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„Venus mit Amor“

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„Venus <strong>mit</strong> Amor“<br />

Eine ikonographische Bildanalyse nach<br />

Panofsky.<br />

Jördis Grabow<br />

01.03.2010


Die vorliegende Arbeit ist eine ikonographische Analyse nach Panofsky zum<br />

Gemälde „Venus <strong>mit</strong> Amor“ von Lucas Cranach der Ältere. Das Gemälde ist auf 1515<br />

datiert und befindet sich in der Sammlung der Landesgalerie Hannover.<br />

I Vor‐Ikonographie<br />

Biografie<br />

Lucas ‚Cranach‘ wurde 1472 im fränkischen Kronach als Sohn von Hans ‚Maler‘ oder<br />

‚Moller‘ geboren. Vermutlich lautete der Familienname ‚Moller‘, und ‚Maler‘ diente<br />

lediglich als Berufsbezeichnung des Vaters. Dies wird in einem später datierten<br />

Gedicht von Georg Sibutus, in dem von „Pictor Lucas Moller“ (Hinz 2003, S.7) die<br />

Rede ist, deutlich. Der in die Kunstgeschichte eingegangene Lucas Cranach nutzte<br />

Zeit seines Lebens vermutlich stets seinen Geburtsort ‚Kronach‘ / ‚Cranach‘ als<br />

Familiennamen. Obwohl es nur wenige Aufzeichnungen über den Vater sowie die<br />

jungen Jahre Cranachs gibt, kann aufgrund der Namenswahl ‚Lucas‘ davon<br />

ausgegangen werden, dass der Vater ebenfalls als Maler tätig war, da der Evangelist<br />

Lukas als Schutzpatron der Maler galt. Einige wenige Dokumente bieten Anlass zur<br />

Annahme, dass Lucas in der väterlichen Werkstatt lernte und auch die damals<br />

übliche Wanderschaft antrat. Es bestehen keine Aufzeichnungen, die über Cranachs<br />

Schulbildung Auskunft geben. Allerdings kann aufgrund des Standes der Familie von<br />

einer nicht sehr hohen Bildung ausgegangen werden. In einem Lobgedicht von<br />

Andreas Bodenstein, gen. Karlstadt, von 1509 heißt es allerdings über den Maler:<br />

„Seinem Mund entströmt voller Scharfsinn lateinische Rede; doch der Verkleinerer<br />

Schar schweigt <strong>mit</strong> Verachtung er tot“ (Lüdecke in Hinz 2003: 8). Vermutlich<br />

versuchte der aufsteigende, junge Maler sein Niveau an sein Umfeld anzupassen. In<br />

einem für damalige Verhältnisse spätem Alter von circa dreißig Jahren tritt der<br />

Maler auf die Bühne der Kunstgeschichte. Andere Künstler der Zeit wie Dürer oder<br />

Raffael, schufen in diesem Alter bereits die Hauptwerke ihres Schaffens.<br />

1501 ging Cranach nach Wien. Auch hier kann nur vermutet werden, dass er dem<br />

Ruf einer Leitfigur nacheilte, da das damalige Wien zwar Sitz der Habsburger war,<br />

auf dem Kunstmarkt jedoch keine besondere Rolle einnahm. Vielmehr übte Wien<br />

<strong>mit</strong> seiner Universität und dem dortigen humanistischen Bildungsideal eine enorme<br />

Anziehungskraft auf Intellektuelle aus und das zunehmende Interesse an<br />

2


Wissenschaft und Kunst stellte für Cranach wahrscheinlich eine gute Atmosphäre<br />

zur Weiterentwicklung dar. Zum Kreis der Wiener Intellektuellen zählten auch Celtis<br />

und Cuspinian, die äußert einflussreich <strong>mit</strong> ihren geistigen Werken auf den<br />

deutschen Humanismus wirkten.<br />

1504 eilte Cranach dem Ruf des Kurfürsten Friedrich des Weisen von Sachsen an<br />

den kursächsischen Hof nach, der ihn <strong>mit</strong> der Stelle des Hofmalers bedachte. Ein<br />

