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Fr. 7.50 6/Juni 7/Juli <strong>2017</strong><br />
Kämpfe am Esstisch<br />
Warum kein Kind<br />
gezwungen werden<br />
sollte, Gemüse zu essen<br />
Nach der Trennung<br />
Was passiert, wenn die<br />
Kinder beim Vater<br />
bleiben?<br />
JUBILÄUM<br />
125.<br />
Ausgabe<br />
Fritz+Fränzi<br />
Pflegefamilien<br />
Eltern<br />
auf Zeit
RAUM<br />
FAHRT<br />
ŠKODA SUPERB ab 25’950.–<br />
Platz und Komfort: Erleben Sie den Unterschied<br />
Welch ein Raumgefühl, welch ein Auftritt! Mit seinem luxuriösen Platzangebot bietet der<br />
ŠKODA SUPERB aussergewöhnlichen Komfort für die ganze Familie. Mit dem modernen<br />
4x4-Antrieb sind Sie auf jedem Terrain und bei jeder Witterung sicher und souverän unterwegs.<br />
Und die cleveren Fahrerassistenzsysteme machen jede Reise zum erholsamen Erlebnis. Auch<br />
der unschlagbare Preis sorgt für Entspannung, so wie Sie es vom vielfachen Preis-Leistungs-<br />
Sieger ŠKODA kennen. ŠKODA. Made for Switzerland.<br />
ŠKODA SUPERB Combi Active 1.4 l TSI, 125 PS, 6-Gang manuell, 27’950.– abzüglich Vertragsprämie 2’000.– = 25’950.–. 5.6 l/100 km*, 129 g CO2/km* (134 g Ø<br />
Neuwagen), 28 g CO2/km* Energie-Bereitst., Kat.: E*. Abgebildetes Fahrzeug: ŠKODA SUPERB Combi SportLine 2.0 l TSI, 220 PS, 6-Gang DSG, Lackierung Moon<br />
Weiss, 47’120.– abzüglich Vertragsprämie 2’000.– = 45’120.–. 6.5 l/100 km*, 147 g CO2/km* (134 g Ø Neuwagen), 33 g CO2/km* Energie-Bereitst., Kat.: F*. Vertragsprämie<br />
gültig für alle Neu- und Lagerfahrzeuge. Angebot gültig für Vertragsabschlüsse bis 30.<strong>06</strong>.<strong>2017</strong>. Alle Preise unverbindliche Empfehlung des Importeurs.<br />
* Provisorische Werte, Homologation in der Schweiz noch nicht abgeschlossen.
Editorial<br />
Bild: Geri Born<br />
Nik Niethammer<br />
Chefredaktor<br />
«Wir glauben immer noch,<br />
eine erfolgreiche<br />
Lebens bewältigung hänge von<br />
Wissen und Fertigkeiten ab.<br />
In der Vergangenheit war dies<br />
zweifelsohne der Fall, das gilt<br />
aber nicht für die Zukunft.»<br />
Remo Largo, Frit+Fränzi, September 2001.<br />
Liebe Leserin, lieber Leser<br />
«Fritz und Fränzi sind schulpflichtige Kinder. Hausaufgaben, Lernschwächen,<br />
Sackgeld, Gewalt, Drogenkonsum, Freizeitgestaltung, Ernährung – was vom<br />
ersten Schultag bis zur 9. Klasse Thema werden kann, sind die Inhalte dieses<br />
neuen Magazins.» Mit diesen Worten begrüsste Ellen Ringier, Präsidentin der<br />
Stiftung Elternsein und Herausgeberin von Fritz+Fränzi, die Leserinnen und<br />
Leser der ersten Ausgabe. Das war im September 2001.<br />
Die Kernaussage der Titelgeschichte («Armutsrisiko Kinder. Was sie<br />
kosten, fordern und verprassen») lautete: «Ein Teenager kostet rund<br />
700 Franken im Monat.» (Heute betragen die direkten Kinderkosten<br />
laut Bundesamt für Statistik bei Paaren mit einem Kind durchschnittlich<br />
sogar 942 Franken pro Monat.) Weitere Themen im ersten Heft:<br />
«Buben sind anders, Mächen auch. Sind diese Unterschiede vererbt<br />
oder anerzogen?». (In der modernen Verhaltensforschung geht man<br />
davon aus, dass jegliches Verhalten eine genetische Grundlage hat und<br />
gleichzeitig durch Umwelteinflüsse moduliert wird.) Und der Kinderarzt<br />
Remo Largo prangerte den Leistungsdruck an, der von der Schule<br />
und den Eltern ausgeht. (In diesen Tagen hat Largo<br />
sein neustes Buch veröffentlicht: «Das passende<br />
Leben. Was unsere Identität ausmacht und wie wir<br />
sie leben können». Seine Kritik an der Bildungspolitik<br />
ist ungebrochen: Sie sei eine Planwirtschaft,<br />
die Ziele durchsetze, wie etwa den Lehrplan 21<br />
oder Frühfranzösisch – obwohl das den Kindern<br />
nicht entspreche. «Deshalb leiden schon Jugendliche<br />
an Burnout», so Largo.<br />
Mit diesem Heft halten Sie die 125. Ausgabe von Fritz+Fränzi<br />
in den Händen. Die Themen, die Eltern von schulpflichtigen<br />
Kindern während den letzten 16 Jahren umtrieben, sind weitgehend<br />
dieselben geblieben. Einzig die Herangehensweise hat<br />
sich im Lauf der Jahre verändert. Heute ist der Wunsch nach Meinung, Erklärung<br />
und Analyse, die Sehnsucht nach Einordnung so gross wie nie. Wir betreiben<br />
keine Problembewirtschaftung, erheben nie den Zeigefinger, versprechen keine<br />
schnelle Lösung. Wir versuchen ernsthaft, sorgfältig und nachhaltig zu recherchieren,<br />
nehmen Sie, liebe Leserin, lieber Leser, ernst und versuchen bei jedem<br />
noch so schwierigen Thema eine Botschaft zu vermitteln: Bei aller Anstrengung<br />
macht es grosse Freude, Eltern zu sein.<br />
Im Namen von Verlag und Redaktion danke ich Ihnen herzlich für Ihr Interesse<br />
und Ihre Treue. Mit dieser Doppelnummer wünsche ich Ihnen viel Lesevergnügen.<br />
Die nächste Ausgabe von Fritz+Fränzi erscheint am 15. August. Bis dahin<br />
angenehme Tage. Kommen Sie gut durch den Sommer. Und bleiben Sie munter.<br />
Herzlichst – Ihr Nik Niethammer<br />
Fritz+Fränzi 1/2001<br />
Thema: Armutsrisiko Kinder<br />
Nach der Erstausgabe<br />
im September 2001<br />
erschien im Dezember<br />
die zweite Ausgabe.<br />
Bis 2009 waren es jeweils<br />
sechs Hefte pro Jahr,<br />
seit 2010 sind es zehn.<br />
850 Lehrstellen in 25 Berufen | www.login.org
Inhalt<br />
Ausgabe 6/Juni 7/Juli <strong>2017</strong><br />
Viele nützliche Informationen finden Sie auch auf<br />
fritzundfraenzi.ch und<br />
facebook.com/fritzundfraenzi.<br />
Psychologie & Gesellschaft<br />
40 Oh du lange Ferienzeit<br />
Die wenigsten Eltern haben 13 Wochen<br />
Ferien im Jahr. Sie sehen sich in dieser<br />
Zeit mit einem Betreuungsnotstand<br />
konfrontiert. Ein Lösungsansatz.<br />
Augmented Reality<br />
Dieses Zeichen im Heft bedeutet, dass Sie digitalen Mehrwert<br />
erhalten. Hinter dem ar-Logo verbergen sich Videos und<br />
Zusatzinformationen zu den Artikeln.<br />
10<br />
Dossier: Pflegefamilien<br />
10 In guten Händen<br />
In der Schweiz wohnen 15 000 Kinder<br />
nicht bei ihren Eltern. Wie lebt es sich in<br />
einer Pflegefamilie? Eine Annäherung.<br />
18 Wie werden wir Pflegeeltern?<br />
Sowohl Paare als auch Einzelpersonen<br />
können sich um ein Pflegekind bemühen.<br />
Dafür müssen sie aber einige<br />
Bedingungen erfüllen.<br />
Bild: Gabi Vogt / 13 Photo<br />
30 Wie die Pflege gelingt<br />
Wenn Kinder ihre Eltern verlassen müssen,<br />
ist das eine Katastrophe, weiss Irmela<br />
Wiemann. Wie diese überwunden wird,<br />
sagt die Familientherapeutin im Interview.<br />
Cover<br />
Lilly Kahler und<br />
Roger Gyger freuen<br />
sich über Shana –<br />
seit jenem Tag, an<br />
dem das Mädchen<br />
zu ihnen kam.<br />
Bilder: Gabi Vogt / 13 Photo, Regina Hügli / 13 Photo, Herbert Zimmermann / 13 Photo<br />
4
JUBILÄUM<br />
125.<br />
Ausgabe<br />
Fritz+Fränzi<br />
32<br />
56<br />
70<br />
Marguerite Dunitz-Scheer, müssen unsere<br />
Kinder mehr Gemüse essen?<br />
Bradie und Quentin leben beim Vater. Geht<br />
das gut? Sehr sogar, sagen die Buben.<br />
Fritz+Fränzi: ein Magazin und seine<br />
Erfolgsgeschichte.<br />
Erziehung & Schule<br />
38 Feriengrüsse<br />
Ob mit einer Postkarte oder einer<br />
Einladung zur Gartenparty, der<br />
Sommer bietet viele Möglichkeiten<br />
für Kinder, das Schreiben zu üben.<br />
44 Eine Glaubensfrage<br />
Welcher Religion Kinder angehören,<br />
bestimmen in den ersten Jahren die<br />
Eltern.<br />
48 Sprachenstreit<br />
Bei der Frage, ob Frühfranzösisch<br />
sinnvoll ist, scheiden sich die Geister.<br />
Beat Zemp vom LCH hat da eine<br />
ganz klare Meinung.<br />
50 Förderbedarf<br />
Wie lernschwachen Schülern in<br />
einer Regelklasse geholfen wird.<br />
56 «Wir wollen bei Papi wohnen!»<br />
Was ist, wenn die Kinder nach<br />
der Trennung beim Vater bleiben?<br />
Ein Hausbesuch.<br />
70 Zum 125. Mal Fritz+Fränzi<br />
Ellen Ringier über ihr Herzensprojekt.<br />
Digital & Medial<br />
80 Bibliotheken 2.0<br />
Laut der aktuellen JAMES-Studie<br />
gehen bei uns nur zwei Prozent der<br />
Jugendlichen in eine Bibliothek.<br />
Wirklich? Wir haben nachgefragt.<br />
84 Die Sache mit dem Smartphone<br />
Viele Kinder können sich kaum vom<br />
Handy lösen. Viele Eltern auch nicht –<br />
sagen ihre Kinder. Das sollte sich<br />
ändern.<br />
Rubriken<br />
03 Editorial<br />
<strong>06</strong> Entdecken<br />
32 Monatsinterview<br />
Familien müssten zurückfinden<br />
zu einem gesunden Ernährungsstil,<br />
sagt die Ernährungsexpertin<br />
Marguerite Dunitz-Scheer.<br />
42 Jesper Juul<br />
Der Familientherapeut über die<br />
Signale unserer Kinder – und<br />
wie wir diese richtig deuten.<br />
54 Fabian Grolimund<br />
Sollen wir unsere Kinder<br />
belohnen?<br />
66 Leserbriefe<br />
68 Michèle Binswanger<br />
Unsere Kolumnistin über eine<br />
Verfehlung ihres Sohns.<br />
90 Eine Frage – drei Meinungen<br />
Ein Kind leidet unter der Abwesenheit<br />
des Vaters. Was könnte ihm helfen?<br />
Service<br />
68 Verlosung<br />
77 Abo<br />
86 Unser Wochenende in ...<br />
… Liechtenstein<br />
88 Sponsoren/Impressum<br />
89 Buchtipps<br />
Die nächste Ausgabe erscheint<br />
am 15. August <strong>2017</strong>.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Juni/Juli <strong>2017</strong>5
Entdecken<br />
Flinke Musiker<br />
Ein Musikinstrument zu spielen,<br />
trainiert das Reaktionsvermögen.<br />
Forscher der kanadischen<br />
Université de Montréal<br />
unterzogen 16 langjährige Musiker<br />
und 19 Nichtmusiker einem<br />
Reaktionstest. Sie mussten so<br />
schnell wie möglich die Maustaste<br />
am PC klicken, sobald in<br />
der anderen Hand ein Summer<br />
vibrierte, es vor ihnen piepste<br />
oder beides. In allen Fällen<br />
schalteten die Musiker flinker.<br />
3 FRAGEN<br />
an Urs Rietmann<br />
«Wir sind keine Playstation»<br />
Das Kindermuseum Creaviva im Zentrum Paul Klee in Bern hat vor<br />
Kurzem seinen 100 000. Besucher gefeiert. Inwiefern sich die Ansprüche<br />
der jungen Kunstinteressierten seit den Anfängen des Creaviva verändert<br />
haben, weiss Museumsleiter Urs Rietmann.<br />
Interview: Evelin Hartmann<br />
Urs Rietmann, was erwartet junge Besucher im Creaviva?<br />
Wir sind ein Ort lebendiger Kreativität. Unterschiedliche Angebote sollen<br />
inspirierende Ausflüge in die Welt der Kunst ermöglichen. Im offenen<br />
Atelier beispielsweise können unsere Gäste unter der Anleitung einer<br />
Kunstvermittlerin jeden Tag selber kreativ werden.<br />
Kürzlich konnten Sie den 100 000. Knirps in einem Schulworkshop<br />
begrüssen. Wie haben sich die Ansprüche Ihrer Zielgruppe im Laufe<br />
der Zeit verändert?<br />
Wir stellen über die Jahre eine Verschiebung der Erwartungshaltung fest:<br />
weg vom eigenen Tun, hin zum Konsum. Viele Kinder, aber auch Erwachsene<br />
sind unverbindlich, lustbetont und unterhaltungsfixiert. Als wären wir<br />
eine Playstation. Wir gehen einen etwas anderen Weg. Gleichzeitig sind<br />
unsere Gäste dann aber doch begeistert, wie viel Spass ihnen das eigene<br />
schöpferische Schaffen machen kann, beispielsweise in einem Ferienkurs.<br />
Sind denn noch Plätze frei im Ferienprogramm?<br />
Absolut! Das offene Atelier steht jeden Tag drei Mal ohne Voranmeldung<br />
offen, ebenso unsere kostenlosen interaktiven Angebote. Auch in unseren<br />
Ferienkursen sind noch Plätze zu haben.<br />
www.creaviva-zpk.org<br />
2016 wurden insgesamt 71 Masern-Fälle<br />
in der Schweiz gemeldet. Im April des<br />
aktuellen Jahres war die Zahl bereits bei 69.<br />
(Quelle: Beitrag «Masern in der Schweiz stark auf dem Vormarsch»<br />
von tagesanzeiger.ch)<br />
Digitale Nachtschwärmer<br />
Einer von fünf Jugendlichen wacht<br />
offenbar nachts regelmässig auf, um<br />
in den sozialen Medien Nachrichten<br />
zu checken und zu senden. Dies ergab<br />
eine britische Studie. Hierfür<br />
befragten Psychologen mehr als<br />
900 Schülerinnen und Schüler<br />
zwischen 12 und 15 Jahren nach<br />
ihren Schlafgewohnheiten und der<br />
Zufriedenheit mit ihrem Leben.<br />
Die nachtaktiven Social-Media-<br />
Fans hatten eine dreimal höhere<br />
Wahrscheinlichkeit, sich tagsüber<br />
müder, unwohler und unzufriedener zu<br />
fühlen als ihre durchschlafenden Altersgenossen.<br />
Bilder: Kindermuseum Creaviva, Stephan Rappo / 13 Photo<br />
6 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Noé Hürlimann,<br />
Bio-Nachwuchsbauer<br />
aus Damphreux.<br />
Für die Liebe zur Natur.<br />
Naturaplan steht für echten und natürlichen Genuss. Denn jedes Naturaplan-Produkt ist wie ein Kuss von<br />
Mutter Natur. Als Bio-Pioniere lancierten wir 1993 die erste Bio-Marke des Schweizer Detailhandels. Heute<br />
bietet Naturaplan das grösste Bio-Sortiment der Schweiz. Und das wird auch in Zukunft so bleiben. Dafür<br />
stehen wir zusammen mit den nächsten Generationen von Bio-Bauern. Für die Liebe zur Natur.<br />
www.naturaplan.ch<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Juni/Juli <strong>2017</strong>7
Entdecken<br />
Ein Tag für die Familie<br />
Wie fährt sich eigentlich ein Elektroauto?<br />
Noch nie am Steuer gesessen? Dann sollten<br />
Sie in den Ferien einen Ausflug nach<br />
Spreitenbach einplanen. In der Umweltarena<br />
finden vom 15. Juli bis 20. August<br />
die Family Days mit einem gros sen Indoor-<br />
Parcours statt. Neben den Neuheiten<br />
auf dem Elektroauto-Markt stehen hier<br />
auch Tret-Karts, E-Bikes, E-Scooter und<br />
Kickboards für die jüngeren Besucher<br />
bereit. Diese dürfen sich ausserdem über<br />
Führungen durch die Ausstellung «Der<br />
Dachs, der bekannte Unbekannte» und eine<br />
Bastelwerkstatt freuen.<br />
Alle Infos auf www.umweltarena.ch<br />
Abtauchen in die digitale Welt Wie programiere ich? Was sind<br />
Algorithmen und digitale Tools? Laut einiger namhafter Experten sind dies die Fertigkeiten<br />
und Begriffe, die unsere Kinder in Zukunft brauchen werden. Digitalswitzerland bietet in<br />
seiner Initiative «nextgeneration» Sommercamps an, in denen Kinder und Jugendliche<br />
digitale Kompetenzen erwerben und vertiefen sollen. Und nicht nur das, die jungen<br />
Teilnehmer sollen ebenso in Problemlösung, Kommunikation, Teamarbeit und Leadership<br />
geschult werden. Natürlich altersgerecht und spielerisch. Schliesslich sind Ferien.<br />
Alle Infos und Preise auf www.digitalswitzerland.com<br />
«Meine Eltern konnten mich im<br />
Gymnasium auch nicht selber<br />
unterstützen und mussten sich Hilfe<br />
organisieren. Wenn dies für Eltern<br />
nicht möglich ist, stehen der Staat,<br />
die Schulen in der Pflicht.»<br />
Silvia Steiner in einem Interview auf tagesanzeiger.ch über die hohe<br />
Durchfallquote in der Probezeit an manchen Zürcher Gymnasien.<br />
Silvia Steiner ist<br />
Bildungsdirektorin des<br />
Kantons Zürich und<br />
Mitglied der CVP.<br />
Kultige Agenda<br />
Was ist «Nacht-Golf»? Wie<br />
reitet man ein Pferd trotz<br />
Sehbehinderung? Und was<br />
sind eigentlich die beliebtesten<br />
Sportarten junger<br />
Schweizerinnen und Schweizer?<br />
Die neue Pestalozzi-<br />
Agenda ist auf dem Markt,<br />
das Thema zum Schuljahr<br />
<strong>2017</strong>/18: Sport, in all seinen Facetten. Von spannenden<br />
Sportler-Porträts über Ernährung und Gesundheit bis<br />
hin zu mehr Bewegung im Alltag. Der kultige Schülerkalender<br />
begleitet Jugendliche seit Generationen<br />
durch den Schulalltag und ist für rund 16 Franken<br />
in den meisten Buchhandlungen zu haben.<br />
www.pestalozziagenda.ch<br />
Bilder: Digital Switzerland, Umweltarena.ch, ZVG<br />
8 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Rubrik<br />
DER NEUE TOYOTA<br />
PROACE VERSO<br />
RAUM UND SICHERHEIT<br />
FÜR IHRE FAMILIE. AB CHF 33’600.– *<br />
TOYOTA.CH<br />
OB FÜR DIE FAHRT IN DIE FERIEN ODER FÜR EINEN GROSSEINKAUF – DER NEUE TOYOTA PROACE<br />
BIETET IHNEN UND IHRER FAMILIE GENAU DEN RAUM, DEN SIE SICH SCHON IMMER GEWÜNSCHT<br />
HABEN. DIE KOMPLETTE SICHERHEITSAUSSTATTUNG UND INTELLIGENTE DETAILS, WIE<br />
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Strombereitstellung 23 g / km, En.-Eff. D, CHF 37’600.– abzgl. CHF 4’000.– Cash-Prämie = CHF 33’600.–. Abgebildetes Fahrzeug : Proace Verso L1 Family, 2,0 D-4D, M / T, 110 kW, Ø Verbr. 5,3 l / 100 km ( Benzinäquivalent 5,9 l / 100 km ),<br />
CO Das ₂ 139 Schweizer g / km, CO ₂–Emissionen ElternMagazin aus Treibstoff- Fritz+Fränzi<br />
und / oder Strombereitstellung Juni/Juli <strong>2017</strong>9<br />
23 g / km, En.-Eff. C, CHF 47’400.– abzgl. CHF 4’000.– Cash-Prämie = CHF 43’400.–. Ø CO ₂-Emission aller in der Schweiz immatrikulierten Fahrzeugmodelle :<br />
134 g / km. Die Verkaufsaktionen sind gültig für Vertragsabschlüsse mit Inverkehrsetzung vom 1. Mai <strong>2017</strong> bis 30. Juni <strong>2017</strong> oder bis auf Widerruf. Die Abbildung zeigt aufpreispflichtige Optionen.
In guten<br />
Händen<br />
In der Schweiz leben rund 15 000 Kinder in<br />
Pflegefamilien und Heimen. Wer sind sie?<br />
Warum wachsen sie nicht bei Vater und Mutter<br />
auf? Und wie fühlt sich das an: Eltern auf Zeit?<br />
Eine Spurensuche.<br />
Text: Bettina Leinenbach Bilder: Gabi Vogt / 13 Photo<br />
10 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
Weil sich ihr Sohn<br />
nach der Scheidung<br />
nicht um seine<br />
Tochter kümmern<br />
konnte, nahmen<br />
Ines und Edi Schmid<br />
ihr Enkelkind<br />
Siriwan in Pflege.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Juni/Juli <strong>2017</strong>11
Dossier<br />
12 <br />
Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
Ein Kind gehört zu<br />
seinen Eltern, aber es<br />
gehört ihnen nicht.<br />
psychische Labilität, Krankheit,<br />
niedriges Bildungsniveau, kein so <br />
zia les Netzwerk am Wohnort, Trennung<br />
vom Partner, von der Partnerin,<br />
Verschuldung, Alkohol- und<br />
Substanzmissbrauch, Kriminalität<br />
und so weiter.<br />
Ein Teil der Mütter und Väter hat<br />
einen Migrationshintergrund, aber<br />
oft genug sind die strauchelnden<br />
Eltern auch Schweizer. Im schlimmsten<br />
Fall entlädt sich die Wut über das<br />
eigene Scheitern am Kind, manchmal<br />
muss es auch mit ansehen, wie<br />
beispielsweise der Vater die Mutter<br />
Wer Familie hat, schlägt. Eine weitere Form der Vernachlässigung<br />
liegt vor, wenn das<br />
weiss: Es läuft<br />
nicht immer Kind keinen geregelten Tagesablauf<br />
alles rund. Das hat, wenn es häufig alleine gelassen<br />
Kind entwickelt<br />
wird und niemand an seinem Bett<br />
Heute lebt<br />
Siriwan in Zürich.<br />
seine eigene Persönlichkeit,<br />
wächst den Eltern über den Kopf.<br />
Der negative Einfluss von Freunden<br />
bereitet Probleme, die Schule, die<br />
Berufswahl. Meistens jedoch gelingt<br />
es Eltern, ihren Kindern ein gutes<br />
Zuhause zu bieten.<br />
In der Schweiz haben alle Minderjährigen<br />
ein Anrecht darauf, von<br />
den Menschen, die sich um sie kümmern,<br />
gut versorgt, gefördert und<br />
geschützt zu werden. Sind Mama<br />
und Papa mit dem Elternjob dermas<br />
sen überfordert, dass das Wohl<br />
eines Kindes gefährdet ist und es<br />
sich nicht angemessen entwickeln<br />
kann, ist der Staat verpflichtet, einzugreifen.<br />
Der Begriff «Gefährdung» ist in<br />
diesem Zusammenhang weit gefasst.<br />
In den meisten Fällen finden sich auf<br />
sitzt, wenn es krank ist. Vorausgesetzt,<br />
da ist überhaupt ein Bett.<br />
Falls die Herkunftsfamilie ihren<br />
Auftrag nicht erfüllen kann, übernimmt<br />
der Staat symbolisch die Sorge<br />
für den jungen Menschen, steht<br />
ihm bei und nimmt seine Interessen<br />
wahr. Vertreten wird er in dem Fall<br />
durch die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde<br />
(KESB). Dort<br />
arbeiten Pädagogen, Psychologen,<br />
Sozialarbeiter und Juristen Seite an<br />
Seite. Geht eine Meldung ein, ist die<br />
Behörde verpflichtet, dieser nachzugehen.<br />
Die Fachleute klären nicht<br />
nur ab, sie beraten, begleiten und<br />
unterstützen die Mütter und Väter<br />
auch, damit diese ihren Alltag mit<br />
den Kindern besser meistern können.<br />
In vielen Fällen gelingt die<br />
Intervention durch die KESB und<br />
Ihren leiblichen<br />
Vater sieht sie<br />
Seiten der Eltern mehrere Faktoren,<br />
die zusammengenommen eine Krise<br />
die sozialen Dienste. Denn: >>><br />
nur noch selten. auslösen können: Überforderung,<br />
Lesen Sie bitte weiter auf Seite<br />
17<br />
13
Dossier<br />
Die Grosseltern<br />
übernahmen<br />
Siriwan Schmid ist 16 Jahre alt, sie<br />
lebt bei ihren Grosseltern Ines, 76,<br />
und Edi Schmid, 74, in Zürich.<br />
Wenn Siriwan ihre Augen schliesst,<br />
kommen die Erinnerungen. Nicht wie<br />
in einem Spielfilm, eher wie bei einem<br />
Diavortrag: Regenzeit, wunderschönes<br />
Land, grüne Hölle, Blechhütten, Habseligkeiten,<br />
wieder eine neue Schule,<br />
alleine sein, Papi, bekannte und unbekannte<br />
Gesichter. Die heute 16-Jährige<br />
hat die ersten acht Lebensjahre im<br />
Nordosten Thailands verbracht. Anfangs<br />
noch mit ihrer thailändischen Mutter<br />
und ihrem Schweizer Vater, doch sehr<br />
bald war sie auf sich alleine gestellt.<br />
Zumindest hat es sich für das Mädchen<br />
immer mal wieder so angefühlt. Siriwans<br />
Papi bekam nach der Trennung der<br />
Eltern zwar das Sorgerecht für sie, aber<br />
er war nicht wie andere Väter.<br />
Heute wissen Ines und Edi Schmid,<br />
warum ihr einziger Sohn seine Lehre<br />
abbrach und als 18-Jähriger die Idee<br />
hatte, nach Thailand auszuwandern. Sie<br />
verstehen nun auch besser, wieso er<br />
dort überstürzt heiratete, immer neue,<br />
abenteuerliche Geschäftsideen<br />
entwickelte und warum es ihm nicht<br />
gelang, mit dem Geld, das sie ihm<br />
regelmässig schickten, zu haushalten.<br />
Siriwans Vater war und ist nicht<br />
charakterschwach, sondern psychisch<br />
krank. Seit Kurzem hat das Leiden<br />
auch einen Namen: Schizophrenie. In<br />
akuten Krankheitsphasen verliert der<br />
mittlerweile 36-Jährige den Bezug zur<br />
Realität, fühlt sich verfolgt und bricht<br />
alle Brücken hinter sich ab. Oder er greift<br />
zur Flasche.<br />
Damals, in Thailand, als der junge Mann<br />
verzweifelt versuchte, sein Leben in den<br />
Griff zu bekommen und seinem Kind<br />
ein guter Vater zu sein, muss er gespürt<br />
haben, wie aussichtslos seine Situation<br />
war. Ines und Edi Schmid flogen so oft<br />
wie möglich nach Asien. Zeit nur für<br />
Siriwan, regelmässige Mahlzeiten, Gute-<br />
Nacht-Geschichten auf Züritüütsch.<br />
Wenn der Moment des Abschieds kam,<br />
brach für das Kind jeweils eine Welt<br />
zusammen. Zwei Mal durfte es alleine<br />
nach Zürich fliegen und jeweils für drei<br />
Monate bei den Grosseltern bleiben.<br />
Obwohl Siriwan ihren Papi vermisste,<br />
fühlte sie sich bei ihnen geborgen.<br />
Gegen Ende des zweiten Aufenthaltes<br />
hoffte das Kind auf ein Wunder. Das<br />
Wunder kam, je nach Perspektive war<br />
es aber gleichzeitig die Katastrophe.<br />
Siriwans Vater rief wenige Tage vor dem<br />
geplanten Rückflug in der Schweiz an.<br />
Er wirkte instabil. Als er seine Eltern bat,<br />
die Tochter nicht wieder in den Flieger<br />
zu setzen, fackelten die ehemalige<br />
Kindergärtnerin und der frühere Elektromonteur<br />
nicht lange. Sie beschlossen<br />
noch in derselben Nacht, offiziell die<br />
Pflegschaft für ihre Enkelin zu beantragen.<br />
Siriwan war im ersten Moment<br />
einfach nur erleichtert, die Traurigkeit<br />
kam erst später dazu.<br />
Das Mädchen wurde in Zürich eingeschult,<br />
kam zur Ruhe und hatte nun<br />
ein echtes Zuhause. Anfangs skypte es<br />
sehr oft mit seinem Vater, doch mit der<br />
Zeit zog es sich mehr und mehr zurück.<br />
Die Jahre in Thailand, das Alleinsein,<br />
die Alkoholexzesse des Vaters, seine<br />
Aggressionen – all das hatte Spuren in<br />
Siriwans Seele hinterlassen. Die junge<br />
Frau mit den ausdrucksstarken Augen ist<br />
immer noch in Therapie. Je älter sie wird,<br />
desto besser versteht sie, was damals<br />
geschehen ist. Aber viele ihrer Fragen<br />
bleiben unbeantwortet. Zu ihrer Mutter<br />
hat sie keinen Kontakt, und die Begegnungen<br />
mit ihrem Vater seitdem kann<br />
sie an einer Hand abzählen. Gerade ist<br />
er wieder in der Schweiz, wird stationär<br />
in der Psychiatrie behandelt. Es ist sein<br />
altes Muster: Wenn er eine schwere<br />
Krise hat, kommt er heim. Sobald<br />
es ihm etwas besser geht, flüchtet<br />
er nach Asien. Ines und Edi Schmid<br />
besuchen ihren Sohn regelmässig. Er<br />
fragt nach seiner Tochter. Die beiden<br />
Senioren müssen dann jeweils erklären,<br />
warum Siriwan nicht mitgekommen ist.<br />
Meistens versteht er.<br />
Wenn man erlebt, wie liebevoll die drei<br />
miteinander umgehen, wie selbstverständlich<br />
sie über die Vergangenheit,<br />
das Jetzt und die Zukunft sprechen, hat<br />
man das Gefühl, dass diese Geschichte<br />
sich zum Guten gewendet hat. Die<br />
Grosseltern haben die Elternrolle nicht<br />
nur angenommen, sondern – trotz ihres<br />
Alters – komplett ausgefüllt. Als Siriwan<br />
Schlittschuhlaufen lernen wollte, gingen<br />
Ines und Edi selbstverständlich mit ihr<br />
aufs Eis. Und wenn an der Kantonsschule<br />
Elternabend ist, dann sitzen die<br />
beiden zwischen den anderen Eltern. Die<br />
Grosseltern wissen, dass Siriwan für ihr<br />
Leben gerne Klavier spielt, wie wach ihr<br />
Verstand und wie gross ihr Herz ist, und<br />
dass sie nicht besonders gerne über ihre<br />
Geschichte spricht.<br />
Obwohl der Teenager die Pflegeeltern<br />
jung hält, ist allen bewusst, dass sich<br />
das Blatt wenden kann. Doch Ines und<br />
Edi Schmid haben vorgesorgt. Wenn<br />
sie nicht mehr in der Lage sein sollten,<br />
umfassend für die Enkelin da zu sein,<br />
wird Ines Schmids Bruder mit seiner<br />
Familie übernehmen. Siriwan ist mit<br />
dieser Variante einverstanden, denn sie<br />
weiss, dass das keine Notlösung wäre.<br />
Die Grosseltern füllen die<br />
Elternrolle – trotz ihres<br />
Alters – voll und ganz aus.<br />
14
Dossier<br />
Schmids sorgen<br />
nicht nur für ihre<br />
Enkelin, sondern<br />
kümmern sich<br />
auch um ihren<br />
kranken Sohn.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Juni/Juli <strong>2017</strong>15
Dossier<br />
16 <br />
Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
In der Schweiz lebt jedes<br />
hundertste Kind im Heim<br />
oder bei einer Pflegefamilie.<br />
Fatima Walser<br />
gab ihre Tochter<br />
Shana in Pflege,<br />
als diese zwei<br />
Jahre alt war.<br />
>>> Die meisten Eltern wollen das<br />
Beste für ihre Kleinen.<br />
Manchmal fruchten die Hilfsmassnahmen<br />
aber nicht oder nur<br />
teilweise. Dann kann es passieren,<br />
dass die Behörden zum Schluss<br />
kommen, dass es besser ist, ein Kind<br />
vorübergehend oder dauerhaft aus<br />
der Herkunftsfamilie herauszunehmen.<br />
Bis eine solche Fremdunterbringung<br />
vorgenommen wird, vergeht<br />
Zeit. Nur, wenn Gesundheit<br />
und Leben des Kindes akut gefährdet<br />
sind, wenn es misshandelt oder<br />
missbraucht wird oder wenn es<br />
komplett sich selbst überlassen ist,<br />
muss es schnell gehen.<br />
Sorge um das Wohl des Kindes<br />
Auch der umgekehrte Weg ist denkbar.<br />
Nicht selten wenden sich Eltern,<br />
die am Anschlag sind, an die Behörden<br />
und bitten um Hilfe. Das erfordert<br />
nicht nur Mut und die Fähigkeit,<br />
über die eigene Situation nachzudenken.<br />
Es ist auch ein eindrücklicher<br />
Beweis dafür, dass Mama und<br />
Papa sehr wohl um ihr Kind und sein<br />
Wohl besorgt sind.<br />
In der Schweiz leben schätzungsweise<br />
15 000 Kinder und Jugendliche<br />
in Pflegefamilien oder Heimen<br />
statt bei ihren leiblichen Eltern; mit<br />
anderen Worten jedes hundertste<br />
Kind. Während Teenager eher in<br />
Einrichtungen unterkommen, hat<br />
sich gerade bei jüngeren Kindern<br />
das Pflegefamilien-Modell bewährt.<br />
Dabei übernehmen andere Erwachsene<br />
im Alltag die Aufgaben, die<br />
eigentlich Elternsache wären.<br />
Die Gründe liegen auf der Hand:<br />
Je jünger ein Mensch ist, desto eher<br />
ist er noch in der Lage, sich an weitere<br />
Personen zu binden. Ausserdem<br />
haben vor allem Kleinkinder ein<br />
anderes Zeitgefühl, ein Jahr fühlt<br />
sich wie eine Ewigkeit an. Von Fall<br />
zu Fall können ganz unterschiedliche<br />
Arrangements sinnvoll sein.<br />
Neben der Dauerpflege, bei der das<br />
Kind komplett in der neuen Familie<br />
lebt, gibt es auch die sogenannte<br />
Wochenpflege, bei der es samstags<br />
und sonntags in die Herkunftsfamilie<br />
zurückkehrt. Eine Kurzzeitpflege<br />
kann nötig werden, wenn die Eltern<br />
beispielsweise erkranken oder in<br />
ganz seltenen Fällen in Untersuchungshaft<br />
kommen. Weitere Modelle<br />
wie die Entlastungspflege zielen<br />
darauf ab, Mama und Papa in<br />
lange anhaltenden, belastenden<br />
Situationen je nach Bedarf stundenoder<br />
tageweise regelmässig etwas<br />
Luft zu verschaffen.<br />
In der Stadt Zürich kümmert sich<br />
seit vielen Jahren die Fachstelle Pflegekinder<br />
als Teil der sozialen Dienste<br />
um die Suche, Abklärung, Vermittlung,<br />
Aufsicht und Begleitung<br />
von geeigneten Pflegefamilien. Stellenleiter<br />
Peter Hausherr weiss, dass<br />
eine Fremdplatzierung für die Mädchen<br />
und Buben immer ein einschneidendes<br />
Erlebnis ist: «Deswegen<br />
bemühen wir uns, die jeweils<br />
am besten passenden Pflegeeltern zu<br />
finden.»<br />
Häufig gelingt dies auf Anhieb,<br />
vorausgesetzt, der Fachstelle stehen<br />
genügend Pflegefamilien zur Verfügung.<br />
Die «Ersatzfamilie» kann entweder<br />
klassisch aus einem Paar oder<br />
nur aus einer Person bestehen<br />
(siehe Infobox Seite 18). Wer sich<br />
für die anspruchsvolle Aufgabe in -<br />
ter essiert, muss einen stan- >>><br />
17
Dossier<br />
Nur jedes fünfte Pflegekind<br />
lernt seine neuen Eltern<br />
erst im Verlauf der<br />
Vermittlung kennen.<br />
>>> dardisierten Abklärungsprozess<br />
durchlaufen, bei dem die<br />
zuständigen Sozialarbeitenden prüfen,<br />
ob man sich grundsätzlich für<br />
ein solches Engagement eignet.<br />
Wenn es zu einem späteren Zeitpunkt<br />
um die Vermittlung eines<br />
bestimmten Kindes geht, wird die<br />
Passung zwischen ihm und einer<br />
möglichen Ersatzfamilie nochmals<br />
genau geprüft. Das Kind und seine<br />
leiblichen Eltern werden – wann<br />
immer möglich – in den Auswahlprozess<br />
miteinbezogen. Es ist ein<br />
schmerzlicher Gedanke, aber Mama<br />
und Papa müssen den Entscheid im<br />
Interesse ihres Nachwuchses emotional<br />
mittragen.<br />
Aktuell begleiten die Mitarbeitenden<br />
der Fachstelle 130 Familien<br />
im Stadtgebiet Zürich, die ein Mädchen,<br />
einen Buben oder Geschwister<br />
bei sich aufgenommen haben. Interessanterweise<br />
werden 60 Prozent<br />
der Kinder von nahen Verwandten<br />
wie Grosseltern, Tanten oder<br />
Onkeln betreut. Geschätzte 20 Prozent<br />
sind bei Menschen aus >>><br />
Shana, ihre<br />
Mutter und die<br />
Pflegeeltern<br />
sehen sich als<br />
eine Familie. Das<br />
klappt gut.<br />
Wie werden wir Pflegeeltern?<br />
Wer mit dem Gedanken spielt, ein Kind in Pflege zu nehmen,<br />
sollte sich zuerst an die Gemeindeverwaltung seines<br />
Wohn ortes wenden. Diese leitet die Anfrage an die zuständige<br />
regionale oder kantonale Stelle weiter (Sozialdienst,<br />
Jugendsekretariat, Fachstelle usw.). Interessenten können<br />
sich auch direkt an eine der vielen Organisationen wenden,<br />
