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Spurensuche Leonding<br />
1898 – 1938 – 2008<br />
Zufälligkeiten können für eine Ortschaft nachhaltige<br />
Folgen hervorrufen, die als Belastung empfunden<br />
werden. Einer jener Zufälligkeiten begegnet man in<br />
Leonding, wenn im Jahre 1898 die Familie Alois Hitler<br />
ein Haus kauft und dort einzieht. Weniger zufällig<br />
waren im Jahre 1938 die Ausnahmeregelungen der<br />
Gemeinde, die nicht nur darin bestanden, dass eine<br />
Eingemeindung nach Linz verhindert wurde, sondern<br />
auch dass der Ort zum beliebten Tourismusziel avancierte.<br />
Die Folgen dieser Umstände, aber auch der<br />
Umgang mit dem ungeliebten Erbe, der sich in den<br />
Nachkriegsjahren zwangsläufig ergab, sollen in dieser<br />
Publikation aber auch in der Ausstellung im Turm 9 -<br />
Stadtmuseum Leonding zum Thema gemacht wer-<br />
den. Schwerpunktmäßig konzentriert sich dieser<br />
Beitrag auf die Opfer des Nationalsozialismus, die<br />
Kriegopfer und die touristischen Höhepunkte in den<br />
Jahren von 1936-1945. Um ein möglichst getreues<br />
Bild von Leonding weiterzugeben, wurden auch<br />
Darstellungen zu den wichtigsten Ereignissen um<br />
1900, also jenen Jahren in denen Adolf Hitler hier<br />
seine Jugend verbrachte und die Jahre der<br />
Inanspruchnahme durch die nationalsozialistische<br />
Propaganda 1938-1945 dargestellt. Ergänzt wird<br />
diese Zusammenstellung aber auch um einen Beitrag<br />
zu den künstlerischen Arbeiten von Leonding, insbesondere<br />
vom Hitlerhaus nach 1936.
SPURENSUCHE LEONDING<br />
1898 - 1938 - 2008<br />
3
Impressum<br />
Spurensuche Leonding 1898 – 1938 – 2008<br />
Das Buch zur Ausstellung<br />
Medieninhaber und Herausgeber:<br />
Stadtgemeinde Leonding<br />
© 2008 by<br />
Stadtgemeinde Leonding<br />
www.leonding.at<br />
Verleger:<br />
Stadtgemeinde Leonding<br />
Kultur- und Veranstaltungsmanagement<br />
Stadtplatz 1<br />
4060 Leonding<br />
Verkauf:<br />
Stadtgemeinde Leonding<br />
Bürgerservice Leonding<br />
Tel. +43(0)732/6878 280<br />
Stadtbücherei Leonding<br />
Tel. +43(0)732/6878 200<br />
Stadtplatz 1<br />
4060 Leonding<br />
Turm 9 - Stadtmuseum Leonding<br />
Daffingerstr. 55<br />
4060 Leonding<br />
Tel. +43(0)732/674746<br />
www.leonding.at<br />
Idee, Konzept und Redaktion:<br />
Dr. Thekla Weissengruber<br />
4<br />
Titel:<br />
Idee: Alfred Hofer © 2008<br />
Umsetzung: Mag.art. Horst Scheiböck<br />
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in<br />
irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung<br />
oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet,<br />
vervielfältigt oder verbreitet werden.<br />
Hergestellt im Eigenverlag der Stadtgemeinde<br />
Leonding.<br />
Gedruckt mit Unterstützung des Landes<br />
Oberösterreich<br />
Projekt:<br />
„Spurensuche Leonding 1898-1938-2008“<br />
Projektleitung:<br />
Dr. Thekla Weissengruber<br />
OÖ. Landesmuseen / Turm 9 - Stadtmuseum<br />
Leonding<br />
Kuratorin und Ausstellungsleitung:<br />
Dr. Thekla Weissengruber<br />
OÖ. Landesmuseen / Turm 9 - Stadtmuseum<br />
Leonding<br />
Projektbegleitung:<br />
Dr. Birgit Kirchmayr<br />
Universität Linz, Institut für Zeitgeschichte<br />
Projektteam:<br />
Kons. Josef Andreas Kauer<br />
Dipl. Ing. Gerhard Tolar<br />
Ing. Christian Hauf / Ing. Horst Eigl<br />
Judith Wurst-Varjai, Sabine Peschek<br />
(Turm 9 – Stadtmuseum Leonding)<br />
Thomas Asen (Kultur- und<br />
Veranstaltungsmanagement Stadtgemeinde<br />
Leonding)<br />
Thomas Hinterberger (Kult-Ex)<br />
Ausstellungsgestaltung<br />
Alfred Hofer<br />
Grafische Gestaltung:<br />
Mag.art. Horst Scheiböck<br />
Druck: Gutenberg Druck / Linz
INHALT<br />
VORWORTE<br />
LH Dr. Pühringer................................................................................6<br />
Dr. Mattes...........................................................................................7<br />
BGM Dr. Sperl....................................................................................8<br />
VBGM Mag. Kreinecker.....................................................................9<br />
VORBEMERKUNG<br />
Thekla Weissengruber....................................................................10<br />
1898<br />
Josef Andreas Kauer<br />
Leonding anno 1898..........................................................................12<br />
Gerhard Tolar<br />
Ein Dorf im Erzherzogtume ob der Enns um 1900...........................21<br />
LEONDING 1938 - 1945<br />
Josef Andreas Kauer<br />
Nationalsozialismus in Leonding im Spiegel<br />
dreier Chroniken. Erinnern oder vergessen?....................................25<br />
Gerhard Tolar<br />
Die manipulierte Masse -<br />
Anmerkungen zum Nationalsozialismus............................................40<br />
Gerhard Tolar<br />
NS-Vermögensentzug in Leonding....................................................46<br />
Gerhard Tolar<br />
Gleichschaltung der Vereine..............................................................68<br />
Judith Wurst-Varjai<br />
Wie ein Alltagsgegenstand Bedeutung erlangt!.................................74<br />
Thekla Weissengruber<br />
Früher Tourismus in Leonding...........................................................79<br />
Philipp Lauthner<br />
Der veränderte Blick<br />
Hitler in Leonding als Thema damaliger Kunst.................................90<br />
Josef Andreas Kauer<br />
Kriegsopfer als Folge der Ereignisse nach 1938.............................. 95<br />
Gerhard Tolar<br />
Zivile Opfer totalitärer Regime in Leonding<br />
1933 - 1945 - Vom harten Durchgreifen bis<br />
zum Ausmerzen Unwerter............................................................... 108<br />
DAS ERBE<br />
Thekla Weissengruber<br />
Umgang mit Erbe. Die Gemeinde Leonding und<br />
ihr Umgang mit der NS-Vergangenheit...........................................128<br />
Die Auseinandersetzung mit der Geschichte in Leonding...............137<br />
Das Projekt "Nachklang Widerhall" ................................................137<br />
Das Projekt der HTL Leonding........................................................138<br />
Bildnachweis....................................................................................141<br />
5
6<br />
VORWORTE<br />
Landeshauptmann Dr. Josef Pühringer GESCHICHTE BELEUCHTEN - ZUKUNFT GESTALTEN<br />
Oberösterreich feiert 2008 viele Gedenktermine. Im<br />
Jubiläum "90 Jahre Oberösterreich 1918-2008" werden<br />
in verschiedensten Projekten und Veranstaltungen<br />
an wichtige Ereignisse erinnert. Als erstes<br />
bedeutendes Datum erinnert 1918 an das Ende des<br />
Ersten Weltkrieges, den Untergang der Habsburger<br />
Monarchie, die Gründung Oberösterreichs aus dem<br />
"Erzherzogtum ob der Enns" und damit an einen<br />
wichtigen Wendepunkt in der Landesgeschichte.<br />
Einen weiteren markiert 1938 mit dem Anschluss<br />
Österreichs an Hitler-Deutschland und den Beginn<br />
der Jahre der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft.<br />
Gerade in diesem 20. Jahrhundert durchlebte<br />
Oberösterreich unterschiedlichste Phasen politischer,<br />
wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Umstrukturierungen.<br />
Der Erfolgsweg zur heutigen Zukunftsregion<br />
begann noch in den Jahren der Besatzung<br />
nach dem Zweiten Weltkrieg.<br />
Auch das Projekt "Spurensuche Leonding 1898-1938-<br />
2008" lässt sich in dieses Gedenkjahr einreihen. Das<br />
Land Oberösterreich unterstützt gerne jegliche Initiative,<br />
die sich der Erforschung der Geschichte der<br />
eigenen Region und Ortschaft widmet und begrüßt<br />
besonders, dass auch die dunklen Kapitel berücksichtigt<br />
werden. Ziel des Gedenkjahres 2008 kann<br />
dabei nur sein, erinnerte Geschichte in einer ganzheitlichen<br />
Sicht gegenwärtig zu halten als wertvolle<br />
Orientierung für Gegenwart und Zukunft, wobei keine<br />
Kapitel unserer Geschichte ausgeklammert werden<br />
dürfen.<br />
Ihr<br />
Dr. Josef Pühringer
Landeskulturdirektor HR Dr. Reinhard Mattes DIE WAHRHEIT SUCHEN<br />
Das Land Oberösterreich widmet sich heuer in besonderer<br />
Weise der Zeitgeschichte, beleuchtet 90<br />
Jahre nach Gründung der Republik die Zwischenkriegszeit<br />
und die dunklen Jahre der NS Herrschaft<br />
ebenso wie die Zeit des Wiederaufbaues und der<br />
oberösterreichischen Erfolgsgeschichte der letzten<br />
Jahrzehnte.<br />
Bei der Betrachtung der Geschichte darf man sich<br />
nicht nur die „Rosinen“ – die guten Zeiten und Facetten<br />
heraussuchen, im Gegenteil es ist ein möglichst<br />
breiter und umfassender Ansatz erforderlich. Dieses<br />
Bemühen um Fakten und Details zu allen historischen<br />
Perioden und Geschehnissen, dieses klare Aufzeigen<br />
auch unangenehmer und negativ konnotierter Ereignisse,<br />
die wissenschaftliche Forschung ebenso wie die<br />
Einholung und Dokumentation noch vorhandener persönlicher<br />
Erinnerungen gehört zum besonderen „Gedenkjahr“<br />
2008 und zu jeglicher seriösen Beschäftigung<br />
mit Geschichte.<br />
„Spurensuche“ in Leonding hat mit dem Projekt „1898 -<br />
1938-2008“ eine neue, aber auch im Sinn der ursprünglichen<br />
Intention passende Bedeutung erhalten.<br />
War von Anfang an mit dieser Ausstellungsidee des<br />
Museums im Turm 9 ein Kennenlernen der Geschichte<br />
und Identität der Leondinger Ortschaften bzw.<br />
Stadtteile beabsichtigt, so ist mit der Aufarbeitung vor<br />
allem der NS Zeit in Leonding nunmehr ein gerade für<br />
Leonding ganz spezifisches Thema gewählt, dessen<br />
historische Spuren zu suchen und zu sichern sind.<br />
Spurensuche bedeutet gerade aber hier mehr als bloß<br />
suchen und finden – es müssen auch Interpretation,<br />
Bewertung und Gewichtung der Fakten vorgenommen<br />
werden, aus der Fülle persönlicher Erinnerungen von<br />
Zeitzeugen, aus Aufzeichnungen, Chroniken, Akten<br />
und eher zufälligen schriftlichen Spuren muß ein<br />
geordnetes Bild entstehen, eine Zeit und ihre Phänomene<br />
erklärend dargestellt und beleuchtet werden.<br />
Ich begrüße dieses Projekt ganz besonders und freue<br />
mich über diese Spurensuche nach „Wahrheit“ sowie<br />
über die Kooperation mit dem OÖ Landesmuseum und<br />
danke den Initiatoren, Mitarbeitern und Wissenschaftern<br />
für ihre fundierte Arbeit an einem umfassenden<br />
Gesamtbild unserer Stadtgeschichte.<br />
HR Dr. Reinhard Mattes<br />
7
Bürgermeister Dr. Herbert Sperl<br />
8<br />
„ZUKUNFT BRAUCHT HERKUNFT“<br />
Martin Heidegger, Philosoph (1899-1979)<br />
Als wir am Nationalfeiertag des Jahres 1999 das<br />
Stadtmuseum Leonding eröffneten, achteten wir bei<br />
der Darstellung der Geschichte darauf, dass das<br />
Kapitel „Nationalsozialismus in Leonding“ gebührend<br />
Beachtung findet. Dennoch war uns schon damals<br />
bewusst, dass das keinesfalls eine befriedigende<br />
Auseinandersetzung mit dieser Epoche sein kann<br />
und immer noch sehr viele Mythen, Märchen und<br />
Legenden existieren.<br />
Aufgrund der immer geringer werdende Zahl an<br />
Zeitzeugen drängten wir darauf, dass es ehestens zu<br />
einer fundierten Aufarbeitung kommt. So freut es uns,<br />
dass im Gedenkjahr 2008 eine Ausstellung mit einer<br />
begleitenden Publikation zu diesem Thema mit dem<br />
Titel „Spurensuche Leonding 1898-1938-2008“<br />
zustande kommt und auch eine Kooperation mit dem<br />
Oberösterreichischen Landesmuseum und der<br />
Universität Linz aufgebaut werden konnte.<br />
Viele neue Erkenntnisse konnten gewonnen und<br />
Forschungslücken geschlossen werden, sodass hier<br />
ein weiterer Baustein zum Verständnis dieser Zeit<br />
möglich ist. Denn nur wenn man von den Vorkommnissen<br />
und Irrwegen weiß, kann man helfen, in<br />
Zukunft Fehler zu vermeiden.<br />
Dr. Herbert Sperl
VBgm, Kulturreferent Mag. Franz Kreinecker<br />
„WIR WOLLEN GENAU HINSCHAUEN“<br />
Die Ausstellungsserie "Spurensuche" im Stadtmuseum<br />
Leonding erfreut sich großer Beliebtheit in der<br />
Bevölkerung. Dabei haben bisher verschiedene<br />
Leondinger Stadtteile ihre Geschichte und Besonderheiten<br />
aufgearbeitet und fachgerecht in einer Ausstellung<br />
präsentiert.<br />
Heuer, im Gedenkjahr 1938 (Anschluss an Hitler-<br />
Deutschland), haben wir uns vorgenommen unser<br />
genaues Augenmerk darauf zu legen, was Adolf Hitler,<br />
der eine zeitlang in Leonding gelebt hat, für Leonding<br />
bedeutet und wie er Einfluss auf die Entwicklung der<br />
Stadt genommen hat.<br />
Die Entscheidung für diese Ausstellung ist nach heftigen<br />
Diskussionen gefallen. Ich war immer dafür, auch<br />
auf diesen Umstand der Geschichte einen genauen,<br />
objektiven, wissenschaftlich untermauerten Blick zu<br />
werfen. Mit einem profunden Team um die Volkskundlerin<br />
und Historikerin Dr. Thekla Weissengruber<br />
und unseren Chronisten Kons. Josef Kauer ist mir um<br />
die Seriosität der Recherchen nicht bang.<br />
Wichtiges Kriterium dieses Projektes war die Aufzeichnung<br />
der Empfindungen, persönlichen Erlebnisse<br />
und Erfahrungen der letzten Zeitzeugen in Leonding.<br />
Um niemanden auszuschließen werden die Aufnahmen<br />
auch bei laufender Ausstellung fortgeführt.<br />
Die Besucher können mit dieser Ausstellung ihre<br />
Kenntnisse vermehren, da viele den Bezug des ehemaligen<br />
Führers zu Leonding nur vage oder gar nicht<br />
kennen. Sie können sich über die Spurensuche 2008<br />
Einblick und einen sachlichen Überblick über die Zeit<br />
und ihre Auswirkungen auf die Entwicklung unserer<br />
Stadt verschaffen. Wichtig ist mir jedenfalls, dass man<br />
die Möglichkeit hat, genau hinzuschauen. Denn wegschauen<br />
und verschweigen wäre der falsche Ansatz.<br />
So danke ich den fachlichen Mitarbeitern im Team<br />
und den Ausstellungsgestaltern und allen, die den<br />
Beschluss dazu gefällt haben, parallel zur Großausstellung<br />
im Linzer Schlossmuseum auch die<br />
Leondinger Spurensuche auf die Jahre 1898, 1938<br />
und 2008 zu lenken.<br />
Mag. Franz Kreinecker<br />
9
VORBEMERKUNG<br />
Thekla Weissengruber<br />
Für die zweite und dritte Generation „danach“ sind<br />
viele Geschehnisse in Österreich 1938, sowie deren<br />
Vorgeschichte und Nachwirken oftmals nur schwer<br />
verständlich. Die Umorientierung in der politischen<br />
Selbst- und Geschichtsdarstellung Österreichs seit<br />
der „Waldheim-Affäre“, das Eingeständnis einer<br />
gewissen Mittäterschaft und das damit anheim<br />
gehende Umdenken, haben eine Flut von Arbeiten<br />
über den Nationalsozialismus in Österreich ausgelöst.<br />
Gerne werden die Ergebnisse dieser Forschungen an<br />
Gedenktermine gekoppelt. So auch in diesem Projekt<br />
70 Jahre nach der Machtübernahme.<br />
Die Last des Erbes baut auf Zufälligkeiten auf und es<br />
ist wenig zielführend nach dem Wieso und Warum zu<br />
suchen, z.B. weswegen gerade Leonding von Alois<br />
Hitler als Wohnort gewählt wurde. Zufälligkeiten können<br />
für eine Ortschaft nachhaltige Folgen hervorrufen,<br />
die als Belastung empfunden werden. Einer jener<br />
Zufälligkeiten begegnet man in Leonding, wenn im<br />
Jahre 1898 die Familie Alois Hitler ein Haus kauft und<br />
dort einzieht. Weniger zufällig waren im Jahre 1938<br />
die Ausnahmeregelungen für die Gemeinde, die nicht<br />
nur darin bestanden, dass eine Eingemeindung nach<br />
10<br />
„Unser Weg in die Zukunft führt über die Erinnerung. Nur dort, wo die Erinnerung an begangenes<br />
Unrecht der Erinnerung an Erlittenes zur Seite tritt, dort können schlechte historische Kontinuitäten<br />
aufgekündigt werden und dort wird der Weg in die Zukunft frei.“ 1<br />
Erinnerung und Gedächtnis sind wichtige Orientierungsorgane und Grundlage von Gemeinschaft und<br />
Kultur. Wenn wir nicht wissen, woher wir kommen, wissen wir auch nicht wohin wir gehen. Jegliches<br />
Identitätsbewusstsein stützt sich auf die Erinnerung.<br />
Linz verhindert wurde, sondern auch, dass der Ort<br />
zum beliebten Tourismusziel avancierte. Die Folgen<br />
dieser Umstände, aber auch der Umgang mit dem<br />
ungeliebten Erbe sind Thema des Projektes. Daraus<br />
ergab sich als Titel „Spurensuche Leonding<br />
1898–1938-2008“. Da seit einigen Jahren die<br />
„Spurensuche“ als eigenständige Veranstaltungsreihe<br />
zur Aufarbeitung und Präsentation der eigenen<br />
Geschichte in Leonding wirkt, wurde auch dieses<br />
Projekt in diese Serie integriert. Um eine bessere<br />
Einbindung zu gewährleisten ist die Mitwirkung der<br />
ansässigen Bevölkerung mit Unterstützung von wissenschaftlicher<br />
Seite gegeben.<br />
Da gerade für Leonding neben vereinzelten Studien<br />
noch keine eigenständige und umfassende Arbeit<br />
zum Nationalsozialismus gemacht worden war, war<br />
eine umfangreiche Forschungsgrundlage besonders<br />
für dieses Projekt unbedingt von Nöten. Zudem<br />
wurde ein Zeitfaktor bei den Aufnahmen der wohl<br />
letzten Zeitzeugen, bzw. den Erzählungen der zweiten<br />
Generation eine wichtige Säule der Forschung,<br />
die in einem Folgeprojekt noch eine eigene Darstellung<br />
erfahren soll. Unabdingbar ist das Fixieren<br />
von Beobachtungen, Empfindungen und Erfahrungen<br />
von Zeitzeugen, wenngleich nach über 60 Jahren<br />
eine gewisse Transformation, ein veränderter Blickwinkel<br />
und eine Richtung sicherlich zu einer anderen<br />
Wahrnehmung geführt haben, als dies direkt nach<br />
1945 gewesen wäre. Da wir eine offene Diskussion<br />
führen, und alle zum Gespräch einladen wollen, sollen<br />
die Ergebnisse der Zeitzeugeninterviews erst im<br />
Anschluss an die Ausstellung in Buchform präsentiert<br />
werden. Ausschnitte der Zeitzeugeninterviews werden<br />
die Ausstellung bereichern.<br />
Auch bei der Auswahl der Quellen muss hier hervorgehoben<br />
werden, dass den Projektmitarbeitern durchaus<br />
bewusst ist, dass auch hier eine Wertung vorgenommen<br />
und ein Blickwinkel ausgewählt wurde, der<br />
vielleicht in 10-20 Jahren überdenkt werden muss.<br />
Wichtig war die Mischung aus persönlichen Meldungen,<br />
wie wir sie in den Chroniken finden und die<br />
Darstellung von Fakten in Protokollen und Akten, um<br />
ein möglichst genaues Zeitbild zu zeichnen. Leider<br />
waren nicht alle Unterlagen auch für alle Mitarbeiter<br />
zugänglich. Bewusst wurde bei den heiklen Hinweisen<br />
auf Namensnennungen verzichtet, schließlich
wollen wir niemanden verurteilen oder auch denunzieren.<br />
Ein Schwergewicht in diesem Projekt wurde<br />
auf Wunsch des Stadtrates auf die Aufarbeitung der<br />
Opfer des Nationalsozialismus gelegt. Hier konnten<br />
wirklich neue Erkenntnisse und Forschungsergebnisse<br />
gewonnen werden, da ja auch einige Archivunterlagen<br />
erst seit wenigen Jahren zugänglich sind.<br />
Dies war auch ein Forschungsanliegen, das bei der<br />
Eröffnung eines Denkmales für zivile Opfer des<br />
Nationalsozialismus in Leonding 2007, neben der<br />
Zeitzeugenrecherche geäußert wurde. Wenngleich<br />
der Schwerpunkt sicherlich die Darstellung der<br />
Verhältnisse in Leonding in der Zeit des Nationalsozialismus<br />
ist, lag nahe auch den „Umgang mit dem<br />
Erbe“ darzustellen, der in den Jahren nach 1945 vielen<br />
Gemeindepolitikern Kopfzerbrechen bereitet hat.<br />
Erläuternde Sätze zur allgemeinen Zeitgeschichte<br />
wollen keineswegs den großen geschichtlichen<br />
Darstellungen berühmter Historiker Konkurrenz<br />
machen, sondern Wege, Umstände, Vorausbedingungen,<br />
Hintergründe und Folgen auch für die<br />
Gemeinde Leonding erläutern.<br />
Die fünfjährige Sensibilisierung und Orientierung,<br />
sowie die zweijährige Vorbereitung konnte jedoch<br />
nicht alle Lücken schließen und so versteht sich dieser<br />
Beitrag auch als Ansporn zu weiterer Beschäftigung.<br />
Die Ausstellung im Turm 9 – Stadtmuseum Leonding<br />
von 26. September 2008 bis 19. April 2009 wird freilich<br />
diese Geschichte anders darstellen müssen, als<br />
es eine Publikation macht. Um den Blick zu lenken<br />
und Wissen zu vermitteln, müssen andere Wege<br />
beschritten werden, als in einer schriftlichen Darlegung.<br />
Die Skizze unseres Ausstellungsgestalters<br />
Alfred Hofer, der sich sehr intensiv mit der Problematik<br />
in Leonding auseinandergesetzt hat, soll aus die-<br />
sem Grund dieser kleinen Vorbemerkung beigefügt<br />
werden. Die Möglichkeit soll hier genutzt werden, um<br />
ihm für die vielfältige Hilfe zu danken.<br />
Abschließend bleibt mir nur noch zu sagen, dass ich<br />
allen danken möchte, die mich bei meinen Visionen<br />
und Projektideen unterstützt haben. Viele Stunden<br />
Diskussion wurden im Vorfeld geführt und haben<br />
schließlich zu einem Projektteam geführt, das erst am<br />
17. Juli 2007 seine konstituierende Sitzung feiern<br />
konnte. Ein Team, das sich ganz bewusst aus Heimatforschern<br />
und approbierten Wissenschaftern, aus<br />
Ortsansässigen und Fremden zusammensetzt, um<br />
möglichst viele Aspekte auszuschöpfen.<br />
Dankenswerterweise gelang über Univ. Ass. Dr. Birgit<br />
Kirchmayr, die zeitgleich die Ausstellung zum Kunstund<br />
Kulturleben im Nationalsozialismus in Oberdonau<br />
im Schlossmuseum Linz realisiert, auch die Kooperation<br />
mit der Johannes Kepler Universität Linz und<br />
den Oberösterreichischen Landesmuseen. Ihr sei für<br />
die vielen Hinweise und die Unterstützung herzlich<br />
gedankt. Alle weiteren Mitarbeiter sollen hier namentlich<br />
aufgeführt werden: Kons. Josef Andreas Kauer,<br />
der langjährige Heimatforscher der Gemeinde, der<br />
über ein umfangreiches Archiv verfügt; Dipl. Ing.<br />
Gerhard Tolar, der sich mit großem Eifer dieser neuen<br />
Aufgabe gestellt hat und hoffentlich unermüdlich weiterforschen<br />
wird; Judith Wurst-Varjai, die langjährige<br />
Kustodin im Stadtmuseum Leonding, die inzwischen<br />
über ein sehr gutes Netzwerk verfügt; Philipp<br />
Lauthner, der einstige Praktikant und jetziger<br />
Mitarbeiter, der einfach mit engagiert wurde, Ing.<br />
Christian Hauf, eifriger Sammler und langjähriger<br />
Mitarbeiter im Turm 9 und natürlich von Seiten der<br />
Stadtgemeinde Thomas Asen, seine Vorgänger<br />
Andreas Nöhmayer und Bärbel Seidler, Sabine<br />
Peschek, Franz Danninger, Doris Bäck, Klaudia<br />
Hutterer, Uwe Engelhardt. Horst Scheiböck danken<br />
wir für die grafische Umsetzung unserer Beiträge in<br />
Buchform, was sicherlich kein leichtes Unterfangen<br />
war. Leider ist eines unserer Teammitglieder aus<br />
Krankheitsgründen ausgefallen; Herrn Ing. Horst Eigl<br />
sei auf diesem Wege für die Unterstützung ganz<br />
herzlich gedankt. Dafür ist Thomas Hinterberger mit<br />
vollständig unbekanntem privatem Filmmaterial neu<br />
dazu gekommen.<br />
Ebenso sei der Stadtgemeinde Leonding für die allgemeine<br />
Unterstützung bei diesem Projekt, insbesondere<br />
Bürgermeister Dr. Herbert Sperl hiermit herzlich<br />
gedankt, die auch die Drucklegung dieses Buches<br />
erst möglich gemacht hat.<br />
Dem Land Oberösterreich danken wir für den großartigen<br />
Druckkostenzuschuss.<br />
1 Zitiert nach einem Interview von Aleida Assmann mit<br />
Renata Schmidtkunz in Ö 1. Assmann, Aleida:<br />
Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen<br />
Gedächtnisses. München 2006.<br />
11
1898<br />
LEONDING ANNO 1898<br />
Josef Andreas Kauer<br />
„Leonding, eine Stunde von Linz entfernt, liegt in<br />
einer angenehmen, fruchtbaren und gesunden Gegend<br />
am Leondinger Bache, welch letzterer mit dem<br />
kleinen Kirnberger- und dem Staudingerbache zusammenfließt“,<br />
schrieb der damalige Schulleiter Josef<br />
Sixtl d.Ä. um jene Zeit in die Schulchronik 1 . Und weiter<br />
heißt es dort: „Der eine halbe Stunde entfernte<br />
Kirnbergerwald schützt einen Großtheil der Gemeinde<br />
vor den heftigen West-Stürmen; auch sind nahe Gewitter<br />
selten und ein Hagelschlag in der Regel nicht<br />
zu befürchten. Ackerbau und Viehzucht sind eine<br />
nicht zu unterschätzende Einnahmsquelle. Auch<br />
haben die hierortigen Bewohner durch Gemüsebau,<br />
dessen Erzeugnisse in der nahen Stadt verkauft werden<br />
(Marktfahren!), hinreichend Absatz. Man findet<br />
auf allen Bauernhöfen das Strohdach, schöne Stallungen<br />
und nicht selten auch hübsche Wohnungen. In<br />
der bäuerlichen Erbfolge erscheint in der Regel der<br />
jüngste Sohn. (…) Die Gemeinde hat eine Kirche und<br />
zwei Schulhäuser. (…) Als besondere Gebräuche<br />
sind zu erwähnen die sogenannten Todtenzehrungen<br />
bei vermöglichen Personen, auch die Faschings- und<br />
Ausdruschmahle - letztere für die Dienstboten, die<br />
hierorts überhaupt gut gehalten sind.“ - Soweit Josef<br />
12<br />
Sixtl d.Ä. Schon damals bestand die Gemeinde aus<br />
22 Ortschaften. „Die Lage der Ortschaften Aichberg,<br />
Alharting, Berg, Bergham, Doppl, Enzenwinkl, Felling,<br />
Friesenegg, Gaumberg, Graben, Haag, Hart, Holzheim,<br />
Imberg, Jetzing, Landwied, Leonding, Oedt,<br />
Reith, Rufling, Staudach und Untergaumberg im<br />
Westen und Norden galt als „bergig“, jene im Osten<br />
und Süden als eben. Die 1859 gebaute k.k. Elisabeth-Westbahn<br />
teilte die Gemeinde in annähernd<br />
gleiche Hälften. Die etwa in gleicher Richtung laufende<br />
damalige Weingartshofer-Commercialstraße, die in<br />
der Nähe des Fabriksortes Traun in die Reichsstraße<br />
und in die Welser Ebene mündete“, wurde damals als<br />
„großartig befahren bezeichnet 2 . Leonding hatte seit<br />
1868 eine Briefpost und war seit dem Jahre1881 die<br />
„erste Haltestelle der k.k. Elisabeth-Westbahn” ab<br />
Linz. Die drei Steuergemeinden Holzheim, Leonding<br />
und Rufling spielten damals eine gewichtigere Rolle<br />
als heute.<br />
Aus der Gemeindestube<br />
Im Juli 1897 hatten in Leonding Neuwahlen im<br />
Gemeindeausschuß stattgefunden. Der bisherige<br />
Gemeindevorstand, der Bauer Anton Zeller (vulgo<br />
„Loibenböck“ oder „Zeller“ in Holzheim Nr.6/7), der 18<br />
Jahre lang als verdienstvoller Bürgermeister gewirkt<br />
hatte, wollte nicht mehr zur Wahl antreten. 3 Neuer<br />
Gemeindevorstand wurde Josef Mayrhofer, „Bauer in<br />
Ort“ und späterer Vormund Adolf Hitlers, als dessen<br />
Vater verstorben war. Auch die Zusammensetzung<br />
des „Ortsschulraths“ konstituierte sich neu. Weiterhin<br />
blieb „Hochwürdiger Herr Pfarrer Johann Ecker als<br />
Obmann und Ortsschulinspektor“. Erst an 2. Stelle<br />
stand Oberlehrer Kaufmann, gefolgt von den eigentlichen<br />
„Ortsschulräthen“ - lauter Bauern bzw. Wirte. 4<br />
Josef Mayrhofer wurde für die damals 3840 Einwohner<br />
zählende Gemeinde ein guter Bürgermeister,<br />
konnte den Bau einer neuen Volksschule im „Kaiser<br />
Franz Josef-Jubiläumsstil“ (heute Hauptschulgebäude)<br />
durchsetzen, war leutselig, ein begeisterter<br />
Freund der Feuerwehr und tat viel für das Zustandekommen<br />
der „Suppenanstalt“ für ärmere Kinder, die<br />
oft in höchst dürftiger Kleidung im Winter und barfuss<br />
im Sommer einen in vielen Fällen weiten Schulweg<br />
zurücklegen mussten und Vor- und Nachmittagunterricht<br />
hatten. Josef Mayrhofer, auch „Tirolerhof-<br />
Bauer“ genannt, starb 1932. 5 Unter ihm wurde 1898
auch der im Oktober l897 begonnene „Bau des ersten<br />
Stockwerkes auf dem Gemeindehause“ 6 vollendet,<br />
neben dem erst später entstandenen Feuerwehrdepot<br />
„zur Gewinnung von nöthigen Lehrerwohnungen“.<br />
7<br />
Alltagsleben um 1898, Kinderspiele<br />
In diesem „alten Gemeindehaus“, das in der Folgezeit<br />
auch Miethaus, später sogar Parteiheim der NSDAP<br />
und Museumsquartier wurde, lebten 1898 - damals<br />
auf engstem Raum - die Lehrerfamilien Sixtl und<br />
Wunder, die Familie des Gemeindesekretärs Trauner,<br />
die Familien der Gemeindebeamten Winter und Paschinger<br />
und des legendären Gemeindedieners und<br />
späteren Sekretärs Mathias Amesberger. Seine ursprüngliche<br />
Aufgabe war es, alle Leondinger und<br />
fremden Übeltäter einzufangen und „unter Verschluß<br />
zu halten“. Amesberger war mehr als gefürchtet, denn<br />
seine Art, strafbare Handlungen zu ahnden zeigte bei<br />
allen Betroffenen Wirkung. Er nahm die Raufer, die<br />
Diebe und Räuber und was sonst an „Gaunern“ anfiel<br />
recht eindeutig in Empfang, meist unter großem Geschrei<br />
der Delinquenten, denn sie wussten oder hatten<br />
erfahren, was ihnen bevorstand. Und „in der<br />
Kanzlei“ zeigte ihnen Amesberger auf seine Art, was<br />
recht und unrecht war, und seine Sprache war deutlich.<br />
Man erzählte sich damals, man habe nie gehört,<br />
„dass einer von denen rückfällig geworden wäre“.<br />
Kinderkrankheiten, wie Masern, Pocken, Mumps und<br />
auch Diphterie grassierten damals ungehindert und<br />
rafften nicht wenige Kleinkinder hinweg.<br />
Die Schulklassen mussten oft wochenlang gesperrt<br />
bleiben. Auch die Tuberkulose forderte viele Opfer.<br />
Kinderspiele fanden auf den Wiesen und Hängen<br />
nicht weit vom Dorfzentrum statt. Heute längst verbaute<br />
Fluren, wie die „Geign“ des Dallingerbauern,<br />
der Südhang, der Buchberg, aber auch das „Kirabühl“<br />
oder der Steinbruch unterhalb des „Mayr in Imberg“<br />
waren beliebte Spielstätten der Dorfjugend, für die<br />
Buben dann und wann sogar die Gefielde an den<br />
Kürnberg-Hängen. 8<br />
Von Hitlers Zeit in Leonding wird erzählt, es habe<br />
damals zwei Buben-Parteien gegeben - „Gangs“<br />
würde man heute sagen - die einander in „Burenkriegsattacken<br />
bis aufs Messer“ bekämpften: die<br />
Leondinger als die damals bemitleideten und geknechteten<br />
„Buren“ und die Untergaumberger als die<br />
mit ihnen verfeindeten Engländer. Heiße Kämpfe wurden<br />
ausgetragen; bei der Brücke in der Nähe des<br />
Mayr-Steinbruchs einmal sogar ein Schnellzug der<br />
Westbahn mit Steinen beworfen, ein anderesmal das<br />
Salpeter-Depot in Hart beinahe in die Luft gesprengt.<br />
Bei allen „Bravourstücken soll Hitler damals Regie<br />
geführt haben, auch noch, als er schon die Realschule<br />
in Linz besuchte, die Familie aber noch in<br />
Leonding wohnte. 9<br />
Da infolge der Ermordung von Kaiserin Elisabeth im<br />
Herbst 1898 alle geplanten Jubiläumsfeierlichkeiten<br />
unterbleiben mussten, wurde ein von der Gemeindevorstehung<br />
für diese Feierlichkeiten bereits gesammelter<br />
Betrag von 50 Gulden zur Anschaffung von<br />
Schuhen für arme Schüler verwendet. 10<br />
Kirche und Schule<br />
Man muss sich für jene Zeit die Wichtigkeit des jeweiligen<br />
Ortspfarrers vergegenwärtigen. Er war nicht nur<br />
Pfarrherr und eine vielseitige Kontaktperson zu den<br />
kirchlichen-, gemeindeämtlichen- und zu den Bezirksund<br />
Landesstellen, sondern auch Mitglied der Gemeindevorstehung<br />
und Vorsitzender im Ortsschulrat,<br />
da damals ja noch ziemlich viele Schulagenden<br />
(Armenschüler, Religionspädagogik, soziales Engagement,<br />
Vermittlungen) in kirchlicher Hand lagen. 11<br />
Dementsprechend vielfältig und umfangreich war der<br />
Schriftverkehr, der vom Pfarramte ausging. Seit 1876<br />
war hier in Leonding Pfarrer Johann Baptist Ecker<br />
installiert. Von Anfang an war er bekannt als „Wohltäter<br />
der Armen“, so segensreich in seinem Wirken<br />
für Pfarre, Schule und Gemeinwohl, dass er schon<br />
1893 von der Gemeindevorstehung zum Ehrenbürger<br />
ernannt wurde. Nach 35 Jahren starb er am<br />
20.8.1911. Die ersten 20 Jahre hatte er allein in<br />
Leonding gewirkt. Erst 1896 ließ er sich den Kooperator<br />
Mathias Koller beistellen. 12 Von M. Koller wissen<br />
wir, dass er „der Katechet Adolf Hitlers“ war. Unter<br />
den folgenden Kooperatoren bis 1908 war 1904 kurze<br />
Zeit auch Paul Schneiderbauer 13 , der als der Erbauer<br />
des „Familienheims“ (1905) gilt, das 1925 zum<br />
„neuen“ Gemeindehaus wurde und nach 1954 bis<br />
heute als Volksschulgebäude dient.<br />
Aus Pfarrer Eckers Schriftverkehr –<br />
Das Gestionsprotokoll<br />
Johann Baptist Ecker war ein Mann des Ausgleichs,<br />
der stetigen Hilfsbereitschaft und großer Umsicht.<br />
Sein Schriftverkehr mit Behörden und in Privatangelegenheiten<br />
war umfangreich. Für das Jahr 1898<br />
stellte er insgesamt 372 im „Gestionsprotokoll“ 14 vermerkte<br />
Schriftstücke aus, zum Beispiel eine Unzahl<br />
von „Armenzeugnissen“ zum Zwecke des Ansuchens<br />
um öffentliche Unterstützung. Auch zur Befreiung von<br />
der Stempelgebühr bei notwendigen Dokumenten<br />
benötigte man das Armenzeugnis, ebenso zu einem<br />
Ansuchen beim „Gebäramt“ um Befreiung von den<br />
Verpflegskosten in der Landes-Gebäranstalt, desgleichen<br />
in Alimentenfragen oder für die unentgeltliche<br />
Aufnahme eines armen Kindes im Bad Haller Kinderspital<br />
oder in die „Landeswohltäthigkeitsanstalt“.<br />
13
Ecker verfasste ungezählte Berichte, stellte Bescheinigungen,<br />
Taufscheine, Trauscheine und Totenscheine<br />
aus oder auch Familienbögen (Auszüge aus<br />
den Matriken). Er verfasste viele von der Behörde<br />
verlangte Statistiken, Listen und Aufschlüsselungen,<br />
wie Impflisten, Aufstellungen von Stellungspflichtigen,<br />
Sammlerlisten, Nachweislisten über Messstiftungen<br />
für das Ordinariat u.v.a.m. Aus Pfarrer Eckers Schriftverkehr<br />
ist auch zu entnehmen, dass der Kontakt<br />
Leondings zur Pfarre St. Mathias in Linz sehr intensiv<br />
war. Hier ging es vorwiegend um „Verkündanzeigen“<br />
bei Heiraten. Auch kann man aus dem Gestionsprotokoll<br />
im Pfarrarchiv entnehmen, dass enge Beziehungen<br />
zu den Franziskaner-Ordensleuten in<br />
Pupping bei Eferding bestanden. Die Patres hielten<br />
hier in Leonding damals des öfteren die Volksmission<br />
ab. Die Genehmigung dazu musste Pfarrer Ecker<br />
jedoch erst beim Ordinariat in Linz beantragen.<br />
„Sittenzeugnis“<br />
Wollte ein stellungspflichtiger Bauernsohn, der daheim<br />
unabkömmlich war, bei der Militärbehörde um Verkürzung<br />
seiner Dienstzeit („Begünstigung um nur einjährigen<br />
Präsenzdienst“) ansuchen, so benötigte er ein<br />
„Sittenzeugnis“.<br />
Auch Männer, die in den Dienst der k. k. Staatsbahn<br />
Linz eintraten, also sich um eine Heizer-, Zugführeroder<br />
Kondukteurstelle bewarben oder solche, die eine<br />
Prüfung machen wollten, z.B. eine „Güterzugführer-„<br />
oder „Bremser-Prüfung“ mussten ein Sittenzeugnis<br />
vorweisen. Pfarrer Ecker stellte solche Sittenzeugnisse<br />
meist „in bahnbehördlichem Auftrag“ aus. Wollte<br />
man ein Gewerbe oder einen Handel anmelden, war<br />
ebenfalls das Sittenzeugnis erforderlich. So brauchte<br />
z.B. ein Bewerber in Gaumberg ein Sittenzeugnis, um<br />
eine Tabaktrafik eröffnen zu können oder ein anderer<br />
in Haag für die Bewilligung eines Flaschenbierhan-<br />
14<br />
dels. Ja sogar Josef Ranzmeir in Ruefling benötigte<br />
damals eines, als ihm das Zimmermann-Gewerbe verliehen<br />
werden sollte. Besonders wichtig war das<br />
Sittenzeugnis (auch „Leumundszeugnis“) bei beabsichtigter<br />
Eheschließung mit einem Ehepartner aus<br />
einer anderen Pfarre oder einem, der in den<br />
Staatsdienst strebte. 15<br />
Schulraumnot um 1898<br />
Obwohl 1877 wegen der ständig steigenden Klassenschülerzahlen<br />
zusätzlich zum 44er-Haus, das seit<br />
1832 Schulhaus war, ein neues Schulgebäude, die<br />
„Michelischule“ (Leonding Nr. 49) und 1892 auch<br />
noch deren Anbau errichtet worden waren, wurde der<br />
Schulraum immer knapper. Vor allem in Gaumberg<br />
und Untergaumberg, wo unterhalb der Gaumberger<br />
Höfe wegen des steigenden Personalbedarfs der k. k.<br />
Westbahn seit etwa 1870 ein Straßendorf entstanden<br />
war, dessen Schüler damals noch in Leonding zur<br />
Schule gingen, wurden laufend Häuser gebaut, und<br />
die Einwohnerzahlen in den Ortschaften und damit<br />
die Schülerzahlen stiegen von Jahr zu Jahr. Allein<br />
von 1896 bis 1899 war die Gesamtzahl von 308 auf<br />
445 Leondinger Buben und Mädel gestiegen. Die<br />
Einwohnerzahl von Untergaumberg erhöhte sich von<br />
130 bis zum Jahr 1880 auf über 700. Ähnlich war es<br />
in Gaumberg: von 66 auf über 550.<br />
Sogar die Ortschaft Haag wuchs durch die Zerstückelung<br />
des dortigen „Bauerngutes“ ähnlich schnell: von<br />
64 auf fast 10 Bewohner. 16 Schon 1888 war in der<br />
Volksschule Leonding die „Geschlechterteilung“,<br />
getrennter Knaben- bzw. Mädchenunterricht, und fast<br />
zur selben Zeit der „verkürzte Unterricht“ für Schüler<br />
des 8. Schuljahres eingeführt worden. 17 In der<br />
Chronik 18 musste der Leondinger Schulleiter jährlich<br />
Statistiken ausweisen. Die schulbesuchenden Kinder<br />
wurden nach Herkunftsortschaften, nach Schuljahr, in<br />
dem sie waren, nach ihrer Religion und Nationalität,<br />
nach ihrem Verhalten (Sittennoten von I bis IV) und<br />
nach ihrem Schulerfolg (sehr fleißig-fleißig-minderfleißig-nachlässig)<br />
aufgelistet. 1878 war die Schule<br />
noch dreiklassig, im Schuljahr 1890/91 mit 312<br />
„Alltagsschülern“ vierklassig. 19 Im August 1898 wurde<br />
eine 5. Klasse eröffnet, für die aber zunächst kein<br />
Schulraum vorhanden war, ja die sogar noch im<br />
„Abteilungsunterricht“ geführt werden musste und die<br />
man schließlich etwas später im „Stieflerschen<br />
Gasthaus“, dem späteren „Leondingerhof“, unterbrachte.<br />
20 Rasch waren also die Schülerzahlen von<br />
380 auf fast 500 gestiegen. Ein Schulneubau erschien<br />
schon 1898 unerlässlich. Dennoch wurde bis 1901<br />
nicht nur wegen eines Grundkaufs gestritten, sondern<br />
auch weil manche Gemeinderäte glaubten, es werde<br />
mit den Schülerzahlen schon wieder zurückgehen.<br />
Erst im Juni 1902 war der Spatenstich für die „Neue<br />
Volksschule Leonding Nr. 67“ (die heutige Hauptschule).<br />
Baumeister Ertl aus Breitbrunn errichtete sie.<br />
Sie wurde anfangs, im Schuljahr 1903/4, von 481<br />
„Alltagsschülern“ besucht. 21 Erst nach einem Ansuchen<br />
um die Einführung einer Parallelklasse für die<br />
1. Klasse, in der 110 (!) Buben und Mädchen die<br />
Bänke drückten, gab es vom Ortschulrat die Genehmigung<br />
für den Bau. Die Schule stand „auf Mayrhansengrund“,<br />
war 6-klassig, und auch die Schüler<br />
der Klasse „beim Stiefler unten“ kamen hierher.<br />
Einer Tagebuchnotiz vom 24. August 1903 war zu<br />
entnehmen, dass „das Stieflersche Lokal, wo eine<br />
Schulklasse untergebracht war mit heutigem Tage<br />
verlassen und das neue Schulhaus vorläufig<br />
bezogen wurde.“<br />
Aber auch dieses neue Schulgebäude erwies sich<br />
bald als zu klein, denn Gaumberg, Haag und
Untergaumberg wuchsen in einem fort. Erst 1908<br />
bewilligte der Ortschulausschuß, um die Leondinger<br />
Schulraumnot zu beseitigen, die Errichtung einer<br />
Parallelklasse im Getreidekasten des Schleichlgutes<br />
in Landwied, wo fortan die Gaumberger und Untergaumberger<br />
Schüler Platz fanden. 22<br />
Aus dem Lehrerleben vor der Jahrhundertwende<br />
Die damaligen Lehrer begannen nach Absolvierung<br />
der k. k. Lehrerbildungsanstalt als provisorische<br />
Unterlehrer, wurden dann definitive Unterlehrer, dann<br />
provisorische Lehrer bzw. nach vielen Dienstjahren<br />
definitive Lehrer und brachten es - höchst selten -<br />
zum provisorischen, dann zum „systemisierten“<br />
Schulleiter, dem späteren „Oberlehrer“. Nach etwa<br />
1908 unterschied man in den niederen Rängen zwischen<br />
Aushilfslehrer bzw. Lehrer I. und II. Classe.<br />
1896, nach dem plötzlichen Tod von Josef Sixtl d. Ä.,<br />
war der aus Puchenau stammende Lehrer August<br />
Kaufmann hier zum Schulleiter ernannt worden.<br />
Im November 1898 trat „wegen der fortschreitende<br />
Klassenvermehrung“ der aus Schönering kommende<br />
Sohn des „alten Sixtl, Lehrer I. Classe Josef Sixtl d.<br />
J.“, hier seinen Dienst an. Gleichzeitig übernahm er<br />
auch den Chordienst in der Kirche und wurde durch<br />
sein tüchtiges und gerechtes, dennoch strenges<br />
Wirken in der Schule bei Schülern und Eltern sehr<br />
beliebt. Besonders aber gelang es ihm, durch den<br />
Einsatz bester sängerischer Ortskräfte, aber auch mit<br />
Gastsängern und Instrumentalisten „vom Theater in<br />
Linz“ das Niveau der musikalischen Veranstaltungen<br />
in der Kirche Leonding bedeutend zu heben. 1898<br />
waren außer Oberlehrer Kaufmann und Lehrer Sixtl<br />
hier folgende Lehrkräfte anwesend: der Unterlehrer<br />
Hermann Christ, die Unterlehrerin Elise Dressl, der<br />
Unterlehrer Josef Brauneis (von 1899 bis 1904), Anna<br />
Bayer und Johann Danhofer. 23 Er war jahrzehntelang<br />
in Leonding und starb 1903. Hermann Christ verließ<br />
Leonding im Juni 1898, „um eine ihm verliehene<br />
Postamtspraktikantenstelle in Wels anzutreten“. 24<br />
Er war definitiver Lehrer in Leonding gewesen, ein<br />
Privileg, das damals nur noch Danhofer und Sixtl hatten.<br />
Alle übrigen Lehrer waren provisorisch oder nur<br />
vertretungsweise angestellt. Elise Dressl war aus<br />
Waldneukirchen gekommen und eine so tüchtige<br />
Lehrerin, dass sie im September 1908 von Leonding<br />
als Übungsschullehrerin in die Lehrerbildungsanstalt<br />
Linz wechselte. Anna Bayer, „die vorher schon zweimal<br />
an der Volksschule in Leonding in Verwendung<br />
gewesen war“, 25 kam 1898 wegen der Eröffnung<br />
einer neuen Klasse abermals hierher. Sie übernahm<br />
die „3. Classe“, nachdem Oberlehrer Kaufmann vorher<br />
den 2. und den 3. Schuljahrgang in einer Klasse<br />
mit 118 Kindern hatte unterrichten müssen. Sie führte<br />
ihren Jahrgang weiter, verließ die Schule aber schon<br />
im April 1899.<br />
Den Religionsunterricht, dem damals eine zentrale<br />
Bedeutung zugemessen wurde, erteilten „Cooperator<br />
