zwischen glauser und poe
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zwischen glauser und poe
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<strong>zwischen</strong><br />
<strong>glauser</strong><br />
<strong>und</strong><br />
<strong>poe</strong><br />
«Alles still» heisst Beat Portmanns zweiter Roman, in dem er<br />
der Luzerner Seele auf den Gr<strong>und</strong> geht. Wir trafen den Autor<br />
im «Sopranos» zum Gespräch.<br />
Von Pablo Haller, Bild Bujar Berisha (zvg)<br />
Sein erstling «Durst» liess hoffen. ein<br />
relevanter Krimi, der praktisch vor<br />
der haustür spielte. politisch, den horizont<br />
erweiternd <strong>und</strong> so geschrieben,<br />
dass man ihn in einem happen verschlang.<br />
Danach war es drei jahre ruhig<br />
um den emmenbrückner beat<br />
portmann. bis jetzt, da sein neuster<br />
roman «alles still» erscheint, der in<br />
luzern spielt. Salesia pfyffer, eine junge<br />
Frau aus dem alten patriziergeschlecht,<br />
will erfahren, wer ihr vater<br />
ist. Sie beauftragt mit der Suche einen<br />
Schriftsteller, der sich als privatdetektiv<br />
ausgibt, um an Storys zu kommen.<br />
ihr jüngstes Werk ist je nach lesart ein<br />
Krimi mit liebesgeschichte oder eine liebesgeschichte<br />
mit Krimi-anstrich. der ich-<br />
Erzähler wird von seinem Verleger forciert,<br />
einen Krimi zu schreiben, hätte aber eigentlich<br />
andere literarische Vorstellungen.<br />
der Protagonist <strong>und</strong> ich-Erzähler sieht sich<br />
ja in der tradition der romantiker. als er<br />
seinem Verleger sein neustes Werk vorlegt,<br />
findet dieser zwar den «Versuch, die Prinzipien<br />
romantischer literatur auf den Kontext<br />
des ausgehenden 20. Jahrh<strong>und</strong>erts anzuwenden»,<br />
«eigentlich sehr interessant»,<br />
möchte aber trotzdem lieber noch einen<br />
Krimi, weil er findet, der autor habe<br />
«wirklich talent dazu». auch in der realität<br />
kam die idee, nach «durst» einen weiteren<br />
Krimi zu schreiben, von meinem<br />
Verleger. Jedoch hoffe ich, er würde mir<br />
gegenüber bei anderen literaturgattungen<br />
nicht so reagieren (lacht). aber mit den<br />
Krimielementen habe ich mich schon am<br />
schwersten getan. ich fühle mich auch<br />
20<br />
nicht als Krimi-Experte, dafür lese ich zu<br />
wenige Krimis. ich versuche einfach spannungsbögen<br />
zu bauen, rätsel einzuflechten<br />
– ich finde schon, dass ein buch eine<br />
gewisse spannung haben sollte.<br />
Was lesen sie? Von was lassen sie sich inspirieren?<br />
grossartig finde ich Michael chabon, besonders<br />
«Wonderboys», aber auch orhan<br />
Pamuks «das Museum der unschuld»,<br />
oder alex capus, in dessen olten ich eine<br />
gewisse seelenverwandtschaft mit meinem<br />
Emmenbrücke entdeckte. <strong>und</strong> natürlich<br />
die romantische literatur, was ja auch<br />
in «alles still» einfloss. ich las vermehrt<br />
wieder E.t.a. hoffmann <strong>und</strong> Edgar allen<br />
Poe (von dem auch das Eingangszitat ins<br />
buch ist, anm. d. red). die Figur von salesia<br />
Pfyffer ist beispielsweise an Poes ligeia<br />
angelehnt, der Jesuit, der im Verlauf des<br />
romans auftaucht, trägt fast den gleichen<br />
namen wie ein Jesuit aus einer Erzählung
hoffmanns. auch der Maler, der aufgr<strong>und</strong><br />
der liebeserfüllung im leben als Künstler<br />
impotent wird, ist ein Motiv aus dieser Erzählung.<br />
