saure-gurken-Zeit - misstype
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enable 1 01/2010<br />
Magazin für Unternehmer<br />
August 2012<br />
<strong>saure</strong>-<strong>gurken</strong>-<strong>Zeit</strong><br />
das wetter ist unberechenbar. hengstenberg sichert<br />
seine gürkchenernte deshalb ab – mit sauerkraut<br />
Ausbildung Wenn lehrlinge überfordert sind, liegt das häufig auch an den ausbildern<br />
geldwäsche Was das organisierte Verbrechen treffen soll, beschert Firmen mehr Bürokratie<br />
nAchfolge unternehmerkinder bauen lieber etwas eigenes auf, um sich selbst zu beweisen<br />
Financial Times DeuTschlanD<br />
SCHWERPUNKT<br />
gRÜndeR<br />
initiAtiVe
6<br />
enable 08/2012<br />
Feldherr steffen<br />
hengstenberg im<br />
Gurkenfeld. Gleich<br />
wird abgeerntet<br />
Financial Times DeuTschlanD
auf gedeih und Verderb<br />
gürkchen sind ein „Saug’schäft“, sagt Steffen<br />
Hengstenberg. Einzeln und von<br />
Hand werden die Pflanzen zu Beginn<br />
des Sommers gesetzt – und später ebenso geerntet,<br />
per „Gurkenflieger“. Das ist ein flacher<br />
Anhänger, auf dem bäuchlings Erntehelfer liegen<br />
und pflücken, was das Zeug hält, während<br />
ein Trecker den Flieger langsam durchs Feld<br />
zieht. 25-mal wird ein Gurkenfeld pro Sommer<br />
abgeerntet – entsprechend zügig und<br />
ohne Pause müssen die Gürkchen in den<br />
Hengstenberg-Werken im schwäbischen Bad<br />
Friedrichshall und im hessischen Fritzlar<br />
verarbeitet werden. In zwei, manchmal sogar<br />
drei Schichten arbeiten die Menschen, und<br />
wenn es sein muss, laufen die Maschinen auch<br />
das Wochenende oder ganze Nächte durch.<br />
Rund 514 Millionen Gürkchen werden<br />
derzeit gewaschen, geschnitten, in Aufgüssen<br />
eingelegt und abgefüllt. Anschließend werden<br />
sie unter dem Namen Hengstenberg<br />
ganz oder geschnitten, mit Schale oder ohne,<br />
in Dill, Chili oder Knoblauch, süß, sauer, süßsauer<br />
oder salzig in Gläser gefüllt und in<br />
mehr als 40 Länder der Welt verkauft.<br />
Dass er die umgerechnet 20 000 Tonnen<br />
Gürkchen loswird, daran hat Geschäftsführer<br />
Steffen Hengstenberg, der Urenkel des<br />
Gründers, keinerlei Zweifel. Die Absatzzahlen<br />
sind stabil. Das Problem ist ein anderes:<br />
Reicht die Ernte aus?<br />
Seit 136 Jahren hängt der Erfolg des Esslinger<br />
Unternehmens davon ab, wie gut die<br />
Gurken- und Kohlernte ausfällt. Bis zu 50 000<br />
Tonnen Kohl verarbeitet Hengstenberg im<br />
Jahr zu Sauerkraut und Rotkohl – was die<br />
Felder eben hergeben.<br />
Gedeih und Verderb hängen ab vom Gedeih<br />
oder Verderb des Gemüses draußen auf<br />
dem Acker. Dafür, dass es bis weit in den Juli<br />
hinein eigentlich ständig geregnet hat, zeigt<br />
sich Steffen Hengstenberg erstaunlich gelassen.<br />
Das mag an seinem Charakter liegen.<br />
Und daran, dass er und seine Vorgänger sich<br />
überlegt haben, wie sie sich davor schützen<br />
können, dass widriges Wetter Ernte und<br />
Umsatz verhagelt. Indem nämlich das Risiko<br />
