Lernpaket Allen Jones - Völklinger Hütte

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voelklinger.huette
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12.12.2012 Aufrufe

Weltkulturerbe Völklinger Hütte Europäisches Zentrum für Kunst und Industriekultur Generaldirektor Prof. Dr. Meinrad Maria Grewenig Durch die begeisterte Hinwendung zur subversiven, »seichten« Erotikdarstellung vollzog Jones zur gleichen Zeit auch den endgültigen Wandel zum Pop-Art-Künstler, der sich von der traditionellen Kunst losgelöst hatte. Als er Ende der 1960er-Jahre seine höchst außergewöhnlichen und umstrittenen Symbole fetischistischen Verlangens, die hyperrealen und dennoch stark stilisierten lebensgroßen Frauenfiguren in Bondage-Outfits als Möbelstücke präsentierte, machte er sich damit endgültig zum Geächteten. In gewisser Hinsicht wurde ihm dies zum Verhängnis, zumindest was das Echo der Kritik anbelangte und in Anbetracht der Empörung, die Chair, Table und Hat Stand bei den Feministinnen auslösten. Im Hinblick auf seine Identität als Künstler erwies sich diese Entwicklung hin zu einer eher provokativen Ästhetik dagegen als notwendig und überaus fruchtbar. Selbst wenn Jones, unter anderem mit seinen originellen Lithografien und seinen Möbelskulpturen, einen wichtigen Beitrag für diese Strömung geleistet hat, würde man ihm nicht gerecht, wollte man ihn lediglich als Popkünstler sehen, ließe man damit doch außer Acht, dass sich die moderne europäische Kunstgeschichte seit seiner Studienzeit bis heute wie ein roter Faden durch sein gesamtes Schaffen zieht. Zu den Strömungen, die seine studentischen Arbeiten prägten, zählten der Kubismus und der Orphismus, die uns etwa in der gebrochenen Struktur des kleinen Grey Self-Portrait von 1960 begegnen. Vor allem aber beeinflussten ihn die Werke von Robert Delaunay und der Fauves mit ihren kräftigen, direkt aus der Tube aufgetragenen Primär- und Sekundärfarben, wie Jones sie bereits in seinem ebenfalls 1960 entstandenen Gemälde The Artists Thinks bevorzugte. Die Vorliebe, in ein und demselben Werk eine ganze Palette satter Farben zu verwenden, an der er sein Leben lang festhielt, ist zum Teil aus der Bewunderung für die Werke Delaunays und Wassily Kandinskys entstanden – das eher monochromatische Arbeiten und die deutlich erkennbaren fließenden Übergänge waren stets, in seinen Augen, die bequemere Lösung. In einem Interview, das Irène Salas kürzlich für die undatierte Ausgabe Nr. 4 des Modemagazins Twill mit dem Künstler führte, erklärte Jones seine Haltung mit der für ihn typischen Offenheit: »Ich kaufe gerne viele verschiedene Versionen ein- und derselben Farbe [...] von verschiedenen Herstellern, um eine größere Auswahl an Farbtönen zur Verfügung zu haben. Denn obwohl man meinen könnte, es handle sich nur um winzige Nuancen, macht das auf der Leinwand einen großen Unterschied. Ich vermeide es nach Möglichkeit zu mischen, denn je mehr reine Farbe man direkt aus der Tube aufträgt, desto besser bewahrt sie ihre chromatische Intensität. « Inspiration fand Jones in den Werken und Schriften Paul Klees, insbesondere in seinem Pädagogischen Skizzenbuch von 1925. Er ging sogar so weit, die Übungsstücke, die Klee für seine Studenten entworfen hatte, als Ausgangspunkt für seine Gemälde zu verwenden. So ist etwa das Bild The Battle of Hastings (1961/62), das auf schematischen Darstellungen basiert, die Jones für seine Schüler angefertigt hatte, um den Flug des Pfeils zu demonstrieren, der König Harold tötete, eine spielerische Interpretation des kleeschen Gedankens der Linie, die einem Spaziergang gleicht. Weltkulturerbe Völklinger Hütte Europäisches Zentrum für Kunst und Industriekultur 66302 Völklingen/Saar Redaktion: Peter Backes, Frank Krämer, Jeanette Wagner Tel. 06898/9 100 159, Fax 06898/9 100 111 mail@voelklinger-huette.org Seite 69