«alles still» handelt vom luzerner Patriziertum,<br />
vom Katholizismus, vom totentanz.<br />
all das sind relikte aus einer anderen<br />
Epoche.<br />
ich hab versucht, den geist dieser stadt zu<br />
erfassen. Was hat sie geprägt? Was prägt sie<br />
noch heute? ich wollte ein bewusstsein<br />
entwickeln, das weitergeht als unser eigenes<br />
leben. ich glaube, dass diese Elemente<br />
alle noch da sind <strong>und</strong> die stadt auch in zukunft<br />
prägen werden.<br />
die totentänze halte ich für eine wahnsinnige<br />
kulturelle Errungenschaft. den Menschen<br />
so den Wert des lebens aufzuzeigen,<br />
indem man ihnen ihre Endlichkeit vor augen<br />
hält. auch waren diese gemälde – vermehrt<br />
noch in der protestantischen tradition<br />
– die einzige Möglichkeit, die damalige<br />
obrigkeit kritisch bis satirisch abzubilden.<br />
auch das geschlecht der Pfyffer <strong>und</strong> die<br />
Jesuiten waren teil dieser obrigkeit.<br />
der berühmteste der dynastie war ludwig<br />
Pfyffer, der auch «der schweizerkönig» genannt<br />
wurde. Er agierte im söldnerwesen<br />
<strong>und</strong> war am schluss so reich, dass es hiess,<br />
selbst der französische König sei bei ihm<br />
verschuldet. auch war er ein grosser Förderer<br />
der gegenreformation, holte die Jesuiten<br />
nach luzern, die ein für die damalige<br />
zeit hochmodernes schulsystem errichteten<br />
<strong>und</strong> allgemein luzern zu einer<br />
bedeutenden drehscheibe der gegenreformation<br />
machten. die Jesuiten legten ja das<br />
christentum bekanntlich sehr humanistisch<br />
aus. bei der beichte beispielsweise<br />
musste nicht nur das Vergehen, sondern<br />
auch die beweggründe, die dazu geführt<br />
haben, dargelegt werden. Je nachdem war<br />
eine sünde weniger sündhaft. diese betonung<br />
der freien selbstbestimmung steht<br />
im gegensatz zu den Protestanten, wo per<br />
se nicht gesündigt wird, oder den augustinern<br />
<strong>und</strong> den dominikanern mit ihrer rigiden<br />
Erbsündenlehre.<br />
sie streuen beim ich-Erzähler immer wieder<br />
Elemente ein, die auf den autor verweisen.<br />
Er hat vor einiger zeit einen roman<br />
herausgegeben namens «durst», er<br />
beat portMann<br />
bezieht sich auf rezensionen <strong>und</strong> leserrückmeldungen,<br />
er erlebt einen slam, bei<br />
dem ihm sehr unwohl ist. Es scheint fast,<br />
als sollte sich der leser gedanken machen,<br />
ob schriftsteller <strong>und</strong> ich-Erzähler deckungsgleich<br />
sind.<br />
Ja wer sagt, dass sie es nicht sind (lacht)!?<br />
dieses doppelgängermotiv ist ja auch ein<br />
romantisches Element. bei «alles still»<br />
hab ich das lustvoller zelebriert, mehr damit<br />
gespielt als noch in «durst». <strong>und</strong> ich<br />
finde halt einfach, dass die ich-Perspektive<br />
die aufrichtigste ist. dieses Übergeordnete,<br />
wo du wirklich zu allen Figuren die<br />
gleiche Empathie entwickeln solltest, nehme<br />
ich nur extrem wenigen schriftstellern<br />
ab, wie etwa thomas Mann oder ivo andric.<br />
Es ist auch etwas Widernatürliches.<br />
niemand hat so eine sicht. ausser vielleicht<br />
gott.<br />
auch der schreibprozess wird immer wieder<br />
zum thema.<br />
ich mag das beim lesen, wenn ich sehe,<br />
dass es kein zufall ist, dass dieser text jetzt<br />
vor mir liegt – wenn das buch quasi zu einem<br />
teil der geschichte wird. deshalb<br />
wollte ich bei «alles still» dem leser die<br />
