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Leseprobe Computer und Arbeit 05_2017

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<strong>Computer</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Arbeit</strong><br />

cua | it-mitbestimmung <strong>und</strong> datenschutz<br />

cua-web.de<br />

26. JAHRGANG<br />

ISSN 1863-8511<br />

D 11680<br />

5 | <strong>2017</strong><br />

ges<strong>und</strong>heitsdaten<br />

BEM <strong>und</strong> Datenschutz<br />

qualifizierung Das Lernen in der <strong>Arbeit</strong> kommt unter die Räder der Digitalisierung<br />

ges<strong>und</strong>heit Apps helfen bei der Versorgung mit Vitamin D am <strong>Arbeit</strong>splatz<br />

eu-datenschutz Die neue Risikoanalyse ist eine wertvolle Informationsquelle


titelthema ges<strong>und</strong>heitsdaten CuA 5 |<strong>2017</strong><br />

Das BEM im Grif<br />

bem-gr<strong>und</strong>lagen Das betriebliche Eingliederungsmanagement ist eine sinnvolle Sache:<br />

Ist ein Beschäftigter länger krank, muss der <strong>Arbeit</strong>geber ihm ein »BEM« anbieten, damit<br />

der Mitarbeiter wieder fit wird. Bei diesem Verfahren fallen auch sensible Ges<strong>und</strong>heitsdaten<br />

an – für deren Schutz der Betriebs- <strong>und</strong> Personalrat sorgen kann.<br />

VON SIGRID BRITSCHGI<br />

8


CuA 5 |<strong>2017</strong><br />

ges<strong>und</strong>heitsdaten<br />

titelthema<br />

Das betriebliche Eingliederungsmanagement<br />

(BEM) wurde vom<br />

Gesetzgeber mit Wirkung zum 1.<br />

Mai 2004 in § 84 Abs. 2 Sozialgesetzbuch<br />

(SGB) IX – ab 1.1.2018: § 167 Abs. 2<br />

SGB IX – eingeführt. Es zielt darauf ab, bei<br />

längerfristig oder häuig erkrankten Beschäftigten<br />

zu klären, wie die <strong>Arbeit</strong>sunfähigkeit<br />

möglichst überw<strong>und</strong>en, mit welchen Leistungen<br />

oder Hilfen erneuter <strong>Arbeit</strong>sunfähigkeit<br />

vorgebeugt <strong>und</strong> der <strong>Arbeit</strong>splatz erhalten werden<br />

