Lernpaket Allen Jones - Völklinger Hütte

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voelklinger.huette
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12.12.2012 Aufrufe

Weltkulturerbe Völklinger Hütte Europäisches Zentrum für Kunst und Industriekultur Generaldirektor Prof. Dr. Meinrad Maria Grewenig Die 1970er-Jahre stehen im Zeichen der Auseinandersetzung mit weiteren künstlerischen Disziplinen: 1970 entwirft Allen Jones Ausstattung und Kostüme für die erotisch-freizügige Bühnenrevue 0h! Calcutta! in London, geschrieben vom britischen Theaterkritiker Kenneth Tynan. Wieder geht es um die Beziehungen von Mann und Frau und deren Wirrnisse. Die aus sechs Sketchen bestehende Show war zu jener Zeit sehr kontrovers, denn das Ensemble – sowohl seine männlichen als auch weiblichen Mitglieder – trat in mehreren Szenen nackt auf. Der Titel stellt eine Verballhornung aus dem Französischen dar: Oh quel cul t‟as (»Oh, was für einen Hintern Du hast«) ist abgeleitet aus dem Titel eines Kunstwerks des französischen Malers Clovis Trouille. In dieser Inszenierung experimentiert Jones mit dem Licht. Die Theaterbühne gestaltet er als »Lichtschachtel«, in die er anstatt farbiger Kulissen Darsteller als mobile Bildpunkte einsetzt und mit deren Schattenwurfeffekten überrascht. Die Kostüme der Schauspieler sind wie bei den Figuren seiner Gemälde und Skulpturen eng anliegend, knapp und äußerst freizügig. Für die Fernsehproduktion Männer wir kommen! des Westdeutschen Rundfunks mit Senta Berger in der Hauptrolle entwirft Allen Jones die Kostüme und das Set-Design. Sein Engagement für diesen 1970 unter der Leitung des holländischen Regisseurs Bob Rooyens entstandenen Film belegt erneut, dass die gegen ihn erhobenen Vorwürfe, er sei ein – wenngleich intellektuell zynischer – männlicher Chauvinist, nicht zutreffen. Die Sendung ist aus heutiger Sicht eine moderne, ironische Satire auf die Emanzipationsbewegung der Frau, umgesetzt in Form einer farbenfrohen, poppigen Show, bei der stark mit den damals neuen Möglichkeiten der elektronischen Bildbearbeitung experimentiert wurde. Unter anderem bewegen sich Frauen auf einem lebensgroßen Brettspiel und dürfen sich entsprechend ihrer Aktionen vor- und zurückbewegen: »Politikerin, ein Feld vor ... Hausfrau, vier Felder zurück, Sie haben Ihrem Mann die Schuhe geputzt ... Arbeiterin, 3 Felder vor, Sie haben eine andere Partei gewählt als Ihr Mann ...« Kurz nach seiner Kooperation mit dem WDR veröffentlicht Jones sein zweites Künstlerbuch, Allen Jones Projects (1971), in dem neben Männer wir kommen! einige andere seiner realisierten und auch nicht realisierten Projekte für Film, Fernsehen sowie Oper und Theater anhand von Aufschrieben, Entwürfen und Fotografien beziehungsweise Filmstills vorgestellt werden. Darunter befindet sich auch das nicht realisierte Filmprojekt A Clockwork Orange: Als Reaktion auf einen Ausstellungsbesuch und der Betrachtung seiner Möbelskulpturen erhält Jones im Februar 1970 eine Anfrage von Regisseur Stanley Kubrick, der die Figurengruppe in einer Szene seines neuen Films A Clockwork Orange einsetzen will. Der Versuch Kubricks, Allen Jones ohne jegliches Honorar für das komplette Set-Design und die Kostümgestaltung zu gewinnen, scheitert – vermutlich aufgrund der zu direkten, plumpen Art, mit der Kubrick dem intellektuellen Künstler begegnet. Weltkulturerbe Völklinger Hütte Europäisches Zentrum für Kunst und Industriekultur 66302 Völklingen/Saar Redaktion: Peter Backes, Frank Krämer, Jeanette Wagner Tel. 06898/9 100 159, Fax 06898/9 100 111 mail@voelklinger-huette.org Seite 55

