeordnung<br />
ist dafür ein Beispiel …<br />
LUDWIG: … in der Tat. Statt die Gewerbeordnung<br />
zu entrümpeln, werden am Ende noch<br />
mehr Gewerbe geschützt.<br />
Das Handwerk des Hufschmiedes wurde beispielsweise<br />
neu aufgenommen …<br />
LUDWIG: … ehrlich gesagt, man fühlt sich bei<br />
solchen Ergebnissen als Bürger und Unternehmer<br />
veräppelt. Wenn dann noch als Begründung<br />
kommt, die Wirtschaftskammer müsse schließlich<br />
auch von etwas leben, dann wird der<br />
Beweis geliefert, dass sie sich längst verselbständigt<br />
hat. Sie hat ihren ursprünglich guten<br />
Zweck vergessen, nämlich die Interessen der<br />
Wirtschaft zu vertreten.<br />
ANDREAS J. LUDWIG<br />
Sprecher des Vorstandes der Umdasch Group<br />
B&C | JAHRBUCH <strong>2016</strong> | B&C INDUSTRIEHOLDING: UNTERNEHMENSWERTE KONTINUIERLICH STEIGERN UND LANGFRISTIG ENTWICKELN<br />
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31
DR. HANS-PETER SIEBENHAAR<br />
ist deutscher Journalist und<br />
Buchautor. Er studierte in<br />
Erlangen, Kalamazoo (USA) und<br />
Madrid Politikwissenschaft,<br />
Theater- und Kommunikationswissenschaft,<br />
Soziologie sowie<br />
Neuere Geschichte. Nach beruflichen<br />
Stationen bei verschiedenen<br />
Medien wechselte Siebenhaar<br />
2000 zu Deutschlands<br />
führender Wirtschaftszeitung<br />
Handelsblatt, seit 2013 ist er<br />
dort Korrespondent für Österreich<br />
und Südosteuropa in Wien.<br />
Kürzlich veröffentlichte Siebenhaar<br />
das Buch „Österreich – Die<br />
zerrissene Republik“.<br />
Gibt es in Österreich zu häufig einen fatalen<br />
Konsens statt eines konstruktiven Dissens?<br />
LUDWIG: Der Versuch, immer einen Konsens<br />
finden zu wollen, führt zu einem Stillstand.<br />
Unsere Konsenskultur verhindert dringend<br />
notwendige Veränderungen. Der Status quo<br />
wird nur verwaltet. Im Unternehmen hingegen<br />
bin ich als CEO den kontroversen Austausch<br />
gewohnt. Dort kämpfen wir schließlich um die<br />
bestmögliche Lösung.<br />
Der österreichische Kabarettist Josef Hader<br />
mit seinem feinen Gespür für die hiesigen<br />
Verhältnisse sagt: „Große Ideen der einen,<br />
gepaart mit großen Ideen der anderen, zeugen<br />
Tatenlosigkeit.“ Wird diese Tatenlosigkeit nun<br />
allmählich überwunden?<br />
LUDWIG: Das Schlimme ist: Diese Tatenlosigkeit<br />
ist als Problemquelle längst erkannt und<br />
trotzdem passiert nichts. Wir sind wie Gefangene.<br />
Bislang hat die Politik noch keinen Weg<br />
gefunden, um uns aus dieser prekären Situation<br />
zu befreien.<br />
Fehlt in Österreich der politischen Elite der<br />
unternehmerische Mut?<br />
LUDWIG: Es gibt in der Politik keine Fehlerkultur.<br />
In der Wirtschaft und im Unternehmen<br />
ist Trial and Error hingegen unverzichtbar.<br />
Jeder Manager ist gefordert, Mut zu Entscheidungen<br />
aufzubringen, die nicht immer richtig<br />
sein müssen. Dann werden sie eben korrigiert.<br />
Ohne eine Fehlerkultur werden keine Innovationen<br />
geschaffen. Start-ups gäbe es übrigens<br />
auch nicht. In der Politik wird allerdings immer<br />
noch mit den Methoden des 20. Jahrhunderts<br />
ans Werk gegangen.<br />
Was muss denn geschehen, damit Österreich<br />
in einer globalisierten Welt wieder wettbewerbsfähiger<br />
wird?<br />
LUDWIG: Der größte Hebel, um die Wettbewerbsfähigkeit<br />
zu steigern, liegt in der Aus- und<br />
Weiterbildung. Das Thema Bildung ist unsere<br />
größte Herausforderung. Wir müssen künftig<br />
verstärkt unternehmerisches Denken und den<br />
Mut zu Neuem lernen. Umso früher das<br />
geschieht, umso besser. Viele Lerninhalte passen<br />
besser zum Traumberuf „Beamter“; wir sollten<br />
unsere Jugend motivieren und ertüchtigen, sich<br />
dem Wettbewerb der besten Ideen zu stellen.<br />
Zur Ökonomisierung der Gesellschaft gehört<br />
zweifellos die Bildung, aber auch die Sensibilisierung<br />
durch die Medien. Was mich als außen<br />
stehender Beobachter verblüfft, ist, dass<br />
beispielsweise die ORF-Nachrichten praktisch<br />
ohne Börsenberichterstattung auskommen.<br />
Das ist schon ziemlich einmalig in Europa.<br />
LUDWIG: Es wird häufig ein falsches Bild der<br />
Wirtschaft vermittelt. Oft wird der Eindruck<br />
erweckt, da bereichern sich ein paar Wenige.<br />
Es fehlen oft Grundkenntnisse über ökonomische<br />
Zusammenhänge. Dabei ist klar: Nur<br />
Unternehmen schaffen Arbeitsplätze und nicht<br />
Politik oder Verwaltung. In Österreich wird mit<br />
der Börse stets der Spekulant in Verbindung<br />
gebracht. Dabei hat es nichts mit Spekulation zu<br />
tun, wenn ich mir beispielsweise die Aktie eines<br />
tollen österreichischen Unternehmens gerade<br />
in der anhaltenden Niedrigzinsphase kaufe.<br />
Doch es gibt auch Ansätze, Österreich wieder<br />
als innovativen Wirtschaftsstandort nach vorne<br />
zu bringen. Die Regierung hat beschlossen, die<br />
Forschungsprämie ab 2018 zu erhöhen. Ist das<br />
nicht ein positives Signal?<br />
LUDWIG: Jede Art von Forschungsförderung ist<br />
gut. Da gibt es keinen Zweifel. Forschung und<br />
Entwicklung ist aus meiner Sicht der zweite<br />
Hebel – neben der Bildung –, um Österreich fit<br />
für die Zukunft zu machen. Die Förderung von<br />
Innovationen muss auf vielen Ebenen geschehen,<br />
um im Wettbewerb um den besten Standort in<br />
Europa nach vorne zu kommen. Auch der Staat<br />
selbst muss beispielsweise verstärkt in Grundlagenforschung<br />
investieren. Denn das können<br />
die Unternehmen nicht leisten.<br />
Welchen Beitrag können vor allem kleinere<br />
und mittlere Unternehmen leisten, damit<br />
Österreich aus der wirtschaftlichen Mittelmäßigkeit<br />
heraus kommt?<br />
DR. ANDREAS J. LUDWIG<br />
LUDWIG: Wir haben in Österreich exzellente,<br />
hoch motivierte Mitarbeiter und Manager. Das<br />
ist gerade in kleinen und mittleren Betrieben<br />
der Fall. Nun geht es darum, dass der Staat die<br />
Unternehmen entfesselt. Weniger Bürokratie<br />
und weniger Steuern werden unsere Unternehmen<br />
beflügeln. Und man muss dem Staat die<br />
üppigen Finanzmittel entziehen, damit er lernt,<br />
in Zukunft rationeller und effektiver zu arbeiten.<br />
Die Entbürokratisierung wird nur dann gelingen,<br />
wenn man das Geld für die Verwaltung kürzt.<br />
Das gilt auch für die Sozialpartner.<br />
promovierte in Rechtswissenschaften<br />
an der Uni Wien und<br />
trat 1986 in den Swarovski-<br />
Konzern ein. 15 Jahre war er in<br />
unterschiedlichen Funktionen an<br />
verschiedenen Konzernstandorten<br />
für das österreichische<br />
Unternehmen tätig. Anschließend<br />
wechselte er zur Investmentbank<br />
UBS Warburg und wurde später<br />
Vorstandsvorsitzender der börsenotierten<br />
Zumtobel AG. 2010<br />
übernahm Ludwig den Vorstandsvorsitz<br />
in der Umdasch Group AG.<br />
Der Konzern im Familienbesitz<br />
mit der Unternehmenszentrale im<br />
niederösterreichischen Amstetten<br />
ist weltweit führend in der Schalungstechnik<br />
sowie im Ladenbau.<br />
B&C | JAHRBUCH <strong>2016</strong> | B&C INDUSTRIEHOLDING: UNTERNEHMENSWERTE KONTINUIERLICH STEIGERN UND LANGFRISTIG ENTWICKELN<br />
32<br />
33
Ist der Schmerz in Österreich noch nicht groß<br />
genug, um die Reset-Taste zu drücken?<br />
LUDWIG: Offenbar ist der Leidensdruck noch<br />
nicht groß genug. Als Unternehmer weiß ich<br />
allerdings, wenn erst die Not zu radikalen Veränderungen<br />
führt, ist es oft schon zu spät. Die<br />
politischen Kräfte sollten sich jetzt gemeinsam<br />
anstrengen, um mit grundlegenden Reformen<br />
das Land zu modernisieren. Wir als Unternehmer<br />
müssen daher den Druck auf die Regierung<br />
weiter erhöhen, damit die Verantwortlichen<br />
endlich zur Tat schreiten.<br />
„Wir dürfen nicht nur<br />
jammern, sondern müssen<br />
aktiv die Menschen im Land<br />
motivieren und Orientierung<br />
in der derzeitigen industriellen<br />
Revolution geben.“<br />
Erfolgreiche Volkswirtschaften weltweit<br />
zeichnen sich in meiner Wahrnehmung<br />
dadurch aus, dass es zwischen ökonomischer<br />
und politischer Elite einen engen und kontinuierlichen<br />
Informations- und Meinungsaustausch<br />
gibt. Die Schweiz, aber auch Deutschland<br />
sind dafür Beispiele. Wie steht es darum<br />
in Österreich?<br />
LUDWIG: Der Dialog unter dem früheren<br />
Bundeskanzler Werner Faymann war extrem<br />
schwach. Unter seinem Nachfolger Christian<br />
Kern gibt es zumindest den Versuch, die<br />
Sprachlosigkeit aufzuheben. Das ist ein Fortschritt.<br />
Trotzdem sind wir noch weit von<br />
einem in ten siven Austausch zwischen Politik<br />
und Wirtschaft entfernt.<br />
Was ist dann das Problem?<br />
LUDWIG: Am Ende passiert nichts. Die Untätigkeit<br />
ist das Problem in Österreich. Es liegen<br />
genügend kluge Konzepte auf dem Tisch. Jetzt<br />
muss die Politik die Erkenntnisse endlich auch<br />
umsetzen und anwenden.<br />
Österreich ist quasi umzingelt von Ländern<br />
mit hohem Wirtschaftswachstum: Tschechien,<br />
die Slowakei, selbst Slowenien und Ungarn.<br />
Die deutsche Konjunkturlokomotive steht<br />
unter Volldampf. Beflügelt die Nachbarschaft<br />
auch die Wirtschaftsdynamik im Alpenland?<br />
LUDWIG: Die konjunkturelle Entwicklung<br />
im Jahr 2017 ist ermutigend. Wir spüren den<br />
Schwung aus Deutschland und anderen Nachbarländern<br />
für Österreich. Doch die Stimmung in<br />
der hiesigen Wirtschaft wird nicht besser, weil<br />
das Beharrungsvermögen des Staates so groß<br />
ist. Zudem wächst die Sorge der Bürger über<br />
ihre Zukunft. Manche reagieren auf die Herausforderungen<br />
wie Digitalisierung und Globalisierung<br />
damit, dass sie Populisten wählen.<br />
Ein solches Wahlverhalten gibt Anlass zu<br />
tiefer Sorge.<br />
Müssen nicht auch die Unternehmen sehr<br />
viel mehr aufklären, dass Digitalisierung und<br />
Globalisierung nicht nur eine Bedrohung sind,<br />
sondern eine riesige Chance für einen hoch<br />
entwickelten Wirtschaftsstandort wie Österreich?<br />
LUDWIG: Es gibt schon viele Initiativen. Doch<br />
es könnten freilich noch mehr werden, um für<br />
eine positive Aufbruchsstimmung zu sorgen.<br />
Wir dürfen nicht nur jammern und schimpfen,<br />
sondern müssen aktiv die Menschen im Land<br />
motivieren und Antworten sowie Orientierung<br />
in der derzeitigen industriellen Revolution geben.<br />
Wenn wir in zehn Jahren wieder über Österreich<br />
diskutieren, wo steht das Land dann?<br />
Wie sieht Ihre Vision aus?<br />
LUDWIG: Wir verfügen über eine exzellente<br />
geografische Position, über eine hohe kulturelle<br />
Flexibilität und eine wettbewerbsfähige Industrie.<br />
Es geht nun darum, unsere enormen Kräfte zu<br />
entfesseln. Ich bin Optimist. Daher glaube ich,<br />
bevor es zu einem Crash kommt, werden die<br />
notwendigen Reformen passieren, damit Österreich<br />
wieder zu Europa aufschließt.<br />
„Alles, woran man glaubt, beginnt zu existieren“,<br />
sagte einmal die österreichische Autorin Ilse<br />
Aichinger. In diesem Sinne herzlichen Dank für<br />
das Gespräch.<br />
HANNO M. BÄSTLEIN<br />
Mitglied des Aufsichtsrates<br />
Schneiderwerkstatt B&C<br />
Politische Institutionen zeigen sich zunehmend überfordert in ihren<br />
Antworten auf Digitalisierung, Globalisierung und breite gesellschaftliche<br />
Veränderungen. Unabhängige Institutionen wie die B&C-Gruppe<br />
können hingegen im Wirtschaftsleben zu maßgeschneiderten Lernprozessen<br />
und Lösungsansätzen beitragen, meint Hanno M. Bästlein,<br />
Mitglied des Aufsichtsrates der B&C Industrieholding GmbH.<br />
Goethe schrieb bereits, dass jede Lösung eines<br />
Problems zumindest ein neues verursacht.<br />
Innovationen schaffen die Voraussetzungen für<br />
Bevölkerungswachstum, und daraus entstehen<br />
wiederum andere und neue Herausforderungen,<br />
die es zu bewältigen gilt. Allein die technischen<br />
Innovationen des letzten Jahrhunderts<br />
haben zu einer regelrechten Bevölkerungsexplosion<br />
geführt. Lebten um 1900 zum ersten<br />
Mal in der Geschichte mehr als eine Milliarde<br />
Menschen gleichzeitig auf der Erde, so sind es<br />
heute, kaum mehr als 100 Jahre später, rund<br />
siebeneinhalb Milliarden Menschen. Das wirkt<br />
sich nicht nur auf die Umwelt gravierend aus,<br />
sondern gleichzeitig auf die Art und Weise, wie<br />
Menschen kommunizieren und in Gesellschaften<br />
miteinander leben.<br />
Industrie 4.0 ist in aller Munde und wird oft mit<br />
der vierten industriellen Revolution, der Kommunikation<br />
zwischen Maschinen – auch „Internet<br />
der Dinge“ – gleichgesetzt. Erst nach und<br />
nach erkennen breite Bevölkerungsschichten,<br />
dass bei Weitem nicht nur die Industrie von der<br />
Digitalisierung betroffen ist, sondern nahezu jeder<br />
Lebensbereich Veränderungen aufgrund der<br />
Datenvernetzung zwischen Mensch, Maschine,<br />
Produkt und Dienstleistung ausgesetzt ist. Auch<br />
jenen, die sich bislang als weniger betroffen<br />
wahrgenommen haben, dämmert zunehmend,<br />
dass die Veränderungen schneller als angenommen<br />
eintreten und nicht annähernd abzusehen<br />
ist, welches Ausmaß sie annehmen werden.<br />
B&C | JAHRBUCH <strong>2016</strong> | B&C INDUSTRIEHOLDING: UNTERNEHMENSWERTE KONTINUIERLICH STEIGERN UND LANGFRISTIG ENTWICKELN<br />
34<br />
35
Der vielleicht bedeutendste Soziologe<br />
des letzten Jahrhunderts, Niklas<br />
Luhmann, hat sich mit diesen Fragen<br />
beschäftigt. Er stellte unter anderem<br />
fest, dass mit der Erfindung der<br />
Sprache Stammesgesellschaften<br />
entstanden. Parallel zur Entwicklung<br />
der Schrift entwickelten sich Feudalgesellschaften,<br />
und zeitnah mit der<br />
DR. HANNO M. BÄSTLEIN<br />
ist seit 2015 Mitglied des Aufsichtsrates der B&C<br />
Industrieholding GmbH. Der Wirtschaftswissenschafter<br />
bekleidete ab 1994 zahlreiche Vorstandsfunktionen<br />
in deutschen und österreichischen<br />
Industrieunternehmen, unter anderem war er<br />
Finanzvorstand der Austria Metall GmbH, der<br />
heutigen AMAG Austria Metall AG, deren stellvertretender<br />