kann. Die in vielen Bereichen ofen gestaltete<br />

gesetzliche Regelung hat insbesondere<br />

durch die Rechtsprechung zunehmend mehr<br />

Konturen erhalten.<br />

Anwendungsbereich des betrieblichen<br />

Eingliederungsmanagements<br />

Das Verfahren betrift Beschäftigte, die innerhalb<br />

eines Jahres mehr als sechs Wochen ununterbrochen<br />

oder wiederholt arbeitsunfähig<br />

waren. Der Begrif des Beschäftigten umfasst<br />

– ungeachtet des Standortes der gesetzlichen<br />

Regelung im SGB IX – alle Beschäftigten, unabhängig<br />

davon, ob sie schwerbehindert oder<br />

behindert oder von Behinderungen bedroht<br />

sind. 1 Beschäftigte im Sinne des § 84 Abs. 2<br />

SGB IX sind im Übrigen nicht nur Angestellte,<br />

sondern auch Beamte. 2<br />

Bei der zeitlichen Eingangsvoraussetzung<br />

einer ununterbrochenen oder wiederholten<br />

<strong>Arbeit</strong>sunfähigkeit von mehr als sechs Wochen<br />

ist nicht das Kalenderjahr vom 1.1. bis 31.12.<br />

entscheidend, sondern die davon losgelöste<br />

Betrachtung der aktuell vergangenen zwölf<br />

Monate gemeint. 3 In der betrieblichen Praxis<br />

werden zum Teil nicht Kalendertage, sondern<br />

allein durch <strong>Arbeit</strong>sunfähigkeit betrofene<br />

<strong>Arbeit</strong>stage bei der Ermittlung des maßgeblichen<br />

Zeitraums von <strong>Arbeit</strong>sunfähigkeitszeiten<br />

berücksichtigt. In diesem Fall müssen die für<br />

ein betriebliches Eingliederungsmanagement<br />

relevanten <strong>Arbeit</strong>sunfähigkeitstage – vergleichbar<br />

einer anteiligen Berechnung von Urlaubstagen<br />

– für die Überschreitung der Grenze des<br />

6-Wochen-Zeitraums des § 84 Abs. 2 SGB IX<br />

anteilig ermittelt werden. 4 Dabei kann die Formel<br />

»42 Kalendertage : 7 Wochentage x individuelle<br />

<strong>Arbeit</strong>stage« angewandt werden. In<br />

einer 5-Tage-Woche wären dementsprechend<br />

darum geht es<br />

1. Mit Hilfe des BEM<br />

soll <strong>Arbeit</strong>sunfähigkeit<br />

überw<strong>und</strong>en, erneute<br />

Krankheit vorgebeugt<br />

<strong>und</strong> der <strong>Arbeit</strong>splatz des<br />

betrofenen Mitarbeiters<br />

erhalten werden.<br />

2. Betriebs- <strong>und</strong> Personalräte<br />

können das<br />

Verfahren des betrieblichen<br />

Eingliederungsmanagements<br />

von Anfang<br />

an mitgestalten.<br />

3. Im BEM ist ein besonderes<br />

Augenmerk auf den<br />

Schutz der Ges<strong>und</strong>heitsdaten<br />

vor Missbrauch zu<br />

legen.<br />

1 BAG 12. 7. 2007 – 2 AZR 716/06, in: AiB 2008, 301; LAG Köln 11. 6.<br />

2007 – 14 Sa 1391/06, in: AuR 2007, 444; LAG Berlin 27. 10. 20<strong>05</strong> –<br />

10 Sa 783/<strong>05</strong>, in: NZA-RR 2006, 184 f.<br />

2 BVerwG 4.9.2012 – 6 P 5/11, in: PersR 2012, 508; Dau / Düwell / Joussen-Düwell,<br />

SGB IX, § 84, Rn. 59 f; VG Gelsenkirchen 25.6.2008 – 1 K<br />

3679/07<br />

3 Gagel, Eingliederungsmanagement auf der Basis der Novelle zum<br />

SGB IX <strong>und</strong> der gemeinsamen Empfehlungen nach § 13 Abs. 2 Nr. 8<br />

<strong>und</strong> 9 SGB IX, Diskussionsforum B, Beitrag 2/2004 des Instituts für<br />

Qualitätssicherung in Prävention <strong>und</strong> Rehabilitation (iqpr) an der<br />

deutschen Sportschule Köln, 7<br />

4 Baßlsperger, Das BEM im <strong>Arbeit</strong>s- <strong>und</strong> Beamtenrecht,<br />

in: PersV 2010, 129<br />

9


titelthema ges<strong>und</strong>heitsdaten CuA 5 |<strong>2017</strong><br />

Datenschutz<br />

im BEM-Verfahren<br />

beteiligung Drei vor, zwei zurück – an die Schrittfolge der Echternacher<br />

Springprozession erinnert den Autor das Vorgehen der Gerichte,<br />

wenn Betriebs- <strong>und</strong> Personalräte im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements<br />

tätig werden möchten, der <strong>Arbeit</strong>geber ihnen<br />

aber den Datenschutz entgegenhält.<br />

VON FRANZ JOSEF DÜWELL<br />

darum geht es<br />

1. Der Gesetzgeber hat<br />

versäumt, den internen<br />

Datenumgang von <strong>Arbeit</strong>geber<br />

<strong>und</strong> <strong>Arbeit</strong>nehmervertretung<br />

zu regeln.<br />

2. Die Gerichte inden<br />

keine einheitliche Linie<br />

bei Eingliederungsmanagement<br />

<strong>und</strong> Datenschutz.<br />

3. Die Interessenvertretung<br />

ist in das BEM-Verfahren<br />

einzubinden, allerdings<br />

soll ein Betrofener<br />

deren Hinzuziehen auch<br />

ablehnen können.<br />

Die Echternacher Springprozession<br />

ist eine religiöse Prozession. Sie<br />

indet jedes Jahr am Dienstag nach<br />

Pingsten in der Stadt Echternach<br />

in Luxemburg statt. Die Pilger »springen« in<br />

Reihen durch die Straßen bis zum Grab des<br />

Heiligen Willibrord in der Echternacher Basilika.<br />

Der Düsseldorfer Pfarrer Anton Joseph<br />

Binterim beschrieb 1848 die Schrittfolgen mit<br />

drei vor, zwei zurück. 1 Daran erinnert die aktuelle<br />

Rechtsprechung der <strong>Arbeit</strong>s- <strong>und</strong> Verwaltungsgerichte.<br />

