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Ich finde das traurig. Wenn das<br />
gemeinsame Mahl ein schönes,<br />
wichtiges Ritual ist, nimmt sich auch<br />
ein hungriges Kind um sechs nur<br />
eine Kleinigkeit und wartet gerne,<br />
bis dann um halb acht alle essen –<br />
weil es dieses Ereignis nicht missen<br />
möchte. Dabei geht es dann ums<br />
Erzählen, ums Zuhören, also um<br />
Kommunikation, und ja, auch ums<br />
Essen, aber das passiert eher nebenbei<br />
und wird nicht übertrieben zelebriert.<br />
Wie sollten Eltern reagieren, wenn die<br />
13-jährige Tochter beschliesst, sie<br />
müsse jetzt abnehmen, weil sie zu<br />
dick sei?<br />
Zunächst einmal guckt man sich die<br />
Situation faktisch an. Die Mutter<br />
einer 13-Jährigen sollte wissen, ob<br />
ihre Tochter 50, 60 oder 70 Kilo<br />
wiegt. Erstrebenswert ist in diesem<br />
Alter etwa ein BMI von 20. Ist das<br />
Mädchen wirklich zu dick, sagt man<br />
ihm: Du, wir kriegen das gemeinsam<br />
hin, wir kochen etwas kohlenhydratärmer,<br />
und ich mache uns einfach<br />
mehr Salate. Am besten zieht<br />
die ganze Familie mit. Auch hier gilt:<br />
Das Ganze sollte so normal wie möglich<br />
gehandhabt werden. Auch bei<br />
jüngeren Kindern, die zu dick sind,<br />
kann so eine Veränderung des Angebots<br />
schnell Abhilfe schaffen. Das<br />
liegt in der Hand der Eltern, ebenso<br />
wie die Entscheidung, dass es dann<br />
mal bis auf Weiteres nur einmal pro<br />
Woche ein Dessert gibt.<br />
Viele Teenager sind gar nicht zu dick,<br />
aber dennoch vom Gedanken des<br />
Abnehmens besessen.<br />
Auch hier gucke ich mir als Elternteil<br />
das Kind selbst und seinen BMI an.<br />
«Gemeinsame<br />
Mahlzeiten sind<br />
für die gesunde<br />
Essentwicklung<br />
enorm wichtig.»<br />
Liegt der bei 18, bin ich besonders<br />
aufmerksam und stelle das Kind einmal<br />
die Woche auf die Waage. Ab<br />
einem BMI von 16 muss man Klartext<br />
reden und handeln. Dann muss<br />
dem Kind gesagt werden: Wir gucken<br />
ab jetzt nicht mehr zu, wie du dich<br />
kaputthungerst, wir holen jetzt Hilfe<br />
von ausgebildeten Menschen dazu.<br />
Niemand hat ein Problem damit, seinem<br />
Sohn oder seiner Tochter zu<br />
sagen, dass es auf keinen Fall ein<br />
Piercing oder weiche Drogen gibt,<br />
aber beim Essen stellen wir uns alle<br />
irgendwie an.<br />
Vielleicht, weil es dazu so viele widersprüchliche<br />
Informationen gibt?<br />
Das mag sein. Doch es ist wichtig,<br />
dass Eltern gleichzeitig verstehen,<br />
dass die Essentwicklung ein ganz<br />
normaler Teil der Kindesentwicklung<br />
ist, so wie die motorisch-sportliche,<br />
die schulisch-intellektuelle<br />
oder emotional-moralische auch.<br />
Der Einfluss, den die Eltern und alle<br />
Familienmitglieder auf diese Entwicklung<br />
haben, ist enorm, nimmt<br />
aber mit zunehmendem Alter langsam<br />
ab. Je mehr ich für mich selbst<br />
geklärt habe, wer ich bin und was ich<br />
esse, desto einfacher wird die autonome<br />
Essentwicklung des Kindes.<br />
Eine Mutter, die sich beim Essen<br />
entschuldigt und erklärt, dass sie<br />
heute nur Salat essen dürfe, und ein<br />
Vater, der vorrechnet, dass er die<br />
ganze Woche nur drei Scheiben<br />
Wurst hatte und dafür heute zwei<br />
Schnitzel darf – das sind die besten<br />
Voraussetzungen dafür, dass das<br />
Kind ein kompliziertes Verhältnis zu<br />
Nahrungsmitteln entwickelt.<br />
>>><br />
Zur Person<br />
Marguerite Dunitz-Scheer ist Professorin für<br />
Kinderheilkunde und Leiterin der Psychosomatischen<br />
Kinder- und Jugendstation an der Universitätsklinik<br />
Graz. Die Expertin für Essstörungen und<br />
sonderernährte Kinder hat sechs Kinder und sieben<br />
Enkelkinder. Gemeinsam mit ihrem Mann hat sie das<br />
Buch «Jenseits von dick und dünn: Kochen – Essen<br />
– Familie. Der etwas andere Ratgeber. Mit vielen<br />
praktischen Beispielen und Rezepten» geschrieben.<br />
Mehr unter www.notube.com<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Juni/Juli <strong>2017</strong>37