Lernpaket Allen Jones - Völklinger Hütte

Lernpaket Allen Jones - Völklinger Hütte Lernpaket Allen Jones - Völklinger Hütte

voelklinger.huette
von voelklinger.huette Mehr von diesem Publisher
12.12.2012 Aufrufe

Weltkulturerbe Völklinger Hütte Europäisches Zentrum für Kunst und Industriekultur Generaldirektor Prof. Dr. Meinrad Maria Grewenig Allen Jones greift immer wieder dieselben Motive für Werke in unterschiedlichen Medien auf und setzt häufig Serien mit einem großen zeitlichen Abstand fort. So auch beispielsweise beim Werk Maîtresse von 1976, das ihn im Jahr 2008 in London Derrière wieder beschäftigt. Der Spielfilm ist vorbei: die Buchstaben des Titels liegen nun zerstört am Boden, die Dame – diesmal von hinten zu sehen – verlässt die Bühne durch den Vorhang, eine Peitsche in der Hand haltend. Auch im Bereich der Skulptur tauchen thematische Wiederholungen in seinem Werk auf: Hatte sich Jones im Jahre 1965 durch eine »slotmachine« in Reno, Nevada, sowie durch Anzeigen und Werbung der 1940- und 1950er-Jahre dazu inspirieren lassen, einige Jahre später seine berühmt gewordenen Möbelskulpturen zu kreieren, so entsteht wesentlich später, im Jahr 2002, Refrigerator, eine weibliche Skulptur ähnlicher Anmutung, die gleichzeitig die Funktion eines kleinen Kühlschranks hat. Das Leitmotiv, das sich beinahe ungebrochen bis heute durch Allen Jones‟ Werk verfolgen lässt, ist das der Figuren von Frauen und Männern. Seine sinnlichen Frauen- und Männergestalten – teils ausgearbeitet als hermaphrodite Zwitterwesen in einer modernen Gesellschaft ohne Tabus, teils vielleicht auch nur das Bild der Frauen in den Männerköpfen repräsentierend – geben heute noch ein hochaktuelles Statement des Künstlers zur Gesellschaft ab. Mittels Erotik und provokanter Aussagen zu den Geschlechterbeziehungen sowie deren Fetischreliquien erreicht Allen Jones mit seinem facettenreichen Œuvre ein breites Publikum. Die individuell rezipierbaren und rezipierten Aussagen seiner über alle Kunstgattungen hinausreichenden Werke verwandeln jeden Betrachter in einen Kunstkritiker. Es bedarf keiner übergreifenden wissenschaftlichen Erklärung durch die Kunstgeschichte. Die Pop-Art wollte die Kunst demokratisieren, sie durch die Schaffung von neuen Ebenen im Ausdruck und in den Bildmotiven für jedermann zugänglich machen. Allen Jones schafft diese Ebene mithilfe der Erotik, zu der jeder Betrachter unmittelbar aufgrund seiner persönlichen Erfahrungen eigene Vorstellungen beziehungsweise eine Meinung entwickeln kann. In über 50 Jahren künstlerischen Schaffens ist Jones diesem demokratischen Ansatz der Pop-Art treu geblieben. Im Jahr 2012 feiert Allen Jones nun seinen 75. Geburtstag; er lebt und arbeitet in London und Oxfordshire. Auszüge aus dem Katalogtext: Dr. Otto Letze: Allen Jones. Leben und Werk, in: Meinrad Maria Grewenig/Otto Letze (Hg.): Allen Jones–Off the Wall. Pop Art 1957– 2009, Edition Völklinger Hütte, Ostfildern 2012 Weltkulturerbe Völklinger Hütte Europäisches Zentrum für Kunst und Industriekultur 66302 Völklingen/Saar Redaktion: Peter Backes, Frank Krämer, Jeanette Wagner Tel. 06898/9 100 159, Fax 06898/9 100 111 mail@voelklinger-huette.org Seite 61