Weltkulturerbe Völklinger Hütte Europäisches Zentrum für Kunst und Industriekultur Generaldirektor Prof. Dr. Meinrad Maria Grewenig So blieben in der Endfassung des Films nur Jones‟ Entwürfe der Kaffeetische und der Kostüme der Kellnerinnen als Inspirationsquelle für die Innenausstattung der Korova Milk Bar, einer der Hauptschauplätze des Films, wo Milch und Drogen serviert werden. In den 1970er-Jahren avanciert Allen Jones – auch ohne die Hilfe von Stanley Kubrick, von dem er später sagen wird, er habe ein größeres Ego als jeder andere Künstler, den er kenne iv – zu einem berühmten und gefragten Mann in der Kunstszene. Seine Preise steigen und für die meisten seiner Ölbilder sind damals schon mehr als 50 000 DM zu bezahlen. Die Auftragsarbeiten häufen sich und stehen teilweise im Gegensatz zu seinen künstlerischen Ambitionen. In Kooperation mit Allen Jones entwirft das Designerehepaar Ritva und Mike Ross 1971 einen Pullover, den sein berühmtes Gemälde Sheer Magic aus den 1960er-Jahren ziert und für den er hinterher mit seiner damaligen Ehefrau sogar Modell steht. Mit dem als Tapete konzipierten Multiple Kneeling Woman erregt Jones 1972 Aufsehen bei der Xart Walls-Schau im Rahmen der documenta 5. Die von der Marburger Tapetenfabrik hergestellte Tapetenserie Xart Walls, an der neben Jones unter anderem auch Jean Tinguely und Niki de Saint Phalle mitwirkten, zeigt in Jones‟ Abschnitt eine Comic-Heldin vor silberfarbigem Hintergrund: kniend, leicht bekleidet, mit hohen Stiefeln und mit üppigem Dekolleté, einen Reifen in ihrer linken Hand haltend. Parallel zur documenta 5 wurde in Kassel neben anderen Entwürfen Allen Jones‟ Plakatvorschlag für die Olympischen Sommerspiele 1972 in München gezeigt, wobei der Künstler sich hier ausnahmsweise für die Darstellung vier athletischer männlicher und nicht weiblicher Beine unter den fünf olympischen Ringen entschieden hat. 1973 übernimmt er eine Gastdozentur an der University of California in Irvine und erhält den Auftrag, den Pirelli-Kalender, einen jährlich erscheinenden Pin-up-Kalender des italienischen Reifenherstellers, zu gestalten, der aufgrund seiner streng limitierten Auflage und der Berühmtheit seiner Gestalter – Fotografen und Künstler – sowie Modelle längst Kultstatus genießt. Für die Gestaltung des Kalenders erhält Jones den Design and Art Direction Silver Award. 1976 zeichnet sich Allen Jones verantwortlich für das Set-Design sowie das Werbeplakat zu Barbet Schroeders französischem Liebesfilm Maîtresse mit Gérard Depardieu und Bulle Ogier, für den Karl Lagerfeld die Kostüme entwirft. Auf dem Plakat ist eine in Leder gekleidete Frau zu sehen, die zwischen zwei Farbflächen beziehungsweise Vorhängen steht. Das grelle gelbe Licht, das hinter den Vorhängen durchscheint, bildet zugleich den Boden in der unteren Partie des Plakats, auf dem der Filmtitel zu lesen ist. Dieser Effekt verleiht der Szene auf dem Plakat Tiefe. Programmatisch für Jones, handelt der Film von den Extremen in den Geschlechterrollen. Ariane (Bulle Ogier) betreibt in ihrem Haus, dem Ort ihrer bürgerlichen Existenz, ein Sadomaso-Studio und arbeitet als professionelle Domina. Oliver (Gérard Depardieu) ist gleichzeitig ihr Liebhaber und Gehilfe. Das Paar ist zwischen realem Alltag und der Welt des Sadomasochismus genauso hin- und hergerissen wie zwischen männlicher und weiblicher Dominanz. Weltkulturerbe Völklinger Hütte Europäisches Zentrum für Kunst und Industriekultur 66302 Völklingen/Saar Redaktion: Peter Backes, Frank Krämer, Jeanette Wagner Tel. 06898/9 100 159, Fax 06898/9 100 111 mail@voelklinger-huette.org Seite 56

Weltkulturerbe <strong>Völklinger</strong> <strong>Hütte</strong><br />

Europäisches Zentrum für Kunst und Industriekultur<br />

Generaldirektor Prof. Dr. Meinrad Maria Grewenig<br />

Die 1970er-Jahre stehen im Zeichen der Auseinandersetzung mit weiteren künstlerischen<br />