gestreut wird. Auf verschiedene Standorte,<br />
auf verschiedene Sorten Gemüse.<br />
Vor allem der Juli ist kritisch, erklärt Günter<br />
Hekler, Gemüsebauer aus Bad Friedrichshall<br />
und langjähriger Vertragspartner von<br />
Hengstenberg. Solange die Gürkchen noch<br />
heranwachsen, lässt sich mit Abdecken,<br />
Stickstoffdüngen und Tröpfchenbewässerung<br />
so manche ungünstige Witterung ausgleichen.<br />
„Aber wenn es zur Erntezeit sehr<br />
kalt oder verregnet ist, haben wir ein ziemliches<br />
Problem.“ Zu warm sollte es auch nicht<br />
sein, denn in einer einzigen lauen Sommernacht<br />
wächst so ein Gürkchen gern bis zu<br />
hengsTenberg Risikomanagement<br />
hengstenberg mag schlechtes Wetter: Dann sind sauerkraut und gürkchen gefragt.<br />
Das unternehmen braucht aber gutes Wetter: sonst fällt die ernte mager aus<br />
text Nina Anika Klotz Fotos Monica Menez<br />
zwei Zentimeter und geht dann nicht mehr<br />
als Cornichon durch. Dabei sind die kleinen<br />
Gurken doch die wertvollsten.<br />
Dann gibt es noch die Sommergewitter,<br />
die über den Gurkenfeldern niedergehen.<br />
Gefürchtet sind vor allem Unwetter mit Hagel.<br />
Gurken mit Löchern und Dellen können<br />
nicht mehr eingemacht werden, und so fallen<br />
ganze Felder für einen Erntedurchgang aus.<br />
Beruhigend für den Bauern: „Wir haben in<br />
unseren Verträgen mit Hengstenberg eine<br />
Klausel zum Thema höhere Gewalt“, sagt<br />
Hekler. „Bei Hagel, Unwetter oder Dürre<br />
werden wir von der Vertragsmenge befreit,<br />
und wir sind nicht verpflichtet, die vereinbarten<br />
Mengen zu liefern.“ Außerdem gibt es<br />
auch Ausgleichszahlungen und Versicherungs<br />
prämien für Bauern, die sich entsprechend<br />
abgesichert haben. Damit sind sie als<br />
die Produzenten der Rohware im Saure-<br />
Gurken- Geschäft auf der sicheren Seite.<br />
Doch was macht Hengstenberg?<br />
Das Unternehmen sieht sich ebenfalls auf<br />
der sicheren Seite. „Hiobsbotschaften gibt es<br />
jedes Jahr“, sagt Steffen Hengstenberg. Um<br />
nicht teuer zukaufen zu müssen, verteilt er<br />
das Risiko. Die meisten Gurkenbauern sitzen<br />
rund um die beiden Werke – aber Fritzlar<br />
und Bad Friedrichshall sind mehr als 200<br />
Kilometer voneinander entfernt. Unwahrscheinlich,<br />
dass schlimme Unwetter über 3<br />
Financial Times DeuTschlanD enable 08/2012 7
8<br />
enable 08/2012<br />
Financial Times DeuTschlanD
GuRkEnfliEGER<br />
Bäuchlings liegen<br />
die erntehelfer<br />
auf dem flachen<br />
anhänger und<br />
pflücken Gurken<br />
Von wegen „alles Essig“<br />
1876 Richard alfried hengstenberg wird Teilhaber<br />
an einer essigfabrik im schwäbischen esslingen.<br />
neben essig werden auch Gurken verkauft, später<br />
kommt senf dazu. 1895 zieht das unternehmen auf<br />
ein größeres Gelände um. Der nächste umzug –<br />
ebenfalls innerhalb esslingens – steht erst 2009 an.<br />
1932 Der Gründerenkel carl hengstenberg bringt<br />
pasteurisiertes sauerkraut auf den markt – eine<br />