Weltkulturerbe Völklinger Hütte Europäisches Zentrum für Kunst und Industriekultur Generaldirektor Prof. Dr. Meinrad Maria Grewenig Allen Jones. Einige Gedanken von Sir Norman Rosenthal Das Erste, was an Allen Jones bemerkenswert ist, ist die Tatsache, dass er 1937 geboren wurde, also vor einer ganzen Weile. Dies ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass sein in den späten 1950er- und frühen 1960er-Jahren entstandenes Frühwerk, in dem er im Wesentlichen seine unverwechselbare Formensprache und Bildthematik entwickelte, nach wie vor jugendlich und modern wirkt, was selbstverständlich auch für seine neueren Arbeiten gilt, die paradoxerweise deutlicher in einem kulturellen Kontext verankert sind. Der Betrachter – und der Verfasser dieses Textes schließt sich mit ein – kann sich daran erfreuen, seinen Blick über ein ganzes Spektrum an Quellenmaterial aus gehobener und populärer Kultur, aus der Gegenwart, aber auch aus längst vergangenen Zeiten schweifen zu lassen. Bekannt geworden ist Jones aber natürlich vor allem durch sein legendäres Ensemble fetischistischer Möbelstücke, die inzwischen Kultstatus besitzen. Selbst wenn er mit Chair, Table und Hat Stand jene sonderbare Spielart der Perversität, die unter dem Namen Forniphilie bekannt ist, nicht gerade erfunden hat, sind seine Möbel doch ohne Zweifel die berühmtesten und für viele anrüchigsten Darstellungen dieses Phänomens. Gewiss, die Sexpuppe als Kulturobjekt hat eine lange Geschichte. Allem Anschein nach nahmen die Seeleute solche Puppen bereits im 17. Jahrhundert als Seelentrost mit auf lange Seereisen. Opernfreunde und Kenner der deutschen Literatur der Romantik werden an die Puppe Olimpia aus Jacques Offenbachs Hoffmanns Erzählungen denken, in die sich der Dichter und Titelheld E.T.A. Hoffmann unsterblich verliebt. Künstler einer jüngeren Generation, etwa Jeff Koons oder die Brüder Chapman – ganz zu schweigen von einigen eher erschreckenden Verkleidungen Cindy Shermans –, setzen die Puppe, die auch ein mehr oder weniger perverses Sexobjekt ist, für Überraschungseffekte ein. Erst kürzlich hat Jeff Koons eine Figur von Betty Page geschaffen, einem amerikanischen Model der 1950er- Jahre, das in seiner Ikonografie eine zentrale Rolle spielt. Mit ihren tiefschwarzen Haaren, den blauen Augen, dem dick aufgetragenen Make-up und nicht zuletzt mit ihrem Riesenbusen wurde sie zu einem neuen Rollenmodell der amerikanischen Sexualität, wie es sich heute noch in jeder »niederen« Vergnügung – vom Stripteaselokal bis hin zum Internet und natürlich dem Kino – manifestiert. Allen Jones war neben einer Handvoll amerikanischer und europäischer Künstler wie Mel Ramos, Tom Wesselmann und Martial Raysse, um nur einige zu nennen, ohne Zweifel einer der ersten seriösen Künstler, die bildliche Darstellungen von derart offensichtlicher Schamlosigkeit bereits in den frühen 1960er-Jahren bewusst verwendeten. Dabei ist nicht so sehr von Interesse, welcher dieser Künstler hier eine Vorreiterrolle spielte, sondern vielmehr die Frage nach dem Zeitgeist, der es möglich machte, derart unmissverständliche Bilder zu schaffen. Weltkulturerbe Völklinger Hütte Europäisches Zentrum für Kunst und Industriekultur 66302 Völklingen/Saar Redaktion: Peter Backes, Frank Krämer, Jeanette Wagner Tel. 06898/9 100 159, Fax 06898/9 100 111 mail@voelklinger-huette.org Seite 62

Weltkulturerbe <strong>Völklinger</strong> <strong>Hütte</strong><br />

Europäisches Zentrum für Kunst und Industriekultur<br />

Generaldirektor Prof. Dr. Meinrad Maria Grewenig<br />

<strong>Allen</strong> <strong>Jones</strong>. Einige Gedanken<br />

von Sir Norman Rosenthal<br />

Das Erste, was an <strong>Allen</strong> <strong>Jones</strong> bemerkenswert ist, ist die Tatsache, dass er 1937 geboren<br />

wurde, also vor einer ganzen Weile. Dies ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt,<br />

dass sein in den späten 1950er- und frühen 1960er-Jahren entstandenes Frühwerk, in dem<br />

er im Wesentlichen seine unverwechselbare Formensprache und Bildthematik entwickelte,<br />

nach wie vor jugendlich und modern wirkt, was selbstverständlich auch für seine neueren<br />