Jahr später zog Cranach nach Wittenberg und eröffnetet seine Werkstatt. Bis zu<br />

seinem Tod 1553 in Weimar blieb er im Dienst am Hof und lebte <strong>mit</strong> seiner Familie<br />

in Wittenberg.<br />

Cranachs Umfeld<br />

Cranach, der in seiner Werkstatt in Wittenberg Auftragsarbeiten für den Kurfürsten<br />

Friedrich den Weisen von Sachsen anfertigte, verband eine enge Freundschaft zum<br />

Reformisten Martin Luther, der 1511 nach Wittenberg übersiedelte und 1512 seine<br />

Lehretätigkeit über die Bibel an der Universität zu Wittenberg aufnahm. Diese<br />

Freundschaft reichte soweit, dass Cranach Taufpate Luthers Tochter Anna wurde<br />

(vgl. Lüdecke, 1953).<br />

Friedrich der Weise, der auch Celtis als Poeten und Universalgelehrten sehr<br />

schätzte, war ein großer Gönner der damaligen Künstlerq. So beauftragte er auch<br />

Dürer <strong>mit</strong> Gemäldeaufträgen. Wie auch Cranach pflegte Dürer engen Kontakt zu<br />

den damalig führenden Humanisten. Es lässt sich vermuten, dass Cranach aufgrund<br />

seiner Kontakte in Wien dem Kurfürsten als Hofmaler vorgeschlagen wurde. Das<br />

humanistisch geprägte Umfeld, in dem Cranach bereits zu Wiener Zeiten bekannt<br />

war, verhalf ihm in eine angesehene Position als Maler und führte ihn in die<br />

Universitätsstadt Wittenberg, in der unter anderem auch Christoph Scheurl, Jurist<br />

und Humanist, lehrte (vgl. Matsche, 1996).<br />

Der Humanismus ist ein Rückbezug auf die römische Antike. Die Mythologie als<br />

Hauptbestandteil dieser Zeit erlebte im Humanismus eine regelrechte<br />

Wiedergeburt. Wittenberg war damals durch seine Universität, an der<br />

humanistische Lehre abgehalten wurde, äußerst geschätzt. Ein lateinisches Gedicht<br />

des Hofpoeten Georg Sibutus Daripinus über ein 1508 abgehaltenes Fest <strong>mit</strong><br />

3


Ritterturnier zeigt, wie der Humanismus und seine Rückbezüge auf die griechische<br />

Mythologie auch zu Hofe Einzug gehalten haben. Denn die Landesherren, Kurfürst<br />

Friedrich der Weise und sein Bruder Herzog Johann der Beständige, werden in dem<br />

Gedicht als die olympischen Gottheiten ‚Apollo‘ und ‚Mars‘ bezeichnet (vgl. Matsch<br />

1996).<br />

Cranach, der als Hofmaler ein Gehalt von 100 Gulden jährlich bekam, war nach<br />

Wittenberger Kämmereirechnungen seit 1507 Haus‐ und Grundbesitzer. Für sein<br />

Wohnhaus am Markt besaß er ein Schankrecht, welches für ihn eine zusätzliche<br />

Einnahmequelle bedeutete. Weiterhin unterhielt er seine Werkstatt <strong>mit</strong> mehreren<br />

Gesellen, was ihm den Ruf des schnellsten Malers 1 einbrachte. 1519 kam er in den<br />

Rat der Stadt, wo er fünfmal das Amt des Krämmers und dreimal das des<br />

Bürgermeisters übernahm. Später erwarb Cranach vom kurfürstlichen Leibarzt eine<br />

Apotheke, die er durch Angestellte leiten ließ (vgl. Lüdecke, 1953).<br />

Bildbeschreibung<br />

Auf dem Gemälde „Venus und Amor“ ist die lebensgroße Aktdarstellung einer Frau<br />

