04 Blutglukose bei Hirninfektionen
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<strong>Blutglukose</strong> <strong>bei</strong> ZNS-Infektionen<br />
Wie hoch sollte die <strong>Blutglukose</strong><br />
<strong>bei</strong> Infektionen des Gehirns sein?<br />
14<br />
Bei der Behandlung von erregerbedingten<br />
Erkrankungen des zentralen<br />
Nervensystems steht ohne Zweifel die<br />
frühzeitige und adäquate antiinfektive<br />
Therapie an erster Stelle. Ein wichtiger<br />
Aspekt ist aber auch das ehest mögliche<br />
Erkennen von Komplikationen, die zu<br />
einer sekundären Hirnschädigung führen<br />
können. Dazu steht die klinische<br />
Untersuchung im Vordergrund, welche<br />
jedoch <strong>bei</strong> schweren, intensivpflichtigen<br />
Verläufen aufgrund der notwendigen<br />
Analgosedierung nur eingeschränkt<br />
möglich ist.<br />
Hier<strong>bei</strong> können uns die Methoden<br />
des multimodalen Neuromonitorings<br />
helfen, Veränderungen der zerebralen<br />
Durchblutung und des Hirnstoffwechsels<br />
frühzeitig zu erkennen. Angelehnt<br />
an die Betreuung von Patienten mit einem<br />
Schädel-Hirn-Trauma können so<br />
der intrakranielle Druck oder der zerebrale<br />
Sauerstoffpartialdruck gemessen<br />
werden, um Hirndruckkrisen, eine Hypoperfusion<br />
und Hypoxie des Gehirns<br />
zu erkennen und entsprechend therapeutisch<br />
einzuschreiten.<br />
Die Methode der zerebralen Mikrodialyse<br />
dient zur Beurteilung des zerebralen<br />
Energiestoffwechsels. Hier<strong>bei</strong> wird ein<br />
Katheter in die weiße Substanz (meist in<br />
den Frontallappen) eingebracht und mit<br />
einer Flussrate von 0.3 µl/min perfundiert.<br />
Über eine Membran an der Spitze<br />
des Katheters diffundieren Substanzen,<br />
die entsprechend der Porengröße die<br />
Membran überwinden können, ihrem<br />
Konzentrationsgradienten nach vom<br />
Extrazellularraum in das Mikrodialyse-<br />
System. Die Flüssigkeit wird kontinuierlich<br />
in Microvials gesammelt und<br />
stündlich analysiert.<br />
Als „point of care“ Untersuchungen<br />
können Moleküle des Energiemetabolismus<br />
(Glukose, Laktat, Pyruvat) unmittelbar<br />
am Patientenbett gemessen<br />
werden. Normwerte sind in der Tabelle<br />
angeführt. Neben diesen Absolutwerten,<br />
welche interindividuelle Unterschiede<br />
aufweisen und durch die Sondenlokalisation<br />
im Gewebe beeinflusst<br />
sind, ist die Veränderung einzelner Parameter,<br />
also ein Anstieg oder Abfall<br />
über die Zeit, von wichtiger Bedeutung.<br />
Beim kritisch kranken neurologischen<br />
Intensivpatienten konnte gezeigt werden,<br />
dass im Verlauf häufig ein erniedrigter<br />
Glukosespiegel im Hirngewebe<br />
auftritt, welcher als Biomarker <strong>bei</strong><br />
einzelnen Erkrankungen mit einem<br />
schlechten Outcome assoziiert ist. Dieser<br />
Zusammenhang scheint naheliegend,<br />
da insbesondere das Gehirn auf<br />
eine ausreichende Energiezufuhr angewiesen<br />
ist.<br />
Die gemessene Glukosekonzentration<br />
ist von der Anlieferung über das Blut<br />