die sich auf die Vermittlung und Begleitung von Pflegekindern<br />
spezialisiert haben. Anschliessend wird abgeklärt, ob die<br />
Antragsteller für die anspruchsvolle Aufgabe geeignet sind.<br />
Laut Pflegekinderverordnung (PAVO) kann sich jede<br />
volljährige Person als Pflegemutter/Pflegevater bewerben.<br />
Die Interessenten sollten:<br />
• Freude am Zusammenleben mit Kindern haben und in<br />
der Lage sein, sich in ihre Welt einzufühlen und ihre<br />
Bedürfnisse zu erkennen;<br />
• körperlich und seelisch fit sein, wobei chronische<br />
Erkrankungen nicht automatisch ein Ausschluss kriterium<br />
sind;<br />
• genügend Platz (in der Wohnung und im Herzen)<br />
für ein (zusätzliches) Kind haben;<br />
• in einer stabilen Partnerschaft leben<br />
(falls sie gebunden sind);<br />
• sicherstellen, dass andere im Haushalt lebende Familienmitglieder<br />
ebenfalls mit der Aufnahme eines Pflegekindes<br />
einverstanden sind;<br />
• nicht überschuldet sein und über ein geregeltes Einkommen<br />
verfügen (Betreibungsregisterauszug);<br />
• nicht einschlägig vorbestraft sein (Strafregisterauszug);<br />
• akzeptieren, dass Pflegekinder ein Recht auf Umgang<br />
mit ihren leiblichen Eltern haben, und fähig sein, eine<br />
wertschätzende Haltung gegenüber der Herkunftsfamilie<br />
des Kindes einzunehmen;<br />
• verstehen, dass das Kind aufgrund seiner Geschichte<br />
möglicherweise Verhaltensweisen zeigt, die von denen<br />
ihrer eigenen Kinder abweichen;<br />
• bereit sein, mit den Behörden und Fachpersonen zusammenzuarbeiten<br />
und sich bei aufkommenden Konflikten frühzeitig<br />
beraten zu lassen.<br />
Übrigens: Bewerben sich Paare, spielt es keine Rolle, ob die<br />
Antragsteller ledig oder verheiratet sind beziehungsweise ob sie in<br />
einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft leben. Auch Verwandte,<br />
die ein Kind bei sich aufnehmen möchten, brauchen dafür<br />
eine Bewilligung. Von Gesetzes wegen müssen sie dieselben<br />
Voraussetzungen erfüllen und unterstehen ebenfalls der Aufsicht<br />
der Behörden.<br />
18
Dossier<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Juni/Juli <strong>2017</strong>19
Dossier<br />
20 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
Viele Kinder sind traumatisiert.<br />
Das kann belastend für<br />
die Pflegeeltern und deren<br />
leibliche Kinder sein.<br />
>>> dem sozialen Umfeld der Herkunftsfamilie<br />
untergebracht, beispielsweise<br />
bei Paten, der guten<br />
Freundin der Mutter oder in der<br />
Nachbarsfamilie. Nur in etwa jedem<br />
fünften Fall hat das Pflegekind seine<br />
zweiten Eltern erst im Laufe der Vermittlung<br />
kennengelernt.<br />
Doris Python<br />
(Mitte) mit ihrer<br />
Schwester (l.)<br />
und einer<br />
Mitarbeiterin.<br />
Ein anspruchsvoller Job<br />
Aus der Perspektive der Mädchen<br />
und Buben ist es immer gut, wenn<br />
in dem Moment, in dem ihre vertraute<br />
Welt zusammenbricht,<br />
wenigstens ein paar Fixpunkte erhalten<br />
bleiben. Oft ist eine Platzierung<br />
im bekannten Umfeld besser, da die<br />
Kinder dann beispielsweise weiter<br />
ihre angestammte Schule besuchen<br />
können. Geschwister werden möglichst<br />
gemeinsam vermittelt. Aber<br />
selbst wenn sich im nahen Umfeld<br />
eine potenzielle Pflegefamilie findet,<br />
sind die Fachleute verpflichtet, den<br />
Platz erst sorgfältig abzuklären.<br />
Auf die Pflegeeltern wartet ein<br />
anspruchsvoller Job: Sie sollen den<br />
Kindern einen geregelten Alltag<br />
ermöglichen, ihnen Geborgenheit<br />
geben und ihr Selbstvertrauen stärken,<br />
kurzum, sie müssen für sie sorgen.<br />
Auf diese Weise entsteht im<br />
Idealfall eine enge Bindung. Die<br />
Ersatzeltern müssen aber akzeptieren<br />
können, dass die neuen Familienmitglieder<br />
mitunter irritierende<br />
Verhaltensmuster an den Tag legen.<br />
«In machen Fällen waren schon<br />
ganz junge Pflegekinder in ihrer ersten<br />
Familie für viele Dinge zuständig:<br />
Kleider auswählen, einkaufen,<br />
alleine essen, sich unter Umständen<br />
um die Eltern und kleineren >>><br />
21
Dossier<br />
>>> Geschwister kümmern»,<br />
erläutert Peter Hausherr. «Und jetzt<br />
sollen sie plötzlich wieder ein Kind<br />
sein, für das gesorgt wird und an<br />
dessen Alltagserlebnissen Anteil<br />
genommen wird?» Eine verunsichernde<br />
Situation, die auf beiden<br />
Seiten grosse Spannungen auslösen<br />
kann. Die Ankömmlinge brauchen<br />
viel Zeit, um sich an ihre Rollen zu<br />
gewöhnen, um zu verstehen, wie die<br />
neue Familie «tickt» – und umgekehrt.<br />
Viele Mädchen und Buben<br />
sind zudem traumatisiert und weisen<br />
Entwicklungsrückstände auf.<br />
Finanzielle Unterstützung<br />
Das alles kann nicht nur nervenaufreibend,<br />
sondern auch sehr belastend<br />
für die Pflegeeltern und allenfalls<br />
auch für mit im Haushalt lebende<br />
leibliche Kinder sein. Darum begleitet<br />
die Fachstelle «ihre» Familien<br />
intensiv, vermittelt und zahlt Beiträge<br />
an Fortbildungen und Supervisionen,<br />
um die Zweitmütter und -väter<br />
und «Geschwister» zu stärken.<br />
Selbstverständlich erhalten die<br />
Ersatzeltern auch eine finanzielle<br />
Unterstützung von den leiblichen<br />
Eltern oder – an deren Stelle – von<br />
den Städten und Gemeinden, um<br />
ihre laufenden Kosten decken zu<br />
können. Hinzu kommt noch eine<br />
Entschädigung für die geleistete<br />
Erziehungsarbeit. Je nach Situation<br />
können so bei Dauerpflege auf den<br />
Kanton Zürich bezogen zwischen<br />
900 und 2000 Franken pro Monat<br />
zusammenkommen.<br />
Ein zentraler Punkt ist die Beziehung<br />
zur Herkunftsfamilie. >>><br />
Ein Pflegekind hat ein<br />
Recht darauf, möglichst<br />
viel über seine «echten»<br />
Eltern zu erfahren.<br />
Geduld statt<br />
Druck<br />
Doris Python, 52, ist<br />
Pflegemutter in der<br />
Bereitschaftspflege und<br />
lebt in Herisau.<br />
Die Kinder und Jugendlichen, die<br />
auf Doris Pythons Appenzeller Hof<br />
ankommen, wollen oftmals vor<br />
allem eines: vergessen. Vergessen,<br />
wie verfahren ihre Situation ist, das<br />
Vergangene hinter sich lassen, herausfinden,<br />
was ihnen guttut – und<br />
sich neu orientieren. Wer zum Biobauernhof<br />
will, muss sich auf die<br />
Suche begeben. Der Schotterweg,<br />
der von der Strasse abzweigt, führt<br />
immer tiefer in den Wald hinein.<br />
St. Gallen liegt nur wenige Autominuten<br />
entfernt, aber hier scheint die<br />
Zeit stillzustehen. Irgendwann taucht<br />
das Gebäude aus dem 19. Jahrhundert<br />
auf. Es ist wie im Märchen:<br />
ein alter Garten, Obstbäume, Hühner,<br />
Pferde, zwei Pfauen, ein alter Hund<br />
und eine sehr grosse Katze.<br />
Doris Python arbeitet schon seit<br />
vielen Jahren in der sogenannten<br />
Bereitschaftspflege. Die 52-Jährige<br />
nimmt kurzfristig Mädchen und<br />
Buben auf, die aus den unterschiedlichsten<br />
Gründen im Moment nicht<br />
in ihrem gewohnten Umfeld leben<br />
können. Wer ein Zimmer auf ihrem<br />
Hof bezieht, hat in der Regel bereits<br />
viel hinter sich. Manche Kinder sind<br />
schon in einer Familie oder im Heim<br />
fremdplatziert, ecken dort aber<br />
an. Andere kommen direkt aus der<br />
Herkunftsfamilie, sind vielleicht<br />
psychisch angeschlagen und müssen<br />
stabilisiert werden. Der Aufenthalt<br />
funktioniert im Idealfall wie eine<br />
Auszeit. In den letzten zwölf Jahren<br />
hat Bussola, ein Anbieter im Be reich<br />
der Familienpflege, über 20 Kinder<br />
und Jugendliche auf den Biobauernhof<br />
vermittelt und begleitet.<br />
Da Doris Python eine Kleinheimbewilligung<br />
hat, kann sie bis zu fünf<br />
Pflegekinder gleichzeitig aufnehmen.<br />
Zimmer gibt es jedenfalls genug.<br />
Und einen sehr langen Tisch, an dem<br />
immer Platz für Neuankömmlinge<br />
ist. Früher sassen dort auch Doris<br />
Pythons Eltern und Grosseltern, ihr<br />
zwischenzeitlich verstorbener Mann<br />
und ihre mittlerweile erwachsenen<br />
Söhne. Heute nehmen dort neben<br />
der Hausmutter und den Kindern<br />
und Jugendlichen auch regelmässig<br />
Sonja Signer, ihre mitarbeitende<br />
Schwester, und weitere Hofangestellte<br />
Platz.<br />
Wenn ein junger Mensch in Not<br />
ist, dann überlegt das Team von<br />
Bussola, welche Pflegefamilie am<br />
besten helfen könnte, die Situation<br />
zu entschärfen, denn nicht alle<br />
Kinder würden vom Bauernhofidyll<br />
profitieren. Wenn es aber passen<br />
könnte, greift ein Mitarbeitender im<br />
Auftrag der Kindesschutzbehörde<br />
zum Hörer, schildert Doris Python die<br />
Situation und fragt nach, ob sie sich<br />
vorstellen könne, dem Mädchen oder<br />
dem Bubem ein Zuhause auf Zeit zu<br />
geben. Wenn die Pflegemutter einverstanden<br />
ist, geht es schnell. Zwei,<br />
drei Tage später sitzen die jungen<br />
Menschen bereits mit am Holztisch.<br />
Obwohl die meisten Pflegekinder im<br />
Teenageralter sind, kommt hin und<br />
wieder auch ein jüngeres Kind.<br />
Doris Python, ursprünglich<br />
Psychiatriepflegekraft, und ihre<br />
Schwester, gelernte Krankenpflegerin,<br />
strahlen beide Ruhe und<br />
Zuversicht aus – und sie bohren<br />
grundsätzlich nicht nach. Geduld<br />
statt Druck – für viele Teenager<br />
ist das eine neue Erfahrung.<br />
22
Dossier<br />
Auf dem<br />
Biobauernhof<br />
können die<br />
Kinder zur Ruhe<br />
kommen und<br />
durchatmen.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Juni/Juli <strong>2017</strong>23
Dossier<br />
24 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
Falls Schmids<br />
einmal nicht<br />
mehr da sein<br />
können, wird<br />
Siriwans Onkel<br />
einspringen.<br />
Ein Pflegekind ist wie<br />
ein kleiner Planet, um den<br />
drei Monde kreisen.<br />
>>> Die Kinder haben ein Recht<br />
darauf, möglichst viel über ihre<br />
«echten» Mamis und Papis zu erfahren.<br />
Sie sollten, wenn nichts Gravierendes<br />
dagegenspricht, auch weiterhin<br />
Kontakt zu ihren Eltern haben.<br />
Und zwar nicht nur, wenn die Rückkehr<br />
von Beginn an ein erklärtes<br />
oder zumindest wahrscheinliches<br />
Ziel ist. Es klingt absurd, aber viele<br />
Mädchen und Buben wollen mit<br />
eigenen Augen sehen, dass es ihren<br />
Eltern trotz allem gut geht. Es ist<br />
wichtig, dass die Pflegemütter und<br />
-väter die leiblichen Eltern wertschätzen.<br />
Auf diese Weise verhindern<br />
sie, dass die Kleinen in einen<br />
Loyalitätskonflikt geraten, und helfen<br />
ihnen dabei, ihre eigene Identität<br />
zu entwickeln.<br />
Wenn sich herausstellt, dass die<br />
Treffen die Mädchen und Buben zu<br />
sehr belasten, müssen die Zusammenkünfte<br />
anders gestaltet oder<br />
eingestellt werden. Die Behörden<br />
prüfen – gemeinsam mit allen Beteiligten<br />
– in regelmässigen Abständen,<br />
ob eine Rückkehr des Kindes<br />
in seine Herkunftsfamilie möglich<br />
ist. Falls nichts dagegenspricht, wird<br />
auch dieser Schritt sorgfältig und<br />
mit Umsicht geplant.<br />
Ein Pflegekind ist wie ein kleiner<br />
Planet, um den drei Monde >>><br />
Vorteil Volg :<br />
Institution Dorfladen.<br />
Volg –<br />
und das<br />
Dorf lebt.<br />
«<br />
Wie unser Blaskapellen-Verein<br />
bringt auch der Volg-Laden die<br />
Gemeindemitglieder zusammen.<br />
Jost Arnold, Gemeinderat &<br />
Baritonhorn-Bläser<br />
»<br />
brandinghouse<br />
Der Dorfladen – ein echter Klassiker: beliebter<br />
Ort für den täglichen Einkauf, den regelmässigen<br />
Austausch und den kurzen Schwatz. Der Volg im<br />
Dorf ist darum sowohl Laden als auch Treffpunkt<br />
und erbringt einen wertvollen Beitrag zur Erhaltung<br />
der dörflichen Gemeinschaft.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Volg .Im Dorf daheim.<br />
In Allenwinden ZG zuhause.<br />
Juni/Juli <strong>2017</strong>25
Dossier<br />
>>> kreisen: Da wäre die Herkunftsfamilie,<br />
die trotz allem eine<br />
emotionale Bindung zu ihm hat,<br />
dann die Pflegeeltern, die die leiblichen<br />
Eltern vertreten, und natürlich<br />
die Fachleute, Beistände, Behördenvertreter.<br />
Man braucht nicht viel<br />
Fantasie, um sich vorzustellen, wie<br />
dicht der Verkehr auf den Umlaufbahnen<br />
werden kann. Kollisionen<br />
lassen sich fast nicht vermeiden.<br />
Solange aber alle Beteiligten akzeptieren,<br />
dass der kleine Planet das<br />
Zentrum des Universums ist und<br />
alle nur wegen ihm hier sind, kann<br />
es gelingen.<br />
Die Zürcher Fachstelle Pflegekinder<br />
ist ein öffentlicher Dienst. In<br />
manchen Fällen genügt es aber<br />
nicht, wenn die Sozialarbeitenden<br />
nur zu Bürozeiten erreichbar sind.<br />
Es gibt komplexe Pflegesituationen,<br />
bei denen sowohl die Kinder und<br />
Jugendlichen als auch die Pflegeeltern<br />
eine besonders engmaschige<br />
Unterstützung brauchen, damit die<br />
Fremdunterbringung gelingt und<br />
die Minderjährigen zur Ruhe kommen<br />
können.<br />
Bussola ist eines von verschiedenen<br />
Unternehmen im Bereich der<br />
Familienpflege, das sich auf genau<br />
solche Situationen spezialisiert hat.<br />
Der in der Ostschweiz ansässige<br />
Anbieter begleitet rund 40 Pflegefamilien<br />
im eher ländlichen Raum.<br />
«Wir sind an 365 Tagen im Jahr<br />
rund um die Uhr erreichbar, damit<br />
wir bei Krisen oder in Notlagen<br />
schnell und flexibel handeln können»,<br />
erläutert Gabriele Buss, So <br />
zialpädagogin und Mitglied der<br />
Geschäftsleitung. Heisst: Wenn sich<br />
in einer Herkunftsfamilie eine<br />
Literaturtipps<br />
• Handbuch Pflegekinder. Aspekte und<br />
Perspektiven. Herausgegeben von der<br />
Pflegekinder-Aktion Schweiz. 2016.<br />
• Adoptiv- und Pflegekindern ein Zuhause<br />
geben. Informationen und Hilfen für<br />
Familien. Von Irmela Wiemann. Balance<br />
Buch+Medien Verlag 2014.<br />
• Pflegekinder – Alles, was man wissen<br />
muss. Von Katrin Ferber-Bauer, Barbara<br />
Gillig-Riedle und Herbert Riedle. TiVan<br />
Verlag 2016.<br />
• Herzwurzeln. Ein Kinderfachbuch für<br />
Pflege- und Adoptivkinder. Von Schirin<br />
Homeier und Irmela Wiemann.<br />
Mabuse-Verlag 2016.<br />
• Netz. Fachzeitschrift für Pflegekinder<br />
und Kindesschutz. Herausgegeben<br />
von der Pflegekinder-Aktion Schweiz.<br />
26 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
Shana, ihre<br />
Mutter und ihre<br />
Pflegeeltern<br />
verbringen oft<br />
Zeit zusammen.<br />
Situa tion zuspitzt, kann Bussola –<br />
mit dem Mandat der zuständigen<br />
Behörden – binnen 24 Stunden<br />
einen geeigneten Platz in einer Pflegefamilie<br />
bereitstellen. Und wenn es<br />
dort zu einer schwierigen Entwicklung<br />
kommt, sind die Bussola-Mitarbeiter<br />
auch schnell zur Stelle, um<br />
Konflikte zu entschärfen.<br />
Letztes Jahr hat Bussola insgesamt<br />
103 Minderjährige fremdplatziert,<br />
zwei Drittel davon waren<br />
Teenager, und häufig ging es um<br />
eine Art Auszeit. «Wir beobachten,<br />
dass die Anfragen steigen; die defi-<br />
nitiven Fremdunterbringungen sind<br />
aber rückläufig», so Buss. «Es gelingt<br />
den sozialen Diensten immer häufiger,<br />
mit ambulanten Massnahmen<br />
wie Erziehungsberatung, Schulsozial<br />
arbeit oder Familienbegleitung<br />
eine Fremdunterbringung zu verhindern.»<br />
Die Fachfrau begrüsst diese Entwicklung<br />
ausdrücklich, zeige sie<br />
doch, dass man auf einem guten<br />
Weg sei. «Wir sind aber erst dann<br />
am Ziel, wenn alle Kinder in ihren<br />
Herkunftsfamilien aufwachsen können.»<br />
>>><br />
Links<br />
• www.pa-ch.ch<br />
• www.pflegekinder.ch<br />
• www.stadt-zuerich.ch/pflegekinder<br />
• www.bussola.ch<br />
Bettina Leinenbach<br />
«Die Fremdunterbringungen<br />
sind rückläufig», sagt<br />
Gabriele Buss, Sozialpädagogin.<br />
hatte zu Beginn ihrer Recherche wenig<br />
Ahnung vom Pflegekindwesen – dafür viele<br />
Vorurteile. Die Journalistin und zweifache<br />
Mutter versteht mittlerweile besser, dass<br />
es sich niemand leicht macht, weder die<br />
Herkunftsfamilie noch die Pflegeeltern –<br />
und auch nicht der Staat.<br />
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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Juni/Juli <strong>2017</strong>27
Dossier<br />
Das Modell<br />
funktioniert<br />
Shana Walser ist 13 Jahre alt,<br />
ihre leibliche Mutter Fatima<br />
Walser 48. Shana lebt werktags<br />
bei ihren Pflegeeltern Lilly<br />
Kahler, 49, und Roger Gyger, 50.<br />
Alle kommen aus Zürich.<br />
Das Langzeitgedächtnis bildet<br />
sich erst im zweiten Lebensjahr.<br />
Deshalb hat Shana Walser kaum<br />
Erinnerungen an ihre Babyzeit. Die<br />
13-Jährige schliesst die Lücken mit<br />
Hilfe des Fotoalbums, das ihre Mutter<br />
mit Schnappschüssen von damals<br />
angelegt hat. Shana auf der Krabbeldecke,<br />
Shana im Buggy. Herzige<br />
Aufnahmen, heile Welt. Die Bilder<br />
erzählen aber nur einen Teil der<br />
Geschichte. Könnte sich das Mädchen<br />
erinnern, wäre es vermutlich überfordert<br />
von den zum Teil widersprüchlichen<br />
Eindrücken, die der Rückblick<br />
mit sich bringen würde.<br />
Fatima Walser, Shanas Mama,<br />
hat hingegen keinen Augenblick<br />
vergessen. Es ist alles noch da, eingraviert<br />
in ihre Seele: die schönen<br />
Momente, aber auch die Erinnerung<br />
an die Angst, Verzweiflung und<br />
Ausweglosigkeit, die sie damals, vor<br />
über 13 Jahren, empfand. Die heute<br />
48-Jährige kam Ende der Achtzigerjahre<br />
in die Schweiz, um bei ihrem<br />
Schweizer Ehemann zu leben. Die<br />
Marokkanerin arbeitete schon bald als<br />
Übersetzerin. Die Ehe scheiterte. Als<br />
ein neuer Partner in Fatimas Leben<br />
trat, wurde sie schwanger, freute sich<br />
auf das Kind. Der werdende Vater<br />
verschwand jedoch von der Bildfläche.<br />
Die Strapazen von Shanas Geburt und<br />
die ersten Wochen alleine mit dem<br />
Neugeborenen brachten die junge<br />
Frau aus dem Gleichgewicht. Sie<br />
konnte nicht mehr schlafen und nicht<br />
mehr essen, wachte Tag und Nacht<br />
am Bett des Säuglings. Asthma anfälle,<br />
Panikattacken und die ständige<br />
Angst, nicht mehr für das Kind da<br />
sein zu können. Dass das auch die<br />
Symptome einer schweren Wochenbettdepression<br />
waren, wurde ihr erst<br />
später klar.<br />
Fatima Walser bekam Hilfe. Leider<br />
griffen die Massnahmen nicht wie<br />
erhofft. Die Mutter kümmerte sich<br />
liebevoll um ihr Kind, sie selbst schien<br />
aber vor den Augen der anderen<br />
zu verschwinden. Nach anderthalb<br />
Jahren schlug eine Familienbegleiterin<br />
eine Art Auszeit vor. Das kleine<br />
Mädchen könne für ein paar Tage in<br />
einem Kinderheim untergebracht<br />
werden, damit Fatima wieder Tritt<br />
fassen könne. Wohlgemerkt ohne<br />
Behördenanordnung, auf freiwilliger<br />
Basis. Denn: Es gab eigentlich nur eine<br />
Person, die an Fatimas Fähigkeiten<br />
als Mama zweifelte, und das war sie<br />
selbst. Obwohl man ihr versicherte,<br />
dass sie ihr Kind jederzeit wieder zu<br />
sich holen könne, fürchtete sie sich<br />
davor, Shana zu verlieren. Loslassen,<br />
durchatmen, Vertrauen in die eigenen<br />
Fähigkeiten fassen – das war gar nicht<br />
so einfach.<br />
Fatima besuchte ihr Kind im Heim,<br />
verbrachte viel Zeit mit ihm, kehrte<br />
aber immer nach Hause zurück,<br />
um Kraft zu tanken. Konnte das ein<br />
tragfähiges Modell für die Zukunft<br />
werden? Jemand brachte den Begriff<br />
«Pflegeeltern» ins Spiel. Vielleicht<br />
könne sich Fatima die Elternrolle mit<br />
anderen Menschen teilen. Die Mutter<br />
überlegte. Was würde das Kind dazu<br />
sagen, wenn es sprechen könnte?<br />
Während die Alleinerziehende versuchte,<br />
die beste Lösung zu finden,<br />
bemühten sich Lilly Kahler und Roger<br />
Gyger am anderen Ende der Stadt<br />
ebenfalls, nach vorne zu blicken.<br />
Sie wussten nach medizinischen<br />
Abklärungen, dass ihr Wunsch nach<br />
leiblichen Kindern nicht in Erfüllung<br />
gehen würde. Die Erwachsenenbildnerin<br />
und der Schulsozialarbeiter<br />
blickten dennoch nach vorne. Als das<br />
Paar sich über die Möglichkeit einer<br />
Adoption informierte, fiel auch das<br />
Stichwort «Pflegeelternschaft». Lilly<br />
Kahler und Roger Gyger waren offen<br />
für diese Möglichkeit, zumal er als<br />
Kind ebenfalls fremdbetreut worden<br />
war. Da sie ihr Leben mit einem Kind<br />
teilen wollten, bewarben sie sich bei<br />
der Zürcher Fachstelle Pflegekinder<br />
als Pflegeeltern.<br />
Schwer zu sagen, ob es Zufall<br />
war oder ob eine aufmerksame<br />
Mitarbeiterin erkannte, wie gut die<br />
Familien – zumindest auf dem Papier<br />
– zusammenpassen. Jedenfalls<br />
schlug man Fatima das Ehepaar als<br />
mögliche Pflegeeltern vor. Die Kindsmutter<br />
wünschte sich weltoffene,<br />
tolerante Bezugspersonen für ihre<br />
Tochter. Da ein erstes Treffen gut<br />
gelaufen war, wagte Fatima Walser<br />
den nächsten Schritt. Nun sollte auch<br />
Shana Lilly und Roger kennenlernen.<br />
Während sich die Erwachsenen weiter<br />
beschnupperten, hatte die damals<br />
Zweijährige, die normalerweise eher<br />
abwartend war, genug von der vornehmen<br />
Zurückhaltung und spielte<br />
mit den Pflegeeltern in spe, als kenne<br />
sie sie schon seit Jahren. Bei einem<br />
Die Kindsmutter wünschte<br />
sich weltoffene, tolerante<br />
Bezugspersonen für Shana.<br />
28 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
dritten Treffen durfte Shana dann ein<br />
paar Stunden im fremden Haushalt<br />
verbringen. Dort schlief sie prompt<br />
ein. Ein riesiger Vertrauensbeweis. Als<br />
die Mitarbeiterin der Fachstelle Fatima<br />
Walser fragte, ob sie weitere Kandidaten<br />
kennenlernen wolle, schüttelte<br />
diese den Kopf. Warum auch? Es war<br />
mehr als offensichtlich, dass Shana<br />
sich entschieden hatte.<br />
Aus dem kleinen Mädchen von<br />
damals ist längst ein Teenager<br />
geworden. Seit elf Jahren hat Shana<br />
zwei Lebensmittelpunkte: Werktags<br />
wohnt sie bei Lilly und Roger, geht<br />
dort in die Quartierschule, an den<br />
Wochenenden lebt sie bei ihrer Mama.<br />
Manchmal ist auch alles anders,<br />
dann gehört das Wochenende den<br />
Pflegeeltern oder alle unternehmen<br />
gemeinsam etwas.<br />
Shana, Fatima, Lilly und Roger<br />
sind eine Familie. Das ungewöhnliche<br />
Modell funktioniert. Es ist aber kein<br />
Selbstläufer. Mit der dauerhaften<br />
Unterstützung der Mitabeitenden<br />
der zuständigen Stellen haben die<br />
Erwachsenen realisiert, wie wichtig<br />
es ist, miteinander zu reden. Nicht<br />
nur über das Kind, sondern auch über<br />
eigene Werte, Erfahrungen und Erwartungen.<br />
Je genauer alle einschätzen<br />
können, was und wie die anderen<br />
Beteiligten denken, desto besser.<br />
Die Übergänge, wenn Shana die<br />
Familie «wechselt», sind etwas<br />
besonders. Eine Seite muss loslassen,<br />
Vertrauen haben, die andere Seite gibt<br />
das Versprechen, ihr Bestes zu geben.<br />
Als Fatima vor einiger Zeit an Brustkrebs<br />
erkrankte, wusste sie eines:<br />
Egal, was die Zukunft bringen würde,<br />
Shana war und ist bei Lilly und Roger<br />
in den besten Händen.<br />
Ein gutes Team:<br />
Shana lebt<br />
während der<br />
Woche bei Roger<br />
und Lilly.
«Liebe allein reicht nicht»<br />
Wenn Kinder ihre Eltern verlassen müssen, ist das immer eine Katastrophe. Was in<br />
diesen Mädchen und Buben vorgeht, wie die Pflegefamilie damit umgehen sollte und<br />
warum sie gut daran tut, die leiblichen Eltern nicht von ihrem Sockel zu stossen, weiss<br />
die Familientherapeutin Irmela Wiemann. Interview: Bettina Leinenbach<br />
Frau Wiemann, Sie haben unzählige<br />
Pflegekinder auf ihrem Weg begleitet.<br />
Wie fühlt es sich an, wenn man<br />
plötzlich nicht mehr bei seinen leiblichen<br />
Eltern leben kann, leben darf?<br />
Das ist immer eine Katastrophe, ein<br />
tiefer Einschnitt ins Leben – unabhängig<br />
davon, was die Mädchen und<br />
Jungen vorher erlebt haben. Sie fühlen<br />
sich in dieser Situation überwältigt<br />
und ohnmächtig.<br />
Dabei wurden sie aus der Familie<br />
genommen, damit es ihnen besser<br />
geht, oder?<br />
Diesen Zusammenhang können vor<br />
allem jüngere Kinder nicht herstellen.<br />
Sie haben das Gefühl, sie hätten<br />
Fehler gemacht, fühlen sich schuldig.<br />
Denken Sie an Sechs- oder Siebenjährige.<br />
Die sind ausserordentlich<br />
solidarisch mit ihren Eltern und<br />
bleiben auch loyal, obwohl sie tief in<br />
sich spüren, dass Mama und Papa<br />
ihnen nicht das geben können, was<br />
sie brauchen. Selbst wenn die Kleinen<br />
direkte oder indirekte Gewalt<br />
erlebt haben, empfinden sie neben<br />
Angst auch Zuneigung zu und Liebe<br />
für Mama und Papa. Das sind widersprüchliche<br />
Gefühle, die auch wir<br />
Erwachsenen nur schwer miteinander<br />
in Einklang bringen können.<br />
Ist es weniger belastend, wenn die<br />
Kinder bereits früh aus ihrer Familie<br />
genommen werden?<br />
Das hat man lange geglaubt. Heute<br />
wissen wir, dass sich eine frühzeitige<br />
Trennung dennoch als Bruch in der<br />
eigenen Biografie niederschlägt. Der<br />
wirkt lebenslang auf die Persönlichkeit<br />
eines Menschen. Wenn man ein<br />
Baby fremdplatziert, dann verliert<br />
es nicht nur seine Bezugspersonen,<br />
sondern auch die gewohnte Umgebung,<br />
die bekannten Gegenstände,<br />
den Familiengeruch. Die frühe Entwurzelung<br />
verursacht seelische Verletzungen,<br />
gerade weil Kleinkinder<br />
nicht durch Denken abstrahieren<br />
können.<br />
Wie zeigt sich dieser Schock, wenn<br />
die Kinder in der neuen Familie<br />
ankommen?<br />
Die einen Kinder weinen und signalisieren<br />
damit deutlich, wie verunsichert<br />
und überfordert sie sind.<br />
Andere tun so, als sei nichts gewesen.<br />
Dieses Verhalten zeigt, dass diese<br />
Mädchen und Jungen bereits früh<br />
gelernt haben, ihre Gefühle abzuspalten.<br />
Wie erleben Jugendliche eine Fremdplatzierung?<br />
Manche Teenager melden sich selbst<br />
bei der Kindesschutzbehörde, weil<br />
sie es daheim nicht mehr aushalten.<br />
Umgekehrt werden auch Eltern vorstellig,<br />
die sagen: Wir schaffen es<br />
nicht mehr mit dem pubertierenden<br />
Jugendlichen. Obwohl das gegensätzlich<br />
klingt, gibt es Parallelen: In<br />
beiden Fällen sind erneut gemischte<br />
Gefühle im Spiel. Enttäuschung und<br />
Wut neben Sehnsucht nach Normalität<br />
und Zuneigung. Wenn ein Kind<br />
seine Eltern ablehnt, dann kann es<br />
sich selbst auch nicht komplett lieben.<br />
Es ist ein Teil dieser Eltern.<br />
Können Pflegekinder lernen, mit<br />
ihren widersprüchlichen Gefühlen<br />
umzugehen?<br />
Ja. Kinder, die von ihren Eltern<br />
getrennt wurden, wollen verstehen,<br />
warum das passiert ist. Dabei ist es<br />
hilfreich, ihnen bewusst zu machen,<br />
dass ihre Mütter und Väter seelisch<br />
«beschädigt» sind. Oft haben sie<br />
nicht gelernt, wie man Bindungen<br />
eingeht. Man kann aber nur das weitergeben,<br />
was man selbst erfahren<br />
und verinnerlicht hat.<br />
Inwiefern?<br />
Ich glaube, dass die meisten Erwachsenen,<br />
denen man die Kinder wegnehmen<br />
musste, in ihrer Vergangenheit<br />
traumatisiert wurden und dabei<br />
gelernt haben, ihre Gefühle abzuschalten.<br />
Die Emotionen lassen sich<br />
nicht beliebig wieder einschalten.<br />
Traumatisierten Menschen fehlt oftmals<br />
das Einfühlungsvermögen in<br />
andere. Das ist aber eine Grundvoraussetzung<br />
für die Fähigkeit, Kinder<br />
zu versorgen.<br />
Was schlagen Sie vor?<br />
Sobald die Kinder und Jugendlichen<br />
verstehen, dass es sich bei ihren<br />
Eltern um seelisch verletzte Menschen<br />
handelt, die ihre Mutter- oder<br />
Vaterrolle nicht angemessen übernehmen<br />
konnten, ist ein wichtiger<br />
Schritt getan. Dann kann die Wut in<br />
Trauer umgewandelt werden und es<br />
beginnt so etwas wie «Aussöhnen»<br />
oder «Frieden schliessen». Manche<br />
Betroffene schaffen diesen Schritt<br />
bereits sehr früh.<br />
30 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
Viele Pflegekinder idealisieren ihr<br />
altes Leben, obwohl sie nachweislich<br />
vernachlässigt und/oder misshandelt<br />
wurden. Wie ist das zu erklären?<br />
Sie schützen sich vor ihrem Schmerz,<br />
wenn sie davon ausgehen, dass die<br />
leibliche Familie toll ist. Und es gibt<br />
diesen gesellschaftlichen Mythos,<br />
dass Kinder zwangsläufig nach ihren<br />
Eltern kommen. Wenn also Mama<br />
und Papa «schlecht» sind, dann bin<br />
ich es auch. Stellt das Kind die Herkunftsfamilie<br />
hingegen auf einen<br />
Sockel, ist es selbst auch wertvoll.<br />
Und schon ist zumindest ein Teil<br />
seines Kummers abgemildert.<br />
Pflegeeltern sind nicht selten<br />
versucht, die Herkunftsfamilie von<br />
eben diesem Sockel zu stossen. Ist<br />
das klug?<br />
Nein, da man damit das Kind trifft.<br />
Warum erfindet es diese heile Welt?<br />
Weil es seine Eltern vermisst und<br />
weil der Wunsch nach einer «normalen»<br />
Vergangenheit stark ist. Statt<br />
es zu überführen, sollten die Pflegeeltern<br />
seine Gefühle aufgreifen.<br />
Wenn also mal wieder eine Geschichte<br />
kommt, in der die leibliche Mutter<br />
die tollsten Menüs gekocht hat,<br />
könnte die neue Familie sagen: Wir<br />
merken, dass dir deine Mama gerade<br />
sehr fehlt.<br />
Viele Menschen glauben, ein Kind<br />
brauche von seinen Pflegeeltern vor<br />
allem zwei Dinge: Liebe und Geborgenheit.<br />
Genügt das?<br />
Ich würde einen Schritt weitergehen.<br />
Die Ersatzeltern haben es immer mit<br />
einem seelisch verletzten Kind zu<br />
tun, das eine heilende Atmosphäre<br />
braucht, einen sicheren Ort, in dem<br />
es gefördert und gefordert wird. Die<br />
Erziehungsrezepte, die bei den leiblichen<br />
Kindern der Pflegeeltern ge <br />
klappt haben, müssen überdacht<br />
werden. Ein Timeout im Zimmer<br />
kann als bedrohlich gesehen werden.<br />
Das neue Kind wird unter Umständen<br />
in Panik geraten, da es nicht<br />
alleine sein kann, oder es sieht als<br />
bewiesen an, nicht geliebt zu werden.<br />
Welche Punkte müssen die neuen<br />
Eltern noch berücksichtigen?<br />
Sie haben nicht nur den Auftrag, für<br />
das Kind zu sorgen, sie sollten auch<br />
Die Erziehungsrezepte, die<br />
bei den leiblichen Kindern<br />
geklappt haben, müssen<br />
überdacht werden.<br />
den leiblichen Eltern einen Platz im<br />
Leben des Kindes einräumen. Das<br />
ist ein wichtiges Signal: Wir achten<br />
deine erste Mama und deinen ersten<br />
Papa. Und natürlich dürfen sie in<br />
deinem Herzen bleiben. Dort ist<br />
Platz für uns alle.<br />
Zur Person<br />
Irmela Wiemann ist eine ausgewiesene<br />
Expertin in der Beratung und Begleitung<br />
von Pflege-, Adoptiv- und Herkunftsfamilien.<br />
Sie veröffentlicht Bücher zum Thema und<br />
leitet Fortbildungsveranstaltungen. Die<br />
Psycho- und Familientherapeutin lebt in<br />
der Nähe von Frankfurt.<br />
www.irmelawiemann.de<br />
Im nächsten Heft:<br />
Autismus<br />
Bild: iStockphoto<br />
«Autismus» kommt aus dem Griechischen und<br />
bedeutet «sehr auf sich bezogen sein». Betroffene<br />
nehmen ihre Umwelt anders wahr. Aber wie<br />
denken, fühlen, handeln sie? Unsere Annäherung<br />
an ein grosses Thema in der August-Ausgabe.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Juni/Juli <strong>2017</strong>31
«Monotone Kost ist<br />
das Schlimmste,<br />
was Eltern einem<br />
Kind antun können»,<br />
sagt die<br />
Ernährungs expertin<br />
Marguerite<br />
Dunitz-Scheer.