Mathias Koller“ und Pfarrer Johann Ecker in allen<br />
Klassen. Viermal im Jahr wurden die Schüler zur<br />
Beichte geführt. Kommuniziert wurde an einem<br />
Ferialtag, und regelmäßig, jedoch zu unterschiedlichen<br />
Zeiten fanden „Religionsprüfungen“ statt. Etwa<br />
10 bis 20 Schüler von damals über 400 waren<br />
Protestanten und mussten, meist an einem Donnerstag<br />
Nachmittag, zum evangelischen Unterricht nach<br />
Linz, natürlich zu Fuß.<br />
Schullehrer, Wirte, Dienstboten<br />
Die Lehrer jener Zeit galten als streng, geradlinig und<br />
unbestechlich. Eine Lehrertochter erzählt: „Meine<br />
Mutter durfte nichts nehmen, als eines Tages eine<br />
Bäuerin mit „Störibrot“ und einem Stückchen Fleisch<br />
kam. Die Mutter musste diese Leutchen mit ihrer<br />
Dankesgabe wegschicken, obwohl wir alles bitter notwendig<br />
gebraucht hätten, denn es waren sechs<br />
Kinder in unserer Familie, alle unversorgt, und das<br />
Lehrergeld meines jungen Vaters war weniger als<br />
bescheiden. Der Vater hatte „etwas von einem<br />
Offizier, ich hab ihn nie Packerl tragen oder Buckerl<br />
machen gesehen“. (…) Er ging zum „Bürgertag“ beim<br />
Schieferstein-Wirt“, traf dort Pfarrer Ecker und die<br />
wichtigsten Bauern und Gemeindevertreter. Mit ihnen<br />
ging es um Politik und um die wirtschaftliche Lage.<br />
Und da war auch noch die Schieferstein-Wirtin, eine<br />
gute Frau. Ganz verstohlen gab sie uns Kindern von<br />
ihren berühmten Pofesen, eine für uns sonst unerreichbare<br />
Köstlichkeit, besonders für meine Brüder.<br />
Ich hatte eine schwere, dennoch wunderschöne<br />
Kinderzeit“. (…)<br />
Hier herauf zum „Schieferstoa“ ins Wirtshaus kamen<br />
in der Fastenzeit, wenn sie ihren „Beichttag“ hatten,<br />
auch die Knechte und Mägde der Bauern, an einem<br />
Tag die Ledigen, am anderen die jungen Mädchen<br />
und am nächsten Wochentag die Verheirateten. Auch<br />
an Sonntagen „nach dem Segen kamen Hausleute<br />
und Dienstboten zum Schieferstoa, denn die Schnitten<br />
und Pofesen der Wirtin hatten es auch ihnen<br />
angetan. Schließlich gab es auch noch die feierlichen<br />
Zehrungen im gesteckt vollen Saal. Und wir Kinder<br />
standen kaum bemerkt am Fenster oder in der Tür<br />
und gafften.“<br />
Adolf Hitler als Schüler in Leonding.<br />
Laut Schulchronik trat Hitler am 27. Feber 1899 in die<br />
4. Klasse der Volksschule Leonding ein. Als Klassenlehrerin<br />
war damals Fräulein Anna Bayer eingetragen.<br />
Doch schon im April 1899 war Lehrerwechsel:<br />
15
Unterlehrer Josef Brauneis, aus St. Wolfgang kommend,<br />
übernahm die Klasse. 26 Für die fünf Jahre seines<br />
Hierseins wird Brauneis als sehr beliebter Lehrer<br />
geschildert. Es ist nicht gesichert, dass im nächsten<br />
Schuljahr Josef Sixtl jun. die Klasse Hitlers kurzfristig<br />
bis zu seinem Übertritt in die Realschule Linz übernahm.<br />
Dafür allerdings spricht, dass der spätere<br />
„Führer“ 1928 „seinem Lehrer Sixtl“ sein Buch „Mein<br />
Kampf“ mit Widmung übereignete. Auch erkundigte<br />
sich Hitler, als er am 13. März 1941 in Leonding war,<br />
noch einmal nach dem, allerdings schon im August<br />
1932, verstorbenen Sixtl.<br />
Fünf Klassen, zwei Schulhäuser, Lehrerwohnungen<br />
Aus heutiger Sicht müssen damals die Schülerzahlen<br />
eine enorme Belastung dargestellt haben, saßen<br />
doch in den einzelnen Klassen 1898 von 81<br />
(I. Classe) bis zu 120 Kinder (II. Classe). Jedes<br />
Schuljahr bildete eine Abteilung und wurde entweder<br />
im „Abteilungsunterricht“ parallel geführt oder vorbzw.<br />
nachmittags getrennt und vom selben Lehrer<br />
unterrichtet, weil ja schon seit 1882 Geschlechtertrennung<br />
eingeführt worden war. Gemessen an den<br />
Klassenschülerzahlen einiger Jahrzehnte vorher aber<br />
waren bezüglich des Raumproblems schon deutliche<br />
Besserstellungen für die Lehrer eingetreten, denn<br />
noch 1877 z.B., als es in Leonding für alle 8 Schulstufen<br />
nur zwei Klassen gab und die „Michelischule“<br />
noch nicht erbaut war, waren bis zu 150 Schüler in<br />
einem Klassenraum gesessen. Schon im nächsten<br />
Jahr, als diese Schule (Nr. 49) gebaut wurde, erwies<br />
sie sich als zu klein, denn es fehlten Lehrerwohnungen.<br />
Dabei war die Eröffnung einer dritten, höchst<br />
notwendigen Klasse damals noch gar nicht genehmigt.<br />
Als 1892 ein Anbau an die „Micheli-Schule“<br />
erfolgte, wurden zwei Unterlehrerwohnungen im<br />
Parterre eingerichtet. 1898, als eine fünfte Klasse<br />
16<br />
Abb.1: Postkartenmotiv: Vierte Klasse Volksschule mit Adolf Hitler<br />
eröffnet wurde, musste eine Wohnung zugunsten<br />
eines Klassenraums aufgeben werden. Die Schulraumsituation<br />
war damals in folgender Weise gelöst:<br />
I.Classe und ein Unterlehrerzimmer im Erdgeschoß<br />
der Michelischule. Die II.Classe unter J. Danhofer im<br />
1. Stock des Schulhauses Nr. 44 (die übrigen Räume<br />
waren damals Lehrerwohnungen), die III. Classe mit<br />
Elise Dressl „im Stieflerschen Gasthause“, die<br />
IV. Classe mit Oberlehrer Kaufmann im 1. Stock der<br />
Michelischule und deren Paralleklasse (IV. B) mit<br />
Lehrer Brauneis im Anbau der Michelischule. Die V.<br />
Classe mit Josef Sixtl war im 1. Stock der Micheli-<br />
Schule logiert (Altbau). Den „gekürzten Unterricht“<br />
(8. Schulstufe) hielten zeitverschoben in Kleinräumen:<br />
Sixtl für die Knaben und Ernestine Schwarze für die<br />
Mädchen. 27 Zu dieser Zeit gab es bei der Micheli-<br />
schule neben einem „Schulgarten“ und einer kleinen<br />
„Baumschule“ auch einen Turnplatz hinter dem Schulgebäude.<br />
28 Das war ein Fortschritt! Denn vorher<br />
„hatte das Turnen auf dem Wege vor dem 44er-<br />
Schulhause neben dem Gottesacker abgehalten werden<br />
müssen“. Auch wurde damals „die Unterweisung<br />
der Jugend im Obstbau, in der Bienenzucht und in<br />
der Landwirtschaft in Fortbildungskursen vorgenommen“.<br />
Die „Ursachen der Schulversäumnisse, die<br />
Classification in den Sittennoten,“ 29 die erziehlichen<br />
und andere wichtige Punkte des täglichen Unterrichtsgeschehens<br />
wurden in den „Monathsconferenzen“<br />
abgehandelt.<br />
Schuljahr und Ferien<br />
Das Schuljahr begann in der ersten Maiwoche mit
dem Schulgottesdienst und wurde jeweils durch dreiwöchige<br />
Ferien im Juli (Sommer- oder Schnittferien)<br />
und im September (Herbstferien, meist dreiwöchig<br />
vom Michelitag bis zum 19./20. Oktober) unterbrochen.<br />
Daneben gab es die etwas kürzeren Weihnachtsferien<br />
(„vom Tage der Geburt Christi bis zum 2.<br />
Jänner“). Die Osterferien begannen erst „am Mittwoch<br />
in der Charwoche“ und dauerten bis zum Osterdienstag.<br />
Für das erste bis siebente Schuljahr war<br />
normaler Vor- und Nachmittagsunterricht, das<br />
8. Schuljahr hatte den „gekürzten Unterricht“. Der in<br />
früherer Zeit immer exakt am Michaelstag (29. September)<br />
hierorts übliche „Micheli-Kirtag“, wurde erstmals<br />
1882 jeweils auf den ersten Sonntag „nach<br />
Michaeli“ verlegt. Jeweils einige Tage vor dem Weihnachtsfest<br />
wurde „im Lehrzimmer der II. Classe“ eine<br />
„Christbaumfeier abgehalten, bei der meist über hundert<br />
arme Schüler mit Kleidungs- und Wäschestücken<br />
betheilt“ wurden. Aus dieser Gebräuchlichkeit entwickelte<br />
sich die am 9. Dezember 1898 anlässlich<br />
des Regierungsjubiläums Seiner Majestät des Kaisers<br />
gegründete „Suppenanstalt“. 30<br />
Diese war mit Sachspenden und Spendengeldern ins<br />
Leben gerufen worden. An drei Tagen der Woche<br />
wurden „Conservensuppen“ ausgespeist, und für weitere<br />
zwei Schultage der Woche spendete der Leondinger<br />
Fleischhauer Michael Stiefler „ausreichend<br />
Knochen für Rindsuppe“. So wurden im Winter<br />
1898/99 an 52 Schultagen „beyläufig 6500 Portionen<br />
Suppe verabreicht“, die vorher von Lehrersgattinen<br />
zubereitet worden war. Die Oberlehrersehefrau<br />
Hedwig Kaufmann kochte im alten Schulhause<br />
(damals das 44er-Haus) und überwachte die Austeilung<br />
an die Kinder. In der „Michelischule“ war die<br />
Lehrersgattin Leopoldine Danhofer am Werk. Übrigens<br />
machte sich damals das Fleischhauer-Ehepaar<br />
Michael und Elise Stiefler auch sonst für die Suppenanstalt<br />
hoch verdient: In ihrem Gasthause fanden alljährlich<br />
Militärkonzerte der Regimentskapelle „Erzherzog<br />
Rainer Nr. 59“ statt, bei denen hohe, später<br />
vorwiegend für die Suppenanstaltskosten verwendete<br />
Spendenbeträge hereinkamen. Auch weitere ehrgeizige<br />
Spendenveranstaltungen, z.B. eine „Ausstellung<br />
abnorm gestalteter Haustiere“, ein „Bestkegeln“ und<br />
einen Unterhaltungsabend im Rahmen einer<br />
„Offiziersmesse“ sowie mehrere Schultheateraufführungen<br />
wurden im Gasthaus Stiefler organisiert.<br />
Das Kaiserjubiläum, die Ermordung der<br />
Kaiserin, „Hofzug“ durch Leonding<br />
1898 fanden im ganzen Lande Feierlichkeiten zum<br />
50 jährigen Regierungsjubiläum Kaiser Franz Josefs I.<br />
statt. Auch Leonding hatte umfangreiche Vorbereitungen<br />
getroffen. Doch wurde am 10. September<br />
nicht nur das österreichische Kaiserhaus von einem<br />
schweren Schicksalsschlag getroffen, „ auch alle<br />
Völker Österreich-Ungarns“. „Die edelste und beste<br />
der Frauen, die mildthätige Kaiserin Elisabeth wurde<br />
um zwei Uhr nachmittags in Genf von der ruchlosen<br />
Hand eines Anarchisten ermordet.“ 31 . Weiter wird in<br />
der Schulchronik berichtet: „Die während der Ferien<br />
hier anwesenden Lehrkräfte betheiligten sich mit<br />
einem großen Theile der Schüler an dem Spaliere,<br />
welches von dem Militär in Hart, von den Veteranen,<br />
dem Gemeindeausschusse, den Ortsschulrathsmitgliedern,<br />
der Geistlichkeit und der Feuerwehr am<br />
Donnerstag, dem 15. September, anlässlich der<br />
Durchfahrt des Separathofzuges mit dem Leichnam<br />
Ihrer k.u.k. Majestät, der Kaiserin Elisabeth, zwischen<br />
fi und fl 6 Uhr abends bei der Haltestelle der Bahn<br />
gebildet wurde. An dem am 16. September abgehaltenen<br />
Requiem betheiligten sich alle Lehrkräfte.“<br />
Auch in den folgenden Wochen trug Leonding Trauer:<br />
Das vom Lehrkörper anlässlich des 50. Regierungsjubiläums<br />
geplante Festspiel, dessen Erträgnis zur<br />
Errichtung der Suppenanstalt verwendet werden sollte,<br />
wurde verschoben und Ende September sowie an<br />
zwei Terminen im Oktober „in gelungener Inscenierung<br />
und Durchführung“ mit fast 100 Gulden Reingewinn<br />
aufgeführt. 32 Der bei Schulfeierlichkeiten in<br />
Leonding anwesende Schulinspektor und der Bezirkshauptmann<br />
riefen die Lehrer regelmäßig „zur Pflege<br />
der patriotischen Gefühle und der Kaisertreue in den<br />
Herzen der Schuljugend“ auf. Die am Ende der<br />
Feierlichkeiten auf „Seine Majestät den allergnädigsten<br />
Kaiser Franz Josef I. ausgebrachten Toasts und<br />
die Heil-Rufe wurden von der Festgemeinde mit Begeisterung<br />
erwidert.“ 33<br />
Leondings „Kaiserlinde“<br />
Als „Verbeugung im Schmerz wegen des Todes<br />
der Kaiserin“ wurde an ihrem Namenstage, dem 19.<br />
November, sowohl wegen des Regierungsjubiläums<br />
als auch im Andenken an die Kaiserin in Gegenwart<br />
der in Leonding vorhandenen Körperschaften, der<br />
Schüler sämtlicher Classen auf dem Kirchenplatze,<br />
dermalen noch im Friedhofe, eine „Kaiserlinde“<br />
gepflanzt“. Das damalige Bäumchen stand also noch<br />
im alten Friedhofbereich. Die Linde, heute am Kirchenplatz<br />
gegenüber dem 44er-Haus, überstand in<br />
ihrem Leben mehrere Irritationen, z.B. den in unmittelbarer<br />
Umgebung niedergegangenen Bombenabwurf<br />
am 25. Feber 1945 und auch das am 5. Mai<br />
1945 gegen die in Rufling auffahrenden amerikanischen<br />
Panzer gerichtete Flakfeuer der Buchberger<br />
Flak und die haarscharf am Turm und am Baum vorbeizischenden<br />
Panzergranaten der darauf antwortenden<br />
Amerikaner.<br />
17
Zum Zeitpunkt der Pflanzung der „Kaiserlinde“ wurde<br />
übrigens dem Lehrer-Ehepaar Josef und Maria Sixtl<br />
am 24. November 1898 die Tochter Maria geboren.<br />
Sie war später mit Erreichung ihres 102. Lebensjahres<br />
die älteste Leondinger Bürgerin ihrer Zeit. An<br />
ihrem 100. Geburtstag erzählte sie: „Die Straße<br />
neben der „Micheli-Schule“ (früher „Mitterweg“) nannte<br />
man damals schon „Micheli-Straße“. Als geschotterter<br />
Fahrtweg führte sie auf die Anhöhe des Micheli-<br />
Berges und in weiterer Folge nach Linz. Sonntags im<br />
Winter war sie „schwarz voller Kinder - lauter Schlittenfahrer.<br />
Von oben ging es los, dann beim „Schieferstein-Wirt“<br />
in die steile Gstöttn und von dort für viele<br />
in den Zaun des Schulhauses, der nie wirklich längere<br />
Zeit unversehrt blieb. Viele sind hineingerumpelt<br />
und haben sich wehgetan. (…) Wir wurden streng<br />
erzogen. Einmal, da war ich fünfzehn und hab mit<br />
einem im Schulhaus einquartierten Offizier gesprochen<br />
- Ein Krach ist daraus geworden! So sehr hatte<br />
es vorher wohl nie gestaubt in unserer Familie“.<br />
Feuerwehr dazumal<br />
Die Freiwillige Feuerwehr hielt 1898 ihre Chargensitzungen,<br />
„Kneipen“ und Hauptversammlungen abwechselnd<br />
im Bahnhofgasthaus des Hans Zacherl<br />
oder beim „Schieferstoawirt“ (Ferdinand Harrer), seltener<br />
auch beim Wirt in Alharting, ab. Hart und Ruefling<br />
hatten noch keine eigenen Löschzüge. Der 1898<br />
neu ernannte Feuerwehrobmann Josef Burger wurde<br />
vom damaligen Gemeindevorsteher Josef Mayrhofer<br />
(vom „Bauer in Ort-Gut“) in feierlicher Weise per<br />
Handschlag angelobt.<br />
Eine Leondinger Ehrung 1898<br />
Seit 1897 war damals gerade Dr. Franz Hinterberger<br />
verdienstvoller Gemeindearzt. Er war vor allem als<br />
„Eisenbahnarzt“ tätig und wurde später einer der<br />
18<br />
Ehrenbürger von Leonding. 1898 aber stand der<br />
ganze Ort immer noch unter dem Eindruck des hingebungsvollen,<br />
jahrzehntelangen Wirkens von Dr. Josef<br />
Steiner, seinem Vorgänger, dem nicht nur die Gemeindevorstehung<br />
mit Bürgermeister Josef Mayrhofer<br />
die Ehrenbürgerwürde verlieh, sondern den auch die<br />
Vollversammlung der Feuerwehr „zum Zeichen fortdauernder<br />
Hochachtung und Verehrung“ zum Ehrenmitglied<br />
ernannte. 34 Steiners Ernennung wurde zum<br />
großen Lokalereignis: „Nach einer Festansprache zog<br />
eine lange Reihe von Feuerwehrmännern bei einbrechender<br />
Dunkelheit mit Lampions und mit Musikbegleitung<br />
vor das Haus des Dr. Steiner. Dort wurde<br />
die Mannschaft mit den Lampions unter Führung des<br />
Löschmeisters Ecker so aufgestellt, dass die Initialen<br />
„J. St.“ und darüber als Zierung ein Halbbogen gebildet<br />
wurden. Musikvorträge, begeisterte Hochrufe auf<br />
den alten Arzt und dessen liebenswürdige Gemahlin<br />
und ein sehr schönes, vom Obmann der Feuerwehr<br />
Josef Burger vom Holzbergergut abgebranntes Feuerwerk<br />
bildeten die Ehrung, die aus dankbarem Herzen<br />
aller dem Jubilar dargebracht wurde. Hierauf<br />
zogen die Feuerwehr, die Gemeindevertretung, die<br />
Familie Steiner und viele Verehrer des Gefeierten in<br />
das Schieferstein’sche Gasthaus. Der Saal war<br />
prächtig geziert, besonders hervorgehoben sei das<br />
mit roth-weißer Draperie, Kaiserbüste und mit Blattpflanzen<br />
gezierte Photographie-Bild des Gefeierten,<br />
und ein 2. Bild, eine Kreidezeichnung des Herrn Dr.<br />
Steiner mit Transparent-Feuerwehremblem. Nach<br />
Reden von Kommandant Burger und Oberlehrer<br />
Kaufmann fand eine recht gemütliche Abendunterhaltung<br />
statt, bei der noch wiederholt begeisterte<br />
Hochrufe auf Dr. Steiner ausgebracht wurden. Jeder<br />
Teilnehmer hatte den Wunsch, er möge sich der Ehrungen<br />
noch lange in ungetrübter Gesundheit erfreuen.“<br />
Eine Abordnung zum Kaiserjubiläum nach Wien<br />
Am 7. Mai 1898 fand in Wien anlässlich der bereits<br />
50 Jahre dauernden Regierungszeit von Kaiser Franz<br />
Josef I. eine Jubiläumsausstellung und eine damit<br />
verbundene große Huldigungsfeier „Seiner Majestät<br />
des Jubelkaisers“ statt, zu der u.a. auch 10 Repräsentanten<br />
der Feuerwehr Leonding fuhren.<br />
Fronleichnam<br />
An der Fronleichnamsprozession anno 1898 beteiligte<br />
sich die Feuerwehr „nur mit Bluse und Kappe“. Der<br />
bei einer Chargensitzung vorgebrachte Antrag, die<br />
Steigermannschaft und die Chargen mögen doch in<br />
„voller Parade mit Helm und Hacke ausrücken“ fand<br />
keine Mehrheit. Dafür wurde der Antrag, dass die<br />
Feuerwehrkameraden in Hinkunft in allen dienstlichen<br />
Angelegenheiten, aber auch zu den Sitzungen in<br />
Uniform zu erscheinen hatten, angenommen. Zuwiderhandelnde<br />
wurden verdonnert, 20 Kreuzer in die<br />
Gemeinschaftskassa zahlen zu müssen. Auch beschloss<br />
man, dass jeder bei einem Brande beteiligt<br />
gewesene Feuerwehrmann mit drei Glas Bier und<br />
einem kleinen Essen bewirtet werden müsse. Sollte<br />
man aber wegen zu weiter Entfernung des Brandplatzes<br />
und anderer Ursachen wegen nicht zum<br />
Einsatz kommen, so habe niemand Anspruch auf<br />
Bewirtung. 35<br />
Leondinger Brände vor 110 Jahren<br />
Am 12. September 1898 etwa um halb 4 Uhr brannten<br />
„das Ortmairgut in Leonding Nr. 13 und das dem<br />
Schmied Stanek gehörige Nachbarhaus Nr. 10 nieder.<br />
Beim Ortmair brannten viele Fahrnisse und die<br />
gesamte Fechsung. Auch 3 Perde und 15 Schweine<br />
wurden Opfer der Flammen. „Johann Mair erlitt einen<br />
Schaden, der durch die Versicherungssumme weit<br />
nicht gedeckt war. Stanek war hinreichend versichert
Abb.2: Postkarte aus Leonding um 1900<br />
durch die „Kitzmair’sche Bauernassecuranz“. Zu spät<br />
bemerkt, brachten die Feuerwehrleute erst etwa eine<br />
halbe Stunde nach Brandausbruch „das Rindvieh aus<br />
dem lichterloh brennenden Hause heraus. Der glücklicherweise<br />
herrschenden Windstille und dem Neubaue<br />
des Herrn Stiefler, dem späteren Leondingerhof,<br />
ist es zu danken, dass das Feuer nicht weiter um sich<br />
griff. Etwa 1 Stunde später „erschien der Landtrain<br />
der Feuerwehr Linz, und etwas später rückte die<br />
Feuerwehr von Pasching an, und beide Wehren beteiligten<br />
sich wacker an den Löschungsarbeiten.“ Noch<br />
waren die Spuren des 12. September sichtbar, berichtet<br />
das Feuerwehrprotokoll, „als uns am 11. Oktober<br />
1898 um 4 Uhr früh abermals durch das Wimmern<br />
hoch vom Thurm die Schreckenskunde zutheil wurde,<br />
daß im Orte wiederum ein Brand ausgebrochen war,<br />
dem das Mayrhansengut und die Überlände mit dem<br />
Preßhause des Johann Mayrhofer und das Haus des<br />
Bäckermeisters Harrer zum Opfer fielen. Der Brand<br />
soll durch die Fahrlässigkeit eines Stallbuben im<br />
Mayrhansengute beim Anzünden der Tabakspfeife entstanden<br />
sein.“ Bei der Mitte November im Gasthaus<br />
Schieferstein abgehaltenen Feuerwehrhauptversammlung<br />
wurde auf Antrag des Kassiers Trauner, der<br />
im Hauptberuf die Gemeindesekretärstelle innehatte,<br />
„dem Herrn Gemeindevorstande (Bürgermeister<br />
Mayrhofer) ein dreimaliges „Gut Heil!“ dargebracht,<br />
weil er (als Nichtfeuerwehrmitglied) fast jeder Sitzung<br />
anwohnte.“<br />
Der Hornist Bauer meldete, er habe „beim letzten<br />
Brande seine Bluse verbrannt und ersuche um<br />
Entschädigung“. Es wurden ihm daraufhin 3 f (Gulden)<br />
aus der Kassa bewilligt. Der verheerendste Brand im<br />
Jahre 1898 brach am Abend des 28. November im<br />
„Kaindlgut“ in Hart aus, das völlig niederbrannte und<br />
dem sämtliche Fahrnisse, die gesamte Ernte und alle<br />
Haustiere zum Opfer fielen, obwohl sich neben der<br />
Feuerwehr Leonding auch die Wehren von St. Martin,<br />
Traun, Linz, Ebelsberg, Pasching und Hörsching und<br />
„noch andere auswärtige Mannschaften“ beteiligten.<br />
Einem Satz im damaligen Feuerwehrprotokoll verdanken<br />
wir übrigens die Gewissheit, dass es schon vor<br />
dem Jahre 1905 einen Feuerwehrzug Hart gegeben<br />
hat. Es heißt im Protokoll: „Es beteiligte sich auch die<br />
Mannschaft mit der Spritze vom Zeugs Filial Depot in<br />
Hart“. 36<br />
Ende 1898<br />
Das ereignisreiche, wegen des Todes der Kaiserin<br />
auch traurige Jahr 1898 ging seinem Ende entgegen.<br />
Eine bedeutsame Veranstaltung für Leonding ist für<br />
den letzten Monat in der Schulchronik vermerkt:<br />
„Dem allerhöchsten Wunsche entsprechend“ wurde<br />
das Kaiserjubiläum (50 Jahre Franz Josef I.)<br />
nachträglich am 2. Dezember in folgender Weise<br />
begangen: Das Schulhaus war festlich beleuchtet.<br />
Ein feierlicher Gottesdienst in Anwesenheit aller<br />
Schüler und Lehrer fand statt, und daran schloß sich<br />
„eine Schulfeier im Classenzimmer der IV. Classe“ mit<br />
Ansprache des Oberlehrers. „Ein begeistertes Hoch<br />
auf Seine Majestät, das Absingen des Kaiserliedes<br />
und die Verteilung einer von Pfarrer Ecker gespendeten<br />
Festschrift beendeten das Fest.“ 37<br />
19
Anmerkungen:<br />
1 Schulchronik Leonding 1875-1911, verfasst von diversen<br />
Schulleitern. Hier Josef Sixtl d. Ä. S. 80 ff.<br />
2 Schulchronik a.a.O. S. 80. weiterführende Literatur zum<br />
Ortsbild und zur Ortsgeschichte: Gaigg, Emmerich: Linz-<br />
Keferfeld. – Stadtteil Keferfeld 1939-1989. Erinnerungen,<br />
Entwicklungen. Perspektiven. Linz 1989. – Karning, Karl:<br />
Leonding in der Jugendzeit des Führers. Heimatland 1938. H.<br />
4. S. 57-64. - Kauer, J. A.: Lehrer und Schulen in Leonding.<br />
Gemeindebrief Leonding Folge 5 / Juni 1973 - ders. Aus der<br />
Schulgeschichte Leondings. Gemeindebrief Leonding Folge<br />
18 / Juni 1978 – ders. Leondinger Geschehen in Zehnjahresschritten.<br />
Gemeindebrief Leonding Folge 71 / Juni 1988. –<br />
ders. Zur selben Zeit … (Kaiserlinde). Gemeindebrief<br />
Leonding Folge 104 / Dez. 1993. – ders. 120 Jahre<br />
Feuerwehr Leonding. Gemeindebrief Leonding Folge 118 /<br />
Juni 1996. – ders. 125 Jahre „Michaelischule“ – zum Anlass<br />
ihrer Restaurierung 2002. Gemeindebrief Leonding 158 / Nov.<br />
2002. – ders. Alltag in vergangenen Tagen – Zeitzeugen im<br />
Interview. Gemeindebrief Leonding Folge 178 / Juli-August<br />
2005.<br />
3 Schulchronik a.a.O. S. 134.<br />
4 Schulchronik a.a.O. S. 135.<br />
5 Gemeindechronik Band I verfasst von Karl Karning. S. 337<br />
6 Leonding Nr. 48.<br />
7 Schulchronik a.a.O. S. 135<br />
8 Hinweise aus einem Gespräch mit M. Wolfsberger.<br />
9 Hinweise aus den Gesprächen mit M. Wolfsberger und S.<br />
Sixtl. Vgl. auch: Hamann, Brigitte: Hitlers Wien. Lehrjahre<br />
eines Diktators. 8. Aufl. München 2006. S. 19 f. – Jetzinger,<br />
Franz: Hitlers Jugend. Wien 1956. S. 69 u. 92 - Jäckel,<br />
Eberhard; Kuhn, Axel: Hitler: Sämtliche Aufzeichnungen 1905-<br />
1924. Stuttgart 1980. S. 1038. In Brief an Fritz Seidl<br />
16.10.1923. – Adolf Hitler: Mein Kampf, zitiert nach der einbändigen<br />
Volksausgabe. S. 173.<br />
10 Schulchronik a.a.O. S. 130 ff.<br />
11 Aufgaben u.a.: Armenschüler, Religionspädagogik, soziales<br />
20<br />
Engagement, Vermittlungen. Vgl. Schulchronik a.a.O. S. 130 ff.<br />
12 Schulchronik S. 133.<br />
13 Schulchronik a.a.O. S. 191.<br />
14 Pfarrarchiv St. Michael Leonding.<br />
15 Vgl. Gestionsprotokolle Pfarrarchiv. Gestionsprotokoll auf<br />
das Jahr 1898 der Pfarre Leonding.<br />
16 Hinweise aus der Schulchronik S. 125 ff.<br />
17 A.a.O. S. 87.<br />
18 Schulchronik ab 1875 S. 5 ff.<br />
19 Die 12 bis 14jährigen damals etwa 35 Schüler hatten nur<br />
„gekürzten Unterricht“, also einen Tag in der Woche.<br />
20 Schulchronik a.a.O. S. 154.<br />
21 Vgl. Schulchronik S. 182.<br />
22 Schulchronik a.a.O. S. 182 ff.<br />
23 Der Sohn des hier bis 1881 tätigen und am 19.<br />
September 1882 „im Vögerlhause Nr. 2 verstorbenen“<br />
Schulleiters Johann Danhofer sen.<br />
24 Schulchronik a.a.O. S. 139.<br />
25 A.a.O. S. 139.<br />
26 Schulchronik a.a.O. S. 134.<br />
27 Schulchronik a.a.O. S. 140 ff.<br />
28 A.a.O. S. 153 ff.<br />
29 Schon ab 1893. siehe Schulchronik S. 115.<br />
30 Schulchronik S. 142.<br />
31 Schulchronik S. 141 ff.<br />
32 A.a.O. S. 141.<br />
33 Vgl. Schulchronik S. 151.<br />
34 Chronik der Freiwilligen Feuerwehr Leonding<br />
35 Feuerwehrprotokolle 1898.<br />
36 Feuerwehrprotokolle 1898 ff.<br />
37 Schulchronik S. 141.
EIN DORF IM ERZHERZOGTUME OB DER ENNS UM 1900<br />
Gerhard Tolar<br />
Die Familie Alois Hitler hat in der Zeit um 1900 sieben<br />
Jahre in Leonding gelebt. Unter ihnen auch Adolf<br />
Hitler von seinem neunten bis zu seinem sechzehnten<br />
Lebensjahr. Auch die Jahre vorher hatte die Familie<br />
in ähnlichen Strukturen gelebt, in einer Gemeinde<br />
des „Erzherzogtums ob der Enns“, einem der<br />
habsburgischen Erblande. Der Habsburger Kaiser<br />
war der Souverän, der von 1848 bis 1916 an der<br />
Macht war und sich in dieser Zeit wandelte vom<br />
absoluten Monarchen zum Monarchen in einem Verfassungsstaat.<br />
Der Gesamtstaat hat in der Zeit von<br />
1848 bis zum Ende der Monarchie grundlegende<br />
Veränderungen erfahren, Rechtsgrundlage und Charakter<br />
der Gemeinden wurden in den Jahren 1849 bis<br />
1862 geschaffen aber bis zum Ende der Monarchie<br />
nicht wesentlich verändert. 1<br />
Alois Hitler, der Vater Adolf Hitlers, hat von 1837 bis<br />
1903 gelebt und die gewaltigen Umwälzungen dieser<br />
Zeit mitgemacht, Adolf Hitler geboren 1889 ist in den<br />
Strukturen einer Gemeinde um 1900 aufgewachsen.<br />
Die freie Gemeinde<br />
I. Die Grundfeste des Staates ist die freie Gemeinde,<br />
II. Der Wirkungskreis der freien Gemeinde ist a) der<br />
natürliche, b) ein übertragener, stand an der Spitze<br />
des provisorischen Gemeindegesetzes des revolutionären<br />
Grafen Stadion aus dem Jahr 1849. 2 Das<br />
gesamte Staatsgebiet ist in Gemeindebezirke aufzuteilen.<br />
So steht es im Reichsgemeindegesetz 1862. 3<br />
Die einzelnen Kronländer hatten Landesgemeindegesetze<br />
zu erlassen. Erst 1864 folgte die Oberöster-<br />
reichische Gemeindeordnung 4 , gleichzeitig mit der<br />
Oberösterreichischen Gemeindewahlordnung. 5<br />
Aufgaben der Gemeindeselbstverwaltung<br />
Die Gemeindeordnung des Reiches wies den Gemeinden<br />
Aufgaben zu. Wie bei den Grundherrschaften<br />
bestanden die Gemeindeangelegenheiten aus<br />
einem autonomen selbständigen und einem übertragenen<br />
staatlichen Wirkungsbereich. Zum autonomen<br />
Wirkungsbereich zählten Finanzbefugnisse (im Wesentlichen<br />
die Verwaltung des Gemeindevermögens),<br />
ein Besteuerungsrecht (hauptsächlich durch Zuschläge<br />
zu staatlichen Steuern), der Schutz von Personen<br />
und Eigentum (Sicherheits-, Bau-, Feuerpolizei etc.),<br />
Wohlfahrtspflege (Gesundheits- und Bildungswesen)<br />
und Armenwesen. Im übertragenen staatlichen Wirkungsbereich<br />
wurde die Gemeinde als staatliches<br />
Hilfsorgan benutzt z.B. für die Steuerbemessung, die<br />
Einhebung der Steuern und vor allem die Durchführung<br />
des Polizeistrafrechtes. Ausführende Organe<br />
waren der Gemeindeausschuss auch „Gemeinderat“<br />
genannt, und der Gemeindevorstand, bestehend aus<br />
dem Bürgermeister und einigen Gemeinderäten. Der<br />
Bürgermeister war allerdings allein entscheidungsbefugt.<br />
Gemeinden besonderer Art wurden mit besonderen<br />
Statuten ausgestattet und als „Städte mit eigenem<br />
Statut“ eingerichtet. 6<br />
Gemeindevermögen - Gemeindeumlagen<br />
Grundsätzlich waren die Ausgaben der Gemeinden<br />
nach dem Gesetz durch die Erträgnisse aus dem<br />
Gemeindevermögen zu bestreiten. Wenn diese nicht<br />
ausreichten, konnte die Gemeinde Umlagen einheben.<br />
Dazu gehörten: 7<br />
1. Zuschläge zu den directen Steuern oder zur<br />
Verzehrungssteuer;<br />
2. Dienste für Gemeindeerfordernisse;<br />
3. Auflagen und Abgaben, welche in die Kategorie der<br />
Steuerzuschläge nicht gehörten. Zur Einführung<br />
oder Erhöhung der letztgenannten Art von<br />
Gemeindezuschlägen ist ein Landesgesetz<br />
erforderlich.<br />
Nach den Akten des k. k. Finanzministeriums betrug<br />
der durchschnittliche Prozentbetrag der Gemeindeund<br />
Ortsschulzuschläge zu den direkten Steuern für<br />
Oberösterreich in den Jahren 1862 18,0%, im Jahre<br />
1880 34,4%. Über Landeslegislative kam es zur Genehmigung<br />
von zusätzlichen Auflagen in gewissen<br />
Sachgebieten (Hundeauflagen, Gebühren für die<br />
Erteilung des Heimatrechtes, Mietzinssteuer, Auflagen<br />
für den Bier- und Spirituosenkonsum etc.) 8<br />
Die Verzehrungssteuer<br />
Einen wesentlichen Einfluss auf alle Staatsbürger, ja<br />
sogar auf die Orts- und Stadtbilder und auf die Siedlungstätigkeit<br />
der Bürger übte die so genannte „Verzehrungssteuer“<br />
aus, die der Staat einhob. Die Verzehrungssteuer<br />
war eine Verbrauchssteuer, unserer<br />
heutigen Umsatzsteuer entsprechend. Auf dem flachen<br />
Land wurde diese Steuer für Getränke und<br />
21
Schlachtvieh eingehoben, in den Städten wurde an<br />
den Stadtgrenzen eine Steuer auf alle eingeführten<br />
Lebensmittel und Konsumartikel eingehoben, dazu<br />
wurden eigene Ämter, die sogenannten „Linienämter“<br />
geschaffen. Diese Steuer traf besonders ärmere<br />
Bevölkerungsteile und führte dazu, dass viele trachteten,<br />
sich außerhalb der „Linien“ anzusiedeln. 9 Diese<br />
Steuer mag auch ein Teil der Begründung gewesen<br />
sein, dass sich Alois Hitler vor den Toren von Linz in<br />
Leonding niederließ und dass sich Clara Hitler, die<br />
als Witwe 1905 nach Linz gezogen war, mit ihrer<br />
Familie aus Linz nach Urfahr, das außerhalb der<br />
Linien lag, zurückzog.<br />
Die Wahlordnungen<br />
Im Gemeindegesetz im Erzherzogtum Österreich ob<br />
der Enns aus dem Jahr 1864 ist auch die Gemeindewahlordnung<br />
enthalten. Wahlberechtigt waren demnach<br />
alle Gemeindemitglieder, die aus ihren Realbesitze,<br />
Gewerbe oder Einkommen seit wenigstens<br />
einem Jahr in der Gemeinde eine direkte Steuer entrichteten.<br />
Ohne Rücksicht auf ihre Steuerleistung war<br />
die Klasse der „Intelligenzen“ wahlberechtigt, das<br />
waren die in der Ortsseelsorge tätigen, Hof-, Staats-<br />
Landes- und Fondsbeamte, Volksschuloberlehrer etc.<br />
Ausgeschlossen vom Wahlrecht waren Personen, die<br />
eines Verbrechens schuldig erkannt wurden. „Wählbar<br />
waren Wahlberechtigte, die das vierundzwanzigste<br />
Lebensjahr zurückgelegt haben, ausgenommen<br />
die Bediensten der Gemeinde und Personen, die eine<br />
Armenversorgung genießen, in einem Gesindeverbande<br />
stehen oder – wie Taglöhner oder gewerbliche<br />
Gehilfen – einen selbständigen Erwerb nicht haben.“ 10<br />
Diese Gemeindewahlordnung galt mit kleinen Veränderungen<br />
bis zum Untergang der Monarchie.<br />
Zur Vorbereitung der Wahl des Gemeindeausschusses<br />
11 hatte der Gemeindevorsteher ein ge-<br />
22<br />
naues Verzeichnis aller Wahlberechtigen anzufertigen.<br />
Zuoberst die Ehrenbürger, dann die „Intelligenzen“<br />
unter Angabe ihrer Jahresschuldigkeit an<br />
direkten Steuern bzw. ihrer Besoldungen und Ruhegenüsse.<br />
Die Steuerschuldigkeiten und die Bezüge<br />
waren gesondert zu summieren.<br />
„Auf dieser Basis sind die Wahlkörper festzulegen. 12<br />
Es sind drei Wahlkörper zu bilden, wenn die Zahl der<br />
Wahlberechtigten gering ist und der Unterschied der<br />
Steuerschuldigkeiten gering ist auch nur zwei Wahlkörper.<br />
Dazu wird die gesamte Steuerschuldigkeit in<br />
drei bzw. zwei Teile geteilt und entsprechende Grenzen<br />
in der Gesamtliste gezogen. Die Zahl der zu<br />
wählenden Ausschuß- und Ersatzmänner wird auf die<br />
einzelnen Wahlkörper in gleichen Teilen verteilt.“<br />
Dieses Dreiklassenwahlrecht war zu Ende des 19.<br />
Jahrhunderts schon weit hinter der gesellschaftlichen<br />
Entwicklung zurückgeblieben. Das Reichsratswahlrecht<br />
wurde den neuen Verhältnissen durch drei<br />
Wahlreformen mehr oder weniger angepasst; eine<br />
Demokratisierung des Gemeinde-Wahlrechts ist<br />
jedoch in Österreich ausgeblieben. 13<br />
Der Wahlakt selbst war öffentlich. Die Wähler wurden<br />
einfach vor der Wahlkommission in der Reihenfolge,<br />
in der sie auf den Wählerlisten verzeichnet waren,<br />
aufgerufen und aufgefordert, ihre Stimme nach freier<br />
Überzeugung abzugeben. 14<br />
Das Gros der Gemeindebürger war ohne Wahlrecht.<br />
Auch noch 1908 etwa war in einer Stadt wie Schwanenstadt<br />
nur jeder sechste Bürger wahlberechtigt, insgesamt<br />
296 von 1800 Einwohnern. Von diesen Wahlberechtigten<br />
befanden sich 20 im ersten Wahlkörper,<br />
46 im zweiten und 230 im dritten Wahlkörper. 15<br />
Jeder Wahlkörper wählte die gleiche Zahl an<br />
Ausschussmitgliedern und Ersatzleuten.<br />
Das Heimatrecht<br />
Für das Heimatrecht der Bürger einer Gemeinde<br />
sorgte das Gesetz betreffend die „Regelung der<br />
Heimatverhältnisse“ 16 zusammen mit den oben<br />
genannten Gemeindegesetzen: Die auf dem Gebiet<br />
einer Gemeinde weilenden Personen waren nach<br />
dem Gemeindegesetz entweder Auswärtige (die in<br />
der Gemeinde weder heimatberechtigt waren noch<br />
direkte Steuern zahlten) oder Gemeindemitglieder<br />
(Gemeindeglieder). Letztere wurden weiter in<br />
Gemeindeangehörige (sofern sie heimatberechtigt<br />
waren; diesen stand das Recht auf Armenversorgung<br />
und auf ungestörten Aufenthalt in der Gemeinde zu)<br />
und in Gemeindegenossen (die nicht heimatberechtigt<br />
waren, aber in der Gemeinde direkte Steuern<br />
zahlten; diese waren in der Gemeinde wahlberechtigt)<br />
eingeteilt. Diese Regelung führte zu Paradoxien.<br />
Die Auswärtigen bildeten häufig den Großteil der<br />
tatsächlichen Gemeindebewohner. Sie waren aber<br />
von allen Rechten in der Gemeinde ausgeschlossen.<br />
Gemeindemitgliedschaft erhielten oft Personen, die in<br />
der Gemeinde überhaupt nicht wohnten. Dagegen<br />
gab es Gemeindeangehörige, die in der Gemeinde<br />
wohnten, aber da kein Wahlrecht hatten. 17<br />
Die Arbeiter der Industrie, die Gesellen des Gewerbes,<br />
das Gesinde der Bauern zahlten zwar in jenen<br />
Jahren im Durchschnitt keine direkten Steuern und<br />
somit auch keine Gemeindezuschläge, waren daher<br />
nicht wahlberechtigt. Aber sie zahlten sehr wohl die<br />
indirekten Steuern.<br />
Diese Personengruppe hatte es schwer, an einer<br />
Arbeitsstelle Heimatrecht zu erhalten. Sie galten<br />
meist als Auswärtige. Auswärtige konnten in ihre
Heimatgemeinde abgeschoben werden. Dieses<br />
„Schubwesen“ blieb bis zum Ende der Monarchie<br />
eine problemreiche Angelegenheit. Die wirtschaftlichen<br />
Probleme wurden zu politischen und politische<br />
zu wirtschaftlichen. 18 Anzumerken ist noch, dass die<br />
Frauen bis zum Jahr 1919 keinerlei Wahlrecht<br />
besaßen. Selbst die Wahlrechtsreform von 1909, die<br />
die Einführung der allgemeinen Wählerklasse brachte,<br />
schloss die Frauen von der Wahl aus. 19<br />
Die Stellung der Familie Alois Hitler<br />
in der Gemeinde<br />
Die Angaben über die Gemeindeorganisation, Steuern<br />
und Abgaben, Wahl- und Heimatrecht gaben ein Bild<br />
der Stellung eines Individuums innerhalb der Gemeinde,<br />
in der er wohnt oder arbeitet. Insbesondere das<br />
Heimatrecht war schwer durchschaubar und führte zu<br />
seltsamen Verhältnissen. Für Alois Hitler sah die<br />
Situation folgendermaßen aus: Alois Hitler wohnte in<br />
Leonding, hatte dort Hausbesitz und war deshalb<br />
nach dem Gemeindegesetz als Gemeindegenosse<br />
eingestuft. Deshalb findet sich auch ein Eintrag im<br />
entsprechenden Meldebuch von Leonding. Mit der<br />
Übersiedlung von Clara Hitler nach Linz am 1. Juli<br />
1905 und dem Verkauf von Haus und Grund erlosch<br />
auch diese Eintragung (siehe Abbildung 3 u. 4). Zuständig<br />
oder heimatberechtigt war Alois Hitler „nach<br />
Linz“, wie man seiner Eintragung im Totenbuch der<br />
Pfarre Leonding entnehmen kann. Alois Hitler hatte in<br />
seinem Leben zahllose Wohnungs- und Ortswechsel<br />
vorgenommen. Ortswechsel hatten für gewöhnliche<br />
Bürger die Auswirkung, dass sie schwer Heimatrecht<br />
erreichen konnten. Das galt nicht für Beamte, Geistliche<br />
und Lehrer. Sie erlangten nach § 10 des Heimatrechtsgesetzes<br />
1863 mit dem Antritte ihres Amtes das<br />
Heimatrecht in der Gemeinde, in welcher ihnen ihr<br />
ständiger Amtssitz angewiesen wurde.<br />
Abb.3 u. 4: Titelseite und Eintragung der Familie Alois Hitler in der Leondinger „Heimats-Matrik“<br />
Als Beamter war Alois Hitler in der ersten Wählerklasse<br />
wahlberechtigt, unabhängig von seiner Steuerleistung,<br />
die übrigens auch ausgereicht hätte, um ihm<br />
ein Wahlrecht zu verschaffen. Auch seine kurzzeitige<br />
Veränderung in höhere Gesellschaftskreise, als er das<br />
3,8 ha große Rauscher-Gut in Hafeld bei Lambach<br />
kaufte, hat daran nichts geändert. In Leonding begnügte<br />
er sich mit 2223 m≈ Grund und Hausbesitz.<br />
Alois Hitler war also sicher auch aus dieser Einstufung<br />
her ein angesehener Bürger in der Gemeinde<br />
Leonding um 1900.<br />
23
Abb.5: Eintragung von Alois Hitler im Totenbuch der Pfarre Leonding des Jahres 1903<br />
Die Gemeindeselbstverwaltung heute<br />
Die Grundsätze, die im provisorischen Gemeindegesetz<br />
der Habsburgermonarchie von 1849 proklamiert<br />
wurden, sind auch heute noch gültig. Auch die<br />
heutigen Gemeinden arbeiten in einem selbständigen<br />
und einem übertragenen Wirkungsbereich, wie die<br />
Begriffe heute lauten, wenn sich auch die in den<br />
Wirkungsbereichen enthaltenen Aufgaben wesentlich<br />
gewandelt haben.<br />
Auch im aktuellen Diskurs um die Europäische Verfassung<br />
spielt die Gemeindeselbstverwaltung eine<br />
große Rolle. Im Vertrag von Lissabon „zur Änderung<br />
des Vertrages über die Europäische Union und des<br />
Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft“,<br />
unterzeichnet in Lissabon am 13. Dezember<br />
2007 Artikel 3a: „Die Union achtet die Gleichheit der<br />
Mitgliedstaaten vor den Verträgen und ihre jeweilige<br />
nationale Identität, die in ihren grundlegenden politischen<br />
und verfassungsmäßigen Strukturen einschließlich<br />
der regionalen und lokalen Selbstverwaltung<br />
zum Ausdruck kommt“.<br />
24<br />
Anmerkungen<br />
1Brauneder, Wilhelm; Öst. Verfassungsgeschichte; Wien<br />
2005, Seite 154<br />
2 Allgemeines Reichs-Gesetz- und Regierungsblatt für das<br />
Kaiserthum Österreich 1849 Nr. 170, Seiten 203 bis 222<br />
3 Reichs-Gesetz-Blatt für das Kaiserthum Österreich RGBl.<br />
18/1862, vom 5. März 1862, 9. Stück<br />
4 Gemeindeordnung vom 28. April 1864 wirksam für das<br />
Erzherzogthum Österreich ob der Enns mit Ausnahme der<br />
Städte Linz und Steyr, LGB1. Nr. 6, abgeändert d.<br />
Landesgesetz vom 4. Oktober 1868, LGB1. Nr. 16, durch<br />
Landesgesetz vom 12. Oktober 1868, LGB1. Nr. 19, d.<br />
Landesgesetz vom 23. Juni 1893, LGB1. Nr. 19.<br />
5 Gemeindewahlordnung vom 28. April 1864, wirksam für<br />
das Erzherzogthum Österreich ob der Enns mit Ausnahme<br />
der Städte Linz und Steyr, LGB1. Nr. 6/1864. Novelliert d.<br />
Landesgesetz vom 25. Juli 1893, LGB1. Nr. 22, und d.<br />
Landesgesetz vom 13. März 1894, LGB1. Nr. 13.<br />
6 Brauneder , a.a.O. S 150 ff<br />
7 Rauter, David; Österreichisches Staats-Lexikon, Wien<br />
1885, S 94<br />
8 Klabouch, Jiri, Die Gemeindeselbstverwaltung in Österreich,<br />
Wien 1968, Seite 119f<br />
9 Rauter, a.a.O. Seite 95 f<br />
10 Rauter, a.a.O. Seite 95 f<br />
11 Gemeindeverordnung a.a.O. Wahlordnung § 12<br />
12 Gemeindeverordnung a.a.O. Wahlordnung zweiter<br />
Abschnitt<br />
13 Klabouch, a.a.O. Seite 9<br />
14 Ucakar, Karl, Demokratie und Wahlrecht in Österreich,<br />
Wien 1985, Seite 124<br />
15 Slapnicka, Harry, Oberösterreich unter Kaiser Franz<br />
Josef, Linz 1982, Seite 90<br />
16 Reichs-Gesetz-Blatt für das Kaiserthum Österreich 18.<br />
Stk. Nr. 105 vom 2. Dezember 1863<br />
17 Klabouch, a.a.O., Seite 70, Fußnote<br />
18 Slapnicka, a.a.O., Seite 39<br />
19 Floßmann, Ursula, Das Frauenwahlrecht in<br />
Oberösterreich vor 1918, In Helfried Valentinitsch<br />
(Hg.),Festschrift Hermann Baltl zum 70. Geburtstag, Graz<br />
1988, Seite 155 bis 182
LEONDING 1938 - 1945<br />
NATIONALSOZIALISMUS IN LEONDING, IM SPIEGEL<br />
DREIER CHRONIKEN - ERINNERN ODER VERGESSEN?<br />
Josef Andreas Kauer<br />
Stellt man heute auch noch so genaue und objektiv<br />
bewertete historische Untersuchungen über Ereignisse<br />
vergangener Epochen, insbesondere der NS-<br />
Zeit an, so werden diese Recherchen wohl nie als<br />
abgeschlossen gelten, denn immer wieder eröffnen<br />
sich bei Betrachtung der Quellen neue Perspektiven<br />
und Schwerpunkte. Je tiefer man in die Archive<br />
taucht, desto besser erkennt man auch, wie schwer<br />
der Weg zu echter Wahrheitsfindung ist. Eingedenk<br />
der Zwanghaftigkeit, in denen die Menschen vor und<br />
nach 1938 leben mussten, rückt man aber auch ab<br />
von jeder Schuldzuweisung, und es geht nur mehr<br />
darum zu verstehen.<br />
Hat man das Glück, dass die Ereignisse einer<br />
Zeitspanne von mehreren Zeitzeugen, in unserem<br />
Falle von drei Chronisten, jeweils aus verschiedenen<br />
Blickwinkeln in der Gemeinde- , der Pfarr- und der<br />
Gendarmeriechronik niedergeschrieben wurde, dann<br />
wird die Wahrscheinlichkeit größer, der Wahrheit<br />
näher zu kommen. Auch ein Feuerwehrprotokollbuch<br />
und Untersuchungen zu hierortigen Ereignissen im<br />
Jahr 1938 und zu Leondinger Persönlichkeiten, die<br />
damals eine Rolle spielten, standen bei den Nach-<br />
forschungen zu diesem Beitrag zur Verfügung.<br />
Mehrere Zeitzeugenzitate zum Thema 1938 sollen<br />