Arbeiten gilt, die paradoxerweise deutlicher in einem kulturellen Kontext verankert sind.<br />

Der Betrachter – und der Verfasser dieses Textes schließt sich mit ein – kann sich daran<br />

erfreuen, seinen Blick über ein ganzes Spektrum an Quellenmaterial aus gehobener und<br />

populärer Kultur, aus der Gegenwart, aber auch aus längst vergangenen Zeiten schweifen<br />

zu lassen. Bekannt geworden ist <strong>Jones</strong> aber natürlich vor allem durch sein legendäres<br />

Ensemble fetischistischer Möbelstücke, die inzwischen Kultstatus besitzen. Selbst wenn er<br />

mit Chair, Table und Hat Stand jene sonderbare Spielart der Perversität, die unter dem<br />

Namen Forniphilie bekannt ist, nicht gerade erfunden hat, sind seine Möbel doch ohne<br />

Zweifel die berühmtesten und für viele anrüchigsten Darstellungen dieses Phänomens.<br />

Gewiss, die Sexpuppe als Kulturobjekt hat eine lange Geschichte. Allem Anschein nach<br />

nahmen die Seeleute solche Puppen bereits im 17. Jahrhundert als Seelentrost mit auf<br />

lange Seereisen. Opernfreunde und Kenner der deutschen Literatur der Romantik werden<br />

an die Puppe Olimpia aus Jacques Offenbachs Hoffmanns Erzählungen denken, in die sich<br />

der Dichter und Titelheld E.T.A. Hoffmann unsterblich verliebt. Künstler einer jüngeren<br />

Generation, etwa Jeff Koons oder die Brüder Chapman – ganz zu schweigen von einigen<br />

eher erschreckenden Verkleidungen Cindy Shermans –, setzen die Puppe, die auch ein mehr<br />

oder weniger perverses Sexobjekt ist, für Überraschungseffekte ein. Erst kürzlich hat Jeff<br />

Koons eine Figur von Betty Page geschaffen, einem amerikanischen Model der 1950er-<br />

Jahre, das in seiner Ikonografie eine zentrale Rolle spielt. Mit ihren tiefschwarzen Haaren,<br />

den blauen Augen, dem dick aufgetragenen Make-up und nicht zuletzt mit ihrem<br />

Riesenbusen wurde sie zu einem neuen Rollenmodell der amerikanischen Sexualität, wie es<br />

sich heute noch in jeder »niederen« Vergnügung – vom Stripteaselokal bis hin zum Internet<br />

und natürlich dem Kino – manifestiert.<br />

<strong>Allen</strong> <strong>Jones</strong> war neben einer Handvoll amerikanischer und europäischer Künstler wie Mel<br />

Ramos, Tom Wesselmann und Martial Raysse, um nur einige zu nennen, ohne Zweifel einer<br />

der ersten seriösen Künstler, die bildliche Darstellungen von derart offensichtlicher<br />

Schamlosigkeit bereits in den frühen 1960er-Jahren bewusst verwendeten. Dabei ist nicht<br />

so sehr von Interesse, welcher dieser Künstler hier eine Vorreiterrolle spielte, sondern<br />

vielmehr die Frage nach dem Zeitgeist, der es möglich machte, derart unmissverständliche<br />

Bilder zu schaffen.<br />

Weltkulturerbe <strong>Völklinger</strong> <strong>Hütte</strong><br />

Europäisches Zentrum für Kunst und Industriekultur<br />

66302 Völklingen/Saar<br />

Redaktion: Peter Backes, Frank Krämer, Jeanette Wagner<br />

Tel. 06898/9 100 159, Fax 06898/9 100 111<br />

mail@voelklinger-huette.org Seite 62

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!