12.12.2012 Aufrufe

zwischen glauser und poe

zwischen glauser und poe

zwischen glauser und poe

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>zwischen</strong><br />

<strong>glauser</strong><br />

<strong>und</strong><br />

<strong>poe</strong><br />

«Alles still» heisst Beat Portmanns zweiter Roman, in dem er<br />

der Luzerner Seele auf den Gr<strong>und</strong> geht. Wir trafen den Autor<br />

im «Sopranos» zum Gespräch.<br />

Von Pablo Haller, Bild Bujar Berisha (zvg)<br />

Sein erstling «Durst» liess hoffen. ein<br />

relevanter Krimi, der praktisch vor<br />

der haustür spielte. politisch, den horizont<br />

erweiternd <strong>und</strong> so geschrieben,<br />

dass man ihn in einem happen verschlang.<br />

Danach war es drei jahre ruhig<br />

um den emmenbrückner beat<br />

portmann. bis jetzt, da sein neuster<br />

roman «alles still» erscheint, der in<br />

luzern spielt. Salesia pfyffer, eine junge<br />

Frau aus dem alten patriziergeschlecht,<br />

will erfahren, wer ihr vater<br />

ist. Sie beauftragt mit der Suche einen<br />

Schriftsteller, der sich als privatdetektiv<br />

ausgibt, um an Storys zu kommen.<br />

ihr jüngstes Werk ist je nach lesart ein<br />

Krimi mit liebesgeschichte oder eine liebesgeschichte<br />

mit Krimi-anstrich. der ich-<br />

Erzähler wird von seinem Verleger forciert,<br />

einen Krimi zu schreiben, hätte aber eigentlich<br />

andere literarische Vorstellungen.<br />

der Protagonist <strong>und</strong> ich-Erzähler sieht sich<br />

ja in der tradition der romantiker. als er<br />

seinem Verleger sein neustes Werk vorlegt,<br />

findet dieser zwar den «Versuch, die Prinzipien<br />

romantischer literatur auf den Kontext<br />

des ausgehenden 20. Jahrh<strong>und</strong>erts anzuwenden»,<br />

«eigentlich sehr interessant»,<br />

möchte aber trotzdem lieber noch einen<br />

Krimi, weil er findet, der autor habe<br />

«wirklich talent dazu». auch in der realität<br />

kam die idee, nach «durst» einen weiteren<br />

Krimi zu schreiben, von meinem<br />

Verleger. Jedoch hoffe ich, er würde mir<br />

gegenüber bei anderen literaturgattungen<br />

nicht so reagieren (lacht). aber mit den<br />

Krimielementen habe ich mich schon am<br />

schwersten getan. ich fühle mich auch<br />

20<br />

nicht als Krimi-Experte, dafür lese ich zu<br />

wenige Krimis. ich versuche einfach spannungsbögen<br />

zu bauen, rätsel einzuflechten<br />

– ich finde schon, dass ein buch eine<br />

gewisse spannung haben sollte.<br />

Was lesen sie? Von was lassen sie sich inspirieren?<br />

grossartig finde ich Michael chabon, besonders<br />

«Wonderboys», aber auch orhan<br />

Pamuks «das Museum der unschuld»,<br />

oder alex capus, in dessen olten ich eine<br />

gewisse seelenverwandtschaft mit meinem<br />

Emmenbrücke entdeckte. <strong>und</strong> natürlich<br />

die romantische literatur, was ja auch<br />

in «alles still» einfloss. ich las vermehrt<br />

wieder E.t.a. hoffmann <strong>und</strong> Edgar allen<br />

Poe (von dem auch das Eingangszitat ins<br />

buch ist, anm. d. red). die Figur von salesia<br />

Pfyffer ist beispielsweise an Poes ligeia<br />

angelehnt, der Jesuit, der im Verlauf des<br />

romans auftaucht, trägt fast den gleichen<br />

namen wie ein Jesuit aus einer Erzählung


hoffmanns. auch der Maler, der aufgr<strong>und</strong><br />

der liebeserfüllung im leben als Künstler<br />

impotent wird, ist ein Motiv aus dieser Erzählung.<br />

«alles still» handelt vom luzerner Patriziertum,<br />