also helfen, die Geschehnisse in jenen Tagen für den<br />
Raum Leonding-Linz möglichst objektiv und von<br />
Seiten der Erlebnisgeneration her zu sehen;<br />
„Aufarbeitung und Vergangenheitsbewältigung“ also,<br />
die ohne diese Art von Wahrheitsfindung nicht auskommt.<br />
Die Leondinger Chroniken<br />
Bis 1934 war Leonding von dem sozialdemokratischen<br />
Bürgermeister Karl Schrattenholzer geführt<br />
worden. Nach den Februarunruhen 1934 und nach<br />
dem Verbot seiner Partei war Schrattenholzer des<br />
Amtes enthoben und nach dem ständischen<br />
Wahlrecht der allseits beliebte Bauer Franz Bäck,<br />
Mair in Aichberg, zunächst als Regierungskommissär,<br />
dann aber am 1.12.1934 als Bürgermeister installiert<br />
worden. Im März 1938 wurde Bäck durch Josef<br />
Miesenberger abgelöst, 1945 machte Miesenberger<br />
wieder für Bäck Platz.<br />
Die Pfarre führte zu dieser Zeit Pfarrer Johann<br />
Haudum. Seine Pfarrchronik spiegelt die wechsel-<br />
volle Stimmung jener Jahre wohl am deutlichsten<br />
wider. In der Zeit des Ständestaates ist sie voll Sorge<br />
und Klagen wegen der großen Not, wegen der ständigen<br />
Unruhen und der politischen Auseinandersetzungen.<br />
1938 spiegelt sie zuerst große Begeisterung<br />
über den verheißungsvollen Wechsel wider, im<br />
Verlaufe bis 1945 aber Kummer und Sorge wegen<br />
des immer blutiger werdenden Krieges. Karl Karning<br />
d. Ä. hatte schon 1937 von Bürgermeister Bäck den<br />
Auftrag zur Anlage einer Gemeindechronik erhalten.<br />
Die Vorzüge seiner Schreibweise liegen in der Übersichtlichkeit,<br />
in der Gliederung in größere Themenbereiche<br />
und vor allem in der Ausführlichkeit seiner<br />
Schilderungen.<br />
Die Gendarmeriechronik wiederum wirkt in ihren<br />
datumsmäßig gegliederten Kurzberichten streng,<br />
nüchtern und sachlich, wurde jeweils vom diensthabenden<br />
Gendarmeriekommandanten (Anton Lohwasser,<br />
Pesendorfer u.a.) geschrieben und entbehrt<br />
dennoch nicht einer gewissen Ausführlichkeit, so<br />
dass die Nachwelt sehr wohl auch in dieser Aufschreibung<br />
die „damalige Stimmung“ nachvollziehen<br />
kann.<br />
25
Zur Vorgeschichte - 1918 – 1938<br />
Das nach dem Ersten Weltkrieg nach einschneidendem<br />
Schrumpfungsprozess der österreichisch-ungarischen<br />
Monarchie übrig gebliebene und um vieles kleinere<br />
Deutsch-Österreich kämpfte seit Kriegsende<br />
1918 um wirtschaftliches Überleben. Insbesondere<br />
die Landeshauptstädte und ihre Zentralräume waren<br />
lange Jahre voll von Arbeitslosen, Bettlern, Ausgesteuerten,<br />
und die breite Masse der Bevölkerung war<br />
ständig in Angst vor Hunger und Not. Das Nachbarland<br />
Deutschland aber rüstete im Besonderen nach<br />
der Machtergreifung durch Adolf Hitler auf und trug<br />
seine wirtschaftliche Macht und den Aufschwung stolz<br />
zur Schau.<br />
Anfang der 1930er Jahre war die NSDAP in Österreich<br />
politisch nur eine Splittergruppe. Hitlers Machtübernahme<br />
1933 aber brachte hier einen gewaltigen<br />
Zulauf zu dieser Partei aus dem Lager der Deutschnationalen,<br />
wenig später aber auch von sozialdemokratischer<br />
Seite. - Man hatte nämlich nach dem Bürgerkrieg<br />
im Februar 1934 und nach der Niederlage<br />
der Schutzbundtruppen die Sozialdemokratische<br />
Partei als politischen Faktor ausgeschaltet, ihr<br />
Vermögen beschlagnahmt, ihre Mitglieder in die<br />
Illegalität getrieben und sie so sehr entrechtet, dass<br />
viele in auswegloser politischer Lage nach und nach<br />
ihre neue politische Heimat im nationalsozialistischen<br />
Lager suchten, weil das damals die einzige Partei<br />
war, die gegen das ständestaatliche Regime, den<br />
sogenannten Austrofaschismus, kämpfte. 1<br />
In der Leondinger Pfarrchronik wird schon in früher<br />
Zeit zur Frage Nationalsozialismus und Hitler nach<br />
1933 Stellung genommen: „Er ist Österreicher, in<br />
Braunau geboren, in Leonding aufgewachsen und in<br />
die Schule gegangen. Es liegt in der Zeit, nicht nur in<br />
26<br />
der Person des Hitler, mit starker Faust wieder einzugreifen<br />
und die Zügel zu führen. Es ist eine<br />
Gegenrevolution gegen die Umsturzideen von 1918<br />
und 1919. Dr. Dollfuß regiert mit Notverordnungen,<br />
weil sich das Parlament zu Tode regiert hat. Eine<br />
neue Zeit!“ 2 Als Bundeskanzler Dollfuß im Juli 1934<br />
durch NS-Radikale getötet wurde, mussten auch die<br />
Nationalsozialisten in die Illegalität. Not, Elend,<br />
Arbeitslosigkeit und Spannungen aber stiegen weiter<br />
ins Unerträgliche, was der NSDAP in die Hände spielte,<br />
denn ihre Sympathisanten mehrten sich überaus<br />
rasch und 1938 hatte Österreich an die 600.000 illegale<br />
NS-Mitglieder.<br />
Die seit der Verhängung der 1000-Mark-Sperre 1933<br />
und dem Juli-Putsch 1934 erheblich belasteten österreichisch-deutschen<br />
Beziehungen sollten durch das<br />
Juli-Abkommen 1936 zwischen Schuschnigg und<br />
Hitler mit Presseerleichterungen, kulturellen Austauschbeziehungen<br />
und der Amnestie der Nationalsozialisten<br />
entspannt werden. Langfristig aber lösten<br />
sie in Österreich die wirtschaftlich triste Lage nicht.<br />
Der Leondinger Gendarmeriechronist A. Lohwasser<br />
schieb 1938 zu dieser Frage: „Wenn es gelingt, das<br />
Grundübel, die Arbeitslosigkeit, eine Geißel der<br />
Menschheit zu mildern, so wird wieder die so notwendige<br />
Ruhe unter dem Volke sein und die Exekutive<br />
besseren Zeiten entgegengehen mit unserem<br />
österreichisch-deutschen Volke. Gott gebe es!“ 3<br />
Rückschauend auf die Epoche 1934-1938 erscheint<br />
sie als eine Zeit der Entstehung faschistischer, antidemokratischer<br />
Regierungssysteme, insbesondere in<br />
Italien, Spanien, Deutschland und ab Dollfuß auch in<br />
Österreich. Nach Jahren der Not und der politischen<br />
Wirrnisse, die im fehlgeschlagenen Schutzbundaufstand<br />
im Februar 1934 und im Juli-Putsch der<br />
NSDAP ihre Höhepunkte erreicht hatten, waren die<br />
Menschen in Österreich schon vor 1938 zermürbt<br />
worden. „Unser Land war zu klein und zu arm, zu<br />
zerrüttet durch Haß und Parteiwesen, in manchen<br />
führenden Stellen auch durch Korruption angefressen.“<br />
4 Die damalige politische Polarisierung Rot-<br />
Schwarz hat nach 1934 der Ständestaat, der weithin<br />
einen aggressiven Antiparlamentarismus pflegte, nie<br />
überwinden können, er hat die Gegensätze durch<br />
autoritäres Vorgehen seiner paramilitärischen<br />
Organisationen eher verstärkt. 5<br />
Die Leondinger NSDAP in der Illegalität<br />
Erste offen geführte nationalsozialistische Leondinger<br />
Aktivitäten hat es schon 1933 vor dem Verbot der<br />
Partei gegeben. Ende Juli 1934 war es in der Nachbarschaft<br />
Wilhering zu einem „Umbruchversuch“<br />
gekommen. Dort hatte sich in der Ortschaft Ufer ein<br />
Zug heimischer Nationalsozialisten versammelt, unter<br />
denen auch Leondinger waren. Es kam zu einem<br />
bewaffneten Zusammenstoß mit der Exekutive, wobei<br />
ein Gendarm getötet wurde. Anderntags wurden 27<br />
„illegale Leondinger, die der Teilnahme an der Zusammenrottung<br />
überwiesen werden konnten, verhaftet<br />
und dem Landesgericht überstellt werden.“ 6 „Auch<br />
konnten bei dieser Gelegenheit die seit 1933 vorgekommenen<br />
Aktionen der NSDAP geklärt werden,<br />
soweit die verbotene Betätigung dieser Partei den<br />
hiesigen Rayon betraf.“ heißt es in der Gendarmeriechronik.<br />
„Am 20. Juni 1935 wurde nämlich eine<br />
„Leondinger NS-Geheimorganisation“, ausgehend<br />
von Thening, aufgelöst. Sieben Personen wurden<br />
festgenommen und bestraft.“ 7 Dazu wird in der<br />
Pfarrchronik bemerkt: „Immer wieder flammen Nazi-<br />
Nester auf. - Mitte Mai 1935 wurden von der<br />
Sicherheitsdirektion Linz geheime Versammlungen in<br />
Thening aufgedeckt, welche gegen den jetzigen Kurs<br />
in Österreich gerichtet sind.“ 8
Für den Friedhof meldet Pfarrer Haudum frühen<br />
„Zulauf von Hitler-Verehrern aus dem Reich und aus<br />
aller Welt, die zum Elterngrab kommen“, und „am 9.<br />
April [1933] waren amerikanische Journalisten hier.“ 9<br />
Aber auch von Spannungen wird erzählt: „Ein politisches<br />
Gezänke spielte sich heuer wiederholt um das<br />
Hitlergrab ab. - Im Frühjahr lange Prozessionen von<br />
„Wallfahrern!“ 10 „Als Hitler die 1000-Mark-Sperre verhängte,<br />
hörte der Zuzug aus dem Dritten Reich auf,<br />
jedoch setzten die österreichischen Hitlersöhne die<br />
Ehre drein, das Grab ständig zu bewachen. Als die<br />
Partei verboten wurde, hörte der Handel mit Karten<br />
am Grab von selbst auf. Um Allerheiligen mußte wiederholt<br />
die Gendarmerie über amtlichen Auftrag<br />
„Friedhofdienst“ halten.“ 11<br />
Trotz Verbot der „Illegalen“ gab es jedoch besonders<br />
ab 1936 weiterhin NS-Versammlungen, Aufmärsche,<br />
Fahnenhissungen und Flugzettelaktionen. Die Behörden<br />
jedoch gingen gegen diese Aktionen nur halbherzig<br />
vor, denn teils waren die Ämter und Verwaltungsbehörden<br />
längst von „Illegalen“ unterwandert,<br />
teils wollte man Hitler, den „mächtigen Nachbarn“,<br />
nicht reizen und auch keine weiteren wirtschaftlichen<br />
Sanktionen des Deutschen Reiches wie die verhängte<br />
„Tausend Mark-Sperre“ provozieren. Überall aber<br />
war zu spüren, dass die inszenierte Propaganda und<br />
die Unterwanderung wesentlicher Teil der Parteistrategie<br />
der NSDAP waren. 12<br />
Außenpolitisch hatte Österreich Anfang der 1930er<br />
noch auf das befreundete Italien zählen können. 1936<br />
aber schlossen Hitler und Mussolini einen Pakt: Ein<br />
helfendes Eingreifen Italiens zugunsten Österreichs<br />
gegen das Deutsche Reich war fortan undenkbar<br />
geworden. Im Gegenteil: Nach dem Juli-Abkommen<br />
1936 zwischen Dr. Kurt Schuschnigg und Adolf Hitler<br />
wurde der österreichische Bundeskanzler genötigt,<br />
Tausende ehemalige illegale Nationalsozialisten zu<br />
amnestieren. Auch sonst musste Österreich Hitler<br />
gegenüber Konzessionen machen: aufgrund der<br />
wachsenden politischen Kraft der NSDAP im Lande<br />
und wohl auch weil Mussolini außenpolitisch nicht<br />
mehr zugunsten Österreich eingreifen wollte. In dieser<br />
Situation hätte das ständestaatliche Lager daran<br />
denken können, mit den zu jener Zeit immer noch<br />
starken Sozialdemokraten ernsthaft zu verhandeln,<br />
wiewohl eigentlich beide Seiten damals wenig<br />
Einsicht zeigten und daher auch kaum Aussicht auf<br />
Verständigung bestand. 13<br />
Seit der Einführung der allgemeinen Stellungspflicht<br />
und der Liquidierung vieler „Wehrverbände“ 14 , beruhigte<br />
sich die Lage zusehends, die Konfrontationen<br />
illegaler mit staatlichen bewaffneten Einheiten wurden<br />
seltener. Im Oktober 1936 rückten 28 Leondinger<br />
Burschen - die ersten Wehrdienstpflichtigen - in die<br />
Linzer Kasernen ein. 15<br />
Offizieller Besuch der „Passauer“ in Leonding<br />
Das Juli-Abkommen des österreichischen Bundeskanzlers<br />
Dr.Schuschnigg mit Hitler 1936 wurde insofern<br />
auch für Leonding bedeutsam, als im Gefolge<br />
der beschlossenen Reiseerleichterungen zwischen<br />
Deutschland und Österreich am 6. September 1936<br />
im Rahmen einer großen Kdf-Fahrt (Kraft durch<br />
Freude) viele Passauer mit Schiff unter Führung ihres<br />
Bürgermeisters nach Linz kamen und hier festlich<br />
empfangen werden konnten. Geschlossen pilgerten<br />
„die Passauer“ dann auch zum Hitlergrab nach<br />
Leonding und wurden vom Bürgermeister, der Gemeindevertretung<br />
und der Geistlichkeit willkommen<br />
geheißen. 16 Die Leondinger Musikkapelle spielte und<br />
die Feuerwehr stand Spalier. „Die Gäste legten einen<br />
prachtvollen Kranz nieder und begaben sich ins gegenüberliegende<br />
Hitler-Wohnhaus. Auch machten sie<br />
einen Besuch bei Hitlers ehemaligem Vormund, Altbürgermeister<br />
Mayrhofer, „Bauer in Ort“. Hierauf reisten<br />
sie, ohne in eines der Gasthäuser von Leonding<br />
einzukehren, in ihren Autos nach St. Florian weiter.“ 17<br />
Der Chronist Karl Karning bemerkt dazu noch, dass<br />
in der Folgezeit die Hitlergedenkstätten „in besonderer<br />
Weise“ auch das Wanderziel zahlreicher Linzer<br />
gewesen seien, wobei allerdings, so meinte er „nicht<br />
Pietät allein, sondern auch Politik die Triebfeder solcher<br />
Wanderungen gewesen zu sein schienen. Besonders<br />
Burschen und Mädchen umlagerten fast<br />
unausgesetzt das Grab, das zum Treffpunkt der<br />
‚betont Nationalen’ geworden war.“ 18<br />
1937, als Bürgermeister Franz Bäck und der in der<br />
Leondinger Bevölkerung sehr beliebte Arzt Dr. Franz<br />
Hinterberger, nach dem das Haus Leonding Nr. 5<br />
später benannt wurde, vom Gemeindetag zu Ehrenbürgern<br />
ernannt wurden, war politisch gesehen ein<br />
ruhigeres Jahr. Die Agitationen der Nationalsozialisten<br />
aber – nunmehr bereits großzügig geduldet -<br />
gingen weiter. Bei uns mehrten sich, laut Kirchenchronik,<br />
die Besuche beim Hitlergrab von Monat zu<br />
Monat. Besonders gab es am Allerseelensonntag<br />
1937 einen solchen Massenbesuch auf dem Friedhof,<br />
„dass Ortspolizei und Gendarmerie einen Ordnerdienst<br />
einrichten mußten.“ 19<br />
Viel Aufregung gab es im April 1937 wegen einer<br />
„Sondermeldung des Deutschlandsenders“, der<br />
berichtet hatte, es sei jemand verhaftet worden, weil<br />
er beim Hitlergrab einen Kranz niedergelegt habe.<br />
Zwar erwies sich die Sache als Irrtum, doch war es<br />
schon geschehen, denn der „Völkische Beobachter“<br />
hatte sich der Thematik bemächtigt und in seiner<br />
27
Überschrift von einer „Kulturschande im christlichen<br />
Ständestaat“ berichtet. Auf diese Weise war Leonding<br />
kurzfristig „berühmt“ geworden. 20<br />
Das Jahr 1938<br />
Am 29. Jänner ernannte, laut Pfarrchronik, „der<br />
Leondinger Gemeindetag drei Herren zu Ehrenbürgern:<br />
Josef Mayrhofer, Altbürgermeister und einstiger<br />
Vormund des deutschen Reichskanzlers Adolf Hitler,<br />
weiters von sozialdemokratischer Seite den Altbürgermeister<br />
Karl Schrattenholzer und den für die Heimatforschung<br />
verdienten Karl Karning sen. Die Diplomüberreichung<br />
fand allerdings erst in der Festsitzung<br />
am 26. Feber 1938 statt. Mayrhofer nahm dann jedoch<br />
- „in Erwartung des kommenden Geschehens“das<br />
Diplom nicht an. Schrattenholzer, ab 1926<br />
Leondinger Bürgermeister, hatte es bis vor den<br />
Februarunruhen 1934 verstanden, „durch Klugheit<br />
und Sachlichkeit die gegensätzlichen Interessen der<br />
Parteien in Einklang zu bringen.“ 21<br />
Am 12. Feber 1938<br />
...zitierte Hitler Kurt Schuschnigg „zur Aussprache“<br />
auf den Obersalzberg bei Berchtesgaden und drohte<br />
mit dem Einmarsch, sollte Wien nicht Nationalsozialisten<br />
in die Regierung aufnehmen und Hitlers<br />
Bedingungen nicht erfüllt werden. Die Spannung stieg<br />
weiter. Schuschnigg bildete die Regierung um: Seyß-<br />
Inquart wurde Innenminister. In der Gendarmerie-<br />
Chronik mit Datierung vom 24. 2. 1938 heißt es:<br />
„Eintritt der Nationalen in die Regierung. Möge der<br />
ersehnte deutsche Frieden kommen!“<br />
Am 17. Feber 1938<br />
...erschien österreichweit die vom Bundespräsidenten<br />
Miklas verkündete „Amnestieverordnung“, mit der sich<br />
Schuschnigg aus der Umklammerung Hitlers befreien<br />
28<br />
wollte: Etwa drei Wochen vor dem „Anschluss“ galt<br />
nun nationalsozialistische Agitation nicht mehr als illegal.<br />
Polizei und Gendarmerie in Leonding wurden<br />
angewiesen, das Tragen von Hakenkreuzen, das<br />
Singen von NS-Liedern und den Hitlergruß zu tolerieren.<br />
22<br />
Die Reichsidee<br />
Die „unter Hochspannung erwarteten Reden“ Hitlers<br />
am 20. Feber und Schuschniggs am 24. Feber 1938<br />
wurden von der RAVAG übertragen. Tenor: „Das<br />
Bekenntnis zum Deutschtum in Österreich sei auch<br />
als Ablehnung des Bolschewismus zu verstehen.“<br />
Diese Interpretation kam, wie wenig später Kardinal<br />
Innitzers Brief zeigte, auch der Haltung der Kirche<br />
entgegen. Denn schon seit Dollfuß betrachtete die<br />
Amtskirche den Bolschewismus als „die größte<br />
Bedrohung“ der Christen. Die bolschewistische<br />
Ideologie war für die Kirche der „personifizierte<br />
Antichrist.“ 23 Unterschwellig und vom Volk kaum<br />
wahrgenommen, gewann ab nun die von Hitler gelenkte<br />
„Reichsidee“ immer mehr Gestalt. In der Bevölkerung<br />
setzte sich zunehmend das Bewusstsein<br />
durch, dass das Land unter Hitler in besseren Händen<br />
wäre, weil - wie das Beispiel Deutschland zeige –<br />
„dort alles wirtschaftlich und sozial besser funktionierte.“<br />
Wie sehr die Stimmung in Leonding auch bei<br />
Nazigegnern zugunsten des deutschen Reichskanzlers<br />
umgeschlagen hatte, der von vielen als „langersehnter<br />
Hoffnungsträger“ angesehen wurde, zeigen<br />
die Umstände bei der am 20. Feber 1938 in der<br />
„Gastwirtschaft Strasser“ (Bahnhofwirt) abgehaltenen<br />
Versammlung der „Vaterländischen Front“, einer<br />
erklärten Gegnerin der NSDAP: An diesem Tag war<br />
es erstmals offiziell erlaubt, den Sender des Deutschen<br />
Reiches zu hören. In der Gendarmeriechronik<br />
heißt es dazu: „Die Versammlung konnte zunächst<br />
nicht beginnen, weil der später erschienene Redner,<br />
wie er selbst erklärte, sich die Rede des Reichskanzlers<br />
Hitler angehört hatte.“ An dieser Kundgebung<br />
in Leonding hatten etwa 200 Personen teilgenommen,<br />
„die Ansprache des Redners war diesmal in<br />
gemäßigtem Ton gehalten und nicht mehr mit gehässigen<br />
Ausfällen gegen „die braune Pest“, wie die<br />
Redner der Vaterländischen Front die NS-Bewegung<br />
immer nannten.“ 24<br />
In Umbruch - Stimmung<br />
Gegen Ende Feber 1938 wurde in der gesamten späteren<br />
„Ostmark“ eine hier nie gekannte Propagandamaschinerie<br />
in Gang gesetzt: Nationalsozialistische<br />
Aufmärsche in den Landeshauptstädten, vor allem<br />
aber in Wien, mit Propagandareden, lauten Heil-<br />
Hitler-Rufen und begeisterten Menschenmassen fanden<br />
statt. Die große Euphorie in den Märztagen 1938<br />
beschleunigte dann die Durchsetzung der erwähnten<br />
„Reichsidee“. Es folgte Schuschniggs letzter verzweifelter<br />
Befreiungsversuch: „Am Donnerstag, dem 10.<br />
März, brachten die Zeitungen die Mitteilung, dass für<br />
13. März eine Volksbefragung bezüglich „Anschluß<br />
oder nicht“ abgehalten werde unter der Parole „Für<br />
ein einiges, deutsches, unabhängiges und soziales,<br />
für ein christliches und einiges Österreich, für Friede,<br />
Arbeit und die Gleichberechtigung aller, die sich zum<br />
Volk und Vaterland bekennen.“ „Die Nachricht schlug<br />
wie eine Bombe ein.“ Ein „Kopfschütteln allerseits war<br />
die Folge, weil doch die Zeit für die Abwicklung einer<br />
Abstimmung zu kurz war.“ 25<br />
„Nun rollt in ein paar Tagen Weltgeschichte ab“, meinte<br />
Pfarrer Haudum. „Auch wird momentan ein Verrat<br />
Schuschniggs an Berchtesgaden festgestellt“. Man<br />
rätselt darüber, ob sich der Bundeskanzler denn<br />
„nicht im klaren war über die wahre Lage und über
die überaus starke nationalsozialistische Strömung,<br />
ob er vielleicht getäuscht wurde oder ob er die<br />
Tatsachen nicht wahrnehmen wollte.“ 26 Schließlich<br />
wurden Gerüchte laut, Hitler werde die Abstimmung<br />
ohnehin nicht zulassen.<br />
11. März 1938<br />
„Die Stimmung in Österreich war explosiv.“, schreibt<br />
Pfarrer Haudum weiter, „Am 11. März rührten sich in<br />
Wien die Kommunisten, zogen durch die Straßen und<br />
riefen Hoch Stalin! Zusammenstöße mit Nazis drohten.“<br />
Die von Schuschnigg angeordnete Mobilmachung,<br />
musste wieder rückgängig gemacht werden.<br />
Später hieß es, dass im Falle eines bewaffneten<br />
österreichischen Widerstands an der österreichischdeutschen<br />
Grenze eine breite Soldaten- und Offiziersschicht<br />
Schuschnigg die Gefolgschaft verweigert<br />
hätte. 27 Am 11. März um 10 Uhr überbrachte Seyß-<br />
Inquart Schuschnigg das Ultimatum Hitlers. Der<br />
Reichskanzler verlangte darin eine Verschiebung der<br />
Volksbefragung, ansonsten solle Seyß-Inquart eine<br />
provisorische Regierung bilden und deutsche Truppen<br />
anfordern. Auch müsse Schuschnigg mehr NS-<br />
Minister in die Regierung nehmen oder zurücktreten.<br />
Der Bundeskanzler gab nicht gleich nach, woraufhin<br />
grenznahe verstärkte deutsche Truppenbewegungen<br />
bemerkt wurden. 28<br />
Nach einem Treffen im Bundeskanzleramt am<br />
Nachmittag des 11.März und einem weiteren<br />
Ultimatum Deutschlands sagte Schuschnigg am<br />
Abend die Volksbefragung ab, demissionierte und<br />
verabschiedete sich vom österreichischen Volk. Auch<br />
Bundespräsident Miklas gab „unter dem Druck der<br />
Verhältnisse“ und nach anfänglicher Weigerung nach.<br />
Seyß-Inquart, den spätere Historiker als „widerspruchslosen<br />
Befehlsempfänger“ einschätzten, bilde-<br />
te „seine neue Regierung“, die Hitler nach dem<br />
Einmarsch allerdings wieder entmachtete. „Sie war<br />
nur gebraucht worden, um die Türen zu öffnen, denn<br />
der Ablauf des Einmarsches wurde vom Deutschen<br />
Reich vorgegeben.“ 29<br />
In jenen Stunden, als die deutschen Truppen noch<br />
nicht da waren, Schuschnigg aber schon abgedankt<br />
hatte, kam es zu radikalen Übergriffen, von denen die<br />
Masse der Menschen jedoch kaum etwas merkte:<br />
Zeitungszentralen und der RAVAG-Sender auf dem<br />
Freinberg wurden von SA und SS besetzt, „ideologisch<br />
umgedreht“, um die späteren Jubelmeldungen<br />
senden zu können. Vor den Augen und unter dem<br />
Jubel der Volksmenge entrollte man Hakenkreuzfahnen.<br />
„Landauf, landab breiteten sich Zuversicht<br />
und gespannte Erwartung aus. Die vielen Märsche<br />
durch die Stadt und in den Landgemeinden boten<br />
den Eindruck der Disziplin, waren gut organisiert. Für<br />
die Menschen vermittelten die schmissige Musik und<br />
der Tritt der Marschkolonnen Selbstvertrauen.“<br />
Vielfach wurde der Anschluss von den Menschen „als<br />
etwas Unabwendbares“ gesehen. Sie fügten sich in<br />
die Macht der veränderten politischen Gegebenheiten<br />
mit der Hoffnung auf besser werdende wirtschaftliche<br />
Verhältnisse.<br />
Sogleich nach Schuschniggs Abdankung kam es zu<br />
weiteren nationalsozialistischen Kundgebungen. Bei<br />
einem Fackelzug der NSDAP in Linz sprach der spätere<br />
Gauleiter von Oberdonau August Eigruber von<br />
der Machtübernahme.<br />
Die Gemeindechronik vermittelt einen Stimmungsbericht<br />
aus Leonding vom Tag der Linzer Kundgebung<br />
an jenem 11. März: „Gestern, gegen Abend<br />
kamen immer mehr und mehr Fußgänger und Radfahrer,<br />
auch Autos auf allen zur Stadt führenden<br />
Straßen. Die Leute berichteten, dass Linz von<br />
Menschen geradezu überfüllt sei. Die spät und nach<br />
Mitternacht Heimkehrenden brachten dann auch<br />
schon Extraausgaben der „Tagespost“ und auch<br />
sonst nähere Mitteilungen über die Ereignisse.“ 30<br />
In der Gendarmeriechronik (1938) heißt es, dass<br />
diese Kundgebung in Linz bereits „einen überwältigenden<br />
Beweis dafür zeigte, dass das österreichische<br />
Volk nicht mehr für Schuschnigg, sondern für<br />
unseren Retter Adolf Hitler eingestellt war. Auch vom<br />
hiesigen Rayon (Leonding) strömten die Leute in<br />
Massen nach Linz. Die Kremstal- und die Paschingerstraße<br />
glichen einem Lichtermeer von Jetzing bis<br />
Untergaumberg (...) Die nach Linz eilenden Menschen<br />
grüßten bereits alle mit dem deutschen Gruß<br />
Heil Hitler.“ Dieselbe Chronik berichtet aber auch,<br />
dass „gegen Mitternacht ein Kraftwagen mit einem<br />
Gendarmerieoffizier erschien und zwei SS-Männer<br />
den Posten Leonding besetzten. Sie bestimmten,<br />
dass alle weiteren Ferngespräche nur von der neuen<br />
Besatzung abgenommen werden dürften. Der folgende<br />
Vormittag brachte mehrere Hausdurchsuchungen<br />
nach Waffen bei Angehörigen der österreichischen<br />
Frontmiliz und der Heimwehr. Das Ergebnis war<br />
gering.“ 31 “<br />
Ansonsten herrschte überall im Rayon Ruhe und<br />
Ordnung, da ja alle führenden Gegner, selbst die<br />
fanatischesten, ihre Zustimmung zur Heimkehr der<br />
Ostmark und zum Führer durch den Hitlergruß bekundeten.“<br />
12. März 1938<br />
Gegen Mittag des 12. März verkündete der Rundfunk,<br />
Hitler sei bereits in Braunau. „Sogleich setzte eine<br />
rege Tätigkeit im Schmücken der Häuser mit Tannengrün<br />
und Fahnen ein, um den Führer auch in seinem<br />
früheren Heimatorte Leonding festlich zu empfangen“,<br />
erzählt der Chronist der Gendarmerie weiter. 32<br />
29
„Gegen 15 Uhr war der Ort bereits von einer nie dagewesenen<br />
Menschenmenge belagert. Alles wartete<br />
auf den Führer. SA und Gendarmerie hatten große<br />
Mühe, den Weg zum Hitlergrab frei zu halten. Alles<br />
war gespannt, alles abgesperrt. Die Leute verblieben<br />
auf ihren Plätzen, bis gegen 21 Uhr durch den Rundfunk<br />
bekannt wurde, dass der Führer endlich in Linz<br />
war und vom Rathause aus die Heimkehr der Ostmark<br />
verkündete. An den Fenstern waren Lautsprecher<br />
aufgestellt, damit die Leute auf der Straße<br />
seine Rundfunkrede hören konnten. Alles jubelte, als<br />
die ersten Worte des Führers vernommen wurden.“ 33<br />
Einmarsch und „Anschluß“<br />
Noch in der Nacht zum 12. März 1938 war Hitlers<br />
Einmarschbefehl ausgegeben worden. Vorher hatte<br />
man angeblich verlangt, Österreich solle ein Telegramm<br />
mit der Bitte um militärische Hilfe schicken.<br />
Um 2 Uhr 30 betraten die ersten Truppen deutscher<br />
Wehrmachtsverbände österreichischen Boden bei<br />
Braunau. „In der Hoffnung, nun würden alle Unruhen,<br />
die Arbeitslosigkeit und die Not ein Ende haben, stieg<br />
die Begeisterung beim Einmarsch der deutschen<br />
Soldaten immer höher“ 34 , wird berichtet. „Deutsche<br />
Truppen in Feldausrüstung marschierten ein. Am<br />
Samstag Abend wurde der Führer und Reichskanzler<br />
in Linz erwartet. Es folgte die Machtübernahme, und<br />
Österreich wurde zum Land des Deutschen Reiches<br />
erklärt. Damit haben die seit 20 Jahren dauernden<br />
politischen Wirrsale ein Ende, der „Friede“ nach dem<br />
Weltkrieg [gemeint war der 1.Weltkrieg] scheint erst<br />
jetzt abgeschlossen.“ 35<br />
Hier noch Karnings Meinung zum Anschluss von<br />
damals: „Die Vereinigung mit dem Mutterlande Deutschland<br />
ist nun endlich zur Wahrheit geworden.<br />
Schon 1918 in Aussicht gestellt und dann auch in der<br />
30<br />
Nationalversammlung beschlossen, wurde diese Einheit<br />
durch das Friedensdiktat von Versailles gewaltsam<br />
verhindert. Sie wurde dann seit Bundeskanzler<br />
Seipel auch von der eigenen (österreichischen)<br />
Regierung nicht mehr ehrlich erstrebt und dem Volke<br />
zu vergällen gesucht. Als Hauptargument wurden<br />
kriegerische Verwicklungen besonders mit den Nachfolgestaaten<br />
des alten Österreich und mit Italien als<br />
unausbleiblich hingestellt.“ 36 Und weiter unten heißt<br />
es: „Und nun? - Das deutsche Heer zieht ungehindert<br />
ein, von der gesamten Bevölkerung aufs freudigste<br />
erwartet und begrüßt. Italien hat nicht das Geringste<br />
dagegen, und die Nachfolgestaaten rühren sich auch<br />
nicht. Unser Volk aber fühlt sich nun von einem<br />
Alpdruck erlöst. Der Befreier des deutschen und<br />
österreichischen Volkes ist wohl auch für alle Zukunft<br />
unser Führer.“<br />
Karning, der in diesen Stunden auch einige Zeit in<br />
Linz gewesen war, erzählte, der neue Landeshauptmann<br />
Gauleiter August Eigruber habe schon am 12.<br />
März früh die Machtübernahme über Rundfunk<br />
bekannt geben lassen. Die Linzer Polizei versehe<br />
ihren Dienst bereits mit „Hakenkreuzarmbinden“ und<br />
ein uniformierter SS-Doppelposten stehe vor der<br />
Polizeidirektion. „In den Vormittagsstunden kamen<br />
deutsche Bomberstaffeln und Jagdflieger in immer<br />
größerer Zahl heran geflogen. Die Luft erdröhnte so<br />
sehr, dass man vermeinte, der Erdboden zittere mit.<br />
Statt der Bomben aber fielen packweise Flugzettel<br />
aus den Maschinen und flatterten zur Erde. Die<br />
Erwachsenen schauten zu, und unsere liebe Jugend<br />
hatte es eilig, die Zettel von den übersäten Feldern<br />
einzusammeln und sie zu verteilen.“ 37 Die Zettel trugen<br />
Texte wie „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“ oder<br />
„Das nationalsozialistische Deutschland grüßt das<br />
nationalsozialistische Österreich in unauslöschlicher<br />
Verbundenheit. Heil Hitler!“ „Die Stimmung ist zuversichtlich<br />
und freudig“, schreibt Karning weiter. „Auch<br />
Leonding war mit Hakenkreuzfahnen geschmückt.<br />
Die Kinder kommen von der Schule mit Hakenkreuzfähnchen,<br />
welche dort verteilt wurden. Überall standen<br />
Menschen auf den Straßen und vor den Häusern,<br />
um die Ereignisse zu besprechen.“ 38<br />
Begeisterungstaumel auch in Linz<br />
„Die erwartete Ankunft Hitlers in der neuen Hauptstadt<br />
von „Oberdonau“ verzögerte sich, doch fuhren<br />
schon am frühen Nachmittag reichsdeutsche Schwerfahrzeuge,<br />
Motorradfahrer, Tanks und Autos mit<br />
Soldaten in Feldausrüstung ein. Der Zustrom der<br />
Menschen in die Stadt war so gewaltig, dass der<br />
Hauptplatz, inzwischen mit geschätzten 60.000<br />
Menschen überfüllt, schon um 14 Uhr gesperrt werden<br />
musste. Reihenweise hatten SS und SA-<br />
Formationen mit ihren Standarten, weiters Militär-,<br />
Polizei-, Gendarmerie-, HJ- und BDM-Großgruppen –<br />
insgesamt etwa 50.000 Uniformierte - ihre Plätze vor<br />
dem Rathaus bezogen. Über allem aber brausten die<br />
Staffeln der deutschen Luftwaffe hinweg.“ 39<br />
Die Machtergreifung<br />
Auf der Fahrt von Braunau nach Linz, in seinem<br />
Dreiachser-Mercedes erlebte Hitler einen Begeisterungssturm,<br />
den er in dieser Form wohl nicht erwartet<br />
hatte. Er soll sich nämlich erst auf dieser Fahrt -<br />
„beeindruckt von dem unbeschreiblichen Jubel und<br />
der Massenzustimmung zu seinem Einmarsch in der<br />
Ostmark - zu einem „vollen Anschluß“ entschieden<br />
haben und nicht wie ursprünglich geplant, Österreich<br />
durch einen gemeinsamen Präsidenten an das Reich<br />
zu binden. Der Weltöffentlichkeit gegenüber wurde<br />
dann übrigens argumentiert, Deutschland habe<br />
Schuschnigg niemals ein Ultimatum gestellt. Erst
gegen Abend erschien Hitler in Linz, doch war auch<br />
hier sein Vorwärtskommen durch die dicht gedrängten<br />
Menschenmassen in den Straßen stark verlangsamt.<br />
Der Ruf „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“<br />
war immer wieder zu hören, schreibt Karning. „Vom<br />
Rathausbalkon verkündete der Führer dann „die neue<br />
Freiheit unterm Hakenkreuz, die Heimkehr der Ostmark<br />
ins Großdeutsche Reich.“<br />
Laut Kirchenchronik waren damals „Weltgeschichte<br />
und Ortsgeschichte eng miteinander verknüpft. Am<br />
12. März abends war der Gauleiter der NSDAP erschienen<br />
und ersuchte, am Friedhof einen Holzstoß<br />
entzünden zu dürfen, wenn der Führer kommt, das<br />
Elterngrab zu besuchen.“ 40<br />
Leonding am 13. März 1938<br />
„Hitler kam dann erst am Sonntag um 12 Uhr 30. Vier<br />
Stunden hatten die SA-Männer gewartet und den<br />
Leondinger Friedhof in weitem Umkreis abgesperrt.<br />
Auf dem Kirchturm war ein Beobachter postiert. Zu<br />
Mittag wurden im Pfarrhof dreißig SA-Leute mit warmer<br />
Suppe verpflegt.“ 41 „Etwa fünf Minuten verweilte<br />
Hitler am Elterngrabe“, heißt es weiter, „mit entblößtem<br />
Haupte, während die Flugzeuggeschwader über<br />
dem Friedhof kreisten. Es war für Leonding eine<br />
geschichtliche Stunde.“<br />
Karl Karning berichtet dazu, dass Hitler an jenem 13.<br />
März vor seinem Elternhaus von dem am 12. März<br />
ernannten neuen Leondinger Bürgermeister Sepp<br />
Miesenberger empfangen wurde. „Er besuchte das<br />
Elterngrab und begrüßte hierauf vor dem Friedhof<br />
seinen einstigen Vormund Josef Mayrhofer, den<br />
Schulkameraden Wilhelm Hagmüller und seinen ehemaligen<br />
Geschichtsprofessor in der Realschule<br />
Huber. Er begab sich dann zum Grabe seiner Eltern,<br />
wo er allein und ungestört einige Minuten in stillem<br />
Gedenken verweilte und auch Blumen hinterlegte“.<br />
„Ein sechsjähriges Mädchen“, so geht es in der<br />
Gendarmeriechronik weiter, „sprach ein kurzes<br />
Gedicht und überreichte ihm einen Blumenstrauß.<br />
Nach 20 Minuten verließ der Führer sehr gerührt wieder<br />
den Ort.“ 42<br />
„Tausende waren aus der Stadt herausgekommen.<br />
Der Raum um Kirche, Friedhof und Elternhaus war<br />
abgesperrt. Die Zufahrtsstraßen und die Wege, auch<br />
die Felder und Böschungen waren dicht mit Menschen<br />
besetzt. Gleichzeitig kreisten Flugzeuge über<br />
Leonding. Um halb eins wurde die Rückfahrt nach<br />
Linz angetreten. Wieder jubelte ihm die tausendköpfige<br />
Menge zu.“ 43<br />
„Noch am selben Tag, dem 13. März, wurde von der<br />
NSDAP-Gemeindevertretung Leonding, der Beschluss<br />
gefasst, den Ortsplatz nunmehr Adolf Hitler-<br />
Platz“ zu benennen. Bürgermeister Miesenberger<br />
machte Hitler, der in diesen Stunden im Hotel<br />
Weinzinger logierte, davon Mitteilung und erwähnte,<br />
dass diese Umbenennung „zum ewigen Gedenken an<br />
den heutigen Besuch unseres Führers“ geschehen<br />
sei.“ 44<br />
Weiteres Geschehen 1938<br />
Noch gab es in der Begeisterung für die neue Lage<br />
kaum Argwohn. Eine einstündige Hausdurchsuchung<br />
im Pfarrhof nach Waffen, durchgeführt von SA und<br />
Gendarmerie, wurde „als eine „Amtshandlung der<br />
politischen Umbruchzeit“ angesehen. Gefunden wurden<br />
etwa sechs alte Theatersäbel. Die Euphorie hatte<br />
also auch den Pfarrhof erfasst.<br />
Der Chronist schwärmt: „Wir erlebten geschichtliche<br />
Tage. Der nationale Aufbruch des deutschen Österreich<br />
ist Tatsache geworden. Und was momentan das<br />
Wertvollste ist: der Umbruch ist ohne jedes Blutver-<br />
gießen vollzogen worden.“ 45 Am 18. März „erschien<br />
Generalfeldmarschall Hermann Göring am Leondinger<br />
Friedhof und wurde von den Behörden,<br />
Schulen und der Bevölkerung empfangen, auch die<br />
Geistlichkeit beteiligte sich“ 46 , „wobei der Ort reichen<br />
Fahnen- und Blumenschmuck angelegt hatte.“ 47<br />
3. April 1938<br />
Dieser Sonntag in Leonding und der Besuch des<br />
Reichsjugendführers Baldur von Schirach beim<br />
Führergrab blieb einigen Alt-Leondingern in besonderer<br />
Erinnerung: „SA-Führer aus allen Gauen des Reiches<br />
mit über 450 Fahnen, etwa 2000 männlichen<br />
Jugendlichen und über 6000 vom BDM“ waren anwesend.<br />
„Der Friedhof sah an diesem Tage etwa 10.000<br />
Menschen. Es war ähnlich wie beim Führerbesuch<br />
am 13. März. An diesem Sonntag flatterte hoch vom<br />
Turm zum ersten Mal die deutsche Hoheitsfahne.“ 48<br />
Haltung der Amtskirche<br />
Um den guten Willen der Kirche zu bekunden, sich<br />
mit der Lage abzufinden und zu dokumentieren, dass<br />
die Katholiken nach Hitlers Machtübernahme im deutschen<br />
Staatenverbande als loyale Bürger mitarbeiten<br />
wollten, sanktionierten bald darauf die Spitzen der<br />
Wiener und der Salzburger Kirchenprovinz, Kardinal<br />
Innitzer und Fürsterzbischof Waitz, den vollzogenen<br />
Anschluss mit der Betonung, dass nun auch der alles<br />
zerstörende Bolschewismus abgewehrt werde und<br />
dass Armut, Not und Arbeitslosigkeit ein Ende haben<br />
sollten. Der Kardinal, der spürte, dass Teile der<br />
Priesterschaft gegen das Hitler-Regime waren, erließ<br />
eine Pastoralanweisung, die noch deutlicher in ihren<br />
Anweisungen war, denn er verlangte, die geistlichen<br />
Herren sollten sich politisch nicht betätigen und nur<br />
„pastoral“ agieren. Nachdem sein erster und einige<br />
folgende Briefe mit „Heil Hitler“ gezeichnet waren,<br />
31
6<br />
13. MÄRZ 1938, LEONDING<br />
Begeisterter Empfang Adolf Hitlers beim Besuch seines Elterngrabes<br />
9 10<br />
32<br />
7 8
11<br />
12 13<br />
33
teils sogar veröffentlicht wurden, rätselten die Kritiker,<br />
wie man Innitzers wohlwollende Haltung dem Reichskanzler<br />
gegenüber deuten sollte. Wollte er Schweigen<br />
verordnen, um Schlimmeres zu verhindern? War<br />
seine Überzeugung, der Bolschewismus könne durch<br />
Hitler bekämpft werden, stärker als seine Sorge vor<br />
der Bedrohung der Kirche durch das NS-Regime?<br />
Oder hatte er wirklich so viel Vertrauen in Hitlers<br />
Beteuerungen, der Kirche werde es gut gehen, wenn<br />
sie die Ideologie mit trage. Später allerdings, im<br />
Oktober 1938, fand Innitzer schon deutlichere Worte<br />
gegenüber den neuen Machthabern.<br />
Erste Wolken am Himmel<br />
Bald gab es erste Anzeichen von Säuberungsaktionen<br />
in Leonding: „Wegen früherer feindlicher<br />
Einstellung zum Nationalsozialismus“ wurden der<br />
Postenkommandant und ein weiterer Gendarmeriebeamter<br />
„enthoben“. 49 Wenig später kam es hier zur<br />
Neubesetzung weiterer Ämter, vor allem einiger<br />
Lehrerposten. Der neue Bürgermeister Josef Miesenberger<br />
war bereits wenige Stunden nach dem Anschluss<br />
ernannt und der bisherige, Franz Bäck, in der<br />
Nacht vom 12. auf den 13. März enthoben worden.<br />
Auch der bisherige Schuldirektor war in Pension<br />
geschickt und durch einen Nationalsozialisten ersetzt<br />
worden. 50 Alle Gebäude der „Waisenkolonie St. Isidor<br />
in Hart“ wurden von der NSV (NS-Volkswohlfahrt)<br />
übernommen, die Kapelle wurde aufgelassen, die<br />
dortige Privatvolksschule geschlossen und der<br />
Katechet nach Peuerbach versetzt. Das Vermögen<br />
fiel der NSV zu. 51 Auch alle anderen Privatschulen<br />
wurden aufgehoben, und in den Pflichtschulen hatten<br />
nach den neuen Richtlinien nunmehr die Eltern zu<br />
entscheiden, ob ihre Kinder den Religionsunterricht<br />
besuchten oder nicht. Der Begeisterung für die neue<br />
politische Lage taten jedoch anfangs alle diese Maß-<br />
34<br />
nahmen keinen Abbruch. In Leonding entschieden<br />
sich exakt 10 % gegen den Religionsunterricht, in der<br />
Schule Landwied-Keferfeld-Gaumberg fast 20 Prozent.<br />
52 Dem fast täglichen riesigen Besucherstrom<br />
Rechnung tragend, wurde der Gasthof Leonding Nr.<br />
11 (damals Mayrbäurl, dann „Leondingerhof“) für die<br />
„neue Tourismuswelle“ umgebaut. Auch die benachbarte<br />
Gaststätte Wiesinger musste modernisiert werden.<br />
Mit 1. August 1938 wurde in Leonding die Ziviltrauung<br />
eingeführt, Scheidungen waren erlaubt, und Leonding<br />
erhielt ein Standesamt. Damit hörte auch die kirchliche<br />
Führung der Trauungsmatriken auf. Ende 1938<br />
kam es dann auch zur Einstellung der pfarramtlichen<br />
Tauf- und Totenbucheintragungen. 53<br />
Aus dem Kalender 1938<br />
„Zu einer Wallfahrt des deutschen Volkes ist das<br />
Elterngrab des Führers geworden, zu einem ewigen<br />
Blumenhügel der Liebe und Ehrfurcht“, steht bei<br />
Arthur Fischer-Colbrie zu lesen. 54<br />
Am 10. April 1938 gab es dann dennoch eine<br />
Volksabstimmung, nunmehr jedoch -„Für oder gegen<br />
das Deutsche Reich.“ Von 3345 Wahlberechtigten<br />
gab es 3342 Ja-Stimmen, eine Nein- und 1 ungültige<br />
Stimme. Auch für den gesamten Gau Oberdonau<br />
wurde damals ein Schnitt von 97,89 % Ja-Stimmen<br />
gemeldet. Die Gemeindechronik berichtet, dass<br />
„wegen des einzigartigen Ausgangs der Wahl“<br />
Reichsminister Goebbels in ganz Deutschland eine<br />
Beflaggung von 11. bis 13. April 1938 anordnete. 55<br />
Auch der Gendarmeriechronist meldete sich bezüglich<br />
des Wahlausgangs zu Wort: „Fast alle hatten mit<br />
Ja gestimmt. Es war in Leonding nur eine Nein-<br />
Stimme. Aus der Handvoll „Nazis“, wie es früher<br />
immer hieß, waren nun 100 Prozent geworden.“ 56<br />
Am 5. Mai ernannte der kommissarische Leondinger<br />
Bürgermeister Sepp Miesenberger elf ehemals illegale<br />
Parteimitglieder zu neuen Mitgliedern der Gemeindevertretung,<br />
darunter den nach dem 1. Weltkrieg<br />
hier im Amt gewesenen sozialdemokratischen Bürgermeister<br />
Franz Lugmayr. Zur Frage der Bürgermeister<br />
muss festgehalten werden, dass ab Montag, dem 14.<br />
März 1938, per Erlass alle oberösterreichischen<br />
Gemeindetage aufgelöst waren und die Gauleitung<br />
amtlich mitteilte, dass ab nun keine Neubestellungen<br />
von Gemeindetagen vorzunehmen sind und dass der<br />
Ortsgruppenleiter der Partei den Bürgermeister als<br />
Alleinbeauftragten einzusetzen hat. Der Bürgermeister<br />
hatte also Alleinentscheidungsrecht, musste<br />
allerdings das Einvernehmen mit den Führern aller<br />
Parteigliederungen pflegen.<br />
Der eher pragmatische, in weiten Kreisen Leondings<br />
beliebte, seit 12.3.1938 bestellte Bürgermeister Josef<br />
Miesenberger musste übrigens am 22. November<br />
1938 dem bisherigen Ortsgruppenleiter Ernst Meyr<br />
Platz machen, der sich in der Folge jedoch so sehr<br />
als „Scharfmacher“ herausstellte, dass einflussreiche<br />
bäuerliche Kreise einige Zeit später seine Enthebung<br />
betrieben und auch erreichten. - 1942 musste Meyr<br />
dann auch „einrücken“. Miesenberger aber war zu<br />
dieser Zeit längst wieder Gemeindevorstand. Er durfte<br />
übrigens nach dem Krieg auf Geheiß der amerikanischen<br />
Militärbehörden noch bis zur Abhaltung von<br />
Wahlen im November 1945 im Amt bleiben. Erst dann<br />
kam er, wie die meisten NS-Bürgermeister, in das<br />
Internierungslager Glasenbach. 57 Anschließend kehrte<br />
er auf seinen Bauernhof zurück, den er allerdings<br />
früh veräußerte und sich anderswo einkaufte.