Diese entscheiden in der<br />

Echternacher Schrittfolge, wenn <strong>Arbeit</strong>nehmervertretungen<br />

ihre Aufgaben wahrnehmen<br />

wollen <strong>und</strong> <strong>Arbeit</strong>geber Datenschutz einwenden.<br />

Das gilt insbesondere im Rahmen des Betrieblichen<br />

Eingliederungsmanagements.<br />

BEM als Suchprozess zur<br />

Beschäftigungssicherung<br />

Das BEM ist 2004 mit der Änderung des § 84<br />

Abs. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) IX für alle <strong>Arbeit</strong>geber<br />

eingeführt worden. Nach § 84 Abs. 2<br />

Satz 1 SGB IX wird der <strong>Arbeit</strong>geber ab dem<br />

43. Krankheitstag eines <strong>Arbeit</strong>nehmers innerhalb<br />

von zwölf Monaten verplichtet, die<br />

Möglichkeiten zu »klären, wie die <strong>Arbeit</strong>sunfähigkeit<br />

möglichst überw<strong>und</strong>en werden <strong>und</strong><br />

mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter<br />

<strong>Arbeit</strong>sunfähigkeit vorgebeugt <strong>und</strong> der <strong>Arbeit</strong>splatz<br />

erhalten werden kann.«<br />

Wenn das Gesetz hier vom »<strong>Arbeit</strong>splatz«<br />

spricht, dürfte das auf einem Redaktionsversehen<br />

beruhen. Es geht um die Klärung aller<br />

Beschäftigungsmöglichkeiten zum Erhalt des<br />

<strong>Arbeit</strong>sverhältnisses. 2<br />

Das BEM zielt somit darauf ab, für erkrankte<br />

<strong>Arbeit</strong>nehmer Beschäftigungsmöglichkeiten<br />

zu inden <strong>und</strong> zu sichern. Die dazu erforderliche<br />

Klärung soll der <strong>Arbeit</strong>geber nicht alleine<br />

durchführen, sondern nach § 84 Abs. 2 Satz 1<br />

SGB IX »mit der zuständigen Interessenvertretung<br />

[…] <strong>und</strong> mit Zustimmung <strong>und</strong> Beteiligung<br />

der betrofenen Person«. Ergänzend muss<br />

nach § 84 Abs. 2 Satz 2, 4 <strong>und</strong> 5 SGB IX in<br />

Gestalt von Werks- oder Betriebsarzt, Rehabilitationsträgern<br />

<strong>und</strong> Inte grationsamt der interne<br />

sowie externe Sachverstand an der Klärung<br />

beteiligt werden. 3<br />

Das bedeutet: Der <strong>Arbeit</strong>geber hat einen dialogischen<br />

<strong>und</strong> kooperativen Suchprozess 4 zu<br />

organisieren. Ziel der Suche ist, die Ausgliederung<br />

des kranken Mitarbeiters zu vermeiden.<br />

Da der Suchprozess auch sensitive persönliche<br />

Verhältnisse des Kranken berühren kann, ist<br />

zum Schutz des Persönlichkeitsrechts in § 84<br />

Abs. 2 Satz 1 SGB IX die Durchführung der<br />

Klärungsphase von der Zustimmung des Betrofenen<br />

abhängig gemacht worden. Damit<br />

dieser ausreichend informiert über die Zustimmung<br />

entscheidet, ist der <strong>Arbeit</strong>geber in § 84<br />

Abs. 2 Satz 3 SGB IX verplichtet worden, ihn<br />

über die Ziele des BEM aufzuklären sowie auf<br />

Art <strong>und</strong> Umfang der für die Klärung erhobenen<br />

<strong>und</strong> verwendeten Daten hinzuweisen. Nur<br />

bei ausreichender Information wird ein BEM<br />

ordnungsgemäß eingeleitet. 5<br />

16<br />

1 Anton Josef Binterim, De saltatoria, quae Epternaci quotannis<br />

celebratur, supplicatione cum praeviis in choreas sacras animadversionibus.<br />