Vorsitzender des Aufsichtsrates<br />
er zurzeit ist. Weitere Aufsichtsratsmandate:<br />
Lenzing AG (Vorsitzender), VA Intertrading<br />
(Vorsitzender).<br />
Erfindung des Buchdrucks durch<br />
Gutenberg trat der Kapitalismus auf<br />
die Weltbühne. Drei augenscheinliche<br />
Merkmale können daraus abgeleitet<br />
werden: Zum einen hat jeweils<br />
eine Innovation im kommunikativen<br />
Bereich zeitgleich zu einer grundlegenden<br />
Veränderung der Gesellschaftsordnung<br />
geführt.<br />
1875 1900 1925<br />
DIE ENTWICKLUNG DER KOMMUNIKATIONSMEDIEN<br />
Zum anderen schrumpften die zeitlichen<br />
Abstände dieser innovationsgetriebenen<br />
gesellschaftlichen Umwälzungen<br />
exponentiell. Während die<br />
Entstehung von Sprache und Stammesgesellschaften<br />
zigtausende Jahre<br />
lang dauerte, sind Schrift im weiteren<br />
Sinne sowie die damit verbundenen<br />
Feudalgesellschaften noch keine<br />
zehntausend Jahre bekannt. Buchdruck<br />
und mit ihm einhergehend<br />
der Kapitalismus existieren in dieser<br />
Form erst seit wenigen Jahrhunderten.<br />
Unterstellt man die Richtigkeit<br />
von Luhmanns Beobachtung und<br />
Theorie, ergeben sich daraus zwei<br />
weitere, sich bedingende Fragestellungen.<br />
Einerseits werden wir<br />
uns damit auseinandersetzen müssen,<br />
wie sich globale und mobile Kommunikation<br />
auf unser Miteinander und<br />
damit auf die Gesellschaftsformen<br />
auswirken werden. Andererseits bleibt<br />
abzuwarten, ob sich die Zyklen der<br />
kommunikativen Innovationssprünge<br />
und die damit zu vermutenden gesellschaftlichen<br />
Entwicklungen weiter<br />
verkürzen.<br />
Sehr vieles deutet darauf hin, dass<br />
Luhmanns Beobachtungen nicht nur<br />
richtig sind, sondern für die Zukunft<br />
weiter an Bedeutung gewinnen<br />
werden. Nach kaum 500 Jahren<br />
befinden wir uns bereits mitten im<br />
nächsten Innovationszyklus, jenem<br />
der globalen mobilen Kommunikation.<br />
Wie lange hat es gedauert,<br />
500 Millionen Menschen über neue<br />
Kommunikationsmedien miteinander<br />
zu verbinden? Waren es beim<br />
terrestrischen Telefon seit dessen<br />
Erfindung im Jahre 1862 noch zirka<br />
130 Jahre, etwa bis in den Zeitraum<br />
zwischen 1985 und 1995, so benötigte<br />
es seit den ersten E-Mails 1972 nur<br />
noch rund 28 Jahre, bis mehr als 500<br />
Millionen Internet-Anschlüsse im<br />
Jahr 2000 verzeichnet wurden. Die<br />
Verbreitung von Mobiltelefonen, die<br />
Anfang der 1980er Jahre begann, bis<br />
auf 500 Millionen wird auf knapp<br />
17 Jahre geschätzt. Und schließlich<br />
registrierte das erst im Jahr 2004<br />
gegründete soziale Netzwerk Facebook<br />
bereits nach 6,5 Jahren im Jahr<br />
2010 seinen 500-millionsten Teilnehmer.<br />
Diese Entwicklung verdeutlicht<br />
die zunehmende Beschleunigung.<br />
Wissen wird zeitnah und nahezu<br />
überall verfügbar.<br />
Damit einhergehend verändert sich<br />
die Form unseres (wirtschaftlichen)<br />
Zusammenlebens, was uns Finanzkrise,<br />
Arabischer Frühling, Flüchtlingsströme,<br />
Brexit und aufkommender<br />
Populismus deutlich vor Augen<br />
führen. Scheinbar Undenkbares wird<br />
möglich. Gerade die innovativen<br />
Kommunikationstechniken haben<br />
die Globalisierung der Wirtschaft<br />
im heutigen Umfang erst möglich<br />
gemacht. Neben den Finanzinstituten<br />
nutzt die Industrie die neuen Möglichkeiten<br />
zunehmend. Während sich<br />
die Lebenserwartung der Menschen<br />
in den letzten 50 Jahren weltweit um<br />
mehr als 20 Jahre erhöhte, ist jene<br />
der im S&P 500 gelisteten Firmen im<br />
gleichen Zeitraum von 67 Jahren auf<br />
nur noch 15 Jahre gesunken. In einem<br />
permanenten Wandel entstehen<br />
Geschäftsmodelle, um kurz darauf<br />
wieder an Bedeutung zu verlieren.<br />
Die politischen Institutionen zeigen<br />
sich überfordert. Bislang fehlen Antworten,<br />
wie die Gesellschaft auf die<br />
gravierenden Umwälzungen reagieren<br />
will. Viele Menschen fühlen sich<br />
verloren. National limitierte Legislativen<br />
können auf die Anforderungen der<br />
Globalisierung kaum wirksame Antworten<br />
formulieren, zumindest nicht<br />
zeitnah. Eine föderalistische Staatengemeinschaft<br />
wie die Europäische<br />
Union, die als zukunftsorientiertes<br />
Modell für Europa konzipiert wurde,<br />
sieht sich schon wenige Jahrzehnte<br />
nach ihrer Gründung von dieser<br />
Entwicklung massiv herausgefordert.<br />
Schon wird offen diskutiert, ob die<br />
Weiterentwicklung des ordnungspolitischen<br />
Rahmens nicht wesentlich<br />
konzertiertere Ansätze erfordert<br />
– gleichzeitig offerieren Populisten<br />
scheinbar einfache Lösungen und<br />
fördern damit nationalistische Bewegungen<br />
gegen die Globalisierung.<br />
Unternehmer, Eigentümer und Führungskräfte<br />
können heute nicht mehr<br />
auf die Lösungen der Politik warten.<br />
Sie müssen Perspektiven für die Zukunft<br />
in einem Kräftefeld selbst entwickeln.<br />
In diesem Kräftefeld wirken<br />
Digitalisierung und Globalisierung<br />
gleichermaßen wie zunehmender<br />
Protektionismus, Nationalismen und<br />
andere gesellschaftliche Veränderungen,<br />
die auf die Leistungsbereitschaft<br />
der Menschen Einfluss haben. Eigentümer<br />
und Führungskräfte müssen<br />
1950 1975 2000<br />
500 Mio.<br />
Terrestrische Telefone<br />
<br />
500 Mio.<br />
Internetanschlüsse<br />
500 Mio.<br />
stärker gemeinsam langfristige<br />
Unternehmensstrategien entwickeln<br />
und gleichzeitig auf Veränderungen<br />
des Marktes mit kurzfristigen Adaptionen<br />
der Geschäftsmodelle reagieren.<br />
Scheinbar Widersprüchliches<br />
verbindet sich, permanent sich wandelnde<br />
Geschäftsmodelle benötigen<br />
gleichzeitig die Verlässlichkeit von<br />
bestehenden, tragenden (Eigentümer-)<br />
Strukturen.<br />
Insbesondere unabhängige Institutionen<br />
wie die B&C-Gruppe, die<br />
als Kernaktionär von global tätigen<br />
Industrieunternehmen dem oben<br />
beschriebenen Spannungsfeld ausgesetzt<br />
ist, können wertvolle Beiträge<br />
zu Lernprozessen und übergreifenden<br />
Ansätzen auf verschiedenen Ebenen<br />
fördern und leisten und bieten<br />
dies auch anderen Unternehmern an.<br />
George Bernard Shaw hat einmal<br />
gesagt: „Der einzige Mensch, der sich<br />
vernünftig benimmt, ist mein Schneider.<br />
Er nimmt jedes Mal Maß, wenn<br />
er mich trifft, während alle anderen<br />
Menschen immer die alten Maßstäbe<br />
anlegen, in der Meinung, sie passten<br />
noch.“<br />
In diesem Sinne kann und sollte die<br />
B&C als lernende Organisation das<br />
„Schneiderhandwerk“ weiter ausüben<br />
und fördern.<br />
B&C | JAHRBUCH <strong>2016</strong> | B&C INDUSTRIEHOLDING: UNTERNEHMENSWERTE KONTINUIERLICH STEIGERN UND LANGFRISTIG ENTWICKELN<br />
Während es beim terrestrischen Telefon noch zirka 130 Jahre dauerte, um 500 Millionen Menschen miteinander zu<br />
verbinden, benötigte das Internet nur noch rund 28 Jahre, und im sozialen Netzwerk Facebook kommunizierte eine<br />
halbe Milliarde Menschen bereits nach 6,5 Jahren.<br />
Mobiltelefone<br />
500 Mio.<br />
Facebook-Nutzer<br />
36<br />
37
Tellerrand<br />
Der Blick über den<br />
VON REGINA PREHOFER<br />
Aufsichtsräte können mit ihrer Arbeit wesentlich<br />
zum Erfolg von Unternehmen beitragen. Entscheidend<br />
ist dabei, wie sie ihre Rolle wahrnehmen<br />
und in welcher Art von Unternehmen sie tätig<br />
sind. Große Industriekonzerne stellen gänzlich<br />
andere Anforderungen als Start-ups. Hier einige<br />
Gedanken aus der Praxis.<br />
„Oh, Sie sind Aufsichtsrätin in einem<br />
Start-up? Das finde ich ja spannend“,<br />
merkte kürzlich der Geschäftsführer<br />
eines mittelständischen Industriebetriebes<br />
nach einer Podiumsdiskussion<br />
an. „Wie ist denn das so im Vergleich zu<br />
großen Konzernen? Da gibt es doch<br />
sicher Unterschiede?“ In der Tat – die<br />
gibt es. Sie beginnen bei den gesetzlichen<br />
Vorschriften und Regularien<br />
und enden bei der Art und Weise, wie<br />
man miteinander kommuniziert. Dazwischen<br />
liegen eine Menge Themen,<br />
die aufgrund des Mindsets in einem<br />
Start-up, der geringen Strukturtiefe und<br />
der strategischen Zielrichtung ganz<br />
anders gehandhabt werden müssen.<br />
COACH, HELFER<br />
UND SPARRINGPARTNER<br />
So ist der Investor/Aufsichtsrat eines<br />
Start-ups in erster Linie ein Coach<br />
und Helfer, der Kontakte vermittelt,<br />
als Sparringpartner beim gemeinsamen<br />
Nachdenken unterstützt und der<br />
intensiv – aber natürlich nicht operativ<br />
– in die Arbeit des Unternehmens<br />
involviert ist. Dieses Involviertsein ist<br />
ein sehr persönliches, auch emotionales,<br />
das allein schon in einer anderen<br />
Form der Kommunikation zum Ausdruck<br />
kommt. Mit den Vorständen in<br />
großen Unternehmen bin ich per Sie,<br />
mit den GründerInnen in Start-ups<br />
per Du. Meetings und Besprechungen<br />
mit Start-ups folgen durchaus einer<br />
Struktur, die jedoch nach Bedarf sehr<br />
flexibel angepasst wird.<br />
Zur eigentlichen Umsetzung der<br />
Unternehmensidee kann der Investor<br />
eines Start-ups vergleichsweise wenig<br />
beitragen. Dafür sorgen die Gründer-<br />
Innen selbst, denn sie leben und<br />
„brennen“ für ihre Idee, mit der sie<br />
sich in einer ganz eigenen Szene mit<br />
eigenen Netzwerken bewegen. Allerdings<br />
kann er die Idee mit seinem Blick<br />
von außen hinterfragen und andere<br />
Betrachtungsweisen einbringen. Das<br />
ist vor allem dann relevant, wenn es<br />
um Fragen der Budgetierung, Finanzierung,<br />
um Förderungen und das<br />
Auffinden geeigneter Investoren geht.<br />
LIEBER MEHR<br />
ALS WENIGER FRAGEN<br />
Das Wichtigste für einen Aufsichtsrat<br />
ist jedoch, sich auf das Unternehmen<br />
einzulassen – und zwar unabhängig<br />
davon, ob es sich um ein Start-up oder<br />
einen Konzern handelt. Als Aufsichtsrat<br />
sollte man lieber mehr als weniger<br />
fragen und sich sehr offen zeigen – insbesondere<br />
im Hinblick auf neue Entwicklungen.<br />
Oft sind es völlig branchenfremde<br />
Ereignisse, die in einem<br />
Unternehmen zu einer Veränderung, zu<br />
einer neuen Entwicklung oder einer<br />
potenziellen Störung führen können.<br />
DDR. REGINA PREHOFER<br />
ist promovierte Juristin und<br />
Handelswissenschafterin. Die<br />
gebürtige Oberösterreicherin verfügt<br />
über langjährige Erfahrung<br />
als Vorstandsmitglied der Bank<br />
Austria und der BAWAG P.S.K.<br />
Als Aufsichtsrätin war sie bereits<br />
in zahlreichen namhaften österreichischen<br />
Unternehmen tätig.<br />
Von 2011 bis 2015 verantwortete<br />
sie als Vizerektorin der Wirtschaftsuniversität<br />
Wien die Bereiche<br />
Finanzen und Infrastruktur.<br />
Derzeit ist Regina Prehofer<br />
Aufsichtsratsvorsitzende beim<br />
börsenotierten Ziegelhersteller<br />
Wienerberger, zweite stellvertretende<br />
Aufsichtsratsvorsitzende<br />
des High-Tech-Unternehmens<br />
AT&S sowie Investorin in den beiden<br />
Start-ups Seinfeld Professionals<br />
und Klaiton Advisory GmbH.<br />
Dafür muss man als Aufsichtsrat das<br />
richtige Feeling haben und immer wieder<br />
über solche möglichen Faktoren<br />
nachdenken und sie ansprechen. Da<br />
kommen mittlerweile auch Themen<br />
aufs Tapet, die früher unter „ferner<br />
liefen“ gelistet waren. So muss man<br />
sich jetzt zum Beispiel auch Gedanken<br />
über Wahlausgänge in demokratischen<br />
Ländern der westlichen Welt oder die<br />
Folgen des EU-Austritts eines europäischen<br />
Staates für die Wirtschaft machen.<br />
PROFESSIONALISIERUNG DES<br />
AUFSICHTSRATS<br />
Insgesamt hat sich die Tätigkeit eines<br />
Aufsichtsrats während der vergangenen<br />
zehn Jahre sehr intensiviert. Es<br />
sind deutlich mehr Aufgaben zu erledigen,<br />
insbesondere im Hinblick auf<br />
den Prüfungsausschuss. Neue EU-<br />
Regularien haben in diesem Punkt einiges<br />
verstärkt und verschärft. Auch<br />
die Finanz- und Wirtschaftskrise hat<br />
dazu beigetragen, dass das Bewusstsein<br />
von Aufsichtsräten geschärft<br />
wurde und eine Professionalisierung<br />
in diesem Gremium stattgefunden hat.<br />
Idealerweise setzt sich heute ein<br />
Aufsichtsrat aus Personen zusammen,<br />
die entsprechendes juristisches,<br />
finanzielles und Management-Knowhow<br />
mitbringen und die Branche des<br />
Unternehmens, das sie beaufsichtigen,<br />
sehr gut verstehen. Besonders<br />
nützlich ist auch, wenn Mitglieder<br />
im Aufsichtsrat selbst einmal in einer<br />
aktiven Führungsrolle tätig waren<br />
oder sind und die Zusammenarbeit<br />
mit Vorstand und Aufsichtsräten aus<br />
eigener Erfahrung kennen.<br />
ES GEHT NICHT NUR<br />
UM DIE EIGENTÜMER<br />
Vorstand und Aufsichtsrat sitzen<br />
gewissermaßen in einem Boot bzw.<br />
sollten am gleichen Strang ziehen.<br />
Beide wollen, dass sich das Unternehmen<br />
gut entwickelt, wobei mit<br />
„Unternehmen“ nicht nur die Eigentümer<br />
gemeint sind, sondern sämtliche<br />
Stakeholder, die zum Erfolg des<br />
Unternehmens beitragen und davon<br />
profitieren – allen voran die MitarbeiterInnen,<br />
die KundInnen und die<br />
Gesellschaft als Ganzes. Ein professioneller<br />
Aufsichtsrat muss dieses<br />
gesamte Spektrum berücksichtigen<br />
und jederzeit im Auge behalten, was<br />
sich jenseits des Tellerrandes tut.<br />
B&C | JAHRBUCH <strong>2016</strong> | B&C INDUSTRIEHOLDING: UNTERNEHMENSWERTE KONTINUIERLICH STEIGERN UND LANGFRISTIG ENTWICKELN<br />
39
B&C weltweit<br />
AMAG LENZING SEMPERIT<br />
L<br />
S<br />
S<br />
S<br />
S<br />
S<br />
A<br />
L<br />
S<br />
S<br />
L<br />
S<br />
L<br />
S<br />
S<br />
S<br />
Grimsby, Großbritannien<br />
Argenteuil, Frankreich<br />
Hückelhoven, Deutschland<br />
Dalheim, Deutschland<br />
Allershausen, Deutschland<br />
Deggendorf, Deutschland<br />
Ranshofen, Österreich<br />
Lenzing, Österreich<br />
Odry, Tschechische Republik<br />
Belchatów, Polen<br />
Paskow, Tschechische Republik<br />
Wien, Österreich<br />