Weltneuheit. seit 1954 wird es unter dem namen<br />
mildessa vertrieben. Zehn Jahre später kommt der<br />
Rotkohl Rotessa dazu.<br />
1967 helmut hengstenberg erweitet die Produktpalette<br />
um Tomatenprodukte. Oro di Parma heißt die<br />
neue marke. Bald darauf werden erste Tochtergesellschaften<br />
in Österreich und Frankreich gegründet.<br />
1995 eingelegte hengstenberg-Gurken erhalten<br />
den markennamen Knax. schon zwei Jahrzehnte<br />
zuvor wurde für „Gurkensticks“ der name sticksi<br />
geprägt.<br />
2006 nach der Jahrtausendwende kommt<br />
convenience Food auch aus dem hause hengstenberg,<br />
seit 2006 gibt es die Produktpalette auch in<br />
Bioqualität.<br />
2012 an den drei standorten esslingen, Fritzlar<br />
und Bad Friedrichshall beschäftigt hengstenberg<br />
rund 550 mitarbeiter. exportiert werden die mehr<br />
als 100 Produkte in mehr als 40 länder.<br />
beiden Regionen gleichzeitig niedergehen.<br />
Selbst wenn: Hengstenberg lässt auch in Niederbayern<br />
ernten, dem größten Gurkenanbaugebiet<br />
Deutschlands. Auf 1500 Hektar<br />
werden hier pro Jahr 80 000 bis 100 000 Tonnen<br />
Gurken geerntet, das ist mehr als die<br />
Hälfte der gesamten Ernte in Deutschland.<br />
Nicht nur Probleme mit dem Wetter, auch<br />
Insekten- oder Pilzbefall ließen sich dadurch<br />
gut ausgleichen, sagt Hengstenberg. Selbst<br />
bei Feldern in ein und derselben Region achtet<br />
er darauf, dass nicht alle benachbart sind<br />
und sich die Gürkchen mit ihren Leiden<br />
nicht schnell gegenseitig anstecken können.<br />
Und wenn alles nicht nützt (so wie 2004,<br />
als eine Wurzelkrankheit den schwäbischen<br />
Gurken zusetzte), ist da immer noch der freie<br />
Markt. Einleg<strong>gurken</strong> wachsen massenhaft in<br />
Polen, aber auch in der Türkei und sogar in<br />
Indien. Der Weltmarkt ist groß, und entsprechend<br />
gut können die Preise sein. „Natürlich<br />
kaufen wir nur dann Rohwaren aus dem Ausland<br />
zu, wenn die Qualität stimmt“, betont<br />
Steffen Hengstenberg. Es gibt ja auch den<br />
deutschen Gurkenmarkt, auf den er zugreifen<br />
kann. Meist reicht der schon.<br />
Die meisten Sauerkonservenhersteller<br />
vereinbaren ebenso wie Hengstenberg mit<br />
ihren Vertragsbauern schon im Winter eine<br />
bestimmte Gurkenmenge, insofern sind die<br />
meisten Pflanzen schon verkauft, bevor sie<br />
gewachsen sind. Dennoch gibt es genügend<br />
Bauern, die darüber hinaus Gurken produzieren,<br />
die ihre Pflanzen einfach etwas länger<br />
stehen lassen und noch mal abernten, nachdem<br />
sie ihr Soll schon erfüllt haben, oder die<br />
von sieben Hektar (das ist die Mindestgröße,<br />
weniger lohnt sich nicht, sagen Experten)<br />
nur fünf vertraglich vergeben haben.<br />
Der Rest landet dann auf dem freien Markt. In<br />
Niederbayern gibt es dazu die GEO Bayern<br />
(GEO steht für Gurken-Erzeuger-Organisation),<br />
eine Genossenschaft, die den Bauern<br />
ihre Gurken abkauft – und das Risiko abnimmt<br />
