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06-07/2017

Fritz + Fränzi

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Monatsinterview<br />

«Kein Kind sollte gezwungen<br />

werden, Gemüse zu essen»<br />

Wie vermeidet man Kämpfe am Esstisch? Worauf müssen Eltern achten, wenn sich die<br />

Familie vegetarisch ernährt? Sollen Kinder beim Einkaufen mitbestimmen dürfen?<br />

Die Kinderärztin und Ernährungsexpertin Marguerite Dunitz-Scheer über schwierige<br />

Esser, Kinder, die plötzlich abnehmen möchten, und gesundes Essverhalten.<br />

Interview: Claudia Füssler Bilder: Regina Hügli / 13 Photo<br />

Frau Dunitz-Scheer, machen wir uns<br />

zu viele Gedanken ums Essen?<br />

Auf jeden Fall. Das liegt daran, dass<br />

wir unsere Intuition und den Alltag<br />

in Sachen Esskultur und Kochkultur<br />

verloren haben. Einerseits kochen<br />

wir weniger oft als jemals zuvor<br />

selbst, andererseits messen wir einzelnen<br />

Nahrungsmitteln so viel<br />

Bedeutung bei wie noch nie. Dieses<br />

Pendeln zwischen zwei Extremen<br />

Mal in einer Gesellschaft leben, in<br />

der die tägliche Beschaffung der<br />

Nahrung mit minimalstem Aufwand<br />

möglich ist: Tütchen kaufen, aufreissen,<br />

warm machen, essen – fertig.<br />

Wer nicht will, muss sich überhaupt<br />

keine Gedanken ums Essen machen.<br />

Dahinter steht der Verlust einer ganzen<br />

kulturspezifischen sinnlichen<br />

Welt.<br />

Kochkultur zu einem Event verändert,<br />

der oft nur einmal in der Woche<br />

stattfindet. Mama steht am Herd und<br />

kocht – das ist eine Ausnahme, nichts<br />

Normales.<br />

Wie sieht diese Normalität denn aus?<br />

Ganz unspektakulär: seinen Kindern<br />

ein abwechslungsreiches Essen hinstellen<br />

und mindestens einmal am<br />

Tag kochen. So lernen die Kinder<br />

nebenbei, was eine lustvolle und gute<br />

zeigt: Uns ist die Normalität beim<br />

Esskultur ist. Und natürlich das<br />

Essen abhandengekommen.<br />

«Wer ein<br />

Kochen. Aber fragen Sie mal Zehnjährige,<br />

wie das bei ihnen zu Hause<br />

Wie konnte das passieren?<br />

gutes Mittelmass<br />

Das hat viele Gründe. Schauen Sie<br />

ist. Die meisten können sich nicht<br />

sich die vergangenen 70 Jahre seit bei der Ernährung einmal ein Spiegelei braten oder Pasta<br />

für sich und ein Geschwisterkind<br />

dem Zweiten Weltkrieg an: Europa<br />

vorlebt, hat kaum<br />

hat sich zum ersten Mal in der Ge ­<br />

kochen. Später schickt man den<br />

schichte der Menschheit in eine essgestörte Kinder.» Nachwuchs in spezielle Kinderkochkurse.<br />

Nahrungsüberflussgesellschaft verwandelt.<br />

Die Nahrungsmittelindustrie<br />

ist notwendigerweise offensiv bis<br />

aggressiv. Sie füttert nicht nur die<br />

Supermarktregale mit Angeboten,<br />

sondern auch unsere Köpfe mit Ideologien<br />

und viel zu viel Information.<br />

Das führt dazu, dass die Menschen<br />

Nahrung als Religions- und Identitätsersatz<br />

sehen.<br />

Das klingt, als ob wir uns ziemlich<br />

absurd verhalten.<br />

Und ob. Dieses riesige Angebot führt<br />

Aber daran sind nicht nur die Lebensmittelhersteller<br />

schuld.<br />

Nein, natürlich nicht. Es sind zahlreiche<br />

gesellschaftliche Veränderungen,<br />

welche man keinem Einzelnen<br />

oder einer Gruppe allein zum Vorwurf<br />

machen kann. Als ich in den<br />

60er-Jahren in der Schweiz aufgewachsen<br />

bin, ist keine Mutter arbeiten<br />

gegangen. Heute bleiben vielleicht<br />

zehn Prozent der Mütter<br />

Da wird dann künstlich etwas<br />

in ihr Leben hineingebracht, was sie<br />

ganz automatisch daheim hätten lernen<br />

können.<br />

Die Familie ist also der Schlüssel zu<br />

einem gesunden Essverhalten?<br />

Unbedingt. Die Eltern – und nicht<br />

nur die Mutter – haben eine Rollenmodellverpflichtung.<br />

Wenn sie es<br />

schaffen, ein vernünftiges, lustvolles<br />

Mittelmass bei der Ernährung vorzuleben,<br />

haben wir kaum essgestörte<br />

Kinder. Die kulinarische Familienkultur<br />

aber auch dazu, dass wir zum ersten da heim. In der Folge hat sich die<br />

ist die erste soziale >>><br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Juni/Juli <strong>2017</strong>33

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