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zwischen glauser und poe

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hoffmanns. auch der Maler, der aufgr<strong>und</strong><br />

der liebeserfüllung im leben als Künstler<br />

impotent wird, ist ein Motiv aus dieser Erzählung.<br />

«alles still» handelt vom luzerner Patriziertum,<br />

vom Katholizismus, vom totentanz.<br />

all das sind relikte aus einer anderen<br />

Epoche.<br />

ich hab versucht, den geist dieser stadt zu<br />

erfassen. Was hat sie geprägt? Was prägt sie<br />

noch heute? ich wollte ein bewusstsein<br />

entwickeln, das weitergeht als unser eigenes<br />

leben. ich glaube, dass diese Elemente<br />

alle noch da sind <strong>und</strong> die stadt auch in zukunft<br />

prägen werden.<br />

die totentänze halte ich für eine wahnsinnige<br />

kulturelle Errungenschaft. den Menschen<br />

so den Wert des lebens aufzuzeigen,<br />

indem man ihnen ihre Endlichkeit vor augen<br />

hält. auch waren diese gemälde – vermehrt<br />

noch in der protestantischen tradition<br />

– die einzige Möglichkeit, die damalige<br />

obrigkeit kritisch bis satirisch abzubilden.<br />

auch das geschlecht der Pfyffer <strong>und</strong> die<br />

Jesuiten waren teil dieser obrigkeit.<br />

der berühmteste der dynastie war ludwig<br />

Pfyffer, der auch «der schweizerkönig» genannt<br />

wurde. Er agierte im söldnerwesen<br />

<strong>und</strong> war am schluss so reich, dass es hiess,<br />

selbst der französische König sei bei ihm<br />

verschuldet. auch war er ein grosser Förderer<br />

der gegenreformation, holte die Jesuiten<br />

nach luzern, die ein für die damalige<br />

zeit hochmodernes schulsystem errichteten<br />

<strong>und</strong> allgemein luzern zu einer<br />

bedeutenden drehscheibe der gegenreformation<br />

machten. die Jesuiten legten ja das<br />

christentum bekanntlich sehr humanistisch<br />

aus. bei der beichte beispielsweise<br />

musste nicht nur das Vergehen, sondern<br />

auch die beweggründe, die dazu geführt<br />

haben, dargelegt werden. Je nachdem war<br />

eine sünde weniger sündhaft. diese betonung<br />

der freien selbstbestimmung steht<br />

im gegensatz zu den Protestanten, wo per<br />

se nicht gesündigt wird, oder den augustinern<br />

<strong>und</strong> den dominikanern mit ihrer rigiden<br />

Erbsündenlehre.<br />

sie streuen beim ich-Erzähler immer wieder<br />

Elemente ein, die auf den autor verweisen.<br />

Er hat vor einiger zeit einen roman<br />

herausgegeben namens «durst», er<br />

beat portMann<br />

bezieht sich auf rezensionen <strong>und</strong> leserrückmeldungen,<br />

er erlebt einen slam, bei<br />

dem ihm sehr unwohl ist. Es scheint fast,<br />

als sollte sich der leser gedanken machen,<br />

ob schriftsteller <strong>und</strong> ich-Erzähler deckungsgleich<br />

sind.<br />

Ja wer sagt, dass sie es nicht sind (lacht)!?<br />

dieses doppelgängermotiv ist ja auch ein<br />

romantisches Element. bei «alles still»<br />

hab ich das lustvoller zelebriert, mehr damit<br />

gespielt als noch in «durst». <strong>und</strong> ich<br />

finde halt einfach, dass die ich-Perspektive<br />

die aufrichtigste ist. dieses Übergeordnete,<br />

wo du wirklich zu allen Figuren die<br />

gleiche Empathie entwickeln solltest, nehme<br />

ich nur extrem wenigen schriftstellern<br />

ab, wie etwa thomas Mann oder ivo andric.<br />

Es ist auch etwas Widernatürliches.<br />

niemand hat so eine sicht. ausser vielleicht<br />

gott.<br />

auch der schreibprozess wird immer wieder<br />

zum thema.<br />

ich mag das beim lesen, wenn ich sehe,<br />

dass es kein zufall ist, dass dieser text jetzt<br />