Vereinsauflösungen, einschneidende<br />
Veränderungen<br />
Am 8. Juni 1938 wurden alle Leondinger Vereine, bis<br />
auf einige rein kirchliche Kongregationen, aufgelöst. 58<br />
Unter anderen waren der Veteranenverein, der Musikverein,<br />
die Turnvereine, der „ Reichsbund“, die Liedertafel,<br />
die Feuerwehr und sogar die Heimatkundliche<br />
Arbeitsgemeinschaft u. v. m. betroffen.<br />
Der seit 1888 bestandene Krieger- und Veteranenverein<br />
Leonding wurde in „NS-Reichskriegerbund“<br />
oder„Kriegerkameradschaft Leonding“ umgewandelt.<br />
Da die „Hahnenschwanzler“ , wie sie allgemein<br />
hießen, fast lauter alte Herren waren, ging das Veteranen-Vereinsleben<br />
jedoch während der gesamten<br />
Kriegszeit weiter: Monatsappelle, Fahnenenthüllungen,<br />
Ausrückungen zu Kriegerbegräbnissen (damals<br />
„Heldenehrungen“ genannt), Empfänge, „Führergeburtstage“,<br />
Parteisitzungen etc. standen am Programm.<br />
Ihr Vereinsheim war beim „Wiesinger Wirt“. 59<br />
Da 1938 alle Mitglieder des 1926 gegründeten<br />
Musikvereins Leonding Parteimitglieder waren,<br />
wurde die Umwandlung in die sogenannte „SA-Musik“<br />
damals kaum als solche empfunden. Viel schlimmer<br />
vermerkte man, dass fast alle Musiker an die Front<br />
mussten. 1941 gab es nur mehr so wenige Musikvereinsmitglieder,<br />
dass um Zusammenschluss mit der<br />
„Kriegerkameradschaft Leonding“ ersucht wurde, der<br />
dann wenig später auch vollzogen wurde. 1938 hielt<br />
die „SA-Musik“, der spätere „Musikzug“, unter Obmann<br />
Franz Burgstaller und Kapellmeister Emil Merth<br />
ihre Proben in „Strassers Bahnhofgaststätte“ ab und<br />
hatte noch eine Reihe von „Ausrückungen“ besonders<br />
zu Partei-Großveranstaltungen, z.B. einmal, „als<br />
die Musik von Leonding bis zur „Krauss-Halle in Linz<br />
marschieren und dort spielen mußte“.<br />
Auch bei Parteiprominentenbesuchen am Hitlergrab<br />
wurde musiziert. 1945 hatte die Leondinger Musik<br />
neun Gefallene zu beklagen. 60<br />
Der „Reichsbund“ der Katholischen Jugend, mitsamt<br />
des Mandolinen-Ochesters“, aus dem sich in den<br />
Dreißigerjahren eine kleine „Salon-Kapelle“ entwickelt<br />
hatte, wurde ebenfalls zunächst umbenannt, in den<br />
Kriegsjahren aber aufgelöst, mit ihm die „Reichsbund-<br />
Turner“. 61<br />
Die Museumsräume der heimatkundlichen<br />
Arbeitsgemeinschaft in der Michaeli-Schule mussten<br />
am 20. September zunächst für Militärquartiere,<br />
ab Herbst 1938 für schulische Zwecke geräumt werden.<br />
Ende Dezember 1938 bekam der unermüdliche<br />
volks- und heimatkundlich tätige Karl Karning d. Ä.<br />
allerdings „im Parteiheim“ im Gebäude Leonding<br />
Nr.48 62 „Platz zur Wiederaufstellung der Sammlung“<br />
und ab 1942 einen zusätzlichen Raum. Leider wurde<br />
Leondings erstes Heimatmuseum im Mai 1945 von<br />
den im ehemaligen NS-Parteiheim „einquartierten<br />
Polen und KZ-lern vollständig geplündert und zerstört.“<br />
63<br />
Bei der 1914 gegründeten Liedertafel blieb der seit<br />
1937 nach Andorf versetzte Lehrer Alois Harrer weiterhin<br />
Chormeister, bis er erst im November 1938<br />
durch Oberlehrer Hess, der aus Appersberg gekommen<br />
war, ersetzt wurde. Noch unter Harrer war die<br />
Liedertafel im Einsatz beim Sängerball in Kleinmünchen,<br />
im April 1938 beim „Kameradschaftsabend<br />
der SA“ und beging am 8. Mai das 24. Gründungsfest.<br />
Schon seit der ersten Sitzung nach dem Anschluss<br />
standen das „deutsche Lied“, dann die von<br />
der Gemeinschaft gesungenen Scharlieder, ja sogar<br />
Marschlieder am Veranstaltungsplan. Daneben wurden<br />
dennoch Volks- und Kunstlieder und Männer-<br />
chöre gepflegt. 64 Beim Gausängerfest in St. Florian<br />
im Juni 1938 trat die Liedertafel noch geschlossen<br />
auf. Ab 1. Juli aber mussten die Frauen „auf höhere<br />
Weisung hin“ austreten. Nach seinem letzten Einsatz<br />
beim NSV-Fest im Oktober 1938 übergab<br />
Chormeister Alois Harrer seine Funktion an Otto<br />
Hess, der dann als letzte Veranstaltungen noch die<br />
Silvesterfeier 1938/39 und den „Begrüßungsabend für<br />
die Hitler-Urlauber“ am 19. Juli 1939 ausrichtete. Zu<br />
dieser Zeit waren viele Sänger bereits eingerückt, der<br />
Krieg stand vor der Tür. 65<br />
Beim Kirchenchor wurde Harrer zunächst durch F.<br />
Vater, dann durch die Lehrerin Fanny Bogner ersetzt.<br />
Die Feuerwehr Leonding war schon im Mai „nach<br />
dem neuen Reichswehrgesetz“ umgebildet worden<br />
und trat „als Körperschaft in das Großdeutsche Reich<br />
ein.“ Sie hieß nunmehr „Feuerpolizei“. 66 Noch für<br />
März 1939 jedoch liegt ein letztes Sitzungsprotokoll<br />
einer Ausschusssitzung nach altem Muster vor. Auch<br />
die Löschzüge der Feuerwehren Hart und Ruefling<br />
waren von der Umbildung betroffen. 67<br />
Weitere Kalendernotizen<br />
Am 11.Juni 1938 waren die „Goiserer“ in Leonding.<br />
Zahlreiche HJ-Jungen und Kinder aus Goisern<br />
besuchten das Hitlergrab. Wenige Tage später, am<br />
15. Juni 1938 wird in der Gemeindechronik berichtet,<br />
dass „massenhaft Deutsche aus dem „Altreich“ zum<br />
Grab und ins Hitlerhaus pilgerten. Viele sind hier nicht<br />
nur auf Besuch, „sondern von sehr vielen wird Österreich<br />
auch als dauernder Aufenthalt gewählt.“ 68<br />
Mit 1. August 1938 wurde die Ziviltrauung gesetzlich<br />
eingeführt und damit die pfarramtlichen Trauungsbucheintragungen<br />
abgeschafft. 69 Ende 1938 wurden<br />
dann auch die Tauf- und Totenmatriken eingestellt.<br />
Dafür kam es durch den vermehrten Bedarf an Matrikelauszügen<br />
für die Beschaffung der „Ariernach-<br />
35
weise“ („Ahnenpaß“) zum stark vermehrten Arbeitsaufwand<br />
für den Pfarrer in seiner Kanzlei. Die Leihbibliothek<br />
im Pfarrhofe wurde 1938 „von der Partei<br />
beschlagnahmt“ und im späteren „Parteiheim“ eingelagert.<br />
Auch sie wurde übrigens bei den Plünderungen<br />
kurz nach dem Krieg zerstört. Allseitiges Befremden<br />
löste am 5. November 1938 die Auflösung<br />
des am 1. 9. 1935 für 12 Pfleglinge eröffnete Leondinger<br />
Fürsorge- oder Altersheimes im Gebäude<br />
Leonding 48 aus, wo nunmehr das „Parteiheim“ eingerichtet<br />
werden sollte. Die alten Insassen und die<br />
sie betreuenden Schwestern wurden nach Gallneukirchen<br />
verlegt. Durch den Wegzug der Schwestern<br />
war es auch mit dem „ersten Leondinger Kindergartenbetrieb“<br />
zu Ende. 70<br />
Am 13. November 1938 gab es, „um Lebensmittel<br />
einzusparen“, in Leonding den ersten „Eintopfsonntag“,<br />
wenig später den zweiten. Auch wurden für<br />
die „Volkswohlfahrt“ (NSV) und für die „Winterhilfe“<br />
Lebensmittel gesammelt und eingelagert. Am 17.<br />
Dezember 1938 wurde im „Parteigasthaus“ beim<br />
„Haltestellenwirt“ eine „Julfeier“ abgehalten.<br />
Und am 28. Dezember 1938 erhielten alle damaligen<br />
Leondinger Ehrenbürger ein Schreiben, in dem sie<br />
ersucht wurden, das Ehrenbürgerrecht zurückzulegen,<br />
da „nur der Führer Ehrenbürger der Gemeinde<br />
sein könne“. Bei einer Sitzung einigte man sich darauf,<br />
dass die Verdienste der bisherigen Ehrenbürger<br />
um die Gemeinde dennoch weiterhin anerkannt werden<br />
sollten.“ 71<br />
Das alte Gesetz zur Erhaltung der kirchlichen Gebäude<br />
und zur Finanzierung des Personalaufwandes<br />
für den Klerus wurde übrigens erst am 28. 4. 1939<br />
außer Kraft gesetzt und hinfort der Kirche erlaubt,<br />
Kirchenbeiträge ab November 1939 einzuheben,<br />
anfangs noch mit einem Zuschuss vom NS-Staat.<br />
36<br />
Abb.14: Mannschaft der SA-Ortsgruppenleitung Leonding 1938<br />
Die Gemeindestruktur nach dem Anschluss<br />
Die Vorbereitungen zum Bürgermeisterwechsel fanden<br />
in der Nacht zum 12. - nach anderer Darstellung<br />
zum 13. März statt. Der bisherige Ortschef Franz<br />
Bäck wurde aus dem Bett geholt, musste die Gemeindekanzlei<br />
aufsperren und SA-Männer besetzten<br />
das Amt. Bäck wurde jedoch nicht misshandelt. Am<br />
nächsten Tag musste er wieder zur Gemeinde und<br />
diesmal seine Amtsgeschäfte an den Besitzer des<br />
Nöbauerngutes Josef Miesenberger übergeben.<br />
Einige Stunden allerdings soll der von 1919 bis 1923<br />
hier als Bürgermeister im Amt gewesene Sozialdemokrat<br />
Franz Lugmayr die Gemeindevorstandsgeschäfte<br />
geführt haben. 72 Linzer Zeitungen bezeichneten<br />
Lugmayr sogar als Vizebürgermeister. Das<br />
aber war eine Funktion, die es damals überhaupt<br />
nicht gab. Während der ersten Umsturztage waren<br />
auch Soldaten der deutschen Wehrmacht in Leonding<br />
einquartiert.<br />
Im November 1938 verlor Sepp Miesenberger das<br />
Bürgermeisteramt, denn es wurde von dem aus<br />
Thurnharting stammenden Lehrer Ernst Meyr, einem<br />
wesentlich „strammeren Parteigenossen“, der vorher<br />
Ortsgruppenleiter gewesen war, besetzt. Wie sich<br />
aus einer Unzahl von 1946 angelegten Entregistrierungsakten<br />
feststellen ließ, war die Gemeindestruktur<br />
ausschließlich von meist ehemals illegalen NSDAP-<br />
Mitgliedern getragen. 73 Die Spitzen-Repräsentanten<br />
der Parteistellen waren gleichzeitig auch jene Personen,<br />
die bei der Besetzung der Bürgermeisterstelle<br />
gehört werden mussten. Folgende Funktionen im<br />
Aufbau des Parteiapparates wurden gleich nach dem<br />
Anschluss besetzt:<br />
Der Posten des Ortsgruppenorganisationsleiters, des<br />
Ortsgruppenpropagandaleiters, die Parteileitung der<br />
NSDAP als Hauptorgan der Ortsgruppe, die Kassenleitung<br />
der NSDAP, mehrere Zellenleiter-, Blockleiterund<br />
viele Nachbarschaftsleiterposten, der SA-Sturm<br />
Leonding mit einem hauptamtlichen SA-Standartenführer,<br />
daneben die Marine-SA, die Motor-SA und der<br />
Reiter-SA-Sturm, dann die Ortsbauernführung, die<br />
Elternräte der Leondinger und der Margarethener<br />
Schule, die NS Frauenschaft, die NSV, die NSKK<br />
Leonding und weitere Unterorgane. NSDAP-Zellenleiter<br />
gab es in Leonding, Haag (Flaksiedlung), Hart,<br />
Rufling und Holzheim. NSDAP-Blockleiter hatte man<br />
in Bergham, Gaumberg, Graben, Haag, Hart,<br />
Holzheim und Rufling installiert.<br />
Die anfangs mit diesen Funktionen betrauten Männer<br />
blieben in vielen Fällen nur etwa zwei Jahre im Amt,<br />
denn die meisten von ihnen wurden nach Kriegsausbruch<br />
bzw. im Laufe des Krieges zu den Waffen gerufen.<br />
In manchen Fällen - besonders bei Block- und<br />
Nachbarschaftsleitern - übernahmen Frauen diese<br />
Funktionen.<br />
Nebenher gab es im Gemeindeamt für die eigentliche<br />
Verwaltungsarbeit weiterhin einen Gemeindesekretär,<br />
ein paar Beamte und Kanzleihilfskräfte.<br />
Im Schlussbericht 1938 der Gendarmeriechronik wird
das Jahr als „eines der bedeutungsvollsten der<br />
Geschichte für die Ostmark“ bezeichnet, „da endlich<br />
der Zusammenschluss aller Deutschen mit Großdeutschland<br />
Wirklichkeit wurde. Auch brachte das<br />
Ereignis eine Neubesetzung in verschiedenen<br />
Ämtern. Hier in Leonding wurde gleichfalls durchgreifend<br />
aufgeräumt.“ 74 1938 wurden 5305 Leondinger<br />
Einwohner gezählt, davon waren 3345 wahlberechtigt.<br />
75<br />
Arbeitsbeschaffung<br />
Die Friedhofbesuche nach dem Anschluss durch prominente<br />
NS-Größen 76 und durch Wohlfahrtsformationen,<br />
aber vor allem durch zahlreiche HJ- und BDM-<br />
Gruppen hatten 1938 den ganzen Sommer und<br />
Herbst über angehalten.<br />
„Aus allen Gauen Großdeutschlands aber auch aus<br />
anderen Ländern setzte schon ab 13. März 38 der<br />
Besucherzustrom in verstärktem Umfang ein. Die<br />
Besucher kamen in kleinen und größeren Kraftfahrzeugen<br />
(Großbussen) zum Grab und zum Hitler-<br />
Wohnhaus. Dies erforderte verkehrstechnische<br />
Maßnahmen auf allen Zufahrtsstraßen.“ Sogleich<br />
begannen - von Untergaumberg und von Berg-<br />
Waldegg ausgehend - umfangreiche Asphaltierungen,<br />
Einrichtung von Parkplätzen u.dgl. Die 1936 begonnenen<br />
Ortsplatzgestaltung wurde zu Ende geführt,<br />
weiters gegen den Hainzenbach zu der 1937 begonnene<br />
Bau eines Güterweges fertiggestellt und damit<br />
eine Verbindung Leondings mit der an der Donau<br />
führenden Straße nach Wilhering geschaffen. Auch<br />
die Füchselbachregulierung wurde weitergeführt. Der<br />
Chronist berichtet, dass von den ehemals 600<br />
Leondinger Arbeitslosen zu dieser Zeit alle in Arbeit<br />
standen.<br />
Überdies kam es in jenen Wochen nach massiven<br />
Linzer Absiedlungen in St. Peter und in der Zizlau<br />
wegen der Errichtung der „Reichswerke Hermann<br />
Göring“ (Spatenstich am 13. Mai 1938) in der damals<br />
noch zu Leonding gehörigen Ortschaft Landwied zu<br />
großzügigen Verbauungen der ehemaligen „Kefer-“,<br />
„Dorn-“ und „Schleichel“-Gründe südlich der<br />
Theresienkirche, dann aber auch von Gründen des<br />
„Waldhauser-„ und des „Nöserlgutes“ in Oedt.<br />
Weitere Besucherströme 1938<br />
Fast täglich waren der Leondinger Friedhof und das<br />
Hitlerhaus belagert. „Als dauerndes Erinnerungszeichen<br />
wurden in den Zimmern dieses Hauses,<br />
Leonding Nr. 61 sogenannte Gastbücher angelegt, in<br />
denen Tausende Besucher ihre Anwesenheit bestätigten.<br />
Bis zum November 1938 wiesen die Bücher<br />
37.976 Unterschriften auf. Einem großen Teil der Besucher<br />
allerdings war es wegen des Andrangs nicht<br />
möglich, sich einzutragen. Schätzungsweise waren<br />
es mindestens doppelt so viele Besucher, darunter<br />
am 28. August auch Reichsminister Frick. “Von den<br />
fünf bis November 1938 erwähnten Büchern wird das<br />
vierte mit folgenden Eingangsvers erwähnt: „Der<br />
größte Deutsche lebte einst in diesem Haus. Er zog<br />
ins Leben, in die Welt hinaus. Es ahnte damals niemand<br />
in der Welt, dass Deutschland ewig nun von<br />
hier erzählt.“ 77<br />
Und weiter unten meint der Chronist: „In den Büchern<br />
scheinen auch Besucher aus England, Frankreich,<br />
Ägypten, Australien und Amerika auf. Bis zum Jahresende<br />
war es notwendig, ein 6. Buch anzulegen.“<br />
Noch 1938 wurde das Hitlerhaus „von der Partei<br />
angekauft und der Besitzerin Maria Meindl ein schönes,<br />
neues Haus dafür erbaut.“ 78<br />
Bauverbot<br />
Für das übrige Leonding jedoch hatte die Reichskanzlei<br />
scheinbar ein Bauverbot ausgesprochen. Der<br />
Gendarmeriechronist vermutete, „weil der Ort offenbar<br />
einen besonderen Umbau erfahren soll.“ In späterer<br />
Folge bewirkte dieses Bauverbot, dass die vielen<br />
Strohdächer und die alte Bausubstanz der Bauernhäuser<br />
bis in die Zeit nach dem Krieg erhalten blieben,<br />
was auch für viele andere Ortschaften im<br />
Umkreis von Linz galt.<br />
In den frühen 1940er Jahren veranlasste übrigens der<br />
Heimatforscher Karl Karning in dankenswerter Weise<br />
aus Dokumentationsgründen die Herstellung einer<br />
Fotoserie von der Mehrzahl der „Leondinger alten<br />
Höfe“ durch den erfahrenen Berufsfotografen H.<br />
Wöhrl aus Linz. Ausgenommen vom Bauverbot war<br />
übrigens die Errichtung der „Flaksiedlung“ („Wohnsiedlung<br />
für Flak-Unteroffiziere des Luftwaffenstützpunktkommandos<br />
Wegscheid“) in Haag.<br />
Leonding sollte zu Linz<br />
Sicherlich hatte Hitler eine „emotionale Bindung“ zu<br />
seinem ehemaligen, aber kurzfristigen Heimatort<br />
Leonding und zu seinem „Heimatgau“, vor allem aber<br />
zu Linz. Laut Emmerich Gaigg war Linz „gleich nach<br />
dem Einmarsch neben Berlin, Hamburg, München<br />
und Nürnberg zur fünften „Führerstadt“ erhoben worden,<br />
was sich in einem ehrgeizigen Planungs- und<br />
Ausbauprogramm niederschlagen sollte.“ 79 Linz sollte<br />
ein Eisenverhüttungsstandort für das ganze Reich<br />
werden. Auch städtebaulich war Linz bereits im April<br />
1938 durch die Wohnungs-AG der Reichswerke<br />
Hermann Göring durchgeplant. Umfangreicher<br />
Schriftverkehr und riesige Projekte bezüglich Bodenbeschaffung<br />
wurden durchgezogen, wozu auch die<br />
Absiedlungen in St. Peter-Zizlau gehörten. Die Einwohner<br />
in St. Peter und in der Zizlau mußten dann<br />
37
mehrheitlich auf ursprünglichen Leondinger Baugrund,<br />
das spätere „Keferfeld“, übersiedeln. Um Linz<br />
zu einer Stadt von – wie damals geplant - 300.000<br />
Einwohnern auszubauen, standen wegen Raummangels<br />
mehrere Eingemeindungen an: Urfahr,<br />
Pöstlingberg, St. Peter und Kleinmünchen gehörten<br />
damals bereits zu Linz. Nun sollten Ebelsberg, St.<br />
Magdalena, Leonding und weitere folgen. Die<br />
Gemeinde Leonding aber machte ihren Einstieg in<br />
Verhandlungen von einer Entscheidung Adolf Hitlers<br />
abhängig, von dem der „Leondinger Beirat“ hoffte,<br />
„dass der Führer durch seine Jugendzeit und das<br />
Grab seiner Eltern enge Beziehungen zu Leonding“<br />
hatte. Am 29. Oktober 1938 drängte der Linzer<br />
Oberbürgermeister und meinte - weil Leonding hinhaltend<br />
reagiert hatte – „die Eingemeindung müsste<br />
wohl zwangsweise geschehen.“ Inzwischen war in<br />
Berlin jedoch schon eine Vorentscheidung gefallen:<br />
„Bis 1. April 1940 dürften keine Gebietsänderungen<br />
mehr vorgenommen werden“, hieß es. 80 Nun wandte<br />
sich Linz an Reichsleiter Martin Bormann, der beschwichtigte,<br />
er habe sich wegen der Eingemeindung<br />
Leondings schon an Hitler gewandt, doch der Führer<br />
wünsche, dass „diese vorläufig zurückgestellt werde“.<br />
Trotz der „allerhöchsten Entscheidung“ ließen die<br />
Linzer nicht locker, immerhin war ja auf dem Keferfeld,<br />
also auf Leondinger Boden, bereits zu bauen<br />
begonnen worden. Das Ende vom Lied war, dass mit<br />
1. Oktober 1939 Landwied mit dem Keferfeld, weiters<br />
Oedt und Teile von Imberg, Haag und Gaumberg zu<br />
Linz kamen.<br />
Hitler hatte mit Linz und dem Gau Oberdonau weitere<br />
große Pläne: Am 13. Mai 1938 ordnete er den Bau<br />
der Nibelungenbrücke an. Am selben Tag war feierlicher<br />
Spatenstich für die „Reichswerke AG Alpine<br />
38<br />
Montanbetriebe Hermann Göring Hütte Linz“, die spätere<br />
VÖEST. Ein „Führermuseum“ sollte entstehen<br />
und Linz sollte „Kulturhauptstadt“ werden. Am 26.<br />
Juni wurde die Linzer Schiffswerft als erster Betrieb<br />
zum Rüstungsunternehmen erklärt und später in den<br />
Verband der „Reichswerke AG für Binnenschiffahrt in<br />
Berlin“ übernommen. Und im Oktober 1938 kamen<br />
die Bezirke Krumau und Kaplitz zum Gau Oberdonau.<br />
„Der Traum von Groß-Linz“ aber war mit der Übernahme<br />
des Keferfeldes, der letzten Linzer Eingemeindung<br />
jener Jahre, vorbei.<br />
Schlusswort<br />
Es muss hier festgestellt werden, dass aus<br />
Platzmangel nur ein kleiner Teil der<br />
Chronikeintragungen verwertet werden konnte, nämlich<br />
jener, der Wesentliches zum Fortschreiten der<br />
Ereignisse im Jahre 1938 vermittelt und der die<br />
Stimmung und den „Systemzwang jener Zeit“ wiedergibt,<br />
in der die Menschen handelten und wohl auch<br />
irrten.<br />
Auch sei bezüglich dieser Quellen erwähnt, dass alle<br />
zitierten damaligen Chronisten sichtlich bemüht<br />
waren, getreu ihrem Verständnis der Geschehnisse<br />
entsprechend wahrheitsgetreu zu schreiben und der<br />
Nachwelt zu erklären, wie sie persönlich die Lawine<br />
der Ereignisse gesehen hatten.<br />
Geschichte beschreibt Vergangenes, wird durch persönlich<br />
Erlebtes verständlicher. Man sollte also diese<br />
schriftlichen Zeugnisse, weil sie authentisch sind,<br />
ungeschminkt und nicht nach heutigen Beurteilungskriterien<br />
gedeutet wiedergeben. Es steht uns nicht zu,<br />
Handlungen von Menschen zu bewerten, die damals<br />
eingebettet waren in die Zwanghaftigkeit ihrer Zeit<br />
und des Systems. Es waren Menschen, deren<br />
Alternativen Dachau, Mauthausen oder gar das<br />
Erschießen waren, wenn sie Widerstand gegen die<br />
Staatsgewalt zeigten.<br />
Vornehmste Aufgabe der Hinterbliebenen-Generation<br />
bleibt die Suche sowohl nach Verstehen als auch<br />
nach der Wahrheit über das Geschehene, auch wenn<br />
Tragisches, Trauriges oder gar Grauenhaftes zutage<br />
tritt.<br />
Anmerkungen<br />
1Vgl. diverse Zeitungsartikel zum Thema 1938. – weitere<br />
Literaturhinweise: Kauer, Josef Andreas: Historische<br />
Einführung. In: Leonding. Dorf-Stadtrand-Stadt. Festschrift<br />
„25 Jahre Stadt Leonding“. Leonding 2. Aufl. 2000. bes. S.<br />
29-30. – Kristöfl, Siegfried; Weidenholzer, Josef: Leonding<br />
und sein zeitgeschichtlicher Strukturwandel. In: Leonding.<br />
Dorf-Stadtrand-Stadt. Festschrift „25 Jahre Stadt Leonding“.<br />
Leonding 2. Aufl. 2000, bes. S. 33-57. – Kauer, Josef<br />
Andreas: Leonding vor 70 Jahren. Zeiten-Blicke in<br />
Leondinger Chroniken. In: Gemeindebrief Leonding. Folge<br />
186. September 2006. S. 28-29. – ders. Der 4. und 5. Mai<br />
1945 – Das Kriegsende in Leonding. In: Gemeindebrief<br />
Leonding. Folge 147. Februar 2001. S. 24-25. – ders.<br />
Leondinger Geschehen Zehnjahresschritten. In:<br />
Gemeindebrief Leonding. Folge 71. Juni 1988. S. 10-16. –<br />
ders. Die Zeit vor 1938 und der Anschluß in Leonding. In:<br />
Gemeindebrief Leonding. Folge 70. April 1988. S. 11-15. –<br />
ders. Leonding in der Zeit von 1945 bis 1965. In:<br />
Gemeindebrief Leonding. Folge 55. August 1985. S. 15-19.<br />
– ders. Über die Februar-Unruhen vor 50 Jahren … In:<br />
Gemeindebrief Leonding. Folge 47. April 1984. S. 12-16. –<br />
ders. Aus der Nachkriegszeit. Gemeindebrief Leonding.<br />
Folge 41. April 1983. S. 10-12. – ders. Die letzten<br />
Kriegsmonate in und um Leonding. In: Gemeindebrief
Leonding. Folge 40. Februar 1983. S. 12-16. – ders. Die im<br />
Jahre 1939 der Stadt Linz einverleibten Leondinger<br />
Ortschaften und Ortschaftsteile. In: Gemeindebrief Leonding<br />
Folge 35. April 1982. S. 12-16.<br />
2 Pfarrchronik S. 77, vgl. Gemeindechronik Bd. I. S. 123.<br />
3 Gendarmeriechronik<br />
4Vgl. Pfarrchronik S. 129.<br />
5 Schmidl, Erwin A.: März 1938. S. 76.<br />
6 Gemeindechronik Band I S. 129.<br />
7 A.a.O. S. 129.<br />
8 Pfarrchronik S. 97.<br />
9 Pfarrchronik S. 79.<br />
10 Pfarrchronik S. 85.<br />
11 Pfarrchronik S. 85.<br />
12 Vgl. diverse Zeitungsartikel.<br />
13 Vgl. Artikel in den Oberösterreichischen<br />
Nachrichten vom 27. 2. 2008.<br />
14 z.B. „Heimatschutz“, „Ostmärkische Sturmscharen“,<br />
„Freiheitsbund“ und die versch. „Wehrzüge“ der Vereine.<br />
15 Vgl. Gemeindechronik S. 318.<br />
16 Pfarrchronik S. 108.<br />
17 Gemeindechronik Band I. S. 321.<br />
18 Gemeindechronik S. 321, 331.<br />
19 Pfarrchronik S. 121.<br />
20 Vgl. Pfarrchronik S. 113.<br />
21 Gemeindechronik S. 267.<br />
22 Gemeindechronik S. 336.<br />
23 Vgl. Pfarrchronik.<br />
24 Gendarmeriechronik vom 20. 2. 1938.<br />
25 Pfarrchronik S. 126.<br />
26 Pfarrchronik S. 126.<br />
27 Vgl. ORF-Zeitzeugen-Beitrag vom 11. 3. 2008.<br />
28 Vgl. Kronenzeitung. Krone Bund vom 11. 3. 2008.<br />
29 Pressemeldung.<br />
30 Gemeindechronik S. 336.<br />
31 Gendarmeriechronik vom 11. 3. 1938.<br />
32 Gendarmeriechronik vom 12. 3. 1938.<br />
33 Gendarmeriechronik vom 12. 3. 1938.<br />
34 Pressemeldung zum 12. März 1938.<br />
35 Pfarrchronik S. 125.<br />
36 Gemeindechronik S. 341.<br />
37 Vgl. Gemeindechronik S. 337.<br />
38 Gemeindechronik S. 337.<br />
39 Gemeindechronik S. 338.<br />
40 Pfarrchronik S. 125.<br />
41 Pfarrchronik S. 126.<br />
42 Gendarmeriechronik vom 12. 3. 1938, vgl. auch<br />
Gemeindechronik S. 339.<br />
43 Karning in der Gemeindechronik S. 339.<br />
44 Gemeindechronik S. 340. Leonding war damals wohl die<br />
erste der vielen oberösterreichischen Gemeinden, die ihre<br />
Ortsplätze in Adolf-Hitler-Plätze umbenannten.<br />
45 Pfarrchronik S. 126.<br />
46 Pfarrchronik S. 127.<br />
47 Gendarmeriechronik vom 25. 3. 1938.<br />
48 Pfarrchronik S. 129.<br />
49 Gendarmeriechronik Eintrag vom 30. 3. 1938.<br />
50 Vgl. Gemeindechronik.<br />
51 Karning. Gemeindechronik S. 198.<br />
52 Lt. Auflistung und Statistik in der Pfarrchronik S. 131.<br />
53 Vgl. Pfarrchronik a.a.O.<br />
54 Arthur Fischer-Colbrie: Jugendland des Führers. In:<br />
Oberdonau, Folge 2.<br />
55 Vgl. Gemeindechronik.<br />
56 Gendarmeriechronik Eintrag vom 10. April 1938.<br />
57 Vgl. Gemeindechronik S. 271.<br />
58 Vgl. Pfarrchronik S. 131, Gemeindechronik S. 347. Zum<br />
Vereinswesen vgl. auch der Artikel von Gerhard Tolar.<br />
59 Karning Gemeindechronik a.a.O.<br />
60 Die Hinweise stammen aus Gesprächsaufzeichnungen<br />
mit ehemaligen Mitgliedern.<br />
61 Gemeindechronik.<br />
62 1. Leondinger Gemeindehaus, neben dem<br />
Feuerwehrdepot.<br />
63 Vgl. Gemeindechronik S. 236.<br />
64 Die Originalprogramme haben sich in der<br />
Heimatkundlichen Sammlung erhalten.<br />
65 Vgl. Chronik der Liedertafel.<br />
66 Gemeindechronik S. 204.<br />
67 Vgl. Feuerwehr-Sitzungsprotokolle von 1938 und 1939.<br />
Die Protokolle liegen in der Heimatkundlichen Sammlung auf<br />
68 Gemeindechronik S. 347.<br />
69 Gemeindechronik S. 347.<br />
70 Gemeindechronik S. 349.<br />
71 Vgl. Gemeindechronik S. 349 und 297.<br />
72 Vgl. Gemeindechronik S. 343.<br />
73 Die Entregistrierungsakten befinden sich sowohl im<br />
Heimatkundlichen Archiv Leonding als auch im<br />
Oberösterreichischen Landesarchiv, Linz.<br />
74 Gendarmeriechronik 1938.<br />
75 Gemeindechronik S. 294.<br />
76 In der Reihenfolge: SA-Stabschef Lutze, Generaloberst<br />
Brauchitsch, Reichsminister Goebbels, Minister Frick u.a.<br />
77 Gendarmeriechronik August 1938.<br />
78 Gendarmeriechronik Jahresbericht 1938. Vgl. auch der<br />
Artikel über den "Frühen Tourismus in Leonding" von Thekla<br />
Weissengruber.<br />
79 Gaigg, Emmerich: Linz-Keferfeld.<br />
80 Gaigg, Emmerich a.a.O. S. 95 ff.<br />
39
MANIPULIERTE MASSE – ANMERKUNGEN ZUM<br />
NATIONALSOZIALISMUS<br />
Gerhard Tolar<br />
Aus dem Studium von Akten der Behörden, der örtlichen<br />
Gendarmerie, der Gerichte, aus der Chronik, die<br />
ein Chronist für die Gemeinde Leonding angelegt hat,<br />
aus Briefen und Äußerungen von Leondingern bekommt<br />
man ein schemenhaftes Bild davon, wie die<br />
Zeit damals in einer Landgemeinde am Rand der<br />
Stadt Linz erlebt wurde.<br />
Heute wissen wir, dass die Propagandamaschine des<br />
NS-Staatsapparates bestens funktionierte und laufend<br />
„gefärbte“, ja gefälschte Bilder in die Welt setzte.<br />
Das macht einen Teil des Schleiers aus, der uns<br />
heute die damaligen Aussagen schemenhaft macht.<br />
Die Unvorstellbarkeit der damaligen sozialen Not<br />
gehört auch dazu. Dazu gehört aber auch die Änderung<br />
der Denkweise, die sich bei uns in Politik,<br />
Wirtschaft, sozialem Denken usw. eingestellt hat und<br />
darauf haben gerade auch die Traumata dieser Zeit<br />
einen wesentlichen Einfluss.<br />
Es mag von Interesse sein, den Versuch zu unternehmen,<br />
ein paar der immer wieder in den genannten<br />
Dokumenten auftauchenden Argumente in dieser<br />
Sicht genauer zu betrachten.<br />
40<br />
Der Vertrag von Versailles und Österreich<br />
Der Begriff „Schandvertrag von Versailles“ taucht in<br />
zahllosen Flugblättern und Propagandaschriften auf,<br />
die in Leonding damals verbreitet wurden. Es ist der<br />
„Friedensvertrag“ mit dem deutschen Kaiserreich, der<br />
den ersten Weltkrieg völkerrechtlich abschließt. Dem<br />
deutschen Kaiserreich und seinen Verbündeten wird<br />
die Kriegsschuld angelastet, Deutschland hat Gebietsabtretungen<br />
hinzunehmen und wird mit großen<br />
Reparationsverpflichtungen belegt. Mit diesem Vertrag<br />
wurde übrigens auch der Völkerbund begründet.<br />
Der Vertrag von Versailles hat auch für Österreich<br />
Bedeutung. In ihm wird die Unantastbarkeit des<br />
neuen Österreich festgelegt. 1 Die Grenzen des neuen<br />
Österreich wurden in einem weiteren der so genannten<br />
Pariser Vororteverträge, dem Vertrag von St.<br />
Germain, festgesetzt.<br />
Diese Verträge wurde von vielen Deutschen und<br />
Österreichern als Schmach empfunden. Über den<br />
Vertrag von Versailles gibt es zahllose Urteile. Er<br />
wäre zu hart gewesen, er wäre wirkungslos gewesen,<br />
Deutschland wurde weder entmachtet noch<br />
integriert. 2 Es gab damals schon kritische Stimmen<br />
auch in den Ländern der Unterzeichner. Argumente<br />
und Gegenargumente füllen Bücher. Es wurde Adolf<br />
Hitler angerechnet, den „Schandvertrag von<br />
Versailles“ ausgehebelt zu haben, aber diese damalige<br />
Sicht stimmt nicht mit der historischen Realität<br />
überein. Die Reparationslast und die militärische<br />
Gleichberechtigung Deutschlands war schon vor<br />
Hitlers Machtübernahme gelöst. „Die Fesseln von<br />
Versailles waren, ehe Hitler die letzten von ihnen mit<br />
verblüffender Mühelosigkeit zerriss, aus Papier. 3<br />
Hitlers Beitrag z.B. die Besetzung des Saarlandes<br />
wurde auch in Leonding heftig akklamiert. Am 3. März<br />
1935 wird in Gaumberg ein Hakenkreuz abgebrannt.<br />
Anlass waren offenbar die Saarübergabefeierlichkeiten,<br />
schreibt das Gendarmeriepostenkommando<br />
Leonding. 4<br />
Der Vertrag von Versailles hat auch eine bedeutsame<br />
Vorgeschichte. Frankreich war im Deutsch-Französischen<br />
Krieg 1870/71 vernichtend geschlagen worden,<br />
und Otto von Bismarck, seit 1871 deutscher<br />
Kanzler des 2. Deutschen Reiches, hatte seine<br />
Absicht, Frankreich zu demütigen, durchgesetzt.<br />
Wilhelm I. von Preußen ließ sich im Nationalheiligtum
der Franzosen, dem Spiegelsaal zu Versailles, zum<br />
Deutschen Kaiser proklamieren. Im „Frankfurter<br />
Frieden“ 1871 wurden den Franzosen Kriegsentschädigungen<br />
von 5 Milliarden Goldfranc auferlegt,<br />
zahlbar innerhalb von 3 Jahren. Sie galten als unbezahlbar.<br />
Die Franzosen brachten das Geld auf und<br />
zahlten. 5 Die Kriegsentschädigungen waren eine<br />
wesentliche Basis des Gründerzeitbooms in Deutschland.<br />
Die Wirtschaft des Deutschen Reichs<br />
wuchs, die französische Wirtschaft wurde in ihrer<br />
Entwicklung behindert. Wie sich die Bilder mit denen<br />
nach dem ersten Weltkrieg gleichen.<br />
Der Tag von Potsdam<br />
Die folgende Geschichte spielt zwischen Jänner und<br />
März 1933. In Deutschland kamen die Nationalsozialisten<br />
an die Macht, in Österreich regierte der so genannte<br />
Austrofaschismus. Die Zeit war in Leonding<br />
von regelmäßigen Aktivitäten von Nationalsozialisten<br />
geprägt. Obwohl die österreichischen Nationalsozialisten<br />
in Teilen einen eigenständigen Weg suchten,<br />
blickte doch alles nach Deutschland. Da spielte sich<br />
Entscheidendes ab.<br />
Reichspräsident Hindenburg, der noch 1932 zitiert<br />
wird mit „Dieser böhmische Gefreite [gemeint war<br />
Hitler] kommt höchstens als Postminister in Frage!“<br />
ernennt am 30. Januar 1933 Hitler zum Reichskanzler.<br />
Das war ein unerwarteter, seither viel diskutierter<br />
und kommentierter Gesinnungswandel. Neben<br />
Hitler gehörte auch Göring der Regierung an.<br />
Vizekanzler war Franz von Papen. Der glaubte die<br />
Macht in Händen zu halten. Von ihm stammen die<br />
Worte: Wir haben ihn [Hitler] engagiert! Aber tatsächlich<br />
stand er auf verlorenem Posten.<br />
Am 27. Februar 1933 brannte der Reichstag. Die<br />
Nationalsozialisten erklärten den Reichstagsbrand zu<br />
einer kommunistischen Verschwörung. Für Hitler war<br />
das ein Anlass, bereits am 28. Februar 1933 eine<br />
Notverordnung 6 zu erlassen, wodurch bis auf weiteres<br />
das Recht der persönlichen Freiheit, der freien<br />
Meinungsäußerung, der Pressefreiheit, des Vereinsund<br />
Versammlungsrechtes aufgehoben und Eingriffe<br />
in das Brief-, Post-, Telgraphen- und Fernsprechgeheimnis<br />
sowie Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmen<br />
und Beschränkungen des Eigentums zulässig<br />
wurden. Hindenburg unterschrieb diese<br />
Verordnung.<br />
Die Reichstagswahlen im März 1933 brachten der<br />
NSDAP die relative Mehrheit, zur absoluten fehlten<br />
50 Stimmen. Hitler setzte zur Eröffnung des neu<br />
gewählten Reichstages am 21. März 1933 eine Feier<br />
in der Potsdamer Garnisonskirche an, in der sich die<br />
Grabstätte Friedrich des Großen befand. Am Gottesdienst<br />
nahm Hitler nicht teil, bei den Feierlichkeiten<br />
vor der Kirche hielt er eine geschickt formulierte<br />
Rede. Er forderte einen Staat der Ehre und Gerechtigkeit,<br />
er bekannte sich zum Frieden Europas<br />
und proklamierte Reichspräsident Hindenburg zum<br />
Schirmherren der nationalen Erhebung. Auf der<br />
Treppe der Garnisonskirche kam es zum historischen<br />
Handschlag zwischen Hitler und dem Reichspräsidenten.<br />
7<br />
Franz von Papen schreibt dazu in seinen Memoiren<br />
1952: „Die Symbolik des Aktes über dem Grabe<br />
Friedrichs des Großen konnte nicht ohne Eindruck<br />
auf alle jene bleiben, deren nationales Empfinden<br />
durch fünfzehn Jahre beleidigt worden war. Heute<br />
wissen wir, dass niemals ein feierliches Gelübde<br />
schmählicher getäuscht wurde.“ 8<br />
Mit dem eindrucksvollen Akt über dem Grabe Friedrichs<br />
des Großen war die Stimmung geschaffen.<br />
Zwei Tage nach Potsdam kam es in der Berliner<br />
Krolloper zur Abstimmung über das so genannte<br />
„Ermächtigungsgesetz“ 9 . Der Inhalt des Gesetzes<br />
liest sich aus heutiger Sicht unglaublich: „Die Reichsregierung<br />
darf Gesetze beschließen, auch wenn sie<br />
von der Verfassung abweichen. Diese Gesetze treten<br />
nach Unterschrift durch den Reichskanzler in Kraft.„<br />
Im Parlament stimmten die Abgeordneten der NSDAP<br />
und der bürgerlichen Parteien (Zentrum, Bayrische<br />
Volkspartei, Staatspartei, Christlich Soziale) für das<br />
Gesetz. Gegen das Gesetz stimmten 94 Abgeordnete<br />
der SPD, die 81 Abgeordneten der KPD und einige<br />
Abgeordnete der SPD waren nicht zur Wahl zugelassen.<br />
Das war die Selbstausschaltung des Reichstages.<br />
Was hinter der Verhinderung der Teilnahme der kommunistischen<br />
Abgeordneten steckte, erfährt man in<br />
einer zynischen Anmerkung des damaligen Reichsinnenministers<br />
Wilhelm Frick: „Wenn am 21. März<br />
der neue Reichstag zusammentritt, werden die<br />
Kommunisten durch dringende und nützlichere Arbeit<br />
verhindert sein, an der Sitzung teilzunehmen. Diese<br />
Herrschaften müssen wieder an fruchtbringendere<br />
Arbeiten gewöhnt werden. Dazu werden wir ihnen in<br />
Konzentrationslagern Gelegenheit geben. Wenn sie<br />
sich dann wieder zu nützlichen Mitgliedern der Nation<br />
erziehen lassen, wollen wir sie als vollwertige Volksgenossen<br />
willkommen heißen, sonst werden wir sie<br />
auf die Dauer unschädlich zu machen wissen“. 10<br />
Auch so kann man sich parlamentarische Mehrheiten<br />
sichern.<br />
41
Durch das Gesetz vom 1. Dezember 1933 11 wird die<br />
NSDAP „Trägerin des deutschen Staatsgedankens“.<br />
Mit diesem und dem Ermächtigungsgesetz war die<br />
Basis für den nationalsozialistischen totalitären Einparteien-<br />
und Führer-Staat gelegt. 12<br />
In der hier betrachteten Zeitspanne von Jänner bis<br />
März 1933 fanden in Deutschland entscheidende<br />
Weichenstellungen statt, aus heutiger Sicht in<br />
Massendeportation, Massenvernichtung und Massensterben<br />
in Schützengräben. Damals stand das Geschehen<br />
im Zeichen der Aussagen Hitlers vor der<br />
Garnisonskirche von Potsdam. Der Staat der Ehre<br />
und Gerechtigkeit, der Frieden in Europa und eine<br />
nationale Erhebung mit Reichspräsident Hindenburg<br />
als Schirmherren lagen in aller Interesse. Alle blickten<br />
nach Jahren einer empfundenen Demütigung in eine<br />
berauschende Zukunft.<br />
Einige haben die sich anbahnende Entwicklung<br />
schon damals gesehen. Als Beispiel sei General<br />
Erich Ludendorff zitiert, neben Hindenburg der<br />
führende deutsche General des ersten Weltkriegs,<br />
1923 Hitlers Gefährte beim fehlgeschlagenen<br />
Putschversuch, von Hitler zugunsten Hindenburgs<br />
später fallen gelassen. Als er von der Ernennung<br />
Hitlers zum Reichskanzler erfuhr, schrieb er<br />
Hindenburg in einem Brief: „Ich prophezeie Ihnen feierlich,<br />
dass dieser unselige Mann unser Reich in den<br />
Abgrund stoßen, unsere Nation in unfassliches Elend<br />
bringen wird. Kommende Geschlechter werden Sie<br />
verfluchen in Ihrem Grabe, dass Sie das getan<br />
haben.“ 13<br />
Der große Ruck<br />
Tatsächlich gelang es den an die Macht gekommenen<br />
Nationalsozialisten, rasch für Aufbruchstimmung zu<br />
sorgen. Alte Strukturen wurden zerbrochen. Es brach<br />
42<br />
eine neue Zeit an, die hauptsächlich von Jungen<br />
getragen wurde. Die neuen Machthaber selbst waren<br />
junge Leute: 1933 war Joseph Goebbels 35 Jahre alt,<br />
Reinhard Heydrich 28, Albert Speer 27, Adolf Eichmann<br />