– und auf dem freien Markt nach Abnehmern<br />
sucht. Den Preis bestimmen Angebot<br />
und Nachfrage. Das heißt: Manchmal<br />
lohnt es sich für die Landwirte, ihre Gurken<br />
nicht vorab schon zu versprechen, sondern<br />
abzuwarten, wie die Saison verläuft. Viele<br />
gönnen sich deshalb neben dem Vertragsanbau<br />
ein bisschen Bauernlotto.<br />
In normalen Jahren schwankt der Gurkenpreis<br />
um etwa 20 Prozent. „Doch Jahre<br />
mit Traumwetter können zu verheerenden<br />
Preiszusammenbrüchen führen“, sagt Reinhard<br />
Kindler, Leiter des Gartenbauzentrums<br />
Bayern Süd-Ost. „Zehn Prozent mehr Ernte<br />
senken den Preis um die Hälfte.“ Bauernlotto<br />
kann auch mal daneben gehen.<br />
henGsTenBeRG Risikomanagement<br />
Wäre das nicht eine Chance für Steffen<br />
Hengstenberg? Er könnte ja darauf verzichten,<br />
mit Hekler und den anderen Bauern im<br />
Winter die Preise abzumachen, und auf<br />
Son ne im Frühjahr hoffen, um im Sommer<br />
Zwergengürkchen zu Zwergenpreisen zu<br />
kaufen. Was man so spart, ließe sich als Puffer<br />
anlegen, falls die Gurken im nächsten Jahr<br />
wieder teurer werden … Der 46-jährige Betriebswirt<br />
ist geradezu empört über solche<br />
Überlegungen: „Wir sind doch keine Rohwarenspekulanten!<br />
Die Menge, die wir brauchen,<br />
kontrahieren wir auch mit den Landwirten.<br />
Alles andere wäre Kamikaze.“<br />
Ein gutes Verhältnis ist enorm wichtig zwischen<br />
Erzeuger und Verarbeiter – spätestens wenn<br />
das Wetter nicht mitspielt und die Ernte<br />
knapp ausfällt. „Das Gute ist: Schlechte Ernten<br />
kündigen sich frühzeitig an. Wir wachen<br />
nicht eines Sommermorgens auf und stellen<br />
fest, dass uns die Hälfte der geplanten Gurken<br />
fehlt“, sagt Hengstenberg. „Wenn wir<br />
merken, es wird schwierig, überlegen wir mit<br />
den Bauern, was man tun kann.“ Manchmal<br />
ist es noch früh genug, um noch ein paar<br />
Pflanzen nachzusetzen. Oder sie beschließen,<br />
die Pflanzen am Ende des Hochsommers ein<br />
oder zwei Wochen länger stehen zu lassen<br />
und ein weiteres Mal abzuernten.<br />
„Wir haben relativ gute Übung in solchen<br />
Notfallprogrammen“, sagt Steffen Hengstenberg.<br />
„Im Grunde ist das Risiko schon durch<br />
die Streuung relativ überschaubar. Dann gehen<br />
zwar immer noch mal ein paar Hundert<br />
Tonnen flöten, aber das kann man in Zusammenarbeit<br />
mit den Partnern lösen.“ Und das<br />
muss dann auch nicht die Welt kosten.<br />
Darf es auch nicht, denn das Fein<strong>saure</strong> ist<br />
ein margenschwaches Geschäft. Selten kosten<br />
die Gläser Eingemachtes mehr als 1 Euro<br />
im Handel. Da kann der Rohwarenpreis noch<br />
so gut gewesen sein, die Produktion mit 500<br />
festen Mitarbeitern hat ihren Preis. Besonders<br />
das Lagern der Konserven geht ins Geld<br />
und lässt die Marge schrumpfen.<br />
Im Laufe des Jahres stapeln sich in Fritzlar<br />
und Bad Friedrichshall Gurken und 3<br />
Gib ihnen Saures<br />
Umsatz von Hengstenberg in Mio. €<br />