Tractatum historicum; Düsseldorf 1848, 18f: »saltantes<br />

progredi passus tres regredique duos.«<br />

2 Vgl. BAG 7.2.2012 – 1 ABR 46/10, Rn. 19, in: BAGE 140, 350; LPK-SGB<br />

IX/Düwell, 4. Aulage, § 84 Rn. 28<br />

3 BAG 20.11.2014 – 2 AZR 755/13, in: NZA 2015, 612<br />

4 BAG 10.12.2009 – 2 AZR 198/09, Rn. 18, in: NZA 2010, 639; Kohte<br />

jurisPR-ArbR 16/2008, Anm. 1; OVG Rheinland-Pfalz 17.10.2012 – 5 A<br />

1<strong>05</strong>23/12, in: PersR 2013, 90<br />

5 BAG 20.11.2014 – 2 AZR 755/13, in: NZA 2015, 612; zu Recht kritisch:<br />

Kohte, jurisPR-ArbR 9/<strong>2017</strong> Anm. 2


CuA 5 |<strong>2017</strong><br />

ges<strong>und</strong>heitsdaten<br />

titelthema<br />

Rechte der Interessenvertretungen<br />

§ 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX weist den zuständigen<br />

Interessenvertretungen im Sinne des § 93<br />

SGB IX, das sind Personal- oder Betriebsrat,<br />

sowie bei betrofenen schwerbehinderten Menschen<br />

außerdem die Schwerbehindertenvertretung<br />

(SBV), die Aufgabe zu, mit dem <strong>Arbeit</strong>geber<br />

gemeinsam die Klärung der Beschäftigungsmöglichkeiten<br />

vorzunehmen. Nach dem<br />

klaren Wortlaut der Norm soll der <strong>Arbeit</strong>geber<br />

den Suchprozess nicht allein, sondern nur<br />

»mit der zuständigen Interessenvertretung«<br />

durchführen dürfen. 6 Dennoch entnimmt die<br />

Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts<br />

(BAG) daraus kein Recht der <strong>Arbeit</strong>nehmervertretungen<br />

auf eine mitbestimmte Klärung,<br />

sondern nur ein Initiativrecht, durch das Aufstellen<br />

genereller Verfahrensregelungen nach<br />

§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG die Ausgestaltung des<br />

Klärungsverfahrens mitregeln zu dürfen. 7<br />

§ 84 Abs. 2 Satz 6 <strong>und</strong> 7 SGB IX weisen<br />

den zuständigen Interessenvertretungen ausdrücklich<br />

zwei weitere Rechte zu:<br />

· Sie können die Durchführung des Klärungsverfahrens<br />

verlangen.<br />

· Sie wachen darüber, dass der <strong>Arbeit</strong>geber<br />

die ihm nach § 84 Abs. 2 SGB IX obliegenden<br />

Verplichtungen erfüllt.<br />

Anspruch auf Namenslisten<br />

Die Wahrnehmung dieser Rechte setzt die Information<br />

über die Betrofenen voraus, die der<br />

<strong>Arbeit</strong>geber aufzuklären, deren Zustimmung<br />

er einzuholen hat <strong>und</strong> für die nach ihrer Zustimmung<br />

der Klärungsprozess durchzuführen<br />

ist. Um die Aufgabenerfüllung zu ermöglichen,<br />

haben <strong>Arbeit</strong>geber die <strong>Arbeit</strong>nehmervertretungen<br />

rechtzeitig <strong>und</strong> umfassend zu unterrichten<br />

<strong>und</strong> auf Verlangen die zur Durchführung der<br />

Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung<br />

zu stellen. Das ist musterhaft in § 80<br />

Abs. 2 Satz 1 BetrVG geregelt. Mit dieser Verplichtung<br />

geht ein entsprechender Anspruch<br />

des Betriebsrats einher, soweit die begehrte Information<br />

zur Aufgabenwahrnehmung erforderlich<br />

ist. 8 Hieraus folgt eine Prüfung:<br />

1. ob überhaupt eine Aufgabe des Betriebsrats<br />

gegeben <strong>und</strong><br />

2. ob im Einzelfall die begehrte Information zu<br />

ihrer Wahrnehmung erforderlich ist.<br />

Verweigern <strong>Arbeit</strong>geber diese Informationen<br />

unter Hinweis auf zu schützende personenbezogene<br />

Daten der Betrofen, laufen die Rechte<br />

der <strong>Arbeit</strong>nehmervertretungen leer. Diese Verweigerungshaltung<br />

haben zunächst die Verwaltungsgerichte<br />

im Verhältnis vom Dienststellenleiter<br />

zum Personalrat unterstützt. 9<br />

Dem sind jedoch BAG 10 <strong>und</strong> B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht<br />