26, Josef Mengele 21, Heinrich Himmler und<br />
Hans Frank waren 32. Hermann Göring – einer der<br />
Älteren – 40. 14 Der Gauleiter von Oberdonau, August<br />
Eigruber war 31. Junge Studenten ergriffen die<br />
Macht. Sie kamen aus allen sozialen Schichten. Aus<br />
Erfahrung skeptische Alte verspotteten sie als „Friedhofsgemüse“,<br />
lang gediente, prinzipienfeste Beamte<br />
als „Herrschaften, denen der Kalk aus den Hosen rieselt“.<br />
15 Das gefiel den Leuten.<br />
Es kam zu einem Zusammenspiel von Experten,<br />
Politikern und Bevölkerung. Viele geplante und lange<br />
diskutierte Reformen waren in der Republik auf der<br />
Strecke geblieben, die nationalsozialistische Regierung<br />
warf vieles über Bord. Als Beispiel sei hier angeführt,<br />
was zwar erst 1941 passierte, aber als typisch<br />
auch für diese Zeit angesehen werden kann. Hitler<br />
hat per „Schriftbefehl“ die Fraktur 16 und die Sütterlin-<br />
Schreibschrift 17 abgeschafft und die lateinische<br />
Normalschrift vorgeschrieben. Die alte Schrift wurde<br />
im geheim gebliebenen Erlass als Judenschrift<br />
bezeichnet, die veröffentliche Begründung lautete:<br />
„dass die Besetzten unsere Verlautbarungen lesen<br />
können.“<br />
Unmittelbar nach der Machtübernahme in<br />
Deutschland wurde der bis dahin fast unbekannte<br />
Begriff „Urlaub“ eingeführt. Freie Tage gab es schon<br />
früher, aber man erhöhte die Zahl so, dass man<br />
etwas unternehmen konnte. Man begann mit den<br />
Kraft-durch-Freude-Reisen (KdF-Reisen), so etwas<br />
wie Massentourismus zu entwickeln. 18 Spektakuläres<br />
Glanzstück waren die Hochseefahrten, das Gros des<br />
Angebotes machten freilich unspektakuläre Kurz-,<br />
Wander- und Dampferfahrten aus. Ein Einbruch breiter<br />
Massen in bürgerliche Sphären war geplant,<br />
wurde es aber nicht. 19<br />
Arbeitsprogramme waren schon von den konservativen<br />
Kabinetten Brüning, Papen und Schleicher durchgeführt<br />
worden. Auch in Österreich gab es zu dieser<br />
Zeit überregionale und lokale Arbeitsbeschaffungsprogramme.<br />
Unmittelbar nach der NS-Machtübernahme in<br />
Deutschland wurde ein „Gesetz über die Errichtung<br />
eines Unternehmens Reichsautobahnen“ erlassen.<br />
Fritz Todt wurde zum Generalinspektor für das deutsche<br />
Straßenwesen ernannt. Die Finanzierung erfolgte<br />
durch die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und<br />
Arbeitslosenversicherung. Man griff auf vorhandene<br />
Planungen zurück und konnte schnell beginnen. Der<br />
Ausbau eines Autobahnnetzes von 3000 Kilometern<br />
bis Ende 1938 war zweifellos eine große technische<br />
Leistung. Adolf Hitler wurde der Erfolg angerechnet<br />
und in der Propaganda als der Erfinder der Autobahnen<br />
bezeichnet. 20<br />
Aber der Einfluss dieser Maßnahmen auf die Beseitigung<br />
der Arbeitslosigkeit war eher gering – den<br />
immerhin 130.000 im Autobahnbau beschäftigten<br />
standen noch 1936 etwa 1,2 Millionen Arbeitslose<br />
gegenüber. Die Arbeitslosigkeit in Deutschland hatte<br />
1932 sechs Millionen Personen betroffen. Der große<br />
Abbau der Arbeitslosigkeit und der große wirtschaftliche<br />
Ruck wurde durch eine allgemeine Belebung der<br />
Wirtschaft – Belebung der Bauwirtschaft, Einführung<br />
der Handarbeit, Einführung eines Arbeitsdienstes etc.<br />
– und durch Einsatz von Arbeitern in der Rüstungsindustrie<br />
erreicht. Das alles geschah durch eine Verschuldung<br />
der öffentlichen Haushalte, eine Methode,
die die vorhergehenden Regierungen scheuten, die<br />
im deutschen Reich insbesondere vom Reichsbankpräsidenten<br />
Hjalmar von Schacht vertreten wurde 21<br />
und der dazu ein Verfahren der Verschleierung erfunden<br />
hat, die Mittel zunächst mit Wechseln eines fiktiven<br />
privatrechtlichen Unternehmens am Staatshaushalt<br />
vorbei zu führen. 22<br />
Das alles wurde in Österreich und auch in Leonding<br />
beobachtet. Ein Brief eines Leondingers, der sich<br />
1934 nach Deutschland abgesetzt hatte, wurde von<br />
der Briefzensur abgefangen und ist uns deshalb<br />
erhalten. Aus Dachau schreibt Ludwig H. am 18. August<br />
1934 an seine Familie 23 :“ … Haben die Mädels<br />
alle Arbeit? Hier kennt man nämlich keine Arbeitslosigkeit<br />
mehr. … War jetzt sieben Wochen auf<br />
Erholungsurlaub in der Provinz Hannover. Haben<br />
dort gelebt, wie Gott in Frankreich. …“<br />
Der Wohlfühlstaat<br />
Bei den Leondinger Festgenommenen des Juni-<br />
Putsches des Jahres 1934 wurden Hausdurchsuchungen<br />
durchgeführt und NS-Propagandamaterial<br />
gefunden. Diese sind im Strafakt erhalten geblieben.<br />
24 Darin ist die Wochenzeitung „Volksstimme -<br />
Kampfblatt der NSDAP für Oberösterreich“ vom 16.<br />
April 1934 enthalten. Darin kann man nach einer<br />
Schilderung der verbesserten deutschen Wirtschaftsdaten<br />
auf Seite sechs über Sozialmaßnahmen des<br />
jungen NS-Staates folgendes lesen: Durch die<br />
Schaffung der Feierabendorganisation „Kraft durch<br />
Freude“ soll der schaffenden Bevölkerung in ihrer<br />
Freizeit eine völlige Entspannung sowie eine angemessene<br />
Unterhaltung und Bildung ermöglicht werden.<br />
Durch die nationale Notstandsaktion, in der allein<br />
40.000 Zentner Butter und rund 70.000 Zentner<br />
Roggen an Hilfsbedürftige der Notstandsgebiete verteilt<br />
wurden, sowie durch die gewaltigste Hilfsorganisation<br />
der Völkergeschichte, das Winterhilfswerk des<br />
deutschen Volkes 1933/34 wurde bewirkt, dass kein<br />
deutscher Volksgenosse in diesem Winter im Reiche<br />
hungern oder frieren musste.<br />
Durch die Verordnung zur Milderung der Sozialversicherung<br />
und in der Reichsversorgung wurden den<br />
Rentnern verschiedene Begünstigungen gewährt.<br />
Ferner wurden im Februar und November 5,6<br />
Millionen Reichsmark als Sonderzulage für Kleinrentner<br />
verteilt. Durch das Gesetz zum Schutze der<br />
Heimarbeiter und anderer ähnlichen Maßnahmen,<br />
wurde angestrebt, die Härten, die durch die Notverordnungspolitik<br />
des verschwundenen Systems entstanden<br />
sind, zu mildern. Vier Jahre hat sich der<br />
deutsche Kanzler ausbedungen, die Wunden, die von<br />
den früheren Regierungen dem deutschen Volkskörper<br />
zugefügt waren, zu heilen, ihn wieder zu<br />
einem lebensfähigen Organismus zu gestalten. Aber<br />
schon im ersten Jahre ist erreicht worden, was für<br />
zwei Jahre vorgesehen war. Und in Österreich? ... Es<br />
folgt eine Darstellung der Wirtschaftsdaten Österreichs,<br />
die in dieser Zeit deutlich zu Ungunsten Österreichs<br />
ausfielen.<br />
Zu den ersten Gesetzen nach der Machtübernahme<br />
in Deutschland gehörten auch solche, mit denen die<br />
Rechte der Gläubiger zugunsten der Schuldner beschränkt<br />
wurden. Das kam den Armen und auch den<br />
Bauern zugute. Die Erklärung für die Beweggründe<br />
dafür zeigt die Maxime Hitlers: „Deutschland wird<br />
dann am größten sein, wenn seine ärmsten seine<br />
treuesten Bürger sind“. Es folgten weitere Vergünstigungen,<br />
wie die oben angeführte Sozialversicherung<br />
für Rentner, die Sonderzulagen für Rentner<br />
und die Förderung der Heimarbeit, ein wesentliches<br />
Element zur Ankurbelung der Wirtschaft. 25 Alle vor<br />
1938 in Deutschland erlassenen Gesetze des<br />
„Wohlfühlstaates“ wurden übrigens im Zeitraum zwischen<br />
dem Anschluss Österreichs und der Volksabstimmung<br />
dazu in Österreich in Kraft gesetzt. In der<br />
Tagespresse dieser Zeit kann man die Gesetzestexte<br />
und die Erläuterungen dazu nachlesen.<br />
1938 war der Deutsche Staat praktisch pleite. Am<br />
1. September 1938 schrieb Finanzminister Schwerin<br />
von Krosigk an Hitler: „Im Laufe des September<br />
gehen die Kassenbestände zu Ende, und teilte seinem<br />
Führer in unverbrücherlicher Treue mit, dass wir<br />
in eine schwere finanzielle Krise hineinsteuern…“ 26<br />
In diese Zeit fällt die nach der Reichskristallnacht im<br />
November 1938 den Juden auferlegte Judenbuße.<br />
Sie war innerhalb von vier Wochen fällig, betrug<br />
zunächst 20 % des Vermögens und wurde, um die<br />
vorgesehene Summe zu erreichen, auf 25 % erhöht.<br />
Sie schwemmte auf einen Schlag insgesamt 1,2<br />
Milliarde Reichsmark in die Reichskasse, das waren<br />
6 % der laufenden Reichseinnahmen. 27<br />
Aber man setzte weiter auf Wohlfühlmaßnahmen.<br />
Besonders nach dem Kriegseintritt übertünchte man<br />
die Härten des Krieges mit entsprechenden Maßnahmen.<br />
Die Kriegswirtschaftsverordnung beispielsweise<br />
legte einen Kriegszuschlag von 50 % auf die<br />
Lohn- und Einkommensteuer fest. Allerdings wurden<br />
so hohe Freigrenzen festgelegt, dass nur vier Prozent<br />
aller Steuerpflichtigen das zu spüren bekamen. 28<br />
Die Landwirtschaft war den ganzen Krieg über der<br />
einzige Wirtschaftszweig, der durch Steuerpolitik und<br />
Subventionen begünstigt wurde. Schon Ende 1939<br />
klagte ein leitender Finanzbeamter, dass die<br />
Privilegien, die die Landwirte genießen, grotesk seien<br />
43
und Verärgerung bei Teilen der Bevölkerung hervorrufen.<br />
29 Besonders bedacht wurden die Familien, die<br />
einen Soldaten im Felde hatten. Ein Einsatz-Wehrmachtsgebührnisgesetz<br />
30 regelte, dass bei der<br />
Bemessung des Familienunterhaltes die bisherigen<br />
Lebensverhältnisse und das im Frieden bezogene<br />
Einkommen der Angehörigen der Wehrmacht zu<br />
berücksichtigen habe. Auch „branchenüblich Arbeitslose“<br />
genossen diese Vergünstigungen. Die nationalsozialistische<br />
Staatsführung befreit den Soldaten an<br />
der Front von jeder Sorge um den Unterhalt seiner<br />
Familie. Frauen verfügten auf diesem Wege oft über<br />
bis zu 85 % des Normaleinkommens. Rechnete man<br />
Sold und Verpflegung des Eingezogenen dazu, verfügten<br />
einige deutsche Familien im Krieg über mehr<br />
Geld als im Frieden. 31 Schon eine Studie aus dieser<br />
Zeit bestätigt, dass die Maßnahme darauf gerichtet<br />
war, die Stimmung des Volkes, in erster Linie die<br />
Haltung der breiten Masse zu festigen. 32<br />
Die Reichskasse wurde mit solchen und einer Unzahl<br />
weiterer sozialpolitischer Bestechungsversuche an<br />
der Bevölkerung geplündert. Reichswirtschaftsminister<br />
Funk 1943: „Wir haben im Krieg zu opulent gewirtschaftet;<br />
aus dieser Entwicklung ist schwer herauszukommen“.<br />
33<br />
Wer bezahlte das alles?<br />
Die Staatskasse war kontinuierlich leer. Hitler verbot<br />
die Veröffentlichung des Staatshaushaltes. Die NS-<br />
Machthaber waren auf Griffe in fremde Taschen<br />
angewiesen, um den Haushalt halbwegs zu ordnen.<br />
Die angezapften Geldquellen waren: die Volkswirtschaften<br />
sämtlicher besetzter und abhängiger Länder,<br />
die Arbeitskraft von Millionen Zwangsarbeitern, das<br />
arisierte Eigentum der ermordeten Juden und der<br />
Hungertod von Millionen von Menschen, namentlich<br />
in der Sowjetunion. 34<br />
44<br />
Der Führerstaat – der Doppelstaat<br />
Aus den Chroniken Leondings kann man, wenn auch<br />
unter einem Schleier, das zunehmende Entsetzen der<br />
Chronisten vor den Geschehnissen herauslesen.<br />
Vieles war aus den Fugen geraten. Maßnahmen des<br />
Staates, von denen einige der Staat nicht einmal<br />
erfunden hat, haben sich schrittweise zu einem monströsen<br />
Ende entwickelt.<br />
Die im Folgenden zitierte Literatur 35 bietet zwei<br />
Erklärungswege an. Deutschland war einerseits<br />
geprägt von einer charismatischen Führergestalt, die<br />
die Lösung aller Probleme versprach, die damit aber<br />
zum Erfolg verdammt war und sich des Mittels<br />
bediente, sich gegen gesellschaftliche Außenseiter<br />
abzugrenzen und einen Ausnahmezustand ständig<br />
erneuern musste.<br />
Das nationalsozialistische Deutschland war aber<br />
andererseits auch ein kompliziertes Geflecht konkurrierender<br />
Machtapparate. Die in diesem Zusammenhang<br />
meist zitierte Erklärung für diesen Zustand<br />
stammt von Ernst Fraenkel 36 , der von einem Doppelstaat<br />
spricht, ein Nebeneinander von Normenstaat –<br />
alles geschieht nach Recht und Gesetz - und<br />
Maßnahmenstaat – Was Recht und Gesetz ist,<br />
bestimmt die Partei und das gesunde Volksempfinden.<br />
Der Normenstaat und der Maßnahmenstaat<br />
spielten sich die Probleme gegenseitig zu, ebenso die<br />
verschiedenen teilweise konkurrierenden Machtträger.<br />
Die Entwicklung lief nicht nach einem „Fahrplan“,<br />
sondern wies eine seltsame, sprunghafte Ausprägung<br />
auf. Soweit das Erklärungsmodell der zitierten<br />
Literatur.<br />
Das ist ein letztes Gesicht des Nationalsozialismus,<br />
das erklären mag, warum ein Menschenleben in<br />
einem Wohlfühlstaat nichts mehr galt. Festzuhalten<br />
ist noch, dass das, was später eintrat, großteils längst<br />
niedergeschriebenes Programm war, das seine eifrigen<br />
Exekutoren fand.
Anmerkungen<br />
1 Friedensvertrag von Versailles: Teil III - Politische<br />
Bestimmungen über Europa - Abschnitt VI. - Österreich -<br />
Artikel 80<br />
2 z.B. Haffner, Sebastian; Anmerkungen zu Hitler, München<br />
1978, Seite 81ff<br />
3 Haffner, a.a.O. Seite 82<br />
4 OÖLA, Pol. Akte, Sch. 14, Film 7, Akt Nr. 427/33<br />
5 siehe z.B. Brockhaus’ Konversationslexikon, 14. Aufl.<br />
1893–1897, Bd. 5, S. 206<br />
6 Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk<br />
und Staat vom 28. Februar 1933<br />
7 Orr, Thomas; Das war Hitler, Das Ende eines Mythos;<br />
Revue 1953 Nr. 2<br />
8 Papen, Franz von; Der Wahrheit eine Gasse, Innsbruck<br />
1952, S 307 f<br />
9 exakte Bezeichnung: Gesetz zur Behebung der Not von<br />
Volk und Reich vom 24. März 1933<br />
10 Völkischer Beobachter, Münchener Ausgabe, Nr. 70/71<br />
vom 11./12.3.1933, S. 2<br />
11 Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat<br />
vom 1. Dezember 1933<br />
12 siehe z.B. Orr a.a.O., 1953/02 und Franz von Papen<br />
a.a.O., S 352 ff<br />
13 Orr; a.a.O.; 1953/02<br />
14 Aly, Götz; Hitlers Volksstaat, FrankfurtM 2006; Seite 12<br />
15 Aly, a.a.O., S 14<br />
16 Runderlass von Martin Bormann vom 3.1.1941;<br />
Bundesarchiv Koblenz im Bestand NS 6/334; Kopie in<br />
„Österreich in Geschichte und Literatur“ 42 (1998) S. 261.<br />
17 Runderlass von Martin Bormann vom 1.9.1941<br />
18 Dt. Arbeitsfront/NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“,<br />
Gau Berlin, Dein Urlaub 1938<br />
19 Spode, Hasso (Hg.): Zur Sonne, zur Freiheit! Beiträge zur<br />
Tourismusgeschichte, Institut für Tourismus, FU Berlin 1991,<br />
Seite 79ff<br />
20 Benz, Wolfgang (Hg.); Legenden Lügen Vorurteile;<br />
München 2006; Seite 41ff<br />
21 Benz a.a.O.; Seite 27f<br />
22 Aly, a.a.O., S 55<br />
23 Politische Akte, OÖLA, Sch 165, Akt 711<br />
24 OÖLA, Staatsanwaltschaft Linz Akt Nr. 3St3768/34<br />
25 Aly, a.a.O.; S 20ff<br />
26 Schwerin von Krosigk an Hitler , 1.9.1938, IMG, Bd. 36, S<br />
492ff<br />
27 RGBl. I 1938 S. 1579 (Jundenbuße) I 1939 S. 2059<br />
(Erhöhung von 20 auf 25 %); Friedenberger u.a. (Hg.):<br />
Reichsfinanzverwaltung , S 21.<br />
28 Aly, a.a.O.; S 68<br />
29 Aly, a.a.O.; S 71<br />
30 RGBl. I 1939, S. 1531; Familienunterhaltswesen S 99ff<br />
31 Aly, a.a.O.; S 88f<br />
32 Schielin Irma, Der Familienunterhalt, in Jahrbücher für<br />
Nationalökonomie und Statistik 157 (1943) S. 458<br />
33 Aly, a.a.O.; S 90; Funkt über Kriegssteuerzuschläge,<br />
2.2.1943, NAR 175/15, Aufn. 083f.<br />
34 Aly, a.a.O.; Antwort auf die Kritik, S 366<br />
35 Schmuhl, H.W., Sterilisation, „Euthanasie“, „Endlösung“<br />
Seite 295ff; in Frei, Norbert (Hg.) Medizin und<br />
Gesundheitspolitik in der NS-Zeit<br />
36 Fraenkel, Ernst, der Doppelstaat, FrankfurtM 1984<br />
45
NS-VERMÖGENSENTZUG IN LEONDING<br />
Gerhard Tolar<br />
Von 1938 bis 1945 war Österreich Teil des Deutschen<br />
Reiches geworden, in dem seit dem Jahr 1933 die<br />
Nationalsozialisten an der Macht waren. Unmittelbar<br />
nach der Machtergreifung in Österreich kam es zu<br />
einer Vielzahl von Fällen von Entziehung von Vermögen<br />
von Bürgern des Staates. Diese Vermögensentziehungen<br />
stellen einen markanten Teil der totalitären<br />
Staatsführung des NS-Regimes dar. Auch<br />
Leonding war betroffen. Es wurden Einwohnern von<br />
Leonding Vermögen entzogen oder Grund und Boden,<br />
der in Leonding lag, enteignet. Leonding hatte<br />
damals eine größere Ausdehnung als heute – ein Teil<br />
des westlichen Leondinger Gemeindegebietes wurde<br />
1939 nach Linz eingemeindet –, daher sind in manchen<br />
Fällen Liegenschaften betroffen, die heute nicht<br />
mehr auf dem Gemeindegebiet von Leonding liegen.<br />
Nach Zusammenbruch der NS-Herrschaft im Jahr<br />
1945 stellte sich dem wiederhergestellten Staat<br />
Österreich die Aufgabe der geordneten Entschädigung<br />
und Rückstellung. 1<br />
Es wurden in den Akten 17 personenbezogene Fälle<br />
und 4 militärische Anlagen aufgefunden. Hier werden<br />
einige Fälle nur auszugsweise wiedergegeben, die<br />
46<br />
vollständige Erfassung ist in einer gesonderten<br />
Arbeit 2 enthalten. Es werden hier nur die Informationen<br />
aus den Akten der Rückstellungskommissionen<br />
bearbeitet, etwaige zivilrechtliche Folgeverfahren<br />
wurden nicht behandelt.<br />
Die betreffenden Akten liegen im OÖ Landesarchiv<br />
und wurden dort in einer Datenbank in „Arisierungen“,<br />
Rückstellungsanmeldungen und Rückstellungsakten<br />
katalogisiert. 3<br />
Gerichtsakten sind immer einer Quellenkritik z.B. auf<br />
Wahrheit der Behauptungen oder Fehlen von wichtigen<br />
Beweismitteln zu untersuchen. Das war wegen<br />
der lange vergangenen Verfahren nicht möglich.<br />
1. DARSTELLUNG DER FÄLLE<br />
Fall 1 – März 1938: Pfarre Leonding &<br />
Geschwister Mayrhofer<br />
In dieser Fallschilderung sind mehrere Akte zusammengefasst.<br />
4 Betroffen sind Liegenschaften der<br />
Pfarre Leonding und der Geschwister Mayrhofer.<br />
„Sofort nach der Besetzung Österreichs wurde im<br />
März 1938 das Haus von der HJ beschlagnahmt, die<br />
Einrichtung (Tische, Bänke, Sessel und Bühne) teils<br />
verschleppt, teils demontiert. Nach einigen Monaten<br />
übernahm das Haus die NS-Volkswohlfahrt und richtete<br />
den Kindergarten ein. Mit Pfarrer Haudum wurde<br />
ein Mietvertrag auf 5 Jahre zu nur RM 10.- jährlich<br />
abgeschlossen. Die Liegenschaft und das Gebäude<br />
der Pfarre Leonding auf Parzelle 512/6 ‚Lediger<br />
Grund’ EZ 167 KG Leonding, Pfarrheim und<br />
Kindergarten Leonding 35 1529 m≈, nördlich des<br />
Postgebäudes gegenüber dem Mesnerhaus gelegen<br />
wurden gemeinsam mit Parzelle 510/3 EZ 167 KG<br />
Leonding der Geschwister Mayrhofer, Ackergrund am<br />
1. Dezember 1941 enteignet“. So steht es in den<br />
Akten.<br />
1940 forderte die NS-Volkswohlfahrt, das Grundstück<br />
zu kaufen und das Gebäude, einen Riegelbau, zum<br />
Materialwert zu überlassen. Es sollte abgerissen werden<br />
und ein neues errichtet werden. Nach Enteignungsdrohungen<br />
willigten die kirchlichen Stellen in<br />
den Verkauf ein, es kam zum Kaufvertrag vom 1.<br />
Dezember 1941. Kaufpreis waren RM 5.258.-. Das ist<br />
die Formulierung, die im Rückstellungsverfahren enthalten<br />
ist.<br />
In der Chronik der Pfarre Leonding findet sich eben-
falls ein Eintrag zu dieser Sache. 5 Hier wird ergänzt:<br />
„Die NSV beabsichtigt einen neuen Kindergarten darauf<br />
zu erbauen. Zur Erweiterung des Kindergartens<br />
war auch ein Grundstück von Maria und Anna<br />
Mayrhofer notwendig, das von den Geschwistern am<br />
7. August 1941 übergeben wurde.“<br />
Nach Ende der NS-Herrschaft stellten die Parteien<br />
einen Rückstellungsantrag. Der landetete bei der<br />
Finanzlandesdirektion, die damals die ehemals deutschen<br />
Vermögen zu verwalten hatte. Die erstellt am<br />
17.1.1948 einen Bescheid 6 : „Gemäß Verbotsgesetz<br />
vom 8.5.1945 ist diese Liegenschaft als Vermögen<br />
einer verbotenen und aufgelösten nationalsozialistischen<br />
Organisation zugunsten der Republik Österreich<br />
verfallen. Zeugenaussagen belegen, dass<br />
Pfarrer Haudum ohne Vorhandensein eines inneren<br />
Veräußerungswillens unter Androhung einer Enteignung<br />
den Kaufvertrag abgeschlossen hat.<br />
Außerdem steht ohne Zweifel fest, dass diese<br />
Vermögensübertragung ohne die Machtergreifung des<br />
Nationalsozialismus nicht erfolgt wäre. Die Liegenschaft<br />
ist entzogenes Vermögen, das jetzt im Eigentum<br />
der Republik Österreich steht. Der jeweilige<br />
Pfarrer zu Leonding war auf Grund eines Protokolls<br />
aus dem Jahr 1830 Eigentümer der Gründe. Das<br />
Grundstück ist daher an ihn zurückzustellen.“<br />
Pfarrer Haudum muss den erhaltenen Kaufpreis<br />
zurückzahlen. Über die angrenzenden Grundstücke<br />
der Geschwister Mayrhofer wurden analog entschieden.<br />
Fall 2 – April 1938: Der Fall „Weiss“<br />
Die Familie Weiss besaß vor 1938 Grundstücke und<br />
Ziegeleibetriebe in Leonding. Diese sind nur ein kleiner<br />
Teil des gesamten der Familie entzogenen Vermögens,<br />
für Leonding aber bedeutend. Zum vollen<br />
Verständnis erscheint es tunlich, zuerst die Gesamtsituation<br />
der Familie Weiss zu betrachten.<br />
Die Familie Weiss<br />
Die Familie Weiss war eine Linzer Kaufmannsfamilie.<br />
Leo Weiss wurde am 17. Dezember 1867 in Bielitz,<br />
damals Schlesien, heute Polen 7 , in einer großen jüdischen<br />
Familie geboren, zog nach Wien, heiratete dort<br />
die Katholikin Karoline Hufnagel und zog mir ihr nach<br />
Oberösterreich. Sie hatten 3 Söhne, Leopold, Josef<br />
und Richard, die katholisch getauft und erzogen wurden.<br />
Leo Weiss war hoch angesehen, Industrieller und<br />
Funktionär von Sparkassen, Börsen und Kammern.<br />
Die Familie wohnte im Haus Starhembergstraße<br />
Nr. 19 in Linz, das sie 1909 käuflich erworben hatten.<br />
An den Ziegeleien und Grundstücken von über<br />
150.000 m≈ in Leonding waren sie Mitbesitzer. Selbst<br />
die Gegner von Leo Weiss mussten feststellen:<br />
„Richtig sei, dass Leo Weiss ein ungewöhnlich fähiger<br />
und tüchtiger Kaufmann war.“ 8<br />
In der NS-Presse der Jahre 1936/37 wurden die<br />
Mitglieder der Familie zu einem Hassobjekt gemacht.<br />
9 Ein Hetzartikel aus dem Jahr 1938 ist<br />
aufgefunden worden (siehe Abbildung 16).<br />
Der Sohn Josef Weiss war mit seiner Frau Eigentümer<br />
der prot. Firma J. Weiss & Co., Handel mit<br />
Baumaterialen. Der Gewerbeschein zum Betrieb der<br />
Ziegelwerke stammt aus dem Jahr 1927 und lautet<br />
auf das Haus Haag 17. Er war Direktor der Ziegeleien<br />
Gaumberg und Haag und besaß weiters Patentrechte<br />
über die Eterniterzeugung. Das Herzstück des Unternehmens,<br />
die Ziegelei Gaumberg, wurde im Dezember<br />
1944 durch Bombentreffer total zerstört.<br />
Der Sohn Richard Weiss besaß eine eigene Firma,<br />
die Richard Weiss und Co KG. Er war Partner einer<br />
internationalen Getreidehandelsgesellschaft in Wien<br />
und besaß über die Firma Petrolea Schürfrechte im<br />
Burgenland, Oberösterreich und Salzburg. Er wurde<br />
nach dem Tod seines Vaters – Leo Weiss starb 1942<br />
in New York - als Erbe ebenfalls Partei im Leondinger<br />
Verfahren, wie auch seine Brüder Leopold und Josef<br />
und seine Mutter Karoline. 10<br />
Die „Arisierung“<br />
Am 13. März 1938 kam es zum Anschluss Österreichs<br />
an das Deutsche Reich. KR Leo Weiss war,<br />
wie alljährlich, zur Erholung in Meran, die pol. Lage<br />
unterschätzend, wie im Rückstellungsantrag 11 angeführt<br />
wird. Die neuen Machthaber handelten schnell.<br />
„Mit einer Verfügung der Gestapo Linz vom 26. April<br />
1938 (siehe Abbildung 19 u. 20) wurde sämtliches,<br />
auch bis jetzt noch nicht festgestelltes Vermögen der<br />
Juden Leo Weiss (flüchtig), Dr. Leopold Weiss, Wien<br />
und Dr. Richard Weiss (flüchtig) beschlagnahmt und<br />
zu Gunsten des Landes Österreich eingezogen.“ 12<br />
Leo Weiss begab sich in die Schweiz. Die Familie<br />
blieb zunächst noch in Linz. Der Sohn Dr. Leopold<br />
Weiss geriet wegen einer Steuerstrafforderung in<br />
Gestapohaft, ging aber nach vielen Monaten frei, ihm<br />
konnte nichts nachgewiesen werden. 13 Dr. Leopold<br />
Weiss ist 1953 in New York verstorben. Sein Nachlass<br />
wurde seinem Bruder Josef eingeantwortet.<br />
Das Vermögen von Josef A. Weiss war zunächst<br />
nicht von der Beschlagnahme durch die Gestapo<br />
betroffen – sehr wohl betroffen war der Teil an den<br />
Ziegelwerken Leonding, der Leopold und Richard<br />
Weiss gehörte 14 – , sondern über sein Vermögen<br />
wurde nach dem Umbruch das Konkursverfahren<br />
eröffnet. Seine Gegner behaupteten, er wäre hoch<br />
verschuldet gewesen. Josef Weiss wird später<br />
47
Abb.15: Dr Richard Weiss 1938 42<br />
behaupten 15 : „Nach dem Umbruch wurde die Bilanz<br />
passiv gemacht.“<br />
Die Mutter Karoline Weiss kam nach ihrer Flucht über<br />
Italien, Paris und Holland nach England. Von England<br />
wurden die Söhne Richard und Leopold nach<br />
Australien deportiert. Das Ehepaar Leo und Karoline<br />
Weiss gelang es nach New York zu reisen. Karoline<br />
sah ihre Söhne erst 1945 nach ihrer Freilassung wieder.<br />
Sie kehrte mit ihrem Sohn Richard nach Linz<br />
zurück. 16 Karoline Weiss ist am 30. Mai 1953 in Linz<br />
im Spital der Barmherzigen Schwestern verstorben.<br />
Sie wurde in Wien begraben. Auf ihrer Parte scheint<br />
sie als Katholikin auf, versehen mit den heiligen<br />
48<br />
Abb.16: Hetzartikel über Familie Weiss im „Arbeitersturm vom“ 20.3.1938
Sakramenten. Ihr Nachlass wurde zur Gänze ihrem<br />
Sohn Richard eingeantwortet.<br />
Mit 4. Mai 1939 wurde „Herrn Leo Weiss und Ehefrau<br />
Karoline“, Linz, Starhembergg. 19, ein Reichsfluchtsteuerbescheid<br />
17 (siehe Abbildung 17 und 18) ausgestellt.<br />
Das Vermögen wurde mit RM 260.000.- eingesetzt,<br />
die Reichsfluchtsteuer wird auf ein Viertel dieses<br />
Betrages RM 65.000.- festgesetzt. Die Reichsfluchtsteuer<br />
wurde mit 15. Mai 1938 fällig gestellt.<br />
Rückstellungsanträge<br />
Im Jahr 1948 stellten die damaligen vier Erben von<br />
Leo Weiss, Karoline, Leopold, Josef und Richard<br />
Weiss bei der Rückstellungskommission mehrere<br />
Anträge auf Rückstellung von entzogenem Vermögen.<br />
Zwei davon betreffen die Leondinger Gründe<br />
direkt, die anderen die Rückstellung von durch die<br />
Entzieher weiterverkauften. Mit den Rückstellungsgesetzen,<br />
insbesondere dem 3. Rückstellungsgesetz<br />
18 wurden bei den Landesgerichten Rückstellungskommissionen<br />
eingerichtet, bei den Oberlandesgerichten<br />
und dem Obersten Gerichtshof<br />
Oberinstanzen installiert, die es Rückstellungswerbern<br />
ermöglichte, ihre Anliegen vorzubringen.<br />
Die Rückstellungsgegner<br />
Firmen und Firmennamen der Erwerber der entzogenen<br />
Grundstücke haben sich mehrfach geändert. Das<br />
ist hier geschlossen dargestellt.<br />
Die Grundstücke wurden durch die Verfügung der<br />
Gestapo vom 26. April 1938 an das Land Österreich<br />
übertragen, von der Alpine Montan Aktiengesellschaft<br />
„Hermann Göring“ im April 1940 gekauft, per Durchführungsverordnung<br />
zum Landbeschaffungsgesetz<br />
der Wohnungs A.G. der Reichswerke „Hermann<br />
Göring“ in Linz einverleibt. Mit dem Verkaufserlös<br />
wurden die Schulden, die auf den Grundstücken<br />
lagen, bezahlt 19 , Schulden an Familie Weiss wurden<br />
aber nicht berücksichtigt. Ein Teil der Liegenschaft<br />
wurde an die Gemeinnützige Wohnungs- und<br />
Siedlungsgenossenschaft „Wohnstätte“ weiterverkauft.<br />
20 Diese Grundstücke wurden später parzelliert<br />
und neuerlich weiterverkauft. 21<br />
Die seit 1947 öffentlich verwalteten Vermögensmassen<br />
sind mit Staatsvertrag 1955 in das Eigentum<br />
der Republik Österreich übergegangen. Die Republik<br />
Österreich hat die Vermögensmasse in eine neue<br />
Gesellschaft mit dem gleichen Firmenwortlaut als<br />
Sacheinlage eingebracht. 22<br />
Teilerkenntnis der Rückstellungskommission<br />
vom 4.5.1950<br />
Die Rückstellungskommission erließ zwei Jahre nach<br />
der Stellung der Rückstellungsanträge ein Teilerkenntnis,<br />
dass die Vermögensentziehung der Gestapo zu<br />
Gunsten des Landes Österreich nichtig ist, bei dieser<br />
Entziehung sind die Regeln des redlichen Verkehrs<br />
nicht eingehalten worden. „Die Rückstellung einiger<br />
inzwischen wirtschaftlich umgestalteten Einlagezahlen<br />
ist jedoch untunlich.“ 23<br />
Die Antragsgegner stellten in Frage, ob überhaupt ein<br />
Vermögen vorhanden war. „Dieser Rückstellungsantrag<br />
stelle den Versuch dar, sich mit Hilfe der Rückstellungsgesetze<br />
aus nichts, oder gar aus einem Passivum,<br />
arbeitslos ein Millionenvermögen auf Kosten der österr.<br />
Volkswirtschaft zu verschaffen.“ 24<br />
Die Rückstellungskommission reagierte aber entschieden<br />
und stellte dazu fest, dass eine Überschuldung der<br />
Liegenschaften nicht zu einer entschädigungslosen<br />
Einziehung berechtigt, sondern höchstens zu einer<br />
zwangsweisen Veräußerung geführt hätte. 25 Auch die<br />
höheren Instanzen der Rückstellungskommission bis<br />
zum OGH schlossen sich dieser Argumentation an.<br />
Vergleich vor der Rückstellungskommission vom<br />
19.10.1953<br />
Am 19.10.1953, 5 Jahre nach Antrag, kam es vor der<br />
Rückstellungskommission zu einem Vergleich. In diesem<br />
Vergleich hätten die Rückstellungsgegner Ersatzgrundstücke<br />
zu je einem Viertel an die damals<br />
vier Erben übergeben. Zwei Verfahren waren in der<br />
Zwischenzeit zusammengelegt worden.<br />
Dieser Vergleich wurde von den Antragstellern der<br />
Familie Weiss widerrufen und wurde daher nicht<br />
rechtswirksam. Nach Prüfung kann er - schreibt Josef<br />
A. Weiss in einem Schriftsatz 26 - „den Vergleich nicht<br />
annehmen. Der Wert des entzogenen Lehmlagers sei<br />
in keiner Weise kompensiert, die angebotenen<br />
Grundflächen entsprächen nur scheinbar“. Diese<br />
Ablehnung des Vergleiches und die Erweiterung des<br />
Streitwertes durch die Zusammenlegung der Verfahren<br />
und die Abgeltung für das Lehmlager sollten<br />
sich als ungünstige Entwicklung des Verfahrens herausstellen.<br />
Der Durchsetzung einer Abgeltung für das<br />
Lehmlager war schlussendlich kein Erfolg beschieden.<br />
Damit sank der ersiegte Erfolg unter die Hälfte<br />
des Streitwertes und die Weiss kamen nach damaliger<br />
Rechtslage um die Abgeltung ihrer Verfahrensund<br />
Anwaltskosten.<br />
Detailfragen<br />
Es gab zwei Ziegeleien im Besitz der Familie Weiss,<br />
die Ziegelei Haag und die Ziegelei Gaumberg. Die<br />
beschreibt Josef A. Weiss folgendermaßen 27 : „Die<br />
Ziegelei Haag hätte ein wegen der Tiefe unerschöpfliches<br />
Lehmvorkommen. Das brannte aber nicht rot.<br />
Die Ziegel galten in Linz und Umgebung als wenig<br />
marktfähig. Deshalb kaufte er von Franz Obermayer<br />
sen. die gegenständlichen Grundstücke, wo rot brennender<br />
Lehm gefunden worden war.“<br />
49
Soweit die Schilderung von Josef. A. Weiss. 1936<br />
kam der Obermairische Anteil auf Betreiben der Landeshypothekenanstalt<br />
zur Versteigerung und wurde<br />
von Dr. Max Mayer jun., dem langjährigen Rechtsanwalt<br />
von Obermayer sen. erworben. 28<br />
Franz Obermayer jun., der Erbe von Franz Obermayr<br />
sen. wird später angeben, dass die Brüder Weiss diesen<br />
Besitz seinem Vater mehr oder weniger abgejagt<br />
hätten. 29 Josef Weiss gab hingegen als Begründung<br />
die finanziellen Probleme des Franz Obermayer sen.<br />
an 30 .<br />
Schon in den Arisierungsakten der NS-Behörden finden<br />
sich datiert mit 10.5.38 Berichte über den damaligen<br />
Zustand der Ziegelwerke. 31 Dort wird die Ziegelei<br />
Haag als nicht betriebsfertig bezeichnet. Sie sei unter<br />
kommissarische Verwaltung gestellt worden, die ein<br />
Konkursverfahren eingeleitet habe. Eine Wiedererrichtung<br />
der Ziegelei sei wohl in erster Linie von dem<br />
Erfolg der anzustellenden Bohrungen abhängig.<br />
Über das Werk Gaumberg steht hier: „Dieses Werk<br />
wurde nach mehrjährigem vollständigem Stillstand<br />
erstmalig im Herbst des Jahres 1937 wieder in<br />
Betrieb genommen und wurden im Verlaufe von ca. 2<br />
Wochen ca. 340.000 Rohziegel erzeugt. Insgesamt<br />
sind im Werk 42 Arbeitskräfte beschäftigt. Josef A.<br />
Weiss ergänzt 32 , dass die Werksanlage in einer<br />
Umgruppierung war und die Inbetriebnahme der aus<br />
St. Peter-Zizlau übersiedelten Asbestzementerzeugung<br />
erst für 1938 vorgesehen war.“<br />
Das Werk Gaumberg spielte zum Zeitpunkt der<br />
Rückstellungsverhandlungen keine Rolle mehr, es<br />
war bei einem Bombenangriff im Dezember 1944 völlig<br />
zerstört worden. Es ging in den Verhandlungen um<br />
die Beurteilung des Wertes der Grundstücke. Hier<br />
50<br />
kam es zu einer weiteren für das Verfahren ungünstigen<br />
Entwicklung: Die Antragsteller wollten eine<br />
Entschädigung für das Lehmvorkommen, verlangen<br />
später eine Entschädigung für eine landwirtschaftliche<br />
Nutzung durch die Rückstellungsgegner und wollten<br />
die Gründe als Baugründe eingestuft sehen. Für alles<br />
gab es zwar gute Argumente für spätere Möglichkeiten<br />
einer erfolgversprechenden kombinierten<br />
Nutzung. Es gäbe sogar Planungsunterlagen dafür.<br />
Die konnten aber nicht aufgefunden werden. 33 Auch<br />
die von der vom Gemeindeamte Leonding im Jahre<br />
1930 bereits genehmigten Parzellierung verlangten<br />
die Antragsteller Weiss beizuschaffen. 34 Auch dieser<br />
Beweisantrag war nicht von Erfolg gekrönt. Von vorgelegten<br />
Planunterlagen fehlten jene, die die betroffenen<br />
Grundstücke darstellten. Diese Beweisstücke<br />
wurden daher nicht gewürdigt.<br />
Rückstellung der nicht verbauten Grundstücke<br />
Aber am 18.12.1958 kam es zu einem weiteren<br />
Teilerkenntnis der Rückstellungskommission. 35<br />
Antragsteller waren jetzt Richard Weiß, Industrieller in<br />
Wels, und Josef A. Weiß, New York: „Die Antragsgegner<br />
seien schuldig, die ehemals Leo Weiss’sche<br />
Hälfte des aus dem Grundstück … je zur Hälfte sofort<br />
zurückzustellen … Die Feststellung der für die wirtschaftlich<br />
umgestalteten Grundstücke begehrten<br />
Entschädigungen sowie Erträgnisse ist von der<br />
Durchführung eines Sachverständigenbeweises<br />
abhängig und bleibt der Entscheidung des Enderkenntnisses<br />
vorbehalten.“ So erhielten die beiden<br />
verbliebenen Erben 1958 nach 10 Jahren Verfahrensdauer<br />
wenigstens den Hälfteanteil ihrer Grundstücke<br />
zurück, außer die wirtschaftlich umgestalteten. Das<br />
sollte noch bis 1961 dauern.<br />
Das Enderkenntnis vom 3.7.1961<br />
Am 3. März 1961 kam es zu einer Öffentlichen mündlichen<br />
Verhandlung 36 , bei der zahlreiche Zeugen, die<br />
Sachverständigen und der in Linz wohnhafte Richard<br />
Weiss, damals 60 Jahre alt, einvernommen wurden.<br />
Der Verhandlung folgte am 3.7.1961 ein Enderkenntnis<br />
37 der Rückstellungskommission. Die wichtigsten<br />
Punkte daraus sind in der Folge auszugsweise<br />
wiedergegeben:<br />
„Die Wiedereröffnung des geschlossenen Verfahrens<br />
… wird abgewiesen. Damit sind einige Beweisanträge<br />
der Erben Weiss nicht angenommen worden. Die<br />
Antragsgegner zahlen Entschädigungen für die wirtschaftlich<br />
umgestalteten Grundstücke und die Verfahrenskosten.<br />
Mehrbegehren der Erben Weiss werden<br />
abgewiesen.“<br />
In der Urteilsbegründung heißt es: „Der Rückstellwert<br />
wurde als Arithmetische Mittel zwischen zwei Gutachten<br />
festgesetzt. Eine Bewertung als Industriegrundstück<br />
wurde abgelehnt. Ein Zinsbegehren und<br />
die Vergütung von Erträgnissen wurden abgelehnt.<br />
Zur Abgeltung des Lehmvorkommens: Lt. Flächenwidmungsplan<br />
der Stadt Linz, zu der die Grundstücke<br />
zwischenzeitlich gehörten, sei kein Lehmabbau möglich.<br />
Die Stadtplanung stellt keine im typischen Zusammenhang<br />
mit der Machtergreifung des Nationalsozialismus<br />
in Österreich stehende Handlung dar. Die<br />
Antragsteller begehren Entschädigung als Bauland,<br />
das Erkenntnis zuerkennt eine Vergütung als Bauerwartungsland.<br />
Das Begehren auf Ersatzleistung des<br />
Lehmvorkommens steht damit im Widerspruch. Das<br />
gesamte Begehren der Antragsteller ist daher abzuweisen.<br />
Alle Parteien haben Beschwerde eingelegt,<br />
die aber von den höheren Instanzen abgelehnt wurden.“
Abb.17 u. 18: Reichsfluchtsteuerbescheid für Leo und Karoline Weiss, Seite 1 und 2<br />
51
Abb.19 u. 20: Verfügung der Gestapo betreffend Einzug des Vermögens der Familie Weiss und Schriftstück des Zustellungsberechtigten Wolfgang Valentin an Joseph A. Weiss<br />
52