Heiligenkreuz, Österreich<br />
Sopron, Ungarn<br />
Wimpassing, Österreich<br />
Rovigo, Italien<br />
Fair Lawn, USA<br />
Sept-Îles, Kanada<br />
Mobile, USA<br />
S<br />
A<br />
L<br />
S<br />
S<br />
L<br />
S<br />
S<br />
S<br />
S<br />
L<br />
Shandong, China<br />
Shanghai, China<br />
Nanjing, China<br />
Roha, Indien<br />
Hatyai, Thailand<br />
Kamunting, Malaysia<br />
Nilai, Malaysia<br />
Purwakarta, Indonesien<br />
B&C | JAHRBUCH <strong>2016</strong> | B&C INDUSTRIEHOLDING: UNTERNEHMENSWERTE KONTINUIERLICH STEIGERN UND LANGFRISTIG ENTWICKELN<br />
40<br />
41
WAS WIR<br />
AN DER<br />
AMAG<br />
SCHÄTZEN.<br />
Aluminium sieht von außen immer gleich aus:<br />
Ob Dosenblech oder Außenhaut eines Jets –<br />
das Material ist silberglänzend, ansonsten unscheinbar.<br />
Aluminium ist jedoch nicht gleich Aluminium<br />
– je nach Legierung und angewandter<br />
Verarbeitungstechnik unterscheidet sich das<br />
Material in seinen Eigenschaften deutlich.<br />
Bei sogenannten aushärtbaren Blechen – der<br />
„Königsdisziplin“ – kann man zu Recht von<br />
Hightech-Produkten sprechen. Die AMAG legt<br />
hierauf einen Schwerpunkt. Ihre Erzeugnisse<br />
finden sich in Automobilen ebenso wieder wie<br />
de facto in jedem Passagierflugzeug.<br />
Im Automobilbereich nimmt der Leichtbau und<br />
damit der Einsatz von Aluminium weiter zu, er<br />
erreicht jetzt auch die Mittelklasse bei Pkw. Dieser<br />
Trend wird auch vom Regulator mitgeprägt, der<br />
über die vergangenen Jahre sowohl in den USA<br />
als auch in Europa die Effizienzvorgaben verschärft<br />
hat. Dadurch entsteht ein Nachfrageüberhang.<br />
Die AMAG ist zuversichtlich, diesen durch<br />
den frühzeitig angestoßenen Ausbau des Gießereiund<br />
Walzbetriebes in Ranshofen (AMAG-Projekte<br />
„2014“ und „2020“) nützen zu können.<br />
B&C | JAHRBUCH <strong>2016</strong> | AMAG<br />
Besonders an Aluminium ist auch, dass das<br />
Material quasi „unendlich“ wiederverwertbar<br />
ist – es kann beliebig oft rezykliert werden,<br />
ohne nennenswerte Qualitätseinbußen. Gleichzeitig<br />
ist Aluminium „lernfähig“. Über die Wärmebehandlung<br />
und die chemische Zusammensetzung<br />
der unterschiedlichen „aushärtbaren“<br />
Legierungen können die Experten dem Metall<br />
Eigenschaften einprogrammieren – beispielsweise,<br />
wie lange es im weichen Zustand bearbeitbar<br />
bleibt bzw. wann es aushärten soll.<br />
THOMAS ZIMPFER<br />
Beteiligungsmanager<br />
ALEXANDER MOSER- PARAPATITS<br />
Beteiligungsmanager<br />
Das frühzeitige Erkennen der globalen Marktchancen für den Werkstoff<br />
Aluminium und die daraus resultierende Expansionsstrategie der AMAG sowie<br />
Innovation und technologische Exzellenz legen die Basis für nachhaltiges<br />
Wachstum, analysieren die Beteiligungsmanager Thomas Zimpfer und Alexander<br />
Moser-Parapatits.<br />
Die AMAG sucht im Downstream-Bereich<br />
(Alu-Verarbeitung zu Halbfertigerzeugnissen)<br />
ihre Differenzierung über diese Expertise und<br />
ist mit ihrem Know-how zunehmend weltweit<br />
erfolgreich – und das von Ranshofen im<br />
Innviertel aus. „Wir wachsen“ steht als schnörkelloser<br />
Kommentar am Cover des jüngsten<br />
Geschäftsberichts. Was Wachstum heißt, untermauern<br />
die Zahlen: Zum sechsten Mal in Folge<br />
verzeichnete das Unternehmen einen Rekordabsatz.<br />
Das Wachstum beschränkt sich nicht<br />
auf einen Treiber, aber der Stellenwert der<br />
Transportindustrie ist groß. In Zahlen ausgedrückt<br />
kletterte der AMAG Absatz im Vergleich<br />
<strong>2016</strong>/2015 um sechs Prozent auf ein All-Time-<br />
High von 405.900 Tonnen. Das Ergebnis nach<br />
Ertragsteuern verbesserte sich im Vorjahresvergleich<br />
um 14 Prozent (von 40,5 Millionen<br />
Euro auf 46,3 Millionen Euro). Die hohe Eigenkapitalquote<br />
von 50 Prozent und die EBITDA-<br />
Marge von 16 Prozent unterstreichen die Solidität<br />
des Unternehmens.<br />
STANDORTEXPANSION<br />
Um die Potenziale der verstärkten Nachfrage zu<br />
nützen, verfolgt die AMAG eine Expansion des<br />
Downstream-Bereichs; schließlich wird erwartet,<br />
dass sich die Dynamik fortsetzt:<br />
STANDORT RANSHOFEN: NEUER EBITDA-REKORD<br />
Erfolgreicher Hochlauf<br />
führt zu Ergebnisanstieg.<br />
EBITDA im Segment Walzen<br />
[in Mio EUR]<br />
In der Luftfahrtindustrie nimmt zwar der<br />
Einsatz von Verbundwerkstoffen im Bereich der<br />
Langstreckenjets zu, die steigende Zahl der produzierten<br />
Verkehrsflugzeuge (es wird rund eine<br />
Verdoppelung der Produktion innerhalb der<br />
kommenden 14 Jahre erwartet) wird aber, so die<br />
Branchenerwartungen, diesen technologischen<br />
Trend mehr als kompensieren und den Absatz<br />
von Aluminium weiter erhöhen. Auch dieses<br />
Industriesegment steht im Fokus der AMAG-<br />
Expansion am Standort Ranshofen.<br />
Langfristige Lieferverträge mit namhaften Großkunden<br />
aus der Luftfahrt, der Automobil- und<br />
der Verpackungsindustrie sollen die Umsetzung<br />
der Wachstumsstrategie absichern und lassen<br />
ein Ansteigen des Absatzes deutlich über dem<br />
Marktwachstum erwarten.<br />
42<br />
43
B&C | JAHRBUCH <strong>2016</strong> | AMAG<br />
VORSPRUNG DURCH DIGITALISIERUNG<br />
Industrie 4.0 gewinnt in der AMAG zunehmend an Stellenwert und manifestiert sich bereits<br />
in den unterschiedlichsten Bereichen. So wird beispielsweise die Produktentwicklung mittels<br />
Simulation entlang der gesamten Prozesskette unterstützt. Deutliche Produktivitätsvorteile<br />
werden durch automatisierte Anlagen generiert, aber auch autonomer Warentransport und<br />
vollautomatische Schrottsortierung sind ein Ergebnis der Digitalisierung.<br />
LEISTUNGEN DES MANAGEMENT-TEAMS<br />
Es ist eine besondere Leistung des Managements,<br />
dass diese Marktchancen frühzeitig<br />
erkannt und in der Expansionsstrategie adressiert<br />
wurden. Letztendlich resultiert hieraus die<br />
dargestellte Absatz- und Ertragssteigerung, die<br />
auch zukünftig angestrebt wird. Die Präzision<br />
in der Marktanalyse, die Weiterentwicklung<br />
der technologischen Fertigkeiten in Ranshofen,<br />
der Aufbau und die Pflege von hochqualitativen<br />
Kundenbeziehungen zu den ersten Adressen in<br />
den leistungsfähigsten und wettbewerbsintensivsten<br />
Industriesegmenten dieser Welt über<br />
nahezu ein Jahrzehnt hinweg und nicht zuletzt<br />
die innovationsorientierte Kooperation mit<br />
Forschungseinrichtungen können als Gründe<br />
dafür gelten, dass die AMAG beispielsweise zu<br />
einer Handvoll Lieferanten zählt, die kritische<br />
Aluminiumteile für die Luftfahrt produziert.<br />
Der Mut und die Weitsicht des Management-<br />
Teams haben zu dieser Positionierung wesentlich<br />
beigetragen.<br />
DIGITALISIERUNG IN VOLLEM GANGE<br />
Auch hinsichtlich der Potenziale digital gesteuerter<br />
Prozesse verfolgt die AMAG das Ziel, eine<br />
Vorreiterrolle einzunehmen. Seit Jahren wird<br />
gemeinsam mit Forschungspartnern daran gearbeitet,<br />
einen „Digitalen Zwilling“ parallel zum<br />
Produktionsprozess zu entwickeln. In Computersimulationen<br />
werden Werkstoff- und Prozessoptimierungen<br />
nachgestellt, um deren Effekt<br />
auf das Endprodukt zu erforschen. Grundsätzlich<br />
zeichnet sich außerdem die Produktion,<br />
insbesondere auch die Walzwerke, durch einen<br />
hohen Automatisierungsgrad aus und wird<br />
elektronisch gesteuert.<br />
Die Digitalisierung bietet der AMAG entscheidende<br />
Vorteile auch bei der Dokumentation.<br />
Die Flugzeugbranche ist führend bei der Dokumentation<br />
sämtlicher eingesetzter Produktionsmittel<br />
und -prozesse. Die AMAG kann für jedes<br />
Blech einen „Stammbaum“ vorlegen. Abgesehen<br />
von der Dokumentation der Entstehungsgeschichte<br />
jedes Werkstücks ist die Konnektivität<br />
mit den Kundensystemen eine Herausforderung,<br />
die im selbst auferlegten Anspruch der<br />
AMAG an sich einen hohen Stellenwert hat.<br />
Die Digitalisierung als globaler Megatrend<br />
beeinflusst das Unternehmen allerdings auch<br />
nachfrageseitig. So wird beispielsweise durch<br />
den Siegeszug der LED das Halogenlicht<br />
weitgehend verdrängt. Ein Umstand, der dazu<br />
führte, dass der Marktanteil von Reflektoren<br />
aus Aluminiumblech, die das Licht der Scheinwerfer<br />
bündelten, innerhalb von nur fünf Jahren<br />
deutlich zurückging. Diese Entwicklung trifft<br />
auch die AMAG. Ein anderes Beispiel liegt im<br />
„Sharing“, das als neuer gesellschaftlicher Trend<br />
speziell im urbanen Raum dazu führen kann,<br />
dass langfristig die Zahl der produzierten Pkw<br />
zurückgeht.<br />
WETTBEWERBSVORTEILE<br />
Der hoch integrierte Standort Ranshofen stellt<br />
einen Wettbewerbsvorteil dar, weil er technologische<br />
Spitzenleistungen ermöglicht. Viele<br />
Spezialisten auf kleinem Raum ermöglichen<br />
neue Lösungen, die zügig in Markterfolge<br />
umgesetzt werden können. Hervorzuheben ist<br />
die enge Zusammenarbeit in einem Forschungsnetzwerk<br />
mit namhaften nationalen und internationalen<br />
Universitäten wie beispielweise der<br />
Montanuniversität Leoben. Dies verstärkt die<br />
Innovationskraft der AMAG.<br />
Ein Alleinstellungsmerkmal der AMAG ist die<br />
hohe Recyclingquote im Herstellungsprozess.<br />
Rund 70 Prozent der Halbfertigerzeugnisse am<br />
Standort Ranshofen basieren auf sogenanntem<br />
„Sekundär-Aluminium“. Diese Quote ist führend<br />
im weltweiten Wettbewerbsvergleich. Die Expertise<br />
in der Aufbereitung und Sortierung sowie<br />
in der Lagerung, aber auch die durchdachte<br />
Konfiguration des Werks bergen jede Menge<br />
Know-how. Dies offenbart die Hightech-Gießerei,<br />
wo Legierungen für die unterschiedlichsten<br />
Einsatzzwecke erzeugt werden, die die Basis für<br />
Exzellenz bilden.<br />
Die AMAG hat sich in den vergangenen zehn<br />
Jahren substanziell gewandelt, ist zuerst<br />
zeitgemäß geworden und ist jetzt in bewusst<br />
gewählten Bereichen Spitzenreiter. Bisher sieht<br />
die unternehmerische Reise vielversprechend<br />
aus, und die Grenzen des Wachstums im Aluminiumgeschäft<br />
scheinen noch in weiter Ferne zu<br />
liegen.<br />
ERFAHREN SIE MEHR ÜBER DIE<br />
AMAG AUSTRIA METALL AG.<br />
44<br />
45
Kennzahlen <strong>2016</strong><br />
EBITDA 143,0 Mio EUR<br />
Eigenkapitalquote 45,4<br />
Verschuldungsgrad 35,8<br />
%<br />
%<br />
906,2 Mio EUR Umsatz<br />
Umsatz nach Segmenten<br />
68 % Segment Walzen<br />
21 % Segment Metall<br />
11 % Segment Gießen<br />
Umsatz nach Regionen<br />
42 % Westeuropa (ohne Österreich)<br />
15 % Österreich<br />
11 % Übriges Europa<br />
27 % Nordamerika<br />
1 % Segment Service 4 % Asien, Ozeanien, Sonstige<br />
405.900<br />
Absatz in Tonnen<br />
Standorte<br />
OPERATIVE GESELLSCHAFTEN:<br />
Ranshofen/Österreich,<br />
Sept-Îles/Kanada<br />
VERTRIEBSTÖCHTER<br />
UND HANDELSVERTRETUNGEN:<br />
Niederlande, Großbritannien, Italien,<br />
Deutschland, Türkei, Polen,<br />
Frankreich, Tschechien, Schweden,<br />
Spanien, Bulgarien, Schweiz, Israel,<br />
Taiwan, Südkorea, Indien, Japan,<br />
China, USA, Mexiko, Brasilien<br />
Forschung und Entwicklung<br />
in Mio EUR<br />
8,0 9,6 11,5 10,8<br />
2013 2014 2015 <strong>2016</strong><br />
Kurschart Börsegang 2011 bis Dezember <strong>2016</strong><br />
(EUR pro Aktie)<br />
Neuerliche Absatzsteigerung um 6,5 %<br />
300.000 Tonnen<br />
Schrotteinsatz am Standort Ranshofen führen zu mehr Energieund<br />
Ressourcenschonung in der Produktion.<br />
12.809<br />
Verbesserungsvorschläge wurden von Mitarbeitern eingebracht und damit<br />
ein Rekordwert erreicht.<br />
+ 250 Arbeitsplätze<br />
werden am Standort Ranshofen im neuen Kaltwalzwerk geschaffen.<br />
52,7 %<br />
2.200 Lehrlinge<br />
wurden in den letzten Jahrzehnten<br />
bei der AMAG ausgebildet.<br />
75 %<br />
konnte die<br />
AMAG-Aktie<br />
seit dem erfolgreichen Börsegang im April 2011<br />
zulegen. Gesamtaktionärsvergütung: 101,8 %<br />
Anteil der B&C Industrieholding<br />
am Grundkapital der AMAG.<br />
B&C | JAHRBUCH <strong>2016</strong> | AMAG<br />
46<br />
47
Ungeahnte<br />
Möglichkeiten<br />
des Beirats im Jahr 2008 sind etwa<br />
zwei Dutzend Doktorierende durch<br />
diese ‚AMAG-Schule’ gegangen. Der<br />
Beirat hat aber auch die Aufgabe, das<br />
F&E-Team der AMAG bei jeglichen<br />
wissenschaftlich-technologischen<br />
Fragen zu unterstützen.<br />
B&C | JAHRBUCH <strong>2016</strong> | AMAG<br />
Peter Uggowitzer, Vorsitzender des wissenschaftlichtechnologischen<br />
Beirats der AMAG, und Helmut<br />
Antrekowitsch, stellvertretender Vorsitzender, geben<br />
Antworten auf Fragen zur Zukunft des Werkstoffs<br />
Aluminium und der AMAG Austria Metall AG.<br />
Sie sind beide Mitglieder des<br />
wissenschaftlich-technologischen<br />
Beirats der AMAG. Was für eine<br />
Institution ist das?<br />
PETER UGGOWITZER: Der Beirat<br />
ist ein Gremium, das sich aus sechs<br />
akademischen Forschern zusammensetzt.<br />
Es sind dies Professoren, die an<br />
in- und ausländischen Universitäten<br />
tätig sind und auf verschiedenen, für<br />
die F&E der AMAG relevanten Gebieten<br />
über Expertenwissen verfügen.<br />
Der Beirat hat unterschiedliche Aufgaben<br />
zu erfüllen. Zum einen soll er<br />
gemeinsam mit dem F&E-Team jene<br />
Forschungsthemen identifizieren,<br />
die für die AMAG besonders relevant<br />
sind und Produktoptimierungen<br />
sowie neue Produkte ermöglichen.<br />
Zum anderen wird erwartet, dass er,<br />
ausgehend von der kommunizierten<br />
Gesamtstrategie der Konzernleitung,<br />
dem AMAG-Management regelmäßig<br />
Empfehlungen zur strategischen Ausrichtung<br />
der F&E-Aktivitäten vorlegt.<br />
HELMUT ANTREKOWITSCH: Die<br />
Forschungsthemen werden in der<br />
Regel in Form von Doktorarbeiten<br />
behandelt. Die Mitglieder des Beirats<br />
sind dann fest in die Betreuung dieser<br />
Forschungsprojekte eingebunden. Bei<br />
den Sitzungen des Beirats referieren<br />
die Doktorandinnen und Doktoranden<br />
über ihre Fortschritte und<br />