vom Katholizismus, vom totentanz.<br />

all das sind relikte aus einer anderen<br />

Epoche.<br />

ich hab versucht, den geist dieser stadt zu<br />

erfassen. Was hat sie geprägt? Was prägt sie<br />

noch heute? ich wollte ein bewusstsein<br />

entwickeln, das weitergeht als unser eigenes<br />

leben. ich glaube, dass diese Elemente<br />

alle noch da sind <strong>und</strong> die stadt auch in zukunft<br />

prägen werden.<br />

die totentänze halte ich für eine wahnsinnige<br />

kulturelle Errungenschaft. den Menschen<br />

so den Wert des lebens aufzuzeigen,<br />

indem man ihnen ihre Endlichkeit vor augen<br />

hält. auch waren diese gemälde – vermehrt<br />

noch in der protestantischen tradition<br />

– die einzige Möglichkeit, die damalige<br />

obrigkeit kritisch bis satirisch abzubilden.<br />

auch das geschlecht der Pfyffer <strong>und</strong> die<br />

Jesuiten waren teil dieser obrigkeit.<br />

der berühmteste der dynastie war ludwig<br />

Pfyffer, der auch «der schweizerkönig» genannt<br />

wurde. Er agierte im söldnerwesen<br />

<strong>und</strong> war am schluss so reich, dass es hiess,<br />

selbst der französische König sei bei ihm<br />

verschuldet. auch war er ein grosser Förderer<br />

der gegenreformation, holte die Jesuiten<br />

nach luzern, die ein für die damalige<br />

zeit hochmodernes schulsystem errichteten<br />

<strong>und</strong> allgemein luzern zu einer<br />

bedeutenden drehscheibe der gegenreformation<br />

machten. die Jesuiten legten ja das<br />

christentum bekanntlich sehr humanistisch<br />

aus. bei der beichte beispielsweise<br />

musste nicht nur das Vergehen, sondern<br />

auch die beweggründe, die dazu geführt<br />

haben, dargelegt werden. Je nachdem war<br />

eine sünde weniger sündhaft. diese betonung<br />

der freien selbstbestimmung steht<br />

im gegensatz zu den Protestanten, wo per<br />

se nicht gesündigt wird, oder den augustinern<br />

<strong>und</strong> den dominikanern mit ihrer rigiden<br />

Erbsündenlehre.<br />

sie streuen beim ich-Erzähler immer wieder<br />

Elemente ein, die auf den autor verweisen.<br />

Er hat vor einiger zeit einen roman<br />

herausgegeben namens «durst», er<br />

beat portMann<br />

bezieht sich auf rezensionen <strong>und</strong> leserrückmeldungen,<br />

er erlebt einen slam, bei<br />

dem ihm sehr unwohl ist. Es scheint fast,<br />

als sollte sich der leser gedanken machen,<br />

ob schriftsteller <strong>und</strong> ich-Erzähler deckungsgleich<br />

sind.<br />

Ja wer sagt, dass sie es nicht sind (lacht)!?<br />

dieses doppelgängermotiv ist ja auch ein<br />

romantisches Element. bei «alles still»<br />

hab ich das lustvoller zelebriert, mehr damit<br />

gespielt als noch in «durst». <strong>und</strong> ich<br />

finde halt einfach, dass die ich-Perspektive<br />

die aufrichtigste ist. dieses Übergeordnete,<br />

wo du wirklich zu allen Figuren die<br />

gleiche Empathie entwickeln solltest, nehme<br />

ich nur extrem wenigen schriftstellern<br />

ab, wie etwa thomas Mann oder ivo andric.<br />

Es ist auch etwas Widernatürliches.<br />

niemand hat so eine sicht. ausser vielleicht<br />

gott.<br />

auch der schreibprozess wird immer wieder<br />

zum thema.<br />

ich mag das beim lesen, wenn ich sehe,<br />

dass es kein zufall ist, dass dieser text jetzt<br />

vor mir liegt – wenn das buch quasi zu einem<br />

teil der geschichte wird. deshalb<br />

wollte ich bei «alles still» dem leser die<br />

fiktive Entstehungsgeschichte nicht vorenthalten.<br />