zu sehen, die einen fast durchsichtigen, seidenen Schal unterhalb ihres<br />

Abb. 1: „Venus <strong>mit</strong> Amor“<br />

1 aus Scheurls Widmungsbrief<br />

Schambereichs hält und diesen so<strong>mit</strong> nicht<br />

verdeckt, sondern ‐im Gegenteil‐ eher noch<br />

betont. Um den Hals der Frau ist eine goldene<br />

Kette <strong>mit</strong> einem schwarz eingefassten Stein<br />

gelegt. Sie hat rötliche, leicht gelockte, lange<br />

Haare und ein äußerst blasses Inkarnat. Neben<br />

der Frau steht ein junger Knabe, welcher<br />

ebenfalls keine Kleidung trägt. Jedoch<br />

befinden sich auf seinem Rücken vermeintliche<br />

Engelsflügel. In seinen Händen hält er Pfeil und<br />

Bogen: nicht zum Abfeuern bereit, sondern<br />

schwach im Lendenbereich nach unten<br />

gerichtet. Die rechte Hand der Frau, <strong>mit</strong> der sie<br />

4


das seidene Tuch hält, schwebt über dem Kopf des Knaben. Dieser senkt seinen<br />

Kopf ein wenig zur rechten Seite und schaut leicht nach unten. Die Frau senkt<br />

ebenfalls ihren Kopf, jedoch nach links. Anders als der Knabe, schaut sie nach vorn<br />

als wolle sie den Betrachter anschauen.<br />

Beide stehen auf einem steinartigen Untergrund. Der Hintergrund des Gemäldes ist<br />

fast schwarz. Auf ihm kann man Cranachs Logo finden sowie die Inschrift „OCEANI<br />

QVONDAM SPVMIS VENVS ORTA FEREBAR / NVNC SPVMIS LVCA VIVO“, welche frei<br />

übersetzt „Einst aus dem Schaum des Meeres geboren, wurde ich, Venus, an Land<br />

getragen. Nun, o Lukas, lebe ich, wiedergeboren durch deine Kunst“ bedeutet<br />

(Matsche 1996 S.54). Besonders der Hintergrund, welcher fast ausschließlich<br />

schwarz ist, wirkt enorm auf die Gesamtwirkung des Gemäldes. Schwarz hat das<br />

Vermögen, dem Sujet eine starke, im Falle von Venus und Amor lebensechte<br />

Wirkung zu verleihen. Das blasse Inkarnat wird so<strong>mit</strong> betont und verleiht dem<br />

weiblichen Körper eine kalte, weißliche Marmorartigkeit. Auch die goldene Kette,<br />

die Venus trägt, hat eine ähnliche Wirkung auf die Abbildung (vgl. Hieber 2008). Im<br />

Vergleich zum Knaben, der ein eher rosa farbendes Inkarnat aufweist, wird die<br />

kühle Darstellung des weiblichen Akts um ein Vielfaches hervorgehoben. In der<br />

weiteren Betrachtung des weiblichen Körpers fällt die unnatürliche Beinstellung auf:<br />

ihr rechtes Bein ist in den Vordergrund gestellt, das linke, von dem der<br />

Unterschenkel fasst kaum sichtbar ist, tritt in den Hintergrund. Die Fußstellung<br />

ähnelt der Beinstellung. Der rechte Fuß steht vorn an, der linke ist fast verdeckt<br />

durch den rechten. Zudem steht sie auf den Fußspitzen. Weiterhin ist zu erkennen,<br />

dass der gesamte weibliche Akt eine anatomisch nicht korrekte Abbildung ist. Dies<br />

wird in der Betrachtung der einzelnen Körperbereiche deutlich: der Oberkörper<br />

wirkt im Verhältnis zum Kopf sehr langgezogen, die Kopfform hingegen sehr klein.<br />

Ähnlich dem langen Oberkörper wirken die Beine in ihrer unnatürlichen Haltung<br />

sehr lang und unverhältnismäßig.<br />

5


II Ikonographie<br />

Zur Mythologie von Venus und Amor<br />

Die römische Göttin Venus ist in der Mythologie auch unter dem Namen Aphrodite,<br />

der griechischen Gottheit, zu finden.<br />

Der eifersüchtige Gott Uranos verbarg seine Kinder im Körper Gaias. Diese hielt dem<br />

Druck nicht mehr stand und bat ihre Kinder, Rache an dessen schrecklichen Vater zu<br />

nehmen. Kronos, der einzige der sich wagte, entmannte seinen Vater Uranos <strong>mit</strong><br />

einer aus ‚Adamant 2 ‘ gefertigten Sichel und warf das abgetrennten Glied ins Meer.<br />