Financial Times DeuTschlanD enable 08/2012 9<br />
110,4<br />
2008<br />
112,5<br />
2009<br />
120,8<br />
2010<br />
120,3<br />
2011<br />
Prognose<br />
123,5<br />
2012<br />
FTD/ms; Quelle: Hengstenberg
andere Produkte auf 300 000 Europaletten.<br />
60 000 Quadratmeter – das entspricht der<br />
Verkaufsfläche des Berliner Kaufhauses<br />
KaDeWe. Geplant werden Lager ein- und<br />
-ausgang 18 Monate im Voraus. Das muss so<br />
sein, wenn man mit Produkten handelt, die<br />
nur wenige Monate im Jahr auf den Feldern<br />
frisch verfügbar sind. „Produziert man zu<br />
wenig und hält zu wenig Waren vor, kommt<br />
man ‚out of stock‘, und das mag der Handel<br />
gar nicht“, sagt Steffen Hengstenberg. „Überhaupt<br />
ist es eine unschöne Situation, wenn<br />
man etwas verkaufen könnte, es aber nicht<br />
mehr hat.“<br />
Lagern ist also Pflicht, „auch wenn dabei<br />
ganz beträchtliche Kosten entstehen“. Und<br />
Liquidität gebunden wird. Sprich: Hengstenberg<br />
hat zwar den Wert, aber noch nicht das<br />
Bare. So bindet das Lagern eine Menge Geld.<br />
Ein Viertel der Jahresproduktion, schätzt der<br />
Chef, liegt in sauer in Hunderten Regalmetern.<br />
10<br />
enable 08/2012<br />
Im Frühherbst, wenn die Gurkenernte abgeschlossen<br />
ist und es mit dem Sauerkraut<br />
losgeht, werden noch zusätzliche Lagerflächen<br />
in der Nähe der Logistikzentren angemietet.<br />
Eng wird es trotzdem manchmal:<br />
„Der Idealfall sieht so aus, dass wir das letzte<br />
Glas der Produktion des vergangenen Jahres<br />
genau an dem Tag aus unserem Lager verkaufen,<br />
an dem die ersten Gläser der neuen<br />
Produktion hereinkommen.“ Der Normalfall<br />
sieht eher so aus, dass Hengstenberg einen<br />
Pufferbestand von zwei bis drei Monaten<br />
vorhält.<br />
Überbestände an Handelsmarken zu verscheuern,<br />
das ist allerdings tabu. Gurken, die einmal<br />
zu Hengstenberg Knax erkoren wurden,<br />
bleiben Hengstenberg Knax und werden keine<br />
„Ja“-Gürkchen oder sonst was. Obwohl<br />
Handelsmarken im Bereich Fein<strong>saure</strong>s etwa<br />
60 Prozent des Marktes ausmachen und<br />
einiges davon von Hengstenbergs Konkur-<br />
» Sei mir gegrüßt, mein Sauerkraut, holdselig sind<br />
deine Gerüche « H e i n r i c H H e i n e i n „ D e u t s c H l a n D, e i n w i n t e r m ä rc H e n “<br />
renten unter den Markenherstellen stammt,<br />
sagt Otto Strecker, Vorstand der AFC Consulting<br />
Group. Das Beratungsunternehmen<br />
ist ausschließlich im Lebensmittelbereich<br />
tätig. Daneben gibt es Hersteller, die fast ausschließlich<br />
für die Handelsmarken der Discounter<br />
und Supermärkte liefern, etwa die<br />
Firma Stollenwerk aus der Nähe von Düren.<br />
Die hätten aber auch nicht die Qualität,<br />
sagt Hengstenberg. Qualität, die der Kunde<br />
schätzt und die sich auszahlen soll. Bei <strong>saure</strong>n<br />
Gurken heißt Qualität, dass das Gemüse<br />
in der <strong>saure</strong>n Lake über Jahre seine Knackigkeit<br />
bewahrt. Die ist die wahre Herausforderung.<br />