(BVerwG) 11 entgegengetreten.<br />

Das höchste deutsche <strong>Arbeit</strong>sgericht hat festgestellt,<br />

dass es erforderlich ist, wie verlangt,<br />

quartalsweise dem Betriebsrat eine Aufstellung<br />

mit den Namen der betrofenen <strong>Arbeit</strong>nehmer<br />

zu überlassen. Eine anonymisierte Unterrichtung<br />

lasse die Überwachung der sich aus § 84<br />

Abs. 2 Satz 1 SGB IX ergebenden Plichten<br />

des <strong>Arbeit</strong>gebers nicht aus. Ein anonymisiertes<br />

Mitarbeiterverzeichnis lasse nämlich nur<br />

die bloße Anzahl der <strong>Arbeit</strong>nehmer erkennen,<br />

welche die Voraussetzungen für ein BEM erfüllen.<br />

Das ist zutrefend, denn für die Überwachung,<br />

ob der <strong>Arbeit</strong>geber das Verfahren<br />

entsprechend seiner gesetzlichen Initiativlast<br />

auch einleitet, genügt nicht die bloße Kenntnis<br />

der Anzahl der in Frage kommenden <strong>Arbeit</strong>nehmer.<br />

12<br />

Gleichfalls richtig ist das Argument, eine<br />

Liste, in der nur diejenigen aufgeführt sind,<br />

welche der Weitergabe der Daten an den Betriebsrat<br />

zustimmen, ist auch nicht geeignet,<br />

den <strong>Arbeit</strong>geber hinsichtlich seiner Initiativlast<br />

zur Aufklärung über die Ziele des BEM<br />

<strong>und</strong> die beabsichtigte Verarbeitung von personenbezogenen<br />

Daten zu überwachen. Schließlich<br />

ist auch die immer wieder als Kompromiss<br />

ins Spiel gebrachte Pseudonymisierung nicht<br />

hilfreich; denn ohne namentliche Kenntnis<br />

des konkreten Beschäftigten hat der Betriebsrat<br />

nicht die Möglichkeit, durch Nachfrage zu<br />

überprüfen, ob der <strong>Arbeit</strong>geber die Durchführung<br />

eines BEM angeboten <strong>und</strong> den <strong>Arbeit</strong>nehmer<br />

ordnungsgemäß belehrt hat.<br />

Bei dieser Gelegenheit hat das BAG auch<br />

datenschutzrechtliche Einwände ausgeräumt.<br />

Die Namensliste enthält besondere personenbezogene<br />

Angaben im Sinne von § 3 Abs. 9<br />

BDSG, weil die Tatsache des 43. Fehltags infolge<br />

<strong>Arbeit</strong>sunfähigkeit eine Angabe zur Ges<strong>und</strong>heit<br />

enthält. Die Übermittlung sei nach<br />

auszeichnung<br />

Professor Franz Josef<br />

Düwell wurde durch<br />

B<strong>und</strong>esarbeitsministerin<br />

Andrea Nahles am<br />

28. März <strong>2017</strong> wegen<br />

sei ner Verdienste um das<br />

<strong>Arbeit</strong>srecht mit dem<br />

B<strong>und</strong>esverdienstkreuz<br />

ausgezeichnet. Franz<br />

Josef Düwell war von 1977<br />

bis 2011 als Richter in der<br />

<strong>Arbeit</strong>sgerichtsbarkeit<br />

tätig. Seit 2001 war er<br />

Vorsitzender Richter am<br />

B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />

<strong>und</strong> führte den Vorsitz<br />

im Neunten Senat. Er ist<br />

seit 2010 Honorarprofessor<br />

im Fachbereich<br />

Rechtswissenschaft der<br />

Universität Konstanz <strong>und</strong><br />

lehrt dort <strong>Arbeit</strong>s- <strong>und</strong><br />

Datenschutzrecht.<br />

6 Zum Mitklärungsrecht LPK-SGB IX/Düwell, aaO, § 84 Rn. 68<br />

7 BAG 22.3.2016 – 1 ABR 14/14, Rn. 12, in: BAGE 154, 329<br />

8 BAG 15.3.2011 – 1 ABR 112/09, Rn. 23, in: EzA BetrVG 2001 § 80 Nr. 13<br />

9 VG Köln 1.7.2009 – 34 K 4172/08 PVL, in: juris; OVG NRW 26.4. 2011<br />

– 16 A 1950/09.PVL, in: juris; Bay VGH 30.4.2009 – 17 P 08.3389, in:<br />

VGHE BY 62, 41<br />

10 BAG 7.2.2012 – 1 ABR 46/10, in: BAGE 140, 350; die gegen die<br />

Entscheidung eingelegte Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung<br />