Monatsinterview<br />
«Kein Kind sollte gezwungen<br />
werden, Gemüse zu essen»<br />
Wie vermeidet man Kämpfe am Esstisch? Worauf müssen Eltern achten, wenn sich die<br />
Familie vegetarisch ernährt? Sollen Kinder beim Einkaufen mitbestimmen dürfen?<br />
Die Kinderärztin und Ernährungsexpertin Marguerite Dunitz-Scheer über schwierige<br />
Esser, Kinder, die plötzlich abnehmen möchten, und gesundes Essverhalten.<br />
Interview: Claudia Füssler Bilder: Regina Hügli / 13 Photo<br />
Frau Dunitz-Scheer, machen wir uns<br />
zu viele Gedanken ums Essen?<br />
Auf jeden Fall. Das liegt daran, dass<br />
wir unsere Intuition und den Alltag<br />
in Sachen Esskultur und Kochkultur<br />
verloren haben. Einerseits kochen<br />
wir weniger oft als jemals zuvor<br />
selbst, andererseits messen wir einzelnen<br />
Nahrungsmitteln so viel<br />
Bedeutung bei wie noch nie. Dieses<br />
Pendeln zwischen zwei Extremen<br />
Mal in einer Gesellschaft leben, in<br />
der die tägliche Beschaffung der<br />
Nahrung mit minimalstem Aufwand<br />
möglich ist: Tütchen kaufen, aufreissen,<br />
warm machen, essen – fertig.<br />
Wer nicht will, muss sich überhaupt<br />
keine Gedanken ums Essen machen.<br />
Dahinter steht der Verlust einer ganzen<br />
kulturspezifischen sinnlichen<br />
Welt.<br />
Kochkultur zu einem Event verändert,<br />
der oft nur einmal in der Woche<br />
stattfindet. Mama steht am Herd und<br />
kocht – das ist eine Ausnahme, nichts<br />
Normales.<br />
Wie sieht diese Normalität denn aus?<br />
Ganz unspektakulär: seinen Kindern<br />
ein abwechslungsreiches Essen hinstellen<br />
und mindestens einmal am<br />
Tag kochen. So lernen die Kinder<br />
nebenbei, was eine lustvolle und gute<br />
zeigt: Uns ist die Normalität beim<br />
Esskultur ist. Und natürlich das<br />
Essen abhandengekommen.<br />
«Wer ein<br />
Kochen. Aber fragen Sie mal Zehnjährige,<br />
wie das bei ihnen zu Hause<br />
Wie konnte das passieren?<br />
gutes Mittelmass<br />
Das hat viele Gründe. Schauen Sie<br />
ist. Die meisten können sich nicht<br />
sich die vergangenen 70 Jahre seit bei der Ernährung einmal ein Spiegelei braten oder Pasta<br />
für sich und ein Geschwisterkind<br />
dem Zweiten Weltkrieg an: Europa<br />
vorlebt, hat kaum<br />
hat sich zum ersten Mal in der Ge <br />
kochen. Später schickt man den<br />
schichte der Menschheit in eine essgestörte Kinder.» Nachwuchs in spezielle Kinderkochkurse.<br />
Nahrungsüberflussgesellschaft verwandelt.<br />
Die Nahrungsmittelindustrie<br />
ist notwendigerweise offensiv bis<br />
aggressiv. Sie füttert nicht nur die<br />
Supermarktregale mit Angeboten,<br />
sondern auch unsere Köpfe mit Ideologien<br />
und viel zu viel Information.<br />
Das führt dazu, dass die Menschen<br />
Nahrung als Religions- und Identitätsersatz<br />
sehen.<br />
Das klingt, als ob wir uns ziemlich<br />
absurd verhalten.<br />
Und ob. Dieses riesige Angebot führt<br />
Aber daran sind nicht nur die Lebensmittelhersteller<br />
schuld.<br />
Nein, natürlich nicht. Es sind zahlreiche<br />
gesellschaftliche Veränderungen,<br />
welche man keinem Einzelnen<br />
oder einer Gruppe allein zum Vorwurf<br />
machen kann. Als ich in den<br />
60er-Jahren in der Schweiz aufgewachsen<br />
bin, ist keine Mutter arbeiten<br />
gegangen. Heute bleiben vielleicht<br />
zehn Prozent der Mütter<br />
Da wird dann künstlich etwas<br />
in ihr Leben hineingebracht, was sie<br />
ganz automatisch daheim hätten lernen<br />
können.<br />
Die Familie ist also der Schlüssel zu<br />
einem gesunden Essverhalten?<br />
Unbedingt. Die Eltern – und nicht<br />
nur die Mutter – haben eine Rollenmodellverpflichtung.<br />
Wenn sie es<br />
schaffen, ein vernünftiges, lustvolles<br />
Mittelmass bei der Ernährung vorzuleben,<br />
haben wir kaum essgestörte<br />
Kinder. Die kulinarische Familienkultur<br />
aber auch dazu, dass wir zum ersten da heim. In der Folge hat sich die<br />
ist die erste soziale >>><br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Juni/Juli <strong>2017</strong>33
Monatsinterview<br />
>>> Bühne, auf der Kinder Essverhalten<br />
erleben und erlernen – die ist<br />
sinnlich fast lebenslang präsent und<br />
absolut entscheidend. Essen ist eine<br />
interaktive und soziale Entwicklungsleistung,<br />
und wenn die daheim<br />
«Kinder lernen das<br />
zu mögen, was man<br />
ihnen serviert.<br />
Das ist eine Frage<br />
der Erziehung.»<br />
gut funktioniert, muss in der Schule<br />
nicht die Bedeutung von Kohlenhydraten<br />
oder Ernährungspyramiden<br />
erklärt werden.<br />
Viele Eltern machen die Erfahrung,<br />
dass Kinder einfach schwierige Esser<br />
sind.<br />
Kinder lernen das zu mögen, was<br />
Eltern ihnen servieren. Das ist auch<br />
eine Frage der Erziehung. So, wie wir<br />
auf eine Hygieneentwicklung achten<br />
und den Kindern beibringen, sich die<br />
Haare zu kämmen, die Zähne zu putzen<br />
oder die Hände zu waschen. So<br />
selbstverständlich und diskussionslos<br />
muss auch die tägliche Essentwicklung<br />
stattfinden. Wir haben<br />
dafür ja zwölf, dreizehn Jahre Zeit.<br />
Und wann fängt man am besten mit<br />
der Esserziehung an?<br />
Es gibt kein Alter, wo man sagen<br />
könnte, dass die Kinder nicht empfänglich<br />
sind für die Esskultur um sie<br />
herum. Genau genommen fängt das<br />
alles schon vor der Geburt an, bei der<br />
Ernährung der Schwangeren. Und<br />
auch ein drei Monate altes Baby, das<br />
der Papa im Tragegurt vor sich hat,<br />
registriert, ob der Papa eine Suppe<br />
löffelt oder in eine Wurst beisst.<br />
Viele Kinder, die von ihren Eltern als<br />
schwierige Esser beschrieben werden<br />
oder die tatsächlich essgestört sind,<br />
fallen aber in der Kindertagesstätte<br />
überhaupt nicht auf.<br />
Diese Beobachtung mache ich auch.<br />
Dort essen sie völlig normal, und die<br />
Erzieher sind erstaunt, wenn sie<br />
hören, dass es damit zu Hause Probleme<br />
geben soll. Das Problem ist<br />
eigentlich, dass Eltern dazu neigen,<br />
das Essen zu analysieren, und eine<br />
halbe Wissenschaft daraus machen,<br />
was das Kind isst oder eben verweigert.<br />
Damit entsteht ein Machtpotenzial,<br />
eine Konfliktzone, wo ein<br />
wichtiger Bestandteil des Essens<br />
kaputtgeht: der Lustanteil, der stark<br />
durch das Umfeld bestimmt wird.<br />
Aber wenn mein Kind nun mal strikt<br />
Gemüse boykottiert? Das ist doch<br />
eine Situation, mit der ich mich ausein<br />
andersetzen muss.<br />
Der Wahn mit dem Gemüse kommt<br />
aus der Erwachsenenwelt, meist von<br />
solchen Leuten, die oft selbst gegen<br />
Übergewicht kämpfen und vielleicht<br />
schon ein Leben lang Diät halten.<br />
Nur etwa fünf Prozent der Kinder<br />
sind im Volksschulalter bereits echte<br />
Gemüseliebhaber. Die Minderheit<br />
aller gesunden Kinder liebt also<br />
Gemüse, ab der Pubertät ändert sich<br />
das dann. Das macht überhaupt<br />
nichts, kein Kind muss gezwungen<br />
werden, Gemüse zu essen. Damit<br />
macht man schlimmstenfalls sogar<br />
die Geschmackspräferenzentwicklung<br />
kaputt und sorgt höchstens<br />
dafür, dass dieser Mensch dann auch<br />
in späteren Jahren kein Gemüse mag.<br />
Natürlich soll niemand Zucker pur<br />
löffeln, aber man kann Gemüsemuffeln<br />
Vitamintropfen geben, und von<br />
Gemüse allein kann sowieso kein<br />
Kind wachsen.<br />
Wovon dann?<br />
Von einem Mix aus allen Nährstoffen:<br />
Kohlenhydrate, Eiweiss und<br />
Fett. Plus Vitamine und Mineralstoffe.<br />
Kein Extrem ist gut. Monotone<br />
Kost ist das Schlimmste, was Sie<br />
Ihrem Kind antun können. Als<br />
Faust regel gilt, dass ein wachsendes<br />
Kind ein Gramm Eiweiss pro Tag<br />
und Kilo Körpergewicht zu sich nehmen<br />
sollte – und es ist egal, ob das<br />
aus vollwertigem Getreide, aus Käse,<br />
Fleisch, Fisch, Wurst oder der Schokomilch<br />
kommt. Selbst wenn ein<br />
Kind mal Phasen hat, in >>><br />
34
Monatsinterview<br />
«Wer Süssigkeiten<br />
als Belohnung<br />
einsetzt, hat<br />
verloren», sagt<br />
Dunitz-Scheer.
Monatsinterview<br />
>>> denen es bestimmte Dinge<br />
absolut nicht isst, muss man sich<br />
keine Sorgen machen – bei einer einfach<br />
gemischten Kost gleicht sich das<br />
über Wochen und Monate wieder<br />
aus. Noch einmal: Die Kost sollte so<br />
ausgewogen wie möglich sein.<br />
Wie schaffe ich das?<br />
Indem ich nicht nur ein Lebensmittel<br />
auf den Tisch bringe, sondern<br />
verschiedene. Und dem Kind die<br />
Wahl lasse. Vielleicht will es nur zwei<br />
oder drei der angebotenen Sachen,<br />
aber das ist total in Ordnung. Warum<br />
sollten Kinder da anders sein als wir?<br />
Wir suchen uns ja auch das aus, was<br />
uns schmeckt. Ich kann nicht steuern,<br />
was das Kind sich aussucht, aber<br />
ich kann sehr wohl steuern, worin<br />
die Auswahl besteht.<br />
Darf das Kind dann auch beim Einkaufen<br />
aussuchen, was es essen<br />
möchte?<br />
Das ist ein zweischneidiges Schwert.<br />
Zum einen: Eltern sollten ihre Kinder<br />
auf jeden Fall mitnehmen zum<br />
Einkaufen. Allerdings würde ich mit<br />
Kindern vor allem auf Märkte gehen.<br />
Dort kann eigentlich nichts schiefgehen.<br />
Auf so einem grossen Bauernmarkt<br />
sieht ein Kind die Äpfel<br />
neben den Tomaten und den Eiern,<br />
die Salate, die Käsesorten, das Fleisch<br />
«Eltern sollten mit<br />
Kindern häufig<br />
auf Bauernmärkte<br />
gehen. So ein<br />
Einkauf hat<br />
etwas ungeheuer<br />
Sinnliches.»<br />
im Metzgerwagen. Es erlebt die jahreszeitlichen<br />
Variationen. So ein<br />
Einkauf hat einen ungeheuer sinnlichen<br />
Aspekt, ich empfehle, das so oft<br />
wie möglich zu machen, auf alle Fälle<br />
einmal wöchentlich.<br />
Marguerite Dunitz-Scheer über ...<br />
... bio: Grundsätzlich ist jede Nahrung so<br />
naturbelassen wie möglich einzukaufen<br />
und so wenig verarbeitet wie möglich zu<br />
konsumieren. Je mehr Konservierungsstoffe<br />
ein Produkt hat, umso eher lasse ich<br />
die Finger davon – ausser wenn ich mich<br />
für eine Südpolexpedition ausrüste.<br />
... vegan: Das ist für mich eine extreme<br />
Form der Ernährung, von der ich Eltern<br />
von heranwachsenden Kindern abrate.<br />
Eltern, die ihr Kind streng vegan ernähren<br />
möchten, sollten auf jeden Fall einen<br />
Diätologen konsultieren und darauf<br />
achten, dass die Eiweissversorgung<br />
sichergestellt ist.<br />
... vegetarisch: Kinder können pro blemlos<br />
mit einer vegetarischen Ernährung aufwachsen,<br />
sie ist eiweissreich und enthält<br />
genügend Kalzium. Vegetarische Kost<br />
kann fantastisch geschmackvoll sein, aber<br />
Haben Sie noch einen Tipp?<br />
Man sollte es, so gut es geht, vermeiden,<br />
gerade jüngere Kinder mit in<br />
einen Supermarkt zu nehmen, der ja<br />
von Haus aus auf Verführung angelegt<br />
ist. Ich bin dort diejenige, welche<br />
die Auswahl aktiv beeinflusst. Die<br />
Kinder dürfen sich bei der Auswahl<br />
der Joghurts und Müeslis austoben.<br />
Meine Kinder wussten immer, dass<br />
ich keine Süssigkeiten kaufe. Wir<br />
hatten nie welche zu Hause, weil mir<br />
klar war, dass sie genug unterwegs<br />
bekommen, bei Freunden, an Geburtstagspartys<br />
oder wenn wir auf<br />
Reisen waren. Das genügt vollkommen.<br />
Also habe ich nie etwas gekauft,<br />
von dem ich nicht wollte, dass meine<br />
Kinder es essen.<br />
Sehr diszipliniert.<br />
Ich halte das für eine sinnvolle Herangehensweise.<br />
So erspart man sich<br />
unzählige Debatten und anstrengende<br />
Situationen. Am schlimmsten<br />
finde ich Süssigkeiten-Belohnungsschubladen.<br />
Denn dann fängt man<br />
an, Essen in gutes und schlechtes<br />
einzuteilen, und dabei sind plötzlich<br />
leider muss man erst nach Indien reisen,<br />
um das im Alltag zu erleben.<br />
... Geschmack: Ein Schweizer Kind<br />
kann meist mit zwölf Monaten zehn verschiedene<br />
Geschmäcker unterscheiden,<br />
ein französisches vierzig. Während<br />
Schweizer und deutsche Restaurants<br />
eigens Menüs mit angeblich kinderkompatiblen<br />
Fischstäbchen, Pommes und<br />
Spaghetti mit Tomatensauce auf die Karte<br />
setzen, liegt der Gedanke eines speziellen<br />
Kinderessens Eltern in vielen anderen Kulturen<br />
völlig fern. Indische Kinder wachsen<br />
zum Beispiel mit sehr würzigen Speisen<br />
auf, der Nachwuchs von Eskimos mit<br />
rohem Fisch, und in Israel essen selbst<br />
die Kleinsten schon geschmacksintensiven<br />
Hummus, Falafel und Oliven. Weil sie<br />
es von den Grossen so kennen.<br />
die ungesunden Sachen die erstrebenswerten.<br />
Der Klassiker: Komm,<br />
jetzt iss noch was von den Nudeln<br />
und dem Brokkoli, dann gibts<br />
danach auch die Schokolade. Wer<br />
Essen hierarchisiert, sorgt dafür, dass<br />
es schnell begehrte Lieblinge und<br />
einen Kampf darum gibt. Wenn Sie<br />
diese Belohnungsstrategien einmal<br />
anfangen, haben Sie verloren und<br />
sind erpressbar. Ganz zu schweigen<br />
davon, dass ein Kind so kein vernünftiges<br />
Verhältnis zu Nahrungsmitteln<br />
aufbauen kann.<br />
Welche Rolle spielen gemeinsame<br />
Mahlzeiten für die Essentwicklung?<br />
Da treffen Sie einen Nerv, denn der<br />
aktuelle Zustand ist eine Katastrophe.<br />
Eine gemeinsame Mahlzeit am<br />
Tag in einer Familie – das muss man<br />
doch mit ein bisschen Organisationstalent<br />
schaffen! Aber nein, einer<br />
isst um fünf, der andere um sechs,<br />
der Dritte abends um neun, wenn er<br />
endlich nach Hause kommt. Recht<br />
häufig ist, dass die Kinder um sechs<br />
essen und die Eltern dann allein um<br />
acht, wenn die Kinder im Bett sind.<br />
36 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Ich finde das traurig. Wenn das<br />
gemeinsame Mahl ein schönes,<br />
wichtiges Ritual ist, nimmt sich auch<br />
ein hungriges Kind um sechs nur<br />
eine Kleinigkeit und wartet gerne,<br />
bis dann um halb acht alle essen –<br />
weil es dieses Ereignis nicht missen<br />
möchte. Dabei geht es dann ums<br />
Erzählen, ums Zuhören, also um<br />
Kommunikation, und ja, auch ums<br />
Essen, aber das passiert eher nebenbei<br />
und wird nicht übertrieben zelebriert.<br />
Wie sollten Eltern reagieren, wenn die<br />
13-jährige Tochter beschliesst, sie<br />
müsse jetzt abnehmen, weil sie zu<br />
dick sei?<br />
Zunächst einmal guckt man sich die<br />
Situation faktisch an. Die Mutter<br />
einer 13-Jährigen sollte wissen, ob<br />
ihre Tochter 50, 60 oder 70 Kilo<br />
wiegt. Erstrebenswert ist in diesem<br />
Alter etwa ein BMI von 20. Ist das<br />
Mädchen wirklich zu dick, sagt man<br />
ihm: Du, wir kriegen das gemeinsam<br />
hin, wir kochen etwas kohlenhydratärmer,<br />
und ich mache uns einfach<br />
mehr Salate. Am besten zieht<br />
die ganze Familie mit. Auch hier gilt:<br />
Das Ganze sollte so normal wie möglich<br />
gehandhabt werden. Auch bei<br />
jüngeren Kindern, die zu dick sind,<br />
kann so eine Veränderung des Angebots<br />
schnell Abhilfe schaffen. Das<br />
liegt in der Hand der Eltern, ebenso<br />
wie die Entscheidung, dass es dann<br />
mal bis auf Weiteres nur einmal pro<br />
Woche ein Dessert gibt.<br />
Viele Teenager sind gar nicht zu dick,<br />
aber dennoch vom Gedanken des<br />
Abnehmens besessen.<br />
Auch hier gucke ich mir als Elternteil<br />
das Kind selbst und seinen BMI an.<br />
«Gemeinsame<br />
Mahlzeiten sind<br />
für die gesunde<br />
Essentwicklung<br />
enorm wichtig.»<br />
Liegt der bei 18, bin ich besonders<br />
aufmerksam und stelle das Kind einmal<br />
die Woche auf die Waage. Ab<br />
einem BMI von 16 muss man Klartext<br />
reden und handeln. Dann muss<br />
dem Kind gesagt werden: Wir gucken<br />
ab jetzt nicht mehr zu, wie du dich<br />
kaputthungerst, wir holen jetzt Hilfe<br />
von ausgebildeten Menschen dazu.<br />
Niemand hat ein Problem damit, seinem<br />
Sohn oder seiner Tochter zu<br />
sagen, dass es auf keinen Fall ein<br />
Piercing oder weiche Drogen gibt,<br />
aber beim Essen stellen wir uns alle<br />
irgendwie an.<br />
Vielleicht, weil es dazu so viele widersprüchliche<br />
Informationen gibt?<br />
Das mag sein. Doch es ist wichtig,<br />
dass Eltern gleichzeitig verstehen,<br />
dass die Essentwicklung ein ganz<br />
normaler Teil der Kindesentwicklung<br />
ist, so wie die motorisch-sportliche,<br />
die schulisch-intellektuelle<br />
oder emotional-moralische auch.<br />
Der Einfluss, den die Eltern und alle<br />
Familienmitglieder auf diese Entwicklung<br />
haben, ist enorm, nimmt<br />
aber mit zunehmendem Alter langsam<br />
ab. Je mehr ich für mich selbst<br />
geklärt habe, wer ich bin und was ich<br />
esse, desto einfacher wird die autonome<br />
Essentwicklung des Kindes.<br />
Eine Mutter, die sich beim Essen<br />
entschuldigt und erklärt, dass sie<br />
heute nur Salat essen dürfe, und ein<br />
Vater, der vorrechnet, dass er die<br />
ganze Woche nur drei Scheiben<br />
Wurst hatte und dafür heute zwei<br />
Schnitzel darf – das sind die besten<br />
Voraussetzungen dafür, dass das<br />
Kind ein kompliziertes Verhältnis zu<br />
Nahrungsmitteln entwickelt.<br />
>>><br />
Zur Person<br />
Marguerite Dunitz-Scheer ist Professorin für<br />
Kinderheilkunde und Leiterin der Psychosomatischen<br />
Kinder- und Jugendstation an der Universitätsklinik<br />
Graz. Die Expertin für Essstörungen und<br />
sonderernährte Kinder hat sechs Kinder und sieben<br />
Enkelkinder. Gemeinsam mit ihrem Mann hat sie das<br />
Buch «Jenseits von dick und dünn: Kochen – Essen<br />
– Familie. Der etwas andere Ratgeber. Mit vielen<br />
praktischen Beispielen und Rezepten» geschrieben.<br />
Mehr unter www.notube.com<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Juni/Juli <strong>2017</strong>37
In Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Post<br />
Erziehung & Schule<br />
«Liebe Grüsse aus …»<br />
Sommerliche Familienaktivitäten bieten auch viele Anlässe zum Erzählen, Grüssen oder Einladen.<br />
Für Kinder eine schöne Gelegenheit, zu erfahren und zu üben, wie man mit Schrift kommunizieren kann.<br />
Text: Johanna Oeschger<br />
Bild: Fotolia<br />
Wir schreiben, um damit etwas Bestimmtes<br />
zu erreichen: Wir möchten<br />
jemandem etwas mitteilen, uns «etwas<br />
von der Seele» schreiben oder etwas<br />
Wichtiges für später festhalten. Das<br />
Schreiben an und für andere hat für das<br />
Schreibenlernen eine besondere Bedeutung:<br />
Wenn Kinder erleben, dass sie mit<br />
ihrem Schreiben beim Empfänger eine<br />
Reaktion bewirken können (Freude,<br />
Lachen, eine Antwort), motiviert sie dies<br />
speziell. Sie lernen dabei zudem Schritt<br />
für Schritt die wichtige Fähigkeit, auf<br />
schriftlichem Weg mit anderen zu kommunizieren.<br />
Feriengrüsse<br />
Helfen Kinder mit beim Verfassen von<br />
Feriengrüssen an Familie und Freunde,<br />
können sie erstmals erfahren, wie man<br />
mit Schrift kommuniziert. Grössere Kinder<br />
schreiben die Postkarte selbständig,<br />
Schreibanfänger können den Text diktieren<br />
oder ergänzen. Mit Grüssen und<br />
Zeichnungen aller Familienmitglieder<br />
wird die Karte zum bunten «Gemein<br />
App-Tipp<br />
PostCard Creator<br />
Mit dem PostCard Creator können<br />
Kinder (und Eltern) direkt vom Handy<br />
aus Postkarten mit eigenem Foto<br />
und Text versenden. Eine Postkarte<br />
pro Tag ist gratis. Die App gibt es<br />
für Android und iOS.<br />
38 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
schaftswerk». Besonders eindrücklich<br />
für die Kinder ist es, wenn sie die Wirkung<br />
des Geschriebenen beobachten<br />
können. Vielleicht bekommen sie freudige<br />
Antwort auf ihre Nachricht oder<br />
entdecken ihre Postkarte von weit weg<br />
plötzlich am Kühlschrank der Grosseltern.<br />
Ferienbuch<br />
Einige Familien stellen zur Erinnerung<br />
oder zum Teilen mit den Daheimgebliebenen<br />
ein Ferientage- oder Fotobuch<br />
zusammen. Die Kinder können mitschreiben<br />
und mitgestalten: Fotos und<br />
Erinnerungsschnipsel auswählen und<br />
beschriften, spezielle Erlebnisse erzählen<br />
oder malen, Reiseroute einzeichnen,<br />
Ferienort porträtieren ...<br />
Einladung<br />
Ist eine Sommerparty oder ein Geburtstagsfest<br />
geplant? Beim Verschicken der<br />
Einladungen können auch die Kinder<br />
mithelfen – mit Formulieren, Adressieren,<br />
Gestalten, Verzieren.<br />
Johanna Oeschger<br />
ist Literatur- und Sprachwissenschaftlerin,<br />
unterrichtet Deutsch und Englisch<br />
auf der Sekundarstufe II und arbeitet<br />
als Mediendidaktikerin bei LerNetz.<br />
Schreiben<br />
verbindet<br />
Mach jemand Liebem<br />
eine Freude: Zeig deinen<br />
Grosseltern, der Gotte<br />
oder einem Freund, dass<br />
du an sie denkst, und<br />
lade sie zu einem<br />
gemeinsamen Sommerabenteuer<br />
ein. Für<br />
Kinder und Eltern zum<br />
gemeinsam oder selber<br />
Gestalten – Schreiben –<br />
Verschicken.<br />
So gehts:<br />
1. Vorderseite ausmalen<br />
2. Wunsch-Sommeraktivität<br />
ankreuzen<br />
3. Rückseite beschreiben<br />
4. Abschicken!<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Juni/Juli <strong>2017</strong>39
Psychologie & Gesellschaft<br />
Juhui, Ferien …<br />
oje, die Kinder haben frei<br />
Ferien sind toll, und die Kinder freuen sich auf die schulfreie Zeit.<br />
Ganz im Gegensatz zu den Eltern, die während der Schulferien<br />
oft mit Betreuungs lücken konfrontiert sind. Gedanken über<br />
ein familiäres Dilemma. Text: Susan Edthofer<br />
Meistens klappt die Verbindung von<br />
Beruf und Familie im normalen Alltag<br />
relativ gut. Angebote wie Mittagstisch<br />
und Aufgabenhilfe entlasten.<br />
Ganz anders sieht es während der<br />
Ferien aus. Was macht man mit Kindern, die fünf oder<br />
gar sechs Wochen zu Hause sind? Auch wenn Eltern<br />
ebenfalls Ferien einplanen, mehr als zwei, drei Wochen<br />
haben sie wohl kaum frei, und die Sommerpause ist<br />
damit längst nicht abgedeckt. Und auch im Frühling,<br />
Herbst und Winter fällt die Schule ein paar Wochen aus.<br />
Doch die wenigsten Familien können es sich zeitlich<br />
oder finanziell leisten, jedes Mal zu verreisen. Auf der<br />
Suche nach Betreuungsmöglichkeiten kommen nicht<br />
selten Grosseltern, Gotte, Götti und Freunde zum Einsatz<br />
– vorausgesetzt, sie wohnen in der Nähe, sind<br />
gesundheitlich auf der Höhe und haben Zeit. Wie bei<br />
einem Puzzlespiel werden die schulfreien Tage aufgesplittet<br />
und Lösungen gesucht, die allen behagen.<br />
Lösungen für Betreuungslücken<br />
Um unnötigem Stress entgegenzuwirken, lohnt es sich,<br />
die Schulferien frühzeitig zu planen. Vor allem bei jüngeren<br />
Kindern muss eine lückenlose Betreuung gewährleistet<br />
sein. Doch auch ältere Kinder sollten nicht tagelang<br />
sich selber überlassen werden. Auf der Suche nach<br />
familienfreundlichen Modellen sind Gesellschaft und<br />
Politik gefordert. Weil Schulferien zahlreiche Familien<br />
vor ein Problem stellen, bietet die öffentliche Hand in<br />
grösseren Städten Kinderbetreuung an.<br />
In der Regel sind die Kosten abhängig vom Einkommen<br />
der Eltern. Für Familien mit tiefem Einkommen<br />
sind zusätzliche Auslagen trotzdem kaum tragbar und<br />
immer noch zu hoch. Und ausserhalb der Städte fehlen<br />
solche Angebote meist gänzlich. Auf dem Land sind<br />
Familien oftmals auf Verwandte oder ein gut funktionierendes<br />
Nachbarschaftsnetz angewiesen. Doch auch<br />
die tollsten, flexibelsten Nachbarinnen und Nachbarn<br />
möchte man nicht unnötig strapazieren. Bestimmt hilft<br />
man sich gerne gegenseitig aus, doch zu häufig möchte<br />
man nicht anfragen, und zu lange sollte ein<br />
Einsatz ebenfalls nicht dauern.<br />
Freizeitangebote in der Region nutzen<br />
Zum Glück gibt es attraktive Alternativprogramme, die<br />
Eltern entlasten und Kinder ausfüllen. Der Ferienpass<br />
ist ein massgeschneidertes Ferienangebot für Daheimgebliebene.<br />
In verschiedenen Gemeinden der Schweiz<br />
führt Pro Juventute rund 7500 Programme durch. Aus<br />
einem breiten Angebot wählen die Kinder Tageskurse,<br />
Wochenkurse oder ein Lager aus. Beispielsweise können<br />
sie einen Tag auf einem Bauernhof verbringen, sich kreativ<br />
betätigen, Höhlen erforschen, Sportarten ausprobieren<br />
und neue Medien kennenlernen. Dass spannende<br />
und abwechslungsreiche Ferientage auch zu Hause möglich<br />
sind, entlastet Eltern enorm.<br />
«Spannende<br />
Ferientage sind<br />
auch zu Hause<br />
möglich.»<br />
Susan Edthofer ist Redaktorin<br />
im Bereich Kommunikation<br />
von Pro Juventute.<br />
Was Eltern tun können – vier Tipps<br />
• Tauschen Sie sich mit anderen Eltern aus. Oft entwickelt man<br />
Lösungen zusammen. Vielleicht ist auch eine gemeinsame<br />
Kinderbetreuung in der Nachbarschaft eine Option.<br />
• Fragen Sie Grosseltern, Gotte, Götti rechtzeitig an, ob Ihr Kind<br />
ein paar Tage zu Besuch kommen darf.<br />
• Schauen Sie sich frühzeitig nach den Ferienprogrammen<br />
in Ihrer Region um.<br />
• Viele Unternehmen unterstützen die Vereinbarkeit von Beruf<br />
und Familie. Versuchen Sie, mit Ihrem Chef, Ihrer Chefin über die<br />
Schulferien eine familienfreundliche Regelung der Arbeitszeit<br />
auszuhandeln.<br />
Pro Juventute Elternberatung<br />
Bei Pro Juventute Elternberatung können Eltern und Bezugspersonen von<br />
Kindern und Jugendlichen jederzeit telefonisch (058 261 61 61) oder online<br />
(www.projuventute-elternberatung.ch) Fragen zum Familienalltag, zu<br />
Erziehung und Schule stellen. Ausser den normalen Telefongebühren fallen<br />
keine Kosten an. Auf www.projuventute.ch/Ferienpass.20.0.html finden<br />
sich die Ferienpass-Angebote der verschiedenen Regionen.<br />
40 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Publireportage<br />
Psychologie & Gesellschaft<br />
Jungwacht<br />
Blauring<br />
Freizeitspass und Lebensschule<br />
Alt-Bundesrätin Ruth Metzler war dabei. Marathonläufer Viktor<br />
Röthlin und Kabarettist Emil Steinberger ebenfalls. Die Rede ist von<br />
Jungwacht Blauring, kurz Jubla. Der Kinder- und Jugendverband<br />
bietet Kindern ab 7 Jahren sinnvolle und hochwertige Freizeitgestaltung.<br />
Das bedeutet Freizeitspass und Lebensschule.<br />
Samstag, 13.30 Uhr, Kerns. «Lasst die<br />
Suche beginnen!» 18 Jubla-Kinder<br />
machen sich mit ihren Leitungspersonen<br />
auf in Richtung Wald. Am nahegelegenen<br />
Waldrand gilt es herauszufi nden,<br />
wer sich hinter dem mysteriösen Mister X<br />
verbirgt. Doch die Hinweise sind gut versteckt;<br />
da ist Zusammenarbeit gefragt:<br />
«Natur» mit Blättern auf den Waldboden<br />
schreiben, eine Menschenpyramide<br />
bauen oder einen Samariterknoten<br />
machen. Jene Gruppe, die den Mister<br />
X als erstes entlarvt, darf beim anschliessenden<br />
Grillplausch auch die ersten<br />
«Schoggibananen» essen. Umgeben<br />
von den leuchtenden Kinderaugen und<br />
lachenden Gesichtern wird schnell klar:<br />
Die Jubla ist ein Riesenspass! Auf die<br />
Frage, was ihr an den regelmässigen<br />
Gruppenstunden gefällt, antwortet die<br />
achtjährige Livia strahlend: «Die abenteuerlichen<br />
und lustigen Spiele. Und<br />
dass man mit Freunden zusammen ist».<br />
Verantwortung übernehmen<br />
Über 29´000 Mitglieder zählt die Jubla<br />
schweizweit. Davon sind rund 9´000<br />
ehrenamtliche Leitende. Die meisten<br />
waren von Klein auf in der Jubla<br />
und haben später Verantwortung als<br />
Leitungsperson übernommen. So auch<br />
«Gute Freunde, Schoggibanane und<br />
das Lachen der Kinder bringt mir mehr<br />
als 100-tausend Franken», sagt er. Mit<br />
seinen Schützlingen geht er am liebsten<br />
in die Natur. «So ermögliche ich den<br />
Kleinen Neues zu entdecken – etwas,<br />
das sie im Alltag nicht erleben». Über<br />
die Jahre entstünden tiefe Freundschaften,<br />
so Kilian. Das bestätigt auch<br />
sein Jubla-Freund Joel. «In der Jubla<br />
wird Gemeinschaft gelebt. Ausserdem<br />
können sich bei uns Kinder fern von Leistungsdruck<br />
entfalten, ihre Fähigkeiten<br />
entdecken und weiterentwickeln. Dabei<br />
lernen sie auch, Verantwortung für sich<br />
und andere zu übernehmen».<br />
Ganzheitliche Lebensschule<br />
Gemeinschaftliche Erfahrung, Aktivitäten<br />
im Freien, grenzenlose Fantasie.<br />
Die Jubla ist eine ganzheitliche Lebensschule.<br />
«Insbesondere in unserer heute<br />
so individualisierten, leistungsorienterten<br />
und schnellebigen Gesellschaft gibt die<br />
Jubla Kindern und Jugendlichen Halt<br />
und Orientierung.», meint Alice Stierli,<br />
Co-Präsidentin Jubla Schweiz. Diese gelebten<br />
Werte prägen den Jubla-Alltag<br />
stark. Ganz im Zeichen der Solidarität<br />
sind in der Jubla denn auch alle willkommen,<br />
unabhängig ihrer Fähigkeiten,<br />
Das ist «Jubla»<br />
Momente am Lagerfeuer<br />
geniessen, gemeinsam lachen,<br />
unvergessliche Augenblicke<br />
erleben, im Wald «Versteckis»<br />
spielen, wandern und unter<br />
dem Sternenhimmel übenachten,<br />
über dem Feuer kochen,<br />
eine Schatzkarte zeichnen,<br />
«Bändeli» knüpfen, Seifenkisten<br />
bauen, sich verkleiden, Köpfe<br />
zusammenstecken und Ideen<br />
entwickeln, besondere Momente<br />
feiern, Freundinnen und<br />
Freunde fürs Leben fi nden –<br />
das alles und vieles mehr bietet<br />
Jungwacht Blauring (Jubla).<br />
Komm vorbei<br />
und entdecke<br />
Jungwacht Blauring<br />
Jubla-Tag<br />
Am Samstag, 9. September<br />
<strong>2017</strong>, laden Jubla-Gruppen<br />
aus der ganzen Schweiz<br />
interessierte Kinder, Jugendliche<br />
und Eltern auf eine Reise<br />
durch die Welt der Jubla ein!<br />
Sei auch du mit dabei und<br />
entdecke Jungwacht Blauring.<br />
Informationen zum Programm<br />
in deiner Nähe fi ndest du<br />
unter jubla.ch/jublatag.<br />
der 22-jährige Kilian der Jubla Kerns. Herkunft und Religion.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Juni/Juli <strong>2017</strong>41