Weltkulturerbe Völklinger Hütte Europäisches Zentrum für Kunst und Industriekultur Generaldirektor Prof. Dr. Meinrad Maria Grewenig Jones war fasziniert von diesem frühen Pionier der abstrakten Malerei, vor allem aber von dem historischen Augenblick, als begrifflich-abstrakte Sprache und darstellende Funktion noch nebeneinander bestanden. Sein besonderes Interesse galt den Werken, die Kandinsky vor seiner Bauhaus-Zeit geschaffen hatte, vor allem seinen Improvisationen aus den frühen 1910er-Jahren – ein Einfluss, der sich sowohl in der Komposition von The Battle of Hastings als auch in den vieldeutigen Darstellungen der Figuren in Gemälden wie Here and There Faces (1961) widerspiegelt. Schon als Student – und dabei darf man nicht vergessen, dass Jones 1962, als er einen Zyklus mit neun herrlich geformten Gemälden mit Darstellungen der roten Londoner Doppeldeckerbusse schuf, gerade einmal 25 Jahre alt war – zeigte er bei seiner Neuinterpretation modernistischer Sujets und Themen eine erstaunliche Reife und außergewöhnliches Selbstvertrauen. Die Busse beispielsweise entstanden ebenfalls aus einem – diesmal futuristischen – Übungsstück, in dem es darum ging, mit den statischen Formen auf der Leinwand den Eindruck von Bewegung zu vermitteln. Jones‟ Lösung, bei der er von der futuristischen Methode, Bewegungsabläufe fortlaufend wie mehrfach belichtete Fotografien wiederzugeben, abwich, war ebenso einfach wie meisterhaft: Er nahm statt der konventionellen rechteckigen eine trapezförmige Leinwand. Der dadurch entstehende Eindruck der Neigung impliziert die Bewegung eines mit hoher Geschwindigkeit nach links fahrenden Fahrzeugs. Durch die ungewöhnliche, gestreckte Form der Leinwand hatte der Künstler die Freiheit, die Oberfläche nach Belieben zu »dekorieren« und konnte sich dabei dennoch sicher sein, dass das Gemälde das Bild eines fahrenden Busses vermittelte. Jones war nicht der Einzige, der um diese Zeit das Potenzial der geformten Leinwand auslotete. Auch andere britische Künstler wie David Hockney (in seinem Tea Painting in an Illusionistic Style von 1961) und Richard Smith (in seinen zunehmend skulpturalen Interpretationen überdimensionaler Zigarettenschachteln von 1962/63) sowie abstrakte amerikanische Maler wie Frank Stella und Ellsworth Kelly suchten nach Wegen, um die traditionelle Leinwandform aufzubrechen. Die Bus-Bilder, vor allem aber andere ungewöhnlich geformte Gemälde aus dieser Zeit wie zum Beispiel Wunderbare Landung von 1963 (der deutsche Titel ist eine Hommage an ein Gemälde von Paul Klee) sind die wohl heitersten und spielerischsten unter diesen Werken und nehmen – obwohl nach wie vor unterbewertet – eine herausragende Stellung innerhalb dieser Werkgruppe ein. Unter seinen Kollegen war Jones nicht der Einzige, der sich von den Wegbereitern der Moderne inspirieren ließ. Hockney etwa wurde, insbesondere was seine stilistischen Freiheiten anbelangt, stark durch die Begegnung mit den Arbeiten Picassos anlässlich einer großen Retrospektive, die die Tate Gallery 1960 veranstaltete, beeinflusst. Weltkulturerbe Völklinger Hütte Europäisches Zentrum für Kunst und Industriekultur 66302 Völklingen/Saar Redaktion: Peter Backes, Frank Krämer, Jeanette Wagner Tel. 06898/9 100 159, Fax 06898/9 100 111 mail@voelklinger-huette.org Seite 70