Aus dem nun im Meer schwimmenden Glied und dem Schaum entstand Aphrodite<br />

(vgl. Rose, 1982).<br />

Aphrodite erscheint in der Mythologie zwar als Gattin von Hephaistos, dem<br />

Feuergott, jedoch nicht als Vorbildliche. Sie verkörpert in der Mythologie die Göttin<br />

der Liebe und der Lust. Die verschiedenen Auslegungen und Kulte weisen jedoch<br />

einige inhaltliche Differenzen auf: „So ist z.B. in Athen Aphrodite Pandemos («von<br />

allem Volk») eine ruhige und ernsthafte Ehegöttin, in deren Riten nichts Anstößiges<br />

sich begeben zu haben scheint. Die häufige Behauptung, Aphrodite Urania sei die<br />

himmlische, Aphrodite Pandemos die vulgäre und käufliche Liebe, ist erst eine<br />

Deutung Platons“ (Rose, 1982: 124).<br />

Amor, der römische Gott der Liebe, oder besser gesagt, Gott des Verliebens, wird in<br />

der Mythologie oft auch als Cupido (lat. „heftiges Verlangen“ oder „Leidenschaft“)<br />

bezeichnet. Er ist der Sohn von Venus und Mars, dem Gott des Krieges (vgl. Rose,<br />

1982). Amor wird in Abbildungen häufig als kleiner Knabe <strong>mit</strong> Engelsflügeln<br />

dargestellt, der einen Köcher <strong>mit</strong> samt seinen Liebespfeilen bei sich trägt. Der von<br />

seinen Pfeilen Getroffene wird sich unumkehrlich verlieben.<br />

2 unzerbrechliches Metal<br />

6


III Ikonologie<br />

Manierismus<br />

Der Begriff Manierismus kann als ‚Gegenrenaissance‘ verstanden werden, muss und<br />

sollte es jedoch nicht zwangsläufig. Manierismus als Begriff hat sich zu Arnold<br />

Hausers Bedenken in der Kunstwelt stark eingebürgert und trägt oft einen Unterton<br />

der Herabsetzung <strong>mit</strong> sich, obwohl dies eine unkorrekte Annahme ist. Das Wort<br />

Manierismus ähnelt zwar dem der Manier, bedeutet jedoch nicht exakt dasselbe.<br />

Ferner stellt Manier in der Kunst einen Qualitätsbegriff dar, der auf den Stil eines<br />

Künstlers verweist, während Manierismus ein kunstgeschichtlicher Artbegriff ist<br />

(vgl. Hauser, 1964).<br />

Friedländer sieht Manierismus als „Antiklassischen“ Stil. Er meint da<strong>mit</strong> die<br />

„unnormativen, irrationalen und unnaturalistischen“ (Hauser, 1964:12)<br />

Bestrebungen des Künstlers. Er stellt ihn in starken Gegensatz zur Hochrenaissance.<br />

Allerdings enthält der Manierismus nicht weniger naturalistische oder rationale<br />

Züge. Er entspringt aus der „Spannung zwischen Klassik und Antiklassik,<br />

Naturalismus und Formalismus, Rationalismus und Irrationalismus, Sensualismus<br />

und Spiritualismus, Traditionalismus und Neuerungssucht, Konventionalismus und<br />

Revolte gegen jeden Konformismus“ (ebd.). Es stellt einen Protest gegen „alles rein<br />

Vernünftige und naiv Natürliche, das Betonen des Hintergründigen,<br />

Problematischen und Doppelsinnigen, die Übertreibung des Partikularen, das durch<br />

diese Übertreibung auf sein Gegenteil“ (Hauser, 1964: 13), dar. Die Schönheit wird<br />

überspannt, so sehr dass sie ‚zu schön‘ und so<strong>mit</strong> irrational wird. Besonders die<br />

Zwiespältigkeit der Werke steht dabei im Vordergrund, ebenso eine unvermeidliche<br />

Zweideutigkeit: der Manierismus zeigt oder verweist auf Paradoxe und ist selbst ein<br />