Kolumne<br />
Die Signale müssen verstanden werden<br />
Durch die Luft fliegende Metallautos, Wutausbrüche und Kraftausdrücke –<br />
eine Mutter weiss nicht mehr weiter mit ihrem Sohn.<br />
Jesper Juul<br />
ist Familientherapeut und Autor<br />
zahlreicher internationaler Bestseller<br />
zum Thema Erziehung und Familien.<br />
1948 in Dänemark geboren, fuhr er<br />
nach dem Schulabschluss zur See, war<br />
später Betonarbeiter, Tellerwäscher<br />
und Barkeeper. Nach der<br />
Lehrerausbildung arbeitete er als<br />
Heimerzieher und Sozialarbeiter<br />
und bildete sich in den Niederlanden<br />
und den USA bei Walter Kempler zum<br />
Familientherapeuten weiter. Seit 2012<br />
leidet Juul an einer Entzündung der<br />
Rückenmarksflüssigkeit und sitzt im<br />
Rollstuhl.<br />
Jesper Juul hat einen erwachsenen<br />
Sohn aus erster Ehe und ist in zweiter<br />
Ehe geschieden.<br />
Eine Leserin schreibt<br />
Jesper Juul: Mit viel<br />
Inter esse verfolge ich<br />
Ihre Rubrik im Magazin<br />
Fritz+Fränzi. Ich bin<br />
immer sehr gespannt auf Ihre Antwort<br />
und überlege mir im Voraus,<br />
wie ich handeln würde. Nun bin ich<br />
auch in einer Situation, wo ich mir<br />
nicht mehr zu helfen weiss, deshalb<br />
gelange ich an Sie.<br />
Wir haben zwei Jungs im Alter<br />
von knapp 8 Jahren und 4 Jahren.<br />
Beide sind meistens lieb zueinander<br />
und verstehen sich trotz Altersunterschied<br />
ziemlich gut. Aktuell hat aber<br />
der Kleinere immer wieder extreme<br />
Wutausbrüche, wenn etwas nicht<br />
nach seinem Gutdünken läuft. Das<br />
typische Trotzen in diesem Alter.<br />
Nur fliegen leider Sachen wie Metallautos<br />
und Legosteine in unsere Richtung<br />
(unsere Köpfe sind auch schon<br />
getroffen worden), wenn er noch im<br />
Wohnzimmer ist, sonst knallt er seine<br />
Türe zu und wirft auch dort seine<br />
Sachen an die Wand. Dies ist ziemlich<br />
anstrengend. Ich bin der Meinung,<br />
dass er in dieser Situation in<br />
Das wütende und frustrierte<br />
Verhalten des Sohnes bedeutet,<br />
dass er sich bei dieser Art<br />
Erziehung nicht wohl fühlt.<br />
sein Zimmer muss, nur wird er dann<br />
noch viel wütender. Haben Sie einen<br />
«besseren» Vorschlag, wie wir diese<br />
Wut in den Griff bekommen können?<br />
Vor allem möchte ich nicht,<br />
dass er uns Objekte an den Kopf<br />
wirft.<br />
Ein weiteres Problem sind seine<br />
Kraftausdrücke. Wie sollen wir re <br />
agieren, wenn er uns zum Beispiel<br />
sagt, wir seien doof, oder seinem<br />
Bruder, er sei ein Doppel-A…? Seit<br />
einem halben Jahr bringen wir dies<br />
einfach nicht mehr von ihm weg.<br />
Obwohl sein grosser Bruder sehr<br />
selten solche Wörter verwendet, hat<br />
der Kleine keine Hemmungen, diese<br />
zu brauchen. Gespannt freue ich<br />
mich auf Ihre Antwort!<br />
Jesper Juul antwortet<br />
Verhaltensweisen, wie Sie sie für<br />
Ihre zwei Söhne beschreiben, sind<br />
nur selten an ein spezifisches Alter<br />
gebunden. Sie sind lediglich das,<br />
was wir in der modernen Entwicklungspsychologie<br />
«Signale» nennen.<br />
In diesem Fall nennen Sie es ein<br />
Pro blem, das nach einer Lösung<br />
verlangt. Wenn wir es jedoch ein<br />
Signal nennen, verlangt es nach Verständnis.<br />
Lassen Sie mich mit Ihrem jüngsten<br />
Sohn beginnen. Sein frustriertes<br />
oder wütendes Verhalten ist ein<br />
Si gnal, welches Ihnen zeigt, dass er<br />
sich nicht wohl fühlt so, wie Sie ihn<br />
zu erziehen versuchen. Wenn ein<br />
Kind das Gefühl verliert, wertvoll zu<br />
sein, und darauf mit Aggressionen<br />
Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren<br />
42 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Kinder brauchen etwa zehn Jahre, um<br />
zu lernen, ihre Impulse konstruktiv<br />
umzusetzen, und Erwachsene, die für<br />
ihre Aggression Verständnis haben.<br />
reagiert – ob diese nun destruktiv<br />
oder selbstdestruktiv sind –, liegt<br />
das immer an der bewussten oder<br />
unbewussten Botschaft der Erwachsenen,<br />
die dem Kind zu verstehen<br />
geben, dass es mehr Belastung als<br />
Vergnügen ist. Frustration/Aggression<br />
(bei Kindern wie auch bei Er <br />
wachsenen) kann ein Zeichen dafür<br />
sein, dass Ihr Sohn nicht mag, was<br />
Sie von ihm zu tun oder zu lassen<br />
verlangen. Es ist aber auch ein Zeichen<br />
dafür, dass es für Ihren Sohn<br />
nicht angenehm, ja vielleicht sogar<br />
verletzend ist, wie Sie mit ihm gerade<br />
umgehen. In so einem Konflikt<br />
geht es oft viel mehr um das Wie als<br />
um das Was.<br />
Signale entstehen immer als ein<br />
Resultat, wie wir in der Gemeinschaft<br />
(als Familie) zusammenleben.<br />
Wenn nun ein Familienmitglied<br />
immer wieder wütend und frustriert<br />
ist, ist das eine Botschaft an die<br />
Eltern, dass es sinnvoll ist, neue und<br />
konstruktivere Wege für das Miteinander<br />
zu finden. (Ich habe dies in<br />
meinem Buch «Aggression» be <br />
schrieben.)<br />
Aggression und Wut sind in vielen<br />
Familien aus moralischer Sicht<br />
generell nicht willkommen. Der traditionelle<br />
Weg, diese Gefühle bei<br />
den Kindern auszulöschen, ist die<br />
Anwendung von Macht: zum Beispiel<br />
das Kind in sein Zimmer zu<br />
schicken, ihm einen Klaps zu geben,<br />
das Kind zu beschimpfen, es anzuschreien,<br />
zu bestrafen. Von der<br />
Ge sellschaft werden diese Erziehungsmassnahmen<br />
oft als solche<br />
gutgeheissen.<br />
Hier ist eine Alternative: Setzen<br />
Sie sich zu einem konfliktfreien<br />
Zeitpunkt mit Ihrem Sohn hin,<br />
sehen Sie ihm freundlich in die<br />
Augen und sagen Sie ihm: «Hör zu,<br />
mein Schatz, ich mag die Art und<br />
Weise nicht, wie wir streiten, wenn<br />
wir uns uneinig sind, und ich weiss,<br />
dass es in meiner Verantwortung<br />
liegt, dies zu ändern. Ich brauche<br />
deine Hilfe. Sag mir bitte, was ich<br />
anders machen kann, wenn es wieder<br />
so destruktiv zwischen uns wird.<br />
Ich will nämlich nicht, dass du<br />
Gegenstände herumschmeisst und<br />
Sachen beschädigst.»<br />
Auf diesem Weg wird er sich<br />
geliebt und wertvoll für Ihr Leben<br />
und die Familie fühlen, und ich verspreche<br />
Ihnen, dass er Ihnen einen<br />
oder mehrere Anhaltspunkte geben<br />
wird, um Sie zu konstruktiverer und<br />
effektiverer Kindererziehung zu<br />
führen.<br />
Dass er mit seiner Zunge schlägt<br />
(Kraftausdrücke, die sie er wähnen),<br />
ist nur eine andere Form von Ag <br />
gression und ein anderes Signal,<br />
welches Ihnen zeigt, dass er sich als<br />
Familienmitglied unwohl fühlt. Ein<br />
Vierjähriger kann nicht kommen<br />
und sagen: «Ich möchte euch allen<br />
etwas sagen: Schon seit Längerem<br />
fühle ich mich unwohl mit meinem<br />
Leben in unserer Familie, und ich<br />
brauche eure Hilfe, um herauszufinden,<br />
was falsch läuft. Würdet ihr mir<br />
bitte helfen?»<br />
Auch die meisten Erwachsenen<br />
können das nicht. Die Erwachsenen<br />
brauchen oft auch eine Zeit, in welcher<br />
sie meckern, gereizt, kritisch<br />
oder deprimiert sind – was alles für<br />
ihr Umfeld nicht «nett» ist. Es kann<br />
ein beliebiges Familienmitglied sein,<br />
welches schimpft und schlecht<br />
gelaunt ist. Auch da können sie dieselbe<br />
Vorgehensweise wählen: «Ich<br />
habe bemerkt, dass du dich in letzter<br />
Zeit nicht wohl fühlst mit uns, und<br />
sofern du es mir erzählen kannst,<br />
möchte ich wissen, warum. Ich liebe<br />
dich genauso, auch wenn du dich<br />
schlecht fühlst.»<br />
Das Einzige, was Sie als Elternteil<br />
oder Partner tun müssen, ist Folgendes:<br />
Lassen Sie die anderen Familienmitglieder<br />
wissen, dass Sie von<br />
ihnen nicht erwarten, immer glücklich<br />
zu sein, und dass sie auch auf<br />
Ihre Liebe und Unterstützung zählen<br />
können, wenn sie es nicht sind<br />
oder nicht in der Lage sind, die richtigen<br />
Worte für ihr Unwohlsein zu<br />
finden. Kinder brauchen eine Kindheit<br />
lang – etwa zehn Jahre –, um<br />
ihre Impulse konstruktiv und kreativ<br />
umzusetzen. Damit ihnen das<br />
gelingt, brauchen sie Erwachsene,<br />
die Verständnis für ihre Frustration/<br />
Aggression haben.<br />
Die Kolumnen von Jesper Juul entstehen<br />
in Zusammenarbeit mit<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Juni/Juli <strong>2017</strong>43
Erziehung & Schule<br />
Die Eltern bestimmen<br />
die Religion ihrer Kinder<br />
Im Verlauf der letzten Jahre haben sich vermehrt Fragen im Spannungsfeld<br />
von Religionsrecht und Schule ergeben. Wo verlaufen die Grenzen<br />
zwischen Entscheidungsmacht der Eltern, Glaubensfreiheit der Kinder<br />
und dem Bildungsauftrag der Schule? Text: Gisela Kilde<br />
Bild: Maskot / Plainpicture<br />
44 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Erleben Sie<br />
Bewegung!<br />
Ardit und Samira sind<br />
die Eltern von Granit,<br />
16, und Edita, 14.<br />
Den Eltern liegt es<br />
sehr am Herzen,<br />
ihren Kindern die Traditionen und<br />
die Kultur ihres Herkunftslandes<br />
Kosovo zu vermitteln. Dazu gehört<br />
auch ihre Religion, der Islam.<br />
War die Religionszugehörigkeit<br />
in der Familie von Ardit und Samira<br />
von Anfang an klar, wurde diese<br />
Frage von Theo und Lea, den Eltern<br />
von Luna, 8, kontrovers diskutiert.<br />
Als Atheist wollte Theo, dass sein<br />
Kind ohne Religion aufwachsen<br />
sollte. Lea besucht zwar keinen Gottesdienst<br />
mehr, ist aber weiterhin<br />
Mitglied der katholischen Kirche.<br />
Während Leas Schwangerschaft<br />
führte erst die Frage der zukünftigen<br />
Grosseltern nach der Kindstaufe zur<br />
ernsthaften Auseinandersetzung mit<br />
diesem Thema. Theo und Lea einigten<br />
sich schliesslich darauf, ihre<br />
Tochter Luna vorerst ohne Religion<br />
aufwachsen zu lassen. Sie sollte die<br />
Freiheit erhalten, sich selber für eine<br />
Religion zu entscheiden.<br />
Gemäss Zivilgesetzbuch bestimmen<br />
die Eltern über die religiöse<br />
Die Eltern dürfen und sollen<br />
Einfluss auf den Glauben ihrer<br />
Kinder und damit verbundene<br />
Werthaltungen nehmen.<br />
Erziehung der Kinder. Dieses Recht<br />
ist Teil der elterlichen Sorge. Bei<br />
gemeinsamer elterlicher Sorge müssen<br />
sich daher die Eltern einigen. Ist<br />
ein Elternteil allein sorgeberechtigt,<br />
so steht nur ihm die Entscheidungskompetenz<br />
über die religiöse Erziehung<br />
des Kindes zu.<br />
Ab 16 Jahren haben Jugendliche<br />
selber das Sagen<br />
Zunächst bestimmen also die Eltern<br />
vollumfänglich über die Ausübung<br />
oder Nichtausübung einer Religion.<br />
Was aber ist, wenn die eigenen Kinder<br />
sich nicht oder nicht mehr an die<br />
Religionsvorschriften halten wollen?<br />
Darf Granit von sich aus entscheiden,<br />
den Ramadan nicht mehr einzuhalten?<br />
Was passiert, wenn Edita<br />
das Kopftuch nicht mehr tragen will?<br />
Und wie steht es mit Luna, die wie<br />
ihre Schulfreundinnen gerne die<br />
Erstkommunion feiern möchte?<br />
Wird vom religiösen Gehalt dieser<br />
Fragen abgesehen, sind es zuerst<br />
einmal Streitpunkte, wie sie in jeder<br />
Familie auftauchen. In allen Familien<br />
gelten gewisse Verbote und Ge <br />
bote, die besonders von Jugendlichen<br />
in Frage gestellt werden.<br />
Entsprechend ist auch hier familienintern<br />
eine Einigung in den Streitfragen<br />
zu suchen. Rechtlich gesehen<br />
haben die Eltern das Recht und die<br />
Pflicht, ihre Kinder gemäss ihren<br />
Verhältnissen zu erziehen. Darin ist<br />
auch die Weitergabe ihrer Kultur<br />
und ihrer Werte mitenthalten. Die<br />
Eltern dürfen und sollen daher Einfluss<br />
auf den Glauben ihrer Kinder<br />
und damit verbundene moralische<br />
Werthaltungen nehmen.<br />
Sieht das Zivilrecht ausdrücklich<br />
eine Gehorsamspflicht für >>><br />
Die wichtigsten Vorbilder von<br />
Kindern sind ihre Eltern. Auch<br />
wenn es um Bewegung geht.<br />
Ein bewegtes Familienleben<br />
ist daher für die Entwicklung<br />
Ihres Kindes nur von Vorteil.<br />
Keine Angst, Sie müssen sich<br />
mit Ihrem Kind jetzt nicht<br />
auf Jogging-Runden begeben.<br />
Schaffen Sie stattdessen als<br />
Familie gemeinsame Bewegungserlebnisse,<br />
die mehr<br />
sind als einfach nur gesund:<br />
Ergänzen Sie einen Waldspaziergang<br />
doch mit spannenden<br />
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profitiert nicht nur der Körper,<br />
sondern auch der Geist.<br />
Langweilig wird es so<br />
garantiert niemandem.<br />
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Lukas Zahner<br />
Departement für Sport,<br />
Bewegung und Gesundheit<br />
der Universität Basel<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Juni/Juli <strong>2017</strong>45
Erziehung & Schule<br />
Eine Norm im Zivilrecht<br />
bestimmt, dass Eltern<br />
die Meinung des Kindes<br />
berücksichtigen müssen.<br />
>>> Kinder vor, so bestimmt die<br />
gleiche Norm, dass die Eltern die<br />
Meinung des Kindes zu berücksichtigen<br />
haben. Da es sich im Bereich<br />
des Glaubens und der Religion um<br />
höchstpersönliche Rechte handelt,<br />
haben die Eltern die gefestigten Entscheidungen<br />
ihrer urteilsfähigen<br />
Kinder zu respektieren.<br />
Hat Edita also nachvollziehbare<br />
Gründe, weshalb sie das Kopftuch<br />
nicht mehr tragen will, und kann sie<br />
die Konsequenzen des Nichttragens<br />
absehen, so sollten die Eltern diesen<br />
Entscheid respektieren. Allerdings<br />
spielen hier nicht nur religiöse, sondern<br />
noch viele weitere Motivationen<br />
hinein. Ein Entscheid gegen den<br />
ausdrücklichen Wunsch der Eltern<br />
kann sich daher in der Realität als<br />
sehr schwierig erweisen.<br />
Wie steht es mit Lunas Wunsch<br />
nach Taufe und Erstkommunion?<br />
Mit der Taufe würde Luna Verpflichtungen<br />
begründen, die die Eltern<br />
mittragen müssten. Daher werden<br />
an Lunas Urteilsfähigkeit höhere<br />
Voraussetzungen gestellt. Wird ihre<br />
Urteilsfähigkeit verneint, ist die<br />
Zustimmung der Eltern notwendig.<br />
Mit Blick auf die zutiefst persönliche<br />
Frage nach Bestehen eines Glaubens<br />
oder dem Bedürfnis, eine Religion<br />
auszuüben, sollten Eltern ihr Entscheidungsrecht<br />
gegenüber dem<br />
geäusserten Willen des Kindes zu <br />
rückhaltend ausüben. Es sollte<br />
zumindest ein im Alltag lebbarer<br />
Kompromiss gefunden werden. Eine<br />
Religionsausübung beziehungsweise<br />
Nichtausübung ohne einen gewissen<br />
Grundkonsens in der Familie dürfte<br />
zu grossen Reibungen und damit zu<br />
ernsthaften Schwierigkeiten führen.<br />
Wenn die Schule ins Spiel kommt …<br />
Das Leben religiöser Riten und Traditionen<br />
in der Familie ist grundsätzlich<br />
vor Eingriffen des Staates<br />
geschützt, soweit die gesunde Entwicklung<br />
des Kindes dadurch nicht<br />
gefährdet wird. Eine andere Ausgangslage<br />
herrscht, wenn etwa Granit<br />
während des Ramadans den<br />
Sportunterricht nicht besucht oder<br />
der Lehrerin zur Begrüssung den<br />
Handschlag verweigert; wenn Edita<br />
nicht ins Schulschwimmen gehen<br />
oder das Kopftuch in der Schule tragen<br />
will.<br />
Die Schule steht dabei in einem<br />
Spannungsfeld: Einerseits ist sie verpflichtet,<br />
die in der Bundesverfassung<br />
garantierte Glaubens- und<br />
Gewissensfreiheit zu respektieren<br />
(siehe Box rechts unten), anderseits<br />
hat sie einen Bildungsauftrag. Bildungsziele<br />
enthalten nicht nur den<br />
Erwerb von Fachkenntnissen in<br />
Deutsch und Mathematik, sondern<br />
sie umfassen auch das Vermitteln<br />
von demokratischen Grundsätzen<br />
und gesellschaftlichen Werten. In<br />
manchen Volksschulgesetzen basieren<br />
diese Werte auf christlichen<br />
Grundsätzen. In den meisten Kantonen<br />
herrscht eine staatliche Neutralität<br />
vor, der eine offene Haltung<br />
für verschiedene Weltanschauungen<br />
und Glaubensbekenntnisse zugrunde<br />
liegt. Nur wenige Kantone wie<br />
etwa Genf oder Neuenburg kennen<br />
laizistisch orientierte Traditionen,<br />
die auf eine strenge Trennung von<br />
Kirche und Staat achten.<br />
Stossen nun Schulregeln oder Bildungsinhalte<br />
mit religiös motivierten<br />
Verhaltensweisen von Schülern<br />
zusammen, versucht die Schule,<br />
zusammen mit den Eltern und den<br />
betroffenen Kindern einen Konsens<br />
zu finden. Unumstritten ist etwa die<br />
Praxis, bei wichtigen religiösen Festen<br />
Dispensen für einzelne Tage zu<br />
erteilen. Ebenfalls soll während des<br />
Ramadans im Sportunterricht auf<br />
fastende Jugendliche Rücksicht<br />
genommen werden.<br />
Dennoch hatte das Schweizer<br />
Bundesgericht gewisse Fragen zu<br />
entscheiden: Im Jahr 2008 hat es<br />
zum Beispiel erwogen, dass die Integration<br />
einer Schülerin in den<br />
Unterricht einer Dispensation vom<br />
Schwimm unterricht vorgeht. Weiter<br />
entschied es im Dezember 2015,<br />
dass ein Kopftuchverbot für eine<br />
Schülerin ein weitreichender Eingriff<br />
in ihre Religionsfreiheit wäre<br />
und kein öffentliches Interesse dies<br />
Das gilt in der Schweiz<br />
Die Glaubens- und<br />
Gewissensfreiheit umfasst<br />
sowohl die (innere) Freiheit,<br />
zu glauben, nicht zu glauben<br />
oder seine religiösen<br />
Anschauungen zu ändern,<br />
als auch die (äussere)<br />
Freiheit, entsprechende<br />
Überzeugungen innerhalb<br />
gewisser Schranken zu<br />
äussern, zu praktizieren<br />
und zu verbreiten oder sie<br />
nicht zu teilen.<br />
46 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Ein Bildungsziel der Schule ist<br />
auch das Vermitteln von<br />
demokratischen Grundsätzen<br />
und gesellschaftlichen Werten.<br />
rechtfertigen könne. Die Verweigerung<br />
des Handschlags von Jugendlichen<br />
gegenüber einer weiblichen<br />
Lehrperson wurde letztes Jahr be <br />
kannt und prompt Gegenstand eines<br />
rechtlichen Gutachtens. Darin wurde<br />
festgehalten, dass ein Handschlag<br />
durchaus eingefordert werden dürfe.<br />
Die Begrüssung der Lehrperson ist<br />
wichtig und unverzichtbar. Eine auf<br />
Konsens ausgerichtete Haltung<br />
könnte aber eine Begrüssungsalternative<br />
in Erwägung ziehen, etwa<br />
eine Verbeugung oder eine Handgeste<br />
ohne Körperkontakt.<br />
Die Diskussion, inwiefern unterschiedliche<br />
Weltanschauungen und<br />
Glaubensbekenntnisse respektiert<br />
werden und wie viel Anpassung eingefordert<br />
werden soll, ist auf jeden<br />
Fall noch nicht abgeschlossen.<br />
>>><br />
Mit Kopftuch in die Schule?<br />
In Deutschland und in der Schweiz ist<br />
Schülerinnen das Kopftuchtragen erlaubt.<br />
Viele Kantone haben Richtlinien und<br />
Hinweise zum Umgang mit religiösen<br />
Wertvorstellungen in der Schule erlassen.<br />
Frankreich bekennt sich zu einer strikten<br />
Trennung von Staat und Religion, was zu<br />
einem gänzlichen Verbot des Kopftuchs<br />
in der Schule führte.<br />
Gisela Kilde<br />
Dr. iur., ist Koordinatorin und Lehrbeauftragte am<br />
Institut für Familienforschung und -beratung an<br />
der Universität Freiburg.<br />
So individuell wie Sie,<br />
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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Juni/Juli <strong>2017</strong>47
Erziehung & Schule<br />
Frühfranzösisch – mais oui!<br />
Sollen Frühenglisch und Frühfranzösisch auf der Primarstufe unterrichtet werden? Und falls ja, in<br />
welcher Reihenfolge, ab welchem Schuljahr und mit wie vielen Wochenlektionen? Sollen die Leistungen<br />
in den Fremdsprachen beim Übertrittsentscheid für die Sekundarstufe I eine wichtige Rolle spielen?<br />
Und wie sind eigentlich die Eltern von diesem nationalen Sprachenstreit betroffen? Ein Plädoyer gegen<br />
den Kantönligeist und für die Willensnation Schweiz. Text: Beat Zemp<br />
«Es ist gescheiter,<br />
die Koordination im<br />
Fremdsprachenbereich<br />
zu Ende zu führen.»<br />
Beat W. Zemp ist Zentralpräsident<br />
des Dachverbands Lehrerinnen<br />
und Lehrer Schweiz (LCH).<br />
Für das schulische<br />
Fremdsprachenlernen gilt<br />
nicht «weniger ist mehr»,<br />
sondern «mehr ist mehr».<br />
Es kommt selten vor, dass<br />
am gleichen Tag zum<br />
gleichen Thema gleich<br />
zwei gewichtige Vorentscheide<br />
fallen: Mit 68 zu<br />
53 Stimmen hat der Thurgauer<br />
Gros se Rat am 3. Mai <strong>2017</strong> beschlossen,<br />
auf eine Gesetzesänderung einzutreten,<br />
welche die Abschaffung<br />
des Frühfranzösisch-Unterrichts an<br />
den Primarschulen verlangt. Damit<br />
würde nur noch Frühenglisch unterrichtet,<br />
die zweite Landessprache<br />
Französisch müsste sich ihren Platz<br />
im bereits stark belasteten Stundenplan<br />
der Sekundarstufe I erkämpfen.<br />
Sehr zum Ärger der Sekundarlehrpersonen<br />
im Kanton Thurgau, die<br />
eine solche Lösung des Sprachenstreits<br />
mehrheitlich ablehnen.<br />
Eine kantonale Volksinitiative im<br />
Kanton Graubünden will ebenfalls<br />
nur noch eine Fremdsprache auf der<br />
Primarstufe, und zwar Englisch für<br />
den deutschsprachigen Kantonsteil<br />
und Deutsch für den rätoromanischen<br />
und italienischen Teil. Diese<br />
Forderung sei diskriminierend für<br />
die Sprachminderheiten und damit<br />
rechtsungültig, entschied der Grosse<br />
Rat. Doch das Bundesgericht korrigierte<br />
diesen Entscheid am 3. Mai<br />
<strong>2017</strong>. Die Fremdspracheninitiative<br />
sei rechtsgültig, weil die Bündner<br />
Primarschulen zusätzliche Fremdsprachen<br />
fakultativ anbieten könnten<br />
und daher keine Diskriminierung<br />
vorliege. Deshalb soll das Volk<br />
darüber abstimmen können. Weitere<br />
ähnliche Abstimmungen sind<br />
auch in den Kantonen Zürich,<br />
Luzern und Baselland vorgesehen.<br />
Rote Linie überschritten!<br />
Sollten die Thurgauer, Zürcher und<br />
Bündner und weitere Kantone tatsächlich<br />
den Unterricht in der zweiten<br />
Landessprache aus der Primarschule<br />
kippen, wäre die rote Linie<br />
überschritten, die Bundesrat Alain<br />
Berset im Namen der Landesregierung<br />
definiert hat – der Sprachenstreit<br />
wäre definitiv auf der nationalen<br />
Ebene angekommen. Der Bund<br />
wäre dann gemäss unserer Verfassung<br />
befugt, verbindliche Regelungen<br />
für alle Kantone zu erlassen, weil<br />
sich diese nicht auf ein einheitliches<br />
Modell einigen konnten.<br />
Das vom Bundesrat favorisierte<br />
Modell sieht vor, dass der Unterricht<br />
in der zweiten Landessprache auf<br />
der Primarstufe einsetzt und durch-<br />
48 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
gehend bis zum Ende der obligatorischen<br />
Schulzeit erteilt wird. Zu<br />
den Details des Englischunterrichts<br />
äussert sich das bundesrätliche<br />
Modell nicht. Dafür wären weiterhin<br />
die Kantone zuständig. Viele be <br />
fürchten aber ein Referendum gegen<br />
diese vorgesehene Verschärfung des<br />
Sprachengesetzes, was letztlich in<br />
eine eidgenössische Volksabstimmung<br />
münden würde.<br />
Ob die Landessprachen aus einer<br />
solchen Abstimmung gestärkt hervorgehen<br />
würden, ist fraglich. Zu <br />
dem besteht die Gefahr, dass die<br />
sprachliche Mehrheit die sprachlichen<br />
Minderheiten überstimmen<br />
würde – mit nachhaltig negativen<br />
Folgen für den nationalen Zusammenhalt,<br />
wie man in anderen mehrsprachigen<br />
Ländern sehen kann, in<br />
denen ein Sprachenstreit tobt.<br />
Es könnte aber auch sein, dass die<br />
Willensnation Schweiz Stärke be <br />
weist und den Landessprachen im<br />
Schulunterricht einen prioritären<br />
Platz einräumt. Denn Englisch<br />
kommt heute auf allen Kanälen zu<br />
den Schülerinnen und Schülern: via<br />
Handy, Musik, Games, soziale<br />
Me dien und Videokanäle im Internet.<br />
Bessere Unterrichtsbedingungen<br />
Die Gretchenfrage lautet daher: Wer<br />
hat die besseren Argumente und<br />
kann diese durch Fakten belegen? In<br />
den Parlamentsdebatten und Abstimmungsargumentarien<br />
tobt ein<br />
richtiger Kampf der Studien. Sind<br />
die Schülerinnen und Schüler nun<br />
über- oder unterfordert? Lernt man<br />
Fremdsprachen besser, wenn man<br />
früher damit beginnt, oder doch<br />
effizienter auf der Oberstufe? Welche<br />
Gruppengrösse ist ideal, um auch die<br />
mündlichen Sprech- und Hörkompetenzen<br />
zu schulen, die heute gleich<br />
wichtig sind wie etwa die korrekte<br />
Schreibweise und das Passé simple?<br />
Auf all diese Fragen hat die evidenzgestützte<br />
Bildungsforschung<br />
keine eindeutigen Antworten. Aber<br />
eine Erkenntnis läuft wie ein roter<br />
Faden durch alle Studien und Evaluationen:<br />
Für das schulische<br />
Fremdsprachenlernen gilt nicht<br />
«weniger ist mehr», sondern «mehr<br />
ist mehr». Das heisst, je mehr Lektionen<br />
im Unterricht zur Verfügung<br />
stehen und je mehr Schuljahre dieser<br />
Unterricht dauert, desto besser<br />
sind die Resultate.<br />
Guter Unterricht hat eine positive<br />
Wirkung auf die Lernleistungen der<br />
Schülerinnen und Schüler in den<br />
Fremdsprachen, kurz: Teaching<br />
matters. Daher verlangt der LCH<br />
seit dem Beginn der Fremdsprachendebatte<br />
bessere Unterrichtsbedingungen,<br />
damit möglichst viele<br />
Lernende davon profitieren können.<br />
Dazu gehören mindestens drei<br />
Wochenlektionen, mehr Halbklassenunterricht<br />
und spezielle Förderungen<br />
für sprachschwache Schülerinnen<br />
und Schüler. Mit direkten<br />
Begegnungen und Austauschprojekten<br />
zwischen den Sprachregionen<br />
kann die Motivation zum Erlernen<br />
einer zweiten Landessprache zudem<br />
deutlich verbessert werden.<br />
Wer bezahlt die private<br />
Nachschulung?<br />
Wer früher mit schulpflichtigen Kindern<br />
von einem Kanton in einen<br />
anderen umziehen musste, weiss,<br />
was es bedeutet, Bekanntschaft mit<br />
einem anderen Schulsystem zu<br />
machen und dann auch noch mit<br />
unterschiedlichen Fremdsprachenkonzepten<br />
konfrontiert zu werden.<br />
Was tun, wenn zwei, drei oder gar<br />
vier Jahre Unterricht in einer Fremdoder<br />
Landessprache fehlen? Wer<br />
bezahlt die private Nachschulung?<br />
Und wie schafft mein Kind den be <br />
vorstehenden Stufenübertritt trotzdem<br />
noch? Nicht von ungefähr<br />
haben im Mai 20<strong>06</strong> 85 Prozent aller<br />
Stimmenden für den schulischen<br />
Harmonisierungsartikel in der Bundesverfassung<br />
gestimmt. Man hatte<br />
damals den Kantönligeist definitiv<br />
satt.<br />
Die Pflicht der Kantone, die schulischen<br />
Strukturen und die Ziele der<br />
Es ist die Pflicht der<br />
Kantone, die schulischen<br />
Strukturen und die<br />
Ziele der Bildungstufen<br />
zu harmonisieren.<br />
Bildungsstufen zu harmonisieren,<br />
ist seit dieser Abstimmung ein verbindlicher<br />
Auftrag an alle Kantone.<br />
Diese sind auch nicht untätig geblieben:<br />
23 von 26 Kantonen haben das<br />
Fremdsprachenmodell 3/5 der EDK<br />
weitgehend umgesetzt. Nur die Kantone<br />
Aargau, Appenzell-Innerrhoden<br />
und Uri haben noch abweichende<br />
Modelle.<br />
Statt den Rückwärtsgang einzulegen<br />
und die erreichte Harmonisierung<br />
wieder zu zerstören, ist es<br />
daher viel gescheiter, die Koordination<br />
im Fremdsprachenbereich zu<br />
Ende zu führen, aber auch die<br />
Unterrichtsbedingungen endlich zu<br />
verbessern und den Fremdsprachenunterricht<br />
von der Selektion für<br />
die Oberstufe zu entkoppeln. Dann<br />
können möglichst viele Kinder mit<br />
Freude ausrufen: Frühenglisch –<br />
«yes, I can», und Frühfranzösisch<br />
– «mais oui!».<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Juni/Juli <strong>2017</strong>49
Erziehung & Schule<br />
Schulstart: mit Unterstützung<br />
die ersten Hürden meistern<br />
Emma hat sich so auf die Schule gefreut! Dort angekommen, läuft es mit dem Lernen nicht<br />
ganz rund. Sie ist oft ungeduldig und lustlos. Bei manchen Kindern zeigen sich beim Schulstart<br />
Lernschwierigkeiten. Die Schulische Heilpädagogin ist dazu da, über die ersten Hürden<br />
hinwegzuhelfen. Text: Claudia Ziehbrunner Bild: Thomas Burla<br />
Emma ist ein aufgewecktes<br />
Kind. Im Kindergarten<br />
stellte sie unermüdlich<br />
fragend ihre Welt auf den<br />
Kopf. In ra schem Wechsel<br />
tauschte sie eine Aktivität gegen<br />
die nächste. Sie war ständig in Bewegung.<br />
Auf die Schule hat sich Emma<br />
gefreut. Wenn die ältere Schwester an<br />
den Hausaufgaben sass, wollte Emma<br />
mitmachen, aber ihr Zappeln und<br />
Schwatzen störte, und die Schwester<br />
schickte sie weg.<br />
In der ersten Klasse klappt es mit<br />
dem Rechnen nicht gut. Obwohl<br />
Emma die Zahlen bis zehn im Kindergarten<br />
gelernt hat, führt nun das<br />
Abzählen der Rechnungen an den<br />
Fingern zu vielen Fehlern. Rasch verliert<br />
Emma das Interesse. Das Arbeiten<br />
im Klassenzimmer macht sie<br />
lustlos und ungeduldig. Es geht<br />
Emma nicht gut. Die Eltern sind ratlos.<br />
Emma und die Schule scheinen<br />
nicht zusammenzupassen.<br />
Wie Emma ergeht es auch anderen<br />
Kindern in der Schuleingangsphase.<br />
Die moderne Schule soll<br />
darauf ausgerichtet sein,<br />
allen Lernbedürfnissen<br />
gerecht zu werden.<br />
50 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Die Fachperson für Schulische<br />
Heilpädagogik ist Expertin<br />
für Lernschwierigkeiten.<br />
Lernschwierigkeiten können dabei<br />
nicht nur beim Rechnen auftreten,<br />
auch beim Lesen- und Schreibenlernen<br />
läuft es nicht immer rund.<br />
Erschwerend können mangelnde<br />
Deutschkenntnisse sein oder Konzentrationsschwierigkeiten.<br />
Wurden<br />
Kinder mit besonderen Lernbedürfnissen<br />
früher in separaten Klassen<br />
unterrichtet, soll die moderne Schule<br />
darauf ausgerichtet sein, allen<br />
Lernbedürfnissen gerecht zu werden.<br />