Was ist momentan literarisch bei ihnen<br />

am Entstehen?<br />

Es wird noch einen dritten «Krimi-roman»<br />

geben, an dem ich jetzt arbeite, der<br />

sich aber eher wieder in richtung von<br />

«durst» bewegt, bedeutend politischer ist<br />

<strong>und</strong> im weitesten sinn vom europäischen<br />

Verhältnis zum islam handelt mit sicht auf<br />

dessen jahrh<strong>und</strong>ertelange Präsenz in Europa<br />

<strong>und</strong> die fruchtbare zusammenarbeit,<br />

wie beispielsweise in andalusien oder sizilien.<br />

aber auch Emmenbrücke, wo eine<br />

bosnische Moschee steht, wird wieder eine<br />

wichtige rolle spielen.<br />

Beat Portmann, Jahrgang 1976, wuchs in<br />

Luzern <strong>und</strong> Emmenbrücke auf. 2008 erschien<br />

sein Romandebüt «Durst», das mittlerweile ins<br />

Albanische übersetzt wurde. Heute lebt Portmann<br />

als freier Autor <strong>und</strong> Singer/Songwriter in<br />

Emmenbrücke.<br />

21<br />

Beat Portmann: Alles still. Roman.<br />

Limmat Verlag, Zürich 2011. 235 Seiten. Ca. Fr. 34.–<br />

Buchtaufe: DO 20. Oktober, 19.30 Uhr,<br />

Hotel Wilden Mann Luzern<br />

REiGEN DER LEBENDEN<br />

ph. salesia Pfyffer, eine junge Frau aus einem<br />

alteingesessenen luzerner Patriziergeschlecht,<br />

will herausfinden, wer ihr Vater ist. dafür beauftragt<br />

sie einen Privatdetektiv, der eigentlich<br />

schriftsteller ist. als der Pfyffer in der Einsiedler<br />

Familienferienresidenz zum ersten Mal aufsucht,<br />

hat sich ihre Mutter eben das leben genommen.<br />

die spurensuche, auf die sich die auratische<br />

junge Frau <strong>und</strong> der – sehr menschlich gezeichnete<br />

– «Privatdetektiv» begeben, wird immer<br />

mehr zu einer suche nach den eigenen Wurzeln.<br />

sie dringen ein in die Psyche einer stadt, die ihren<br />

bedeutungsverlust bis heute bloss schwer<br />

verkraftet.<br />

Es entspinnt sich eine virtuose geschichte, in<br />

der der autor ein hervorragendes gespür für die<br />

Figuren beweist. Einige von ihnen sind dem leser<br />

bereits aus Portmanns Erstling «durst», der<br />

im buch immer wieder ein thema ist, vertraut.<br />

zuweilen wünscht man sich, Portmann hätte<br />

dieselbe hingabe an die sprache wie an seine<br />

charaktere, aber über alles gesehen fällt das<br />

nicht ins gewicht. «alles still» ist ein lesevergnügen,<br />

spannungsgeladen, aber mit niveau<br />

<strong>und</strong> geschichtsbewusstsein. inhalte, die Werken<br />

dieses genres nur allzu oft abgehen.<br />

Ein fein komponiertes Werk, das sich betont<br />

leger gibt <strong>und</strong> gerade deshalb den graben <strong>zwischen</strong><br />

Vergangenheit <strong>und</strong> gegenwart anstrengungslos<br />

überschreitet. Mit dem erfreulich eigenen<br />

Erzählduktus des autors, so glasklar, dass<br />

man durchaus glauben mag, diese geschichte<br />

habe sich so zugetragen, wie sie auf die seiten<br />

gedruckt steht. Was auch der detailverliebtheit<br />

geschuldet ist, die den inneren Film evoziert.<br />

der roman besticht gleichermassen durch lokalkolorit,<br />

der in keiner zeile verklärend wirkt,<br />

wie durch die spannung <strong>zwischen</strong> salesia Pfyffer<br />

<strong>und</strong> dem ich-Erzähler, die sich still durch die<br />

ganze geschichte anstaut. <strong>und</strong> nicht zuletzt<br />

durch eine Endwendung, die gleichermassen<br />

unerwartet wie aufwühlend ist.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!