Das Rezept für die Hengstenberg- Lake,<br />
den Aufguss, ist daher streng geheim.<br />
Das Geschäft mit dem Fein<strong>saure</strong>n ist<br />
durchaus sauer verdientes Geld, sagt der<br />
Gürkchen-Boss. Das habe aber auch etwas<br />
Gutes: „Das hält uns so manchen internationalen<br />
Konzern vom Leib, der sonst in unsere<br />
Bereiche eindringen und uns mit großem Kapital<br />
verdrängen könnte.“ So sind Hengstenbergs<br />
größte Konkurrenten, Spreewaldhof<br />
im Osten und Kühne im Norden, ebenfalls<br />
mittelgroße (Familien-)Unternehmen. Auf<br />
120 Mio. Umsatz kommt Hengstenberg und<br />
liegt damit zwischen Kühne (rund 300 Mio.<br />
Euro) und Spreewaldhof (92,5 Mio. Euro).<br />
Financial Times DeuTschlanD
Platzbedarf<br />
Kaum geerntet,<br />
kommen die<br />
<strong>gurken</strong> in die<br />
gläser. Knackig<br />
hält sie – geheimrezept!<br />
– die lake<br />
lessons to learn<br />
Auf und Ab<br />
Wer in einer volatilen branche<br />
O1 aktiv ist, hat drei Optionen: die<br />
Volatilität dämpfen, ein zweites standbein<br />
(mit gegenläufigen zyklischen<br />
schwankungen) und diversifizieren.<br />
Optimal: alle drei Optionen ziehen.<br />
Volatilität dämpfen: Der Output<br />
O2 ist bei hengstenberg relativ verlässlich,<br />
die menge des inputs nicht. im<br />
notfall helfen die guten Kontakte zu den<br />
lieferanten – auch zu weniger engen.<br />
antizyklisch handeln: Was gut<br />
O3 ist für <strong>gurken</strong>, ist schlecht für<br />
sauerkraut – und umgekehrt. Wer so<br />
wie hengstenberg die unbilden des<br />
Wetters (oder des markts) ausgleichen<br />
kann, ist optimal aufgestellt.<br />
Diversifizieren: Wenn das auf<br />
O4 und ab nicht zu vermeiden ist,<br />
gibt es immer noch die chance, in einen<br />
weniger volatilen bereich auszuweichen<br />
(bei hengstenberg: Tomatenprodukte).<br />
Was die Großen ebenfalls abschreckt:<br />
Erfolgsstorys mit steil nach oben zeigenden<br />
Absatz- und Umsatzzahlen lassen sich mit<br />
Gurken nicht erzählen. Im Schnitt vertilgt<br />
der Deutsche pro Jahr zwei Kilo Gewürz<strong>gurken</strong>.<br />
Eine Ausnahme war das Ehec-Jahr<br />
2011, in dem Hengstenberg einen Nachfrageanstieg<br />
von zehn Prozent verzeichnen<br />
konnte. „Nicht schlecht für einen so etablierten<br />
Markt.“ Als Salat<strong>gurken</strong> unter Generalverdacht<br />
geraten waren, griffen viele zur<br />
pasteurisierten und damit sicheren Essigvariante.<br />
ebenso stabil ist der Verbrauch von Sauer kraut<br />
und Rotkohl: 700 Gramm Sauerkraut pro<br />
Jahr und 800 Gramm Rotkraut isst der Bundesbürger,<br />
vor allem in der Weihnachtszeit.<br />
Daran hat sich in den vergangenen Jahren<br />
kaum etwas geändert, außer dass der Konsum<br />
in der Generation 50 plus immer deutlicher<br />
über dem Durchschnitt liegt. Hengstenberg:<br />
„Von einem besonders dynamischen<br />
Markt kann man weder bei den Gurken noch<br />
beim Kraut sprechen.“<br />
Dafür ist das Kraut, also der Kohl, pflegeleicht.<br />