Die Schule lernt, sich an die<br />
Kinder anzupassen.<br />
Heute verfügen Schweizer Schulen<br />
über Konzepte zu sogenannter<br />
integrativer Förderung. Diese unterstützt<br />
Kinder bei Lernschwierigkeiten<br />
und hilft ihnen über die schulischen<br />
Hürden hinweg. Dazu arbeitet<br />
die Klassenlehrperson mit einer<br />
agogik SHP zusammen, die während<br />
einiger Lektionen in der Woche<br />
im Unterricht anwesend ist. Die<br />
SHP ist Expertin für Lernschwierigkeiten.<br />
Über die Beobachtung von<br />
Lernergebnissen und in der Arbeit<br />
mit dem einzelnen Kind kann sie<br />
feststellen, wo das Kind in seiner<br />
Lernentwicklung steht, welches die<br />
nächsten möglichen Lernschritte<br />
sind und wie diese Lernschritte im<br />
schulischen Alltag unterstützt werden<br />
können.<br />
Frau Zellweger ist Schulische Heilpädagogin<br />
an Emmas Klasse. Sie weiss,<br />
dass es für den Mathematikerwerb<br />
überaus wichtig ist, dass Emma das<br />
Abzählen an den Fingern durch geeignetere<br />
Strategien ersetzt. Mit der Klassenlehrperson<br />
plant sie den Unterricht<br />
das Verdoppeln und Halbieren im<br />
Zahlenraum 1 bis 20 intensiv zu üben,<br />
ohne die Finger zu Hilfe zu nehmen.<br />
Erst danach werden die Aufgabenstellungen<br />
schrittweise erweitert. Dieser<br />
Unterricht kommt auch den anderen<br />
Kindern zugute. In den Stunden, in<br />
denen Frau Zellweger mit im Unterricht<br />
ist, beobachtet sie Emma beim<br />
Lernen, stellt ihr angepasstes Übungsmaterial<br />
bereit, lobt Fortschritte und<br />
unterstützt bei auftretenden Schwierigkeiten.<br />
Emma freut sich, wenn Frau<br />
Fachperson für Schulische Heilpäd- so, dass Emma Gelegenheit hat, zuerst Zellweger da ist. Manchmal >>><br />
Die einzigartige und wirksame<br />
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Erziehung & Schule<br />
Integrative Förderung<br />
Die Schulbildung von Kindern<br />
und Jugendlichen mit<br />
besonderen Lernbedürfnissen<br />
liegt in der Zuständigkeit der<br />
Kantone. Seit 2004 wurden von<br />
allen Kantonen Konzepte dazu<br />
erarbeitet. Eltern können diese<br />
Konzepte über die kantonalen<br />
Schulämter einsehen. Darauf<br />
aufbauend verfügt jede<br />
Einzelschule über ein<br />
spezifisches Konzept zur<br />
integrativen Förderung.<br />
Schulleitungs- und<br />
Lehrpersonen können Eltern<br />
darüber Auskunft geben.<br />
Schulische Heilpädagogik<br />
(SHP)<br />
Detaillierte Informationen zum<br />
Berufsbild der Schulischen<br />
Heilpädagogin und des<br />
Schulischen Heilpädagogen sind<br />
unter www.hfh.ch/de/studium/<br />
ma-schulische-heilpädagogik<br />
zu finden.<br />
Zur integrativen Förderung<br />
gehören regelmässige<br />
Standortgespräche.<br />
>>> darf sie mit ihr und zwei, drei<br />
weiteren Kindern in den Gruppenraum.<br />
Dort steht ein Trampolin. Das<br />
Springen macht Spass, und das Rechnen<br />
fällt Emma dabei viel leichter.<br />
Integrative Förderung kann an den<br />
Schulen verschieden aussehen. Möglich<br />
ist, dass die Klassenlehrperson<br />
und die SHP gemeinsam unterrichten,<br />
die SHP im Klassenverband<br />
Kinder mit besonderen Lernbedürfnissen<br />
zusätzlich unterstützt oder<br />
mit diesen einzeln oder in kleinen<br />
Gruppen vorübergehend in einem<br />
separaten Raum arbeitet. Für die<br />
Lektionen ohne die SHP berät sie die<br />
Klassenlehrperson, wie die besonderen<br />
Lernbedürfnisse berücksichtigt<br />
werden können. Der Unterricht wird<br />
laufend überprüft und an die Lernbedürfnisse<br />
der Kinder angepasst.<br />
Einige Kinder nehmen die allfälligen<br />
Hürden beim Schuleintritt<br />
rasch, etwa den Übergang vom zählenden<br />
zum nicht zählenden Rechnen.<br />
Für sie ist nur kurze Zeit eine<br />
zusätzliche Unterstützung nötig.<br />
Andere brauchen längere und auch<br />
vielseitigere Unterstützung. Der Einbezug<br />
der Eltern ist wichtig, denn<br />
gerade sie kennen die Besonderheiten<br />
der Entwicklung ihres Kindes<br />
seit dessen Geburt und können auf<br />
grund ihrer Erfahrungen das schulische<br />
Lernen mitunterstützen.<br />
Zur integrativen Förderung ge <br />
hören deshalb regelmässige Standortgespräche,<br />
in denen Eltern und<br />
Lehrpersonen gemeinsam über die<br />
Lernentwicklung des Kindes sprechen,<br />
Lernziele vereinbaren und<br />
Möglichkeiten festhalten, wie diese<br />
erreicht werden können. Dabei geht<br />
es ausser um die Förderung von<br />
Rechnen oder Lesen und Schreiben<br />
auch darum, wie das Kind allgemein<br />
lernt, ob es zum Beispiel zuhört und<br />
aufmerksam ist, Regeln einhält und<br />
seine Meinung sagen kann oder ob<br />
es mit anderen zusammenarbeitet<br />
und Freunde findet. Dies alles kann<br />
einen Einfluss auf die Lernentwicklung<br />
des Kindes haben.<br />
Herr Suter, Emmas Klassenlehrer, hat<br />
zu einem Standortgespräch eingeladen.<br />
Die Ziele, die vor einem halben<br />
Jahr festgelegt worden sind, sollen<br />
überprüft und weitere Schritte geplant<br />
werden. Frau Zellweger berichtet über<br />
Emmas Fortschritte im Rechnen. Das<br />
Verdoppeln und Halbieren ist ge festigt<br />
und darauf aufbauend gelingen ihr<br />
Plus- und Minus-Rechnungen im<br />
Zahlenraum bis 20 zunehmend automatisiert.<br />
Dieses Ziel ist gut erreicht.<br />
Am runden Tisch wird vereinbart,<br />
dass Frau Zellweger Emma auch im<br />
Übergang in die zweite Klasse im<br />
Mathematikerwerb unterstützt.<br />
Das zweite Förderziel, Zuhören<br />
und Aufmerksamsein, ist weniger gut<br />
erreicht. Vor allem, wenn Herr Suter<br />
alleine mit der Klasse arbeitet, ist<br />
Emma häufig abgelenkt und trotz<br />
vieler Bewegungspausen, mit denen<br />
Herr Suter seinen Unterricht kindgerecht<br />
strukturiert, immer irgendwie<br />
auf dem Sprung. Dies erweist sich als<br />
nachteilig für ihre Konzentration und<br />
damit für ihr Lernen. Zudem kann<br />
sich ihre Ablenkbarkeit störend auf<br />
den Unterricht insgesamt auswirken.<br />
Damit die Lernziele erreicht werden<br />
können, erhalten Kinder mit besonderen<br />
Lernbedürfnissen angepasste<br />
52 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Eltern können ihre Kinder<br />
darin unterstützen, Schule als<br />
Lernort zu verstehen.<br />
Lernangebote. Das ist das Grundverständnis<br />
der integrativen Förderung.<br />
Gleichzeitig sind die Kinder Teil<br />
einer Klasse und einer Schule. Lernen<br />
findet nicht alleine, sondern in<br />
Gemeinschaft statt. Damit sie funktioniert,<br />
bedarf es bestimmter<br />
Regeln, die von allen eingehalten<br />
werden. Dazu gehören Pünktlichkeit,<br />
Aufmerksamkeit, ein konstruktiver<br />
Umgang mit Konflikten oder<br />
einfach, dass in der Mathematikstunde<br />
gerechnet wird. Mit dem<br />
Eintritt in die Schule erfolgt auch der<br />
Eintritt in die Lerngemeinschaft der<br />
Klasse. Schritt für Schritt lernt das<br />
Kind, sich der Schule anzupassen.<br />
Diese Anpassung fällt nicht allen<br />
Kindern leicht. Eltern können ihre<br />
Kinder darin unterstützen, Schule<br />
als Lernort zu verstehen, für den<br />
bestimmte Regeln gelten.<br />
Die Eltern, Herr Suter und Frau Zellweger<br />
sind sich einig: Emma muss sich<br />
an die Regeln des schulischen Lernens<br />
anpassen. Sie vereinbaren, dass<br />
Emma in der Freizeit Gelegenheit<br />
erhalten soll, sich viel zu bewegen, wie<br />
es ihrem Naturell entspricht. Dies soll<br />
ein Ausgleich dazu sein, dass in der<br />
Schule mehr und mehr Aufmerksamkeit<br />
von Emma gefordert wird. In<br />
Emmas Wohngemeinde gibt es einen<br />
aktiven Fussballklub. Die Eltern wollen<br />
sich dort erkundigen, ob eine baldige<br />
Anmeldung möglich ist. Emma<br />
freut sich!<br />
>>><br />
Claudia<br />
Ziehbrunner<br />
Professorin, ist Co-Leiterin des Departements<br />
für Heilpädagogische Lehrberufe an der<br />
Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik<br />
(HfH).<br />
Papi, der grosse Held<br />
für den kleinen Alltag<br />
Allein mit Papi unterwegs läuft alles irgendwie anders. Bei kleinen<br />
Dingen des Alltags improvisiert er gerne mal – und dabei kommt<br />
manchmal ganz Lustiges heraus. Wir haben uns umgehört:<br />
Publireportage<br />
Für Sara, 10, aus Pratteln BL, ist Papi<br />
der «Überlebenskünstler»:<br />
«Mein Papi ist ein echter Abenteurer.<br />
Wenn er sich etwas vorgenommen hat,<br />
hält ihn nichts davon ab. Zum Beispiel<br />
Brätle im Wald. Feuerstelle parat, schönes<br />
«Schiiteli» gebaut. Doch leider hats<br />
geregnet, das Holz ist nass. Ende Feuer.<br />
Der Cervelat wird roh gegessen.»<br />
Für David, 13, aus Rothrist AG ist<br />
Dad der «praktische Stylist»:<br />
«Mein Dad hat seinen eigenen Style:<br />
praktisch und schnell. Warum zum<br />
Coiffeur, wenn die Stirnfransen lästig in<br />
die Augen fallen? Dad löst das Problem<br />
kurz und bündig mit seinem Rasierapparat.<br />
Er hat das Gerät voll im Griff, und am<br />
Schluss sieht die Frise mega-cool aus.»<br />
Für Max, 9, aus Schaffhausen SH Für Lara, 9, aus Frauenfeld TG<br />
ist Vati der «Alles-Flicker»:<br />
ist Paps das «Wäsche-Gespenst»:<br />
«Vati ist ein Tüftler. Hosenknopf ab? «Paps ist manchmal richtig kindisch.<br />
Vati schliesst die Hose mit einer Auch wenn er mal bei der Hausarbeit<br />
Sicherheitsnadel. Der Lieblingsfilzstift helfen muss, macht er immer wieder<br />
Wie lustig wird es erst, wenn Papi seine<br />
schreibt nicht mehr? Er gibt ein paar einen Spass draus. Zum Beispiel beim<br />
Überlebenskünste auf Abenteuerreise<br />
Wassertropfen hinein – und man Wäsche-Aufhängen: Da wirft er plötzlich<br />
beweist? Gewinne auf conci-world.ch eine<br />
kann wieder damit malen!»<br />
die frisch gewaschene Bettwäsche<br />
Woche Camperferien mit deiner Familie<br />
über den Kopf und erschrickt als Gespenst<br />
und kurve durch die ganze Schweiz.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi <strong>2017</strong>53<br />
die Nachbarin. Das ist so<br />
Juni/Juli lustig!»<br />
WETTBEWERB<br />
Jetzt online mitmachen!
Elterncoaching<br />
Belohnungen:<br />
ein zweischneidiges Schwert<br />
«Was halten Sie von Belohnungen?» Diese Frage wird<br />
mir von Eltern und Lehrpersonen immer wieder gestellt.<br />
Fabian Grolimund<br />
ist Psychologe und Autor («Mit<br />
Kindern lernen»). In der Rubrik<br />
«Elterncoaching» beantwortet<br />
er Fragen aus dem Familienalltag.<br />
Der 37-Jährige ist verheiratet<br />
und Vater eines Sohnes, 4,<br />
und einer Tochter, 1. Er lebt<br />
mit seiner Familie in Freiburg.<br />
www.mit-kindern-lernen.ch<br />
www.biber-blog.com<br />
Während Belohnungsprogramme<br />
ein fester<br />
Bestandteil vieler<br />
Erziehungskurse<br />
sind, finden sich auch Stimmen,<br />
die jede Form von Belohnung<br />
verteufeln und diese sogar als moderne<br />
Form der Bestrafung sehen. Ich<br />
selbst würde zu einem sorgsamen<br />
Umgang raten.<br />
Belohnungen können hilfreich sein<br />
Belohnungen können für Kinder wie<br />
auch für Erwachsene eine Unterstützung<br />
sein. Sie können als eine Art<br />
Krücke dienen, die uns das Gehen<br />
erleichtert, bis die Beine genügend<br />
Kraft haben, um uns zu tragen. Das<br />
gilt besonders dann, wenn bestimmte<br />
Handlungen zu Beginn schwerfallen<br />
oder unangenehm sind, mit<br />
zunehmender Übung aber Freude<br />
bereiten.<br />
Ich denke dabei zum Beispiel an<br />
ein Mädchen mit einer Leseschwäche.<br />
Es las sehr langsam und stockend<br />
und empfand einen zunehmenden<br />
Widerwillen gegen das<br />
Belohnen Sie Ihr Kind möglichst<br />
nicht zusätzlich für Dinge,<br />
die es sowieso gerne tut.<br />
Lesen. Zudem fand das Mädchen es<br />
«total ungerecht», dass es in den<br />
Sommerferien jeden Tag 15 Minuten<br />
lesen sollte. Da es in den Ferien<br />
zuvor fast alle Buchstaben wieder<br />
vergessen hatte, war das Üben<br />
jedoch dringend nötig.<br />
Zwei kleine Belohnungen sollten<br />
dem Mädchen zu Beginn das Lesen<br />
erleichtern. Die erste Belohnung<br />
bestand darin, dass sich die Eltern<br />
bereit erklärten, abwechselnd zu<br />
lesen. Nach ein paar Zeilen las ihm<br />
die Mutter oder der Vater den Rest<br />
der Seite vor. Es durfte sich zurücklehnen<br />
und die Geschichte geniessen.<br />
Diese Belohnung ist deswegen<br />
sinnvoll, weil sie in einem engen<br />
Zusammenhang mit der Tätigkeit<br />
steht und dem Kind verdeutlicht:<br />
Lesen gibt dir Zugang zu wunderbaren<br />
Geschichten.<br />
Die zweite Belohnung sollte die<br />
«Kosten» aufwiegen, die für das<br />
Mädchen entstanden. Es fand es zu<br />
Beginn der Beratung «total ungerecht»,<br />
dass ihm die schöne Freizeit<br />
gestohlen werde, um lesen zu üben<br />
– das werde von den anderen Kindern<br />
auch nicht verlangt. Die Eltern<br />
und ich mussten ihm beipflichten<br />
und vereinbarten daher Folgendes:<br />
Du darfst während der Ferien selbst<br />
entscheiden, ob du lesen möchtest.<br />
Wenn du deine wertvolle Freizeit<br />
dafür hergibst, darfst du dafür am<br />
Abend eine halbe Stunde länger aufbleiben<br />
– so geht dir die Zeit nicht<br />
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren<br />
54 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
verloren. Gleichzeitig wurde dem<br />
Mädchen gesagt, dass dieser «Deal»<br />
natürlich nur für das freiwillige,<br />
zusätzliche Lesen gelte – und keinesfalls<br />
auf Pflichten wie die Hausaufgaben<br />
ausgedehnt werden könne.<br />
An den meisten Tagen entschied es<br />
sich für das Lesen und Aufbleiben.<br />
Im Weiteren wurde darauf ge <br />
achtet, dass die Leseübungen so<br />
gestaltet wurden, dass sie Spass<br />
machen. Mit zunehmender Lesefertigkeit<br />
war das Mädchen gewillt,<br />
grössere Abschnitte selbst zu lesen.<br />
Mit Beginn des neuen Schuljahrs<br />
wurde zudem der «Deal» umfunktioniert:<br />
Das Mädchen durfte auch<br />
während der Schulzeit 15 Minuten<br />
später das Licht löschen. Allerdings<br />
galt: Du musst bereits im Bett sein,<br />
darfst aber noch lesen.<br />
Dass sich die Haltung zum Lesen<br />
endgültig verändert hatte, bemerkten<br />
die Eltern einige Monate später,<br />
als sie ihre Tochter dabei erwischten,<br />
wie sie nach dem Lichterlöschen<br />
unter der Bettdecke mit der<br />
Taschenlampe weiterlas.<br />
In diesem Beispiel sehe ich<br />
Belohnungen als wertvolle Krücke.<br />
Das Lesen machte dem Mädchen<br />
aufgrund seiner Schwäche zunächst<br />
keine Freude. Es war anstrengend.<br />
Die Belohnungen erhöhten die<br />
Attraktivität des Lesens, bis die Fertigkeit<br />
so weit entwickelt war, dass<br />
das Lesen selbst Spass machte.<br />
Belohnungen können aber auch<br />
unerwünschte Nebenwirkungen<br />
haben.<br />
Zusätzliche Anreize können die<br />
Freude an einer Sache untergraben<br />
Mit Belohnungen sollte man zurückhaltend<br />
sein, wenn ein Kind etwas<br />
bereits von sich aus gerne tut. Eine<br />
zusätzliche Belohnung kann in diesem<br />
Fall die ursprüngliche, von<br />
innen kommende Motivation untergraben.<br />
Dieser Vorgang wird als<br />
Korrumpierungseffekt bezeichnet.<br />
Wenn ein Kind beispielsweise<br />
eine Sportart gerne ausübt, zunehmend<br />
besser wird und anfängt, Tur<br />
niere zu gewinnen, kann die Belohnung<br />
in Form von Turniersiegen<br />
wichtiger werden als die Freude an<br />
der Bewegung. Solange die Erfolge<br />
da sind, stellen sie eine zusätzliche<br />
Motivation dar. Bleiben sie plötzlich<br />
aus, kann es sein, dass das Kind<br />
nicht mehr die gleiche Begeisterung<br />
für den Sport empfindet wie zu<br />
Beginn. Das Problem tritt also auf,<br />
wenn eine zusätzliche Belohnung<br />
hinzugefügt wird, die ab einem<br />
bestimmten Zeitpunkt wieder entzogen<br />
wird.<br />
Noch negativer wirken sich Be <br />
lohnungen aus, wenn wir jemandem<br />
helfen möchten. Ein Beispiel dafür<br />
wäre das Kind, das seinen Grosseltern<br />
den Rasen mäht, weil es ihnen<br />
etwas zuliebe tun möchte. Geben<br />
ihm die Grosseltern dafür fünf Franken,<br />
kann es sein, dass das Kind von<br />
diesem Moment an den Rasen nicht<br />
mehr mähen wird.<br />
Mit dem Geld haben die Grosseltern<br />
das Kind für seine Arbeit «be <br />
zahlt» und so seine ursprüngliche<br />
Motivation, ihnen etwas zuliebe zu<br />
tun, durchkreuzt. Die Freude der<br />
Grosseltern und das Gefühl, eine<br />
gute Tat vollbracht zu haben, wären<br />
dem Kind den Aufwand wert gewesen<br />
– für fünf Franken ist ihm die<br />
Arbeit aber zu mühsam.<br />
Belohnungen können falsche<br />
Anreize setzen<br />
Belohnungen können auch falsche<br />
Anreize setzen. Gut geführte KMU<br />
können oft auf die Loyalität ihrer<br />
Mitarbeiter zählen. Sie motivieren<br />
durch ein Gefühl der Zugehörigkeit<br />
und gemeinsame Ziele und Werte.<br />
Grosse Konzerne, die auf Profitmaximierung<br />
aus sind, versuchen ihre<br />
Mitarbeiter über Boni zu halten und<br />
anzuspornen. Das hat oft zur Folge,<br />
dass jeder nur noch an sich denkt<br />
– und für einen grösseren Bonus<br />
auch gerne zur direkten Konkurrenz<br />
wechselt.<br />
Auf ähnliche Weise können Be <br />
lohnungssysteme in Familien und<br />
Schulen das Gefühl der Gemein<br />
Belohnen Sie Kinder nicht<br />
dafür, dass sie Ihnen etwas<br />
zuliebe tun – freuen Sie sich<br />
einfach und bedanken Sie sich!<br />
schaft untergraben. Viele Familien<br />
stellen nach einer motivierenden<br />
Anfangsphase mit Belohnungsplänen<br />
fest, dass die Kinder nur noch<br />
an ihre Punkte denken, immer grössere<br />
Belohnungen einfordern und<br />
– wenn sie um einen Gefallen ge <br />
fragt werden – fragen: «Was kriege<br />
ich dafür?»<br />
Kinder benötigen Eltern und<br />
Lehrpersonen, die mit ihnen in<br />
Beziehung treten und sie führen –<br />
wenn wir diese Aufgabe an ein Be <br />
lohnungssystem delegieren, schwächen<br />
wir unsere Rolle und die<br />
Beziehung zum Kind.<br />
Kurztipps zum Einsatz von<br />
Belohnungen<br />
• Gehen Sie sorgsam und sparsam<br />
mit Belohnungen um.<br />
• Achten Sie darauf, dass die Belohnung<br />
möglichst in einem Zusammenhang<br />
mit der Tätigkeit steht<br />
(wie beim Vorlesen).<br />
• Machen Sie Ihrem Kind bewusst,<br />
dass die Belohnung nur über eine<br />
bestimmte Zeit hinweg für eine<br />
ganz spezifische Situation eingesetzt<br />
wird.<br />
• Belohnen Sie Ihr Kind möglichst<br />
nicht zusätzlich für Dinge, die es<br />
sowieso gerne tut.<br />
• Belohnen Sie Kinder nicht dafür,<br />
dass sie Ihnen etwas zuliebe tun<br />
– freuen Sie sich einfach darüber<br />
und bedanken Sie sich.<br />
In der nächsten Ausgabe:<br />
Mein Kind vergleicht sich ständig mit anderen<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Juni/Juli <strong>2017</strong>55
«Wir wollen<br />
bei Papi<br />
wohnen!»<br />
Noch immer leben in der Schweiz nach einer Trennung die<br />
meisten Kinder bei der Mutter. Bei Familie Baumeler und<br />
Familie Schaffner ist das anders. Ein Modell mit Zukunft?<br />
Text: Sandra Casalini Bilder: Herbert Zimmermann / 13 Photo<br />
56 56 <br />
Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Erziehung & Schule<br />
André Schaffner<br />
mit Quentin<br />
und Bradie.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Juni/Juli <strong>2017</strong>57
Erziehung & Schule<br />
Es ist Sommer, in der Badi<br />
ordentlich was los. Der<br />
zehnjährige Marcel<br />
schlägt sich am Beckenrand<br />
den Zeh auf und<br />
blutet. «Oje, wo ist denn dein<br />
Mami?», fragt eine Frau besorgt.<br />
Marcel schaut sie an. Und schweigt.<br />
«Ich wusste nicht, was ich sagen<br />
soll», gesteht er verlegen. Denn ihr<br />
Mami sehen Marcel und seine siebenjährige<br />
Schwester Danielle nur<br />
jedes zweite Wochenende. Seit ihre<br />
Eltern sich trennten und ihre Mutter<br />
aus der gemeinsamen Wohnung<br />
auszog, leben die beiden bei ihrem<br />
Vater.<br />
Roger Baumeler war von Anfang<br />
an hauptsächlich für die Betreuung<br />
der Kinder zuständig. «Meine Ex-<br />
Frau hatte den besser bezahlten Job<br />
als ich und berufliche Ambitionen.<br />
Also haben wir uns nach der Geburt<br />
des ersten Kindes dafür entschieden,<br />
dass sie hundert Prozent arbeitet»,<br />
sagt der gelernte Informatiker. Er<br />
übernahm die Betreuung von Marcel<br />
und Danielle und ging freiberuflich<br />
diversen Nebenjobs nach, unter<br />
anderem im Vorstand einer Kinderkrippe.<br />
«Das stimmte so für alle.»<br />
Vor drei Jahren kam es zur Scheidung.<br />
«Man kann leider nicht sagen,<br />
dass die Trennung friedlich abgelaufen<br />
ist», sagt Roger Baumeler. Dass<br />
Nachdem Roger Baumeler<br />
das Urteil angefochten hatte,<br />
wurden die Kinder angehört.<br />
Ihre Aussagen waren deutlich.<br />
er nach wie vor die hauptsächliche<br />
Betreuungsperson seiner Kinder<br />
bleiben wollte, war für ihn klar –<br />
schliesslich war das sein «Job». Vor<br />
Gericht wurden Marcel und Danielle<br />
aber in einem ersten Verfahren<br />
der Mutter zugesprochen. Ein Urteil,<br />
das Roger Baumeler bis heute nicht<br />
versteht – und das später auch durch<br />
das Kantonsgericht Luzern gerügt<br />
wurde: «Ich hatte die Kinder immer<br />
zu Hause betreut, während ihre<br />
Mutter arbeitete. Offenbar ist das<br />
Vorurteil, dass Kinder in jedem Fall<br />
zur Mutter gehören, extrem stark,<br />
und die reale Gleichstellung von<br />
Mann und Frau ist in solchen Themenbereichen<br />
kaum angekommen.»<br />
Die Kinder selbst seien nicht gefragt<br />
worden. Roger Baumeler: «Ich fühlte<br />
mich total hilflos.»<br />
Väter haben grossen Respekt vor<br />
dieser Aufgabe<br />
Gut 2<strong>07</strong> 000 sogenannte Ein-Eltern-Familien<br />
gibt es laut Bundesamt<br />
für Statistik in der Schweiz. In 83<br />
Prozent dieser Familien leben die<br />
Kinder hauptsächlich bei der Mutter,<br />
in 17 Prozent wohnen sie beim Vater.<br />
Vergleichbare Zahlen aus früheren<br />
Jahren gibt es laut dem Bundesamt<br />
für Statistik nicht. In einer Publikation<br />
von 2009 («Kinder und Scheidung<br />
– Der Einfluss der Rechtspraxis<br />
auf familiale Übergänge»)<br />
schreiben die Rechtswissenschaftlerin<br />
Andrea Büchler und die Psychologin<br />
Heidi Simoni jedoch von<br />
8 Prozent der Kinder, die nach der<br />
Trennung beim Vater bleiben. Im<br />
Gegensatz zu 86 Prozent, die hauptsächlich<br />
von der Mutter betreut werden.<br />
6 Prozent wohnten alternierend<br />
bei beiden Elternteilen. Das lässt<br />
zwar erahnen, dass die Zahl der<br />
Väter, welche die Hauptverantwortung<br />
für ihre Kinder übernehmen,<br />
stetig steigt. Trotzdem sind sie auch<br />
heute noch eher die Ausnahme.<br />
Dass Mütter nach einer Trennung<br />
nach wie vor mehr Verantwortung<br />
übernehmen als Väter, liege sicherlich<br />
auch daran, dass die Männer<br />
grossen Respekt vor dieser Aufgabe<br />
hätten und sich überfordert fühlten,<br />
meint Christoph Adrian Schneider,<br />
Vorstandsmitglied von männer.ch<br />
(siehe Interview Seite 60). Aber<br />
nicht nur. «Wenn beide Elternteile<br />
die genau gleichen Voraussetzungen<br />
mitbringen, die Obhut über die Kinder<br />
auszuüben, muss man halt einen<br />
Entscheid fällen», sagt Charlotte<br />
Christener, Anwältin und Präsidentin<br />
der KESB Bern. «Ist die alternierende<br />
Obhut kein Thema, kann ich<br />
mir durchaus vorstellen, dass man<br />
im Zweifel die Kinder eher der Mutter<br />
zuspricht. Vielleicht spielt dabei<br />
eine Rolle, dass – rein rechtlich gesehen<br />
– immer sicher ist, wer die Mutter<br />
des Kindes ist, während beim<br />
Vater in den meisten Fällen kein<br />
Beweis vorliegt, dass er der biologische<br />
Vater ist», sagt die Juristin, und:<br />
«Wir bei der KESB Bern sind aber<br />
sehr bemüht, in jedem Fall genderneutral<br />
danach zu fragen, welche<br />
Lösung dem Wohl des Kindes am<br />
besten entspricht.»<br />
Den Alltag meistert das Trio<br />
problemlos<br />
Nachdem Roger Baumeler das Urteil<br />
des Richters angefochten hatte, wurden<br />
die Kinder angehört. Die Aussagen<br />
von Marcel und Danielle<br />
waren deutlich: «Wir wollen bei Papi<br />
wohnen!» Papi habe ja viel mehr Zeit<br />
für sie als Mami, erklärt Marcel. «Er<br />
macht Sachen mit uns, kocht und<br />
hilft bei den Hausaufgaben.» Klar<br />
vermisse er sein Mami manchmal.<br />
«Aber eigentlich ist es gar nicht so<br />
viel anders als vorher.» Jedes zweite<br />
Wochenende verbringen die Kinder<br />
bei ihrer Mutter. Die Übergabe findet<br />
nach wie vor mit einer Begleitung<br />
durch eine Fachstelle statt, koordiniert<br />
durch eine Besuchsrechtsbeistandschaft.<br />
Obwohl sich die Eltern<br />
das Sorgerecht teilen, funktioniert<br />
die Kommunikation zwischen ihnen<br />
nicht. «Aber das ist unser Problem,<br />
nicht das der Kinder, und ich gebe<br />
mir grosse Mühe, das zu trennen»,<br />
sagt Roger Baumeler. Den Alltag<br />
58 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Ein gutes Team:<br />
Roger Baumeler<br />
mit seinen<br />
Kindern Marcel<br />
und Danielle.<br />
meistert das Trio problemlos. Auch<br />
wenn er sich hin und wieder blöde<br />
Sprüche anhören müsse, weil er von<br />
der Mutter seiner Kinder Alimente<br />
beziehe, so Baumeler, der mittlerweile<br />
zu 50 Prozent als Berfusschullehrer<br />
arbeitet. Ob seiner Tochter<br />
manchmal eine weibliche Bezugsperson<br />
fehle? «Nun ja, eine Zeit lang<br />
fragte sie wahllos Frauen, ob sie<br />
ihren Papi heiraten wollten. Aber seit<br />
ich eine neue Partnerin habe, hat sie<br />
damit aufgehört», meint Roger Baumeler<br />
lachend. Danielle grinst breit<br />
und zeigt eine grosse Zahnlücke. «Es<br />
gibt nichts, was ich Papi nicht erzählen<br />
würde», sagt sie. «Es ist gut so,<br />
wie es ist.»<br />
Das findet auch der achtjährige<br />
Bradie. Zumal er gerade Geburtstag<br />
hatte und diese Tatsache die Legosammlung<br />
in seinem Zimmer<br />
beachtlich erweiterte. Nur ein<br />
Geschenk fehlt noch. «Von Mami<br />
bekomme ich ein spezielles Ninjago-<br />
Set, wenn ich das nächste Mal bei ihr<br />
bin», erzählt er aufgeregt. Vor einem<br />
Jahr ging die Beziehung seiner<br />
Eltern in die Brüche, seither leben<br />
Bradie und sein Bruder Quentin, 10,<br />
bei ihrem Vater André Schaffner.<br />
Genau wie Roger Baumeler war<br />
auch Schaffner bereits zuvor mit den<br />
Kindern zu Hause. Vor gut drei Jahren<br />
hatten der gelernte Schriftenmaler<br />
und seine damalige Freundin<br />
beschlossen, die bisherigen Rollen<br />
zu tauschen. «Ich konnte mir das<br />
schon immer vorstellen, und sie<br />
Als sich das Paar trennte,<br />
war klar, dass sie auszieht.<br />
Ohne die Kinder.<br />
wollte mehr arbeiten, also versuchten<br />
wir es, und es hat bestens funktioniert.»<br />
Als sich das Paar trennte,<br />
war klar, dass sie auszieht und er mit<br />
den Kindern in der gemeinsamen<br />
Wohnung bleibt. Das Erstaunliche<br />
daran: André ist nicht Quentins<br />
leiblicher Vater. «Er trat in mein<br />
Leben, als er 18 Monate alt war. Für<br />
mich ist er mein Sohn», betont André<br />
Schaffner. Und: «Wir hätten ihn<br />
niemals von seinem Bruder ge -<br />
trennt.» Die Buben verbringen jeden<br />
Sonntag bei ihrer Mutter, Quentin<br />
ist jedes zweite Wochenende bei seinem<br />
biologischen Vater, den >>><br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Juni/Juli <strong>2017</strong>59
«Als Vater<br />
braucht man eine<br />
dicke Haut»<br />
Christoph Adrian Schneider ist<br />
Psychologe mit eigener Praxis in<br />
Bern und Vorstandsmitglied von<br />
männer.ch. Im Interview spricht er<br />
darüber, warum Männer im Falle<br />
einer Trennung gegenüber Frauen in<br />
Fragen der Obhut noch immer das<br />
Nachsehen haben, das Wohl des<br />
Kindes aber immer im Zentrum<br />
stehen sollte. Interview: Sandra Casalini<br />
>>> er «Dädi» nennt – und so<br />
nennt Bradie ihn auch! Das Sorgerecht<br />
für Quentin teilen sich dessen<br />
Eltern, André hat sein Aufenthaltsrecht.<br />
Die Sorge für Bradie teilt er<br />
sich mit seiner Ex-Partnerin. «Zwischen<br />
uns ist alles okay, wir sprechen<br />
uns ab, wenn sie die Jungs am Sonntagabend<br />
nach Hause bringt»,<br />
erzählt André. Zu Elternabenden<br />
gehen sie zu zweit. «Einmal kam<br />
auch Quentins Vater mit. Da kam<br />
«Als alleinerziehender Vater<br />
bist du ein Frauenmagnet»,<br />
witzelt André Schaffner.<br />
Herr Schneider, war es nie ein Thema,<br />
dass Ihre Söhne nach der Trennung<br />
hauptsächlich bei Ihnen leben?<br />
Als unsere Kinder geboren wurden, haben<br />
wir bereits beschlossen, dass wir nie um die<br />
Sorge streiten werden. Da wir beide sehr<br />
gerne Mutter und Vater sind, wir uns die<br />
finanzielle Mehrbelastung durch zwei<br />
Haushalte leisten können und das Zusammenleben<br />
mit unseren Kindern eine sehr<br />
hohe Priorität für uns beide hat, stand es<br />
immer ausser Frage, dass wir uns Sorge<br />
und Obhut zur Hälfte teilen.<br />
In der Schweiz lebt nach einer Trennung<br />
der Eltern immer noch der grösste Teil<br />
der Kinder mehrheitlich bei der Mutter.<br />
Woran liegt es, dass die Väter so wenig<br />
Verantwortung übernehmen? Wollen,<br />
können oder dürfen sie nicht?<br />
In erster Linie liegt es wohl daran, dass die<br />
meisten Paare vor der Trennung ein eher<br />
klassisches Modell wählten, in dem der Vater<br />
mehr arbeitet als die Mutter, und sie<br />
dieses danach so beibehalten – nicht zuletzt<br />
um die finanzielle Sicherheit zu gewährleisten.<br />
Es ist aber sicherlich auch so,<br />
dass viele Männer Respekt haben vor dieser<br />
Aufgabe und sich überfordert fühlen.<br />
Sie konzentrieren sich gern auf die Rolle<br />
des Ernährers. Man muss aber auch sagen,<br />
dass es einem als Mann nicht gerade<br />
schmackhaft gemacht wird, mehr Verantich<br />
