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06-07/2017

Fritz + Fränzi

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Erziehung & Schule<br />

Es ist Sommer, in der Badi<br />

ordentlich was los. Der<br />

zehnjährige Marcel<br />

schlägt sich am Beckenrand<br />

den Zeh auf und<br />

blutet. «Oje, wo ist denn dein<br />

Mami?», fragt eine Frau besorgt.<br />

Marcel schaut sie an. Und schweigt.<br />

«Ich wusste nicht, was ich sagen<br />

soll», gesteht er verlegen. Denn ihr<br />

Mami sehen Marcel und seine siebenjährige<br />

Schwester Danielle nur<br />

jedes zweite Wochenende. Seit ihre<br />

Eltern sich trennten und ihre Mutter<br />

aus der gemeinsamen Wohnung<br />

auszog, leben die beiden bei ihrem<br />

Vater.<br />

Roger Baumeler war von Anfang<br />

an hauptsächlich für die Betreuung<br />

der Kinder zuständig. «Meine Ex-<br />

Frau hatte den besser bezahlten Job<br />

als ich und berufliche Ambitionen.<br />

Also haben wir uns nach der Geburt<br />

des ersten Kindes dafür entschieden,<br />

dass sie hundert Prozent arbeitet»,<br />

sagt der gelernte Informatiker. Er<br />

übernahm die Betreuung von Marcel<br />

und Danielle und ging freiberuflich<br />

diversen Nebenjobs nach, unter<br />

anderem im Vorstand einer Kinderkrippe.<br />

«Das stimmte so für alle.»<br />

Vor drei Jahren kam es zur Scheidung.<br />

«Man kann leider nicht sagen,<br />

dass die Trennung friedlich abgelaufen<br />

ist», sagt Roger Baumeler. Dass<br />

Nachdem Roger Baumeler<br />

das Urteil angefochten hatte,<br />

wurden die Kinder angehört.<br />

Ihre Aussagen waren deutlich.<br />

er nach wie vor die hauptsächliche<br />

Betreuungsperson seiner Kinder<br />

bleiben wollte, war für ihn klar –<br />

schliesslich war das sein «Job». Vor<br />

Gericht wurden Marcel und Danielle<br />

aber in einem ersten Verfahren<br />

der Mutter zugesprochen. Ein Urteil,<br />

das Roger Baumeler bis heute nicht<br />

versteht – und das später auch durch<br />

das Kantonsgericht Luzern gerügt<br />

wurde: «Ich hatte die Kinder immer<br />

zu Hause betreut, während ihre<br />

Mutter arbeitete. Offenbar ist das<br />

Vorurteil, dass Kinder in jedem Fall<br />

zur Mutter gehören, extrem stark,<br />

und die reale Gleichstellung von<br />

Mann und Frau ist in solchen Themenbereichen<br />

kaum angekommen.»<br />

Die Kinder selbst seien nicht gefragt<br />

worden. Roger Baumeler: «Ich fühlte<br />

mich total hilflos.»<br />

Väter haben grossen Respekt vor<br />

dieser Aufgabe<br />

Gut 2<strong>07</strong> 000 sogenannte Ein-Eltern-Familien<br />

gibt es laut Bundesamt<br />

für Statistik in der Schweiz. In 83<br />

Prozent dieser Familien leben die<br />

Kinder hauptsächlich bei der Mutter,<br />

in 17 Prozent wohnen sie beim Vater.<br />

Vergleichbare Zahlen aus früheren<br />

Jahren gibt es laut dem Bundesamt<br />

für Statistik nicht. In einer Publikation<br />

von 2009 («Kinder und Scheidung<br />

– Der Einfluss der Rechtspraxis<br />

auf familiale Übergänge»)<br />

schreiben die Rechtswissenschaftlerin<br />

Andrea Büchler und die Psychologin<br />

Heidi Simoni jedoch von<br />

8 Prozent der Kinder, die nach der<br />

Trennung beim Vater bleiben. Im<br />

Gegensatz zu 86 Prozent, die hauptsächlich<br />

von der Mutter betreut werden.<br />

6 Prozent wohnten alternierend<br />

bei beiden Elternteilen. Das lässt<br />

zwar erahnen, dass die Zahl der<br />

Väter, welche die Hauptverantwortung<br />

für ihre Kinder übernehmen,<br />

stetig steigt. Trotzdem sind sie auch<br />

heute noch eher die Ausnahme.<br />

Dass Mütter nach einer Trennung<br />

nach wie vor mehr Verantwortung<br />

übernehmen als Väter, liege sicherlich<br />

auch daran, dass die Männer<br />

grossen Respekt vor dieser Aufgabe<br />

hätten und sich überfordert fühlten,<br />

meint Christoph Adrian Schneider,<br />

Vorstandsmitglied von männer.ch<br />

(siehe Interview Seite 60). Aber<br />

nicht nur. «Wenn beide Elternteile<br />

die genau gleichen Voraussetzungen<br />

mitbringen, die Obhut über die Kinder<br />

auszuüben, muss man halt einen<br />

Entscheid fällen», sagt Charlotte<br />

Christener, Anwältin und Präsidentin<br />

der KESB Bern. «Ist die alternierende<br />

Obhut kein Thema, kann ich<br />

mir durchaus vorstellen, dass man<br />

im Zweifel die Kinder eher der Mutter<br />

zuspricht. Vielleicht spielt dabei<br />

eine Rolle, dass – rein rechtlich gesehen<br />

– immer sicher ist, wer die Mutter<br />

des Kindes ist, während beim<br />

Vater in den meisten Fällen kein<br />

Beweis vorliegt, dass er der biologische<br />

Vater ist», sagt die Juristin, und:<br />

«Wir bei der KESB Bern sind aber<br />

sehr bemüht, in jedem Fall genderneutral<br />

danach zu fragen, welche<br />

Lösung dem Wohl des Kindes am<br />

besten entspricht.»<br />

Den Alltag meistert das Trio<br />

problemlos<br />

Nachdem Roger Baumeler das Urteil<br />

des Richters angefochten hatte, wurden<br />

die Kinder angehört. Die Aussagen<br />

von Marcel und Danielle<br />

waren deutlich: «Wir wollen bei Papi<br />

wohnen!» Papi habe ja viel mehr Zeit<br />

für sie als Mami, erklärt Marcel. «Er<br />

macht Sachen mit uns, kocht und<br />

hilft bei den Hausaufgaben.» Klar<br />

vermisse er sein Mami manchmal.<br />

«Aber eigentlich ist es gar nicht so<br />

viel anders als vorher.» Jedes zweite<br />

Wochenende verbringen die Kinder<br />

bei ihrer Mutter. Die Übergabe findet<br />

nach wie vor mit einer Begleitung<br />

durch eine Fachstelle statt, koordiniert<br />

durch eine Besuchsrechtsbeistandschaft.<br />

Obwohl sich die Eltern<br />

das Sorgerecht teilen, funktioniert<br />

die Kommunikation zwischen ihnen<br />

nicht. «Aber das ist unser Problem,<br />

nicht das der Kinder, und ich gebe<br />

mir grosse Mühe, das zu trennen»,<br />

sagt Roger Baumeler. Den Alltag<br />

58 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi

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