erhalten vom Beirat konstruktive<br />
Anregungen. Seit der Etablierung<br />
Welchen neuen Herausforderungen<br />
wird sich die Aluminium-Industrie<br />
in den nächsten Jahren zu stellen<br />
haben?<br />
UGGOWITZER: Wie bei anderen<br />
Industriezweigen auch werden vor<br />
allem zwei globale Megatrends die<br />
weitere Entwicklung der Aluminiumindustrie<br />
stark beeinflussen: der Klimawandel<br />
und die Rohstoffknappheit.<br />
Daraus ergeben sich beispielsweise<br />
Fragen nach der Mobilität der Zukunft<br />
oder nach den Produktionsrouten der<br />
Zukunft. Aus diesen Zielen, d. h. der<br />
Reduktion des Energiebedarfs und der<br />
CO 2 -Emissionen sowie der Ressourcenschonung,<br />
leiten sich zwei für die<br />
Aluminium-Industrie und speziell für<br />
die AMAG wichtige Entwicklungen<br />
ab – forcierter Leichtbau und forciertes<br />
Recycling. Der verstärkte Trend<br />
zu Leichtbau ist heute schon verantwortlich<br />
für das beachtliche Mengenwachstum<br />
bei Aluminiumlegierungen<br />
und wird es auch in Zukunft bleiben.<br />
So gesehen ist die Frage nach der<br />
„Herausforderung“ positiv zu werten,<br />
da es vor allem gilt, der steigenden<br />
Nachfrage nach Aluminiumlegierungen<br />
höchster Qualität gerecht werden zu<br />
können. Und ein forciertes Recycling<br />
ist schon lange ein zentrales Merkmal<br />
der AMAG-Philosophie.<br />
Sie haben den Klimawandel angesprochen.<br />
Um die Klimaziele zu<br />
erreichen, werden drastische Maßnahmen<br />
notwendig werden, beispielsweise<br />
ein Verbot oder eine signifikante<br />
Reduktion von Verbrennungsmotoren.<br />
Wie wird sich das auf den<br />
Aluminiumverbrauch auswirken, wo<br />
doch heute Motoren- und Getriebegehäuse<br />
vorwiegend aus Aluminium<br />
gefertigt werden?<br />
UGGOWITZER: Die Diskussion über<br />
alternative Antriebskonzepte ist<br />
allgegenwärtig. Betrachtet werden<br />
gesteigerte Elektromobilität mit<br />
Batterie oder Brennstoffzelle und<br />
die Hybrid-Technologie. Allen ist<br />
gemeinsam, dass intensivierter<br />
Leichtbau betrieben werden muss,<br />
um Erfolg zu haben. Das wird zu<br />
einer Steigerung des durchschnittlichen<br />
Einsatzes von Aluminium in<br />
Form von Walz- und Gussprodukten<br />
in Automobilen führen. Bis 2025 wird<br />
zudem der prozentuelle Rückgang an<br />
Fahrzeugen mit reiner Verbrennungsmotortechnologie<br />
durch das absolute<br />
Wachstum der jährlichen Fahrzeugproduktion<br />
kompensiert werden.<br />
AMAG-GUSSPRODUKTE<br />
sind das Vormaterial von Aluminiumformgussteilen, z. B. für die Automobilindustrie,<br />
und werden mit einem Recyclinganteil von über 90 Prozent hergestellt.<br />
Werden Knetlegierungen mitberücksichtigt, liegt der Recyclinganteil<br />
mit 75 bis 80 Prozent weit über dem Branchendurchschnitt.<br />
Wenn man konkret den Einsatz von<br />
Gussprodukten betrachtet, muss man<br />
zuerst einmal festhalten, dass auch<br />
Hybridantriebe und reine Elektroantriebe<br />
Gussteile benötigen. Bei den<br />
Legierungen mag es wohl Verschiebungen<br />
geben, da ergänzend zum<br />
Guss im Antriebsstrang der steigende<br />
Anteil an dünnwandigem Strukturguss<br />
für Fahrwerks- und Karosserieanwendungen<br />
duktilere Werkstoffe<br />
verlangt. Wenn dann parallel dazu<br />
auch der Anteil an Recyclingmaterial<br />
zunehmen soll, wird dies besondere<br />
Anstrengungen bei der Legierungsgestaltung<br />
erforderlich machen.<br />
Für die AMAG ist offensichtlich Recycling<br />
von entscheidender Bedeutung.<br />
Was wird die Zukunft dahingehend<br />
bringen?<br />
ANTREKOWITSCH: Die hoch<br />
entwickelte europäische Industrie<br />
hängt besonders stark von der Verfügbarkeit<br />
von Ressourcen ab. Im<br />
Vergleich zu anderen Kontinenten<br />
besitzt Europa nur begrenzt Primärrohstoffe,<br />
sodass dem Recycling eine<br />
immer größere Bedeutung zukommt,<br />
insbesondere jenem von Aluminium.<br />
In den letzten Jahren hat die Wiederverwertung<br />
von Aluminium stark<br />
zugenommen, was einerseits in der<br />
größeren verfügbaren Menge an<br />
sekundären Materialien und andererseits<br />
in den ökologischen und ökonomischen<br />
Vorteilen der Sekundärmetallurgie<br />
gegenüber der Primärproduktion<br />
begründet ist. Vor allem<br />
der sehr geringe Energiebedarf,<br />
welcher in Abhängigkeit von den<br />
eingesetzten Schrotten nur 5 bis 10<br />
Prozent im Vergleich zur primären<br />
Erzeugung beträgt, begründet die<br />
Notwendigkeit der Wiederverwertung<br />
dieses Metalls. Mit einem Recyclinganteil<br />
von 75 bis 80 Prozent in den in<br />
Ranshofen hergestellten Produkten<br />
liegt die AMAG weit über Branchendurchschnitt.<br />
Dieser Spitzenwert soll<br />
auch bei dem für die nächsten Jahre<br />
geplanten Wachstum an Walzprodukten<br />
erhalten bleiben.<br />
48<br />
49
Gibt es für Aluminium Grenzen des<br />
Wachstums? Ist die Verfügbarkeit<br />
der Vormaterialien auf längere Sicht<br />
gewährleistet?<br />
ANTREKOWITSCH: Die Rohstofflagerstätten<br />
bei Aluminium sind auch bei<br />
stark steigenden Produktionsmengen<br />
weltweit betrachtet als unerschöpflich<br />
anzusehen. Aluminium stellt nach<br />
Sauerstoff und Silizium das dritthäufigs<br />
te Elemente in der Erdkruste dar,<br />
und die Abbaugebiete sind weltweit verteilt<br />
und entsprechen erdgeschichtlich<br />
betrachtet den Tropengebieten, da die<br />
Erze Verwitterungsprodukte sind. Ob in<br />
Australien, Südamerika, Afrika, Asien,<br />
Nordamerika und auch Europa, überall<br />
können Aluminiumerze abgebaut<br />
und zu Aluminium verarbeitet werden.<br />
Im Bereich der Primärmetallurgie ist<br />
demzufolge das Vormaterial immer<br />
gesichert. Auch wenn noch einmal zu<br />
erwähnen ist, dass für die Gewinnung<br />
aus Erzen der 10- bis 20-fache Energiebedarf<br />
im Vergleich zum Recycling<br />
notwendig ist, muss doch deutlich<br />
festgehalten werden, dass globales<br />
Wachstum bei Aluminiumanwendungen<br />
nur über die Zufuhr neuen Materials<br />
aus Elektrolysen möglich ist!<br />
Bei den sekundären Rohstoffen<br />
wird zeitverschoben zur steigenden<br />
Aluminiumproduktion die Menge an<br />
Schrotten und Al-haltigen Reststoffen<br />
stark ansteigen. Hierbei sind allerdings<br />
mehrere Herausforderungen zu bewältigen.<br />
Zum einen ist zu erwarten,<br />
dass die regionale Verfügbarkeit aufgrund<br />
zunehmender Recyclingaktivitäten<br />
zukünftig stärker eingeschränkt<br />
sein wird. Zum anderen wird es<br />
notwendig sein, innovative Prozessschritte<br />
bei der Sammlung, Aufbereitung<br />
und Schmelzmetallurgie<br />
anzuwenden, um auch minderwertige<br />
Vorstoffe verwerten zu können. Um<br />
eine größere Sekundärrohstoffpalette<br />
nutzbar zu machen, sind aber Verfahrensoptimierungen<br />
dringend<br />
erforderlich. Gerade auf diesem<br />
Gebiet weist die AMAG bereits sehr<br />
gute Voraussetzungen auf, welche es<br />
zukünftig auszubauen gilt. Unter<br />
PROF. DI. DR. PETER UGGOWITZER<br />
lehrte und forschte als Universitätsprofessor für Metallkunde am Departement<br />
Materialwissenschaft der ETH Zürich von 1996 bis zu seiner Emeritierung<br />
im Jahr 2015. Er ist dort nach wie vor in Teilzeit als Dozent aktiv.<br />
Seit 2017 ist er auch als Gastprofessor an der Montanuniversität Leoben<br />
(MUL) tätig. Der gebürtige Kärntner studierte Werkstoffwissenschaften<br />
und an der Montanuniversität Leoben, promovierte an der MUL 1981 und<br />
habilitierte 1993 an der ETH im Fachgebiet Metallkunde.<br />
Peter Uggowitzer ist Autor von über 200 referierten<br />
wissenschaftlichen Publikationen und Erfinder bzw.<br />
Miterfinder von mehr als 20 Patenten. Neben seiner<br />
wissenschaftlichen Laufbahn wirkt Professor Uggowitzer<br />
u. a. als Berater des Leichtmetall-Kompetenzzentrums<br />
in Ranshofen, der Audi AG in Neckarsulm<br />
und der Biotronik AG in Bülach. Bis 2015 war Professor<br />
Uggowitzer im Aufsichtsrat der AMAG AG tätig.<br />
Er ist Vorsitzender des wissenschaftlichtechnologischen<br />
Beirats der AMAG.<br />
UNIV.-PROF. DI. DR. HELMUT ANTREKOWITSCH<br />
ist seit September 2010 als Universitätsprofessor für Nichteisenmetallurgie<br />
an der Montanuniversität Leoben tätig. Nach Abschluss der Fachrichtung<br />
Hüttenwesen/Metallurgie und Graduierung zum Diplomingenieur<br />
1994 promovierte Antrekowitsch vier Jahre später zum<br />
Doktor der montanistischen Wissenschaften. 2003<br />
habilitierte er für das Fach Metallurgie der Nichteisenmetalle<br />
und leitete ab diesem Zeitpunkt den Lehrstuhl<br />
für Nichteisenmetallurgie. Von 2002 bis 2009 war er<br />
auch Leiter des Christian-Doppler-Labors für Sekundärmetallurgie<br />
der Nichteisenmetalle in Leoben. Helmut<br />
Antrekowitsch ist als Spezialist für Recycling Autor<br />
zahlreicher Fachpublikationen. Er ist stellvertretender<br />
Vorsitzender des wissenschaftlichtechnologischen<br />
Beirats der AMAG.<br />
Berücksichtigung dieser Rahmenbedingungen<br />
ist die Verfügbarkeit der<br />
sekundären Vormaterialien, ähnlich<br />
wie bei der primären Seite, auf längere<br />
Sicht ebenfalls gewährleistet.<br />
Die AMAG spielt auf technischer Ebene,<br />
das heißt mit der Qualität ihrer<br />
Produkte, in der höchsten Aluminium-Liga.<br />
Welche Merkmale sind<br />
entscheidend für diese Position?<br />
UGGOWITZER: Zur Entwicklung und<br />
Herstellung eines Qualitätsprodukts<br />
braucht es mit Sicherheit ein Qualitätsteam.<br />
Es ist also wohl die Befähigung<br />
der AMAG-Belegschaft – vom<br />
Management bis zur Fachperson an<br />
den technischen Anlagen –, die maßgebend<br />
zum Spiel in der 1. Liga beiträgt.<br />
Um den hohen Anforderungen<br />
gerecht werden zu können, braucht es<br />
hervorragend ausgebildete und besonders<br />
motivierte Mitarbeiterinnen und<br />
Mitarbeiter. Im vergangenen Jahrzehnt<br />
hat sich in dieser Hinsicht sehr<br />
viel positiv verändert. Das F&E-Team<br />
gehört heute zu den besten der Aluminiumcommunity<br />
weltweit. Aber auch<br />
die technischen Anlagen der AMAG<br />
erfüllen die höchsten Standards und<br />
werden dies, auch aufgrund der tollen<br />
neuen Investitionen, weiterhin in<br />
hohem Maße tun. Das technische<br />
Personal und das F&E-Team werden<br />
kontinuierlich weitergebildet, beispielsweise<br />
in speziellen Schulungen<br />
durch Mitglieder des wissenschaftlich-technologischen<br />
Beirats. Alle<br />
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />
erhalten das Angebot zur Weiterbildung,<br />
z. B. in der neu geschaffenen<br />
„Alu-Akademie“ der AMAG. Besonders<br />
wichtig ist aber das außergewöhnlich<br />
kreative Klima in der AMAG-Belegschaft,<br />
das sich in vielen Aktionen<br />
manifestiert, beispielsweise in den<br />
angeregten niveauvollen Diskussionen<br />
bei den regelmäßigen Sitzungen mit<br />
dem technisch-wissenschaftlichen<br />
Beirat und den AMAG-Doktoranden,<br />
oder bei den AMAG-internen Projektreviews,<br />
sicher aber auch bei den<br />
überaus wichtigen Gesprächen mit<br />
den Kunden. Am deutlichsten zeigt<br />
sich das innovative Klima jedoch in<br />
der Zahl der Vorschläge zum kontinuierlichen<br />
Verbesserungsprozess: Im<br />
Jahr <strong>2016</strong> waren dies etwa 13.000 (!),<br />
also 30 bis 40 umgesetzte Verbesserungen<br />
täglich. Das sind Rekordzahlen<br />
– Chapeau!<br />
ANTREKOWITSCH: Ein kreatives<br />
Klima entsteht aber nicht ohne<br />
äußere Einwirkung. Das Management<br />
der AMAG hat über das letzte<br />
Jahrzehnt ein enormes Engagement<br />
in Richtung kontinuierliche Weiterbildung<br />
gezeigt und sehr stark den<br />
Blick für neue Denkweisen geöffnet.<br />
Den internen F&E-Aktivitäten wurde<br />
die notwendige Bedeutung beigemessen<br />
und externe Kooperationen<br />
mit Partnern aus Universitäten und<br />
Forschungseinrichtungen wurden<br />
etabliert. Mit dieser Symbiose ist es<br />
gelungen, die anwendungsorientierte<br />
F&E mit Grundlagenforschung zu<br />
bereichern. Alleine in den letzten<br />
neun Jahren, seit der Etablierung des<br />
wissenschaftlich-technologischen<br />
Beirats, sind wie schon erwähnt über<br />
zwei Dutzend Doktorarbeiten mit<br />
Unterstützung und Mitbetreuung<br />
durch die AMAG entstanden. Deren<br />
Bedeutung zeigt sich im angesprochenen<br />
„Spiel in der höchsten Liga“<br />
und deren Qualität in der Fülle von<br />
erlangten Forschungspreisen, beispielsweise<br />
dem DGM-Nachwuchspreis,<br />
dem Acta Materialia Student<br />
Award, dem Georg Sachs Preis der<br />
DGM, dem Aluminium Alloy Award<br />
der TMS/USA, dem Materials Science<br />
Sapphire Award der ACS/USA und<br />
dem Houskapreis <strong>2016</strong> für universitäre<br />
Forschung. Mit der Etablierung<br />
einer Stiftungsprofessur für Werkstofftechnik<br />
von Aluminium an der<br />
Montanuniversität Leoben wurde die<br />
fruchtbare Forschungspartnerschaft<br />
im Besonderen besiegelt.<br />
Die Themen „Industrie 4.0“ und „Additive<br />
Fertigung“ sind aktuell äußerst<br />
populär. Sind sie auch für die AMAG<br />
von besonderer Bedeutung?<br />
UGGOWITZER: Industrie 4.0 und<br />
Additive Fertigung sind in der Tat die<br />
Hype-Themen dieser Tage. In meiner<br />
langjährigen Karriere als Werkstoffingenieur<br />
und akademischer<br />
Forscher habe ich schon eine Reihe<br />
solcher Hypes erlebt; Beispiele sind<br />
Intermetallics, Nano, Bio oder die<br />
Metallischen Gläser. In jedem Fall hat<br />
sich deren Amplitude aber mit der<br />
Zeit auf ein rationales Maß reduziert.<br />
Das Management der AMAG soll solche<br />
Themeneruptionen aufmerksam<br />
beobachten, sich aber bei den strategischen<br />
Entscheidungen nur mit viel<br />
Bedacht davon beeinflussen lassen.<br />
Gerne möchte ich zu Industrie 4.0<br />
und Additive Fertigung ein paar<br />
konkrete Bemerkungen machen. Im<br />
AMAG AluReport 02.<strong>2016</strong> beschreibt<br />
COO Helmut Kaufmann, dass Industrie<br />
4.0 für die AMAG vor allem durch<br />
die Verbesserung von Produkten und<br />
Prozessen mit Hilfe der Methoden<br />