mir dann schon ein bisschen<br />
komisch vor – auch wenn man uns<br />
ja mittlerweile kennt im Dorf»,<br />
gesteht André lachend und wuschelt<br />
seinem Ältesten durchs Haar.<br />
«Ich vermisse den Alltag mit<br />
meinen Söhnen»<br />
Quentin lächelt, beisst auf der goldenen<br />
Kette herum, die um seinen<br />
Hals baumelt. An ihr hängt ein<br />
Sternzeichen-Anhänger, eine >>><br />
60 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Erziehung & Schule<br />
wortung für die Kinder übernehmen zu wollen.<br />
Man wird bei einer Trennung im besten<br />
Fall schräg angeschaut, wenn man sagt,<br />
man wolle im Job reduzieren, und im<br />
schlechtesten nicht ernst genommen –<br />
auch von den Behörden nicht.<br />
Seit 2014 gilt bei einer Trennung die<br />
gemeinsame elterliche Sorge als Regel.<br />
Hat sich seither etwas getan für die<br />
Väter?<br />
Im Alltag nicht, nur in den Köpfen der Leute<br />
– aber das ist schon mal ein Anfang.<br />
Aus welchen Gründen bleiben Kinder<br />
beim Vater?<br />
Aus denselben, aus denen sie bei der Mutter<br />
bleiben. Entscheidend ist meines Erachtens,<br />
welcher Elternteil die besten Voraussetzungen<br />
für die Sorge und Obhut der<br />
Kinder hat. Kinder brauchen Stabilität, Fürsorge<br />
und ein sicheres Umfeld. Hat ein<br />
Elternteil zum Beispiel eine chronische<br />
Krankheit, finanzielle Schwierigkeiten oder<br />
ist durch den Job stark absorbiert, kann das<br />
schwierig sein in Bezug auf die Kinderbetreuung.<br />
Männer müssen offenbar mehr um<br />
die Obhut für ihre Kinder kämpfen als<br />
Frauen.<br />
Sofern sich sowohl Mutter als auch Vater<br />
damit einverstanden erklären, dass die Obhut<br />
beim Vater liegt, ist das kein Problem.<br />
Im Streitfall sieht das oft anders aus.<br />
Wird da auf die Wünsche der Kinder<br />
eingegangen?<br />
Kinder werden so früh wie möglich selbst<br />
befragt. Aber schlussendlich entscheidet<br />
das Gericht, welche Form der Obhut und<br />
Sorge angewendet wird – wobei sicherlich<br />
auch das Alter der Kinder eine Rolle spielt.<br />
Ältere Kinder können besser ausdrücken,<br />
was sie möchten.<br />
Kinder geraten in einen inneren Konflikt,<br />
wenn sie sich dazu äussern sollen,<br />
bei wem sie leben möchten. Wie soll<br />
man sich als Elternteil in einer solchen<br />
Situation verhalten?<br />
Das kann zu einer grossen Herausforderung<br />
und mitunter auch zu einer Überforderung<br />
aller Beteiligten führen. Es sollte<br />
unbedingt vermieden werden, dass das<br />
Kind unter Druck entscheiden muss. Die<br />
Eltern sollten möglichst oft gemeinsam mit<br />
dem Kind über die anstehende Veränderung<br />
sprechen und wenn nötig mit einer<br />
Fachstelle zusammenarbeiten.<br />
Wie reagieren Mütter auf die Äusserung<br />
der Kinder, beim Vater bleiben zu<br />
wollen?<br />
Wohl ebenso wie ein Vater, dessen Kinder<br />
bei der Mutter bleiben möchten. Väter werden<br />
nicht schwanger, gebären und stillen<br />
nicht. Doch das war es dann auch schon<br />
mit dem Unterschied zwischen Vater- und<br />
Muttersein. Ich denke, jeder Elternteil ist in<br />
dieser Situation gefordert, egal, ob selbst<br />
oder durch Fremdbestimmung entschieden<br />
wird, bei wem das Kind lebt. Eine Trennung<br />
und Scheidung ist eine Sache. Sein<br />
Kind nicht mehr – beziehungsweise nicht<br />
mehr regelmässig – zu sehen, ist noch mal<br />
viel schwerwiegender. Es gilt, den Entscheid<br />
des Kindes zu akzeptieren und den<br />
Kontakt, so gut es geht, aufrechtzuerhalten.<br />
Es gibt Väter, die ihre Kinder gern mehr<br />
bei sich hätten, aber aus irgendwelchen<br />
Gründen klappt das nicht. Oft ist in<br />
solchen Fällen auch die Kommunikation<br />
zwischen den Eltern gestört. Was raten<br />
Sie solchen Männern?<br />
Als Vater muss man sich erklären, wenn<br />
man nach einer Trennung die Verantwortung<br />
als Betreuungsperson wahrnehmen<br />
will: Warum will man mehr Verantwortung<br />
für die Kinder, will man wirklich weniger arbeiten?<br />
Eine Mutter muss das nicht. Es ist<br />
schwierig, aus diesem Rechtfertigungsmodus<br />
herauszukommen. Man sollte sich<br />
auf jeden Fall Unterstützung holen und Beratungsangebote<br />
nutzen.<br />
Väter, die hauptsächlich ihre Kinder<br />
betreuen, müssen sich vieles gefallen<br />
lassen, von schrägen Blicken bis zu<br />
offenen Anfeindungen. Wie geht man<br />
damit um?<br />
Da kann ich aus dem Nähkästchen plaudern:<br />
Mir wollte mal eine Frau meinen Sohn<br />
aus dem Arm nehmen, weil sie es komisch<br />
fand, dass ich vormittags allein mit dem<br />
Buben in der Badi war. Sie fragte mich<br />
mehrmals, wann denn die Mutter des Jungen<br />
käme, und fand es offenbar irritierend,<br />
als ich sagte, dass die Mutter bei der Arbeit<br />
sei. Ein Vater, der die Hauptverantwortung<br />
für seine Kinder trägt, braucht eine dicke<br />
Haut, aber auch den Austausch mit Gleichgesinnten.<br />
Das hilft.<br />
Wie lange, glauben Sie, dauert es noch,<br />
bis Väter und Mütter in der Schweiz<br />
wirklich gleichberechtigt sind in Beruf<br />
und Familie?<br />
Bis die Kinder, die jetzt in Familien aufwachsen,<br />
in denen sich die Eltern die Verantwortung<br />
teilen – egal, ob getrennt oder nicht –,<br />
in den Gremien ankommen, in denen entsprechende<br />
Entscheide gefällt werden.<br />
Gleichberechtigung ist das Thema einer<br />
Generation, und es wird eine Generation<br />
dauern, bis sich etwas ändert, auf ideologischer<br />
und auf politischer Ebene. Dann<br />
kann es auch sein, dass in Zukunft mehr<br />
Kinder als jetzt beim Vater leben. Ich möchte<br />
aber betonen, dass es das Ziel sein sollte,<br />
dass Kinder nach einer Trennung eine<br />
gleichwertige Beziehung zu beiden Elternteilen<br />
haben können.<br />
Zur Person<br />
Christoph Adrian Schneider ist Psychologe<br />
mit eigener Praxis in Bern und Vorstandsmitglied<br />
von männer.ch. Die Dachorganisation der Väterund<br />
Männer-Stellen der Schweiz unterstützt<br />
Männer in allen Belangen und setzt sich auch auf<br />
politischer Ebene für die Gleichstellung beider<br />
Geschlechter ein. Schneider ist geschieden<br />
und teilt sich die elterliche Sorge für die beiden<br />
Söhne, 7 und 8 Jahre alt, sowie deren Obhut mit<br />
der Mutter der Buben.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Juni/Juli <strong>2017</strong>61
Erziehung & Schule<br />
62 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Erziehung & Schule<br />
Zeit für sich selbst hat André<br />
Schaffner nur sonntags, wenn<br />
die Jungs bei ihrer Mutter sind.<br />
>>> Waage. Quentins Sternzeichen<br />
ist nicht Waage. «Aber das von<br />
Mami», sagt er leise. Ob er manchmal<br />
lieber bei ihr wohnen würde? Er<br />
zuckt die Schultern. «Manchmal.<br />
Aber manchmal auch nicht.» Es ist<br />
nicht immer alles Gold, was glänzt.<br />
Das weiss auch Fabienne Zollinger,<br />
die Mutter von Quentin und<br />
Bradie. «Natürlich gibt es Vorteile<br />
für mich. Weniger Diskussionen mit<br />
den Kindern, weniger Verantwortung»,<br />
sagt sie. «Aber den Preis, den<br />
ich dafür zahle, machen diese nicht<br />
wett. Ich vermisse den Alltag mit<br />
meinen Söhnen, die kleinen<br />
Momente, wenn sie beispielsweise<br />
morgens verschlafen zu mir kommen<br />
oder wenn ich sie abends ins<br />
Bett bringe.» Trotzdem ist sie überzeugt,<br />
dass die Entscheidung, die<br />
Buben bei ihrem Vater wohnen zu<br />
lassen, richtig war: «André ist ein<br />
toller Vater und hat sein ganzes<br />
Leben nach den Buben ausgerichtet.<br />
Ich könnte ihnen gar nicht so ge <br />
recht werden wie er.» Schräg angeschaut<br />
oder gar angefeindet werde<br />
sie nicht, sagt Fabienne Zollinger:<br />
«Die Leute sind eher neugierig, weil<br />
unsere Konstellation halt nicht der<br />
Norm entspricht.» Auch André<br />
Schaffner hat im Alltag keine<br />
schlechten Erfahrungen gemacht.<br />
«Im Gegenteil, als alleinerziehender<br />
Vater bist du ein Frauenmagnet»,<br />
witzelt er. Dabei habe er kaum Zeit,<br />
jemanden kennenzulernen – Zeit<br />
für sich selbst hat er nur sonntags,<br />
wenn die Jungs bei ihrer Mutter<br />
sind. «Mein Sozialleben hält sich in<br />
Grenzen. Aber das ist okay, ich vermisse<br />
nichts», sagt André Schaffner.<br />
Sein grösstes Ziel? «Dass meine<br />
Söhne später einmal sagen: «Wir<br />
hatten eine tolle Kindheit!»<br />
>>><br />
Bitte lesen Sie weiter auf Seite 64.<br />
Sandra Casalini<br />
blieb nach der Trennung ihrer Eltern<br />
ebenfalls beim Vater, was sie nie bereut hat.<br />
Auch wenn ihre Ernährung als Teenager zu<br />
wünschen übrig liess, da niemand im<br />
Vater-Tochter-Haushalt kochen konnte.<br />
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Erziehung & Schule<br />
«Ich wurde als Mutter<br />
disqualifiziert»<br />
Unsere Autorin Sandra Casalini war 15, als sich ihre<br />
Eltern trennten. Sie blieb nach der Trennung auf eigenen<br />
Wunsch beim Vater, der in der Folge auch das Sorgerecht<br />
für sie erhielt. In einem Mutter-Tochter- Gespräch erzählt<br />
ihre Mutter, wie das damals für sie war.<br />
Mama, ehrlich gesagt, kann ich mich<br />
kaum an die Zeit eurer Trennung<br />
erinnern. Gab es eigentlich einmal<br />
dieses «eine» Gespräch, in dem<br />
ihr meinem Bruder und mir gesagt<br />
habt, dass ihr euch trennt?<br />
Es gab so ein Gespräch, ja. Das war allerdings<br />
gar nicht mal als Trennungsgespräch<br />
gedacht, auch wenn uns allen<br />
die täglichen Streitereien zusetzten. Wir<br />
hatten uns nach fast zwanzig Jahren<br />
einfach unterschiedlich entwickelt.<br />
Alles, was ich zu dem Zeitpunkt wusste,<br />
war, dass ich mehr Raum brauchte. Wir<br />
haben diskutiert und debattiert. Und<br />
irgendwann bist du aufgestanden und<br />
hast gesagt: «Bitte, Mami, geh endlich!»<br />
Du warst 15.<br />
War von Anfang an klar, dass ich bei<br />
Papi bleibe?<br />
Du hattest das bereits so beschlossen.<br />
Auf meine Frage, was denn mit euch sei,<br />
wenn ich ausziehe, sagtest du: «Mein<br />
Bruder geht mit dir, ich bleibe bei Papi.»<br />
Dein Bruder brauchte Therapien und<br />
spezielle Unterstützung, das hätte dein<br />
Vater nicht gekonnt, das wusstest du.<br />
Aber du und er, das funktionierte. Es<br />
war aber wichtig, dass das von dir kam.<br />
Weisst du, warum ich bei ihm<br />
bleiben wollte?<br />
Du hast es mir später unter vier Augen<br />
gesagt: «Dich habe ich immer, egal, was<br />
passiert. Ihn werde ich verlieren, wenn<br />
ich nicht bei ihm bleibe.»<br />
Wie hast du reagiert?<br />
Ich bin fast verzweifelt daran, dass du<br />
dir selbst so viel Verantwortung aufgeladen<br />
hast.<br />
Du hast trotz meines eindeutigen<br />
Wunsches, beim Vater zu bleiben,<br />
das Sorgerecht für mich bean -<br />
tragt.<br />
Das heisst nicht, dass ich deinen<br />
Wunsch nicht respektiert habe. Ich war<br />
mir nur nicht sicher, ob du mit deinen<br />
noch nicht einmal 16 Jahren die ganzen<br />
Konsequenzen deines Entscheides abschätzen<br />
konntest.<br />
Wie hast du dich gefühlt, als mein<br />
Sorgerecht Papi zugesprochen<br />
wurde?<br />
Beschissen. Man kann sich nicht vorstellen,<br />
wie sehr ich angegriffen wurde,<br />
von Freunden, Verwandten, Arbeitskollegen,<br />
weil ich scheinbar nicht genügend<br />
um dich gekämpft hatte. Niemand<br />
akzeptierte, dass du das so wolltest. Ich<br />
wurde als Mutter disqualifiziert.<br />
Gab es das Besuchsrecht betreffend<br />
eine Regelung?<br />
Die gab es zwar, aber du hast das von<br />
Anfang an so gehalten, wie es dir gepasst<br />
hat. Manchmal bist du täglich bei<br />
mir reingeschneit, dann hast du dich<br />
eine Woche nicht blicken lassen. Dein<br />
Bruder war jedes zweite Wochenende<br />
beim Vater.<br />
Hast du mitbekommen, wie wir<br />
zurechtkamen?<br />
Du hast zwar nur selektiv erzählt, aber<br />
ich war auch dank der Besuche deines<br />
Bruders im Bilde, was wie läuft. Ich<br />
glaube, dein Vater hat das gut gemacht,<br />
auch wenn er zur grösseren «Gluggere»<br />
mutierte, als ich das je war. Aber er<br />
musste von 0 auf 100 Prozent die Verantwortung<br />
für dich übernehmen, das<br />
ist nicht so einfach. Speziell war, dass<br />
du mir jeweils erzählt hast, was du so<br />
entschieden hast in deinem Leben –<br />
und ich hatte rein rechtlich absolut<br />
nichts dazu zu sagen. Unsere Beziehung<br />
bekam dadurch eine andere<br />
Dimension. Ich konnte dich unterstützen,<br />
ohne die Verantwortung zu tragen.<br />
Würdest du rückblickend etwas<br />
anders machen?<br />
Nein. In dieser Situation war es das Beste<br />
für deinen Bruder und dich, auch<br />
wenn es für mich unglaublich hart war.<br />
Das ist jetzt 25 Jahre her, und ich<br />
fürchte, dass sich seither in den Köpfen<br />
der Leute nicht viel verändert hat. Man<br />
denkt immer noch, dass mit der Mutter<br />
etwas nicht stimmt, wenn ein Kind nach<br />
der Trennung beim Vater lebt, ohne die<br />
genauen Lebensumstände zu kennen.<br />
Diese Stigmatisierung der Mutterrolle<br />
ist bedenklich, da viele Väter diese Verantwortung<br />
übernehmen wollen und<br />
können. Wir wurden mit dieser Lösung<br />
als Familie im wahrsten Sinn des Wortes<br />
erwachsen.<br />
Bild: ZVG<br />
64 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Erziehung & Schule<br />
© UBS <strong>2017</strong>. Alle Rechte vorbehalten.<br />
Es geht um viel<br />
mehr als den Sieg.<br />
Grosse Emotionen am UBS Kids Cup erleben.<br />
ubs.com/kidscup<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Juni/Juli <strong>2017</strong>65
Mai <strong>2017</strong><br />
Kurt Alberma n<br />
ist ärztlicher<br />
Leiter des<br />
Instituts<br />
Kinders ele<br />
Schweiz iks.<br />
Kinder, deren Mu ter oder Vater psychisch erkrankt, werden oft in eine Erwachsenenro le<br />
gedrängt. Der Kinderpsychiater Kurt Albermann erklärt, warum sie häufig übersehen<br />
werden, worunter sie am meisten leiden und wie es Betro fenen gelingt, zu einem<br />
Sozialpädiatrisches Zentrum<br />
Winterthur, erster Stock. Kurt<br />
Albermanns Händedruck zur<br />
Begrüssung ist fest, sein Lächeln<br />
charmant. Mit einer einladenden<br />
Geste weist er den Weg in ein<br />
Sitzungszimmer und o feriert Ka f e.<br />
Während des Gesprächs haut er<br />
mehrmals so fest auf den Tisch, da s<br />
das Getränk aus der Tasse zu<br />
schwappen droht. «Ich bin<br />
manchmal ein bi schen lebhaft»,<br />
sagt er dann und lächelt.<br />
He r Alberma n, Sie ne nen Kinder,<br />
die mit einem psychisch erkrankten<br />
fa len. Sie sprechen nicht darüber,<br />
wie es ihnen geht und da s die Eltern<br />
manchmal komisch war. Sie ging<br />
ein Problem haben. So übersieht es morgen zu Mi ta geben so lte,<br />
und kaufte dafür ein. Ihre Eltern<br />
phasenweise vor Müdigkeit kaum<br />
man ihre Bedürfni se in der Situa<br />
Ist es nicht eher so, dass gerade diese<br />
Kinder oft au fä lig sind in ihrem Verhalten?<br />
übersehen.<br />
Kö nen Sie einen Fall ne nen, der<br />
spielsweise Kinder mit einer depre siven<br />
Mu ter oder einem Vater leiden? der<br />
Und was erwartete den T enager nach<br />
Schule?<br />
Ich erinnere mich an eine Vierzehnjährige<br />
mit zwei jüngeren Geschwistern,<br />
die sich an unsere Beratungsste<br />
le gewandt hat. Seit sie denken<br />
konnte, kümmerte sie sich um die<br />
lagen Table tenpackungen. Die stän<br />
Mu ter und um ihre Ge schwister.<br />
dige Unsicherheit und Sorge um die<br />
Mu ter veränderte die Hierarchie zu<br />
mu ste schon früh ihre eigenen Be<br />
selbs traurig. Und wütend.<br />
Sie ha te kaum Ko leginnen, schäm<br />
Weil diese Kinder häufig nicht aufgegrenzt,<br />
weil sie nie Zeit ha te und<br />
Sie überlegte bereits am Vortag, was<br />
auch nicht zum Sport. Von den Protion,<br />
in der sie leben.<br />
waren geschieden. Die Mu ter kam etwas, ihr wäre es peinlich gewesen,<br />
«Ich gehe in der<br />
Schweiz von bis zu<br />
300 000 betroffenen<br />
Wie sah ihr Tag konkret aus?<br />
machte Zmorge und Znüni. Sie<br />
schafft es kaum zum Unte richt,<br />
weil sie die Schwester noch in den<br />
Kindergarten und den Bruder zu den<br />
Nachbarn bringen mu ste.<br />
Im besten Fa l eine «funktionierende»<br />
Mu ter. Es kam aber auch vor,<br />
da s die Tochter die Sanität rufen<br />
mu ste, weil sich die Mu ter nicht<br />
wecken lie s. Auf dem Nach tisch<br />
Hause. Die Vierzehnjährige übernahm<br />
die Ro le der Erwachsenen. Sie<br />
dürfni se hintanste len. Oft war sie<br />
Mit welchen Folgen?<br />
te sich, jemanden mit nach Hause zu<br />
bringen. In der Kla se wurde sie aus<br />
blemen ihrer Mu ter wu ste niemand<br />
Man schätzt, da s in der Schweiz<br />
20 000 bis 50 000 Kinder mit einem<br />
psychisch erkrankten Elterntei leben.<br />
Woher kommt diese Zahl?<br />
Sie stammt aus einer Umfrage, die<br />
wir in Winterthur bereits vor<br />
Leserbriefe<br />
«Das Niveau ist<br />
beeindruckend»<br />
Monatsinterview<br />
« Viele Kinder schämen sich<br />
für die Krankheit ihrer Eltern –<br />
und fühlen sich schuldig»<br />
harmonischen Familienleben zurückzufinden. Interview: Sandra Casalini Bilder: Filipa Peixeiro / 13 Photo<br />
Elternteil aufwachsen, in einer Studie<br />
«verge sene Kinder». Warum?<br />
Kindern aus.»<br />
Manchmal schon. Aber der Zusammenhang,<br />
da s ein Elternteil eine<br />
psychische Erkrankung hat, wird<br />
aus dem Be t. Deshalb weckte das<br />
Mädchen morgens die jüngeren<br />
Geschwister, half beim Ankleiden,<br />
darüber zu sprechen. Die Leistungen<br />
in der Schule waren gut, obwohl sie<br />
sich oft unendlich müde fühlte.<br />
zeigt, unter welchen Belastungen bei- >>><br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi April <strong>2017</strong> 45<br />
«Schade, dass die<br />
öffentliche<br />
Berufs beratung nicht<br />
erwähnt wurde»<br />
(Sonderheft «Berufswahl»,<br />
Mai <strong>2017</strong>)<br />
Die Roboter kommen<br />
Welche Berufe<br />
verschwinden werden<br />
Was will ich<br />
werden?<br />
Cool bleiben!<br />
Alles Wissenswerte zur<br />
Stellensuche – auf 68 Seiten!<br />
Wie Eltern ihre Kinder am<br />
besten unterstützen<br />
Welcher Job passt zu mir?<br />
Wie Jugendliche den<br />
richtigen Beru finden<br />
Berufswahl<br />
Kürzlich hat uns Ihr Heft «Berufswahl» erreicht. Ich habe als<br />
Verantwortliche für dieses Themenfeld im Kanton Bern die<br />
Beiträge von Herrn Michel und die Illustration durch Herrn<br />
Adhihetty natürlich genau angeschaut. Ich war erfreut von<br />
der Qualität und den ausgewählten Themen und gratuliere<br />
Ihnen zu diesem rundum gelungenen Heft! Das Niveau ist<br />
wirklich beeindruckend und deckt sämtliche Fragebereiche,<br />
die Eltern von Jugendlichen im Berufswahlalter auch bei uns<br />
in der Beratung äussern, sehr gut ab.<br />
Einzig einen kleinen Wermutstropfen möchte ich<br />
erwähnen: Eltern wenden sich häufig auch an die öffentliche<br />
Berufsberatung und nutzen unsere Dienstleistungen in der<br />
Information und Beratung zur Klärung ihrer Anliegen. Dass<br />
Eltern Jugendliche im Prozess eng begleiten und auch an<br />
den Gesprächen mit unseren Fachleuten teilnehmen, ist<br />
ausdrücklich erwünscht und schweizweit eine etablierte<br />
Tradition. Deshalb finde ich es schade, dass die öffentliche<br />
Berufsberatung im Heft nicht explizit als professionelle<br />
Anlaufstelle genannt wird. Durch unsere enge Zusammenarbeit<br />
mit den Volksschulen und unsere spezifischen<br />
Angebote für Eltern werden diese überhaupt erst an den<br />
Prozess der Berufswahl an sich herangeführt. Sicher können<br />
einige Jugendliche auch ohne Beizug der Berufsberatung<br />
einen erfolgreichen Berufswahlentscheid treffen, doch die<br />
Mehrheit der Jugendlichen und deren Eltern nutzen<br />
zumindest unser Informationsangebot. Es wäre deshalb<br />
sicher auch von Interesse gewesen, uns als Anlaufstelle<br />
speziell auch für Eltern zu erwähnen.<br />
Shirley Barnes (per Mail)<br />
Geschäftsbereichsleiterin Berufswahl Kanton Bern<br />
«Als Mutter kann man an diesem<br />
Anspruch fast zerbrechen»<br />
(Monatsinterview, Heft 4/<strong>2017</strong>)<br />
Als Mutter mit mehreren Kindern und mit einer Traumafolgestörung<br />
hat mich das Interview mit Herrn Albermann natürlich<br />
brennend interessiert. Das Interview zeigt aber nur einen<br />
kleinen Teil der Probleme, die aus einer psychischen Beeinträchtigung<br />
resultieren. Die Kinder werden einem nicht<br />
automatisch weggenommen, aber die «Hilfe», die ich erhalten<br />
habe, gleicht zum Beispiel eher einer «Überwachung» und ist<br />
für mich eher demütigend. Ich finde, es kommt auch sehr<br />
darauf an, welche psychische Erkrankung die Mutter oder<br />
der Vater hat. Es gibt nicht nur depressive Eltern. Das ganze<br />
Spektrum der dissoziativen Störungen wird hier nicht<br />
genannt.<br />
Ein Aspekt scheint mir auch wichtig zu sein. Seit ich die<br />
Diagnose einer Traumafolgestörung erhalten habe, habe ich<br />
das Gefühl, eh nichts mehr richtig machen zu können.<br />
Sämtliche Schwierigkeiten, und seien sie auch noch so<br />
normal, werden mit meiner Befindlichkeit als Mutter in Zusammenhang<br />
gebracht. Denn es gilt die Regel: «Geht es den Eltern<br />
gut, dann geht es auch den Kindern gut.» An diesem Anspruch<br />
kann man als Mutter fast zerbrechen, denn egal, was man tut,<br />
es ist nie mehr genug. So stehe ich mit einem Schuldgefühl<br />
auf und gehe mit diesem auch wieder ins Bett.<br />
Dann hätte ich mir zum Schluss noch etwas konkretere<br />
Hilfsangebote gewünscht, zum Beispiel ein paar konkrete<br />
Adressen. Grundsätzlich finde ich es gut, dass die Diskussion<br />
über dieses heikle Thema stattfindet.<br />
Maja Gfeller-Christen, Bern (per Mail)<br />
Schreiben Sie uns!<br />
Ihre Meinung ist uns wichtig. Sie erreichen uns über:<br />
leserbriefe@fritzundfraenzi.ch oder<br />
Redaktion Fritz+Fränzi, Dufourstrasse 97, 8008 Zürich<br />
66 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Nicole Althaus<br />
alles «geil» findet.<br />
Peter Schneider<br />
von zwei Kindern, 16 und 12.<br />
und Mu ter von zwei Kindern, 10 und 7.<br />
erwachsenen Sohnes.<br />
Haben Sie auch eine Frage?<br />
Schreiben Sie eine E-Mail an:<br />
redaktion@fritzundfraenzi.ch<br />
Lehrer und<br />
Schüler sind<br />
uneins, wie viel<br />
das Bü feln nach<br />
der Schule bringt.<br />
Do sier<br />
Eine Frage – drei Meinungen<br />
Nie mehr<br />
Hausaufgaben?<br />
Der beste Freund unseres Sohnes, 13, betitelt a le möglichen Personen<br />
als «schwul». Wie sollen wir eingreifen, wenn fremde Kinder<br />
Schimpfwörter benutzen? Claudia, 37, und Marc, 38, Suhr AG<br />
Sie sorgen in vielen Familien regelmässig für Frust und Ärger:<br />
Hausaufgaben. Sind Hausaufgaben wirklich nötig? Warum schafft<br />
man sie nicht einfach ab? Und mit welchen Tricks geht das Lernen<br />
leichter? Eine Annäherung an ein hoch emotionales Thema.<br />
Text: Claudia Landolt Bilder: Désirée Good / 13 Photo<br />
Der Junge ist alt genug, um<br />
eine klare Ansage zu hören:<br />
da s «schwul» kein Schimpfwort<br />
ist, sondern eine sexuelle<br />
Ausrichtung. Da s es genau<br />
so falsch und sexistisch ist,<br />
«schwul» als Schimpfwort zu<br />
gebrauchen, wie «Nigger»<br />
ra sistisch ist und da s Sie<br />
deshalb das in ihrem Haus nicht dulden.<br />
Tonia von Gunten<br />
Greifen Sie ein, und zwar so:<br />
«Du bezeichnest andere Menschen<br />
al schwul. Darüber<br />
möchte ich mit di reden.<br />
Mich stört, da s du da sagst,<br />
und ich wei s nicht, was daran<br />
lustig sein so l. Ich wünsche<br />
mir, da s du deinen<br />
Umgang mit Leuten überdenkst<br />
und damit aufhörst, Mitmenschen aufgrund<br />
ihres Au sehens oder ihrer sexue len Präferenz zu beleidigen.<br />
Wie siehst du das?»<br />
«Gleiches mit Gleichem<br />
vergelten ist keine Lösung»<br />
Wenn der Freund Ihres Sohnes<br />
einen gewi sen Sinn für<br />
paradoxe Ironie hä te, könnten<br />
Sie ihm sagen, sie fänden<br />
den Gebrauch des Wortes<br />
«schwul» als Schimpfwort<br />
«total behindert» und wo lten<br />
das Wort daher in Ihrer<br />
Gegenwart nicht mehr hören.<br />
Andererseits mü sen sie auch nicht a lzu hysterisch<br />
reagieren, denn ein Schwulenha ser wird man kaum<br />
deshalb, weil man in seiner unbedarften Jugend un <br />
angemessenen Schimpfwörtern ausgesetzt war. Man<br />
wird auch keine Nymphomanin, weil die Freundin<br />
Nicole Althaus, 48, ist Kolumnistin, Autorin<br />
und Mitglied der Chefredaktion der «N Z am<br />
So ntag». Zuvor war sie Chefredaktorin von «wir<br />
eltern» und hat den Mamablog auf «Tagesanzeiger.<br />
ch» init iert und geleitet. Nicole Althaus ist Mu ter<br />
Tonia von Gunten, 43, ist Elterncoach, Pädagogin<br />
und Buchautorin. Sie leitet elternpower.ch, ein<br />
Programm, das frische Energie in die Familien<br />
bringen und Eltern in ihrer Beziehungskompetenz<br />
stärken möchte. Tonia von Gunten ist verheiratet<br />
Peter Schneider, 59, ist praktizierender<br />
Psychoanalytiker, Autor und SRF-Satiriker («Die<br />
andere Pre seschau»). Er lehrt als Privatdozent<br />
für klinische Psychologie an der Uni Zürich und<br />
ist Profe sor für Entwicklungspsychologie an<br />
der Uni Bremen. Peter Schneider ist Vater eines<br />
82 April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Bilder: A ne Gabriel-Jürgens / 13 Photo, Pino Stranieri, HO<br />
«Das Fundament für<br />
den späteren Berufsweg»<br />
10 April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi April <strong>2017</strong> 1<br />
(Eine Frage – drei Meinungen, Nr. 4/<strong>2017</strong>)<br />
(Dossier «Hausaufgaben», Nr. 4/<strong>2017</strong>)<br />
Herr Schneider schreibt zum Thema «Hilfe, der Freund<br />
unseres Sohns betitelt alle möglichen Personen als ‹schwul›»<br />
Folgendes: «Wenn der Freund Ihres Sohnes einen gewissen<br />
Sinn für paradoxe Ironie hätte, könnten Sie ihm sagen, Sie<br />
fänden den Gebrauch des Wortes ‹schwul› als Schimpfwort<br />
‹total behindert›.»<br />
Was ist schlimmer, ein Kind, das als Schimpfwort schwul<br />
verwendet, oder ein Psychoanalytiker und Privatdozent für<br />
klinische Psychologie, der den Rat gibt, solche Kinder als total<br />
behindert zu bezeichnen? Wenn sich jemand falsch verhält,<br />
dann ist er nicht behindert, denn behinderte Menschen sind<br />
keine Menschen, die sich falsch verhalten. Gleiches mit<br />
Gleichem vergelten ist auch im gewissen Sinn für paradoxe<br />
Ironie keine Lösung.<br />
Irene Gresch-Gisler, Trachslau (per Mail)<br />
Warum diese Debatte? Die Eltern, die ja arbeiten müssen, um<br />
zwei Autos und ein Einfamilienhaus bezahlen zu können,<br />
finden keine Zeit mehr, mit ihren Kindern Hausaufgaben zu<br />
lösen. Die Eltern sind von ihren Jobs gefordert, und am Abend<br />
wollen sie Ruhe haben. Für viele Eltern sind die Kinder nur<br />
noch Staffage und ein Zeigeprodukt.<br />
Gemeinsam die Hausaufgaben machen bringt einen Dialog<br />
und Wärme in die Beziehung – wie auch die gemeinsam<br />
erarbeitete gelungene Lösung.<br />
Hausaufgaben erledigen ist das Fundament für den<br />
späteren Berufsweg. Ein Kind braucht Disziplin, denn das<br />
Leben schenkt einem nicht viel. Als Jungmenschen müssen<br />
sie wissen: ohne Fleiss kein Preis.<br />
E. Schürmann, Gams (per Brief)<br />
Richtig Grosswerden mit bunten Schulbleistiften<br />
Aller Anfang ist schwer – aber mit STABILO macht Schreibenlernen einfach Spass!<br />
STABILO begleitet Schüler von 5 bis 12 Jahren bei allen Herausforderungen und Lern-Etappen: In bunten Farben sind die Schulbleistifte Weggefährten<br />
für die Jüngsten. Schreibenlernen, Zeichnen und Skizzieren. Der EASYgraph für Schreibanfänger, der Trio und Trio dick für Grundschüler<br />
und der pencil 160, der in jedem Schulfach überzeugt. Bunter Schreibspass für alle – unabhängig von Können und Schreibdruck!<br />
Der EASYgraph macht Lust aufs Schreibenlernen<br />
Durch die ergonomische Dreikantform und die passgenauen Griffmulden finden Vorschulkinder und<br />
Schüler ab 5 Jahren intuitiv die richtige Handhaltung. Die Finger der Schreibhand bleiben auch beim<br />
intensiven Üben von Buchstaben und Zahlen locker und entspannt.<br />
Für farbverliebte Schreibanfänger gibt es den EASYgraph in den Farben petrol, blau, pink, orange und<br />
grün, für linkshändige ABC-Schützen erstrahlt der Schaft des EASYgraphs in petrol, blau und pink.<br />
Trio und Trio dick – die Begleiter für die Grundschulzeit<br />
Der Dreikant-Schulbleistift, der zu den Fähigkeiten passt: Mit einer bruchsicheren Grafitmine ist der Trio<br />
der richtige Begleiter für Grundschüler, die schon erste Erfahrungen mit Bleistiften gesammelt haben.<br />
Feine Linien, Kästchen und Kreise sind kein Problem. Der Trio dick hat eine breitere Mine (3.15mm) für die kleinen Schreibanfänger, die noch ein<br />
wenig Übung für den richtigen Schreibdruck brauchen. Die beiden Bleistifte leuchten in den fünf schicken Schaftfarben petrol, blau, pink,<br />
orange und grün und in den Härtegraden HB (mittelweich) – perfekt für Schreibanfänger und der ideale Begleiter zum Schreibenlernen.<br />
Im pencil 160 stecken 160 Jahre an Erfahrung<br />
Bruchsichere Grafitmine? Na klar! Der neue Sechskant-Bleistift pencil 160 ist nicht nur superpraktisch und ein echter<br />
Alleskönner sondern auch schön bunt: In fünf strahlend frischen Farben – petrol, blau, pink, orange und gelb – bringt<br />
der pencil 160 gute Laune, saubere Linien und neue Kreativität in jedes Schulfach. Dank extrem hoher Qualität ist auf<br />
die Mine (2.2mm) des pencil 160 auch in stressigen Situationen Verlass. Der Bleistift ist erhältlich mit und ohne<br />
Radierer.<br />
160 Jahre Stiftexperte, 160 Jahre bunt – das muss gefeiert werden! STABILO zeigt mit dem neuen pencil 160, was<br />
einen farbenfrohen Alleskönner ausmacht. Der Schulbleistift passend zum Jubiläum – in fünf trendbewussten Farben.