fiktive Entstehungsgeschichte nicht vorenthalten.<br />
Was ist momentan literarisch bei ihnen<br />
am Entstehen?<br />
Es wird noch einen dritten «Krimi-roman»<br />
geben, an dem ich jetzt arbeite, der<br />
sich aber eher wieder in richtung von<br />
«durst» bewegt, bedeutend politischer ist<br />
<strong>und</strong> im weitesten sinn vom europäischen<br />
Verhältnis zum islam handelt mit sicht auf<br />
dessen jahrh<strong>und</strong>ertelange Präsenz in Europa<br />
<strong>und</strong> die fruchtbare zusammenarbeit,<br />
wie beispielsweise in andalusien oder sizilien.<br />
aber auch Emmenbrücke, wo eine<br />
bosnische Moschee steht, wird wieder eine<br />
wichtige rolle spielen.<br />
Beat Portmann, Jahrgang 1976, wuchs in<br />
Luzern <strong>und</strong> Emmenbrücke auf. 2008 erschien<br />
sein Romandebüt «Durst», das mittlerweile ins<br />
Albanische übersetzt wurde. Heute lebt Portmann<br />
als freier Autor <strong>und</strong> Singer/Songwriter in<br />
Emmenbrücke.<br />
21<br />
Beat Portmann: Alles still. Roman.<br />
Limmat Verlag, Zürich 2011. 235 Seiten. Ca. Fr. 34.–<br />
Buchtaufe: DO 20. Oktober, 19.30 Uhr,<br />
Hotel Wilden Mann Luzern<br />
REiGEN DER LEBENDEN<br />
ph. salesia Pfyffer, eine junge Frau aus einem<br />
alteingesessenen luzerner Patriziergeschlecht,<br />
will herausfinden, wer ihr Vater ist. dafür beauftragt<br />
sie einen Privatdetektiv, der eigentlich<br />
schriftsteller ist. als der Pfyffer in der Einsiedler<br />
Familienferienresidenz zum ersten Mal aufsucht,<br />
hat sich ihre Mutter eben das leben genommen.<br />
die spurensuche, auf die sich die auratische<br />
junge Frau <strong>und</strong> der – sehr menschlich gezeichnete<br />
– «Privatdetektiv» begeben, wird immer<br />
mehr zu einer suche nach den eigenen Wurzeln.<br />
sie dringen ein in die Psyche einer stadt, die ihren<br />
bedeutungsverlust bis heute bloss schwer<br />
verkraftet.<br />
Es entspinnt sich eine virtuose geschichte, in<br />
der der autor ein hervorragendes gespür für die<br />
Figuren beweist. Einige von ihnen sind dem leser<br />
bereits aus Portmanns Erstling «durst», der<br />
im buch immer wieder ein thema ist, vertraut.<br />
zuweilen wünscht man sich, Portmann hätte<br />
dieselbe hingabe an die sprache wie an seine<br />
charaktere, aber über alles gesehen fällt das<br />
nicht ins gewicht. «alles still» ist ein lesevergnügen,<br />
spannungsgeladen, aber mit niveau<br />
<strong>und</strong> geschichtsbewusstsein. inhalte, die Werken<br />
dieses genres nur allzu oft abgehen.<br />
Ein fein komponiertes Werk, das sich betont<br />
leger gibt <strong>und</strong> gerade deshalb den graben <strong>zwischen</strong><br />
Vergangenheit <strong>und</strong> gegenwart anstrengungslos<br />
überschreitet. Mit dem erfreulich eigenen<br />
Erzählduktus des autors, so glasklar, dass<br />
man durchaus glauben mag, diese geschichte<br />
habe sich so zugetragen, wie sie auf die seiten<br />
gedruckt steht. Was auch der detailverliebtheit<br />
geschuldet ist, die den inneren Film evoziert.<br />
der roman besticht gleichermassen durch lokalkolorit,<br />
der in keiner zeile verklärend wirkt,<br />
wie durch die spannung <strong>zwischen</strong> salesia Pfyffer<br />
<strong>und</strong> dem ich-Erzähler, die sich still durch die<br />
ganze geschichte anstaut. <strong>und</strong> nicht zuletzt<br />
durch eine Endwendung, die gleichermassen<br />
unerwartet wie aufwühlend ist.