Paradoxon. Ein Zeitalter, das seine Gedankenwelt und Wesensart in ein Paradoxon<br />

stellt, spiegelt sich in der Prädestinationslehre des Protestantismus wider: Erwählt<br />

sein ohne Verdienst, Gewissheit ohne Wissen, der Glaube selbst als das größte<br />

Paradoxon. Der Glaube an die Prädestination, den freien Willen als Gottesgnade,<br />

des Erwählt seins ohne Verdienst, ist nicht nur ein Paradoxon, sondern hebt den<br />

Begriff der Sünde komplett auf (vgl. Hauser, 1964).<br />

7


Reformation und Manierismus<br />

Die Reformation bedeutet trotz ihrer Rückkehr zu gewisser <strong>mit</strong>telalterlicher<br />

Religiosität ebenso einen Bruch <strong>mit</strong> der Renaissance wie auch <strong>mit</strong> der Kirche des<br />

Mittelalters. Oft wird sie als die kopernikanische Wendung der Religion bezeichnet.<br />

Nicht mehr die Kirche, sondern das Individuum ist der maßgebende Faktor des<br />

religiösen Lebens. Das Individuum stellt nun den Ausgangs‐ und Mittelpunkt des<br />

Glaubens dar, der Einzelne steht in einem Kindschaftsverhältnis zu Gott und seinem<br />

Heil, das keinen Ver<strong>mit</strong>tler braucht. Der Mensch tritt an die Stelle der Institution<br />

Kirche.<br />

Luther verband das Heil <strong>mit</strong> dem Glauben. D.h. das Heil ist ab diesem Zeitpunkt<br />

nicht mehr als eine Sache, die man bekommt anzusehen, sondern als eine Gnade,<br />

die erteilt wird und in Verbindung <strong>mit</strong> dem Glauben steht. So<strong>mit</strong> ist das Heil nicht<br />

durch einzelne Taten zu erlagen, sondern durch die stete Gesinnung, die zum<br />

Ausdruck gebracht wird: „Nicht fromme gute Werke machen einen frommen Mann,<br />

sondern ein frommer Mann macht fromme Werke“ (Hauser, 1964: 63). Der<br />

Gerechte erfährt Gnade, welche jedoch frei von jeglichen Verdienst gestellt ist. Der<br />

Verdienstvolle hat Anspruch auf Gnade, aber diese steht von vorn herein fest.<br />

Die Prädestinationslehre bildet den Kern des dogmatischen Glaubens im<br />

Protestantismus. „Sie, und sie allein, schließt jene religiöse Vorstellung in sich, die<br />

das Walten, den Ratschluß, die Gnadenwahl Gottes menschlichen Begriffen,<br />

menschlichen Maßstäben vollkommen entzieht; sie läßt die Wege Gottes als so<br />

unzugänglich erscheinen, daß selbst die Begriffe von moralischem Wert,<br />

Rechtschaffenheit und Frömmigkeit sich in diesem Zusammenhang als<br />

allzumenschlich erweisen und auf Gott keinen Bezug haben“ (ebd.). So<strong>mit</strong><br />

entziehen sie sich jeder Moral oder Norm. Wären moralische Maßstäbe (wie<br />

Gerechtigkeit) für Gott maßgebend, wäre er Kreatur von Normen und die Norm<br />

könnte ihre Geltung nicht durch Gott erhalten. Wäre der Verdienst wichtig zum<br />

Erlangen der Gnade, so würde man Gott zur Gnade zwingen (vgl. Hauser, 1964).<br />

8


Produkt der Reformation: Luthers Berufskonzeption<br />

Am Begriff ‚Beruf‘ lässt sich nach Weber gut die Genese des frühen Kapitalismus<br />

zeigen. Noch im Mittelalter, also vor der Reformation, war die Wortbedeutung eine<br />

andere, als wir sie heute in „protestantischen Völkern“ (Weber, 2009: 63) kennen.<br />