Disziplinen: 1970 entwirft <strong>Allen</strong> <strong>Jones</strong> Ausstattung und Kostüme für die erotisch-freizügige<br />

Bühnenrevue 0h! Calcutta! in London, geschrieben vom britischen Theaterkritiker Kenneth<br />

Tynan. Wieder geht es um die Beziehungen von Mann und Frau und deren Wirrnisse. Die aus<br />

sechs Sketchen bestehende Show war zu jener Zeit sehr kontrovers, denn das Ensemble –<br />

sowohl seine männlichen als auch weiblichen Mitglieder – trat in mehreren Szenen nackt auf.<br />

Der Titel stellt eine Verballhornung aus dem Französischen dar: Oh quel cul t‟as (»Oh, was<br />

für einen Hintern Du hast«) ist abgeleitet aus dem Titel eines Kunstwerks des französischen<br />

Malers Clovis Trouille. In dieser Inszenierung experimentiert <strong>Jones</strong> mit dem Licht. Die<br />

Theaterbühne gestaltet er als »Lichtschachtel«, in die er anstatt farbiger Kulissen Darsteller<br />

als mobile Bildpunkte einsetzt und mit deren Schattenwurfeffekten überrascht. Die Kostüme<br />

der Schauspieler sind wie bei den Figuren seiner Gemälde und Skulpturen eng anliegend,<br />

knapp und äußerst freizügig.<br />

Für die Fernsehproduktion Männer wir kommen! des Westdeutschen Rundfunks mit Senta<br />

Berger in der Hauptrolle entwirft <strong>Allen</strong> <strong>Jones</strong> die Kostüme und das Set-Design. Sein<br />

Engagement für diesen 1970 unter der Leitung des holländischen Regisseurs Bob Rooyens<br />

entstandenen Film belegt erneut, dass die gegen ihn erhobenen Vorwürfe, er sei ein –<br />

wenngleich intellektuell zynischer – männlicher Chauvinist, nicht zutreffen. Die Sendung ist<br />

aus heutiger Sicht eine moderne, ironische Satire auf die Emanzipationsbewegung der Frau,<br />

umgesetzt in Form einer farbenfrohen, poppigen Show, bei der stark mit den damals neuen<br />

Möglichkeiten der elektronischen Bildbearbeitung experimentiert wurde. Unter anderem<br />

bewegen sich Frauen auf einem lebensgroßen Brettspiel und dürfen sich entsprechend ihrer<br />

Aktionen vor- und zurückbewegen: »Politikerin, ein Feld vor ... Hausfrau, vier Felder zurück,<br />

Sie haben Ihrem Mann die Schuhe geputzt ... Arbeiterin, 3 Felder vor, Sie haben eine andere<br />

Partei gewählt als Ihr Mann ...«<br />

Kurz nach seiner Kooperation mit dem WDR veröffentlicht <strong>Jones</strong> sein zweites Künstlerbuch,<br />

<strong>Allen</strong> <strong>Jones</strong> Projects (1971), in dem neben Männer wir kommen! einige andere seiner<br />

realisierten und auch nicht realisierten Projekte für Film, Fernsehen sowie Oper und Theater<br />

anhand von Aufschrieben, Entwürfen und Fotografien beziehungsweise Filmstills vorgestellt<br />

werden. Darunter befindet sich auch das nicht realisierte Filmprojekt A Clockwork Orange:<br />

Als Reaktion auf einen Ausstellungsbesuch und der Betrachtung seiner Möbelskulpturen<br />

erhält <strong>Jones</strong> im Februar 1970 eine Anfrage von Regisseur Stanley Kubrick, der die<br />

Figurengruppe in einer Szene seines neuen Films A Clockwork Orange einsetzen will. Der<br />

Versuch Kubricks, <strong>Allen</strong> <strong>Jones</strong> ohne jegliches Honorar für das komplette Set-Design und die<br />

Kostümgestaltung zu gewinnen, scheitert – vermutlich aufgrund der zu direkten, plumpen<br />

Art, mit der Kubrick dem intellektuellen Künstler begegnet.<br />

Weltkulturerbe <strong>Völklinger</strong> <strong>Hütte</strong><br />

Europäisches Zentrum für Kunst und Industriekultur<br />

66302 Völklingen/Saar<br />

Redaktion: Peter Backes, Frank Krämer, Jeanette Wagner<br />

Tel. 06898/9 100 159, Fax 06898/9 100 111<br />

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