der IT relevant ist. Er nimmt dabei<br />
Bezug auf die komplexen Zusammenhänge<br />
zwischen Legierung, Prozess,<br />
Mikrostruktur und Eigenschaften, die<br />
nur mit Computersimulation erfassbar<br />
sind. In der Tat ist es heute so, dass<br />
wir die Strukturveränderungen bei<br />
jedem Prozessschritt bis auf die<br />
atomare Ebene hinunter verstehen<br />
wollen. Erst das umfassende physikalische<br />
Verständnis der Mechanismen<br />
erlaubt die Beschreibung des Geschehens<br />
mit physikalischen Modellen,<br />
welche dann mit Computeralgorithmen<br />
abgebildet werden können. Mit<br />
der verknüpften Prozess-, Strukturund<br />
Eigenschaftssimulation ist man<br />
dann in der Lage, die optimale Legierung<br />
und die optimalen Prozessparameter<br />
zu finden, aber auch die kritischen,<br />
besonders qualitätsrelevanten<br />
Prozessschritte zu identifizieren.<br />
Neben dem realen Produktionspfad<br />
erstellen wir also einen IT-Pfad, von<br />
Helmut Kaufmann „digitaler Zwilling“<br />
genannt, der maßgeblich die Qualitätssicherheit<br />
und die Prozessstabilität<br />
mitbestimmt.<br />
Die Additive Fertigung von Bauteilen<br />
und Komponenten wird das Hauptgeschäft<br />
der AMAG auch langfristig<br />
nicht tangieren. Dafür gibt es eine<br />
Reihe guter Gründe, die letztlich alle<br />
kostenspezifisch sind. Für die fernere<br />
Zukunft könnte sich jedoch ein<br />
Zusatzgeschäft ergeben. Die AMAG<br />
und ihre F&E-Partner verfügen ja<br />
über ein außerordentlich hohes<br />
Know-how bei der Gestaltung und<br />
Optimierung von Legierungen.<br />
Da es für die Additive Fertigung maßgeschneiderte<br />
Legierungen brauchen<br />
wird, kann sich die AMAG mit ihrer<br />
Kompetenz beim Design spezifischer<br />
Legierungen einbringen und dafür<br />
patentrechtliche Sicherstellungen<br />
anstreben. Die ersten Schritte in<br />
diese Richtung sind schon erfolgt.<br />
B&C | JAHRBUCH <strong>2016</strong> | AMAG<br />
50<br />
51
WAS WIR<br />
AN DER<br />
LENZING AG<br />
SCHÄTZEN.<br />
JOHANNES STEFAN<br />
Beteiligungsmanager<br />
MICHAEL GLOCK<br />
Beteiligungsmanager<br />
Den Erfolg der Lenzing Aktiengesellschaft führen die Beteiligungsmanager<br />
Johannes Stefan und Michael Glock vor allem darauf zurück, dass Lenzing sich<br />
dank unternehmerischer Weitsicht als Vorreiter in der Industrie etabliert hat<br />
und in der Lage ist, den Fasermarkt aktiv mitzugestalten.<br />
Das Absatzvolumen des globalen Fasermarktes<br />
hat im Jahr <strong>2016</strong> mit 101,4 Millionen Tonnen,<br />
einer Menge, die rund 400 Milliarden T-Shirts<br />
oder rund 150 Milliarden Paar Jeans entspricht,<br />
einen neuen Höchststand erreicht. Begünstigt<br />
durch die wachsende Weltbevölkerung und einen<br />
Anstieg der Kaufkraft ist kein Ende dieses Wachstums<br />
in Sicht. Holzbasierte Cellulosefasern nehmen<br />
in diesem Markt eine besondere Rolle ein:<br />
Während die Anbaufläche von anderen Naturfasern<br />
aufgrund profitablerer alternativer Pflanzen<br />
aus dem Nahrungsmittelbereich seit Jahren stagniert<br />
bzw. rückläufig ist und synthetische Fasern<br />
aufgrund der Faserbeschaffenheit nicht in allen<br />
Anwendungen eingesetzt werden können, weisen<br />
holzbasierte Cellulosefasern ein überdurchschnittliches<br />
Nachfragewachstum auf. Dank der hohen<br />
Verfügbarkeit des Rohstoffes Holz und der vielfältigen<br />
Einsatzgebiete gewinnen sie im Textilund<br />
Vliesstoffmarkt immer weiter an Bedeutung.<br />
Der weltweite Bekleidungsmarkt, welcher der<br />
größte Einsatzbereich für Fasern ist, befindet<br />
sich in einem umfassenden Wandel. Dominierten<br />
noch vor wenigen Jahren die traditionellen<br />
Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Winterkollektionen<br />
den Modekalender, so findet man in den<br />
großen Modehäusern dieser Welt heute innerhalb<br />
weniger Wochen ein völlig neues Sortiment<br />
vor. Hat man ein passendes Kleidungsstück<br />
gefunden, so muss die Kaufentscheidung rasch<br />
gefällt werden, denn immer schneller werden<br />
Produkte durch neue Designs ersetzt. Gleichzeitig<br />
fordern Konsumenten zunehmend eine<br />
ökologisch und sozial nachhaltige Produktion<br />
von Bekleidungsstücken. Auch im Bereich der<br />
Vliesstoffe, die vor allem in Hygieneprodukten<br />
eingesetzt werden, sehen sich die Anbieter<br />
zunehmend dem prüfenden Blick von Konsumenten,<br />
Umweltorganisationen und Gesetzgebern<br />
gegenüber.<br />
Trends wie diese stellen große Händler und<br />
Marken vor neue Herausforderungen, die nur<br />
mithilfe der Unternehmen in den vorgelagerten<br />
Wertschöpfungsschritten bewältigt werden<br />
können. Schnelle Reaktion auf Kundenwünsche,<br />
kurze Lieferketten, verlässliche Qualität, nachhaltige<br />
Produktion und hohe Innovationskraft<br />
sind nur einige der Anforderungen, die an diese<br />
Unternehmen gestellt werden. Lenzing hat dies<br />
früh erkannt und konnte sich dank unternehmerischer<br />
Weitsicht und unermüdlichem Einsatz der<br />
Mitarbeiter in den vergangenen Jahren erfolgreich<br />
als Vorreiter in der Industrie etablieren.<br />
Mit großer Freude sehen wir, dass Lenzing als<br />
traditionsreiches Unternehmen mit starker<br />
lokaler Verankerung nicht nur auf diese Trends<br />
vorbereitet ist, sondern diese aktiv mitgestaltet.<br />
MIT QUALITÄT UND INNOVATIONSKRAFT<br />
setzt Lenzing Standards auf dem Gebiet der Cellulosefasern<br />
und vereint alle drei Faser-Generationen unter einem Dach.<br />
STRATEGISCHE NEUAUSRICHTUNG<br />
VOLL IM GANGE<br />
Nach einigen turbulenten Jahren, die von<br />
Veränderungen im Marktumfeld und internen<br />
Herausforderungen geprägt waren, befindet<br />
sich Lenzing heute wieder ganz auf Wachstumskurs.<br />
Die Transformation des Unternehmens<br />
von einem B2B-Hersteller von Standardfasern<br />
hin zu einem Anbieter von nachhaltig<br />
produzierten und hoch-funktionalen Spezialfasern<br />
mit starkem Fokus auf den Endkonsumenten<br />
ist in vollem Gange. Die Marke Lenzing<br />
und die damit verbundenen Werte und Fasereigenschaften<br />
werden zunehmend vom Endkunden<br />
wahrgenommen. Steht bei Kleidungsstücken<br />
zwar immer noch das Design im<br />
Vordergrund, gewinnen heute Tragekomfort,<br />
physiologische Eigenschaften, Hautfreundlichkeit<br />
und umweltschonende Herstellung der im<br />
Kleidungsstück eingesetzten Fasern zunehmend<br />
an Bedeutung. Das Management-Team<br />
und die Mitarbeiter haben in den vergangenen<br />
Jahren großen Mut zur Weiterentwicklung und<br />
Umsetzungsstärke bewiesen.<br />
B&C | JAHRBUCH <strong>2016</strong> | LENZING<br />
52<br />
53
B&C | JAHRBUCH <strong>2016</strong> | LENZING<br />
WALD<br />
HOLZ<br />
FASERZELLSTOFF<br />
FASER<br />
GARN<br />
STOFF<br />
HOLZBASIERTE CELLULOSEFASERN<br />
werden seit über hundert Jahren hergestellt. Die Lenzing Gruppe ist dank laufender Technologie-<br />
Weiterentwicklungen heute weltweit der einzige Produzent, der alle drei Generationen von<br />
holzbasierten Cellulosefasern, Viscose, Modal und die Lyocellfaser TENCEL®, global anbietet.<br />
KONSEQUENTER NACHHALTIGKEITSFOKUS<br />
IN DER GESAMTEN PRODUKTION<br />
Das tief in der Unternehmenskultur verankerte<br />
Streben nach Nachhaltigkeit ist einer der wichtigsten<br />
Innovationstreiber bei Lenzing. Im Jahr<br />
<strong>2016</strong> wurde nach intensiver Entwicklungszeit<br />
etwa die Lyocell-basierte „Refibra“ Faser mit<br />
großem Erfolg am Markt präsentiert. Die<br />
aus wiederverwerteten Baumwollzuschnittsabfällen<br />
produzierte Faser bietet eine einzigartige<br />
Lösung für die zunehmende Problematik<br />
steigender Mengen an Textilabfällen, welche<br />
ihr Ende bislang vorwiegend auf Mülldeponien<br />
finden. Lenzing zeigt damit wiederum, dass<br />
„Nachhaltigkeit“ für das Unternehmen kein viel<br />
beanspruchter Modebegriff ist, sondern leistet<br />
mit der Refibra Faser einen maßgeblichen<br />
Beitrag zur Verbesserung der Ressourceneffizienz<br />
in der Textilbranche.<br />
WEGWEISENDE FORSCHUNGS-<br />
UND ENTWICKLUNGSAKTIVITÄTEN<br />
UND KUNDENNAHE INNOVATION<br />
Dank des Know-hows der Mitarbeiter im<br />
Forschungszentrum am Standort Lenzing ist<br />
das Unternehmen in der Lage, nicht nur inkrementelle<br />
Prozessverbesserungen zu erarbeiten,<br />
sondern wegweisende Impulse in der Fasertechnologie<br />
zu setzen. Lenzing ergänzt das an<br />
den österreichischen Standorten vorhandene<br />
Expertenwissen mit zwei neuen Kompetenzzentren<br />
für Produktinnovationen in Indonesien<br />
und Hongkong. Die Innovationskraft Lenzings<br />
und die Fähigkeit, rasch auf die Anforderungen<br />
globaler Absatzmärkte reagieren zu können,<br />
sind Leistungen, auf die das Unternehmen stolz<br />
sein kann.<br />
STÄRKUNG DER WELTOFFENEN<br />
UNTERNEHMENSKULTUR<br />
Eine der größten Veränderungen der vergangenen<br />
Jahre ist die Entwicklung des Unternehmens,<br />
basierend auf seiner tiefen Verwurzelung<br />
in Österreich, zu einer global agierenden<br />
Gruppe mit einem geografisch und kulturell<br />
diversifizierten Footprint. Die Textilbranche<br />
ist eine weltweit umfassend vernetzte Industrie,<br />
die von regional stark unterschiedlichen<br />
Konsumentenpräferenzen und Marktstrukturen<br />
sowie stark verzweigten internationalen<br />
Lieferketten geprägt ist. Eine Unternehmenskultur,<br />
die den interkulturellen Austausch über<br />
alle Hierarchieebenen ermöglicht, ist dabei<br />
einer der Schlüssel für nachhaltiges Wachstum<br />
und Erfolg. Mit der Schaffung einer Matrixorganisation<br />
und der Förderung der Mobilität innerhalb<br />
des Unternehmens hat Lenzing in den<br />
vergangenen Jahren wichtige Schritte gesetzt,<br />
um die kulturelle Diversität zu erhöhen. Dieser<br />
Wandel hat die Mitarbeiter des Unternehmens<br />
auch vor neue Herausforderungen gestellt, die<br />
bravourös gemeistert wurden.<br />
ZUKUNFTSPERSPEKTIVEN<br />
Das am Markt für holzbasierte Cellulosefasern<br />
einzigartige Standortprofil mit hocheffizienten<br />
Faserwerken in Nordamerika, Europa und Asien<br />
und eigener Zellstofferzeugung ermöglicht es<br />
Lenzing nicht nur, rasch auf veränderte Marktbedingungen<br />
zu reagieren, sondern auch, als<br />
Vorreiter neue Trends zu setzen. Das engagierte<br />
Lenzing-Team zeichnet sich durch seine hohe<br />
Innovationskraft aus, die zu zunehmender<br />
Markenbekanntheit führt. Gepaart mit der engen<br />
regionalen Zusammenarbeit mit Partnern in der<br />
Anwendungsentwicklung, dem Fokus auf nachhaltige<br />
Produktion mit kontinuierlichen Prozessverbesserungen<br />
und einer soliden Bilanzstruktur<br />
sind wir zuversichtlich, dass Lenzing den eingeschlagenen,<br />
erfolgreichen Wachstumskurs<br />
konsequent weiter fortsetzen wird.<br />
ERFAHREN SIE MEHR<br />
ÜBER DIE LENZING AG.<br />
54<br />
55
Kennzahlen <strong>2016</strong><br />
EBITDA 428,3 Mio EUR<br />
Eigenkapitalquote<br />
(bereinigt) 53,0<br />
%<br />
ROCE15,1 %<br />
2.134,1 Mio EUR Umsatz<br />
296.313.000 EUR<br />
Refibra TM<br />
heißt eine neue Fasergeneration<br />
der Lenzing Gruppe auf Basis der sehr umweltfreundlichen Lyocelltechnologie.<br />
Es ist die erste Cellulosefaser, die neben Holz als Rohstoff in der Zellstoffproduktion<br />
Zuschnittabfälle aus der Produktion von Baumwollbekleidung verwendet.<br />
Forschung und Entwicklung<br />
in Mio EUR<br />
Betriebsergebnis<br />
Steigerung gegenüber dem Vorjahr um 96,1 %<br />
+ 65 %<br />
hat sich der Aktienkurs<br />
der Lenzing AG<br />
im Berichtsjahr erhöht.<br />
B&C | JAHRBUCH <strong>2016</strong> | LENZING<br />
Anteil der Spezialfasern<br />
am Konzernumsatz<br />
Faserumsatz<br />
nach Kernmärkten<br />
31,1 20,6 29,8 46,4<br />
Rund 1.140<br />
Patente und Patentanmeldungen hält Lenzing in 50 Ländern weltweit.<br />
Standorte<br />
42 % Spezialfasern<br />
47 % Standardfasern<br />
11 % Sonstige Geschäftsfelder<br />
37,3 % North Asia<br />
36,4 % AMEA<br />
(Asien, Naher Osten, Afrika)<br />
26,3 % Europe & Americas<br />
PRODUKTION VON TENCEL ® FASERN:<br />
Lenzing und Heiligenkreuz/Österreich,<br />
Mobile, Alabama/USA,<br />
Grimsby/Großbritannien<br />
PRODUKTION VON<br />
LENZING VISCOSE ® FASERN:<br />
Lenzing/Österreich, Nanjing/China,<br />
Purwakarta/Indonesien<br />
PRODUKTION VON<br />
LENZING MODAL ® FASERN:<br />
Lenzing/Österreich<br />
PRODUKTION VON ZELLSTOFF:<br />
Lenzing/Österreich,<br />
Paskov/Tschechien<br />
VERTRIEBS- UND<br />
MARKETINGBÜROS:<br />
New York/USA, Coimbatore/Indien,<br />
Shanghai und Hongkong/China,<br />
Jakarta/Indonesien, Seoul/Korea,<br />
Singapur<br />
2013 2014 2015 <strong>2016</strong><br />
Kurschart Jänner <strong>2016</strong> bis Mai 2017 (EUR pro Aktie)<br />
107,2 Millionen Euro<br />
wurden in das Anlagevermögen investiert.<br />
62,6 % 1<br />
Anteil der B&C Industrieholding<br />
am Grundkapital der Lenzing;<br />
damit größter Aktionär des Unternehmens.<br />
1) ab Mai 2017 50,0 % + 2 Aktien<br />
56<br />
57
Intelligente Kleidung<br />
Ein Pyjama, der den Blutdruck misst, ein Baby-Strampler, der bei plötzlich aussetzender<br />
Atmung Alarm schlägt, und vieles mehr: Das Potenzial für smarte Fasern<br />
und Textilien ist enorm.<br />
Marlene Dietrich hätte das posthum für sie entworfene<br />
Kleid auf Anhieb geliebt oder gehasst. Eine Bewertung<br />
dazwischen hätte es für die kompromisslose Stilikone wohl<br />
nicht gegeben. Aktuell sorgt die anlässlich des 25. Todesjahres<br />
der Leinwandlegende geschaffene Kreation des<br />
Designerlabels ElektroCouture bei Fashion-Ausstellungen<br />
für Aufsehen: ein Traum aus feinsten Stoffen mit LED-<br />
Applikationen, die das Kleid zum Leuchten bringen.<br />
Das Marlene-Kleid steht stellvertretend für eine Reihe –<br />
zum Teil sehr futuristisch anmutender – Versuche, Mode,<br />
Technologie und Funktionalität zu sogenannten Smart<br />
Wearables im textilen Bereich zu vereinen. Diese sollen<br />
künftig durchaus wichtige Aufgaben erfüllen können.<br />
„Es steckt ungemein hohes Potenzial in solchen Textilien.<br />