Den müsse man weder künstlich bewässern<br />
noch unter Plastik packen, um ihn<br />
warm zu halten. „Der kommt durch.“ Außerdem<br />
wachsen Gurken und Kohl quasi indirekt<br />
proportional zueinander. „Was für die<br />
einen gut ist, ist für die anderen schlecht“, erklärt<br />
Hengstenbergs Anbauberater Klaus<br />
Emerich. Fällt die Gurkenernte in einem<br />
kalten, nassen Jahr geringer aus, entwickelt<br />
sich das Kraut bei dieser Witterung umso<br />
besser – und umgekehrt. Auch das begrenzt<br />
die Risiken.<br />
So beruhigend das ist, zu viel Ruhe tut<br />
keinem Unternehmen gut. Deshalb freut sich<br />
Steffen Hengstenberg, dass sein Vater zur<br />
rechten <strong>Zeit</strong> in ein dynamisches Feld eingestiegen<br />
ist. 1967 übernahm Helmut<br />
Hengstenberg ein Hamburger Unternehmen,<br />
das Tomaten in Dosen verkaufte. Und zwar<br />
italienische Tomaten – und das zu einer <strong>Zeit</strong>,<br />
in der die mediterrane Küche gerade in Mode<br />
kam.<br />
Unter der Marke Oro di Parma vertreibt<br />
Hengstenberg seitdem konservierte Tomaten<br />
in allen Formen und Konsistenzen: geschält,<br />
gehackt oder als Mark, mit Kräutern und<br />
ohne, in der Tube, der Dose, im Glas und als<br />
fertige Pastasoße. Die Tomatenkonserven<br />
machen heute gut ein Viertel des Gesamtumsatzes<br />
aus.<br />
Kann man Hagelschäden an deutschen<br />
Gurken mit norditalienischen Tomaten kompensieren?<br />
Nein, sagt Hengstenberg. „Es ist<br />
ein neues Standbein, das in der Zwischenzeit<br />
sehr fest geworden ist, aber es sichert einen<br />
hengsTenberg Risikomanagement<br />
nicht gegen Volatilitäten im Stammgeschäft<br />
ab. Das Geschäft muss überall gut laufen.“<br />
Es gab in der Geschichte von Hengstenberg<br />
auch Standbeine, die nicht getragen<br />
haben. Anfang der 1990er setzte Helmut<br />
Hengs tenberg auf tiefgefrorenes Gemüse<br />
und baute dafür ein großes, modernes Werk<br />
in Bad Friedrichshall. Zwei Jahre später<br />
muss te er es – unter großen Verlusten – wieder<br />
schließen. „Da sind wir ganz kalt gescheitert“,<br />
sagt Steffen Hengstenberg. „Da waren<br />
zu viele Kapazitäten im Markt, die Preise<br />
sind runtergegangen, und wir konnten nicht<br />
mehr mithalten. Das war eine sehr schmerzhafte<br />
Episode für das Unternehmen, einfach<br />
weil es wahnsinnig teuer war. Aber wir haben<br />
uns mittlerweile wieder aufgerappelt und die<br />
Last über die Jahre abgearbeitet.“ Er hält kurz<br />
inne und schaut in den Himmel.<br />
Zu den weißen Schlieren dort haben sich<br />
ganz am Horizont ein paar bauchige, hellgraue<br />
Wolken gesellt. Hengstenberg mustert<br />
sie genau. Hat er ein bisschen Angst um die<br />
Gurken da draußen? „Nein, nicht wirklich“,<br />
sagt er schließlich. „Aber manchmal mache<br />
ich mir tatsächlich so meine Gedanken über<br />
das Wetter: Im Herbst wünsche ich mir oft<br />
kaltes, nasses Schmuddelwetter – das treibt<br />
den Sauerkrautkonsum nach oben.“ 4<br />
Financial Times DeuTschlanD enable 08/2012 11