Gleichsam der Wortbedeutung, schreibt Weber, ist auch der Gedanke dahinter ein<br />

gänzlich neuer und Produkt der Reformation. Dieser neue Gedanke, der sich von<br />

der Vorstellung, was Beruf ist, vom Mittelalter, ja sogar schon vom späten Altertum<br />

abgrenzt, ist der der „Schätzung der Pflichterfüllung“ (ebd.: 67). Diese<br />

Pflichterfüllung innerhalb des Berufes dient da<strong>mit</strong> der „sittlichen Selbstbetätigung“<br />

(ebd.). Weber sieht den Begriff des Berufs so<strong>mit</strong> als ein gewordenes Zentraldogma,<br />

welche nicht mehr wie im Katholizismus eine mönchische Askese benötigt, um<br />

Gnade zu erfahren, sondern allein die Erfüllung der innerweltlichen Pflichten: jene<br />

die sich aus dem Beruf ergeben und aus der Lebensstellung resultieren und sich<br />

so<strong>mit</strong> im Beruf vereinigen. Das Resultat dieser Entwicklung ist so<strong>mit</strong> eine<br />

Verschiebung des Verhaltens zur Sittlichkeit. War das Erlangen der göttlichen<br />

Gnaden und die da<strong>mit</strong> verbundene Überführung ins Jenseits nach dem Tod im<br />

Katholizismus an die Sakramente wie z.B. Taufe, Beichte und Buße gebunden, hat<br />

sich dieser Gedanke innerhalb der Reformation verändert. Der Beruf und die da<strong>mit</strong><br />

einhergehende Pflichterfüllung rücken nun in den Vordergrund und verlangen eine<br />

innerweltliche Askese. Die Veränderung des Gedankens beläuft sich hier also von<br />

einer Metaphysischen Ebene, die stark an das Jenseits gebunden war, zu eine<br />

innerweltlichen, vom Subjekt nur noch durch Pflichterfüllung und Askese zu<br />

erreichende Aufgabe, also eine Verschiebung vom Jenseits ins Diesseits. Die<br />

Mönchsarbeit tritt an diesem Punkt für Luther nicht nur in den Hintergrund,<br />

sondern fällt gänzlich weg. Sie gilt sogar als „egoistische, den Weltpflichten sich<br />

entziehender Lieblosigkeit“ (Weber, 2009: 68). An die Stelle des Mönchwesens tritt<br />

die Berufsarbeit, welche sogar Ausdruck der Nächstenliebe ist, da die Arbeitsteilung<br />

den Einzelnen zwingt, für die Anderen zu arbeiten (vgl. ebd.).<br />

Weber zeigt weithin in seiner Abhandlung zur Berufskonzeption Luthers, dass durch<br />

diese Veränderung die Annahme aufkam, dass jeder in seinem Stand selig werden<br />

9


kann. Demnach soll nun kurz noch einmal zur Wiederholung auf den Begriff der<br />

Ständegesellschaft eingegangen werden.<br />

Der Begriff ‚Ständegesellschaft‘ beschreibt soziale Gruppierungen von Menschen<br />

und die dem jeweiligen Stand zugeschriebenen Rechte, Privilegien und Pflichten.<br />

Stände sind institutionell verankert und verfügen über strenge soziale Abstufungen.<br />

Die Standeszugehörigkeit und die da<strong>mit</strong> verbundenen Chancen werden von Geburt<br />

aus in einen Stand festgeschrieben. Weiterhin zeichnen sich die unterschiedlichen<br />

Stände durch ähnliche, verbindliche Lebensstile aus. Bestimmten sozialen Gruppen<br />

fallen spezifische Aufgaben und Pflichten zu, die die jeweilige Standesethik sowie<br />

das Standesideal prägen. Die <strong>mit</strong>telalterliche Ständegesellschaft umfasste zum<br />

einen die ländlich‐ feudalen Stände <strong>mit</strong> Adel, Geistliche und Bauern, und zum<br />

anderen die städtischen Stände, zu denen bspw. Mitglieder von Verbänden (z.B.:<br />