angenommen worden: BVerfG 25.3.2015 – 1 BvR 1418/12<br />

11 BVerwG 23.6.2010 – 6 P 8/09, in: PersR 11/2010, 442 f. <strong>und</strong> ArbRB<br />

2010, 198<br />

12 So auch für den Personalrat: BVerwG 23.6. 2010 – 6 P 8/09, Rn. 43,<br />

in: BVerwGE 137, 148<br />

17


it-mitbestimmung Vitamin D per App CuA 5 |<strong>2017</strong><br />

Vitamin D per App<br />

arbeitsschutz Ohne UV-Strahlung kein Vitamin D. Doch heutige Fensterscheiben<br />

lassen kein ultraviolettes Licht mehr an den <strong>Arbeit</strong>splatz<br />

durch. <strong>Arbeit</strong>geber, <strong>Arbeit</strong>nehmer <strong>und</strong> ihre Vertretungen können aber<br />

viel für ges<strong>und</strong>es Licht bei der <strong>Arbeit</strong> tun.<br />

VON AHMET E. ÇAKIR<br />

darum geht es<br />

1. Der Mensch benötigt<br />

Vitamin D. Ein Mangel<br />

stellt ein erhebliches ges<strong>und</strong>heitliches<br />

Risiko dar.<br />

2. Der Körper benötigt<br />

UV-Licht zum Produzieren<br />

des Vitamins – das an<br />

modernen <strong>Arbeit</strong>splätzen<br />

aber kaum noch vorhanden<br />

ist.<br />

3. Kleine Programme helfen<br />

beim Bestimmen der<br />

ultravioletten Strahlung.<br />

Kaum scheint die Frühlingssonne,<br />

prasseln Zeitungsartikel <strong>und</strong> Fernsehberichte<br />

über die Gefahren des<br />

Sonnenlichts auf einen nieder.<br />

Die sogenannten »Hautkrebs-Präventions-<br />

Kampag nen« haben im Frühjahr Saison, <strong>und</strong><br />

nehmen den Platz der Artikel über die Winterdepression<br />

vom Herbst ein, die den Blätterwald<br />

gefüllt hatten. Hinter beiden steckt –<br />

neben wirtschaftlichen Interessen – das Licht,<br />

nämlich das Licht, das wir nicht haben.<br />

Menschen in Industriegesellschaften verbringen<br />

bis zu 90 Prozent ihrer Zeit in geschlossenen<br />

Räumen <strong>und</strong> hinter Glas. So erreicht<br />

die Strahlung, unter der sich der Mensch<br />

entwickelt hat, die ultraviolette Strahlung<br />

beziehungsweise UV, uns nicht mehr. Folgen<br />

wir den Kampagnen der Sonnencreme-Produzenten,<br />

wird nicht nur die nächste Winterdepression<br />

schwerer ausfallen, sondern auch<br />

die Wahrscheinlichkeit steigen, dass uns eine<br />

andere Art von Krebs befällt. Während dies –<br />

zum Glück – noch in weiter Ferne liegt, spürt<br />

man andere Folgen unmittelbar, Schlappheit,<br />

Müdigkeit, Unlust …<br />

Und alles hängt mit dem Vitamin D zusammen.<br />

Es ist der Stof, aus dem Leben gemacht<br />

wird.<br />

Was ist, was macht Vitamin D?<br />

Vitamin D ist eigentlich gar kein Vitamin, sondern<br />

ein Hormon. Während man Vitamine mit<br />

der Nahrung aufnehmen kann, produziert der<br />

menschliche Körper Vitamin D selbst, benötigt<br />

dafür aber bestimmte Mengen an UV-Licht auf<br />

der Haut. Während eine der lebenswichtigen<br />

Wirkungen von Vitamin D vielen bekannt<br />

ist, die Regulierung des Kalzium-Haushalts<br />

beim Knochenaufbau, bleibt seine Rolle bei<br />

der Signal übertragung der Nerven häuig unerwähnt.<br />

Unser körpereigenes Informationssystem<br />

funktioniert nicht ohne Vitamin D.<br />

Zudem ist eine Unterversorgung mit Vitamin<br />

D ofenbar ein Risikofaktor für diverse Erkrankungen<br />

wie beispielsweise Autoimmunerkrankungen,<br />

Bluthochdruck, einige Krebsarten,<br />

metabolisches Syndrom, multiple Sklerose,<br />

Herz-Kreislauferkrankungen oder Demenz.<br />

Die häuig auf den Lichtmangel im Herbst<br />