Besonderheiten des Verfahrens<br />
Ein langjähriger Rechtsanwalt von Leo Weiss, RA Dr.<br />
Zauner, ist inzwischen der Anwalt der Antragsgegner.<br />
38 Das ist zwar rechtlich gedeckt gewesen, war<br />
aber sicherlich für die Antragsteller Weiss nachteilig.<br />
Die Verfahrensordnung brachte den Antragstellern<br />
manche Probleme. Als Beispiel sei angeführt: Josef<br />
A. Weiss wurde aufgetragen, „einen am Orte der<br />
Rückstellungskommission wohnhaften Zustellungsbevollmächtigen<br />
namhaft zu machen, widrigenfalls …<br />
fortan ... Schriftstücke mit der Wirkung der erfolgten<br />
Zustellung bei Gericht hinterlegt werden würden.“ 39<br />
Diesem Zustellungsberechtigten wurden alle<br />
Schriftstücke zugestellt, der sie dann an seinen<br />
Klienten weiterzuleiten hatte. Josef A. Weiss lebte<br />
damals in New York, es verging also viel Zeit alleine<br />
für die Übermittlung von Schriftstücken. Bei einem<br />
Krankheitsfall eines Steuerberaters kam es so zu<br />
einer Fristverletzung beim Einbringen einer Beschwerde<br />
(siehe Abbildung 20), was letztlich zur<br />
Ablehnung von weiteren Beweisanträgen beim<br />
Enderkenntnis führte.<br />
Schlussbemerkung<br />
Die Auswahl der Argumente und die Vorgangsweise<br />
der Antragsteller der Familie Weiss im Verfahren<br />
erscheinen, wie im vorstehenden Bericht ausgeführt,<br />
in einigen Fällen von „zuviel wollen“ geprägt. Im<br />
Verfahren gab es manche Besonderheit, die den<br />
Erfolg der Erben Weiss beeinträchtigte. Die Fälle<br />
Obermayr und Mayr wurden jedoch schon 1952/53<br />
mit einem Vergleich abgeschlossen, das ist in etwa<br />
jene Zeit, zu der der Fall Weiss vor einem Vergleich<br />
stand, der aber dann nicht angenommen wurde, weil<br />
die Situation bei den Weiss’schen Grundstücken<br />
schwieriger war. Aber man muss für alle Geschädigten<br />
als Schaden festhalten, dass sie am wirtschaft-<br />
lichen Nutzen, der aus der Umgestaltung der Grundstücke<br />
entstanden ist, nicht teilhaben konnten, weil<br />
ihnen die Grundstücke entzogen worden sind.<br />
Die Rückstellung der Liegenschaften in Leonding war<br />
nur ein kleiner Teil der Vermögensentziehungen, die<br />
der Familie Weiss auferlegt wurden. Viel mehr<br />
Substanz ist bei den anderen Vermögensteilen der<br />
ehemals angesehenen Kaufmannsfamilie Weiss verloren<br />
gegangen, wie im Kapitel „Familie Weiss“ angedeutet.<br />
Der Fall Richard Weiss ist bei Michael John<br />
beschrieben 40 , das Schicksal der Kunstsammlung der<br />
Familie Weiss bei Birgit Kirchmayr. 41<br />
Fall 3 – Juni 1938: Familie Meindl:<br />
Hitlers Wohnhaus<br />
Es handelt sich um das Haus und das zugehörige<br />
Grundstück, in dem zwischen 1898 und 1905 Alois<br />
und Clara Hitler mit ihrem Sohn Adolf und ihrer<br />
Tochter Paula gewohnt haben. 43<br />
Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche<br />
Reich wurden Haus und Grund von Martin Bormann<br />
am 14. Juni 1938 angekauft. Dazu wurde zwischen<br />
Familie Meindl einerseits und dem Reichsleiter Martin<br />
Bormann als Käufer andererseits ein Kaufvertrag<br />
über die Realität abgeschlossen und ein Kaufpreis<br />
von annähernd RM 50.000.- ausbezahlt. Nach Angabe<br />
der Familie Meindl handelte es sich um einen<br />
Verkauf ohne Zwang. Die Angelegenheit sei für sie<br />
als erledigt zu betrachten. Das wurde in einer<br />
Niederschrift vom 10. März 1953 festgehalten. Es<br />
wurde kein Rückstellungsverfahren eingeleitet.<br />
Die Bank für OÖ und Salzburg war gemeinsam mit<br />
der Gemeinde Leonding von den Amerikanischen<br />
Besatzungsbehörden als Verwalter dieser Liegenschaft<br />
eingesetzt worden. Der Antrag wurde offenbar<br />
deshalb von der Bank eingebracht, weil die Rück-<br />
stellungsgesetze Eigner von entzogenen<br />
Grundstücken verpflichtete, diese zu melden.<br />
Fall 4 – Sommer 1938: Sängerrunde Gaumberg<br />
Die Sängerrunde Gaumberg gibt in einer Niederschrift<br />
vor der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 10.<br />
März 1953 44 an, dass von den NS-Behörden ihr<br />
gesamtes Archiv beschlagnahmt wurde. Als Grund<br />
wurde die „politische Haltung“ der meisten Vereinsmitglieder<br />
angegeben. Das Verfahren wurde von der<br />
Rückstellungskommission mit der Begründung ausgeschieden,<br />
dass der Rückstellungsgegner unbekannt<br />
sei. Soweit die Niederschrift. Entzogen wurden folgende<br />
Gegenstände: Gesamtes Archiv, bestehend<br />
aus: Einzelchorwerken, Liederbänden, umfangreicher<br />
Theaterliteratur, Kostümen, Perücken, Theaterbühne<br />
samt bemaltem Vorhang und Kulissen. Entzogen<br />
wurde das o. a. Gut aus dem Gasthaus „Zur Pyhrnbahn“,<br />
Leonding, Gaumberg 10, durch die NSDAP<br />
Ortsgruppe Leonding.<br />
Fall 5 – Herbst 1938:<br />
Eisenbahngleise zu Flak-Hallen<br />
Die Errichtung einer Eisenbahnanlage zu Flak-Hallen<br />
führte zu einer Enteignung. Die Vermögensentziehung<br />
wurde von der Rückstellungskommission als<br />
nichtig erklärt, die Rückstellung aber „untunlich“. Dem<br />
Enteigneten wurde nur eine Entschädigung für entgangene<br />
Nutzung zugesprochen.<br />
Fall 6 – Oktober 1938: Der Fall Elias Pollak<br />
Der Arisierungsakt<br />
Es geht um die Liegenschaft und das Haus Landwied<br />
5. Dafür interessieren sich Franz und Frieda P., Gitterschlosser<br />
aus Linz, verdiente PG (Parteigenossen)<br />
und Dominik F., lt. eigener Auskunft arischer Abstammung<br />
und verlässlich in völkischer Beziehung.<br />
53
Im zugehörigen Arisierungsakt 45 findet sich ein<br />
Aktenvermerk vom 25.10.1938 (siehe Abbildung 21)<br />
mit folgendem Inhalt: „Herr Dominik F. teilt mit, dass<br />
der Jude Elias Pollak, Untergaumberg, sein Geschäft<br />
liquidiert, den Gewerbeschein zurückgelegt und auch<br />
das Haus verkauft hat. Dr. Wintner sagt dazu, dass<br />
seinerzeit die Liquidation in kurzem Wege vom Juden<br />
selbst durchgeführt wurde. Ein Akt wurde nicht angelegt,<br />
da der Gewerbeschein zurückgelegt wurde.“<br />
Anfang November 1938 haben die Eheleute P. mit<br />
Theodor Neustadtl und Julie Sonn einen Kaufvertrag<br />
unterschriftsbereit aufgesetzt. „Die Juden reisten aber<br />
von Linz ab und wurden erst Mitte Februar in Wien<br />
ausfindig gemacht“, geben die P.s an. Die Abreise der<br />
beiden geschah offenbar aufgrund der Mitteilung von<br />
O. Stuf. Eichmann vom 17. November 1938 an den<br />
Amtsdirektor der Israelitischen Kultusgemeine, Josef<br />
Löwenherz 46 , dass die gesamte jüdische Einwohnerschaft<br />
von Linz spätestens in 10 Tagen, sofern sie bis<br />
zu diesem Termin nicht auswandern könne, nach<br />
Wien übersiedeln müsse. Es handelt sich um 200 -<br />
300 Köpfe, für welche Wohngelegenheit in Wien zur<br />
Verfügung gestellt werden müsse. Offenbar waren<br />
auch Julie Sonn und Theodor Neustadtl davon betroffen,<br />
im Akt sind Wiener Adressen enthalten.<br />
Der Kaufpreis RM 20.000.- wurde auf Grund einer<br />
Schätzung des gerichtlich beeideten Bausachverständigen<br />
BM Leopold Lang vereinbart. Im vorliegenden<br />
Kaufvertrag wurde angeführt, dass dieser Betrag<br />
von den Käufern zur Gänze ausbezahlt ist, so dass<br />
die Verkäufer ‚rechtsgiltig’ quittieren. Wie das tatsächlich<br />
gelaufen ist, zeigen die Rückstellungsakten.<br />
Die Verkäufer verpflichten sich im Kaufvertrag weiters,<br />
die verkaufte Liegenschaft bis längstens<br />
1. Dezember 1938 zu räumen. Das war aber wegen<br />
der erzwungenen Abreise nicht möglich.<br />
54<br />
Akt der Rückstellungskommission<br />
Irma Frankl ist eine geborene Neustadtl, nach dem<br />
Krieg in New York wohnhaft. Sie meldet Anspruch auf<br />
den Besitz der Fa. Elias Pollak, Inhaber Theodor<br />
Neustadtl und Julie Sonn an. 47<br />
Es geht um das Grundstück und Gebäude EZ 111,<br />
Landwied 5, KG Leonding, jetzt Waldegg 916, im<br />
Grundbuch als ursprünglich lediges Grundstück, die<br />
Scheiblwiese bezeichnet.<br />
„Theodor Neustadtl und seine Gattin Mathilde sind<br />
1938 nach Wien geflüchtet und im Jahre 1941 von<br />
dort - unbekannt wohin – deportiert worden. Über ihr<br />
Schicksal ist weiter nichts bekannt, … wahrscheinlich<br />
sind sie gestorben.“ So steht es im handschriftlichen<br />
Rückstellungsantrag von Frau Irma Frankl.<br />
Den Käufern wurde von der Verkehrsvermögensstelle<br />
1939 aufgetragen, den Kaufpreis auf ein gesperrtes<br />
Konto mit der Bezeichnung „Entjudungserlös“ zu einzuzahlen.<br />
48 Die Aussage aus dem Arisierungsakt,<br />
dass der Kaufpreis von den Käufern zur Gänze ausbezahlt<br />
ist mag zwar stimmen, aber die Verkäufer<br />
haben über das Geld nicht verfügen können.<br />
Dem Antrag bei der Rückstellungskommission wurde<br />
mit Erkenntnis vom 4. März 1948 entsprochen mit der<br />
Feststellung, dass der Kaufvertrag aus dem Jahr<br />
1938 nichtig und die Liegenschaft samt Zubehör und<br />
Inventar lastfrei zurückzustellen sei.<br />
Die Antragsgegner gaben an, dass Theodor Neustadtl,<br />
damals 70-jährig, im Haus eine Lumpensammlerei<br />
betrieb und von sich aus den Hausstand<br />
auflösen wollte. Franz P. stand schon seit 1926 mit<br />
Theodor Neustadtl in Geschäftsverbindung.<br />
Die Antragsteller bestritten die Absicht der Hausstandauflösung,<br />
Rohproduktenhandel war ja die<br />
Existenz von Theodor Neustadtl und Juliane Sara<br />
Sonn. Nicht Theodor Neustadtl ist aktiv geworden,<br />
sondern Herr P. kam oft in SA-Uniform zu Theodor<br />
Neustadtl und Julie Sonn. Er hat sich vorher – wie<br />
auch aus dem Arisierungsakt ersichtlich ist - beim<br />
Gauwirtschaftsberater Oskar Hinterleitner Rückhalt<br />
gesichert, der ihn und seine Frau als verdiente<br />
Parteigenossen bezeichnet hat.<br />
Die Rückstellung war deshalb schwierig, weil die<br />
neuen Besitzer die Liegenschaft in bedeutendem<br />
Maß umgestaltet hatten. Das Haus wurde teilweise<br />
völlig neu aufgebaut, Licht- und Wasserleitungen<br />
sowie Fußböden erneuert. Es kam daher am 6. November<br />
1959 zu einem Vergleich – 11 Jahre sind seit<br />
dem Rückstellungsantrag im Jahr 1948 vergangen:<br />
Die Liegenschaft blieb im Eigentum der Rückstellungsgegner<br />
Franz und Frieda P., sie zahlten aber<br />
an die Erben Irma Frankl, Max und Oskar Sonn, alle<br />
New York, eine Entschädigungssumme.<br />
Fall 7 – Dezember 1938: OÖ Glutinwerke<br />
Wegscheid<br />
Die OÖ Glutinwerke AG in Wegscheid war ein<br />
Industriebetrieb, der Grundstoff für die Leimindustrie<br />
herstellte. Auch hier wurden Leondinger Grundstücke<br />
entzogen. Vor der Rückstellungskommission kam es<br />
zu einem Vergleich. Der Erwerber verpflichtet sich,<br />
einige der entzogenen Parzellen sofort zurückzustellen,<br />
infolge wirtschaftlicher Umgestaltung sei die<br />
Rückstellung von einigen Parzellen jedoch untunlich<br />
gewesen, weshalb deren Rückstellung finanziell<br />
abgegolten wurde. 49<br />
In den Akten sind jedoch noch weitere Fälle zu finden,<br />
die zwar Liegenschaften der Glutinwerke in<br />
angrenzenden Katastralgemeinden betreffen, aber<br />
wegen allgemeiner Aussagen, wie die „Geschäfte“<br />
gelaufen sind, dennoch interessant sind:
Abb.21: Aktenvermerk aus dem „Arisierungsakt“ E. Pollak, OÖLA Arisierungen 21<br />
Die Anteilsrechte der OÖ Glutinwerke AG lagen in<br />
den Händen von Frau Chane (Anna) Kutscher. Sie<br />
gibt an, dass sie gezwungen wurde, da sie Jüdin war,<br />
ihre Anteile an die WTK zu verkaufen. 50 Der Konkursverwalter<br />
der Käuferfirma gibt später an, wie die<br />
„Arisierung“ des gesamten Paketes abgelaufen ist:<br />
„Am 15.12.1938 ist zunächst mündlich und am<br />
15.3.1939 schriftlich in Form eines Gedächtnisprotokolls<br />
das Aktienpaket der Frau Anna Chane<br />
Kutscher an den OÖ Glutinwerken … im Arisierungswege<br />
verkauft worden. … Kommanditist der<br />
Firma IHG war Oskar Hinterleitner. …“ 51<br />
Oskar Hinterleitner war der Gauwirtschaftsberater für<br />
den Gau Oberdonau. Von Oskar Hinterleitner sind<br />
mehrere ähnliche Verhaltensweisen aktenkundig. 52<br />
Frau Anna Kutscher kam zu ihrem Beinamen<br />
„Chane“, weil ab 1. Jänner 1939 alle Juden, die<br />
„arisch“ klingende Namen hatten, verpflichtet wurden,<br />
zur besseren Unterscheidung von Mitgliedern der<br />
Volksgemeinschaft jüdisch klingende Namen anzunehmen.<br />
Männer erhielten so meist den Beinamen<br />
„Israel“, Frauen den Beinamen „Sara“. Wenn man so<br />
einen Namen bekommen hatte, war es schwer, den<br />
wieder loszuwerden. So traf es manchen „Arier“, der<br />
das Pech hatte, einen jüdisch klingenden Namen zu<br />
haben. Später, ab 1. September 1941 wurde für<br />
Juden der Judenstern verpflichtend. 53<br />
55
Fall 8 – Jänner 1939:<br />
Wohnsiedlung für Flak-Offiziere<br />
Beim Besitzer des Antoni-Gutes 54 erschienen Vertreter<br />
der Luftwaffe mit dem Begehren einen Teil seines<br />
Grundes der Luftwaffe für die Errichtung einer<br />
Siedlung für Offiziere zu überlassen. Johann Wimmer<br />
befürchtete eine Enteignung und entschloss sich zum<br />
Verkauf. Ein Kaufvertrag auf Basis RM 2.- pro m≈<br />
wurde abgeschlossen. Da trat die Preisüberwachungsstelle<br />
auf und reduzierte den Preis auf RM 0,70<br />
pro m≈. Eine Beschwerde wäre erfolglos gewesen,<br />
gibt Johann Wimmer an.<br />
Johann Wimmer forderte im Rückstellungsantrag die<br />
Rückstellung der Grundstücke oder eine Entschädigung<br />
für die Preisminderung. Sein Begehren wurde<br />
in allen Instanzen bis zum Obersten Gerichtshof<br />
schließlich 1954 abgelehnt.<br />
Die Entziehung für Errichtung von Wohnungen und<br />
die Tätigkeit der Preisüberwachungsbehörde sei nicht<br />
charakteristisch für die NS-Zielsetzung gewesen. Im<br />
Zeitpunkt der Veräußerung hätten auch andere Heere<br />
ähnliche Fliegerabwehrabteilungen aufgestellt. Man<br />
hätte die angedrohte Enteignung abwarten sollen,<br />
denn in diesem Verfahren hätte man höhere<br />
Instanzen anrufen können. So argumentieren die<br />
Gerichte und die Höchstgerichte.<br />
Fall 9 – März 1939:<br />
Die Oehn’sche Waisenhaus-Kolonie-Stiftung<br />
Der Fall Oehn’sche Waisenhauskolonie 55 , Wirtschaftsgebäude,<br />
Äcker, Wiesen und Waldgrundstücke des<br />
ehemaligen Gutes Hart, wird gemeinsam mit dem<br />
Kath. Waisenhaus Linz behandelt. Beide Stiftungen<br />
wurden 1939 durch den „Stillhaltekommissar“ aufgelöst<br />
und der NS-Wohlfahrt zugewiesen. Von dieser<br />
erwarb sie die WohnungsAG der Hermann Göring<br />
Werke. Ein Teil davon ging 1940 an eine Familie<br />
56<br />
Frank im Tauschvertrag für entzogene Güter in<br />
Hinterstoder. Ein Vergleich vor der Rückstellungskommission<br />
ergab eine Rückstellung an die r. k.<br />
Kirche durch die WohnungsAG und die Erbengemeinschaft<br />
Frank.<br />
Fall 10 – Oktober 1939:<br />
Flak-Stellungen in Kleinmünchen<br />
Frau Marie Kirchmayr war eine Bäuerin in Hart Nr. 1<br />
und besaß Grundstücke in der KG Kleinmünchen, die<br />
ihr für den geplanten Bau von Flak-Kasernen Wegscheid<br />
durch Kauf entzogen wurden, 56 die Kasernen<br />
wurden aber nie gebaut.<br />
Der Vermögensentzug ist von der Rückstellungskommission<br />
und Oberlandesgericht für nichtig erklärt worden.<br />
Das Oberlandesgericht erklärt dazu, dass die<br />
Anlage in einer Größe errichtet werden sollte, wie<br />
dies in einem unabhängig gebliebenen Österreich nie<br />
geschehen wäre.<br />
Fall 11 – November 1939:<br />
Eisenwerke gegen Obermayer<br />
Franz Steinbruckner-Obermayer – er hatte seinen<br />
Namen auf Franz Obermayer geändert –, der im Falle<br />
der Familie Weiss schon eine große Rolle gespielt<br />
hat, ist auch selbst Opfer eines Vermögensentzuges<br />
geworden. Auf seinen Grundstücken sind rund 50<br />
Siedlungshäuser errichtet worden, durchwegs für<br />
Personen bestimmt, die ihre früheren Siedlungshäuser<br />
infolge der Errichtung der Hermann Göring<br />
Werke verloren hatten. Ein Teil davon waren jene<br />
Grundstücke, deren andere Hälfte Leo Weiss von der<br />
Gestapo im Zuge der „Arisierung“ entzogen worden<br />
waren. 57 Die Enteignung Obermayers erfolgte aber<br />
auf Grund des Gesetzes für Landbeschaffung für die<br />
Zwecke der Wehrmacht.<br />
Die Antragsgegner 58 ergänzen die Darstellung mit<br />
dem Hinweis, dass die Grundstücke Franz Obermayer<br />
total überschuldet waren. Dies machte den<br />
Abschluss eines Kaufvertrages unmöglich und es<br />
kam zu einem Enteignungsverfahren, das unter<br />
Wahrung der gesetzlichen Vorschriften durchgeführt<br />
wurde. Vor der Rückstellungskommission kam es bei<br />
der Verhandlung am 18.11.1953 zu einem Vergleich.<br />
Obermayer jun., der Erbe, erhält zum Ausgleich aller<br />
Forderungen eine Entschädigung.<br />
Fall 12 – Dezember 1939:<br />
Gewerkschaftsgrund<br />
Der Restitutionsfonds der freien Gewerkschaften forderte<br />
die Rückstellung von Grundstücken in der KG<br />
Leonding 59 , die ihm von der Vermögensverwaltung<br />
der Deutschen Arbeitsfront in Berlin-Wilmersdorf mit<br />
Kaufvertrag im Dezember 1939 entzogen worden<br />
war. Diese Grundstücke sind später in das Eigentum<br />
der Wohnungsaktiengesellschaft Linz übergegangen.<br />
In den Akten ist ein Vergleich vom 19. Juni 1952 enthalten.<br />
Die Geschädigten werden durch eine Zahlung<br />
entschädigt. 60 Die Grundstücke waren den Gewerkschaftern<br />
auch schon vor 1938 von den Machthabern<br />
des Ständestaates entzogen worden.<br />
Fall 13 – April 1940:<br />
Eisenwerke gegen Kirche<br />
Dieser Fall ist typisch für die Vermögensentziehungen<br />
in der NS-Zeit, die durch den Bau Hermann Göring<br />
Werke verursacht wurden und bei denen entzogenes<br />
Vermögen durch anderswo entzogenes Vermögen<br />
ersetzt wurde.<br />
Am 3. März 1941 wurden der Elisabeth Umenberger<br />
das Wohn- und Wirtschaftsgebäude des ehemaligen<br />
„Lehnergutes“ in Haag bei Leonding Nr. 2 und 7 eingezogen.<br />
61 Haus und Grund wurden getrennt, das
Haus wurde an Firma Best verkauft, der Grund wurde<br />
für den Ausbau der Käferfeld- und Ödtsiedlung verwendet.<br />
Der „reichsdeutschen“ Firma Best, einem<br />
Abbruchunternehmen, wurde 1941 ein großen Lagerplatz<br />
in der Nähe der Posseltbrücke in Linz entzogen.<br />
Dafür erwarb sie – zu einem angemessenen<br />
Preis – den Wirtschaftstrakt des Lehnergutes und<br />
baute ihn zu einem Bauhof und Unterbringungsmöglichkeiten<br />
für ihre Angestellten um. Elisabeth<br />
Umenberger erhielt als Gegenleistung das<br />
„Zehetnergut“ in Alkoven Nr. 4, das der zur r. k.<br />
Kirche gehörigen Erziehungsanstalt „Zum Guten<br />
Hirten“ entzogen worden war.<br />
Die Hermann Göring Werke haben auf dem Grund<br />
des Lehnergutes keinerlei Siedlungsbauten errichtet,<br />
rechneten die Flächen jedoch zu Ausbauflächen.<br />
Die aufgehobene Anstalt „Zum Guten Hirten“ hatte<br />
keine Rechtspersönlichkeit mehr. Nach dem Krieg forderte<br />
daher die Kirche die Liegenschaften „Zum<br />
Guten Hirten“ von Frau Umenberger zurück und Frau<br />
Umenberger ihr „Lehnergut“ von der Firma Best und<br />
der Wohnungsaktiengesellschaft der Reichswerke<br />
Hermann Göring. Es kam schlussendlich zu einem<br />
Vergleich: Zum Ausgleich für das „Zehetnergut“ in<br />
Alkoven zahlt die Wohnungsaktiengesellschaft Linz<br />
an die Diözese Linz, zum Ausgleich der Erträgnisse<br />
des „Zehetnergutes“ zahlt Frau Umenberger an die<br />
Diözese, Die Diözese verzichtet auf die Rückstellung<br />
des „Zehetnergutes“, Frau Umenberger verzichtet auf<br />
alle Ansprüche gegenüber derFirma Best und der<br />
Wohnungsaktiengesellschaft Linz. In diesem Akt ist<br />
auch eine Anfrage um Genehmigung zur Durchführung<br />
des Verfahrens an die Besatzungsbehörde<br />
enthalten. Die Besatzungsbehörde hat meist genehmigt.<br />
Fall 14 – Feb. 1941:<br />
Eisenwerke gegen Dr. Max Mayr<br />
Dr. Max Mayr jun. hat bei einer Zwangsversteigerung<br />
des Bezirksgerichtes Linz im Jahr 1937 die Hälfte<br />
einer Liegenschaft der KG Leonding meistbietend<br />
erworben. 62 Er war der langjährige Anwalt von Franz<br />
Obermayer, der bei dieser Versteigerung des Hälfteeigentums<br />
verlustig ging. Die andere Hälfte war im<br />
Eigentum des Leo Weiss, dessen Hälfte der „Arisierung“<br />
zum Opfer gefallen war. Die Hälfte des Dr.<br />
Max Mayr jun. wurde ebenfalls enteignet und zwar<br />
nach den Bestimmungen des Landbeschaffungsgesetzes.<br />
Eine Entschädigung habe er nie erhalten,<br />
gibt er an. Die Antragsgegner ergänzen, dass mit Dr.<br />
Max Mayer keine gütliche Einigung zustande kam<br />
und deshalb eine Enteignung durchgeführt wurde.<br />
Außerdem war Dr. Max Mayr jun. als Hauptmann der<br />
Wehrmacht unabkömmlich.<br />
Dr. Max Mayr jun. ist am 12. Jänner 1945 verstorben.<br />
Seine Erben schlossen im Jänner 1952 vor der Rückstellungskommission<br />
einen Vergleich. Zur Befriedigung<br />
aller Ansprüche aus Inanspruchnahme der<br />
Grundstücke und Enteignung zahlten die Antragsgegner<br />
an die Erben eine Entschädigungssumme.<br />
Fall 15 – Nov. 1941:<br />
Eisenwerke vergeben Ziegelei Gaumberg 1<br />
Untersmayr Johanna war Alleineigentümerin des<br />
Erbhofes „Nussbeckengut Nr. 5, 6 und 7“. Auch sie<br />
war von Enteignung zweifach betroffen. Zunächst<br />
wurde ihr auf Grund des Gesetzes über die Landbeschaffung<br />
für die Zwecke der Wehrmacht im November<br />
1941 Grund entzogen und den Hermann Göring<br />
Werken einverleibt worden. Sie erhielt nur eine teilweise<br />
Entschädigung durch Ersatzgrundstücke und die<br />
stammten aus dem „arisierten“ Besitz von Familie<br />
Weiss, Gründe der Ziegelei Gaumberg. Die<br />
Rückstellungskommission stellte fest 63 , dass die<br />
Antragsgegner die Übergabe gleichwertiger Ersatzgrundstücke<br />
noch nicht erfüllt habe, aber die Sachlage<br />
stellt keinen Anspruch auf Rückstellung nach<br />
dem Rückstellungsgesetz her. Der Rückstellungsanspruch<br />
wird daher abgewiesen. Bas Bundesministerium<br />
für Inneres sei zuständig. Dieses Verfahren<br />
wird nicht weiter verfolgt.<br />
Nach 1945 musste Johanna Untersmayr bzw. ihre<br />
Nachkommen das erhaltene Ersatzgrundstück an<br />
Familie Weiss zurückstellen. Damit entstand ein Regressanspruch<br />
an die Wohnungsaktiengesellschaft.<br />
Vor der Rückstellungskommission kam es zu einem<br />
Vergleich 64 : Sohn und Schwiegertochter erhielten<br />
Ersatzgrundstücke in den KG Waldegg und Leonding.<br />
Fall 16 – 1943:<br />
Eisenwerke vergeben Ziegelei Gaumberg 2<br />
Lepschy Theresia sen. und jun. waren ebenfalls zweifach<br />
in NS-Vermögensentziehungen verwickelt. Deshalb<br />
sind ihre Akten auch an zwei Stellen zu finden,<br />
im Akt Lepschy - Weiss 65 und im Akt Lepschy -<br />
VÖEST 66<br />
Theresia Lepschy sen. hat Haus und Grund in St.<br />
Peter besessen. Dieses Grundstück habe sie 1939<br />
an die Reichswerke Hermann Göring verkauft, als<br />
Ersatzgrundstück Haag Nr. 17 erhalten. Das stammte<br />
aus dem „arisierten“ Besitz von Familie Weiss. Auf<br />
das Haus Haag Nr. 17 lautete der Gewerbeschein der<br />
Firma J. Weiss & Co, Handel mit Baumaterialien.<br />
Nach Ende der NS-Herrschaft kam es vor der Rückstellungskommission<br />
zu einem Vergleich 67 , so dass<br />
die Weiss’sche Liegenschaft von Lepschy jun. an die<br />
Erben Weiss zurückzustellen sei. Dadurch entstand<br />
ein Rekursanspruch gegen die Hermann Göring<br />
57
Werke bzw. deren Rechtsnachfolger, die Vereinigten<br />
Österreichischen Eisen- und Stahlwerke, die VÖEST.<br />
Die Rückstellungskommission weist die Anträge von<br />
Frau Lepschy zurück. Frau Lepschy zieht aber später<br />
ihre Beschwerde gegen die Zurückweisung zurück. 68<br />
Es scheint, dass man sich außergerichtlich geeinigt<br />
hat.<br />
Interessant sind die Argumente der Rückweisung:<br />
Zunächst wird angeführt, dass die enteigneten<br />
Liegenschaften in St. Peter kein Erbhof seien, es<br />
habe daher keine Verpflichtung für die Beistellung<br />
von Ersatzgrundstücke bestanden, die nur Erbhöfen<br />
zustand. Weiters sei die Errichtung des Hüttenwerkes<br />
zu rein friedlichen Zwecken erfolgt. Die Planung<br />
wurde vom anlgo-amerikanischen Büro Brassert<br />
durchgeführt, an der Planung waren unter den 100<br />
Ingenieuren 20 Engländer und Amerikaner beteiligt.<br />
Das Werk sei in einem Vierjahresplan enthalten<br />
gewesen, der darauf abzielte, die Devisennot durch<br />
Ausnutzung der deutschen Bodenschätze zu beheben<br />
und die Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Da die<br />
Werke keinen Österreichischen Betrieb verdrängt<br />
haben, muss daraus geschlossen werden, dass ihre<br />
Gründung im Zuge der wirtschaftlichen Erschließung<br />
Österreichs, nicht aber im Zuge der wirtschaftlichen<br />
Durchdringung Österreichs durch das Deutsche<br />
Reich erfolgt ist. Die Errichtung der Hütte Linz gehe<br />
auf eine Planung der Österreichischen Alpine Montan<br />
AG aus dem Jahre 1920 bis 1922 zurück. Planung<br />
und Ausrüstung sei rein friedensmäßig gewesen.<br />
Dazu ist zu bemerken, dass diese Argumentation –<br />
wenn überhaupt - nur auf Hütte- und Stahlwerk bezogen<br />
werden kann. Unabhängig von diesen Werksteilen<br />
wurden die Eisenwerke Oberdonau errichtet,<br />
die ein reines Rüstungswerk waren und der Wehrmacht<br />
unterstanden. Tatsächlich wurden auf dem<br />
58<br />
Gelände der heutigen VÖEST damals mehrere unabhängige<br />
Firmen errichtet. Durch die Zusammenfassung<br />
dieser Firmen ist auch der Name Vereinigte<br />
Österreichische Eisen- und Stahlwerke VÖEST entstanden.<br />
Fall 17 – Februar 1945:<br />
Das Pferd eines Volksdeutschen<br />
Es ging um ein Pferd namens Nonius, Stute, braun,<br />
die im Frühjahr 1945 ungefähr 2 Jahre alt war. Lt.<br />
Rückstellungsansuchen handelte es sich um eine<br />
widerrechtliche Entziehung durch eine Maßnahme<br />
der Kreisbauernschaft. 69<br />
Ludwig Pfaff war Volksdeutscher, der im Herbst 1944<br />
durch die deutsche Wehrmacht aus seiner Heimat<br />
Jugoslawien evakuiert worden war. Er zog mit dem<br />
aus, was auf einen Pferdewagen passte. Im Februar<br />
1945 übergab er Ferdinand Aigner die damals noch<br />
nicht ganz 2 Jahre alte Stute Nonius zur Pflege. Es<br />
war nämlich eine Anordnung ergangen, dass die<br />
Pferde von Volksdeutschen für die Arbeit in der<br />
Landwirtschaft zur Verfügung gestellt werden sollten.<br />
Dazu erklärte er sich bereit, weigerte sich aber, sein<br />
Pferd zu verkaufen.<br />
Als er im Jahr 1949 die Rückgabe seines Pferdes forderte,<br />
behauptete Ferdinand Aigner, die Stute gegen<br />
RM 600.- gekauft zu haben. Auf Anordnung der NS-<br />
Dienststellen wurden sog. „Verkäufe“ unter Zwang<br />
abgeschlossen und hierüber „Schlussscheine“ ausgefertigt.<br />
Bei der zwischenzeitlich liquidierten Volksdeutschen<br />
Mittelstelle wurde tatsächlich ein Betrag<br />
von RM 600.- für die Stute aufgefunden: „Ein<br />
Schlussschein liegt nicht vor, Geld hat er nie gesehen“,<br />
sagt Pfaff. Am 1. Dezember 1950 kam es zu<br />
einem Vergleich. Die Antragsgegner stellen die nun-<br />
mehr 7 Jahre alte Stute Nonius zurück und bezahlen<br />
einen Entschädigungsbetrag.<br />
Fall 18:<br />
Militärische Anlagen<br />
Als militärische Anlagen tauchen in den Rückstellungsakten<br />
die Türme IX und XIII 70 , der Schießplatz<br />
Alharting 71 und das ehemalige Munitionslager Hart<br />
34l 72 auf.<br />
Die Türme und die militärischen Anlagen waren seit<br />
dem Jahr 1929 auf Basis des Staatsvertrages von St.<br />
Germain aus dem Jahr 1919 im Eigentum des Österreichischen<br />
Bundesschatzes, 1942 wurden sie auf<br />
Grund des Ostmarkgesetzes dem Deutschen Reich,<br />
Reichsfiskus (Heer) einverleibt. Nach Ende der NS-<br />
Herrschaft fielen die Liegenschaften am 29. Mai 1945<br />
an die Amerikanische Besatzungsmacht. Im Jahr<br />
1947 wurde die Liegenschaft der Bundesgebäudeverwaltung<br />
einverleibt. 73<br />
In den Sitzungsprotokollen des Gemeindeausschusses<br />
der Gemeinde Leonding taucht noch ein<br />
weiterer Akt von „Arisierung“ auf. Dort kann man<br />
lesen: „Franz E., Kaufmann in Leonding, sollte im<br />
Jahre 1939 auf nicht ganz reine Art (Arisierung) das<br />
Kaufgeschäft … von Leopold Scheiblhofer erworben<br />
haben. Der Gemeindeausschuss kündigt noch weitere<br />
Erhebungen an.“ 74 Wie der Fall ausgegangen ist,<br />
wird nicht weiter verfolgt.<br />
Die wechselvolle Vorgeschichte dazu findet sich in<br />
einem Schreiben der NS-Gauvermittlungsstelle an die<br />
Landesfinanzdirektion Linz vom 1.9.1938. 75<br />
Scheiblhofer besaß neben seinem Gemischtwarengeschäft<br />
eine Tabaktrafik. Die wurde schon vor der<br />
Zeit des Ständestaates entzogen, später aber über<br />
Befürwortung der Vaterländischen Front wieder verlie-
hen. Scheiblhofer war Sozialdemokrat und dann<br />
Christlichsozialer und wird als Günstling des Ständestaates<br />
bezeichnet. „Sein Geschäft sei das einzige im<br />
Orte Leonding neben der Kirche und sei alleiniger<br />
Nutznießer des durch den Umbruch nun einsetzenden<br />
Friedhofbesuches in Leonding geworden. Er<br />
stehe heute noch als einer der wenigen des Ortes der<br />
nationalsozialistischen Gesinnung abseits und schickt<br />
seine Kinder nicht einmal in deren Gliederungen. Es<br />
sei nicht angängig und der Würde des Ortes, als<br />
Wallfahrtsort des deutschen Volkes, entsprechend,<br />
dass Scheibelhofer Johann dort Inhaber der Tabaktrafik<br />
ist. Ich beantrage daher den sofortigen Entzug<br />
der Tabaktrafik.“ Das war also keine „Arisierung“, sondern<br />
der Entzug einer Geschäftslizenz aus politischen<br />
Gründen.<br />
2. BEURTEILUNG AUS DER SICHT<br />
VON RECHT UND GESETZ<br />
In den im ersten Kapitel dargestellten Fällen von Vermögensentziehungen<br />
durch NS-Machthaber in Leonding<br />
traten Vermögensentzieher und Opfer der Vermögensentziehung,<br />
Rückstellungswerber, Rückstellungsgegner,<br />
Ämter, Behörden und Gerichte aus<br />
der Zeit der Vermögensentziehung und der Rückstellungsverhandlungen<br />
auf. Deren Tätigkeit und Verhalten<br />
soll nun im zweiten Kapitel eine Beurteilung<br />
aus der Sicht von heute und von Recht und Gesetz<br />
angeschlossen werden.<br />
Die Vermögensentziehungen<br />
Nach dem „Anschluss“ war in Österreich ein „rechtsund<br />
ordnungsverdünnter Raum“ entstanden, in dem<br />
„wilde Arisierungen“ und massive, rechtlich nicht<br />
gedeckte „Arisierungen“ stattfanden. 76 Die zentralen<br />
Behörden versuchten, die Vorgänge in den Griff zu<br />
bekommen. Der Beweggrund für diese Vorgangsweise<br />
der zentralen Behörden war aber, die entzogenen<br />
Vermögen dem schon 1938 schwer verschuldeten<br />
Reich zukommen zu lassen – und zwar zu einem<br />
möglichst großen Betrag. Diese Aktionen waren nur<br />
zum Teil erfolgreich. Zwar wurden Gesetze und<br />
Vorschriften erlassen, an die sich die Akteure der<br />
Vermögensentziehungen zu halten hatten, aber die<br />
eigenwilligen Aktionen von Einzelbehörden und sogar<br />
Einzelpersonen gingen munter weiter.<br />
Hiier zeigt sich eine Eigenschaft des Reiches, die<br />
auch auf anderen Gebieten zu beobachten ist. Im<br />
„Führerstaat“, als der sich das Deutsche Reich nach<br />
außen gerne zeigte, regierten tatsächlich viele Einzelinteressen,<br />
die oft zueinander in Konkurrenz standen,<br />
sich auszuspielen versuchten, sich die Probleme<br />
zuschanzten, um ihre Macht kämpften, sich gegenseitig<br />
blockierten. Es bildete sich eine „polykratische“<br />
Herrschaftsstruktur. Das Reich war kein monolithischer<br />
Block, keine straffe Hierarchie mit klaren Überund<br />
Unterordnungsverhältnissen zwischen Befehlshabern<br />
und Befehlsempfängern. 77<br />
Beurteilung der Leondinger Vermögensentziehungen<br />
Im Fall Pfarre Leonding (Darstellung der Fälle - Fall 1)<br />
wird eine typische illegale Maßnahme der lokalen Akteure<br />
der neuen Machthaber der ersten Stunde beschrieben.<br />
Die HJ hatte kein Recht, Beschlagnahmen<br />
durchzuführen. Eine vertragliche Regelung durch<br />
Mietvertrag oder Kauf folgte erst Monate bzw. Jahre<br />
später.<br />
Die Sängerrunde Gaumberg wurde von der NSDAP<br />
Ortsgruppe Gaumberg aufgelöst (Darstellung der<br />
Fälle - Fall 4). Auch diese Aktion ist typisch für die<br />
Maßnahmen der ersten Stunde. Gesangsvereine wurden<br />
später von den NS-Behörden im Allgemeinen<br />
nicht aufgelöst. Sie wurden bei der Vereinsauflösung<br />
durch die dafür zuständige Behörde „Stillhaltekommissar“<br />
meist freigestellt und in den Deutschen<br />
Sängerbund eingewiesen. 78 Die in der Niederschrift<br />
angegebene Vermutung der Rückstellungswerber,<br />
dass der Grund für die Beschlagnahme die politische<br />
Haltung der meisten Vereinsmitglieder gewesen wäre,<br />
die sich offenbar in einer Gegnerschaft zum NS-<br />
Regime äußerte, erscheint daher begründet.<br />
„Arisierungen“<br />
Die Wortneubildung „Arisierung“ wurde gleichbedeutend<br />
mit dem Begriff „Entjudung“ gebraucht. Der<br />
Begriff „entjuden“ wurde schon früher im Sinn von<br />
„sich assimilieren“, später „sich vom jüdischen Einfluss<br />
freimachen“ verwendet. Beide Begriffe „Arisierung“<br />
und „Entjudung“ hatten zunächst die Bedeutung<br />
der Verdrängung der Juden aus dem Berufsund<br />
Wirtschaftsleben, Ausschluss der Juden aus<br />
Verbänden, Organisationen, Vereinen. Eine spezielle<br />
Bedeutung erhielten die Begriffe als Überführung jüdischen<br />
Eigentums in „arische“ Hände und Zwangsverkauf<br />
zu Niedrigpreisen oder entschädigungslose<br />
Enteignung jüdischen Eigentums. Alle diese<br />
Bedeutungen der Begriffe sind schrittweise durch<br />
Gesetze oder Maßnahmen des NS-Staates entstanden.<br />
Der Begriff „Entjudung“ hat später durch die<br />
Deportation und Ermordung der Juden eine zusätzliche<br />
Bedeutung erhalten. 79<br />
Unter den Leondinger Fällen sind drei Vermögensentziehungen<br />
enthalten, die man als „Arisierungen“<br />
bezeichnen kann. Im Fall Weiss (Darstellung der<br />
Fälle - Fall 2) wird das Vermögen am 26. April 1938<br />
durch eine Verfügung der Geheimen Staatspolizei<br />
(Gestapo), Staatspolizeistelle Linz entzogen. Obwohl<br />
diese Verfügung von einer Behörde, der Gestapo,<br />
59
erstellt wurde, muss sie zum damaligen Zeitpunkt als<br />
illegal eingestuft werden, da einschlägige Gesetze<br />
nicht existierten. 80<br />
Der Fall bekommt allgemeines Interesse und wurde<br />
von einer Medienkampagne in der NS-orientierten<br />
Presse begleitet. Die angesehene Kaufmannsfamilie<br />
wird zum Hassobjekt gemacht, ihr geschäftlicher<br />
Erfolg – selbst die Rückstellungsgener des späteren<br />
Rückstellungsverfahren müssen die Weiss als tüchtige<br />
Geschäftsleute anerkennen 81 - geneidet. Die NS-<br />
Machthaber sind mit den enteigneten Vermögen auf<br />
Eigennutz bedacht umgegangen. Die Ziegelei Gaumberg<br />
wurde einem Konkursverfahren unterworfen und<br />
stillgelegt. Man behauptete Überschuldung. Im Rückstellungsverfahren<br />
werden die ehemaligen Eigner<br />
behaupten, dass die Bilanz passiv gemacht wurde,<br />
indem die ausstehenden Forderungen nicht richtig<br />
bewertet wurden. Ein weiteres Mittel, Firmenbilanzen<br />
zu verschlechtern, waren die Steuern und Abgaben,<br />
die Juden auferlegt wurden.<br />
Die Entziehung der Anteilsrechte der jüdischen Besitzer<br />
an den OÖ Glutinwerken (Darstellung der<br />
Fälle - Fall 7) im Dezember 1938 erfolgte völlig ungesetzlich<br />
nur mündlich. Im März 1939 erst wurde ein<br />
Gedächtnisprotokoll dieses Gesprächs angefertigt.<br />
Der Gauwirtschaftsbeauftragte Oskar Hinterleitner<br />
befindet sich unter den Nutznießern dieser Aktion. Er<br />
scheint als Kommanditist jener Firma auf, in die die<br />
Anteilsrechte der OÖ Glutinwerke AG übertragen wurden.<br />
Auch in diesem Fall wird eine Liquidation einer<br />
Firma eingeleitet und mit Überschuldung begründet.<br />
Auch hier lässt sich die Methode der NS-Akteure<br />
nachweisen, die Überschuldung im Zuge der Auftragsabwicklung<br />
herbeizuführen.<br />
60<br />
Der Fall Elias Pollak (Darstellung der Fälle - Fall 6)<br />
geht unspektakulär als „stille“ Arisierung über die<br />
Bühne. Die Firmeninhaber hätten das Gewerbe stillgelegt<br />
und die Gründe verkauft, wird behauptet. Es<br />
ist nicht einmal ein richtiger Akt angelegt worden. Nur<br />
ein Aktenvermerk anlässlich der Anfrage eines Dritten<br />
gibt uns Auskunft.<br />
Charakteristisch für alle diese Geschäfte ist auch,<br />
dass die Enteigneten Geld nicht zu Gesicht bekommen<br />
haben. Verkaufserlöse mussten auf gesperrte<br />
Konten mit der Bezeichnung „Entjudungserlös“ eingezahlt<br />
werden Im Fall 6, Elias Pollak, ist diese Vorgangsweise<br />