Zünfte) zählen (vgl. Schäfers, 2003).<br />

Protestantismus, Kapitalismus und Manierismus<br />

Hauser hingegen meint, dass die Reformationsbewegung nicht unbedingt von den<br />

gleichzeitigen sozialen Kämpfen und die protestantische Berufsethik nicht restlos<br />

den Prinzipien der kapitalistischen Wirtschaft abzuleiten ist. Man kann sie zwar<br />

nicht gänzlich trennen, sollte aber auch nicht die Tatsache wirtschaftlichen‐ oder<br />

gesellschaftlichen Seins in ein religiöses Erlebnis umsetzen, ebenso wie es anders<br />

herum nicht möglich ist. Max Weber neigte dazu, aus religiösen Dispositionen<br />

wirtschaftliche und gesellschaftliche Systeme abzuleiten. Doch auch er sah ein, dass<br />

diese idealistische Auffassung ungenügend sein könnte (vgl. Hauser, 1964).<br />

Der Protestantismus verband die einzelnen Lager, die mehr an der Religiosität oder<br />

mehr an der Gesellschaft und der kapitalistischen Entwicklung interessiert waren.<br />

Die Ideen beider Blickwinkel fanden in der religiösen Verkleidung einen idealen<br />

Ausdruck, ihren ideologischen Vorhaben zu rechtfertigen und Anhänger zu finden.<br />

Ob nun die Berufsethik Produkt des kapitalistischen Lagers war oder erst<br />

stufenweise zur Rechtfertigung der Prinzipien wurde, kann nicht geklärt werden,<br />

sondern muss in jedem einzelnen Fall entschieden werden. Hauser sieht die<br />

Verbindung als Paradebeispiel der Ideologiebildung wenn man anschaut, wie einem<br />

10


sozial‐ wirtschaftlichem Verhalten der Deckmantel der Religion angezogen wird, wie<br />

man so<strong>mit</strong> das kapitalistische Erwerbsleben zu einer moralischen Pflicht aufleben<br />

lässt und erklärt, dass die Arbeit heiligt und ein gutes Geschäft Ausdruck von<br />

Gottesgnade ist.<br />

Abschlussevaluation<br />

Das Gemälde „Venus <strong>mit</strong> Amor“ zeigt nach genauerer Analyse der sozialen<br />

Gegebenheiten, welchen sozialen Wandel es in der damaligen Gesellschaft gegeben<br />

hat. Das mythologische Thema „Venus und Amor“ entspricht dem Bildungsideal des<br />

Humanismus, welches wie bereits erwähnt ein Rückbezug auf die Antike ist und im<br />

geistlichen Umfeld Cranachs präsent war (vgl. Schade, 1974). In der Analyse der<br />

Körperform von Venus zeigen sich starke manieristische Züge. Ihr Körper ist äußerst<br />

langgezogen, ihr Kopf wirkt dadurch sehr klein. Das Inkarnat ist sehr blass und lässt<br />

sie kühl erscheinen, dies wird durch den fast schwarzen Hintergrund betont. Wie<br />

schon beschrieben ist die extreme Darstellung von Schönheit, die an eine fast<br />

unnatürliche, nicht weltliche grenzt, ein Zeichen des Manierismus. Betrachtet man<br />

andere Körperdarstellungen wie bspw. die Rubens, so sieht man deutliche<br />

Abb. 2: „Three graces“<br />

11<br />

Unterschiede: Rubens Körper wirken<br />

fleischlich, sie verbergen nichts, jede<br />

Falte, jedes Gramm ‚Fett‘ wird<br />

sinnenfreudig dargestellt. Cranachs<br />

Venus dagegen wirkt entsinnlicht, weit<br />

entfernt und unerreichbar für<br />

menschliche Gelüste. Die Reformation<br />

trug dazu bei, die fromme Haltung,<br />

welche jegliche Triebe verbat,<br />

aufzulösen und unterstützte so<strong>mit</strong><br />

diese ‚neue‘ Nacktheit, jedoch nicht in<br />

einer Form, wie wir sie von bspw.<br />

Rubens kennen.<br />

Die unnatürliche Form, die auch in der Beinstellung zu sehen ist, hat sich nicht<br />

vollends der Askese entzogen. Zwar lockerte sich das Verhältnis zur Triebhaftigkeit


und Sünde, verschob sich aber eher zu einer innerweltlichen Askese, welche auf die<br />