Allein im Pflege- und Medizinbereich könnten sie zum<br />
Beispiel zur besseren Überwachung von Babies, Kleinkindern,<br />
kranken und pflegebedürftigen Menschen eingesetzt<br />
werden. Oder auch im Sportbereich bietet sich mit<br />
speziellen Signalübertragungsfasern ein breites Anwendungsfeld“,<br />
so Gert Kroner, Leiter des Bereichs Global<br />
Research & Development bei Lenzing. Im Rahmen des<br />
Projekts iTextil arbeitete Lenzing gemeinsam mit weiteren<br />
österreichischen Partnern an der Weiterentwicklung<br />
dieser Möglichkeiten.<br />
NEUE WERTSCHÖPFUNGSKETTEN<br />
Bis jedoch die smarten Fasern und Textilien den Weg zur<br />
Marktreife schaffen, muss noch viel experimentiert und an<br />
der Zusammenarbeit zwischen Textilwirtschaft, Informations-<br />
und Kommunikationstechnologie, Medizintechnik,<br />
Sport und wissenschaftlichen Einrichtungen gefeilt werden.<br />
„Mit Wearables werden neue Wertschöpfungsketten entstehen,<br />
die von der Idee bis zum finalen Produkt komplett untereinander<br />
vernetzt sind und bei denen die elektronischen<br />
Komponenten zum Beispiel als leitendes Garn direkt in das<br />
Wearable integriert sind“, ist Kroner überzeugt.<br />
Um solche Funktionalitäten herstellen zu können, wird<br />
es künftig vermehrt zum Einsatz von Fasermischungen,<br />
sogenannten blended fibres, kommen. Kroner: „Die Fasern<br />
und die daraus erzeugten Textilien müssen ganz Unterschiedliches<br />
leisten, gleichzeitig muss der Tragekomfort<br />
gewährleistet bleiben. Es darf nichts kratzen, jucken,<br />
plötzlich zu schwer werden oder die Bewegungsfreiheit<br />
„MARLENES KLEID“<br />
VOM FASHIONTECH-LABEL ELEKTROCOUTURE<br />
„So kann ich nach Belieben erstrahlen und die<br />
Lichter auch wieder löschen“ (Zitat aus einem Brief<br />
Marlene Dietrichs an ihren Designer Jean Louis,<br />
der in den 1950er Jahren ein leuchtendes Kleid für<br />
sie entwerfen sollte.)<br />
einschränken. Smarte Textilien müssen waschbar und für<br />
den Konsumenten genauso praktisch zu handhaben sein<br />
wie herkömmliche Textilien. Da sind wir als Faserspezialisten<br />
gefragt, die optimalen Mischungen zu testen."<br />
Die textile Wertschöpfungskette<br />
der Zukunft<br />
Sie ist ein Paradebeispiel für die „Produktion 4.0“, in einigen Bereichen noch Vision,<br />
in anderen bereits Realität: Alles ist mit allem vernetzt, Lieferanten sind über<br />
digitale Plattformen ebenso in den Design- und Produktionsprozess eingebunden<br />
wie Kunden und Vertriebspartner. Gekauft wird am Ende nicht das Stück Textil,<br />
sondern ein Service, die Einlösung eines Funktions- und Erlebnisversprechens.<br />
Versorgung<br />
und Beschaffung<br />
Holz, Zellstoff,<br />
biobasierte Chemikalien<br />
Zellstoff- und<br />
Faserproduktion<br />
Eigenproduktion Zellstoff,<br />
Faserproduktion:<br />
Viscose ® , Modal ® , TENCEL ® ,<br />
Refibra<br />
Über integrierte Sensoren in der Produktion, Mikrochips<br />
und Signalübertragungsfasern im Endprodukt werden<br />
an allen Schnittstellen der Wertschöpfungskette Daten<br />
gesammelt. Sie geben wertvolle Hinweise für künftige<br />
Faserentwicklungen, Kundennutzung und Kundenbedarfe<br />
sowie mögliche Umwelteinflüsse. Die Produktionskette<br />
ist nicht nur horizontal und vertikal vernetzt, sondern<br />
auch als Kreislaufsystem konzipiert, das nach dem<br />
Prinzip der Ökoeffektivität – „from cradle to cradle“ –<br />
funktioniert und sämtliche Potenziale zur Ressourcenschonung<br />
nützt.<br />
Weiterverarbeitung<br />
der Faser<br />
Textilien,<br />
Vliesmaterialien<br />
Vertrieb und<br />
Nutzungsphase<br />
Retail: Bekleidung,<br />
Heim- und Sporttextilien<br />
Medizin: Hygieneprodukte<br />
Automotive: Filtertextilien,<br />
Sitzbezüge, verstärkende<br />
Textilien<br />
Ende des<br />
Lebenszyklus<br />
Kooperation mit Downstream-Partnern<br />
Spinner | Weber/Stricker | Färber/Ausrüster | Konfektionär | Einzelhandel | Konsument<br />
Baumwollzuschnittabfälle<br />
Kompostierung,<br />
Forstwirtschaft<br />
KEINE INNOVATION OHNE NACHHALTIGKEIT<br />
Ganz besonderes Augenmerk wird bei der textilen Wertschöpfungskette<br />
auf die noch stärkere Verknüpfung von<br />
Nachhaltigkeit und Innovation gelegt. Bei Lenzing gibt es<br />
schon heute keinen fasertechnologischen Entwicklungsschritt<br />
mehr, ohne dass nicht auch gleich Maßnahmen<br />
zur weiteren Erhöhung der Nachhaltigkeit mitgedacht<br />
werden. Das gilt nicht nur für die hauseigene Produktion,<br />
sondern vor allem auch für die nachfolgenden Schritte in<br />
der gesamten Verarbeitungskette.<br />
B&C | JAHRBUCH <strong>2016</strong> | LENZING<br />
58<br />
59
Die Faser<br />
für extreme Anforderungen<br />
Produkte aus Lyocellfasern der Marke TENCEL® von Lenzing sind besonders<br />
leicht, funktionstechnisch perfekt gestaltet und werden von den Topathleten des<br />
Kletterverbandes Österreich seit 2010 getragen.<br />
Es begann im Jahr 2009. „Eines<br />
Tages hat uns die Österreichische<br />
Sporthilfe angerufen und gefragt, ob<br />
wir Interesse an einem einjährigen<br />
Sponsorenprojekt hätten“, erinnert<br />
sich Michael Schöpf, Sports Manager<br />
des Kletterverbandes Österreich.<br />
Sponsoringpartner war der Faserhersteller<br />
Lenzing, der seine Spezialfaser<br />
TENCEL® einem Praxistest durch<br />
Extremkletterer unterziehen wollte.<br />
Angela Eiter, eine der Weltbesten in<br />
den Disziplinen Vorstieg und Bouldern,<br />
machte die Probe aufs Exempel<br />
und war begeistert.<br />
„The Fiber Year 2017“<br />
World Survey on Textiles & Nonwovens – ausgewählte Kennzahlen<br />
<strong>2016</strong> betrug das Absatzvolumen des weltweiten Fasermarktes<br />
101,4 MILLIONEN TONNEN FASERN. Das sind um 1,4 Prozent<br />
mehr als 2015. Man-made Fasern legten um 2,0 Prozent zu.<br />
Insgesamt wurden im vergangenen Jahr rund 71,2 MILLIONEN<br />
TONNEN MAN-MADE FASERN hergestellt, im Jahr 1980 waren<br />
es erst 14,3 Millionen Tonnen gewesen.<br />
Der Verbrauch von BAUMWOLLE im Jahr <strong>2016</strong> stagnierte bei<br />
24,0 MILLIONEN TONNEN.<br />
WELTWEIT RÜCKLÄUFIGER EINSATZ<br />
VON BAUMWOLLE (Angaben in %,<br />
Anteil Verwendung von Baumwollfasern)<br />
ENTWICKLUNG DES GLOBALEN<br />
FASERMARKTES SEIT 1970<br />
(Verbrauch in Tonnen)<br />
B&C | JAHRBUCH <strong>2016</strong> | LENZING<br />
„Im Gegensatz zu Baumwollshirts<br />
sind Produkte aus TENCEL® Fasern<br />
deutlich leichter, bewegungsflexibler,<br />
leiten Feuchtigkeit und Wärme besser<br />
ab, kleben nicht auf der Haut und<br />
hinterlassen keine unschönen Schweißränder“,<br />
so Schöpf. „Diese Aspekte<br />
sind für Sportler nicht nur für den<br />
Bewegungsablauf, sondern auch<br />
mental extrem wichtig. Sie machen<br />
genau diese ein bis zwei Prozent aus,<br />
die siegentscheidend sein können.“<br />
AUSGESCHLAFEN<br />
ZU HÖCHSTLEISTUNGEN<br />
Wesentlich für eine Topleistung der<br />
Athleten ist auch guter Schlaf auf der<br />
richtigen Unterlage. Schöpf: „Das<br />
Schlimmste, was einem Sportler<br />
passieren kann, ist eine zu harte oder<br />
zu weiche Matratze. Viele unserer<br />
Athleten reisen deshalb mit eigenen<br />
Ruhematten zu den Bewerben. Die<br />
TENCEL® Fasern in diesen Matten unterstützen<br />
die Regeneration im Schlaf.“<br />
Mittlerweile klettert das gesamte<br />
österreichische Nationalteam in<br />
TENCEL® Fasern. Ein entsprechender<br />
Kooperationsvertrag läuft vorerst<br />
bis 2020 – also bis zum ultimativen<br />
Highlight im internationalen Sportgeschehen,<br />
den Olympischen Sommerspielen<br />
in Tokio.<br />
DER KLETTERVERBAND<br />
ÖSTERREICH<br />
wurde im Jahr 2005 gegründet.<br />
2006 erfolgte die Aufnahme in<br />
die Österreichische Bundessportorganisation<br />
und 2010 die<br />
Voll-Anerkennung durch das<br />
Internationale Olympische Komitee.<br />
Im Kletterverband sind rund<br />
180 Vereine mit mehr als 60.000<br />
Mitgliedern vertreten. Sie sind in<br />
den fünf Wettbewerbskategorien<br />
Vorstieg, Bouldern, Speed,<br />
Kombination und Paraclimbing<br />
aktiv. Weitere Informationen:<br />
www.austriaclimbing.com<br />
45 %<br />
40 %<br />
35 %<br />
30 %<br />
25 %<br />
20 %<br />
1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 <strong>2016</strong><br />
TOP-EXPORTEURE UND -IMPORTEURE VON TEXTILIEN UND BEKLEIDUNG WELTWEIT<br />
(Angaben in Mrd. USD)<br />
EXPORTEURE <strong>2016</strong> IMPORTEURE <strong>2016</strong><br />
VR China 267,2 EU (28) 1 121,8<br />
EU (28) 1 49,5 USA 104,7<br />
Indien 35,4 Japan 34,9<br />
Bangladesh 29,1 VR China 23,3<br />
Vietnam 28,5 Hongkong 19,9<br />
Türkei 26,2 Vietnam 18,3<br />
1) extra EU-Handel<br />
70.000<br />
60.000<br />
50.000<br />
40.000<br />
30.000<br />
20.000<br />
10.000<br />
0<br />
1970<br />
<strong>2016</strong><br />
30.158<br />
6.452<br />
64.750<br />
Naturfasern Cellulosefasern Kunstfasern<br />
60<br />
61
WAS WIR<br />
AN DER<br />
SEMPERIT AG<br />
HOLDING<br />
SCHÄTZEN.<br />
Die Semperit Gruppe ist mit ihren Produkten<br />
und Dienstleistungen ein erfolgreicher Nischenplayer<br />
mit führender Marktposition sowohl<br />
in Europa als auch global. Die vier Bereiche<br />
Sempermed (medizinische Untersuchungs- und<br />
Operationshandschuhe), Semperflex (Hydraulikund<br />
Industrieschläuche), Sempertrans (Fördergurte)<br />
und Semperform (Profile, Formteile<br />
und Dichtungen) behaupten sich auf ihren<br />
Märkten mit einer hohen Kundenorientierung<br />
und Kundennähe und beweisen damit, dass<br />
Wettbewerbsfähigkeit nicht nur eine Frage der<br />
Unternehmensgröße ist.<br />
Die 2012 getroffene Entscheidung, eine Handschuhfabrik<br />
in Südostasien zu übernehmen,<br />
war strategisch absolut richtig und notwendig,<br />
um das Handschuhgeschäft nach dem erfolgten<br />
Ausstieg aus dem Handschuh-Joint-Venture<br />
erfolgreich betreiben zu können. Im Werk<br />
Latexx Partners in Malaysia wird derzeit eine<br />
technologisch führende Handschuhproduktion<br />
in Betrieb genommen und dadurch die Kapazität<br />
schrittweise erhöht.<br />
B&C | JAHRBUCH <strong>2016</strong> | SEMPERIT<br />
Der Wert der vier Geschäftsbereiche unter<br />
einem Dach besteht nicht nur in der breiten<br />
Verwendung des speziellen technischen Knowhows<br />
der Semperit Gruppe, sondern auch in<br />
der unterschiedlichen Zyklizität der Märkte, in<br />
denen die Segmente tätig sind. Das Handschuhgeschäft<br />
ist kontinuierlich wachsend, allerdings<br />
von hohem Kostendruck geprägt, und hat eine<br />
globale Kundenbasis. Schlauch und Fördergurt<br />
sind zyklische Geschäfte, die aufgrund der<br />
primär in Europa angesiedelten Kunden vor<br />
allem von der europäischen Industriekonjunktur<br />
abhängig sind. Fensterdichtungen als wichtigstes<br />
Produkt des Segments Semperform und die<br />
übrigen Business Units der Semperform sind<br />
wiederum von der Baukonjunktur abhängig.<br />
Die weitere Internationalisierung der Industriesegmente<br />
wird vorangetrieben, um das strategische<br />
Ziel einer regional ausbalancierten Verteilung<br />
der Erlöse in den drei großen Wirtschaftsräumen<br />
Asien, den Amerikas und Europa zu<br />
erreichen.<br />
DAS FORSCHUNGS- & ENTWICKLUNGSZENTRUM<br />
WIMPASSING<br />
Vom weltweiten F&E-Zentrum der<br />
Semperit Gruppe in Wimpassing aus<br />
wird der Wissens- und Erfahrungsaustausch<br />
aller Werke koordiniert.<br />
BERND SCHLEGL<br />
Beteiligungsmanager<br />
ANDREAS SCHMIDRADNER<br />
Beteiligungsmanager<br />
Nach dem Ausstieg aus einem thailändischen Joint Venture wurden bei der<br />
Semperit AG Holding die Weichen für eine Neuorientierung gestellt. Die Beteiligungsmanager<br />
Andreas Schmidradner und Bernd Schlegl sehen dies als große<br />
Chance, die Ertragskraft der weltweit tätigen Unternehmensgruppe langfristig<br />
zu stärken.<br />
NEUPOSITIONIERUNG ALS CHANCE<br />
Der nun beendete Konflikt um das thailändische<br />
Joint Venture im Handschuhbereich schafft die<br />
Möglichkeit, sämtliche Ressourcen – vor allem<br />
auch die aus der Aufteilung des Joint Ventures<br />
an Semperit zufließenden Mittel – zukunftsorientiert<br />
einzusetzen. Das neue Vorstandsteam<br />
wird eine Neuorientierung der Unternehmensgruppe<br />
vornehmen, mit dem Ziel, die Ertragskraft<br />
des Unternehmens langfristig zu stärken.<br />
Semperit hat im Segment Untersuchungs- und<br />
Schutzhandschuhe eine führende Weltmarktposition<br />
inne. Rund die Hälfte der produzierten<br />
Handschuhe werden erfolgreich unter der<br />
Marke Sempermed vertrieben. Semperit produziert<br />
in der Fertigung in Wimpassing seit 1920<br />
Schutzhandschuhe und ist heute der einzige<br />
Produzent von hochqualitativen, sterilen Operationshandschuhen<br />
in Europa.<br />
Die Kunden im Handschuhbereich erwarten<br />
von ihren Lieferanten nicht nur Kundennähe,<br />
hohe Produktqualität und marktgerechte Preise,<br />
sondern auch eine entsprechende technische<br />
Kompetenz als Voraussetzung, um neue Produkte<br />
und Entwicklungen in ihr Portfolio integrieren<br />
zu können. Mit Innovationen aus dem F&E-<br />
Zentrum Wimpassing kann Sempermed am Welt-<br />
62<br />
63
markt punkten: Semperit hatte beispielsweise<br />
im Jahr <strong>2016</strong> den ersten anti-allergenen<br />
Operationshandschuh entwickelt und dafür<br />
den europäischen Innovationspreis EARTO<br />
verliehen bekommen. Ausschlaggebend für die<br />
gegen 35 Mitbewerber errungene Auszeichnung<br />
waren die innovative Produktionstechnologie,<br />
die einzigartigen Produkteigenschaften und der<br />
energieeffiziente Herstellungsprozess.<br />
Möglichkeiten zur nachhaltigen<br />
Geschäftsausweitung<br />
sind für jedes Segment<br />
der Semperit Gruppe gegeben,<br />
vor allem in den Märkten<br />
außerhalb Europas.<br />
REZEPTBUCH UND PRODUKTIONSNAHE<br />
FORSCHUNG ALS WETTBEWERBSVORTEILE<br />
Mit Ausnahme von Fördergurten werden Produkte<br />
aller Segmente der Unternehmensgruppe<br />
auch im niederösterreichischen Wimpassing<br />
hergestellt. Dies ermöglicht es der dort angesiedelten<br />