Weltkulturerbe <strong>Völklinger</strong> <strong>Hütte</strong><br />

Europäisches Zentrum für Kunst und Industriekultur<br />

Generaldirektor Prof. Dr. Meinrad Maria Grewenig<br />

<strong>Jones</strong> war fasziniert von diesem frühen Pionier der abstrakten Malerei, vor allem aber von<br />

dem historischen Augenblick, als begrifflich-abstrakte Sprache und darstellende Funktion<br />

noch nebeneinander bestanden. Sein besonderes Interesse galt den Werken, die Kandinsky<br />

vor seiner Bauhaus-Zeit geschaffen hatte, vor allem seinen Improvisationen aus den frühen<br />

1910er-Jahren – ein Einfluss, der sich sowohl in der Komposition von The Battle of Hastings<br />

als auch in den vieldeutigen Darstellungen der Figuren in Gemälden wie Here and There<br />

Faces (1961) widerspiegelt.<br />

Schon als Student – und dabei darf man nicht vergessen, dass <strong>Jones</strong> 1962, als er einen<br />

Zyklus mit neun herrlich geformten Gemälden mit Darstellungen der roten Londoner<br />

Doppeldeckerbusse schuf, gerade einmal 25 Jahre alt war – zeigte er bei seiner<br />

Neuinterpretation modernistischer Sujets und Themen eine erstaunliche Reife und<br />

außergewöhnliches Selbstvertrauen. Die Busse beispielsweise entstanden ebenfalls aus<br />

einem – diesmal futuristischen – Übungsstück, in dem es darum ging, mit den statischen<br />

Formen auf der Leinwand den Eindruck von Bewegung zu vermitteln. <strong>Jones</strong>‟ Lösung, bei der<br />

er von der futuristischen Methode, Bewegungsabläufe fortlaufend wie mehrfach belichtete<br />

Fotografien wiederzugeben, abwich, war ebenso einfach wie meisterhaft: Er nahm statt der<br />

konventionellen rechteckigen eine trapezförmige Leinwand. Der dadurch entstehende<br />

Eindruck der Neigung impliziert die Bewegung eines mit hoher Geschwindigkeit nach links<br />

fahrenden Fahrzeugs. Durch die ungewöhnliche, gestreckte Form der Leinwand hatte der<br />

Künstler die Freiheit, die Oberfläche nach Belieben zu »dekorieren« und konnte sich dabei<br />

dennoch sicher sein, dass das Gemälde das Bild eines fahrenden Busses vermittelte. <strong>Jones</strong><br />

war nicht der Einzige, der um diese Zeit das Potenzial der geformten Leinwand auslotete.<br />

Auch andere britische Künstler wie David Hockney (in seinem Tea Painting in an Illusionistic<br />

Style von 1961) und Richard Smith (in seinen zunehmend skulpturalen Interpretationen<br />

überdimensionaler Zigarettenschachteln von 1962/63) sowie abstrakte amerikanische Maler<br />

wie Frank Stella und Ellsworth Kelly suchten nach Wegen, um die traditionelle Leinwandform<br />

aufzubrechen. Die Bus-Bilder, vor allem aber andere ungewöhnlich geformte Gemälde aus<br />

dieser Zeit wie zum Beispiel Wunderbare Landung von 1963 (der deutsche Titel ist eine<br />

Hommage an ein Gemälde von Paul Klee) sind die wohl heitersten und spielerischsten unter<br />

diesen Werken und nehmen – obwohl nach wie vor unterbewertet – eine herausragende<br />

Stellung innerhalb dieser Werkgruppe ein.<br />

Unter seinen Kollegen war <strong>Jones</strong> nicht der Einzige, der sich von den Wegbereitern der<br />

Moderne inspirieren ließ. Hockney etwa wurde, insbesondere was seine stilistischen<br />

Freiheiten anbelangt, stark durch die Begegnung mit den Arbeiten Picassos anlässlich einer<br />

großen Retrospektive, die die Tate Gallery 1960 veranstaltete, beeinflusst.<br />

Weltkulturerbe <strong>Völklinger</strong> <strong>Hütte</strong><br />

Europäisches Zentrum für Kunst und Industriekultur<br />

66302 Völklingen/Saar<br />

Redaktion: Peter Backes, Frank Krämer, Jeanette Wagner<br />

Tel. 06898/9 100 159, Fax 06898/9 100 111<br />

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