explizit im Akt angeführt.<br />
Den jüdischen Bürgern wurden besondere Steuern<br />
aufgebürdet. Beim Verlassen des Deutschen Reiches<br />
z. B. war eine sog. Reichsfluchtsteuer fällig. Der<br />
Reichsfluchtsteuerbescheid für Leo und Karoline<br />
Weiss (Darstellung der Fälle - Fall 2) vom 4. Mai<br />
1939 ist in den NS-Akten erhalten. 82 Die Steuer<br />
betrug 25 % des von den Behörden geschätzten<br />
Vermögens. Das war eine Steuer, die schon vor der<br />
NS-Machtergreifung in Deutschland durch die Regierung<br />
Brüning eingeführt worden war, um die Kapitalflucht<br />
der damaligen Zeit einzudämmen. In der<br />
NS-Zeit erhielt diese Steuer eine neue Bedeutung,<br />
als die jüdischen Bürger Deutschland aus verständlichen<br />
Gründen scharenweise verließen. Die Steuer<br />
überlebte das NS-Regime in Deutschland bis 1953. 83<br />
Eine weitere Steuer, die jüdische Bürger belastete,<br />
war die Judenvermögensabgabe (JUVA). Am 12.<br />
November 1938, also unmittelbar nach der so genannten<br />
Reichskristallnacht, wurde vom Beauftragten<br />
für den Vierjahresplan, Hermann Göring, die Verordnung<br />
über eine Sühneleistung der Juden deutscher<br />
Staatsangehörigkeit erlassen. 84 Damit wurde den<br />
Juden deutscher Staatsangehörigkeit in ihrer Gesamtheit<br />
„… die Zahlung der Kontribution von<br />
1000 000 000 Reichsmark an das Deutsche Reich<br />
auferlegt.“ 85<br />
Bei der Abwicklung der Arisierung der OÖ Glutinwerke<br />
(Darstellung der Fälle - Fall 7) wurde eine<br />
Arisierungsabgabe vorgeschrieben, mit dem erklärten<br />
Ziel der Abwickler, dass ein möglichst hoher Abwicklungsverlust<br />
herauskommt.<br />
Die Rechtssprechung der Österreichischen Gerichte<br />
stufte übrigens nach dem Krieg die Fälle, in denen<br />
eine Arisierungsabgabe vorgeschrieben wurde, als<br />
missbräuchliche Bereicherung nach § 6 des Kriegsverbrechergesetztes<br />
ein. 86<br />
Die beiden den jüdischen Bürgern auferlegten Steuern,<br />
Reichsfluchtsteuer und JUVA brachten in der<br />
Ostmark je einen dreistelligen Betrag an Millionen<br />
Reichsmark ein. Allein im Raum Linz wurden vom<br />
dafür zuständigen Oberfinanzpräsidenten Linz RM<br />
900.000.- an JUVA eingehoben. 87<br />
Ein Korrespondent der „New York Times“ berichtet<br />
damals aus Österreich 88 : Eines wird nun klar: „Während<br />
in Deutschland die ersten Opfer der Nazis die<br />
Linksparteien waren – Sozialisten und Kommunisten -,<br />
sind es in Wien die Juden. In 14 Tagen ist es gelungen,<br />
die Juden einem unendlich härteren Regime<br />
zu unterwerfen, als es in Deutschland in einem Jahr<br />
erreicht wurde.“<br />
So bildete Österreich eine Vorreiterrolle, war ein<br />
Modellversuch, ein Experimentierfeld der „Arisierung“.<br />
89 Im Raum Linz brachten der Neubau der<br />
Nibelungenbrücke und der Bau der Hermann-Göring-<br />
Werke die Begründung für besonders aggressives<br />
Vorgehen der „Arisierer“ und Vermögensentzieher. 90<br />
In Oberösterreich wurden bereits vor 1938 konkrete
Maßnahmen zur Verdrängung der Juden aus der<br />
Wirtschaft gesetzt, die über das sonst in Österreich<br />
übliche Maß hinausgingen. Aus einem Gauakt vom<br />
24. Mai 1938 geht z. B. hervor, dass in Oberösterreich<br />
bereits 1936 und 1937 aus amtlichen Karteien<br />
eine fast vollständige „Judenkartei“ erstellt wurde,<br />
was die Vorbereitung zur Volksabstimmung sehr<br />
erleichterte. 91<br />
Vereine – Kirche - Gewerkschaften<br />
Die politischen Gegner, bestehende Vereine und<br />
besonders die kirchlichen Organisationen wurden<br />
auch in Österreich bald einer Behandlung zugeführt.<br />
Das Werkzeug dazu war das Amt des Stillhaltekommissars.<br />
Von den Leondinger Fällen waren die<br />
Oehn’sche Waisenhauskolonie Stiftung (Darstellung<br />
der Fälle - Fall 9) und die Stiftung zur r. k. Kirche<br />
gehörigen Erziehungsanstalt „Zum Guten Hirten“ in<br />
Alkoven (Darstellung der Fälle - Fall 13) sowie der<br />
Grund der Union der Textilarbeiter Österreichs, einer<br />
Gewerkschaftsorganisation, betroffen.<br />
Die katholische Kirche einigte sich mit dem Stillhaltekommissar,<br />
katholische Vereine in einer zentralen<br />
Stelle bei der Diözese selbst aufzulösen. Dafür bürgerte<br />
sich der Begriff „Selbstliquidation“ ein. Der<br />
Bischof von Linz ernannte einen Liquidator. Es war<br />
Franz Vieböck, ein junger Kleriker. Mit dieser Vorgangsweise<br />
erreichte man, dass das Ziel des Stillhaltekommissars,<br />
durch die Auflösung von Vereinen<br />
Mittel zu requirieren, nicht erreicht werden konnte,<br />
wenn sich die katholischen Vereine selbst liquidieren.<br />
Die kirchlichen Zentralstellen werteten die Vereinsauflösungen<br />
als Freigabe von Vorfeldorganisationen,<br />
die die Kirche zwang, sich auf ihren Kern zurückzuführen.<br />
Das bedeute eine Stärkung der Kleriker.<br />
Andere interpretieren die kirchliche Bereitschaft, ihre<br />
wohl organisierten Vorfeldorganisationen aufzugeben<br />
als beispiellose Demutsgeste der Akkomodation, in<br />
Österreich eine positive Wende im Verhältnis von<br />
Kirche und NS-Staatsapparat herbeizuführen. 92<br />
Wenn man die Eintragungen des Pfarrers von<br />
Leonding in seiner Pfarrchronik zu diesem Thema<br />
untersucht, erhält man den Eindruck, dass der<br />
Wunsch der kirchlichen Zentralstellen nach Stärkung<br />
der pastoralen Wirkung kein voller Erfolg beschieden<br />
war. Der Herr Pfarrer beklagt mehrfach den Rückgang<br />
kirchlichen Lebens. Seine Arbeit wird zunächst<br />
beeinträchtigt vom Bearbeiten von Matrikendokumenten<br />
für Arier-Nachweise, später gilt es die Kirchenbeiträge<br />
einzuheben, was aber wieder zu unverhofften<br />
Kontakt mit den Gläubigen führt. 93<br />
NS-Grundbeschaffung<br />
In der Folge trat Grundbedarf für militärische Einrichtungen<br />
auf. Rund um Linz wurden Flak-Stellungen<br />
gebaut. Es waren Geleise zu Flak-Hallen in Wegscheid<br />
(Darstellung der Fälle - Fall 5), Wohnsiedlungen<br />
für Flak-Offiziere in Haag (Darstellung<br />
der Fälle - Fall 8) oder Flak-Stellungen in Kleinmünchen<br />
(Darstellung der Fälle - Fall 10). Besonders<br />
bedeutend für den Raum Leonding wird der<br />
Raumbedarf, der für die Errichtung der Reichswerke<br />
Hermann Göring in den Linzer Ortschaften St. Peter<br />
und Zizlau entsteht. Betroffen sind „arisierter“ Grund<br />
(Darstellung der Fälle - Fall 2) als Tauschobjekt für<br />
dort entzogene Grundstücke und Liegenschaften im<br />
Raum Keferfeld, der damals zu Leonding gehörte, wo<br />
ja für den Großteil der Abgesiedelten neue Siedlungshäuser<br />
errichtet wurden.<br />
Sonst<br />
Eine Anordnung, dass Volksdeutsche ihre Pferde der<br />
Landwirtschaft zur Verfügung zu stellen haben zu-<br />
sammen mit sog. „Käufen“, bei denen der eigentliche<br />
Eigner kein Geld zu Gesicht bekam, brachte Ludwig<br />
Pfaff (Darstellung der Fälle - Fall 17) beinahe um<br />
sein Pferd. Auch dieser Fall wurde von der Rückstellungskommission<br />
behandelt. Dieser Fall, hier<br />
unter „Sonst“ behandelt, verdient noch einen besonderen<br />
Hinweis. Der Betroffene ist ein Volksdeutscher<br />
aus dem Raum Jugoslawien. Der mit allem was er<br />
auf einen Pferdewagen laden konnte umgesiedelt<br />
wurde. So steht es in seinem Rückstellungsantrag. 94<br />
Die deutschen Bewohner dieser Gebiete kamen in<br />
eine Zwangslage zwischen der slawischen Bevölkerung<br />
und den deutschen Besatzern. Im Jahr 1944<br />
kam es zu großen Aussiedlungsaktionen Deutscher<br />
aus dem Raum Jugoslawien. Da dürfte unser Opfer<br />
dabei gewesen sein. Sein Pferd zählte zu dem wenigen,<br />
was er retten konnte und hatte wahrscheinlich<br />
für ihn nach all dem Erlittenen große Bedeutung.<br />
In der Rückstellungssache Leonding Haus Nr. 61<br />
(Darstellung der Fälle - Fall 3) - das ehemalige<br />
Wohnhaus von Alois Hitler - handelte es sich um<br />
einen ordentlichen Verkauf ohne Zwang. Der Rückstellungsantrag<br />
wurde aus Meldepflicht eingebracht,<br />
ein Rückstellungsverfahren wurde nie eingeleitet. 95<br />
Dieser Akt ist übrigens der erste unter den Rückstellungsanmeldungen<br />
und trägt die Nummer 1.<br />
Das „Gesetz über die Erfassung arisierter und anderer<br />
im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen<br />
Machtübernahme entzogenen Vermögenschaften“ 96<br />
verpflichtete alle Inhaber solcher Vermögenschaften,<br />
sie anzumelden. 97 Mit diesem Gesetz vom 10. Mai<br />
1945 setzte Österreich bereits unmittelbar nach Ende<br />
des nationalsozialistischen Regimes eine erste gesetzliche<br />
Maßnahme der Vorbereitung der Rückstellung<br />
entzogenen Vermögens. 98<br />
61
Die Rückstellungsgesetze<br />
Die Republik Österreich unternahm mehrere Einzelschritte,<br />
um das Thema Rückstellung entzogenen<br />
Vermögens auf eine geordnete Grundlage zu stellen.<br />
Das Gesetz, auf dessen Basis die Rückstellungsanträge<br />
der Leondinger Fälle behandelt wurden, das<br />
3. Rückstellungsgesetz 99 , wurde mit 6. Februar 1947<br />
rechtswirksam. Auf Grund dieses Gesetzes wurden<br />
bei den Landesgerichten Rückstellungskommissionen<br />
eingerichtet, bei den Oberlandesgerichten und dem<br />
Obersten Gerichtshof Oberinstanzen installiert. Aber<br />
auch das 3. Rückstellungsgesetz regelte nur einen<br />
Teil der anstehenden Materie und behielt wesentliche<br />
Vermögensstände weiteren Gesetzgebungsakten vor.<br />
Insgesamt gab es sieben solche<br />
Rückstellungsgesetze. 100<br />
Zwischen dem Zusammenbruch des Deutschen<br />
Reichs und der Erlassung aller Rückstellungsgesetze<br />
vergingen vier Jahre. Dieser lange Zeitraum war für<br />
die Rückstellungswerber ungünstig, mit jedem Tag<br />
stieg der Vermögensverlust an und die Beibringung<br />
von Beweisen wurde immer schwieriger. Mit geringerer<br />
Verzögerung erfolgte z. B. die gesetzliche Regelung<br />
der Rückerstattung entzogenen Vermögens in<br />
der BRD. 101<br />
Das 3. Rückstellungsgesetz regelte die Nichtigkeit<br />
von Vermögensentziehungen. Danach lag einerseits<br />
eine Vermögensentziehung vor, wenn der Eigentümer<br />
politischer Verfolgung durch den Nationalsozialismus<br />
und der Erwerber nicht dartat, dass die Vermögensentziehung<br />
auch unabhängig von der Machtergreifung<br />
des Nationalsozialismus erfolgt wäre, andererseits<br />
lag eine Vermögensentziehung nicht vor,<br />
wenn der Eigentümer die Person des Käufers frei<br />
ausgewählt und eine angemessene Gegenleistung<br />
erhalten hatte. 102<br />
62<br />
Im 3. Rückstellungsgesetz wurden drei verschiedene<br />
Teilansprüche erfasst 103 : Der Anspruch auf Herausgabe<br />
der entzogenen Sache, der Anspruch auf<br />
Herausgabe von Erträgnissen sowie unter bestimmten<br />
Voraussetzungen Schadenersatzansprüche.<br />
1948 hatte sich ein Schutzverband der Rückstellungsbetroffenen<br />
gegründet, der vor allem vom<br />
Wahlverband der Unabhängigen, Teilen der ÖVP und<br />
aus Kreisen der Wirtschaft Unterstützung erhielt und<br />
die Rückstellungsgesetze zur Diskussion stellte.<br />
Mehrere Novellierungsversuche der Rückstellungsgesetze<br />
zum Nachteil der Geschädigten scheiterten<br />
jedoch damals am Einspruch der Alliierten sowie am<br />
Widerstand aus Reihen der SPÖ. 104<br />
Es stellt sich die Frage, ob die Rückstellung nicht auf<br />
der Grundlage des ABGB abgewickelt werden hätte<br />
können, ohne eigene Gesetze zu schaffen. Es ist verständlich,<br />
dass auf Grund der Besonderheit und<br />
Komplexität der Materie besondere gesetzliche<br />
Vorschriften notwendig waren. 105 In den Rückstellungsgesetzen<br />
wurden Rückstellungskommissionen<br />
geschaffen. Sie bestanden aus einem Vorsitzenden,<br />
Stellvertretern des Vorsitzenden und den<br />
Beisitzern. 106 Zur allgemeinen Beurteilung der<br />
Rückstellungsverfahren finden sich in der Literatur<br />
folgende Aussagen zu den Hauptmerkmalen der<br />
Verfahren: Die verfahrensrechtliche Ausgestaltung<br />
war grundsätzlich als angemessen anzusehen. Sie<br />
bot hinreichende Garantien dafür, dass den Rückstellungswerbern<br />
im Rahmen des Verfahrens eine<br />
faire Chance zur Geltendmachung ihrer Ansprüche<br />
gewährt wurde. Negativ ins Gewicht fällt, dass die<br />
Rückstellungswerber bei der Geltendmachung ihrer<br />
Ansprüche auf sich allein gestellt waren und insbesondere<br />
keinerlei Unterstützung bzw. Hilfe von staatlicher<br />
Seite erhielten. 107<br />
Allgemein ist zu bemerken, dass die Rückstellungsgesetze<br />
aus der Sicht der Geschädigten zu spät<br />
kamen. Zahlreiche Anträge wurden deshalb zu früh<br />
eingereicht. Viele Anträge mussten zunächst wegen<br />
falscher Einreichung abgewiesen werden. Andererseits<br />
wurde Rückstellungswerbern die Absicht unterstellt,<br />
die Einbringung der Anträge zu verzögern, um<br />
bessere Erledigungsbedingungen zu erreichen. Die<br />
Frage wurde sogar einer eigenen Untersuchung<br />
zugeführt, die allerdings keinen Nachweis für diese<br />
Unterstellung erbrachte. 108<br />
Besonders für Rückstellungswerber, die sich während<br />
des Verfahrens nicht in Österreich aufhielten, brachte<br />
fehlende Unterstützung durch die staatliche Seite<br />
eine wesentliche Erschwernis, verfahrensrelevante<br />
Argumente beizubringen. Darauf wurde bei der<br />
Schilderung des Falles Weiss schon eingegangen.<br />
In den Behörden war ein kleiner Kreis von Personen<br />
mit den Rückstellungen befasst. Die hatten großes<br />
Wissen angehäuft und klagten über Arbeitsüberlastung.<br />
Teilweise waren ehemalige Akteure der<br />
Vermögensentziehungen in die Rückstellungsverfahren<br />
eingeschaltet. Es mangelte auch an der<br />
Bereitstellung von Aktenunterlagen aus verschiedensten<br />
Interessenslagen und politischen Gründen heraus.<br />
Alles das erschwerte die Verfahren. 109 In den<br />
Verfahren der Rückstellungskommission findet sich<br />
bei der Würdigung des Verhaltens bei der Abwicklung<br />
der Entziehung die Formulierung: „Die Regeln des<br />
redlichen Verkehrs wurden nicht eingehalten.“ Der im<br />
3. RStG verwendete Begriff der Redlichkeit war eine<br />
Schöpfung dieses Gesetzes und unterschied sich<br />
markant von dem Begriff der Redlichkeit, wie ihn das<br />
ABGB verwendet. 110 Dort geht’s um redlichen Besitz,<br />
hier geht’s um redliches Verhalten. Es entstand eine<br />
rege Diskussion in manchen Verfahren. Der Begriff
anständig statt redlich wurde ins Spiel gebracht und<br />
teilweise in Beweisanträgen und Erkenntnissen verwendet.<br />
111<br />
Entzogene Grundstücke, die einer wirtschaftlichen<br />
Umgestaltung unterzogen worden waren, wurden<br />
nach dem 3. RStG nicht zurückgestellt, sondern das<br />
Gesetz sah vor, den Eingentümer durch Ausgleichsleistungen<br />
zu befriedigen, meist durch Zahlung eines<br />
Geldbetrages. Diese gesetzliche Festlegung des 3.<br />
RStG ging über die Bestimmungen des bürgerlichen<br />
Rechts hinaus. Hier wurde aus politischen Überlegungen<br />
wirtschaftlichen Gegebenheiten der Vorrang vor<br />
den Interessen der Rückstellungswerber gegeben. 112<br />
Schwierig waren Verfahren, wo Enteignete Ersatzliegenschaften<br />
erhielten oder annahmen. Dabei hatten<br />
sie im Tausch eine Liegenschaft aufgegeben.<br />
Konnten sie diese zurückfordern? Wenn die Tauschverträge<br />
als Vermögensentziehung qualifiziert werden<br />
mussten, war eine Rückstellung möglich. War dies<br />
nicht der Fall, so blieb nur die Erhebung von Regressansprüchen<br />
über. 113<br />
Im Fall 15 handelte es sich beim entzogenen Grund<br />
um Teile eines Erbhofes. Diese waren durch das NS-<br />
Erbhofgesetz besonders geschützt. Daher waren die<br />
NS-Behörden verpflichtet, Ersatzland zu beschaffen.<br />
Rückgabegesetz - Restitutionsfonds<br />
Es gab nicht nur Vermögensentziehungen, die vom<br />
NS-Staat vorgenommen wurden, sondern auch solche<br />
des Ständestaates der Jahre 1933 bis 1938.<br />
Dafür wurde mit 6. Februar 1947 das 1. Rückgabegesetz<br />
geschaffen. 114<br />
Im Leondinger Fall 12 (Gewerkschaftsgrund) erfolgte<br />
der Vermögensentzug zuerst durch den Ständestaat<br />
und dann durch den NS-Staat. Das Rückgabegesetz<br />
regelte nun, dass Rückgabeanspruch vor Rückstellungsanspruch<br />
ging. Das Vermögen war also nicht<br />
dem zurückzustellen, dem es im Sinne der Rückstellungsgesetzgebung<br />
entzogen worden war, sondern<br />
vielmehr dem, der unter das Rückgabegesetz<br />
fiel. Für die Anspruchserhebung wurden besondere<br />
Vermögensträger eingerichtet, die Restitutionsfonds.<br />
Die verbotenen Parteien und Organisationen waren ja<br />
nach der Auflösung meist nicht mehr existent. 115<br />
Beim Vergleich der gesetzlichen Regelungen stellt<br />
man fest, dass das 1. Rückgabegesetz Rückgabewerber<br />
besser stellte als das 3. Rückstellungsgesetz.<br />
Es gab z.B. keine Frist für die Stellung von Anträgen<br />
und auch noch andere gesetzliche Regelungen, die<br />
eine Besserbehandlung der Opfer von Vermögensentziehungen<br />
zwischen 1933 und 1938 im Vergleich<br />
zu jenen Personen, die nach der NS-Okkupation<br />
Opfer von Vermögensentziehungen wurden, darstellten.<br />
116<br />
Der Staatsvertrag<br />
Der „Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung<br />
eines unabhängigen und demokratischen Österreich“<br />
117 , der im Jahr 1955 zwischen den „Alliierten<br />
und Assoziierten Mächten“ einerseits und Österreich<br />
anderseits abgeschlossen wurde, hatte bedeutenden<br />
Einfluss auf die Rückstellungsproblematik. Hier seien<br />
nur zwei Punkte angeführt.<br />
Nach dem Zusammenbruch der NS-Herrschaft in<br />
Österreich stellte das ehemals Deutsche Eigentum im<br />
Staat Österreich ein Problem dar. Die Westalliierten<br />
hatten schon 1946 die ehemaligen Auslandsvermögenswerte<br />
in die Kontrolle der österreichischen<br />
Verwaltung übergeben, nur in der sowjetischen Zone<br />
gab es Probleme. In den Potsdamer Beschlüssen<br />
vom 2. August 1945 hatten die vier Mächte im<br />
Kontrollabkommen vom 8. Juni 1946 das so genann-<br />
te deutsche Vermögen in Österreich in Anspruch<br />
genommen, im Staatsvertrag wurden nun diese<br />
Vermögenswerte auf Österreich übertragen. 118<br />
Im Staatsvertrag sind auch Regelungen über so genanntes<br />
erbloses Vermögen enthalten. Auch diese<br />
ehemals deutschen Vermögenswerte sind Österreich<br />
mit dem Staatsvertrag übergeben worden. Dafür hat<br />
die Österreichische Regierung so genannte Sammelstellen<br />
und Entschädigungsfonds eingerichtet.<br />
Schlussbemerkungen<br />
Die Leondinger Fälle der Vermögensentziehung<br />
durch die NS-Machthaber weisen keine besonderen<br />
Merkmale auf, die sie von denen in anderen Regionen<br />
unterscheiden. Das gibt aber die Gelegenheit, die<br />
Informationen, Argumente und Begründungen aus der<br />
einschlägigen Literatur für die Beurteilung der Leondinger<br />
Fälle heranzuziehen.<br />
Die Leondinger Fälle sind wesentlich von der Nähe<br />
zur Stadt Linz und von der ländlichen Struktur der<br />
damaligen Gemeinde Leonding geprägt. So steht der<br />
Entzug von Grund im Vordergrund insbesondere zusammenhängend<br />
mit dem großen Bedarf an Grund<br />
und an Wohnraum, der in der Stadt Linz durch die<br />
Errichtung der Reichswerke Hermann Göring entstanden<br />
war. Der Anteil an „Arisierungen“ ist relativ gering,<br />
wenn er auch größer ist, als der Anteil der jüdischen<br />
Bevölkerung Leondings. Die „Arisierungsfälle“<br />
Weiss, Ziegelwerke Gaumberg und OÖ Glutinwerke<br />
haben für den Raum Leonding einige Bedeutung,<br />
wenn auch ihr Schwergewicht außerhalb liegt.<br />
Die Verfahren der Rückstellung waren zunächst an<br />
entsprechende Gesetze gebunden. Der Gesetzgeber<br />
ließ sich viel Zeit und schaffte im Lauf der Jahre eine<br />
Vielzahl von Einzelregelungen. Andere Länder lösten<br />
das rascher. Allerdings bekamen die Geschädigten in<br />
63
Österreich schlussendlich grundsätzlich eine faire<br />
Chance, ihre Anliegen vorzubringen.<br />
Bei der Abwicklung der Verfahren standen die Antragsteller<br />
ohne amtliche Hilfe einem klein gehaltenen<br />
Behördenapparat gegenüber. Das brachte die Geschädigten<br />
in eine schwierige Situation, besonders<br />
dann, wenn die Erstgeschädigten oder ihre Erben im<br />
Ausland lebten, wenn sie tot oder getötet waren. Aber<br />
auch für die in Österreich weilenden brachten die<br />
Verfahren einen immensen Aufwand, der oft an den<br />
Wert des rückgestellten Gutes heranreichte.<br />
Bei der Gesamtbeurteilung dieser Situation ist die<br />
schwierige wirtschaftliche und politische Lage in dieser<br />
Zeit zu berücksichtigen – Österreich war von den<br />
Kriegsereignissen schwer getroffen und von den<br />
Alliierten befreit und besetzt. Das brachte die Regierenden<br />
in Österreich in eine schwierige Zwangslage.<br />
Der überwiegende Teil der Leondinger Anträge wurde<br />
mit Rückstellung der entzogenen Güter oder Entschädigung<br />
erledigt. Die meisten Verfahren wurden mit<br />
einem Vergleich abgeschlossen. Hinter den Fällen<br />
der Vermögensentziehungen und Rückstellungsverfahren<br />
stehen neben der Information, die man aus<br />
den Akten erhält, die Empfindungen und Erlebnisse<br />
der Personen, die den jeweiligen Machtapparaten<br />
ausgesetzt waren. Es entzieht sich der Darstellung,<br />
wie die Geschädigten die einzelnen Schritte von<br />
Vermögensentzug, Rückgabeverfahren oder Ablehnung<br />
erlebten. Bei allen hatten die Ereignisse und<br />
gerade die Entziehung ihres Vermögens einen<br />
bedeutenden, oft lebensbedrohlichen Charakter.<br />
Einige Vermögen wurden zurückgegeben, einige wurden<br />
entschädigt. Hat man damit die Sache „wieder<br />
gut“ gemacht? Einige erhielten nichts zurück und wur-<br />
64<br />
den nicht entschädigt. In diesem Sinn sei hier aller<br />
Vertriebener, Geschädigter oder Gedemütigter aller<br />
Regime und Machthaber gedacht.<br />
Anmerkungen<br />
1 Weiterführende Literatur:<br />
- Anderl, Gabriele / Rupnow, Dirk: Die Zentralstelle für jüdische<br />
Auswanderung als Beraubungsinstitution,<br />
Nationalsozialistische Institutionen des Vermögensentzuges<br />
1, Historikerkommission Band 20/1<br />
- Bailer-Galanda, Brigitte, „Die Rückstellungsproblematik in<br />
Österreich“, Referat anlässlich der Tagung „Arisierung und<br />
Restitution. Die Rückerstattung jüdischen Eigentums in<br />
West- und Ostdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und<br />
nach der Wiedervereinigung“, Albert-Ludwigs-Universität<br />
Freiburg, 14.10.2000.<br />
- Böhmer, Peter (Hg.), Ronald Faber: Die österreichische<br />
Finanzverwaltung und die Restitution entzogener Vermögen<br />
1945 bis 1960. Die Bundesministerien für<br />
Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung und für<br />
Finanzen. Wien 2002, Historikerkommission Band 31<br />
- Botz, Gerhard: Arisierungen in Österreich (1938-1940), in<br />
Dieter Stiefel (Hg.): Die politische Ökonomie des Holokaust.<br />
Zur wirtschaftlichen Logik von Verfolgung und<br />
„Wiedergutmachung“, Wien-München 2001, Seit 29-56<br />
- Botz, Gerhard: Experimentierfeld „Ostmark“,<br />
Pogromantisemitismus und organisatorische Intervention,<br />
Arisierungen in Österreiche (1938-1940), in: Raubzug, Eine<br />
Bestandsaufnahme der wirtschaftlichen Schäden der NS-<br />
Opfer in Österreich im Rahmen einer Enquete der Grünen<br />
im Parlament, Wien 1997, Seite 1-24<br />
- Kirchmayr, Brigitte, Raubkunst im „Heimatgau des<br />
Führers“. Aspekte, Zusammenhänge und Folgen von nationalsozialistischer<br />
Kulturpolitik und Kunstenteignung im<br />
Reichsgau Oberdonau, in: Kirchmayr-Buchmayr-John:<br />
Geraubte Kunst in Oberdonau, 35-190.<br />
- Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes<br />
[DÖW] (Hg.): Widerstand und Verfolgung in Oberösterreich<br />
1934-1945, 2 Bände, Linz 1982<br />
- Ellmauer Daniela / John Michael / Thumser Regina:<br />
„Arisierungen“, beschlagnahmte Vermögen, Rückstellungen<br />
und Entschädigungen in Oberösterreich. In:<br />
Veröffentlichungen der Österreichischen<br />
Historikerkommission Band 17/1.<br />
- Graf, Georg: Die österreichische<br />
Rückstellungsgesetzgebung, Eine juristische Analyse. In:<br />
Veröffentlichungen der Österreichischen<br />
Historikerkommission Band 2.<br />
Gruber Michael / Tüchler Michael: Rechtsfragen der<br />
Entziehung, Bereinigung und Rückstellung von<br />
Wertpapieren; Öst. Historikerkommission Band 31Seite 60ff<br />
- Hänsel/Strahl: Politisches ABC des Neuen Reiches 1933,<br />
Seite 31<br />
- John, Michael: „Der Fall Richard Weihs“, in Linz aktiv 16<br />
(2992), S. 56 bis 63 und „Ein Vergleich – ‚Arisierung’ und<br />
Rückstellung in Oberösterreich, Salzburg und Burgenland“,<br />
Epilog S. 174-184, In: Veröffentlichungen der Österreichischen<br />
Historikerkommission Band 17/1.
- Kristöfl, Siegfried; Die Liquidationsstelle der katholischen<br />
Verbände; Historikerkommission Band 22/3, Oldenbourg<br />
2004<br />
- Schmitz-Berning, Cornelia: Vokabular des<br />
Nationalsozialismus, Berlin/New York 2000<br />
- Schmuhl, Hans-Walter: Sterilisation, „Euthanasie“,<br />
„Endlösung“ S. 301 in: Norbert Frei (Hg.), Medizin und<br />
Gesundheitspolitik in der NS-Zeit, München 1991<br />
- Stiefel, Dieter (Hg.): Die politische Ökonomie des<br />
Holokaust. Zur wirtschaftlichen Logik von Verfolgung und<br />
„Wiedergutmachung“, Wien-München 2001<br />
- Tweraser, Kurt: Die Linzer Wirtschaft im<br />
Nationalsozialismus. Anmerkungen zur strukturellen<br />
Transformation („Modernisierung“) und zum NS-<br />
Krisenmanagement, in: Fritz Mayrhofer, Walter Schuster<br />
(Hg.): Nationalsozialismus in Linz, Linz 2001, Bd. 1. S. 387-<br />
555.<br />
- Pawlowsky, Verena / Leisch-Prost, Edith / Klösch,<br />
Christian: Vereine im Nationalsozialismus, Vermögensentzug<br />
durch den Stillhaltekommissar für Vereine, Organisationen<br />
und Verbände und Aspekte der Restitution in Österreich<br />
nach 1945. Vereine, Stiftungen und Fonds im<br />
Nationalsozialismus 1; Öst. Historikerkommission Band 21-1<br />
- Pfarrchronik Leonding: Handgeschriebene Chronik der<br />
Pfarre St. Miachaeö in Leonding, die in der Pfarre aufliegt.<br />
Wir danken dem Pfarrer von Leonding für die Erlaubnis zur<br />
Einsichtnahme.<br />
2 Gerhard Tolar, NS-Vermögensentzug in Leonding,<br />
Abschlussarbeit des Heimatforscherlehrganges im Rahmen<br />
der Akademie der Volkskultur, Juli 2008<br />
3 Archivunterlagen<br />
- OÖLA Arisierungen: ‚Arisierungsdaten’ des<br />
Oberfinanzpräsidiums Linz (FLD-BV) und der<br />
Gauverwaltung Oberdonau (Arisierung, tw.<br />
Gauselbstverwaltung), ferner Rückstellungsakten der<br />
Finanzlandesdirektion (FLD-VR) und der Finanzabteilung<br />
der Landesregierung (FIRK) in OÖ Landesarchiv Linz<br />
- OÖLA Finanzlandesdirektion: FLD-VR und FIRK-Akte:<br />
siehe OÖLA Arisierungen<br />
- OÖLA Rückstellungsanmeldung: Formulare, die 1947<br />
sowohl von Geschädigten, als auch von Begünstigten der<br />
unter nationalsozialistischem Druck erfolgten<br />
Vermögensaktionen auszufüllen waren. Diese Meldung<br />
ersetzte nicht die Antragstellung nach einem der<br />
Rückstellungsgesetze, in OÖ Landesarchiv Linz<br />
- OÖLA Rückstellungsakten: Akten der<br />
Rückstellungskommission beim Landesgericht Linz Nord, wo<br />
die Rückstellungsverfahren nach dem 3.<br />
Rückstellungsgesetz (Güter in Privatbesitz) abgewickelt wurden,<br />
in OÖ Landesarchiv Linz<br />
4 OÖLA Finanzlandesdirektion 546/48, 24/49, 587/48 und<br />
151/49<br />
5 Pfarrchronik Leonding; Band B, Seite 142<br />
6 OÖLA Finanzlandesdirektion 546/48<br />
7 Archiv der Stadt Linz AStL, Hs 2042,49<br />
8OÖLA: Rückstellungsakt 775/48: Antwort der<br />
Antragsgegner vom 29. April 1950<br />
9 Michael John; a.a.O. Seite 56 bis 63<br />
10 Michael John; a.a.O. Seite 56 bis 63<br />
11 OÖLA: Rückstellungsakten 775/48<br />
12 Abschrift der Verfügung der Gestapo vom 26.4.1938 in<br />
OÖLA: Arisierungen 33<br />
13 OÖLA: Rückstellungsakten 775/48: Schriftsatz der<br />
Antragsteller vom 18.1.1950<br />
14 siehe Schreiben der Landesregierung an den<br />
Bürgermeister von Leonding vom 24. März 1939<br />
15 Schriftsatz Antragsteller vom 18.1.1950 aus OÖLA ,<br />
Rückstellungsakten RK 775/48<br />
16 Michael John; a.a.O. Seite 56 bis 63<br />
17 OÖLA Arisierungen 33<br />
18 Bundesgesetzblatt BGBl 1947, 14. Stk. Seite 371:<br />
Bundesgesetz vom 6. Februar 1947, ausgegeben am 27.<br />
März 1947<br />
19 Schriftsatz Antragsteller: 18.1.1950 aus OÖLA<br />
Rückstellungsakten 782/48<br />
20 sh. Teilerkenntnis vom 4. Mai 1950 aus OÖLA<br />
Rückstellungsakten 782/48<br />
21 Antrag des Klägers 20. Dezember 1948 aus OÖLA<br />
Rückstellungsakten 775/48<br />
22 Öffentliche mündliche Verhandlung am 28.11.1958 aus<br />
OÖLA Rückstellungsakten 782/48<br />
23 Teilerkenntnis zu RK 782/48 im Zuge der Öffentlichen<br />
mündlichen Verhandlung vom 4.5.1950 in OÖLA ;<br />
Rückstellungskakte<br />
24 Äußerung der Antragsgegner vom 12.Februar 1949 aus<br />
OÖLA , Rückstellungsakten RK 775/48<br />
25 Teilerkenntnis vom 4.5.1950 aus OÖLA ,<br />
Rückstellungsakten RK 775/48<br />
26 Widerruf des Vergleiches vom 14. November 1953 aus<br />
OÖLA , Rückstellungsakten RK 782/48<br />
27 Schreiben Josef A. Weiss an OLGR Dr. R. Flandorfer 2.<br />
Dez. 1953 aus OÖLA , Rückstellungsakten RK 782/48<br />
28 Statement Josef A. Weiss vom 5. August 1959 aus OÖLA<br />
, Rückstellungsakten RK 782/48<br />
29 Öffentliche mündliche Verhandlung am 28. August 1953<br />
aus OÖLA , Rückstellungsakten RK 193/49<br />
30 Statement Josef A. Weiss vom 5. August 1959 aus OÖLA<br />
, Rückstellungsakten RK 782/48<br />
31 OÖLA Arisierungsakten 33<br />
32 Schriftsatz Josef A. Weiss vom 12. August 1959 aus<br />
OÖLA Rückstellungsakten 782/48<br />
33 Aussage Dipl. Ing. Gustav Anderle: Übertragung d. kurzschr.<br />
Teils des Verhandlungsprotokolls vom 3.3.1961 aus<br />
OÖLA , Rückstellungsakten RK 782/48<br />
34 Beweisantrag Richard E. Weiss vom 9.9.1959 aus OÖLA ,<br />
Rückstellungsakten RK 782/48<br />
35 OÖLA , Rückstellungsakten RK 782/48<br />
36 Übertragung d. Kurzschr. Teils des Verhandlungsprotokolls<br />
vom 3.3.1961 aus OÖLA Rückstellungsakten<br />
782/48<br />
37 Enderkenntnis vom 3.7.1961 aus OÖLA<br />
65
Rückstellungsakten 782/48<br />
38 Antwort der Antragsgegner 29. April 1950 aus OÖLA<br />
Rückstellungsakten 782/48<br />
39 Tagsatzung 22.11.1955 aus OÖLA Rückstellungsakten<br />
782/48<br />
40 Michael John a.a.O. Seite 56 bis 63<br />
41 Geraubte Kunst in Oberdonau (Birgit Kirchmayr, gemeinsam<br />
mit Friedrich Buchmayr und Michael John; 2007)<br />
42 Aus Michael John; a.a.O.<br />
43 OÖLA Rückstellungsanmeldungen LL Schachtel 7 Fasz 4<br />
AktNr. 1<br />
44 OÖLA Rückstellungsanmeldungen LL Schachtel 7, Fasz.<br />
4, AktNr. 24<br />
45 OÖLA Arisierungen 21<br />
46 Josef Löwenherz war damals als Amtsdirektor der<br />
Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) in Wien eingesetzt. Der<br />
„Löwenherz-Bericht“ wurde nach Ende des NS-Regimes in<br />
der Kultusgemeinde auf Grundlage von Notizen ihres ehemaligen<br />
Amtsdirektors erstellt.<br />
47 OÖLA, Rückstellungsakten 16/48<br />
48 Genehmigung der Vermögensverkehrsstelle vom 15. Juni<br />
1939 im Rückstellungsakt 16/48<br />
49 OÖLA Rückstellungsanmeldungen LL Schachtel 9, Fasz.<br />
1 AktNr. 257 und RK 68/52 Vergleich vom 18.2.1954<br />
50 OÖLA Rückstellungsakten 76/52, Rückstellungsantrag<br />
vom 6. Oktober 1952<br />
51 OÖLA Rückstellungsakten 76/52 Öffentliche mündliche<br />
Verhandlung vom 29.10.1953<br />
52 vgl. Daniela Ellmauer a.a.O.<br />
53 Garscha / Scharf; a.a.O. Seite 39<br />
54 OÖLA Rückstellungsakten 308/49<br />
55 OÖLA Rückstellungsanmeldungen LL Schachtel 8,<br />
Fasz. 1 AktNr. 154 und RK 10/54<br />
56 OÖLA Rückstellungsakten 34/51<br />
57 OÖLA Rückstellungsakten 193/49<br />
58 siehe Kapitel „Antragsgegner“ im Fall 2<br />
59 OÖLA Rückstellungsanmeldungen LL Schachtel 9,<br />
66<br />
Fasz. 1, AktNr. 194; Akt RK 5/51-1952 ist nicht vorhanden<br />
60 OÖLA Rückstellungsanmeldungen LL Schachtel 9,<br />
Faszikel 1, AktNr. 194<br />
61 OÖLA Rückstellungsakten 876/48<br />
62 OÖLA Rückstellungsakten 788/48<br />
63 OÖLA: Rückstellungsakten 345/48<br />
64 OÖLA: Rückstellungsakten 5/57<br />
65 OÖLA Rückstellungsanmeldungen LL Schachtel 8,<br />
Fasz. 1, AktNr. 120<br />
66 OÖLA Rückstellungsakten 197/48<br />
67 Rückstellungskommission 357/48: Vergleich vom<br />
19.10.1953 in OÖLA Rückstellungsanmeldungen Weiss<br />
68 OÖLA Rückstellungsakten 197/48<br />
69 OÖLA: Rückstellungsakten 469/49<br />
70 OÖLA Rückstellungsanmeldungen LL Schachtel 8,<br />
AktNr. 32 & 33<br />
71 OÖLA Rückstellungsanmeldungen LL Schachtel 8,<br />
AktNr. 34<br />
72 OÖLA Rückstellungsanmeldungen LL Schachtel 8,<br />
AktNr. 35<br />
73 Information wurde den in den betreffenden Akten enthaltenen<br />
Grundbuchsauszügen entnommen.<br />
74 Sitzungsprotokolle 1945-1947,<br />
Gemeindeausschusssitzungen, Ratsarchiv Leonding.<br />
75 DÖW a.a.O. Band 2 Seite 259: OÖ Landesregierung,<br />
Opferfürsorgeakten 51, 1-400; DÖW Dok Nr. 14.659<br />
76 Ellmauer, John, Thumser: a.a.O. Seite 78<br />
77 siehe z.B. Hans-Walter Schmuhl, Sterilisation,<br />
„Euthanasie“, „Endlösung“ S. 301 in: Norbert Frei (Hg.),<br />
Medizin und Gesundheitspolitik in der NS-Zeit, München<br />
1991<br />
78 Öst. Historikerkommission, Bd. 21/1, Vereine im<br />
Nationalsozialismus, Seite 217<br />
79 Cornelia Schmitz-Berning, a.a.O.Seiten 62f und 189f<br />
80 Ellmauer/John/Thumser, „Arisierungen“ […] Seite 80<br />
81 OÖLA Rückstellungsakten 775/48, Antwort der<br />
Antragsgegner vom 29. April 1950<br />
82 OÖLA Arisierungen 33 AktNr. 7<br />
83 Gruber / Tüchler; a.a.O.Seite 46ff<br />
84 RGBl I 1938 Seite 1579<br />
85 Gruber / Tüchler; a.a.O. Seite 60ff<br />
86 Graf a.a.O. Seite 186<br />
87 vgl. Böhmer a.a.O.<br />
88 New York Times vom 23. März 1938<br />
89 Vgl. Gerhard Botz: Experimentierfeld „Ostmark“<br />
90 Ellmauer/John/Thumser, „Arisierungen“ […] Seite 209<br />
91 ÖStA AdR, Gaupersonalakt Nr. 266.813 zit. Nach Dostal,<br />
Das „braune“ Netzwerk, Seite 131, nach<br />
Ellmauer/John/Thumser, „Arisierungen“ […] Seite 71<br />
92 vgl. Kristöfl a.a.O.<br />
93 Pfarrchronik Leonding Band 2 diverse Stellen z.B. Seiten<br />
126, 135, 150ff<br />
94 OÖLA: Rückstellungsakten 469/49<br />
95 OÖLA Rückstellungsanmeldungen LL Schachtel 7 Fasz 4<br />
AktNr. 1<br />
96 Staatsgesetzblatt StGBl. Nr. 10/1945<br />
97 Graf; a.a.O. Seite 24<br />
98 Graf, a.a.O. Seite 525<br />
99 3. Rückstellungsgesetz, BG vom 6. Februar 1947 über<br />
die Nichtigkeit von Vermögensentziehungen; BGBl 1947/54<br />
(zuletzt geändert mit BGBl 1954/252).<br />
100 Graf, a.a.O. Seite 525<br />
101 Graf, a.a.O. Seite 526<br />
102 Graf, a.a.O. Seite 61<br />
103 Graf, a.a.O. Seite 139<br />
104 Bailer-Galander, Brigitte: Die Rückstellungsproblematik<br />
in Österreich, Referat an der Universität Freiburg,<br />
14.10.2000.<br />
105 Graf, a.a.O. Seite 526f<br />
106 Graf, a.a.O. Seite 255<br />
107 Graf, a.a.O. Seite 536<br />
108 Böhmer / Faber; a.a.O. Seite 117ff<br />
109 Böhmer / Faber; a.a.O. Seite 126ff<br />
110 Nach der Definition des § 326 ABGB ist derjenige red-
lich, der aus wahrscheinlichen Gründen die Sache, die er<br />
besitzt, für die seinige hält.<br />
111 Z. B. OÖLA Sondergerichte, RK 4/47, Beweisanträge<br />
der Wohnungsaktiengesellschaft vom 4.9.1948<br />
112 Graf, a.a.O. Seite 197<br />
113 Graf, a.a.O. Seite 99<br />
114 Graf, a.a.O. Seite 356f<br />
115 Graf, a.a.O. Seite 357f<br />
116 Graf, a.a.O. Seite 362f<br />
117 BGBl 1955, 39. Stk., Seiten 725 bis 810, Bundesgesetz<br />
Nr. 152, ausgegeben am 30. Juli 1955<br />
118 Graf, a.a.O. Seite 384f<br />
67
GLEICHSCHALTUNG DER VEREINE<br />
Gerhard Tolar<br />
In Österreich hatte das Vereinswesen seit dem Vereinsgesetz,<br />
das die k.k. Monarchie im Jahr 1867 1<br />
erlassen hat, einen wichtigen Platz. Die Gründung<br />
eines Vereines war seit damals Recht eines Staatsbürgers.<br />
Auf diesem Recht aufbauend haben sich<br />
zahlreiche Vereine gebildet. Dieses Vereinsrecht hat<br />
auch die Bildung der politischen Parteien, wie wir sie<br />
heute kennen, entscheidende Schritte vorangebracht.<br />
Die wesentlichen Kennzeichen dieses Vereinsgesetzes<br />
waren: Die Mitglieder schlossen sich freiwillig<br />
zusammen und sie gaben sich die Satzungen und<br />
Statuen selbst unter Wahrung von gesetzlichen<br />
Grenzen. 2 Auch die Republik Österreich nach dem<br />
Ersten Weltkrieg gewährte ihren Staatsbürgern volle<br />
Vereins- und Versammlungsfreiheit mit einem Beschluss<br />
der provisorischen Nationalversammlung. 3<br />