bezogene Winterdepression, die man üblicherweise<br />

mit dem Lichtmangel an trüben Novembertagen<br />

in Zusammenhang sieht, entsteht<br />

just in den Monaten, in denen der Vorrat an<br />

Vitamin D zur Neige geht. So hat ein großer<br />

Teil der Bevölkerung von Mitteleuropa bereits<br />

Ende November ein Vitamin D Deizit im Blut.<br />

Dass im Winter Erkältungskrankheiten zunehmen,<br />

ist nicht unbedingt auf die zweifellos vorhandene<br />

Kälte zurückzuführen. Erkälten kann<br />

man sich auch im Sommer. Unsere Immunabwehr<br />

liegt wegen des Vitamin D-Mangels<br />

darnieder, bei manchen früher, bei manchen<br />

später, je nach Hautfarbe <strong>und</strong> Lebensweise.<br />

Das erklärt eher unsere höhere Anfälligkeit im<br />

Winter.<br />

Haben wir nicht genügend<br />

<strong>Arbeit</strong>sschutz?<br />

Der deutsche <strong>Arbeit</strong>sschutz hat die Bedeutung<br />

des Tageslichts erkannt, so gilt seit 2004 das<br />

Tageslicht als bevorzugte Beleuchtung in der<br />

ArbStättV. Und die dazugehörige ASR A3.4<br />

präzisiert sogar die Menge des Tageslichts, das<br />

am <strong>Arbeit</strong>splatz – hofentlich – ankommt. In<br />

der Lichttechnik herrscht seit etwa 2002 eine<br />

große Euphorie über die Möglichkeiten, biologisch<br />

wirksame Beleuchtung in <strong>Arbeit</strong>sstätten<br />

zu realisieren.<br />

24


CuA 5 |<strong>2017</strong><br />

Vitamin D per App<br />

it-mitbestimmung<br />

Das Kind hat sogar einen Namen: HCL wie<br />

Human Centric Lighting. Will sagen: Bei der<br />

Beleuchtung steht der Mensch im Mittelpunkt.<br />

Wozu dann die Ausführungen über UV <strong>und</strong> Vitamin<br />

D?<br />

Die Realität lässt sich kurz erklären: Tageslicht<br />

in <strong>Arbeit</strong>sstätten ist Sonnenlicht minus<br />

UV <strong>und</strong> Infrarot (IR).<br />

Während ältere Verglasungen noch etwas<br />

UV durchließen, schneiden moderne Gläser,<br />

die wegen der Energieeizienz eingesetzt<br />

werden, diese Strahlung <strong>und</strong> IR komplett ab<br />

<strong>und</strong> reduzieren auch noch das sichtbare Licht.<br />

Dies kann im schlimmsten Fall um 70 Prozent<br />

liegen <strong>und</strong> selbst bei moderaten Umbauten 50<br />

Prozent betragen.<br />

Im Klartext: Im Jahresmittel erreicht nur<br />

noch ein Drittel des möglichen Tageslichts<br />

den <strong>Arbeit</strong>sraum. Möglich heißt meistens nur<br />

etwa ein Prozent des Lichts im Freien! Und<br />

diejenigen, die den Menschen bei der Beleuchtung<br />

in den Mittelpunkt rücken, denken<br />

nur an Beleuchtung <strong>und</strong> nicht an die lebenswichtige<br />

Strahlung. Licht enthält seit 1924 für<br />

Lichttechniker keine UV- <strong>und</strong> IR-Strahlung<br />

mehr. Da der menschliche Körper aber beide<br />

braucht, gibt es im Innenraum im Prinzip<br />

kein ges<strong>und</strong>es Licht. Man kann es allenfalls so<br />

gestalten, dass das Licht möglichst nicht stört<br />

<strong>und</strong> möglichst viele Eigenschaften von Tageslicht<br />

nachbildet.<br />

Was tun?<br />

Die Möglichkeiten, die sowohl Betriebe als<br />

auch <strong>Arbeit</strong>nehmer ausnutzen können, beruhen<br />

auf der Wirkungsweise der UV-Strahlung,<br />

deren Folgeprodukt Vitamin D im Körper gespeichert<br />

wird. Anders als das Licht, das man<br />

zum Sehen erzeugt, muss UV nicht ständig<br />

vorhanden sein. Man kann also UV-Strahlung<br />

»tanken«.<br />

Das Thema Unterversorgung mit Vitamin<br />