(Blutzucker und zerebrale Perfusion),<br />
der Passage über die Blut-Hirn-Schranke<br />
und der Diffusionsmöglichkeit durch<br />
das Hirngewebe (eingeschraenkt <strong>bei</strong>m<br />
Hirnödem), wie auch vom Verbrauch<br />
abhängig. So gemessene pathologisch<br />
erniedrigte zerebrale Glukosespiegel<br />
werden als Neuroglukopenie (Hirnglukose<br />
<strong>Blutglukose</strong> <strong>bei</strong> ZNS-Infektionen<br />
Erkrankungen des ZNS mittels zerebraler<br />
Mikrodialyse monitiert. Spezifisch<br />
mit dem zerebralen Glukosemetabolismus<br />
und der möglichen Beeinflussbarkeit<br />
der Hirnglukose beschäftigt<br />
sich auch unsere Ar<strong>bei</strong>tsgruppe. Wichtige<br />
Ergebnisse von vorliegenden Fallstudien<br />
werden nachfolgend vorgestellt.<br />
Virale Encephalitis<br />
(Kofler M; Neurocrit Care 2016; 25:273)<br />
Tabelle: Werte der zerebralen Mikrodialyse im „gesunden Hirngewebe“<br />
und pathologische Grenzwerte<br />
Parameter Normwert Kritische Grenze Bedeutung des Grenzwertes<br />
Glukose 1.5-2 mmol/l 4 mmol/l Anaerober Metabolismus, Hypermetabolismus<br />
Pyruvat >120 µmol/l
<strong>Blutglukose</strong> <strong>bei</strong> ZNS-Infektionen<br />
beobachtet. Abhängig von der oralen<br />
Nahrungsaufnahme wurden signifikante<br />
Anstiege der Hirnglukose gemessen.<br />
Außerdem traten nach dem Beginn der<br />
selbständigen Nahrungsaufnahme keine<br />
weiteren Episoden von Hirnglukose-<br />
Konzentrationen unter 0.7 mmol/l auf.<br />
Bakterielle Meningitis<br />
(Poulsen FR; Neurocrit Care 2015; 22:221)<br />
Diese Ar<strong>bei</strong>t zur Mikrodialyse <strong>bei</strong> über<br />
15 Patienten mit ambulant erworbener<br />
bakterieller Meningitis beschäftigt<br />
sich vor allem mit dem biochemischen<br />
Muster der zerebralen mitochondrialen<br />
Dysfunktion, die Glukosekonzentrationen<br />
werden nur <strong>bei</strong>läufig erwähnt. Die<br />
sieben Patienten mit mitochondrialer<br />
Dysfunktion (definiert als hohe Laktat-zu-Pyruvat-Ratio<br />
<strong>bei</strong> gleichzeitig<br />
normalem bis erhöhtem Pyruvat) hatten<br />
über den Beobachtungszeitraum<br />
eine mediane Hirnglukosekonzentration<br />
von 0.8 mmol/l (interquartile range<br />
0.4-1.1 mmol/l). Das bedeutet, dass<br />
auch <strong>bei</strong> diesem Krankheitsbild häufig<br />
eine Neuroglukopenie auftritt, obwohl<br />
die zerebrale Perfusion (in diesem Fall<br />
ist ein normaler zerebraler Perfusionsdruck<br />
beschrieben) intakt ist.<br />
Eine weitere Ar<strong>bei</strong>t, die Mikrodialyseparameter<br />
mit Serum-Biomarkern assoziierte,<br />
beschrieb ebenfalls das Auftreten<br />
einer zerebralen metabolischen<br />
Krise (Glukose 25) <strong>bei</strong> 10 von 21 Meningitispatienten<br />
(48%) (Bartek J; PLOS ONE,<br />
2016; 11:e0152268). Angaben zur zerebralen<br />
Perfusion werden aber nicht<br />
gemacht.<br />
Zusammenfassung<br />
Die gegenwärtige Datenlage zeigt uns,<br />
dass im Rahmen von intensiv-neurologischen<br />
erregerbedingten Erkrankungen<br />
häufig pathologisch niedrige zerebrale<br />
Glukosekonzentrationen auftreten<br />