Rechtschaffenheit des Menschen abzielte. Der dargestellte Körper ist daher immer<br />

noch Produkt einer christlichen Moral, auch wenn diese durch die Reformation und<br />

durch das humanistische Gedankengut nicht mehr eine derartige Strenge wie noch<br />

in der katholischen Kirche auswies.<br />

Heute findet man immer noch im ähnlichen Stil dargestellte weibliche Akte. Schaut<br />

Abb. 3: Playboy Fotographie<br />

man sich bspw. die (halb‐) Aktfotographien im Magazin<br />

„Playboy“ an, so wirken auch diese Körper ähnlich wie<br />

Cranachs Gemälde: faltenlos und marmorartig glatt. Die<br />

Haltungen ergeben sind oft aus komplizierten Posen<br />

und verlangen den Modellen eine enorme<br />

Körperbeherrschung ab. Die christliche Moral in der<br />

Darstellung nackter Körper, welche auch in Cranachs<br />

Gemälde zu finden ist reicht so<strong>mit</strong> noch ins 21.<br />

Jahrhundert hinein.<br />

12


Literatur‐ und Quellenverzeichnis<br />

CANTZ, Hatje (2003): Lucas Cranach; Glaube, Mythologie und Moderne, Hatje Cantz<br />

Verlag<br />

FRIEDLÄNDER, Max J. & ROSENBERG, Jakob (1979): Die Gemälde von Lucas Cranach,<br />

Birkhäuser Verlag, Basel, Bosten, Stuttgart<br />

HAUSER, Arnold (1964): Der Ursprung der Modernen Kunst und Literatur, C.H. Beck<br />

München<br />

HIEBER, Lutz (2008): Black As a Cultural Statement/ Schwarz als kulturelles<br />

Statement. In: Veit Görner et al. (Hg.): Back To Black, Katalog zur Ausstellung<br />

Kestnergesellschaft Hannover 30.05.–10.08.2008, S. 10–28<br />

HINZ, Berthold (2003): Lucas Cranch d.Ä., 2.Auflage, Rowohlt Taschenbuch Verlag<br />

GmbH Hamburg<br />

LÜDECKE, Heinz (1953): Lucas Cranach der Ältere im Spiegel seiner Zeit, I.A. der<br />

Deutschen Akademie der Künste, Rütten&Loening Berlin<br />

MATSCHE, Franz (1996): Humanistische Ethik am Beispiel von Cranachs<br />

mythologischen Darstellungen, in Mai, Paul: Humanismus und Renaissance in<br />

Ost<strong>mit</strong>teleuropa vor der Reformation, S. 29‐71 Hrsg.: Winfried Eberhard und Alfred<br />

Strnad, Böhlau Verlag Köln, Weimar, Wien<br />

ROSE, Herbert J. (1978): Griechische Mythologie, Verlag C.H. Beck München<br />

SCHADE, Werner (1974): Die Malerfamilie Cranach, VEB Verlag der Kunst, Dresden<br />

SCHÄFERS, Bernhard (2003): Grundbegriffe der Soziologie, 8. Auflage, Leske +<br />

Budrich, Oplanden<br />

WEBER, Max (ohne Angabe): Religion und Gesellschaft, Zweitausendeins Frankfurt<br />

am Main<br />

13


http://art‐quarter.com/beck/joe/pablo/1/2/index.html ( Abbildung Rubens „Die<br />

drei Grazien“ 17.01.2010/ 15.34 Uhr)<br />

Abbildungen<br />

Abb.1: „Venus und Amor“ Lucas Cranach (ca. 1515), Fotographie angefertigt in der<br />

Landesgalerie Hannover<br />

Abb.2: „Three graces“Peter Paul Rubens:<br />

http://art‐quarter.com/beck/joe/pablo/1/2/index.html<br />

Abb.3: http://www.news‐on‐tour.de/?tag=russisches‐topmodel<br />

Weiterführende Literatur<br />

PANOFSKY, Erwin (1975): Ikonographie und Ikonologie. Eine Einführung in die Kunst<br />

der Renaissance, in: Sinn und Deutung in der bildenden Kunst, Köln, DuMont,<br />

14

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