Kolumne<br />
Auf der schiefen Bahn<br />
Michèle Binswanger<br />
Die studierte Philosophin ist Journalistin und<br />
Buchautorin. Sie schreibt zu Gesellschaftsthemen,<br />
ist Mutter zweier Kinder und lebt in Basel.<br />
Theoretisch rechnet man als Mutter mit einem solchen<br />
Erlebnis. Richtig darauf vorbereitet ist man<br />
trotzdem nie. Und so fiel ich aus allen Wolken, als<br />
an jenem Nachmittag mein Telefon klingelte. Am<br />
Apparat war der Vater meiner Kinder.<br />
Er sagte: Rate mal.<br />
Ich sagte: Was denn?<br />
Er: Ich musste auf den Polizeiposten. Unseren Sohn abholen<br />
gehen. Er ist beim Klauen erwischt worden.<br />
Ich bin eine mit zwei tollen Kindern gesegnete Mutter, sie<br />
haben noch nie wirklich Probleme gemacht. Deshalb war diese<br />
Situation neu, und in meinem mütterlichen Hirn kochten<br />
sofort panische Gedanken hoch: Mein Sohn, auf der schiefen<br />
Bahn! Ich wusste immer, dass er ein Filou ist. Wo soll das<br />
noch enden? Werde ich ihn dereinst im Gefängnis besuchen<br />
müssen? Haben wir als Eltern versagt?<br />
Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren<br />
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Es gab auch einen weniger panischen Gedanken: Hurra, nun<br />
habe ich einen Grund, ihn ein paar Monate den Kompost leeren<br />
zu lassen! Aber der Vater versicherte mir in einem zweiten<br />
Telefonat, der Kleine sei sehr zerknirscht und er habe mit ihm<br />
bereits eine Strafe bestimmt: ein paar Stunden Velo putzen.<br />
Schade um die Komposthilfe.<br />
Trotzdem brauchte ich jetzt psychologische Unterstützung.<br />
Ich erzählte es meinen Schwestern, Freundinnen, Kollegen. Sie<br />
schienen es alle ziemlich locker zu nehmen. Die Schwester<br />
sagte: «Was hat er denn geklaut?» Ich wusste es nicht. Vor lauter<br />
Panik hatte ich vergessen zu fragen. Die Schwester fuhr<br />
fort: «Erinnerst du dich, wie wir im Vorschulalter mal in<br />
einem Laden ein paar Glitzerketten mitlaufen liessen und<br />
Mama sie zu Hause in der Schublade gefunden hat?» Ich erinnerte<br />
mich. Wir mussten alles zurückbringen und standen<br />
dann heulend und zitternd vor dem Filialleiter, dem die Szene<br />
offensichtlich höchst unangenehm war. Wir haben nie mehr<br />
gestohlen.<br />
Eine Freundin, selbst Mutter erwachsener Söhne, erzählte<br />
mir von ihrer Erfahrung. Ihr damals 13-jähriger Sohn hatte<br />
einmal bei einem Kollegen übernachtet, als sie einen Anruf<br />
von der Polizei erhielt. Sie solle ihren Sohn abholen. Er war<br />
mit dem Kollegen nachts auf eine Baustelle sprayen gegangen,<br />
bis ein Kastenwagen mit sechs Polizisten in Kampfmontur auftauchte<br />
und die beiden mitnahm. «Es war der Schock seines<br />
Lebens», lachte die Freundin. «Jetzt ist er Anwalt. Übrigens:<br />
Was hat dein Sohn denn geklaut?» Ich musste passen.<br />
Ein Freund schliesslich sagte: «Meine Güte, ist das nicht ein<br />
bisschen krass, gleich zur Polizei? Was hat er denn geklaut?»<br />
Ich wusste es immer noch nicht, fand aber, die Erfahrung auf<br />
dem Polizeiposten könnte vielleicht heilsam gewesen sein.<br />
Abends fragte ich endlich meinen Sohn, was er denn habe<br />
klauen wollen. Er berichtete mir beschämt, der Kollege und er<br />
hätten versucht, einen Scherzartikel zu stehlen. Einen Furzspray.<br />
Um der Lehrerin einen Streich zu spielen. Ich musste<br />
lachen. Vielleicht war das mit der Polizei ja tatsächlich etwas<br />
übertrieben, selbst wenn man Furzspray als eine Art Einstiegsdroge<br />
zu späteren Sprayereien versteht. Ich weiss nicht, ob ich<br />
jetzt auch auf eine künftige Anwaltskarriere des Sohnes hoffen<br />
kann. Aber stehlen wird er wohl so schnell nicht mehr.<br />
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Erziehung & Schule<br />
Wie Fritz+Fränzi<br />
laufen lernte<br />
Die Schweiz hat kein Ministerium für Familien. Aber seit 16 Jahren einen<br />
engagierten Ratgeber für Eltern von schulpflichtigen Kindern. Die Geschichte<br />
von Fritz+Fränzi ist ein Lehrbeispiel für Mut, Leidenschaft und Engagement.<br />
Text: Ellen Ringier Bild: Maurice Haas / 13 Photo<br />
An meinem 50. Geburtstag im Jahre 2001<br />
waren meine beiden Töchter 10 und 8 Jahre<br />
alt. Nichts deutete auf die Pubertätskrisen<br />
hin, die mein Mann und ich in nicht allzu<br />
fernen Zeiten zu bewältigen haben würden ...<br />
Unsere Welt war (noch) heil!<br />
Und trotzdem schien es mir, dass Eltern zu sein sich mit<br />
jedem Jahr schwieriger gestaltete, schwieriger jedenfalls als<br />
Eltern zu werden.<br />
In den Schulen meiner Kinder nahm die Zahl der verhaltensauffälligen<br />
Kinder im gleichen Mass zu wie die Zahl<br />
der gestressten Lehrer. Die Elternabende wurden mit jedem<br />
Jahr besser besucht und mir kam es vor, als wären einige<br />
Eltern ausgesprochen fordernd – weil überfordert.<br />
Was, so fragte ich mich damals, ist zu tun? Wie so oft im<br />
Dr. Ellen Ringier präsidiert Leben half der Zufall. In Form einer um einiges jüngeren<br />
die Stiftung Elternsein.<br />
Werbefachfrau, alleinerziehende Mutter zweier Töchter im<br />
Sie ist Mutter zweier Töchter. Alter der meinen: Sabine Danuser. «Lass uns zusammen<br />
ein Elternmagazin zu Erziehungsfragen herausgeben!» Ein<br />
Ratgeber, der die wirklich drängenden Fragen der Eltern von schulpflichtigen<br />
Kindern und Jugendlichen beantworten sollte. Keine Themen rund<br />
um die Geburt, keine Antworten auf wunde Kinderpopos, keine Rezepte,<br />
Rätsel, Kindermode und dergleichen, wie sie in allen kommerziellen Magazinen<br />
zu finden waren und sind.<br />
«Die Suche nach einem Namen war<br />
schwierig. Zur Auswahl standen<br />
‹Saugoofen› und ‹Max und Moritz›.»<br />
Die Herausgeberin sollte eine Stiftung sein, eine Nullnummer wurde<br />
gebastelt. Ich konsultierte einen Verlagsprofi, der uns einen jährlichen Millionenverlust<br />
in Aussicht stellte. Doch Sabine und ich hatten nur eine Sorge:<br />
«Wie sollten wir unser Elternmagazin nennen?»<br />
Es war der damals bekannte Werber Hermann Strittmatter, der uns nach<br />
einem Brainstorming auf die Sprünge half: «Es geht um Kinder und Jugendliche,<br />
die man Saugoofe nennen würde, das sollte daher der Titel >>><br />
Bild: Maurice Haas / 13 Photo<br />
70 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
sein!» Auf dem Heimweg redeten Sabine und ich uns in Rage: Ja, wir<br />
würden unsere Kinder unter Umständen Saugoofen nennen, was aber denken<br />
Eltern, wenn ihre Kinder und Jugendlichen so bezeichnet werden? Wir<br />
mussten uns etwas anderes einfallen lassen. «Eltern-Ratgeber» kam uns zu<br />
bieder vor. Vielleicht «Max und Moritz»? Es mag ja sein, dass zu Wilhelm<br />
Buschs Zeiten (er schrieb das Buch 1865) nur Jungs zu Streichen aufgelegt<br />
waren, im 2001 waren die Mädchen in Sachen Erziehungsprobleme definitiv<br />
gleichberechtigt. Und so suchten wir nach zwei Namen, die für beide<br />
Geschlechter einen frechen Klang hatten, «Fritz+Fränzi» war geboren.<br />
«Eine freche Schlagzeile gefällig?<br />
Voilà: ‹Legal, illegal, scheissegal:<br />
Die Jugend berauscht sich.›»<br />
16 Jahre später kann ich mich nur wundern, wie wir es geschafft haben,<br />
von 2001 bis 2009 sechs Ausgaben jährlich mit nur drei fest angestellten<br />
Mitarbeitern und Sabines Ex-Mann als Fotografen zu publizieren! Als Herausgeberin<br />
kümmerte ich mich um den Vertrieb und die Anzeigen. Wir<br />
schafften es, die kantonalen Erziehungsdirektoren davon zu überzeugen,<br />
dass die Schulen unser Elternmagazin den Eltern abzugeben hätten. Später<br />
wurde der damalige und heutige Präsident des LCH, Beat Zemp, unser<br />
Vertriebspartner.<br />
Raiffeisen, Manor, Amag, Otto’s und Coop gehörten zu den ersten Anzeigenkunden,<br />
die das Magazin mitgetragen haben – manche sogar mit einem<br />
finanziellen Beitrag obendrauf! Meine telefonischen Bemühungen, Anzeigen<br />
zu schnorren, gestalteten sich eher schwierig. Häufige Antwort auf die<br />
Frage, wer ich sei: «Ja, vom Ringier, das habe ich verstanden, aber wie lautet<br />
ihr Name?» Dass die Frau des bekannten Verlegers selber Anzeigen<br />
akquirierte, taten viele anfänglich als Scherz ab.<br />
Inhaltlich konnten wir uns von Beginn weg auf Beiträge unserer Inhalts-<br />
Partner SVEO (Schweizerische Vereinigung der Elternorganisationen), Pro<br />
Juventute, MMI (Marie Meierhofer Institut für das Kind) und S&E (Schule<br />
und Elternhaus) verlassen. Deren Kompetenz in Erziehungsfragen machte<br />
Fritz+Fränzi schnell zum richtigen Erziehungsratgeber.<br />
Und bei alldem tat ich – mein Beruf ist Juristin – schamlos so, als verstünde<br />
ich etwas vom Verlagswesen. Oder gar von Erziehung!<br />
«Armutsrisiko Kinder» (Was sie kosten, fordern, verprassen) hiess der<br />
erste Titel im September 2001. «Jetzt reicht’s» (Wenn Kinder uns an unsere<br />
Grenzen bringen) der zweite.<br />
Ich kenne bis heute niemanden, der so frech titeln konnte wie Sabine<br />
Danuser! Was halten Sie von «Friss oder stirb!» (Essstörungen bei Kindern<br />
und Jugendlichen) oder «Dumm und frech» (Schulschwächen und Verhaltensauffälligkeiten)<br />
oder «Störfall Kind?» (Paare mit schulpflichtigen und<br />
älteren Kindern berichten über ihre Entwicklung). Weitere Beispiele gefällig?<br />
«Väter – Konkurrenzkampf zwischen Familie, Beruf und ich», «Grosseltern<br />
– Alte Freunde», «Rabeneltern» (Spagat zwischen Beruf und Familie),<br />
«Klasse und Rasse» (Faktoren der Chancengleichheit) oder «Legal, illegal,<br />
scheissegal: Die Jugend berauscht sich». Wir schüttelten uns oft vor Lachen,<br />
auch wegen den Titelfotos! Unvergesslich der «Geldfresser» oder «Feindbild<br />
Lehrer».<br />
Einmal sind wir ganz offensichtlich zu weit gegangen. Unser Cover<br />
«Mein letzter Wille – Wenn Jugendliche nicht mehr leben wollen» >>><br />
Fritz+Fränzi 1/2003<br />
Thema: Jugendsuizid<br />
Fritz+Fränzi 1/2005<br />
Thema: Jugendgewalt<br />
Fritz+Fränzi 3/2005<br />
Thema: Armutsrisiko<br />
Fritz+Fränzi 1/20<strong>06</strong><br />
Thema: Lehrer<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Juni/Juli <strong>2017</strong>71
Erziehung & Schule<br />
Fritz+Fränzi 2/20<strong>06</strong><br />
Thema:<br />
Rechtsradikalismus<br />
Fritz+Fränzi 6/20<strong>06</strong><br />
Thema: Pubertät<br />
Fritz+Fränzi 8/2011<br />
Thema: Sexualität<br />
>>> zeigte ein junges Mädchen mit einem von einem Strick um den Hals<br />
herrührenden Abdruck, den man kaum als Halskette interpretieren konnte.<br />
Es ging um das Thema Jugendsuizid. Die Zahl der Lehrer und Eltern,<br />
die uns Fritz+Fränzi erbost zurückschickten, hat uns beinahe erschlagen,<br />
wir zogen eine Lehre daraus!<br />
In den 16 Jahren des Bestehens von Stiftung und Magazin mussten wir<br />
öfters und mehr, als uns lieb war, um jeden Rappen kämpfen. Ein Defizitjahr<br />
jagte das andere! Die Nächte wurden allzu oft zum Tag, Ferien machten<br />
Sabine Danuser und ich nur, um an einem anderen Ort – dem Ferienort<br />
– Tag und Nacht weiterzuarbeiten.<br />
Und unsere Töchter kamen zu allem Übel in die Pubertät. Meine fröhliche,<br />
nicht «unterzukriegende» Kollegin und ich kamen nun auch zu Hause<br />
ganz schön unter die Räder …<br />
Die Auflage von Fritz+Fränzi stagnierte, die Einnahmen aus Anzeigen<br />
reichten nicht, Defizite machten mir trotz Spendern und Sponsoren das<br />
Leben schwer. Das Start-up drohte zu scheitern. Aber Aufgeben kam nicht<br />
in Frage.<br />
«Mit dem Titel ‹Suizid› schossen wir<br />
übers Ziel hinaus: Die Ausgabe<br />
erzürnte viele Eltern und Lehrer.»<br />
Endlich gestand ich mir ein, dass ich eine professionelle Verlagsleitung<br />
brauchte, weil das Projekt Fritz+Fränzi sonst im Desaster zu enden drohte.<br />
In der Person von Thomas Schlickenrieder fand ich 2008 den rettenden<br />
Verlagsleiter (und Geschäftsführer der Stiftung Elternsein). Plötzlich gab<br />
es eine Auflagensteuerung, ein «Personalwesen», das seinen Namen verdient,<br />
ein Redaktionsbudget, das nicht vom ersten Tag an als Makulatur<br />
galt. Und vieles mehr!<br />
Wenn ich ab und zu zum Verlag meines Mannes hinüberschiele, wird<br />
mir bewusst, auf wie viele Unternehmensdienstleistungen die Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter verzichten müssen. Ein Start-up wie unser Eltermagazin<br />
konnte nur gelingen kann, weil jeder sich mit Pioniergeist voll<br />
eingebracht hat: viel Arbeit und wenig Lohn!<br />
Heute ist Fritz+Fränzi erwachsen geworden (meine Töchter übrigens<br />
auch), unsere Mitarbeiter unter der redaktionellen Leitung von Nik Niethammer,<br />
einem ehemaligen Chefredaktor der «Schweizer Illustrierten»,<br />
sind Vollprofis. Ich bin zwar um eine grossartige Erfahrung reicher, doch<br />
finanziell substanziell ärmer, mindestens 16 Jahre älter und ganz offensichtlich<br />
grauhaarig geworden – und glücklich, dass unser Elternmagazin zu<br />
einem unverzichtbaren Ratgeber für so viele Eltern geworden ist!<br />
>>><br />
Fritz+Fränzi 2/<strong>2017</strong><br />
Thema: Burnout<br />
VERLOSUNG<br />
Wir freuen uns über 125 Ausgaben Fritz+Fränzi. Diese Freude möchten wir<br />
mit Ihnen teilen. Wir verlosen zehn Jahresabos von Fritz+Fränzi und fünf<br />
Erziehungsratgeber «Leitwölfe sein» von Jesper Juul unter den Einsendungen<br />
mit der richtigen Antwort auf die Frage: Wie heisst die Stiftung, die das<br />
Schweizer ElternMagazin herausgibt?<br />
Mailen Sie Ihre Antwort an: redaktion@fritzundfraenzi.ch, Betreff: 125. Bitte<br />
geben Sie Ihren Wunschgewinn an. Einsendeschluss ist der 30. Juni <strong>2017</strong>.<br />
72 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Erziehung & Schule<br />
125 Ausgaben<br />
Fritz+Fränzi<br />
Erziehung, Familie, Schule und Elternschaft – das sind die grossen Themen des Schweizer ElternMagazins<br />
Fritz+Fränzi. Aus 125 Ausgaben haben wir die wichtigsten, pointiertesten und überraschendsten<br />
Aussagen von Pädagogen, Psychologen und prominenten Persönlichkeiten zusammengetragen.<br />
«Eigentlich bräuchte der Vater<br />
Urlaub in der Zeit der<br />
Pubertät seines Sohnes. Aber<br />
dann sind die meisten Väter in<br />
einer Phase ihres Berufes, wo<br />
sie voll ausgebucht sind. Dabei<br />
wäre es gerade in der Zeit der<br />
Pubertät wichtig, dass der<br />
Vater da ist und Zeit hat.»<br />
Allan Guggenbühl,<br />
Psychoanalytiker (1/20<strong>07</strong>)<br />
«Erziehung ist<br />
ja nicht nur<br />
ein Verhalten,<br />
Erziehung ist<br />
eine Haltung.»<br />
Sigrid Tschöpe-Scheffler, Professorin<br />
für Erziehungswissenschaften<br />
(3/20<strong>06</strong>)<br />
«Medienpädagogik<br />
funktioniert nicht! Bei Kindern<br />
und Jugendlichen hilft<br />
nur eine Reduktion der Dosis.<br />
Das Gerede vom mündigen<br />
Umgang mit den Medien ist<br />
fehl am Platz. Wir müssen<br />
Kinder nicht vor die Medien<br />
setzen, um ihnen dann noch<br />
den mündigen Umgang<br />
damit beizubringen.»<br />
Manfred Spitzer,<br />
Hirnforscher (6/20<strong>06</strong>)<br />
«Intelligenz ist genetisch bedingt,<br />
und deshalb hat es überhaupt<br />
keinen Sinn, vom Kind Leistungen<br />
zu fordern, die seine Möglichkeiten<br />
übersteigen. Eltern sollten sich<br />
also auch überlegen, was dem Kind<br />
mit seinen individuellen<br />
Fähigkeiten überhaupt zugemutet<br />
werden kann.»<br />
Peter Angst, Familientherapeut<br />
und Buchautor (1/2005)<br />
«Es ist einfacher, Überzeit zu<br />
machen, als sich von der Arbeit<br />
abzumelden und die Frau zu<br />
Hause zu unterstützen. Sie<br />
hingegen kann nicht<br />
davonlaufen und sagen: Läck,<br />
seid ihr mühsam, ich komme<br />
nach dem Znacht wieder.»<br />
Franziska Bischof-Jäggi,<br />
Geschäftsführerin der Familienmanagement<br />
GmbH (4/20<strong>06</strong>)<br />
«Ich rate zu mehr<br />
Gelassenheit: Was<br />
kann schon passieren,<br />
wenn das Kind im<br />
Winter in Turnschuhen<br />
in die Schule geht? Es<br />
wird selbst merken,<br />
dass es kalte Füsse<br />
kriegt.»<br />
Annette Cina, Psychologin am<br />
Institut für Familienforschung,<br />
Universität Freiburg (6/2005)<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Juni/Juli <strong>2017</strong>73
Erziehung & Schule<br />
«Das Tyrannische an Kindern<br />
ist, dass ihre Bedürfnisse nicht<br />
mit denen der Erwachsenen<br />
naturwüchsig übereinstimmen.<br />
Die Angleichung ist ein langer<br />
Prozess. Wer das nicht aushält,<br />
sollte keine Kinder haben.»<br />
Peter Schneider, Psychoanalytiker,<br />
Satiriker und Autor (10/2012)<br />
«Eine funktionierende Paarbeziehung<br />
und finanzielle Sicherheit reichen nicht<br />
für ein harmonisches Familienleben,<br />
wenn der eigene Perfektionismus Eltern<br />
einen Strich durch die Rechnung<br />
macht.»<br />
Maria Hofecker, Fachärztin für Psychiatrie<br />
Psychotherapie und Familientherapeutin (1/2011)<br />
«Bei Jugendlichen ist kein<br />
Unrechts bewusstsein vorhanden,<br />
wenn sie einen Joint<br />
rauchen. Für sie ist der Konsum<br />
von Cannabis zu Recht<br />
vergleichbar mit dem Bier, das<br />
ihre Väter am<br />
Feierabend trinken. Beides kann<br />
je nach Situation harmlos<br />
oder problematisch sein.»<br />
François van der Linde,<br />
Präventivmediziner (6/2003)<br />
«Ich kenne keinen einzigen Mann,<br />
der keine starke emotionale<br />
Bindung zu seinen Kindern hat<br />
oder sie sich zumindest wünscht.<br />
Ein Vater verpasst definitiv etwas,<br />
wenn er seine Kinder nur<br />
schlafend sieht. Es braucht also<br />
nicht nur praktikable<br />
Einrichtungen, sondern auch<br />
Männer, die etwas wagen.»<br />
Georges T. Roos,<br />
Zukunftsforscher (2/2016)<br />
«Mein grösster Tipp für Eltern ist, ihren Kindern<br />
weitere erwachsene Personen zugänglich zu<br />
machen und ihnen so einen anderen<br />
Erfahrungsraum zu ermöglichen. Je mehr Menschen<br />
ein Kind kennenlernt, desto grösser die Chance,<br />
dass darunter jemand ist, der es so sieht, wie es ist,<br />
und um seiner selbst willen liebt.»<br />
Gerald Hüther, Neurobiologe, Buchautor (5/2015)<br />
«Es kostet Eltern enorm viel Kraft, dranzubleiben,<br />
konsequent zu sein. Und sie bieten deshalb<br />
den Eltern-Service auch weiterhin an, tragen<br />
aber einen unausgesprochenen Frust in sich.»<br />
Rochelle Allebes,<br />
Sozialarbeiterin und systemische Therapeutin (4/2015)<br />
«Ja, Pubertierende sind<br />
muffelig. Man kann es getrost<br />
vergessen. Also einen schönen<br />
Abend wünschen und<br />
das Kind in Ruhe lassen.»<br />
Caroline Märki, Erwachsenen- und Elternbildnerin FA (9/2015)<br />
74 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Erziehung & Schule<br />
«Aggression ist nur eine<br />
von vielen Arten, Liebe<br />
auszudrücken. Wenn<br />
diese ignoriert oder<br />
zurückgedrängt wird,<br />
wächst sie und wird<br />
schliesslich entweder<br />
zum Vulkanausbruch<br />
oder eisig kalt.»<br />
Jesper Juul, Familientherapeut<br />
und Bestsellerautor (5/2016)<br />
«Wir alle sind mit<br />
Hausaufgaben<br />
sozialisiert worden.<br />
Auch wird geglaubt,<br />
dass Hausaufgaben<br />
irgendwie eine<br />
erzieherische Wirkung<br />
haben. Nur der<br />
Nachweis dazu fehlt.»<br />
Armin Himmelrath, Bildungs- und<br />
Wissenschaftsjournalist, Autor (4/<strong>2017</strong>)<br />
«Ich bin gegen ein<br />
System, das auffällige<br />
Jugendliche sehr<br />
schnell abklärt,<br />
therapiert und mit<br />
Medikamenten sediert.<br />
Nirgendwo wird so viel<br />
Geld mit Kindern<br />
verdient wie in der<br />
Schweiz.»<br />
Sefika Garibovic, Expertin für Nacherziehung,<br />
Konfliktmanagement und Sexualtherapie (10/2016)<br />
«Der beste Rat für Mütter?<br />
Temporäre Vernachlässigung.<br />
Das bedeutet, dass man<br />
zeitweilig etwas vernachlässigt,<br />
zu Hause oder bei der<br />
Arbeit, und dass man lernt,<br />
diese Unvollkommenheit<br />
zu akzeptieren.»<br />
Ulrike Ehlert, Stressforscherin (9/2014)<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Juni/Juli <strong>2017</strong>75
Erziehung & Schule<br />
«Nicht was man lernt, zählt, sondern<br />
was man erlebt. Nach drei, vier Stunden<br />
Spazierengehen ohne Handy passiert<br />
etwas, das nicht vorstellbar ist: Der<br />
Druck fällt weg, und man ruht wieder in<br />
sich. Um in der heutigen Zeit gesund<br />
zu bleiben, wäre es erforderlich, alle<br />
zwei bis drei Wochen gezielt zwei bis<br />
drei Stunden etwas zu tun, um zu sich<br />
zu kommen.»<br />
Michael Winterhoff, Kinder- und Jugendpsychiater<br />
und Buchautor (9/2013)<br />
«Um stressfreier leben zu können,<br />
brauchen Familien mehr Zeit für das<br />
Familienleben und Arbeitszeiten für beide<br />
Eltern, die dies erlauben. Und sicher<br />
auch mehr erschwingliche und qualitativ<br />
hochwertige Betreuungsmöglichkeiten –<br />
ergänzend zur Familie. Es muss<br />
selbstverständlicher werden, den<br />
Arbeits- und Familienalltag zu<br />
vereinbaren und zu leben.»<br />
Heidi Simoni, Psychologin und Leiterin des<br />
Marie-Meierhofer-Instituts für das Kind (4/2013)<br />
«Die Gesellschaft fordert<br />
zwar permanent Kinder,<br />
kümmert sich aber nicht um<br />
sie. Die Erziehung von<br />
Kindern – das ist an sich eine<br />
Aufgabe für mehrere<br />
Menschen. Selbst zwei<br />
Personen sind im Prinzip zu<br />
wenig für ein Kind.»<br />
Irene Mariam Tazi-Preve, Politikwissenschaftlerin<br />
und Zivilisationstheoretikern (11/2016)<br />
«Es wäre schön, die ganze Gesellschaft wäre<br />
Kindern und Jugendlichen gegenüber<br />
toleranter. Hätten wir mehr Verständnis<br />
dafür, wie vielfältig menschliches Verhalten<br />
ist, wären die Belastungen sicher weniger<br />
gross, welche Familien von Kindern, die ein<br />
bisschen von der Norm abweichen, erleben.»<br />
Bea Latal, Professorin und Co-Leiterin<br />
Entwicklungs pädiatrie Kinderspital Zürich (8/2015)<br />
«Wenn der Jugendliche ein<br />
Gefühl von Langeweile und<br />
Leere hat, dann eher in der<br />
Schule. Das eigentliche Leben<br />
findet woanders statt.»<br />
Jürgen Grieser, Psychotherapeut (2/2012)<br />
«Ich kann die Welt<br />
nicht verbessern,<br />
aber ich kann<br />
versuchen, die Welt<br />
für die Kinder, die zu<br />
mir kommen, besser<br />
zu machen.»<br />
Georg Staubli,<br />
Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin (4/2016)<br />
76 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Erziehung & Schule<br />
«Es gibt Ferienformen, die für alle stimmen.<br />
Wesentlich ist, dass man wenig macht, das<br />
aber intensiv. Man sollte nicht auf ein Ziel<br />
fixiert sein, sondern auch sagen können:<br />
Jetzt brechen wir ab, machen es ganz anders.<br />
Es braucht Zeit für Musse.»<br />
Heinrich Nufer,<br />
Leiter des Marie-Meierhofer-Instituts für das Kind,<br />
Psychologe (2/2002)<br />
«Ich habe noch nie einen Mann<br />
zu einer Frau sagen hören: ‹Das<br />
Kind muss etwas anderes<br />
anziehen.› Andersrum leider<br />
sehr oft. Das tut uns weh.»<br />
Michael Gohlke, Gründer des Väternetzwerks<br />
Avanti Papi (6/2014)<br />
«Man darf nicht von<br />
einem Kind erwarten, dass<br />
es sich an den eigenen<br />
Haaren aus dem<br />
Schlamassel zieht, wenn<br />
es einmal drinsteckt.»<br />
Margrit Stamm, em. Professorin<br />
für Erziehungswissenschaften (1/2012)<br />
«Am wichtigsten scheint mir, dass Eltern ihre<br />
Kinder immer spüren lassen: Egal, was passiert,<br />
egal, wie du dich verhältst – du hast bei<br />
uns dein Zuhause und wir stehen zu dir.»<br />
Remo H. Largo, em. Professor für Kinderheilkunde (1/2001)<br />
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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Juni/Juli <strong>2017</strong>77
Erziehung & Schule<br />
Eine Erfolgsgeschichte<br />
Im September 2001 erschien die erste Ausgabe von Fritz+Fränzi. 125 Hefte später blicken<br />
wir zurück. Sind die Themen von damals dieselben wie heute? Wie hat sich unser<br />
Magazin verändert? Und wie die Sicht auf Erziehung und Familie? 125 Ausgaben<br />
Fritz+Fränzi – eine Erfolgsgeschichte. Text: Claudia Landolt<br />
Ellen Ringier, die Gründerin<br />
von Fritz+Fränzi,<br />
schuf vor 16 Jahren ein<br />
Magazin für Eltern von<br />
pubertierenden Kindern.<br />
Für Väter und Mütter also, deren<br />
Söhne gerade den ersten Oberlippenflaum<br />
bewundern und sich<br />
plötzlich nur noch in Ein-Wort-Sätzen<br />
äussern. Für Eltern, deren Töchter<br />
in Papa nicht mehr den Helden,<br />
sondern einen in die Jahre gekommenen<br />
stinkpeinlichen Herrn sehen.<br />
Für Eltern, deren Kinder Probleme<br />
machen, ihnen Sorgen bereiten.<br />
In einem Interview 2014 mit der<br />
«Werbewoche» sprach Ellen Ringier<br />
darüber, was sie antreibt: «Die<br />
Öffentlichkeit muss endlich zur<br />
Kenntnis nehmen, dass Familien<br />
zum Teil gravierende Probleme<br />
haben. Wir müssen in diesem Land<br />
aufhören, weg zu schauen.»<br />
Diese Form der Aufmerksamkeitsgewinnung<br />
ist ein Kerngedanke<br />
des Elternmagazins, der in jedem<br />
Heft spür- und lesbar ist. Es sind<br />
keine leichten Geschichten, die wir<br />
Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser,<br />
zumuten: Kinder, die kiffen. Kinder,<br />
die an Bulimie leiden, an psychischen<br />
Störungen, an ADHS. Kinder,<br />
die sich radikalen politischen Gruppierungen<br />
anschliessen. Kinder, die<br />
ihre Eltern schlagen. Die von ihren<br />
Eltern getrennt werden, weil die sich<br />
gegenseitig halb totprügeln. Kinder,<br />
die sich wünschen, nicht mehr am<br />
Leben zu sein.<br />
Es sind Themen, die heute genau<br />
so aktuell sind wie 2001, dem Grün-<br />
dungsjahr von Fritz+Fränzi. Die<br />
meisten jungen Menschen wünschen<br />
sich nach wie vor eigene Kinder,<br />
wie zahlreiche Jugendstudien<br />
belegen. Die Familiengründung<br />
erscheint vielen aber immer mehr<br />
als eine riesige Herausforderung:<br />
Die überhöhten Ansprüche ans<br />
Elternsein, die schwierige Vereinbarkeit<br />
von Familie und Beruf, die<br />
eigenen finanziellen Möglichkeiten<br />
stehen oft im krassen Gegensatz<br />
zum Kinderwunsch.<br />
Zwei von drei Eltern sind von<br />
Selbstzweifeln geplagt<br />
Entscheidet sich heute ein Paar für<br />
ein Kind, erfährt dieses mehr Aufmerksamkeit<br />
als ein Kind früherer<br />
Generationen. «Die Wohlstandsentwicklung<br />
hat den Trend zu einer<br />
emotionalen Zweiteilung der Gesellschaft<br />
verstärkt: Intimität und Emotionalität<br />
im familiären Rahmen<br />
gegenüber Emotionslosigkeit und<br />
Rationalität in der Berufswelt», sagt<br />
Soziologe François Höpflinger in<br />
Fritz+Fränzi(11/2013). Solche<br />
«Emotionsgemeinschaften» stehen<br />
aber im Spannungsfeld, eine idealisierte<br />
Gefühlswelt mit der alltäglichen<br />
Lebenswirklichkeit ins Gleichgewicht<br />
zu bringen.<br />
Nachgiebigkeit und Gefühlsbetontheit:<br />
Das macht Erziehung nicht<br />
einfacher. In Studien sagen etwa zwei<br />
Drittel aller Eltern, dass sie oft von<br />
Selbstzweifeln geplagt sind, obwohl<br />
sie täglich ihr Bestes geben. «Das<br />
grösste Problem für Eltern ist heute<br />
die Vereinzelung», sagt Fachpsychologe<br />
Philipp Ramming (September-<br />
Ausgabe 2016). «Jede Familie ist eine<br />
eigene Insel, es gibt keine Grossfamilie<br />
mehr und auch keine Normen,<br />
die uns sagen, was wir tun sollen und<br />
was nicht. Die Welt ist so vielfältig<br />
geworden, dass uns in der Erziehung<br />
manchmal die Orientierung abhandenkommt.<br />
Trotzdem ist das Bedürfnis<br />
nach Schutz, Orientierung und<br />
Anlehnung immer da.»<br />
Als Fritz+Fränzi 2001 erschien,<br />
war das Magazin mit dieser Thematik<br />
allein auf weiter Flur. Erziehung<br />
wurde damals vor allem mit<br />
Schwangerschaft, Babyzeit und<br />
Kleinkindjahren assoziiert. Heute<br />
gibt es ein wachsendes Segment an<br />
Magazinen, Blogs und Informationsseiten<br />
im Netz, die sich mit<br />
Lust und Frust in der Kindererziehung<br />
beschäftigen. Auch Zeitungen<br />
und Zeitschriften, deren Kerngeschäft<br />
primär die Berichterstattung<br />
aus Politik und Wirtschaft ist, entdecken<br />
vermehrt Familien- und Ge -<br />
sellschaftsthemen.<br />
Eltern zu sein macht trotz aller<br />
Anstrengungen Freude<br />
Wir möchten unser Magazin noch<br />
stärker als Psychologie-Ratgeber<br />
positionieren, als Wegbegleiter von<br />
Eltern in guten wie in schwierigen<br />
Zeiten. Wir wollen auch in Zukunft<br />
Probleme nicht bewirtschaften, sondern<br />
Lösungsansätze anbieten. Und<br />
mit jeder Geschichte eine wichtige<br />
Botschaft vermitteln: Bei aller<br />
Anstrengung macht es grosse Freude,<br />
Eltern zu sein.<br />
78 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Juni/Juli <strong>2017</strong>79
Digital & Medial<br />
Bibliothek 2.0: Hier wird gerappt,<br />
geschrieben und gezockt<br />
Nur zwei Prozent der Deutschschweizer Jugendlichen gehen regelmässig in die Bibliothek,<br />
heisst es in der aktuellen JAMES-Studie. Die Bibliotheken selbst erzählen aber eine ganz andere<br />
Geschichte. Wie sie die Jugend zum Lesen animieren. Text: Claudia Füssler<br />
Kinder sind fleissige<br />
Bibliotheksnutzer. Die<br />
Buben bleiben dann aber<br />
oft in der Pubertät fern.<br />
Adrian und Leonard<br />
haben es sich gemütlich<br />
gemacht. Sie<br />
lümmeln auf grossen<br />
Sitzsäcken, Adrian<br />
mit «Greg’s Tagebuch» in der Hand.<br />
Er kichert ständig vor sich hin, so<br />
dass Leonard von seinem Comic<br />
aufschaut und im Flüsterton fragt,<br />
welche Stelle genau so witzig sei.<br />
Hinter den beiden Buben hocken<br />
Jugendliche vor den PCs, surfen im<br />
Internet und unterhalten sich mit<br />
gedämpfter Stimme. An den langen<br />
Regalen voller Bücher wandern Kinder<br />
und Jugendliche auf und ab. Den<br />
Kopf schräg geneigt entziffern sie<br />
die Schrift auf den Buchrücken,<br />
greifen ab und an eins heraus. «Das<br />
hier ist sooo super», sagt Lea und<br />
packt «Das Schicksal ist ein mieser<br />
Verräter» auf den Stapel Jugendromane,<br />
den ihre Freundin im Arm<br />
hält. Ein ganz normaler Nachmittag<br />
in einer Bibliothek in der Schweiz.<br />
Und dann kommt dieser Satz.<br />
Hans Ulrich Locher sagt, er habe ihn<br />
erschüttert: «Nur zwei Prozent der<br />
Jugendlichen in der Deutschschweiz<br />
nutzen regelmässig eine Bibliothek,<br />
in der Romandie sind es sechs Prozent,<br />
im Tessin zehn Prozent.» So<br />
steht es in der aktuellen JAMES-<br />
Studie geschrieben. JAMES ist eine<br />
Umfrage zum Mediennutzungsund<br />
Freizeitverhalten von 12- bis<br />
19-Jährigen, die die Zürcher Hochschule<br />
für Angewandte Wissenschaften<br />
(ZHAW) durchführt. Seit<br />
2010 wird sie alle zwei Jahre im Auftrag<br />
der Swisscom erstellt.<br />
«Das stimmt absolut nicht mit<br />
unseren Zahlen überein und widerspiegelt<br />
den technikorientierten<br />
Ansatz der Studie. Diese Zahlen<br />
beziehen sich auf die «nonmediale<br />
Nutzung» der Bibliothek; dabei<br />
bezweckt der Besuch einer solchen<br />