zentralen Forschungs- und Entwicklungsabteilung,<br />
in unmittelbarer Nähe der Mischanlagen,<br />
Pressen und Extrusionsanlagen zielorientiert<br />
sowohl Gummimischungen als auch<br />
Fertigungstechnologien zu entwickeln.<br />
Sobald in Wimpassing ein neues Produkt serienreif<br />
oder eine neue Technologie im Fertigungsprozess<br />
erprobt ist, erfolgt die konzernweite<br />
Ausrollung in die Werke der Semperit.<br />
Als besonders wertvolles und zentrales Knowhow<br />
„gehütet“ wird die Sammlung von rund<br />
1.800 Gummirezepturen. Das Besondere an<br />
Gummimischungen ist, dass sie, einmal in<br />
Endprodukte verarbeitet, nicht mehr exakt auf<br />
ihre Bestandteile hin analysiert werden können.<br />
Semperit ist dank dieses Wissens in der Lage,<br />
maßgeschneiderte Lösungen für Kundenanforderungen<br />
anzubieten.<br />
UNTERNEHMENSKULTUR UNTERSTÜTZT<br />
DAS WACHSTUM<br />
Dies war erforderlich geworden, um die Basis<br />
für die Zusammenarbeit zwischen den 22<br />
Produktionsstandorten und dem in über 100<br />
Ländern aktiven Vertrieb zu schaffen und ein<br />
einheitliches Verständnis aller Mitarbeiter über<br />
die Unternehmensziele zu erreichen.<br />
Der Erfolg der Integration der Leeser-Werke<br />
in Deutschland – eines Herstellers von Dichtungsprofilen<br />
– ist ein gutes Beispiel für diese neue<br />
Kultur der Zusammenarbeit. Durch die umsichtige<br />
„Post-Merger-Integration“ ist es nicht nur<br />
gelungen, die übernommenen Mitarbeiter zu<br />
halten, sondern auch das Know-how der beiden<br />
traditionsreichen Unternehmen zu verknüpfen<br />
und somit zu erreichen, dass aus 1 + 1 mehr als<br />
2 wurde.<br />
ABSEHBARE WACHSTUMSPOTENZIALE<br />
AUSSERHALB EUROPAS<br />
Möglichkeiten zur nachhaltigen Geschäftsausweitung<br />
sind für jedes Segment der Semperit<br />
gegeben. Die meisten regionalen Marktpotenziale<br />
liegen außerhalb Europas, wo Semperit<br />
bereits beachtliche Marktpositionen innehat.<br />
Dies gilt für das Handschuhgeschäft insbesondere<br />
in Asien, wo der Pro-Kopf-Verbrauch noch<br />
weit unter dem US-amerikanischen und europäischen<br />
Niveau liegt. Im Dichtungsbereich<br />
konnte vor Kurzem durch Erlangung eines relevanten<br />
Referenzauftrags in den USA Fuß gefasst<br />
werden. Dieser Referenzauftrag hat bereits zu<br />
Folgeaufträgen geführt, womit die grundsätzlichen<br />
Voraussetzungen für eine eigene Dichtungsfertigung<br />
in den USA geschaffen wurden.<br />
Die USA sind auch ein potenzieller Markt für<br />
extrem robuste Fördergurte, die im Minengeschäft<br />
sowie in Stahl- und anderen Kraftwerken<br />
Verwendung finden. Der Markteintritt der<br />
Sempertrans erfolgt im ersten Schritt über eine<br />
eigene Vertriebsgesellschaft. Auch für das konstant<br />
wachsende und margenstarke Schlauchgeschäft<br />
ist Nordamerika ein interessanter<br />
Absatzmarkt. Semperflex hat mit der Positionierung<br />
als global größter „hose only“-Anbieter<br />
eine ertragreiche Nische gefunden und kann im<br />
Wettbewerb mit den großen Herstellern von<br />
Gesamt-Hydrauliksystemen bestens reüssieren.<br />
DIE VIER PRODUKTIONSSEGMENTE<br />
Semperit ist in zwei klar definierten Sektoren tätig: im Sektor<br />
Industrie mit den Segmenten Semperflex, Semperform und<br />
Sempertrans sowie im Sektor Medizin mit Sempermed.<br />
B&C | JAHRBUCH <strong>2016</strong> | SEMPERIT<br />
In den vergangenen Jahren wurden ein Wertekatalog<br />
für die Unternehmensgruppe und eine<br />
neue Kultur der Zusammenarbeit entwickelt.<br />
ERFAHREN SIE MEHR<br />
ÜBER DIE<br />
SEMPERIT AG HOLDING.<br />
64<br />
65
Kennzahlen <strong>2016</strong><br />
82,6 Mio EUR<br />
EBITDA (bereinigt<br />
um Sondereffekte)<br />
65.072.000 EUR<br />
B&C | JAHRBUCH <strong>2016</strong> | SEMPERIT<br />
49,0 Mio EUR<br />
EBIT (bereinigt<br />
um Sondereffekte)<br />
wurden in das Anlagevermögen und damit in die Zukunft<br />
des Unternehmens investiert<br />
Eigenkapitalquote 31,8<br />
%<br />
Forschung und Entwicklung<br />
>190 Jahre<br />
852,4 Mio EUR Umsatz<br />
Umsatz nach Segmenten<br />
Umsatz nach Regionen<br />
RUND<br />
250 MITARBEITER<br />
RUND<br />
13 MIO<br />
EUR<br />
FÜR F&E<br />
reicht die Geschichte des Unternehmens zurück, in der Generationen<br />
von Ingenieuren, Chemikern, Physikern, Technikern und Forschern<br />
den Grundstein zum heutigen Erfolg legten.<br />
betreibt<br />
die Semperit Gruppe<br />
weltweit in 12 Ländern<br />
22Produktionswerke<br />
auf drei Kontinenten.<br />
35 % beträgt der Frauenanteil in der Semperit<br />
Talent Academy, in der zukünftige Führungskräfte und Experten<br />
auf die Aufgaben von morgen vorbereitet werden.<br />
41 % Sempermed<br />
24 % Semperflex<br />
17 % Sempertrans<br />
18 % Semperform<br />
MEDIZIN<br />
INDUSTRIE<br />
68 % Europa<br />
12 % Asien, Afrika<br />
und andere Länder<br />
20 % Nord- und Südamerika<br />
Standorte<br />
ZENTRALE: Wien/Österreich<br />
SEMPERMED:<br />
Österreich, Ungarn, Deutschland,<br />
Italien, Türkei, China, Malaysia,<br />
Singapur, USA, Chile<br />
SEMPERFORM:<br />
Österreich, Ungarn, Deutschland,<br />
Frankreich, Großbritannien, China,<br />
Singapur, USA<br />
SEMPERTRANS:<br />
Österreich, Deutschland, Polen,<br />
Frankreich, Indien, Italien, China,<br />
Indonesien, Australien, Kanada,<br />
Mexiko, Chile, USA<br />
SEMPERFLEX:<br />
Österreich, Tschechien, Italien,<br />
Deutschland, China, Thailand,<br />
Singapur, Indien, USA<br />
RUND<br />
50 PATENT-<br />
FAMILIEN<br />
Kurschart Jänner <strong>2016</strong> bis Mai 2017 (EUR pro Aktie)<br />
Alle 6.974 Mitarbeiter<br />
sind in das neu eingeführte „World Class Manufacturing“-Programm<br />
zur kontinuierlichen Verbesserung auf allen Ebenen eingebunden.<br />
360 °Feedback<br />
dient als objektives Beurteilungsinstrument<br />
für Management, Führungskräfte und Teamleiter.<br />
54,2 %<br />
Anteil der B&C Industrieholding am Grundkapital<br />
der Semperit; damit größter Aktionär des Unternehmens.<br />
66<br />
67
„Schneller,<br />
sicherer,<br />
leichter,<br />
leiser“<br />
lichkeit haben und chemisch weitmaschig<br />
vernetzt sind. Diese Bedingungen<br />
werden heute von einer<br />
beachtlichen Anzahl von Polymeren<br />
und Vernetzungssystemen erfüllt.<br />
So können über die Chemie neben<br />
Elastizität auch Dämpfung, Haftung,<br />
Alterungs- und Medienbeständigkeit<br />
eingestellt werden. Durch verstärkende<br />
Füllstoffe erlangt Gummi die<br />
vom Markt geforderte Festigkeit,<br />
Abriebwiderstand und Lebensdauer.<br />
Diese Wettbewerbsvorteile zeichnen<br />
Gummi aus. Sie garantieren Sicherheit<br />
und Komfort in unserer mobilen<br />
Gesellschaft.<br />
B&C | JAHRBUCH <strong>2016</strong> | SEMPERIT<br />
Robert H. Schuster, emeritierter Vorstand des<br />
Deutschen Instituts für Kautschuktechnologie, über<br />
die Zukunftsaussichten von Gummi als industriellem<br />
Werkstoff beziehungsweise die Perspektiven, die die<br />
hochentwickelte Kautschuktechnologie für Anwendungen<br />
im Transport von Gütern und Medien, in der<br />
Mobilität (öffentlicher Verkehr/Eisenbahn) oder im<br />
Schutz der menschlichen Gesundheit eröffnet.<br />
Welche „Wettbewerbsvorteile“ hat<br />
Gummi als Werkstoff gegenüber<br />
anderen Materialien?<br />
ROBERT H. SCHUSTER: Der Werkstoff<br />
Gummi hat Eigenschaften, die<br />
ihn von allen anderen Werkstoffen<br />
grundlegend unterscheiden. Das<br />
Alleinstellungsmerkmal von Gummi<br />
kann vereinfacht durch vier Grundeigenschaften<br />
beschrieben werden,<br />
die der Werkstoff simultan erfüllt.<br />
Der Werkstoff ist hochelastisch, weich,<br />
formstabil und zeigt nach wiederholter<br />
statischer und dynamischer<br />
Belastung eine geringe bleibende<br />
Verformung. Diese Kombination an<br />
Eigenschaften trifft man bei keiner<br />
anderen Werkstoffgruppe an. Sie<br />
basiert auf dem Materialkonzept der<br />
Entropie- oder Gummielastizität.<br />
Dafür ist es notwendig, dass die zur<br />
Herstellung von Gummi eingesetzten<br />
Polymere eine hohe Kettenbeweg-<br />
In welchen Anwendungsbereichen ist<br />
Gummi durch nichts ersetzbar?<br />
SCHUSTER: In der Wahrnehmung<br />
der Gesellschaft erfreut sich Gummi<br />
nicht der Wertschätzung, die er tatsächlich<br />
verdient. An die Reifen als<br />
Sicherheitsfaktor denkt man genau<br />
so wenig wie an die Beständigkeit<br />
kleiner Dichtungen und Schläuche.<br />
Gummihandschuhe tragen zum<br />
Erfolg stundenlanger Operationen<br />
bei, wo es auf feinste Handgriffe des<br />
Chirurgen ankommt. Kurz, das Leistungsspektrum<br />
moderner Elastomere<br />
ist extrem breit gefächert.<br />
Da alle Elastomerbauteile auf vernetzten<br />
Kautschuken basieren, die<br />
deren Elastizität gewährleisten, wird<br />
Gummi auch in Zukunft einen hohen<br />
Stellenwert haben. Ein Ersatz durch<br />
Kunststoffe, die die oben genannten<br />
physikalischen Bedingungen nicht<br />
erfüllen, ist unwahrscheinlich, solange<br />
Elastizität ein Kriterium für die<br />
Anwendung darstellt. Ob nun der<br />
Bauteil bei tiefen und hohen Temperaturen,<br />
unter statischer oder dynamischer<br />
Langzeitbelastung, in Ölen<br />
und aggressiven Medien eingesetzt<br />
wird – er muss elastisch sein. Voraussetzung<br />
dafür ist, dass die Polymerketten<br />
sich schnell und ohne innere<br />
Reibung bewegen können. Das mag<br />
abstrakt klingen, aber es ist die<br />
„conditio sine qua non“ für die Elastizität,<br />
die den Gummi ausmacht.<br />
UNBEGRENZTE MÖGLICHKEITEN<br />
In Zukunft ist kein Ende der Anwendung des Industriewerkstoffs<br />
Gummi abzusehen. Die weltweit führenden Kompetenzzentren in<br />
Europa entwickeln neue elastische Polymere, die dazu beitragen,<br />
die Herausforderungen zum Beispiel in den Bereichen IT oder<br />
Elektromobilität zu meistern. Fördergurte dieser Art transportieren<br />
beispielsweise Kohle oder Erze über eine Distanz von mehr<br />
als 100 Kilometern.<br />
68<br />
69
PROF. DR. ROBERT H. SCHUSTER<br />
Die chemischen Wege, um flexible<br />
Polymere herzustellen, wie auch die<br />
Quellen, aus denen zukünftig – nach<br />
dem „Ölzeitalter“ – Monomere dafür<br />
gewonnen werden, stehen auf einem<br />
anderen Blatt. Ausschlaggebend sind<br />
nicht die Art der Rohstoffe und deren<br />
Provenienz, sondern die Elastizität,<br />
die den Gummi zu einem strategisch<br />
wichtigen und nicht zu ersetzenden<br />
Werkstoff macht.<br />
war von 1991 bis zum Erreichen des gesetzlichen<br />
Pensionsalters im Jahr 2010 als Leiter des Deutschen<br />
Instituts für Kautschuktechnologie e. V. (DIK)<br />
tätig und beendete seine Institutsaktivitäten im<br />
Jahr 2013. Das einmalige Konzept des Instituts<br />
ist es, die verschiedensten naturwissenschaftlichen<br />
und ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen<br />
im Bereich Kautschuk und polymere Werkstoffe<br />
unter einem Dach vereint zu haben.<br />
Der Diplomchemiker ist der Branche bis<br />
jetzt als Berater verbunden geblieben.<br />
Welche Entwicklungsperspektiven der<br />
Kautschuktechnologie sind für die<br />
Industrie, aber auch für Anwender<br />
besonders interessant?<br />
SCHUSTER: Jede Herausforderung,<br />
deren Bewältigung mit „schneller,<br />
sicherer, leichter, leiser“ gemeistert<br />
werden kann, ist ein potenzielles<br />
Geschäftsfeld für Gummi. Das von<br />
Kautschukprodukten abgedeckte<br />
Leistungsspektrum ist historisch<br />
gewachsen. Dazu haben der Trend<br />
zur globalen Mobilität, das Bestreben,<br />
Vibrationen und Schwingungen aller<br />
Art zu dämpfen, die Notwendigkeit,<br />
aggressive Medien zu transportieren<br />
und zu isolieren und nicht zuletzt<br />
medizinische Anwendungen beigetragen.<br />
Heute nutzen wir in vielen<br />
Bereichen Hochleistungselastomere.<br />
Der weitere Weg hängt von den<br />
Anforderungen des Marktes ab.<br />
Wer mit der Zeit geht, wird optimale<br />
Lösungen für die Herausforderungen<br />
dieses Jahrhunderts finden, die sich<br />
durch die Informationstechnologie,<br />
Umweltaspekte oder Elektromobilität<br />
ergeben, um nur einige Richtungen<br />
zu nennen.. Man wird mehr auf<br />
Leichtbau setzen und Funktionalitäten<br />
nach Beispielen aus der Natur<br />
einbringen. Dabei sind Phantasie<br />
und Flexibilität bei den Materialentwicklern<br />
wie auch den Verfahrensingenieuren<br />
gefragt, was wiederum<br />
eine interdisziplinäre Ausbildung<br />
voraussetzt. Es wird unerlässlich<br />
werden, die Wirkungsmechanismen<br />
des Werkstoffs Gummi besser zu verstehen.<br />
Dazu muss man die Empirie<br />
durch motivierte Voraussagen ersetzen,<br />
Nanotechnologie zur Steigerung<br />
der Produktleistung implementieren<br />
und energiesparende Verarbeitungsprozesse<br />
einführen.<br />
Welche Rolle spielt die produktionsnahe<br />
Forschung (wie zum Beispiel<br />
bei Semperit in Wimpassing)?<br />
SCHUSTER: Für ein modernes<br />
Unternehmen ist die anwendungsorientierte<br />
Forschung seit mindestens<br />
zwei Jahrzehnten unerlässlich.<br />
Es gilt einerseits Produktionsabläufe<br />
effizienter zu machen, den Materialausschuss<br />
zu minimieren und Kosten<br />
zu senken; andererseits wird die Wettbewerbsfähigkeit<br />
durch neue Produkte<br />
gestärkt. Meines Erachtens kann<br />
Innovation nicht verordnet werden,<br />
auch wenn Betriebswirtschaftler<br />
das manchmal glauben. Innovation<br />
wird über verstandene Wirkungsmechanismen<br />
im Compound und im<br />
Bauteil erst denkbar. Ein „alter Hase“<br />
gab mir einen Spruch mit auf den<br />
Weg, als ich im Deutschen Institut<br />
für Kautschuktechnologie anfing:<br />
„Mehr denken, weniger kochen.“ Mit<br />
anderen Worten: mehr Forschung,<br />
weniger Empirie. So kann Innovation<br />
neue Geschäftsbereiche öffnen und<br />
zur Rentabilität beitragen.<br />
Die Voraussetzungen sind ein technologiefreundliches<br />
Management, ein<br />
gut ausgebildetes und neugieriges<br />
Team mit Bodenhaftung sowie eine<br />
progressive und flexible Verfahrenstechnik.<br />
Ein weiteres Kriterium,<br />