- auch wenn eine aureichende zerebrale<br />
Perfusion vorhanden ist und die Blutzuckerspiegel<br />
im Normbereich liegen.<br />
16<br />
Serumglukose mM/l Hirnglukose mM/l<br />
Aktuelle Erklärungsmodelle dafür <strong>bei</strong>nhalten<br />
den vermehrten Verbrauch durch<br />
Bakterien und Viren, wie auch durch die<br />
gesteigerte Glykolyse.<br />
Eine Neuroglukopenie wurde häufiger<br />
beobachtet, wenn zu diesem Zeitpunkt<br />
Insulin verabreicht wurde und wenn die<br />
Serum-Glukosekonzentration unter<br />
110 mg/dl lag. Ernährungspausen gingen<br />
einem Absinken der Hirnglukosewerte<br />
voraus, während eine konsequente<br />
Patientenernährung mit einer Stabilisierung<br />
der Glukosekonzentrationen<br />
assoziiert war. Eine Gruppe von Experten<br />
empfahl kürzlich, pathologisch<br />
niedrige zerebrale Glukosekonzentrationen<br />
<strong>bei</strong> neurologischen Intensivpatienten<br />
zu beheben (Hutchinson PJ; Intensive<br />
Care Med 2015; 41:1517).<br />
Schlussfolgerung<br />
Insulin 1-2 U/l<br />
Insulin 3 U/l<br />
Sondennahrung<br />
Tag 2 Tag 3 Tag 4 Tag 5 Tag 6<br />
Abb. 2: Zeitliche Verläufe von Hirn- und Serumglukose <strong>bei</strong> einem Patienten mit viraler Encephalitis.<br />
Die grüne Linie repräsentiert den Schwellenwert von 0.7 mmol/l der zerebralen Glukose,<br />
die grüne Fläche kennzeichnet den Bereich der Serumglukose zwischen 80 und 110 mg/dl.<br />
Zu sehen ist die Assoziation zwischen Insulingabe und niedrigen zerebralen Glukosewerten,<br />
sowie zwischen Ernährung und steigenden Glukosewerten (modifiziert nach Kofler M, Neurocrit<br />
Care 2016; 25:273-81).<br />
Basierend auf diesen Ergebnissen ist<br />
sowohl auf eine adäquate und – wahrscheinlich<br />
– kontinuierliche Ernährung<br />
<strong>bei</strong> neurologischen Intensivpatienten zu<br />
achten. Weiters ist speziell die Insulintherapie<br />
auf ein notwendiges Minimum<br />
zu beschränken, da die Gabe von Insulin<br />
zu kritisch niedrigen Hirn-Glukosespiegeln<br />
führen kann, auch wenn<br />
die Blutzuckerwerte im Normbereich<br />
liegen.<br />
Eine intensive Insulintherapie kann<br />
zu einer Unterversorgung des Gehirns<br />
mit Glukose führen und sich gerade im<br />
akuten Stadium der infektiösen Hirnerkrankung<br />
negativ auswirken. Daher<br />
muss diese Strategie bereits im Moment<br />
als sehr kritisch betrachtet werden und<br />
sollte besonders <strong>bei</strong> Patienten mit einer<br />
schweren zerebralen Pathologie,<br />
inklusive neuro-infektiologischen Erkrankungen,<br />
vermieden werden.<br />
Ein anzustrebender Zielwert der systemischen<br />
Glukose sollte <strong>bei</strong> 130-180 mg/<br />
dl liegen. Hier sollte noch einmal betont<br />
werden, dass eine Hyperglykämie<br />
(>200 mg/dl) <strong>bei</strong> allen Patienten vermieden<br />
werden soll.<br />
Interessenkonflikte: Keine<br />
Dr. Mario Kofler<br />
Priv.-Doz. Dr. Raimund Helbok<br />
Universitätsklinik für Neurologie<br />
Neurologische Intensivstation<br />
Medizinische Universität<br />
Innsbruck<br />
raimund.helbok@i-med.ac.at<br />
Nr. 3, 2017