Einrichtung in erster Linie die Nutzung<br />
von Medien», sagt Hans Ulrich<br />
Locher, Geschäftsführer der Schwei-<br />
Bild: Fotolia<br />
80 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
zerischen Arbeitsgemeinschaft<br />
öffentlicher Bibliotheken (SAB) und<br />
von Bibliothek Information Schweiz.<br />
Gemäss der Erhebung des Bundesamtes<br />
für Statistik zum Kulturverhalten<br />
haben innert eines Jahres 64,3<br />
Prozent der jungen Menschen zwischen<br />
15 und 29 Jahren mindestens<br />
einmal eine Bibliothek besucht. «Bei<br />
den 12-, 13- und 14-Jährigen liegen<br />
die Zahlen hoch und höher. Kinder<br />
und Jugendliche gehen umso mehr<br />
in die Bibliothek, je jünger sie sind»,<br />
erklärt Locher.<br />
Mädchen bleiben meist treue<br />
Mitglieder, wenn sie älter werden,<br />
männliche Benutzer gehen den Bi -<br />
bliotheken auf dem Weg in die<br />
Pubertät eher verloren. Dennoch:<br />
Die Schweizer Bibliotheken haben<br />
im Jahr 20 Millionen Besucher. «Das<br />
sind zehn Mal mehr, als die Fussballnationalliga<br />
A hat», sagt Locher.<br />
Bücher zu allen Themen – sogar am<br />
Sonntag<br />
Bibliotheken seien die Kulturinstitutionen<br />
mit dem grössten Publikum<br />
in der Schweiz, und damit das so<br />
bleibe, müsse man viel tun. «Natürlich<br />
erreichen wir auch nicht alle<br />
Menschen, aber wir geben uns grosse<br />
Mühe. Sie finden bei uns Medien<br />
zu allen Themen der Welt, die sie sich<br />
denken können», sagt Locher. Und<br />
das in einigen Bibliotheken seit Kurzem<br />
auch sonntags. Ein Angebot, das<br />
insbesondere vom männlichen Pu -<br />
blikum und von Alleinstehenden<br />
sehr positiv angenommen wird, der<br />
Zuspruch ist gross.<br />
Dass Kinder, Jugendliche und<br />
Erwachsene, Männer und Frauen<br />
etwas finden, das sie anspricht, dafür<br />
werden Bibliothekare ausgebildet.<br />
Sie müssen literarische Spürnasen<br />
sein und das Angebot immer frisch<br />
halten, damit ihre Bibliothek interessant<br />
bleibt. Deshalb erneuern<br />
öffentliche Bibliotheken jedes Jahr<br />
etwa 10 bis 20 Prozent ihres Bestandes,<br />
verschenken oder verkaufen<br />
ihn. Nach fünf bis spätestens zehn<br />
Jahren wird der Bestand so komplett<br />
erneuert. «Das ist wichtig, denn<br />
während die Jugendlichen zu meiner<br />
Zeit noch Karl May gelesen<br />
haben, lesen sie heute Harry Potter<br />
und Vampirromane. So etwas muss<br />
man dann einfach dahaben», sagt<br />
Locher. Mit der Zeit gehen heisst<br />
auch, mit den neuen Medien gehen.<br />
Deshalb haben auch die E-Books<br />
Einzug gehalten in den Schweizer<br />
Bibliotheken. Die Nutzungsraten<br />
liegen laut Locher jedoch wie im<br />
Buchhandel auch noch im einstelligen<br />
Prozentbereich.<br />
Neue Medien sind allerdings kein<br />
Königsweg, um Jugendliche in die<br />
Bibliothek zu locken. «DVDs spielen<br />
praktisch keine Rolle mehr, Filme<br />
und Musik streamen die Jugendlichen<br />
zu Hause», sagt Danièle Kammacher,<br />
Vizedirektorin der Kornhausbibliotheken<br />
in Bern. Für<br />
E-Books interessieren sich Mittvierziger<br />
mehr als die ganz Jungen. «Die<br />
jungen Leute lesen ja meist übers<br />
Handy, und darauf ein ganzes Buch<br />
zu lesen, ist doch etwas mühsam»,<br />
mutmasst Kammacher. Rund ein<br />
Viertel der Nutzer der Kornhausbibliotheken<br />
sind zwischen 13 und<br />
25 Jahre alt. Neue Projekte in der<br />
jüngeren Vergangenheit haben dazu<br />
geführt, dass diese Zahl leicht gestiegen<br />
ist.<br />
Der erste Kontakt läuft oft über<br />
die Schule<br />
Es gibt eine Gruppe, für die ergibt<br />
sich der Bezug zur Bibliothek ganz<br />
automatisch, sagt Kammacher. Das<br />
sind Kinder, die aufs Gymnasium<br />
gehen, die als Hausaufgaben Aufträge<br />
bekommen, etwas zu einem<br />
bestimmten Thema zu recherchieren,<br />
verbunden mit einem Besuch in<br />
Wo früher Karl May stand,<br />
stehen heute Vampirromane<br />
und Harry Potter.<br />
der Bibliothek. Spätestens aber bei<br />
Studienbeginn ergibt sich der Kontakt<br />
zu einer solchen Einrichtung<br />
automatisch. «Damit fallen jedoch<br />
all die jungen Menschen weg, die<br />
eine Berufsausbildung machen, und<br />
das ist eine grosse Menge», sagt<br />
Kammacher.<br />
Die Kornhausbibliotheken haben<br />
deswegen die Zusammenarbeit mit<br />
der Berner Gewerbeschule intensiviert.<br />
Jede Klasse von dort wird mit<br />
einer Führung und einem Leseprojekt<br />
mit der Institution Bibliothek<br />
vertraut gemacht. «Viele der Jugendlichen<br />
erfahren hier zum ersten Mal,<br />
wie sie ein Buch zu einem bestimmten<br />
Thema finden und ausleihen<br />
können, und viele bleiben dann<br />
begeistert hängen und werden zu<br />
regelmässigen Besuchern», sagt<br />
Kammacher. Damit die dranbleiben,<br />
gibt es im zweiten Stock der Kornhausbibliothek<br />
eine Lounge-Zone,<br />
Tablets, Games und eine grosse<br />
Jugendbibliothek sowie spezielle<br />
Lesungen oder englisches Storytelling<br />
für die jungen Besucher. Zudem<br />
lesen sie – wie in fast allen Schweizer<br />
Bibliotheken – gratis. >>><br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Juni/Juli <strong>2017</strong>81
Digital & Medial<br />
>>> In der JAMES-Studie stösst<br />
man auch auf erfreulichere Zahlen<br />
zum Leseverhalten von Jugendlichen.<br />
So ist es seit 2010 unverändert<br />
ein stabiles Viertel der Jugendlichen,<br />
die in ihrer Freizeit regelmässig<br />
Bücher lesen. «Die Tatsache, dass<br />
zwar die Nutzung digitaler Medien<br />
seit 2010 deutlich angestiegen ist,<br />
gleichzeitig das Lesen von Büchern<br />
aber stabil geblieben ist, finde ich ein<br />
gutes Ergebnis», sagt die Psychologin<br />
und Mitstudienautorin Isabel Willemse.<br />
«Jugendliche, die gerne lesen,<br />
tun dies auch weiterhin, trotz der<br />
ständigen Verfügbarkeit von digitalen<br />
Medien mit Internetzugang.»<br />
Hausaufgabenhilfe in der Bibliothek<br />
Von zu wenigen jugendlichen Besuchern<br />
kann auch in der Stadtbibliothek<br />
Basel keine Rede sein. Anne-<br />
Lise Hilty, bei der Bibliothek<br />
zuständig für Kommunikation und<br />
Fundraising, belegt das mit Zahlen:<br />
Knapp 20 000 Jugendliche zwischen<br />
15 und 24 Jahren gibt es in Basel-<br />
Stadt, rund 12 000 davon haben ein<br />
Konto bei der Stadtbibliothek. «Etwa<br />
5000 davon sind aktive Nutzer, das<br />
heisst, sie haben in den vergangenen<br />
zwölf Monaten mindestens ein Buch<br />
ausgeliehen», sagt Hilty.<br />
Etwa 80 Jugendliche tummeln<br />
sich täglich in der Stadtbibliothek in<br />
einem fast abgeschlossenen, eigenen<br />
Bereich. «Jugendliche sind keine<br />
ganz einfache Gruppe», sagt Hilty.<br />
Und vor einiger Zeit ist das tatsächlich<br />
problematisch geworden. Jede<br />
Menge Pubertierende, die laut sich<br />
unterhaltend die Bibliothek unsicher<br />
machen, abhängen und viele Dinge<br />
tun, die nichts mit dem Ausleihen<br />
von Büchern zu tun haben.<br />
Jugendarbeitende helfen bei<br />
den Hausaufgaben und leihen<br />
den Kindern ein offenes Ohr.<br />
So motivieren Sie Ihr Kind zum Lesen<br />
• Lesen Sie selber viel, egal ob Bücher, Zeitschriften oder<br />
Zeitungen. Die Vorbildfunktion ist hier besonders stark.<br />
• Reden Sie mit Ihrem Nachwuchs über das, was er<br />
gerade liest – das gilt für Kinder genauso wie Jugendliche.<br />
Fragen Sie nach, lassen Sie sich die Geschichten erzählen<br />
oder Zusammenhänge erklären.<br />
• Gehen Sie gemeinsam mit Ihrem Kind in die Bibliothek,<br />
zeigen Sie ihm die Möglichkeiten und erklären Sie, wie man<br />
ein Buch ausleiht.<br />
• Sorgen Sie für ruhige Phasen und einen ungestörten Ort<br />
zu Hause, sodass Zeit und Raum zum Lesen bleiben.<br />
• Weisen Sie ältere Kinder und Jugendliche darauf hin, wenn<br />
Sie irgendwo etwas zu einem Thema gelesen haben, das sie<br />
interessiert.<br />
• Sorgen Sie dafür, dass immer ein ausreichendes und<br />
spannendes Angebot an Lektüre vorhanden ist. Bücher<br />
sollten keine seltenen Geschenke sein, auf die ein Kind<br />
monatelang warten muss.<br />
• Wenn Ihr Kind schon selber liest, plötzlich aber keine Lust<br />
mehr auf Bücher hat, lesen Sie wieder vor. Ein sogenannter<br />
Leseknick mit etwa sieben, acht Jahren ist normal<br />
und gibt sich meist wieder.<br />
Die Bibliothek sah Handlungsbedarf<br />
und hat sich mit der Jugendarbeit<br />
Basel (JuAr Basel) zusammengeschlossen.<br />
Seit 2012 sind – zunächst<br />
über eine Stiftung finanziert – zwei<br />
Jugendarbeitende als feste Ansprechpersonen<br />
in vier Bibliotheken der<br />
Stadtbibliothek anzutreffen. Sie bieten<br />
Unterstützung bei Hausaufgaben<br />
und Bewerbungen, helfen beim<br />
Umsetzen von Ideen und Projekten,<br />
leisten PC-Support, leiten Gesellschaftsspiele<br />
an und leihen den<br />
Jugendlichen bei Sorgen und Nöten<br />
ein offenes Ohr.<br />
Darüber hinaus hat sich das<br />
Angebot an Veranstaltungen für<br />
Jugendliche enorm erweitert:<br />
Schreibclub, Filmworkshop, digitale<br />
Schnitzeljagd, es wird gerappt,<br />
gezeichnet, fotografiert. «Das geht<br />
alles weit übers Lesen hinaus, hat<br />
aber den Effekt, dass die Jugendli-<br />
82 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Roboter, die Ostereier<br />
bemalen: Die Bibliothek<br />
geht mit der Zeit.<br />
chen die Bibliothek mit einem positiven,<br />
spannenden Ort assoziieren,<br />
an dem es viele Möglichkeiten gibt»,<br />
sagt Hilty.<br />
In der Kornhausbibliothek Bern<br />
können junge Autoren zwischen 12<br />
und 16 Jahren in einem Forum ihre<br />
selbst geschriebenen Geschichten<br />
vorlesen. In Luzern gibt es gemütliche<br />
Sitzsäcke in einem eigenen<br />
Bereich für Kinder und Jugendliche,<br />
die zum langen Schmökern einladen.<br />
Die Pestalozzibibliothek Zürich<br />
arbeitet mit dem FabLab Zürich<br />
zusammen und lädt Kinder und<br />
Jugendliche ein, mit einem Egg-Bot<br />
Ostereier zu bemalen, mit 3-D-Druckern<br />
zu experimentieren und Selfies<br />
mit einem LED-Bildgenerator<br />
zu erzeugen. Die Botschaft lautet:<br />
Eine Bibliothek ist alles andere als<br />
ein dunkler Ort mit verstaubten<br />
Büchern. Und sie wird von den<br />
Schweizer Bibliotheken sehr überzeugt<br />
in die Welt getragen.<br />
>>><br />
Claudia Füssler<br />
hat seit der 1. Klasse einen Bibliotheksausweis,<br />
egal, in welcher Stadt sie gerade lebt. Mindestens<br />
einmal pro Woche leiht sie sich neue Bücher und<br />
gibt das so gesparte Geld gerne für gutes Essen<br />
aus.<br />
Wohnangebot<br />
Das Wohnangebot der IBK steht Lernenden während einer<br />
Praktischen Ausbildung zur Verfügung. Die Lernenden werden<br />
unter der Woche von pädagogisch ausgebildeten Personen<br />
in der Bewältigung der lebenspraktischen Anforderungen individuell<br />
unterstützt. Das gemeinsame Ziel ist der erfolgreiche<br />
Abschluss der Berufsausbildung.<br />
Ausbildung<br />
Seniorenbetreuung<br />
Infos unter www.ibk-berufsbildung.ch<br />
Weitere Informationen unter www.ibk-berufsbildung.ch<br />
Unsere<br />
Mediadaten:<br />
www.fritzundfraenzi.ch<br />
So lernen wir.<br />
– 5./6. Primarstufe<br />
– Sekundarstufe<br />
– 10. Schuljahr<br />
– Fachmittelschule<br />
Mitten<br />
in<br />
Zürich<br />
www.fesz.ch | 043 268 84 84<br />
Waldmannstr. 9 | 8001 Zürich
Digital & Medial<br />
Mein Kind, mein<br />
Smartphone und ich<br />
Kleine und grosse Bildschirme ziehen nicht<br />
nur unsere Kinder in ihren Bann, sondern<br />
auch uns Erwachsene. Wieso wir das ändern<br />
sollten und wie das geht. Text: Michael In Albon<br />
Bild: OcusFocus<br />
Auf dem Spielplatz,<br />
beim Abholen aus der<br />
Kinderkrippe, im<br />
Wohnzimmer: Nur<br />
noch kurz die Mails<br />
checken, eine WhatsApp-Nachricht<br />
beantworten, die Wettervorhersage<br />
studieren. Immer wieder. Mal ehrlich,<br />
wie oft haben Sie diese Woche<br />
zu Ihrem Kind gesagt: «Moment, ich<br />
hab gleich Zeit für dich, ich muss<br />
nur schnell …»? Dabei erfolgt der<br />
Griff zum Handy oft automatisch.<br />
Vor Kurzem haben Forscher des<br />
deutschen «Menthal Balance»-Projekts,<br />
die über eine App das Verhalten<br />
von 60 000 Smartphone-Nutzern<br />
beobachten, herausgefunden, dass<br />
jeder Nutzer das Smartphone täglich<br />
88 Mal einschaltet. Abzüglich ge -<br />
schätzter 8 Stunden Nachtruhe also<br />
alle 10 Minuten.<br />
Genau diese ständige Ablenkung<br />
hat der Basler Kinderarzt Cyril<br />
Lüdin in einem Interview in diesem<br />
Magazin kürzlich bemängelt: «Im<br />
Kontakt zum Kind müssen wir emotional<br />
und gedanklich dabei sein.<br />
Hantieren wir am Smartphone, sind<br />
wir nicht wirklich verfügbar. So fehlt<br />
schon dem Kleinkind die sprachliche<br />
Auseinandersetzung und damit<br />
die kommunikative Kompetenz.»<br />
Andere Experten gehen weiter und<br />
warnen zudem davor, dass Kinder<br />
dauerhafte Beziehungsstörungen<br />
entwickeln würden, wenn sie von<br />
ihren Eltern nicht ge nügend Zuwendung<br />
bekämen.<br />
Kinder fühlen sich vernachlässigt<br />
Der niederländische Internetsicherheitsanbieter<br />
AVG hat in einer «Digital<br />
Diaries»-Studie 6000 Familien<br />
aus neun Ländern befragt, wie das<br />
Handy die Beziehung zwischen<br />
Eltern und Kindern beeinflusse. 54<br />
Prozent der Kinder zwischen 8 und<br />
13 klagen: «Du schaust ständig auf<br />
dein Handy!», 32 Prozent fühlen sich<br />
unwichtig, wenn die Eltern zu oft<br />
aufs Display starren: «Das Handy ist<br />
dir wichtiger als ich.» Vor allem weil<br />
Eltern während Unterhaltungen und<br />
gemeinsamen Aktivitäten immer<br />
wieder aufs Handy schauen.<br />
Es gibt gute Gründe, als Mutter<br />
oder Vater wieder Herr seines Handys<br />
zu werden. Vielleicht helfen<br />
Ihnen meine folgenden Tipps.<br />
Öffnungszeiten: Schalten Sie die<br />
Benachrichtigungen über Neueingänge<br />
aus und checken Sie Ihre<br />
Arbeitsmails nur zu festgelegten und<br />
kommunizierten Zeiten. Ausnahmen<br />
sind möglich, aber nicht zu oft.<br />
Ruhemodus: Versetzen Sie Ihr<br />
Handy in den Ruhemodus und las-<br />
sen Sie es in der Tasche oder legen<br />
Sie es mit dem Bildschirm nach<br />
unten hin.<br />
Informieren: Sagen Sie Ihrem<br />
Kind, was Sie am Handy tun und wie<br />
lange es dauert – und halten Sie sich<br />
auch daran.<br />
Fokus: Notieren Sie kurz, was Sie<br />
am Handy machen wollen, bevor Sie<br />
es entsperren. Erledigen Sie dann<br />
auch nur das. Das mag umständlich<br />
erscheinen. Versuchen Sie, konsequent<br />
mit sich selbst zu sein, plötzlich<br />
wird es zum Automatismus.<br />
Ehrlichkeit: Gestehen Sie Ihrem<br />
Kind Ihre Schwäche, dem Onlinesog<br />
nicht immer widerstehen zu können.<br />
Zeigen Sie ihm, wie man mit<br />
Schwächen umgehen kann.<br />
Michael In Albon<br />
Michael In Albon ist Beauftragter<br />
Jugendmedienschutz und Experte<br />
Medienkompetenz von Swisscom.<br />
Auf Medienstark finden Sie Tipps und interaktive<br />
Lernmodule für den kompetenten Umgang mit<br />
digitalen Medien im Familienalltag.<br />
swisscom.ch/medienstark<br />
84 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Warum erfordern<br />
ungewisse Zeiten<br />
Gewissheit bei<br />
den Zielen?<br />
ey.com/ch<br />
© <strong>2017</strong> Ernst & Young AG. All Rights Reserved. ED None.
Unser Wochenende …<br />
in Liechtenstein<br />
Text: Leo Truniger<br />
St. Gallen<br />
Bangshof<br />
Ruggell<br />
verstehen sich exklusiv Bahnbillett Sesselbahn Malbun–Sareis.<br />
Falknerei Galina: von Mai bis Oktober, mittwochs bis sonntags,<br />
jeweils um 15 Uhr, Dauer zirka 45 Minuten. 200 Plätze, bei<br />
schlechtem Wetter 140. Erwachsene Fr. 8.–, Kinder Fr. 4.–.<br />
Hotel Falknerei Galina, Triesenberg, Im Malbun 20, www.galina.li<br />
Zürich<br />
Chur<br />
Rhein<br />
Fürstentum<br />
Liechtenstein<br />
Vaduz<br />
Schatzsuche<br />
JUFA Hotel<br />
Falknerei Galina<br />
Hotel Gorfion<br />
Malbun<br />
Sareis<br />
… Nicht nur zuschauen, sondern aktiv werden müssen Sie auf<br />
der Schatzsuche in Vaduz mit der Detektiv-Trail-App oder<br />
mit der Schatzkarte. Am Startpunkt gilt es, das erste Rätsel<br />
zu lösen, und dann beginnt die eigentliche Suche. Der<br />
Detektiv-Dachs auf der App führt Ihre Familie in der Vaduzer<br />
Fussgängerzone von einem Rätsel zum andern. Während Sie<br />
Hinweise und Spuren verfolgen, kommen Sie an manchen<br />
Sehenswürdigkeiten vorbei. Finden Sie mit den Rätsellösungen<br />
den richtigen Code für die Schatztruhe, erhalten Sie einen<br />
kleinen Sofortpreis.<br />
Start und Ziel beim Liechtenstein Center in Vaduz. Für den rund<br />
fünf Kilometer langen Parcours brauchen Sie ohne Pause etwa<br />
zwei Stunden. Bis 31. Oktober <strong>2017</strong> täglich geöffnet von 9<br />
bis 18 Uhr. Die Schatzkarte ist für Fr. 5.– im Liechtenstein<br />
Center erhältlich. Die App (für iOS und Android) kann auf<br />
www.detektiv-dachs.ch für Fr. 5.– gekauft werden.<br />
www.tourismus.li/schatzsuche<br />
Erleben …<br />
… Möchten Sie mal in Gesellschaft eines Adlers wandern?<br />
Diese weltweit wohl einzigartige Möglichkeit haben Sie im<br />
Liechtensteiner Bergdorf Malbun. Gemeinsam mit dem<br />
Falkner Norman Vögeli und dem Steinadlerweibchen fahren<br />
Sie mit dem Sessellift von Malbun auf Sareis, und während<br />
Sie dann gemütlich talwärts wandern, können Sie die<br />
Flugkünste des Königs der Lüfte bestaunen. Es wird für Sie<br />
und Ihre Kinder ein beeindruckendes Erlebnis sein, so nah<br />
dabei zu sein, wenn der fast 90 Zentimeter lange Vogel mit<br />
einer Spannweite von über zwei Metern abhebt oder wieder<br />
landet. Wenn diese Art Vogel Ihre Familie fasziniert, wird Sie<br />
auch die Greifvogelschau in Norman Vögelis Falknerei<br />
Galina begeistern.<br />
Adler-Erlebniswanderung: Frühling bis Herbst täglich ausser<br />
montags um 16 Uhr. Dauer zirka 90 Minuten. Frühzeitig<br />
reservieren. Andere Zeiten und Termine auf Anfrage. Grundpauschale<br />
inkl. 1 Person Fr. 150.–, jede weitere Begleitperson Fr.<br />
50.–, Begleitperson Kind 5 bis 12 Jahre Fr. 25.–. Diese Preise<br />
Geniessen …<br />
… Eine Vierersesselbahn bringt Ihre Familie von Malbun auf<br />
Sareis (2003 m ü. M.). Im Bergrestaurant mit einer urchigen<br />
Gaststube können Sie es sich bei einheimischen Spezialitäten<br />
wie Käsknöpfle mit Apfelmus, Rheintaler Ribelmais oder<br />
klassischen Gerichten gut gehen lassen. Auf der Sonnenterrasse<br />
geniessen Sie zudem ein grossartiges Gebirgspanorama.<br />
Für den Rückweg zu Fuss folgen Sie dem Gratweg bis zur<br />
Sareiserhöhe (2010 m ü. M.). Hier entscheiden Sie sich für<br />
die direkte Variante oder für den etwa vier Stunden längeren<br />
und anspruchsvolleren Weg über Augstenberg, Bettlerjoch/<br />
Pfälzerhütte, Alp Gritsch, Tälihöhi nach Malbun.<br />
Sesselbahn und Bergrestaurant Sareis sind vom 17. Juni bis 22.<br />
Oktober <strong>2017</strong> täglich ab 8 Uhr in Betrieb. Preise Sesselbahn:<br />
einfache Fahrt / hin und zurück: Erwachsene Fr. 9.80/15.30,<br />
Jugendliche (16–18) 7.30/11.30, Kinder (5–15) 5.40/8.–.<br />
www.bergbahnen.li, www.bergrestaurant-sareis.li<br />
… Auf dem Bangshof in Ruggell bekommen Sie bis Ende<br />
August bei schönem Wetter jeden Sonntag ein Buurazmorga<br />
86 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Service<br />
Beim Falkner<br />
Norman Vögeli,<br />
Buurazmorga auf<br />
dem Bangshof, das<br />
Restaurant auf<br />
Sareis.<br />
Bilder: Liechtenstein Marketing<br />
unter schattigen Bäumen von einem reichhaltigen Buffet. Für<br />
die Kinder gibt’s auf dem Bauernhof vieles zu bestaunen, und<br />
auch Kindertraktoren stehen bereit. Der Hof befindet sich am<br />
Eingang zum Ruggeller Riet, einer Torflandschaft mit<br />
seltenen Vögeln, vielen Insekten und harmlosen Reptilien. Mit<br />
etwas Glück entdecken Sie bei der Wanderung auch Biber<br />
oder zumindest deren Burgen.<br />
Bangshof, Fallagass 41, Ruggell, 9 bis 12 Uhr. Erwachsene ab 14<br />
Jahren Fr. 24.–, Kinder bis 5 gratis, bis 6 Fr. 6.–, bis 7 Fr. 7.–, bis<br />
13 Fr. 13.–. Unbedingt voranmelden, Tel. +423 373 49 30 oder<br />
unter www.bangshof.li bis Samstag (Vortag) um 18 Uhr.<br />
www.tourismus.li > Aktivitäten > Sehenswürdigkeiten &<br />
Naturerlebnisse > Naturerlebnisse<br />
Übernachten …<br />
bietet Ihnen das Familienhotel Gorfion in Malbun. Darüber<br />
hinaus auch ein abwechslungsreiches Familien-Wochenprogramm,<br />
freie Nutzung von Hallenbad, Sauna und Dampfbad<br />
und eine praktische 24-Stunden-Selbstservice-Oase mit<br />
Waschmaschine, Wäschetrockner, Mikrowelle.<br />
Familienhotel Gorfion, Malbun, www.gorfion<br />
Als Familie ebenfalls gut aufgehoben und willkommen sind Sie<br />
im JUFA Hotel in Malbun. Es ist als TOP-Familienhotel<br />
ausgezeichnet. Alle Zimmer haben Allergiker-Ausstattung,<br />
Dusche/WC, TV und Fön. Teenagerangebot mit Sporthalle,<br />
Funcourt und Tischtennis, eine Kinderspielelandschaft mit<br />
Kleinkinderbereich, eine Boulderecke sowie einen<br />
Outdoorspielplatz, eine Kleinsporthalle. Im Angebot sind auch<br />
ein Familienaktivprogramm, finnische Sauna und Dampfbad.<br />
JUFA Hotel, Malbunstrasse 60, Malbun. www.jufa.eu/malbun<br />
… Suchen Sie ein Viersternehaus mit familiengerechten<br />
Zimmern und einem umfassenden Betreuungsangebot? Das<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Juni/Juli <strong>2017</strong>87
Service<br />
Vielen Dank<br />
an die Partner und Sponsoren der Stiftung Elternsein:<br />
Finanzpartner Hauptsponsoren Heftsponsor<br />
Dr. iur. Ellen Ringier<br />
Walter Haefner Stiftung<br />
Credit Suisse AG<br />
Rozalia Stiftung<br />
UBS AG<br />
Clariant International AG<br />
Impressum<br />
17. Jahrgang. Erscheint 10-mal jährlich<br />
Herausgeber<br />
Stiftung Elternsein,<br />
Seehofstrasse 6, 8008 Zürich<br />
www.elternsein.ch<br />
Präsidentin des Stiftungsrates:<br />
Dr. Ellen Ringier, ellen@ringier.ch,<br />
Tel. 044 400 33 11<br />
(Stiftung Elternsein)<br />
Geschäftsführer: Thomas Schlickenrieder,<br />
ts@fritzundfraenzi.ch, Tel. 044 261 01 01<br />
Redaktion<br />
redaktion@fritzundfraenzi.ch<br />
Chefredaktor: Nik Niethammer,<br />
n.niethammer@fritzundfraenzi.ch<br />
Verlag<br />
Fritz+Fränzi,<br />
Dufourstrasse 97, 8008 Zürich,<br />
Tel. 044 277 72 62,<br />
info@fritzundfraenzi.ch,<br />
verlag@fritzundfraenzi.ch,<br />
www.fritzundfraenzi.ch<br />
Business Development & Marketing<br />
Leiter: Tobias Winterberg,<br />
t.winterberg@fritzundfraenzi.ch<br />
Anzeigen<br />
Administration: Dominique Binder,<br />
d.binder@fritzundfraenzi.ch,<br />
Tel. 044 277 72 62<br />
Art Direction/Produktion<br />
Partner & Partner, Winterthur<br />
Bildredaktion<br />
13 Photo AG, Zürich<br />
Korrektorat<br />
Brunner Medien AG, Kriens<br />
Auflage<br />
(WEMF/SW-beglaubigt 2016)<br />
total verbreitet 101 725<br />
davon verkauft 18 572<br />
Preis<br />
Jahresabonnement Fr. 68.–<br />
Einzelausgabe Fr. 7.50<br />
iPad pro Ausgabe Fr. 3.–<br />
Abo-Service<br />
Galledia Verlag AG Berneck<br />
Tel. 0800 814 813, Fax 058 344 92 54<br />
abo.fritzundfraenzi@galledia.ch<br />
Für Spenden<br />
Stiftung Elternsein, 8008 Zürich<br />
Postkonto 87-447004-3<br />
IBAN: CH40 0900 0000 8744 7004 3<br />
Inhaltspartner<br />
Institut für Familienforschung und -beratung<br />
der Universität Freiburg / Dachverband Lehrerinnen<br />
und Lehrer Schweiz / Verband Schulleiterinnen und<br />
Schulleiter Schweiz / Jacobs Foundation /<br />
Elternnotruf / Pro Juventute / Interkantonale<br />
Hochschule für Heilpädagogik Zürich /<br />
Schweizerisches Institut für Kinder- und<br />
Jugendmedien<br />
Stiftungspartner<br />
Pro Familia Schweiz / Pädagogische Hochschule<br />
Zürich / Elternbildung CH / Marie-Meierhofer-<br />
Institut für das Kind / Schule und Elternhaus<br />
Schweiz / Schweizerischer Verband<br />
alleinerziehender Mütter und Väter SVAMV /<br />
Kinderlobby Schweiz / kibesuisse Verband<br />
Kinderbetreuung Schweiz<br />
Damit einzigartige Begegnungen<br />
möglich sind: Wir unterstützen<br />
den Zoo Zürich.<br />
Tickets für<br />
ZKB Familientag<br />
gewinnen<br />
Mehr unter zkb.ch/zoo<br />
Vielseitig engagiert. Als Kunde profitieren<br />
Sie von einem 20% günstigeren Eintritt<br />
exklusiv über unsere Website.<br />
88 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Buchtipps<br />
«Weisst du<br />
noch? Oben<br />
sassen die<br />
drei Ziegen<br />
und spielten<br />
Karten.»<br />
Käpt’n Kalle<br />
Selbständig<br />
werden kann nur,<br />
wer sich traut,<br />
wegzugehen. Mit<br />
Hund und Meerschweinchen<br />
fährt der kleine<br />
Held in diesem Vorlesebuch von<br />
Anke Kranendonk im eigenen Boot<br />
durch die holländischen Kanäle.<br />
Carlsen, 2016, Fr. 14.90,<br />
ab 6 Jahren<br />
In Kinderbüchern stören Eltern in der<br />
Regel: Denn echte Abenteuer lassen sich<br />
doch nur ohne Erwachsene erleben – dann,<br />
wenn Kinder und Jugendliche autonom<br />
und handlungskräftig agieren können.<br />
Auf sich allein gestellt<br />
Über die Augenblicke, in denen Kinder etwas<br />
zum ersten Mal bewusst erleben.<br />
Danger Express<br />
Der längste Zug<br />
der Welt fährt quer<br />
durch Kanada, und<br />
Will ist als Sohn<br />
des Lokführers mit<br />
dabei! In den<br />
Waggons und auf ihren Dächern<br />
erlebt er in diesem rasanten Roman<br />
von Kenneth Oppel das gefährlichste<br />
Abenteuer seines Lebens.<br />
Aladin, <strong>2017</strong>, Fr. 21.90,<br />
ab 12 Jahren<br />
Bilder: ZVG<br />
Mit «Weisst du<br />
noch, als wir losgelaufen<br />
sind und<br />
die Strasse nicht<br />
mehr enden wollte?»<br />
beginnt die Geschichte zweier<br />
Kinder, die sich alleine – mit einem<br />
Teddybären unter dem Arm, einem<br />
Brot und einem verschrumpelten<br />
Apfel in den Manteltaschen – ins<br />
Abenteuer wagen. «Weisst du noch,<br />
als der Zwerg auf dem Fahrrad angefahren<br />
kam und eine Mütze mit lauter<br />
Korken auf dem Kopf hatte?» In<br />
einer Sprache, die vor Einfällen<br />
überschäumt und einen Sog entwickelt,<br />
ohne aufgeregt zu wirken, lässt<br />
uns der Autor Zoran Drvenkar an<br />
den Erlebnissen der Kinder teilhaben.<br />
Diese können autonom ihre<br />
Selbständigkeit ertesten: Erwachsene<br />
gibt es in diesem Bilderbuch nur<br />
in den kleinen Vignetten auf den<br />
Textseiten, die wohl die ehemaligen<br />
Kinder als ältere Leute beim Erzählen<br />
der Erinnerungen zeigen.<br />
Auf dem grossen Bild jeder Doppelseite<br />
hat die Illustrationskünstlerin<br />
Jutta Bauer die Abenteuer in<br />
Bilder übersetzt, die Witz und<br />
Gefühl des Textes mittransportieren.<br />
Die Besorgnis des Fuchses etwa,<br />
dessen Freund auf der Strasse einen<br />
Unfall hatte, steht ihm ins Gesicht<br />
geschrieben. Wenigstens können die<br />
zwei Kinder sein Testament bis zum<br />
nächsten Briefkasten mitnehmen!<br />
Ein hochpoetisches Bilderbuch für<br />
das Unterstufenalter – und für alle,<br />
die sich an ihre Kindheit erinnern<br />
– über das Kindsein fernab der<br />
Erwachsenenwelt.<br />
Zoran Drvenkar /<br />
Jutta Bauer:<br />
Weisst du noch?<br />
Hanser, <strong>2017</strong>,<br />
Fr. 21.90,<br />
ab 5 Jahren<br />
Hundert Stunden<br />
Nacht<br />
Ausgerechnet als<br />
Emilia nach New<br />
York abhaut, bricht<br />
der Wirbelsturm<br />
Sandy über die<br />
Stadt herein. Eine Extremsituation<br />
draussen und in ihrem Innern – überzeugend<br />
geschildert von Anna Woltz.<br />
Carlsen, <strong>2017</strong>, Fr. 23.90,<br />
ab 14 Jahren<br />
Verfasst von Elisabeth Eggenberger,<br />
Mitarbeiterin des Schweizerischen<br />
Instituts für Kinder- und<br />
Jugendmedien SIKJM.<br />
Auf www.sikjm.ch/rezensionen sind<br />
weitere B uch empfehlungen zu finden.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Juni/Juli <strong>2017</strong>89
Eine Frage – drei Meinungen<br />
Mein Mann arbeitet während der Woche in Deutschland. Wenn er nach<br />
Hause kommt, ist unser Sohn, 7, ausser sich vor Freude, während unsere<br />
Tochter, 5, kaum Gefühle zeigt und sich verkriecht. Was können wir tun,<br />
damit die Tochter mit der Abwesenheit des Papas besser zurechtkommt?<br />
Renate, 41, Bülach ZH<br />
Nicole Althaus<br />
Freude erzwingen geht nicht.<br />
Vielleicht braucht Ihre<br />
Tochter einfach eine längere<br />
Aufwärmphase. Sorgen Sie<br />
dafür, dass die Kleine sich<br />
möglichst nicht abkühlt.<br />
Vielleicht genügt ein tägliches<br />
Skype-Gespräch schon, um<br />
den Papa auch wochentags in<br />
der Nähe zu haben. Der Papa könnte so jeden Abend<br />
«Gute Nacht» sagen und ein wichtiges, warmes Ritual<br />
auch in seiner Abwesenheit fortführen.<br />
Tonia von Gunten<br />
Fragen Sie Ihre Tochter, wie<br />
es ihr mit der Abwesenheit<br />
des Vaters geht. Sie empfindet<br />
offenbar andere Gefühle als<br />
ihr Bruder und zeigt sie auf<br />
ihre eigene Weise. Ihr Mann<br />
könnte etwas zur Beziehung<br />
mit ihr beitragen, indem er<br />
sich vermehrt auch aus der<br />
Ferne meldet und sich für das Leben der Kinder<br />
interessiert. Er könnte telefonieren, Videos senden und<br />
am Wochenende immer wieder bewusst Zeit mit einem<br />
Kind alleine verbringen.<br />
Peter Schneider<br />
Vielleicht könnte Ihr Mann<br />
unter der Woche öfter mit der<br />
Tochter telefonieren. Oder<br />
am Wochenende, wenn Ihre<br />
Tochter das möchte, auch<br />
einmal alleine etwas ganz<br />
Alltägliches wie Einkaufen<br />
mit ihr unternehmen. Freude<br />
kann man nicht erzwingen<br />
und die Trauer über die Abwesenheit höchstens<br />
mildern, aber auch nicht ganz ausschalten. Und je mehr<br />
man auf die Effekte irgendwelcher Massnahmen schielt,<br />
desto mehr geht die Sache ohnehin in die Hose.<br />
Nicole Althaus, 48, ist Kolumnistin, Autorin<br />
und Mitglied der Chefredaktion der «NZZ am<br />
Sonntag». Zuvor war sie Chefredaktorin von «wir<br />
eltern» und hat den Mamablog auf «Tagesanzeiger.<br />
ch» initiiert und geleitet. Nicole Althaus ist Mutter<br />
von zwei Kindern, 16 und 12.<br />
Tonia von Gunten, 43, ist Elterncoach, Pädagogin<br />
und Buchautorin. Sie leitet elternpower.ch, ein<br />
Programm, das frische Energie in die Familien<br />
bringen und Eltern in ihrer Beziehungskompetenz<br />
stärken möchte. Tonia von Gunten ist verheiratet<br />
und Mutter von zwei Kindern, 10 und 7.<br />
Peter Schneider, 59, ist praktizierender<br />
Psychoanalytiker, Autor und SRF-Satiriker («Die<br />
andere Presseschau»). Er lehrt als Privatdozent<br />
für klinische Psychologie an der Uni Zürich und<br />
ist Professor für Entwicklungspsychologie an<br />
der Uni Bremen. Peter Schneider ist Vater eines<br />
erwachsenen Sohnes.<br />
Haben Sie auch eine Frage?<br />
Schreiben Sie eine E-Mail an:<br />
redaktion@fritzundfraenzi.ch<br />
Bilder: Anne Gabriel-Jürgens / 13 Photo, Pino Stranieri, HO<br />
90 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Schadenskizze<br />
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