vor mir liegt – wenn das buch quasi zu einem<br />

teil der geschichte wird. deshalb<br />

wollte ich bei «alles still» dem leser die<br />

fiktive Entstehungsgeschichte nicht vorenthalten.<br />

Was ist momentan literarisch bei ihnen<br />

am Entstehen?<br />

Es wird noch einen dritten «Krimi-roman»<br />

geben, an dem ich jetzt arbeite, der<br />

sich aber eher wieder in richtung von<br />

«durst» bewegt, bedeutend politischer ist<br />

<strong>und</strong> im weitesten sinn vom europäischen<br />

Verhältnis zum islam handelt mit sicht auf<br />

dessen jahrh<strong>und</strong>ertelange Präsenz in Europa<br />

<strong>und</strong> die fruchtbare zusammenarbeit,<br />

wie beispielsweise in andalusien oder sizilien.<br />

aber auch Emmenbrücke, wo eine<br />

bosnische Moschee steht, wird wieder eine<br />

wichtige rolle spielen.<br />

Beat Portmann, Jahrgang 1976, wuchs in<br />

Luzern <strong>und</strong> Emmenbrücke auf. 2008 erschien<br />

sein Romandebüt «Durst», das mittlerweile ins<br />

Albanische übersetzt wurde. Heute lebt Portmann<br />

als freier Autor <strong>und</strong> Singer/Songwriter in<br />

Emmenbrücke.<br />

21<br />

Beat Portmann: Alles still. Roman.<br />

Limmat Verlag, Zürich 2011. 235 Seiten. Ca. Fr. 34.–<br />

Buchtaufe: DO 20. Oktober, 19.30 Uhr,<br />

Hotel Wilden Mann Luzern<br />

REiGEN DER LEBENDEN<br />

ph. salesia Pfyffer, eine junge Frau aus einem<br />

alteingesessenen luzerner Patriziergeschlecht,<br />

will herausfinden, wer ihr Vater ist. dafür beauftragt<br />

sie einen Privatdetektiv, der eigentlich<br />

schriftsteller ist. als der Pfyffer in der Einsiedler<br />

Familienferienresidenz zum ersten Mal aufsucht,<br />

hat sich ihre Mutter eben das leben genommen.<br />

die spurensuche, auf die sich die auratische<br />

junge Frau <strong>und</strong> der – sehr menschlich gezeichnete<br />

– «Privatdetektiv» begeben, wird immer<br />

mehr zu einer suche nach den eigenen Wurzeln.<br />

sie dringen ein in die Psyche einer stadt, die ihren<br />

bedeutungsverlust bis heute bloss schwer<br />

verkraftet.<br />

Es entspinnt sich eine virtuose geschichte, in<br />

der der autor ein hervorragendes gespür für die<br />

Figuren beweist. Einige von ihnen sind dem leser<br />

bereits aus Portmanns Erstling «durst», der<br />

im buch immer wieder ein thema ist, vertraut.<br />

zuweilen wünscht man sich, Portmann hätte<br />

dieselbe hingabe an die sprache wie an seine<br />

charaktere, aber über alles gesehen fällt das<br />

nicht ins gewicht. «alles still» ist ein lesevergnügen,<br />

spannungsgeladen, aber mit niveau<br />

<strong>und</strong> geschichtsbewusstsein. inhalte, die Werken<br />

dieses genres nur allzu oft abgehen.<br />

Ein fein komponiertes Werk, das sich betont<br />

leger gibt <strong>und</strong> gerade deshalb den graben <strong>zwischen</strong><br />

Vergangenheit <strong>und</strong> gegenwart anstrengungslos<br />

überschreitet. Mit dem erfreulich eigenen<br />

Erzählduktus des autors, so glasklar, dass<br />

man durchaus glauben mag, diese geschichte<br />

habe sich so zugetragen, wie sie auf die seiten<br />

gedruckt steht. Was auch der detailverliebtheit<br />

geschuldet ist, die den inneren Film evoziert.<br />

der roman besticht gleichermassen durch lokalkolorit,<br />

der in keiner zeile verklärend wirkt,<br />

wie durch die spannung <strong>zwischen</strong> salesia Pfyffer<br />

<strong>und</strong> dem ich-Erzähler, die sich still durch die<br />

ganze geschichte anstaut. <strong>und</strong> nicht zuletzt<br />

durch eine Endwendung, die gleichermassen<br />

unerwartet wie aufwühlend ist.

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