DAS DEUTSCHE INSTITUT FÜR KAUTSCHUKTECHNOLOGIE (DIK)<br />
in Hannover ist eines der weltweit führenden Forschungs- und Entwicklungszentren<br />
für Kautschuk. Das DIK ist eine selbstständige Forschungseinrichtung<br />
mit enger Kooperation zur Leibniz Universität Hannover und<br />
zur Industrie. Die Hauptaufgaben des DIK sind:<br />
Untersuchungen an Hochleistungselastomeren<br />
technologische Entwicklung bei Mischung und Verarbeitung<br />
physikalische und chemische Charakterisierung von Gummiund<br />
Kunststoff-Verbundwerkstoffen<br />
Verbesserung der Einsatzzeiten von Gummiprodukten<br />
und Verbundwerkstoffen<br />
Umwelt- und Spurenanalyse<br />
unterstützende Dienstleistungen für die Industrie<br />
Die breit gefächerte, interdisziplinäre Organisation des Instituts ist ein<br />
entscheidender Faktor für seine Einzigartigkeit. Ein Team von Ingenieuren,<br />
Physikern, Chemikern und gut ausgebildeten Technikern ist imstande,<br />
maßgeschneiderte Lösungen für die auf dem Gebiet der Kautschuktechnologie<br />
auftretenden Probleme auszuarbeiten. Das DIK bietet<br />
intensive Weiterbildung im Bereich Kautschuk auf wissenschaftlicher<br />
und technologischer Ebene. Ein Kooperationsvertrag mit der Leibniz-<br />
Universität Hannover und Partnerschaften mit Instituten auf der ganzen<br />
Welt erhöhen das innovative Potenzial.<br />
das zum Erfolg beiträgt, ist die<br />
Zusammenarbeit mit Instituten für<br />
angewandte Grundlagenforschung.<br />
Das spart einerseits Geräteinvestitionen,<br />
erfordert jedoch die effiziente<br />
Umsetzung der Forschungsergebnisse<br />
in ein Verfahren oder ein neues<br />
Produkt. Von Semperit kenne ich die<br />
erfolgreichen Ergebnisse der Zusammenarbeit<br />
mit der Montanuniversität<br />
Leoben im Bereich der Verfahrenstechnik<br />
oder mit dem Polymer Competence<br />
Center Leoben, die weltweit<br />
erstmalig zu allergenfreien Handschuhen<br />
aus synthetischem Kautschuk<br />
führten.<br />
Wie ist das Know-how der Kautschuktechnologie<br />
in der Welt verteilt?<br />
Gibt es in Europa ähnlich viel Wissen<br />
wie in Asien oder in Amerika?<br />
SCHUSTER: Die Antwort ergibt sich,<br />
wenn man das Niveau der Technologiekultur<br />
in den Regionen der Welt<br />
betrachtet. Dazu haben historische<br />
und wirtschaftspolitische Gegebenheiten,<br />
aber auch Ausbildung und<br />
Forschung maßgeblich beigetragen.<br />
Ich würde behaupten, dass sich in<br />
Zentraleuropa, gefolgt von Japan, die<br />
führenden Kompetenzzentren der<br />
Kautschuktechnologie befinden. In<br />
anderen Kontinenten ist der früher<br />
vorhandene Vorsprung geschrumpft.<br />
Die im Aufschwung befindliche<br />
Gummiindustrie in China hat großen<br />
Nachholbedarf.<br />
Welche Nachhaltigkeitsaspekte<br />
in Zusammenhang mit Kautschuk<br />
beziehungsweise Gummi sind<br />
erwähnenswert?<br />
SCHUSTER: Dieses Thema hat viele<br />
Facetten. Ein wichtiger Aspekt ist im<br />
Naturkautschuk begründet. Neben<br />
seiner Unverzichtbarkeit für LKWund<br />
Flugzeugreifen, Motorlager,<br />
Fördergurte und andere Produkte<br />
könnte man in einer erdölarmen<br />
Zukunft eine diversifizierte Palette<br />
von Kautschukspezialitäten synthetisieren.<br />
Er ist nicht nur ein nachwachsendes<br />
Biopolymer und für viele<br />
Anwendungen unerlässlich, sondern<br />
auch ein effizienter CO 2 -Fänger und<br />
bietet vielen Menschen im „Kautschukgürtel“<br />
eine Lebensgrundlage.<br />
Zum Thema Nachhaltigkeit sind aber<br />
auch die Bestrebungen zur effizienteren<br />
Nutzung sämtlicher Ressourcen,<br />
zur Verschlankung von Rezepturen,<br />
Vermeidung von redundanten Rezepturkomponenten,<br />
Minimierung des<br />
Materialeinsatzes etc. zu zählen.<br />
In diesem Zusammenhang ist das<br />
Nachhaltigkeitsprogramm, das sich<br />
Semperit langfristig auferlegt hat, als<br />
vorbildlich zu nennen. Semperit wird<br />
dieses ehrgeizige Ziel auch erreichen.<br />
Die Kooperation mit österreichischen<br />
und europäischen Instituten wird zur<br />
Leistungssteigerung und zur Entwicklung<br />
neuer Produkte beitragen. Als<br />
letzten Aspekt möchte ich noch den<br />
Fokus auf biobasierte Rohstoffe und<br />
die Implementierung von Nanofüllstoffen<br />
nennen, die ihren Beitrag<br />
zum nachhaltigen Fortschritt leisten<br />
werden.<br />
B&C | JAHRBUCH <strong>2016</strong> | SEMPERIT<br />
70<br />
71
Die Organe der B&C Industrieholding<br />
GESCHÄFTSFÜHRUNG<br />
Felix Strohbichler<br />
Patrick F. Prügger<br />
AUFSICHTSRAT UND BEIRAT<br />
Wolfgang Hofer<br />
Georg Bauthen<br />
Hanno Bästlein<br />
Josef Krenner<br />
Josef Schuch<br />
Geschäftsführer<br />
Geschäftsführer<br />
Portfolio der Gesellschaft<br />
(per 31. Dezember <strong>2016</strong>)<br />
AMAG<br />
Austria Metall AG<br />
52,7 %<br />
Lenzing<br />
Aktiengesellschaft<br />
62,6 % 1<br />
Semperit AG<br />
Holding<br />
54,2 %<br />
Vorsitzender des Aufsichtsrats<br />
Stellvertreter des Aufsichtsratsvorsitzenden<br />
Mitglied des Aufsichtsrats<br />
Mitglied des Aufsichtsrats<br />
Beiratsmitglied<br />
KERNBETEILIGUNGEN<br />
WEITERE BETEILIGUNGEN<br />
Vamed AG<br />
10,0 %<br />
Kennzahlen der drei Kernbeteiligungen der B&C Industrieholding<br />
(aggregierte Darstellung unter Erfassung der IFRS-Konzernabschlüsse der Kernbeteiligungen zu 100 %)<br />
BESCHÄFTIGTE <strong>2016</strong> (im Jahresdurchschnitt)<br />
Gesamt: 14.909 Davon in Österreich: 5.213<br />
Angestellte gesamt<br />
4.136<br />
UMSATZENTWICKLUNG KERNBETEILIGUNGEN (Mio EUR)<br />
AMAG Lenzing Semperit<br />
INVESTITIONEN 2013 – <strong>2016</strong><br />
In Österreich<br />
910,0<br />
Mio EUR<br />
Arbeiter gesamt<br />
10.773<br />
Gesamt<br />
1.338,2<br />
Mio EUR<br />
Frauen gesamt<br />
2.389 = 16 %<br />
INVESTITIONEN IN FORSCHUNG<br />
UND ENTWICKLUNG <strong>2016</strong><br />
Gesamt<br />
53,9<br />
Mio EUR<br />
Lehrlinge<br />
in Österreich<br />
264 = 5 % 1<br />
In Österreich<br />
48,0<br />
Mio EUR<br />
B&C | JAHRBUCH <strong>2016</strong> | B&C INDUSTRIEHOLDING: UNTERNEHMENSWERTE KONTINUIERLICH STEIGERN UND LANGFRISTIG ENTWICKELN<br />
1) ab Mai 2017: 50,0 % + 2 Aktien<br />
1) bezogen auf Beschäftigte in Österreich<br />
72<br />
73
B&C Innovation Investments:<br />
Wir investieren in technische und industrielle Innovationen<br />
„Gründern in Österreich fehlen Investoren,<br />
die als langfristige Partner einen Beitrag dazu leisten,<br />
Start-ups zu Unternehmen zu entwickeln und dauerhaft<br />
am Markt zu etablieren. Gemeinsam soll das Ziel<br />
verfolgt werden, den ‚Mittelständler +‘ aufzubauen,<br />
der durch Erfolg Unabhängigkeit genießt.“<br />
Die B&C Innovation Investments GmbH (<strong>BC</strong>II) investiert seit <strong>2016</strong> in Start-ups,<br />
deren Geschäft auf technischen bzw. industriellen Innovationen basiert. <strong>BC</strong>II sucht<br />
die Schnittstelle Old und New Economy mit dem Ziel, diese unterschiedlichen<br />
Sphären wertsteigernd miteinander zu vernetzen. Im Fokus stehen ambitionierte<br />
und umsetzungsstarke Gründerteams, die mit B2B-relevanten Technologien einen<br />
klaren Mehrwert für ihre Kunden schaffen. Nur für einen solchen besteht schließlich<br />
Preiszahlungsbereitschaft. Mehrwert ist der Schlüssel, um sich als Start-up im<br />
Markt etablieren zu können. Dafür sind aus Sicht von <strong>BC</strong>II auch auf Investorenseite<br />
Weitblick und Flexibilität notwendig. Neben der Unterstützung durch Kapital ist<br />
insbesondere auch ein nichtmonetärer Wertbeitrag, vielfach unter „Smart Money“<br />
subsumiert, entscheidend. Diesen als Investor anzukündigen, ist einfach, ihn tatsächlich<br />
beizubringen, sehr anspruchsvoll. <strong>BC</strong>II sieht darin, wie auch in der Flexibilität<br />
mangels Fonds-Struktur (kein Exit-Druck), ihre Differenzierung.<br />
Die international rasante, mitunter überhitzte Start-up-<br />
Welt hat in den letzten Jahren auch in Österreich an<br />
Dynamik gewonnen. Das Spektrum an Hervorgebrachtem<br />
reicht von bahnbrechenden Geschäftsideen (sogenannten<br />
„Unicorns“) bis hin zu Flops (die klar in der Mehrheit stehen<br />
und auf die in der öffentlichen Auseinandersetzung<br />
meist nicht eingegangen wird). Als <strong>BC</strong>II beobachten wir<br />
THOMAS ZIMPFER<br />
Geschäftsführer<br />
neben dem gesteigerten Interesse von Wirtschaft, Medien<br />
und Politik eine stark wachsende Zahl von Gründern in<br />
Österreich. Diese suchen die Selbstständigkeit, um ihren<br />
vielfältigen Geschäftsideen eine Realisierungschance zu<br />
geben. Für <strong>BC</strong>II waren es in Zahlen übersetzt knapp 150<br />
Gespräche mit Start-ups alleine seit der offiziellen Vorstellung<br />
im Juni <strong>2016</strong>.<br />
Dabei stellen wir fest, dass<br />
heimischen Start-ups zunächst<br />
durch das öffentliche<br />
Förderwesen sehr hilfreiche<br />
Anschubfinanzierungen<br />
geboten werden. Die zuständigen<br />
öffentlichen Stellen,<br />
mit denen wir die Zusammenarbeit<br />
suchen, leisten<br />
professionell einen notwendigen<br />
Entwicklungsbeitrag.<br />
Geht es jedoch darum,<br />
Gründern die hinreichende<br />
Liquidität zur Entwicklung<br />
ihres Geschäftsmodells bzw.<br />
zur angestrebten Skalierung<br />
zu bieten, zeigt sich ein kritischer<br />
Engpass auf der Investorenseite.<br />
Als <strong>BC</strong>II verfolgen wir das Ziel, an dieser Stelle<br />
anzusetzen. Zum einen tätigen wir Start-up-Investments<br />
mit der nötigen Flexibilität, also (dank nicht vorhandener<br />
Fonds-Konstruktion) ohne vorab definierte Exit-Absicht<br />
und mit Fokus auf Wertsteigerung. Hierunter fällt die<br />
Investition künftig anfallender Gewinne in Expansion<br />
ebenso wie das langfristige Eingehen von dividendenfähigen<br />
Beteiligungen; oder eben ein Verkauf des Unternehmens,<br />
sofern dieser den Gründern und Gesellschaftern<br />
SUCCESS STORY: FLIGHTKEYS GMBH<br />
Flightkeys ist ein 2015 gegründetes Start-up aus<br />
Wien, das eine Spezialsoftware für die hochkomplexe<br />
Optimierung von Flugrouten in der Luftfahrtindustrie<br />
entwickelt. B&C Innovation Investments stieg bereits<br />
in einer sehr frühen Phase der Unternehmensentwicklung<br />
ein und verlieh den Gründern damit zusätzlichen<br />
Schub für den erfolgreichen Markteintritt.<br />
Flightkeys verfügt mittlerweile über Kunden und<br />
erwartet den breit angelegten kommerziellen Einsatz<br />
ihres Produkts ab 2018.<br />
C. PRINZ, GESCHÄFTSFÜHRENDER GESELLSCHAFTER:<br />
„Wir freuen uns, mit B&C Innovation Investments<br />
einen Partner gefunden zu haben, der uns mit seiner<br />
langfristigen Investmentphilosophie dabei begleitet,<br />
Flightkeys zum künftig führenden ‚Flightplanning‘-<br />
Anbieter zu entwickeln. Wir verfolgen das Ziel, den<br />
globalen Luftverkehr in Zukunft effizienter und damit<br />
auch umweltfreundlicher mitzugestalten.“<br />
INVESTITIONSKRITERIEN<br />
Start-ups, deren Geschäftsmodell technischen bzw.<br />
innovativen Charakter hat und für bestehende Industrieunternehmen<br />
(„Old Economy“) Relevanz besitzt<br />
Reifegrad: Produktentwicklung fortgeschritten, Markteintritt<br />
unmittelbar bevorstehend, bereits vollzogen<br />
bzw. Expansion anstehend; klares Verständnis der<br />
Gründer vom skalierbaren Mehrwert und Umsatzmodell<br />
ihres Projekts<br />
Kapitalbedarf (Größenordnung):<br />
300.000 Euro bis 3,0 Millionen Euro<br />
bestgeeignet erscheint und angestrebt<br />
wird. Zum anderen bieten<br />
wir Gründern einen nichtmonetären<br />
Mehrwert.<br />
Unter dem Dach der B&C-Gruppe<br />
stellen wir unser Netzwerk in<br />
Industrie und Wirtschaft zur<br />
Verfügung, um den angestrebten<br />
Skalierungsweg zu unterstützen.<br />
Einfach ausgedrückt verfolgen<br />
wir das Ziel, dort Türen zu<br />
öffnen, wo Gründer potenziellen<br />
Kunden ihren Mehrwert beweisen<br />
wollen.<br />
Mit diesen Ansprüchen geht eine<br />
selektive Investmentstrategie<br />
einher: In unserem Fokus steht<br />
der zentrale Anspruch nach einem vom Start-up gebotenen<br />
klaren Mehrwert. Diesen zu finden und zu entwickeln ist<br />
typischerweise eine Funktion aus Begeisterungsfähigkeit,<br />
Kompetenz und Wille der Gründer. An dieser Stelle sei<br />
herausgestrichen: Vor eben diesen haben wir großen<br />
Respekt. Sie beeindrucken uns täglich durch Einsatz,<br />
Bescheidenheit, Überzeugung und durch die Fähigkeit,<br />
im ständigen Engpass zu priorisieren.<br />
Umsetzungsstarke Gründerteams, die längerfristigen<br />
Partner und hinreichende Kapitalausstattung suchen<br />
Investments können mit Flexibilität getätigt werden –<br />
z. B. Teilnahme an mehreren Investitionsrunden<br />
vorstellbar (sofern wertsteigernd), kein Exit-Zwang<br />
B&C | JAHRBUCH <strong>2016</strong> | B&C INNOVATION INVESTMENTS<br />
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75
B&C INDUSTRIEHOLDING GMBH<br />
Universitätsring 14<br />
1010 Wien, Österreich<br />
T + 43 1 531 01 - 0<br />
F + 43 1 531 01 - 102<br />
E office@bcholding.at<br />
Fotos<br />
Christina Anzenberger-Fink, AMAG Austria Metall AG, Lenzing AG, Semperit Holding AG,<br />
Faruk Pinjo (S. 58), KVÖ/Heiko Wilhelm (S. 60), shutterstock<br />
Illustration<br />
KUF (Peter Kufner)<br />
Grafische Gestaltung<br />
Harald Ströbel, www.derstroebel.at<br />
Konzept und Umsetzung<br />
Scholdan & Company<br />
Redaktionsschluss: 31. Mai 2017<br />
Der kostenpflichtige Bericht „The Fiber Year 2017 – World Survey on Textiles & Nonwovens“,<br />
aus dem sich Auszüge auf Seite 61 dieses <strong>Jahrbuch</strong>s finden, kann direkt von The Fiber Year GmbH/Schweiz,<br />
www.thefiberyear.com bezogen werden.<br />
Hinweis im Sinne des Gleichbehandlungsgesetzes<br />
Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird in diesem <strong>Jahrbuch</strong> die geschlechtsspezifische Differenzierung,<br />
wie z. B. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, nicht durchgehend berücksichtigt. Entsprechende Begriffe gelten<br />
im Sinne der Gleichbehandlung für beide Geschlechter.<br />
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