D durch zu geringe UV-Strahlung wird heute<br />

eher nicht als ein betriebliches Thema gesehen,<br />

auch wenn die Ursache arbeitsbedingt ist.<br />

Ohne zusätzliche Maßnahmen kann im Allgemeinen<br />

tatsächlich nur das Verhalten der Beschäftigten<br />

außerhalb des Betriebs zur Vitamin<br />

D-Bildung beitragen.<br />

Daher besteht der erste Schritt zur Abhilfe<br />

in der Aufklärung über die tatsächlichen Zusammenhänge<br />

– Hilfe zur Selbsthilfe. Mancher<br />

Betriebsarzt bietet sogar eine Untersuchung<br />

des Vitamin-D Spiegels im Blut an.<br />

Im Betrieb könnten aber durch bauliche wie<br />

organisatorische Maßnahmen Möglichkeiten<br />

geschafen werden, um den Beschäftigten Zugang<br />

zur UV-Strahlung zu ermöglichen. Denkbar<br />

wären zum Beispiel Kantinen mit Außenbereichen,<br />

Wintergärten mit UV-durchlässiger<br />

Verglasung, grün gestaltete Aufenthaltsbereiche<br />

auf Dächern von Parkhäusern, Kantinen<br />

auf dem Werksgelände, zu denen man etwas<br />

länger hinlaufen muss oder Betriebssportangebote<br />

im Freien.<br />

Apps bestimmen UV-Licht<br />

Da das UV-Angebot der Natur stark von der<br />

Tages- <strong>und</strong> Jahreszeit abhängt, kommt dem Timing<br />

eine große Bedeutung zu. Hierzu kann<br />

man diverse Apps einsetzen, die das vorhandene<br />

beziehungsweise zu erwartende UV-Licht<br />

(UV-Index) bestimmen können.<br />

Die Programme helfen naturgemäß aber<br />

auch zu erkennen, wann man zu viel vom Guten<br />

bekommen würde. Die Mallorca-Akne ist<br />

schließlich kein Schönheitsleck. v<br />

Dr.-Ing. Ahmet E. Çakir, Leiter des Ergonomic<br />

Instituts für <strong>Arbeit</strong>s- <strong>und</strong> Sozialforschung, Berlin,<br />

Beratung von Anwendern <strong>und</strong> Herstellern in allen<br />

Fragen der ergonomischen Gestaltung von Bildschirmarbeit<br />

www.ergonomic.de<br />

ahmet.cakir@ergonomic.de<br />

Dachgärten ermöglichen<br />

Mitarbeitern den Zugang<br />

zu ultraviolettem Licht.<br />

Apps helfen beim Bestimmen<br />

der UV-Strahlung.<br />

25


IT <strong>und</strong> Datenschutz. Mitbestimmen.<br />

<strong>Computer</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Arbeit</strong><br />

cua | it-mitbestimmung <strong>und</strong> datenschutz<br />

cua-web.de<br />

26. JAHRGANG<br />

ISSN 1863-8511<br />

D 11680<br />

5 | <strong>2017</strong><br />

<strong>Computer</strong> <strong>und</strong> <strong>Arbeit</strong><br />

CuA | IT-MITBESTIMMUNG<br />

UND DATENSCHUTZ<br />

Mit Online-Ausgabe <strong>und</strong> Archiv<br />

Neuaulage!<br />

Mit Redaktions-Service-Online<br />

Mit App<br />

ges<strong>und</strong>heitsdaten<br />

BEM <strong>und</strong> Datenschutz<br />

qualifizierung Das Lernen in der <strong>Arbeit</strong> kommt unter die Räder der Digitalisierung<br />

ges<strong>und</strong>heit Apps helfen bei der Versorgung mit Vitamin D am <strong>Arbeit</strong>splatz<br />

eu-datenschutz Die neue Risikoanalyse ist eine wertvolle Informationsquelle<br />

Machen Sie jetzt<br />

den Gratis-Test!<br />

§<br />

Ihr gutes Recht:<br />

§<br />

»<strong>Computer</strong> <strong>und</strong> <strong>Arbeit</strong>« ist erforderliches <strong>Arbeit</strong>smittel<br />

gemäß § 40 Abs. 2 BetrVG bzw. § 44 Abs. 2 BPersVG<br />

sowie den entsprechenden Vorschriften der LPersVG.<br />

Ganz nah dran.<br />

Ihr Partner im <strong>Arbeit</strong>s- <strong>und</strong> Sozialrecht.

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