Diese Form freier und schwer kontrollierbarer Meinungsäußerung<br />
passte nicht in das nationalsozialistische<br />
System. Nach der NS-Machtübernahme in<br />
Österreich wurde unmittelbar mit einer Tätigkeit<br />
begonnen, die man später „Gleichschaltung“ der<br />
Vereine nannte.<br />
68<br />
„Politische“ Vereine<br />
Vom 14. April 1938 gibt es einen Erlass der NSDAP<br />
Linz-Land zur kommissarischen Besetzung und Auflösung<br />
der Vereine Oberösterreichs mit einer Auflistung,<br />
in der zwei Leondinger Vereine enthalten sind<br />
(Katholische Arbeiterinnenbund Leonding und Heimatwehr<br />
Leonding). 4<br />
Ein Schreiben 5 mit Datum 18.3.1938 an alle Gendarmeriepostenkommanden<br />
hat den Inhalt: „Es wird<br />
nunmehr verfügt, dass bis einschließlich 18. April<br />
1938 jede Vereins- und Versammlungstätigkeit zu<br />
unterbleiben hat. Ausgenommen von diesem Verbote<br />
sind selbstverständlich Veranstaltungen und Versammlungen<br />
der NSDAP und aller ihrer Gliederungen.“<br />
Das war eine jener Aktionen, die den Ausgang der<br />
Volksabstimmung, die für den 10. April 1938 angesetzt<br />
war, beeinflussen sollte. Dieses Schreiben fußt<br />
auf einer Anordnung des „Reichskommissars für den<br />
Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich“, Josef<br />
Bürckel, auf die später immer wieder als „Stillhalteverfügung“<br />
verwiesen wurde, was offenbar auch die<br />
Namensgebung der später geschaffenen Behörde<br />
„Stillhaltekommissar“ begründete. 6<br />
Dem Schreiben liegt ein Verzeichnis der im Bezirk<br />
Linz-Land aufzulösenden Vereine bei. Angeführt sind<br />
96 Vereine darunter 5 aus Leonding:<br />
Nr. 7.) Frohe Jugend Leonding<br />
Nr. 24.) Katholische Frauenorganisation,<br />
Ortsgruppe Leonding<br />
Nr. 45.) katholische Jungmannschaft „Kürnberg“<br />
in Leonding<br />
Nr. 67.) Katholischer Landesarbeitsbund f. OÖ,<br />
Ortsgruppe Leonding<br />
Nr. 96.) Spar- und Unterstützungsverein<br />
„Gemütlichkeit“ in Leonding<br />
Ende April tritt ein kommissarischer Leiter für sämtliche<br />
katholischen Vereine, Verbände und Organisationen<br />
aus Wien auf und fordert die Anschriften<br />
sämtlicher katholischen Vereine, Verbände und<br />
Organisationen samt Angabe des Obmannes oder<br />
Leiters. 7<br />
Das beigefügte Verzeichnis weist 4 Gruppen von<br />
katholischen Vereinen aus:
In Gruppe III., „wirtschaftliche Vereine“, sind 68<br />
Vereine angeführt, darunter 5 aus Leonding:<br />
15.) Kath. Frauenorganisation Leonding, Obfrau<br />
Maria Karning, Leonding<br />
36.) Kath. Jungmannschaft Kürnberg in Leonding,<br />
Obmann Stefan Löblbauer, Leonding<br />
48.) Kath. Landesarbeitsbund f. OÖ, Ortsgruppe<br />
Leonding, Obmann Leopold Bachbauer,<br />
Leonding 78<br />
49.) Frohe Jugend Leonding, Obmann Josef<br />
Halmdienst, Reichsbahner, Gaumberg, Gde.<br />
Leonding<br />
54.) Landesverband Kath. Mädchenvereine OÖ,<br />
Ortsgruppe Gaumberg, Obfräulein Mizzi<br />
Karning, Gaumberg 26, Gde. Leonding<br />
Vom Kreissportführer D.R.L. [Deutscher Reichsbund<br />
für Leibesübungen], Dr. Oskar Kaltenegger liegt ein<br />
Schreiben von Mitte Mai 1938 vor 8 , das die ungeordnete<br />
Vorgehensweise der ersten Tage nach dem<br />
Anschluss deutlich macht: „Der D.R.L. Gau XVII<br />
(Deutsch-Österreich) hat … mir den Auftrag erteilt,<br />
über alle Fälle von Vereinsauflösungen, einstweiligen<br />
Beschlagnahmen, Einstellung der Tätigkeit usw. Klarheit<br />
zu schaffen. Die Verfügungen sind vielfach von<br />
den verschiedensten Stellen getroffen worden, z.B.<br />
Parteigliederungen, Formationen usw. … Engriffe in<br />
das Leben der Turn- und Sportvereine [sind] nicht<br />
gestattet. … Der Gauführer anerkennt Auflösungen,<br />
Sperrungen, Beschlagnahmen und dergl. seitens der<br />
einzelnen Parteidienststellen oder Formationen nicht.<br />
… Hinsichtlich jener Vereine, die sich in der Hauptsache<br />
aus Mitgliedern aus Arbeiterkreisen zusammensetzen,<br />
ist zu bedenken, dass diese Leute erst<br />
nach und nach für unsere Weltanschauung gewonnen<br />
werden müssen …“ Im Weiteren wird eine<br />
Mitteilung aller so getätigten Vereinsauflösungen<br />
angefordert. Mitte Mai 1938 meldet der Postenkommandant<br />
Leonding unter dem Betreff „Sicherung des<br />
Beschlagnahmten Materials der Vaterländischen<br />
Front und aufgelösten Vereine“, dass folgendes<br />
Barvermögen und Material beschlagnahmt wurde: … 9<br />
„In Punkt 1 bis 15 sind die Vereinsnamen, die Namen<br />
der Obmänner oder Leiter der Vereine und die<br />
Barvermögen angeführt und unter Punkt 16 das<br />
beschlagnahmte Material.“<br />
Mitte Mai 1938 wird vom Reichsstatthalter für Österreich<br />
Seyß-Inquart das „Gesetz über die Überleitung<br />
und Eingliederung von Vereinen, Organisationen und<br />
Verbänden“ 10 beschlossen. Die dem Gesetz angeschlossenen<br />
Verordnung drückt die Aufgaben deutlich<br />
aus: Der Stillhaltekommisssar hat dafür zu sorgen,<br />
dass alle Vereine, Organisationen und Verbände<br />
nationalsozialistisch ausgerichtet und geführt werden.<br />
Er hat das Führungsrecht der NSDAP auf dem Gebiet<br />
der Menschenführung sicherzustellen. Gauleiter Josef<br />
Bürkel, setzt als Leiter des Reichsamts Stillhaltekommissar<br />
Albert Hoffmann aus Bremen ein.<br />
Ende Mai 1938 kommt es zur kommissarischen Besetzung<br />
von Leondinger Vereinen. Der Gendarmeriepostenkommandant<br />
von Leonding teilt der Bezirkshauptmannschaft<br />
mit 11 , dass über Vorschlag des<br />
Herrn Bürgermeisters und Ortsgruppenleiters der<br />
NSDAP für die Vereine „Frohe Jugend Leonding“,<br />
„Kath. Frauenorganisation Leonding“, „Kath. Jungmannschaft<br />
Kürnberg“, „Kath. Landarbeiterbund“ und<br />
„Spar- und Unterstützungsverein Gemütlichkeit in<br />
Leonding“ Herr Emil Gebauer in Leonding Nr. 68 als<br />
kommissarischer Leiter namhaft gemacht wurde.<br />
Ende Mai meldet der Postenkommandant Leonding 12<br />
(siehe Abbildung) an die Bezirkshauptmannschaft<br />
Linz-Land, welche Barvermögen, Spareinlagen oder<br />
Gebrauchsgegenstände bei den katholischen Verbänden<br />
von der NSDAP Leonding beschlagnahmt<br />
wurden. Die aufgestellten Posten wurden von der<br />
NSDAP Leonding SA-Sturm 34/14-Leonding und NS-<br />
Frauenschaft Leonding beschlagnahmt, wobei der<br />
Gendarmerieposten Leonding Assistenz leistete. In<br />
diesem Schreiben sind 5 Vereine angeführt: „Kath.<br />
Frauenorganisation“, „Jugendbund Kürnberg“, „Kath.<br />
Landarbeiterbund“, „Bund der Arbeiterinnen“, „Kath.<br />
Mädchengruppe Leonding“.<br />
Angefügt ist ein „Verzeichnis über beschlagnahmte<br />
Vermögen von Vereinen“ 13 . Darin enthalten sind 6<br />
Vereine oder Organisationen: „Vaterländische Front<br />
Leonding“, „Volksverein Arbeiterbund Mädchengruppe<br />
Leonding“, „Gewerbebund Leonding“, „Arbeiterverein<br />
Leonding“, „Mädchengruppe Gaumberg“, „Jugendbund<br />
Kürnberg“. Im Akt sind zwei unvollständige<br />
Listen 14 enthalten Die erste Liste weist aus, dass für<br />
offenbar aufgelöste Vereine Turngeräte, Tisch und<br />
Sessel bei der Ortsleitung der NSDAP, für die HJ,<br />
oder bei der Ortsgruppe der NSDAP Leonding verwahrt<br />
werden. Die zweite Liste führt eingezogenes<br />
Vermögen von Vereinen und den Namen des Verwahrers<br />
an, darunter auch von folgenden Leondinger<br />
Vereinen:<br />
Vaterländische Front (Jugendbund Kürnberg),<br />
Vaterländische Front (Heimatwehr Leonding),<br />
Vaterländische Front (Gewerbebund Leonding),<br />
Vaterländische Front (Mädchengruppe Leonding),<br />
Arbeitsbund Ortsgruppe Leonding, Reichsbund<br />
Ortsgruppe Leonding, Volksverein Leonding,<br />
Katholische Frauenorganisation Ortsgruppe<br />
Leonding, Bund der Arbeiterinnen Ortsgruppe<br />
Leonding.<br />
69
Anfang Juli ergeht an sämtliche Landeshauptleute<br />
und Bezirkshauptmannschaften ein Schreiben des<br />
Stillhaltekommissars. 15 Er stellt fest, dass ihm bis zu<br />
diesem Zeitpunkt keine Vollzugsmeldung von Vereinsauflösungen<br />
oder Eingliederungen zugekommen<br />
sei. Es wurde in die betroffenen Bevölkerungskreise<br />
eine gewisse politische Unruhe und Unsicherheit<br />
getragen. Es sei daher notwendig, dass ehebaldigst<br />
eine Beruhigung durch möglichst schnelle Abwicklung<br />
der Vorgänge eintritt.<br />
Anfang August 1938 wendet sich der Stillhaltekommissar<br />
wieder an sämtliche Landeshauptmannschaften,<br />
Bezirkshauptmannschaften, Gaubeauftragte<br />
und Kreisbeauftragte 16 . Die wesentlichen Punkte dieses<br />
Schreibens betreffen Vereinsgruppen, die der<br />
Stillhaltekommissar von der Auflösung „freigestellt“<br />
hat und katholische Vereine.<br />
Die von der Auflösung „freigestellten“ Vereinsgruppen<br />
sind dort wie folgt aufgelistet: Sparvereine, Feuerwehrverbände,<br />
Fremdenverkehrs- und Verschönerungsvereine,<br />
rein wirtschaftliche Unternehmungen,<br />
das Rote Kreuz, Kirchenbau- und Kirchenerhaltungsvereine,<br />
Jüdische Kultusgemeinden. Die Gründe für<br />
die „Freistellung“ dieser Vereinsgruppen sind unterschiedlich.<br />
Die meisten dieser Vereinsgruppen werden<br />
durch andere Dienststellen behandelt, die<br />
Jüdischen Kultusgemeinden wurden von den NS-<br />
Machthabern als Instrument zur „Behandlung“ der<br />
Juden benutzt.<br />
Hinsichtlich der katholischen Vereine wurde folgende<br />
Regelung getroffen: „Die katholischen Vereine werden<br />
3 Gruppen zugewiesen. Die Vereine der<br />
1. Gruppe (hier sind 32 Vereine angeführt wie<br />
Missionsvereine, Ordenskongregationen, Kirchenmusikvereine<br />
etc.) bleiben weiter bestehen, die<br />
70<br />
Vereine der 2. Gruppe (hier sind 28 Vereine angeführt<br />
wie Österreichische Jugendkraft, Katholische Frauenorganisation,<br />
Katholischer Männerverein, Sonnenkinder<br />
etc.) werden von der katholischen Kirche selbst<br />
aufgelöst, die Vereine der 3. Gruppe (hier sind 13<br />
Vereine angeführt wie kath. Arbeiter- und Arbeiterinnenverein,<br />
kath. Juristenverein, kath. Lehrerverein<br />
etc.) werden vom Stillhaltekommissar mittels Schlussbericht<br />
abgewickelt, d. h. es blieb für eine weitere<br />
Behandlung offen.“ Zur Stellung der Kirche zu dieser<br />
Situation siehe den Beitrag „NS-Vermögensentzug in<br />
Leonding“.<br />
Im Akt ist kein weiteres Stück zum Thema enthalten,<br />
die Gleichschaltung der als politisch eingestuften<br />
Vereine, für die die zentralen Stellen in Wien zuständig<br />
waren, ist im Wesentlichen erledigt.<br />
Lokale und sonstige Vereine<br />
Zur Erfassung und Behandlung von lokalen Vereinen,<br />
wie Trachten-, Musik-, Krieger-, Gesangsvereine etc.,<br />
wurden vom Reichsamt „Stillhaltekommissar“ Gauund<br />
Kreisbeauftragte eingesetzt. Der gaubeauftragte<br />
Stillhaltekommissar Oberdonau war Willy Schiffer, für<br />
den Kreis Linz-Land war Rudolf Ziegler zuständig. 17<br />
Ziel war die lückenlose Erfassung aller Vereine, die<br />
als wichtiger Baustein zur totalen „Menschenführung“<br />
durch die NSDAP verstanden wurde. 18 Die Vorgehensweise<br />
in Leonding sei an Hand des „Kriegerund<br />
Veteranenvereines“ und der „Liedertafel – Chorgemeinschaft“<br />
dargestellt.<br />
Der „Krieger- und Veteranenverein Leonding“ war<br />
1869 - das war die Zeit der Italienischen Unabhängigkeitskriege<br />
- gegründet worden. Er „überlebte“<br />
den ersten Weltkrieg und das Ende der Monarchie.<br />
Nach der NS-Machtübernahme wurden alle Kameradschafts-<br />
und Soldatenvereine in den „NS Reichs-<br />
kriegerbund Kyffhäuser“ eingegliedert. 19 Der Verein<br />
führte seit dem Jahr 1903 ein Protokollbuch. 20 Das<br />
wird auch nach dem Anschluss vom gleichen Vorstand,<br />
Josef Hagmüller, und dem gleichen Schriftführer,<br />
Franz Triendorfer, weitergeführt. Am 30.<br />
Oktober 1938 findet sich die erste Eintragung nach<br />
dem Anschluss. Was früher Versammlung hieß, wird<br />
jetzt Appell genannt, Der Vorstand führt jetzt den Titel<br />
Kameradschaftsführer, das Tagebuch heißt jetzt<br />
Parolebuch.<br />
Es wird beschlossen, heuer zu Allerheiligen nicht auszurücken<br />
und eine neue Vereinsfahne anzuschaffen.<br />
Am 4. Dezember 1938 findet sich ein Eintrag, dass<br />
das offenbar beschlagnahmte Geld wieder freigegeben<br />
wurde und ein General gibt gute Lehren und<br />
Aufklärungen. Im Juni 1939 fährt man zum Reichskriegertag<br />
nach Kassel.<br />
Im Dezember 1939 findet sich ein Eintrag im Protokollbuch,<br />
der in seiner Art sonst im ganzen Protokollbuch<br />
nicht zu finden ist. Mitten unter eher martialisch<br />
klingenden Einträgen kann man lesen:<br />
„Kamerad Hugo Winkler wird wegen 2 fi Stunden verspäteten<br />
Eintreffens um 1 Doppelliter Biergeld in die<br />
Büchse bestraft. Das Urtheil wurde sofort durchgeführt.“<br />
Ich erhalte das Gefühl, die haben das alles<br />
nicht recht ernst genommen.<br />
Es gibt „lehrreiche“ Vorträge von eigenen Leuten und<br />
von Fremden, es gibt unterhaltsame Abende, die viel<br />
zu schnell vergehen. Der Bau einer Schießstätte wird<br />
angedacht. Das Vereinsleben nimmt in dieser Zeit<br />
einen deutlichen Aufschwung.<br />
Februar 1944 wird auf Anregung von Bürgermeister<br />
Josef Miesenberger ein Musikzug in den Vereine aufgenommen,<br />
der offenbar in finanzielle Schwierigkeiten<br />
geraten war. Der Veteranenverein sorgt sich
auch um die Unterbringung der Musikinstrumente.<br />
Der Name „Hitler“ erscheint das erste Mal im April<br />
1942: „Abends um 8 Uhr findet in Strassers Saal eine<br />
gemeinsame Geburtstagsfeier unseres geliebten<br />
Führers Adolf Hitler statt. Geschlossen und gefertigt -<br />
Heil Hitler.“ Von da an wird öfters mit „Heil Hitler“<br />
geschlossen.<br />
Am 14. Jänner 1945 findet sich der letzte Eintrag<br />
eines Hauptappells im Vereinsheim Gasthof Wiesinger<br />
in Leonding. Es wurde der toten Kameraden<br />
gedacht und der Kassabericht verlesen.<br />
Nach Ende des 2. Weltkrieges wurde der Verein aufgelöst.<br />
Neben den NS-Organisationen selbst waren<br />
die Kameradschaftsvereine, Frontsoldaten- und<br />
Kriegervereine die einzigen, die nach 1945 verboten<br />
wurden. Im Jahr 1946 wurden paramilitärische Organisationen<br />
unter Hinweis auf § 1 Abs. 2 des NS-<br />
Verbotsgesetzes 21 verboten. Erst nach dem Staatsvertrag<br />
1955 wurden Kameradschaftsvereine wieder<br />
zugelassen.<br />
Auch Gesangsvereine wurden nicht aufgelöst sondern<br />
„freigestellt“ und dem Deutschen Sängerbund<br />
zugewiesen. Der Stillhaltekommissar Albert Hoffmann<br />
plante, in der Ostmark einen zentralen Kulturbund<br />
einzurichten. Diese Pläne zerschlugen sich aber wieder,<br />
es kam nicht dazu. 22 Man findet folgende Anmerkungen<br />
zum Wirken des Leondinger Gesangsvereines:<br />
23<br />
„1938: Am 27. Februar sind alle vollzählig beim Sängerball<br />
in Kleinmünchen. - Am 17. April werden Volkslieder<br />
beim Kameradschaftsabend der SA gesungen.<br />
- Am 8. Mai kommen alle zum 24. Gründungskonzert.<br />
- 1. Juli: Auf höhere Weisung müssen Frauen aus<br />
dem Verein austreten. Sie singen aber noch bis zum<br />
Oktober mit. - Die letzte Silvesterfeier vor Kriegs-<br />
Abb.22: Beschlagnahmte Vermögen bei katholischen Vereinen in Leonding 27<br />
71
ausbruch wird von Chormeister Oberlehrer Hess<br />
geleitet.<br />
1939: Die Sänger rücken zum „Singen für den Eintopfsonntag“<br />
aus, sind am 19. Juli beim „Begrüßungsabend<br />
für die Hitler-Urlauber“ (erste Freiwillige), bei<br />
der Männerchöre zu Gehör gebracht werden, und<br />
nehmen am 12. Juli an der letzten registrierten Probe<br />
teil.“ - Viele Sänger sind bereits eingerückt, zum Teil<br />
verzogen, manche anderswo in Arbeit. 1939-1946<br />
kommt es zu einer Unterbrechung der Vereinstätigkeit<br />
durch den Krieg. Etwa Mitte November 1946 finden<br />
wieder einige Sangesbrüder zusammen, um die<br />
Tätigkeit nach fast acht Jahren wieder aufzunehmen.<br />
Schlussbemerkungen<br />
Die NS-Machthaber sind auf eine reduzierte Vereinslandschaft<br />
getroffen. Schon die Machthaber des<br />
österreichischen Ständestaates hatten die Vereinsfreiheit<br />
eingeschränkt. Davon betroffen waren vor<br />
allem Vereine der politischen Gegner und der Gewerkschaften.<br />
In Deutschland, im Altreich, wurden zwar durch die<br />
Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat vom<br />
28. Februar 1933 24 jene Bestimmungen der Verfassung,<br />
die die Vereinsfreiheit betreffen, außer Kraft<br />
gesetzt, aber zu massenhaften Vereinsauflösungen<br />
wie in Österreich ist es nicht gekommen. Die für<br />
Österreich erfundene Behörde des „Stillhaltekommissars“<br />
wurde zwar nicht im Altreich, jedoch für andere<br />
besetzte Gebiete wie Sudetenland, Elsass, Lothringen,<br />
Luxemburg und Niederlande verwendet. 25<br />
Die „Behandlung“ der Vereine durch die NS-Machthaber<br />
war aber auch ein gewaltiger Raubzug. In die<br />
Kassen des Staates und der involvierten Behörden<br />
72<br />
flossen große Geldmengen und Sachwerte. Das<br />
Reichsamt „Stillhaltekommissar“ wurde schon im<br />
November 1939 wieder aufgelöst. Es war von Anfang<br />
an nur als Übergangseinrichtung gedacht. Im folgenden<br />
Jänner wurde die sogenannte „Aufbaufonds“-<br />
Vermögensverwaltungs-Gesellschaft gegründet, die<br />
das angehäufte Vermögen zu verwalten hatte. 26<br />
In der Sammlung des Stadtmuseums Leonding sind<br />
geringe Bestände der Bibliotheken der vom Ständestaat<br />
und den Nationalsozialisten aufgelösten Vereine<br />
vorhanden. Sie umfassen Belletristik, Sachbücher<br />
und politische Schriften. Allen Organisationen ist<br />
gemeinsam, dass sie ihre Ansichten unters Volk bringen<br />
wollten, die Menschen mit ihren Ansichten indoktrinieren<br />
wollten. Nichts anderes wollten die totalitären<br />
Regime des Ständestaates und der Nationalsozialisten.<br />
Die Nationalsozialisten brachten es im<br />
Einsatz der Medien zu großer Meisterschaft, aber es<br />
gab eben nur mehr eine Meinung, und es wurde<br />
zunehmend gefährlicher, eine andere Meinung zu<br />
haben.<br />
Anmerkungen<br />
1 Reichs-Gesetz-Blatt für das Kaiserthum Österreich RGBl<br />
134/1857 vom 15. November 1867, Seite 377<br />
2 Historikerkommission Band 21/1, Vereine im<br />
Nationalsozialismus, Seite 13<br />
3 Staatsgesetzblatt für den Staat Deutschösterreich StGBl<br />
3/1918, 1. Stück, Seite 3<br />
4 Bezirkshauptmannschaft Linz-Land BH LL vom 26.4.1938;<br />
OÖLA Pol. Akt;. Sch. 18, Film 9; Zahl 216/18/38, Brief mit 2<br />
Verzeichnissen<br />
5 BH LL vom 18.3.1938; OÖLA Pol. Akt;. Sch. 17, Film 9;<br />
Zahl 28/18/38<br />
6 Historikerkommission Band 21/1, a.a.O., Seite 50<br />
7 Komm. Leiter vom 27.4.1938; OÖLA Pol. Akt;. Sch. 17,<br />
Film 9; Zahl 216/18/38 mit Verzeichnissen<br />
8 Schreiben vom 12. Mai 1938, OÖLA Pol. Akt;. Sch. 17,<br />
Film 9; Zahl 216/18/38<br />
9 Gendarmeriepostenkommando, GendPKdo Leonding vom<br />
14.5.1938; OÖLA Pol. Akt;. Sch. 17, Film 9; Zahl 183/18/38<br />
10 Gesetz vom 17. Mai 1938, OÖLA Pol. Akt;. Sch. 17, Film<br />
9; Zahl 216/18/38<br />
11 GendPKdo vom 21. Mai 1938, OÖLA Pol. Akt;. Sch. 17,<br />
Film 9; Zahl 216/18/38<br />
12 GendPKdo vom 24. Mai 1938, OÖLA Pol. Akt;. Sch. 17,<br />
Film 9; Zahl 216/18/38<br />
13 GendPKdo vom 25. Mai 1938, OÖLA Pol. Akt;. Sch. 17,<br />
Film 9; Zahl 216/18/38<br />
14 2 Listen ohne Datum, OÖLA Pol. Akt;. Sch. 17, Film 9;<br />
Zahl 216/18/38<br />
15 Stillhaltekommissar vom 6. Juli 1938, OÖLA Pol. Akt;.<br />
Sch. 17, Film 9; Zahl 216/18/38<br />
16 Der Stillhaltekommissar vom 5.8.1938; OÖLA Pol. Akt.;<br />
Sch 17, Film 9, Nr. 216/18/38<br />
17 Historikerkommission Band 21/1; a.a.O., Anhang, Seite<br />
560<br />
18 Historikerkommission Band 21/1; a.a.O., Seite 141<br />
19 Historikerkommission Band 21/1; a.a.O., Seite 193
20 Protokollbuch des Krieger- und Veteranenvereins<br />
Leonding, Turm 9 - Stadtmuseum Leonding<br />
21 Staatsgesetzblatt StGBl. Nr. 13, Verbotsgesetz vom 8.<br />
Mai 1945<br />
22 Historikerkommission 21/1, a.a.O.; Seite 217 und 639<br />
23 Leondinger Gemeindebriefe Nr. 77 / Juni 1989: J.A.<br />
Kauer: 75 Jahre Liedertafel – Chorgemeinschaft Leonding:<br />
S. 15ff<br />
24 Deutsches Reichsgesetzblatt, RGBl. I 1933 Nr. 17. vom<br />
28. Februar 1933, Seite 83<br />
25 Historikerkommission 21/1, a.a.O.; Seite 58 und 79<br />
26 Historikerkommission 21/1, a.a.O.; Seite 26f<br />
27 GendPKdo Leonding am 24. Mai 1938; OÖLA Pol. Akt.;<br />
73
WIE EIN ALLTAGSGEGENSTAND<br />
BEDEUTUNG ERLANGT<br />
Judith Wurst-Varjai<br />
Bedeutung entsteht in unserem Kopf und ist deshalb<br />
auch ein höchst subjektiver Vorgang. Bedeutung wird<br />
gemacht, vom einzelnen und noch viel stärker von<br />
einer ganzen Gesellschaft. Deshalb ist die Frage<br />
nach der Bedeutung der Dinge so brisant: Sie kann<br />
uns Antworten liefern, mit denen wir die Menschen<br />
hinter den Objekten hervorholen können. Sie kann<br />
uns die Frage beantworten, warum manche Dinge so<br />
extrem erhaltenswert sind (oder zumindest so<br />
erscheinen!), manches eher nachlässig behandelt<br />
wird und warum vieles sofort zu Abfall wird – um vielleicht<br />
später unter ganz bestimmten Umständen eine<br />
verblüffende Wiederauferstehung als Kulturgut zu<br />
erleben. 1<br />
Eine mächtige Eiche erhebt sich über der Anhöhe<br />
von Oberelchingen. Ein weithin sichtbares Naturdenkmal.<br />
Nähern wir uns, bemerken wir den Hinweis,<br />
dass hier Napoleon Bonaparte am 14. Oktober 1895<br />
gestanden hat, um die Schlacht bei Elchingen, die<br />
große Niederlage der Österreicher zu beobachten.<br />
Andächtige und großmächtige Gefühle machen diesen<br />
geschichtsträchtigen Ort für den Besucher bedeutsam.<br />
Diesen Blick hatte der große Feldherr vor<br />
74<br />
Abb.23: Sofa im Gasthaus Wiesinger, Leonding 1<br />
Augen als so viele Menschen im Kampf ihr Leben<br />
verloren. Diese Schlacht entschied den heutigen<br />
Grenzverlauf zwischen Bayern und Baden-Württemberg<br />
und ist auch Bestandteil der Ausstattung<br />
des „Arc de Triumphe“ in Paris.<br />
Das offene luxuriös ausgestattete Automobil von<br />
Sarajewo, in dem am 28. Juni 1914 der Thronfolger<br />
Erzherzog Franz Ferdinand mit seiner Gattin von ser-
Abb.24: Postkarte mit Gasthaus Wiesinger 1904<br />
bischen Nationalisten ermordet wurde, macht das<br />
Objekt zu einem bedeutungsvollen Symbol einer<br />
Zeitenwende, eines beginnenden Weltkrieges und<br />
einer verlorenen Hoffnung.<br />
Ein gestalterisch unbedeutsames Möbelstück,<br />
großmächtig gearbeitet, neu bezogen, lässt den<br />
Besucher der Gaststätte an der Michaelsbergstraße 1<br />
in Leonding zunächst stutzen, da es so gar nicht in<br />
die Gaststube passt. Erst die Zusatzinformationen,<br />
die wir bereitwillig hierzu bekommen, rückt auch dieses<br />
Objekt aus der „Normalität des Alltags“ heraus<br />
und umgibt es gewollt oder ungewollt mit einer Aura.<br />
Die Eiche, der Wagen und das Sofa sind ganz normale<br />
Alltagsgegenstände, die erst durch die von<br />
außen herangetragene Bedeutung zusätzlich an Wert<br />
gewinnen oder verlieren. Eine Wertigkeit, die von<br />
gesellschaftlichen Leitgedanken abhängig ist und die<br />
auch künstlich überhöht werden kann, um den Tourismus<br />
anzukurbeln, die Gaststättenbesucher zu vermehren<br />
oder die Besucherzahlen des Heeresgeschichtlichen<br />
Museums zu erhöhen. Allen diesen<br />
Objekten gemeinsam ist jedoch die Verknüpfung mit<br />
einem historischen Ereignis. 2<br />
Die Geschichte des Sofas im Gasthaus Wiesinger,<br />
wird von Ing. Manfred Wiesinger, Baumeister und<br />
Besitzer des Gebäudes gerne erzählt und beginnt mit<br />
der Geschichte des Wirtshauses. 3<br />
Hausblatt Leonding Nr. 12<br />
Wirt zu Leonding<br />
Hoftaferne<br />
Das Wirtshaus Leonding war die Taferne des Schlosses<br />
Holzheim und wird auch in älteren Schriften als<br />
„Hoftaferne“ bezeichnet. Im Jahre 1784 war „Leopold<br />
Herz“ Pächter der Hoftaverne. Ursprünglich hatten die<br />
Grundherrschaften, Klöster, Landadelige aber auch<br />
Pfarreien nahezu alle Schankrechte in den Tavernen<br />
und anderen Landgasthäusern inne. Durch Pacht und<br />
erleichtertes Vergabewesen aber kamen manche<br />
Wirte – urkundlich auch „Leutgeb“ und „Gastgeb“<br />
genannt – zu günstigen Konditionen, oder sie wurden<br />
durch die Gunst der Lage so bevorzugt, dass sie<br />
schneller unabhängig wurden. Im Tram der geschnitzten<br />
Holzdecke des Gastzimmers ist die Jahreszahl<br />
1732 angebracht, ob diese das Erbauungsjahr (Neuerrichtung)<br />
angibt oder damals erst der Plafond eingesetzt<br />
wurde, läßt sich nicht genau feststellen. Der<br />
damalige Besitzer Wiesinger (1872 - 1947) ließ im<br />
Jahre 1938 unter dem Eindruck des zu erwartenden,<br />
steigenden Fremdenverkehrs wegen des „Führers“ –<br />
Adolf Hitler – Heimatortes Leonding das Gasthaus<br />
neu gestalten und auch eine Anzahl Fremdenzimmer<br />
einbauen. 4<br />
Er war uneheliches Kind der Maria Wiesinger und des<br />
Michael Stiefler aus Eferding und führte 1903 das<br />
Gasthaus Wiesinger. Laut Notariatsakt vom 27. Juli<br />
1902 verkaufte M. Stiefler um 32.000,- Kronen das<br />
Gasthaus Leonding Nr. 12 an seinen Sohn J.<br />
Wiesinger. Dessen Sohn Johann Wiesinger (1903 -<br />
1992) erbte 1/14 des Gasthauses mitsamt der<br />
Inneneinrichtung, zu dem auch das Sofa gehörte.<br />
Vor der Übernahme des Gasthaus Wiesinger arbeitete<br />
er als Hoteldirektor am Arlberg. Er wurde 1941 eingezogen<br />
und war 1945 – 1950 in Kriegsgefangenschaft<br />
in Sibirienund war der letzte Leondinger, der<br />
aus der Kriegsgefangenschaft zurückkam. Seine<br />
Schwestern, die auch im Gastgewerbe tätig waren,<br />
führten während dieser Zeit das Gasthaus. Das Sofa<br />
stand immer dort am selben Platz und wurde von den<br />
Gästen genutzt. Auch von Alois Hitler, Vater von Adolf<br />
Hitler, der, als k. k. Finanzoberoffizial in Ruhestand<br />
getreten, 1898 im damaligen Dorf Leonding bei Linz<br />
ein Haus erwarb, worin er bis zu seinem Tod im Jahr<br />
1903 wohnte. Er verstarb auf dem ledergepolsterten<br />
Sofa, das bis zum heutigen Tag im Gasthaus<br />
Wiesinger – jetzt Pizzeria Bardolino – steht.<br />
Zu den Folgen<br />
Herr Staybl Karl, seit 1981 Pächter der Pizzeria<br />
Bardolino, über die Folgen, die sich daraus ergaben,<br />
dass Alois Hitler auf dem Sofa verstarb. 5 Den „Nazibuam“<br />
(meist im Alter von 30 – 35 Jahren), die in den<br />
80iger Jahren gelegentlich kamen, wurde von Hrn.<br />
Staybl Lokalverbot erteilt und aus diesem Grund hörten<br />
diese Besuche auf. Das Sofa gehörte traditionell<br />
75
zur Gaststube. Etwa 1985 ließ Hr. Staybl den Überzug<br />
aus Leder um ATS 20.000,- erneuern. Leider gibt<br />
es dazu keinerlei schriftliche Unterlagen mehr. Er<br />
erinnert sich auch nicht mehr, bei wem er die Arbeit<br />
durchführen ließ. „Auf jeden Fall war es damals gar<br />
nicht so einfach, jemanden für diese Arbeit zu finden“.<br />
Erneuert werden musste der Bezug, da sich „einschlägige<br />
Sammler“ Lederteilchen aus dem Bezug<br />
schnitten und daher dieser unansehnlich geworden<br />
war. Beim Neubezug des Sofas, der ca. 6- 8 Wochen<br />
dauerte, fragten viele „alte“ Leondinger nach der<br />
„Sof“. Hr. Staybl selbst sieht das Sofa nicht als „Nazirelikt“.<br />
Einen „Boom“ an Besuchern, die sich auf dem<br />
Sofa fotografieren ließen, gab es nach der Ausstrahlung<br />
des Filmes „Ein junger Mann aus dem<br />
Innviertel – Adolf Hitler“ von Axel Corti. 6 Ende 1980<br />
drehte sogar ein japanisches Filmteam einen Beitrag<br />
über das Sofa. 7<br />
Zur Vorgeschichte<br />
„23. Februar 1899: Die Familie Hitler siedelte nach<br />
Leonding ueber. ....Das neue Heim... ein freundliches,<br />
schlichtes, einstoeckiges Haus, von einem Obstgarten<br />
umgeben und mit grossen Baeumen vor der<br />
Haustuere... ...Vom Fenster aus sah man die Kuppel<br />
der Dorfkirche heruebergruessen und dahinter reckte<br />
der Kirnberg sein Massiv in die Luft, wohl damals das<br />
Hauptbetaetigungsfeld des jungen Adolf in seinen<br />
Freistunden. Hier schlug er — wie sein spaeterer<br />
Vormund, der Bauernhofbesitzer Josef Meierhofer<br />
erzaehlte — mit seinen Schulkameraden noch einmal<br />
die Schlachten des Burenkrieges, die von Ladysmith<br />
und Bleuefontain, die damals die Jugend ganz<br />
Europas in ihren Bann schlugen und zur Nachahmung<br />
(wenn auch nur mit Knueppeln) herausforderten.<br />
In dieser Zeit ist es auch gewesen, dass die<br />
Jungen populaer gehaltene Kriegsgeschichten ueber<br />
76<br />
den Krieg 1870/71 in die Hand fielen, die seine Phantasie<br />
voellig gefangennahmen. Welches Terrain<br />
waere geeigneter gewesen zur Wiedergabe solcher<br />
Schlachten als das wellige, schwer uebersichtliche<br />
Gelaende von Leonding oder die Tannenwaelder des<br />
Kirnbergs. Die Volksschule, die Adolf noch ein Jahr in<br />
Leonding besuchte, war im Erdgeschoss des Pfarrhauses,<br />
das direkt der Kirche gegenueber lag, untergebracht.<br />
Sie duerfte ihm ebensowenig Schwierigkeiten<br />
bereitet haben, wie die in Lambach, denn wer<br />
Adolf Hitler in jener Zeit kannte, erzaehlt, dass er ein<br />
aussergewoehnlich aufgeweckter Junge voll Witz und<br />
grosser Beredsamkeit war, dem es auch nicht darauf<br />
ankam, bei seinen Schulkameraden handgreiflich<br />
seine Ansichten durchzusetzen, und der deshalb zumeist<br />
bei allen Streichen die Anfuehrerrolle spielte.<br />
Wie es sein Schulkamerad Wieser so treffend ausdrueckte:<br />
„a zuenftiger Lausbub,“<br />
Als der Vater Hitlers einem Blutsturz erlag, uebernahm<br />
der Bauernhofbesitzer Josef Meierhofer die<br />
Vormundschaft ueber Adolf Hitler. Der Vater selbst<br />
hatte diese Regelung noch vorgesehen.“ 8<br />
Mitte August 1902 befiel den 65jährigen Mann ein<br />
Blutsturz. Das ist bezeugt durch eine Ansichtskarte,<br />
die er am 28. Dezember seinem früheren Nachbar<br />
Wührer schrieb; nach seiner Ansicht wurde dieser<br />
Blutsturz ausgelöst durch Überanstrengung beim<br />
Abladen der Kohle in den Keller.<br />
„Samstag, den 5. Jänner 1903, als er so wie alltäglich<br />
in das Gasthaus Wiesinger gekommen und den<br />
ersten Schluck aus dem Weinglas getan hatte, sank<br />
er um; man trug ihn in den Nebenraum, wo er verschied,<br />
noch bevor Arzt und Priester zur Stelle sein<br />
konnten.“ Als Todesursache steht in der Sterbematrik:<br />
Lungenblutung.<br />
„Mit seiner Leiche gingen am Montag, dem 5. Jänner,<br />
als Vertreter der Zollbeamten E. Lugert und sein<br />
Freund Wessely, der ein Jahr später, ebenfalls um<br />
zehn Uhr vormittags, in seinem Amtszimmer das gleiche<br />
plötzliche Ende fand.“<br />
Dies ist der wirkliche Sachverhalt beim Ableben<br />
Hitlers, so wie es mir Frau Wiesinger als damals<br />
Anwesende versicherte. In den Schriften über Adolf<br />
wird - kindischerweise - die Tatsache, daß sein Vater<br />
im Wirtshaus starb, teils verschwiegen, teils zu beschönigen<br />
versucht; kein Grund dazu; ein Pensionist<br />
in der materiellen Lage wie Hitler konnte sich wirklich<br />
vormittags ein Glas Wein gönnen, ohne daß man ihm<br />
darob einen Vorwurf machen dürfte.<br />
Die in Oberösterreich meistverbreitete freisinnige<br />
Tageszeitung, die in Linz erscheinende „Tagespost“,<br />
brachte in ihrer Nummer vom 8. Jänner 1903 folgenden<br />
Nachruf:<br />
„Leonding, 5. Jänner. Wir haben einen guten Mann<br />
begraben - dies können wir mit Recht sagen von<br />
Alois Hitler, k. k. Zollamts-Oberoffizial i. P., der heute<br />
hier zur letzten Ruhestätte getragen wurde. Am 5. d.<br />
M. hatte, als er unwohl, wie er sich fühlte, im Gasthaus<br />
Stiefler mit einem Gläschen Wein sich stärken<br />
wollte, ein Schlagfluß seinem Leben ein plötzliches<br />
Ende bereitet. Alois Hitler stand im 65. Lebensjahr<br />
(richtig im 66. ! Anm.- J. W.- V.) und hatte eine freudund<br />
leidbewegte Vergangenheit. Er hatte, nur mit<br />
Volksschulbildung ausgestattet, ursprünglich das<br />
Schuhmacherhandwerk gelernt, sich aber in der<br />
Folge auf autodidaktischem Wege für die Beamtenlaufbahn<br />
vorbereitet und auf diesem Gebiete Ersprießliches<br />
geleistet, außerdem auch als Ökonom<br />
seinen Mann gestellt. Salzburg, Braunau, Simbach,<br />
Linz u. a. waren seine Dienstorte. Alois Hitler war ein<br />
durch und durch fortschrittlich gesinnter Mann und als
solcher ein warmer Freund der freien Schule. In der<br />
Gesellschaft war er stets heiter, ja von geradezu<br />
jugendlichem Frohsinn. Fiel auch ab und zu ein<br />
schroffes Wort aus seinem Munde, unter einer rauhen<br />
Hülle barg sich ein gutes Herz. Für Recht und Rechtlichkeit<br />
trat er jederzeit mit aller Energie ein. In allen<br />
Dingen unterrichtet, konnte er überall ein entscheidendes<br />
Wort mitsprechen. Ein Freund des Gesanges,<br />
fühlte er sich glücklich inmitten sangesfroher Brüder.<br />
Auf dem Gebiete der Bienenzucht war er eine Autorität.<br />
Nicht zum wenigsten zeichneten ihn große Genügsamkeit<br />
und ein sparsamer, haushälterischer Sinn<br />
aus. Alles in allem: Hitlers Heimgang riß eine große<br />
Lücke, nicht nur in seiner Familie - er hinterläßt eine<br />
Witwe und vier, zumeist unversorgte Kinder -, sondern<br />
auch im Kreise seiner Freunde und Bekannten,<br />
die ihm ein gutes Andenken bewahren werden.“ 9<br />
Für die Familie war dies ein ungeheurer Schlag und<br />
Adolf hat damals an der Leiche seines Vaters herzzerreißend<br />
geweint. Seine Mutter verkaufte dann das<br />
Haus im Jahre 1905 und zog nach Linz (Humboldtstraße<br />
Nr. 31, 3. Stock), da Ja nun Adolf die Realschule<br />
besuchte und der tägliche Weg nach Leonding<br />
für ihn zu umständlich gewesen wäre. Sie starb je-<br />
doch in Urfahr (21. Dezember 1907) im Alter von 47<br />
Jahren an den Folgen eines Krebsleidens. Über ihren<br />
und ihrer Kinder Wunsch wurde sie nach Leonding<br />
überführt und an der Seite ihres Mannes begraben.<br />
Diese Weihnachten waren für Adolf unvergesslich,<br />
seine Mutter hatte er ja unendlich lieb und trug auch<br />
später noch (im Felde) ihr Bild an der Brust. 10<br />
Instrumentalisierung des Ortes im<br />
Nationalsozialismus:<br />
Die Bemühungen der NSDAP Ortsgruppe bzw. von<br />
Propagandaspezialisten der Partei, Elterngrab und<br />
ehemaliges Wohnhaus als wesentliches Element des<br />
Führerkultes zu etablieren, wurden von Hitler durchaus<br />
wohlwollend zur Kenntnis genommen. Für die<br />
Gemeinde bedeutete die Existenz der „Kult- und<br />
Weihestätte“, dass der Strom der Besucher in den<br />
nächsten Jahren nicht abriß: Zehntausende besuchten<br />
das Grab von Hitlers Eltern und wollten sehen,<br />
wie der „Führer“ in seinen Jugendjahren gelebt hatte.<br />
Der Kult um das „Grab der Eltern des Führers“ und<br />
um das „Elternhaus des Führers in Leonding“ wurde<br />
von lokalen Vertretern der NSDAP initiiert und betrieben.<br />
[ ] In den folgenden Jahren wurde das Hitler-<br />
Elterngrab und das Haus zum fixen Programmpunkt<br />
aller damals üblichen Prominentenbesuche. Ähnlich<br />
idealisiert wurde und wird zweifelsohne auch das<br />
besagte Sofa. 11<br />
Der Begriff „Sofa“, stammt aus dem arabischen<br />
ßuffa, im Schwedischen entsprechend soffa, eine<br />
Ruhebank, im Plural „Sofas“; alternativ auch Couch<br />
(aus dem englischen) oder Kanapee (von französisch<br />
canapé) oder Diwan (arabisches Wort für „Amtszimmer“,<br />
vom Verb dawwana – „niederschreiben“) in<br />
Österreich teilweise Bettbank genannt, ist ein gepolstertes<br />
Sitz- und Liege-Möbelstück in verschiedenen<br />
Abb.26: Parte Alois Hitlers<br />
Abb.25: Sofa im Gasthaus Wiesinger, Leonding 2 Abb.27: Sofa im Gasthaus Wiesinger, Leonding 3<br />
Designs für den Tag, daher engl. Daybed. So lautet<br />
der Eintrag im Duden, der uns neben den Wortherleitungen<br />
auch die unbedingte Verbindung mit einer<br />
Ruhestätte, mit Polsterungen und Gemütlichkeit vermittelt.<br />
12 Zum 150. Geburtstag Sigmund Freuds<br />
gestattete das Wiener Freud Museum dem Jubilar<br />
eine Sonderausstellung, die sich der symbolhaften<br />
Couch in Kunst und Kultur des 20. Jahrhunderts widmete.<br />
Seit 1886 therapierte Freud seine Patienten auf<br />
seinem Diwan. Die Couch, soll durch ihre Instabilität,<br />
die „keine eindeutige Körperhaltung vorgibt“ in Pa-<br />
77
tienten einen „Hang zum Kontrollverlust“ hervorrufen.<br />
Auf jeden Fall ist die Couch oder das Sofa ein Berufssignet<br />
geworden. „Die Couch ist ein Ort, an dem<br />
Gedanken gedacht werden dürfen, die an keinem<br />
anderen Ort gedacht werden dürfen.“ 13<br />
Das Sofa oder die Couch wird zu einem Kristallisationspunkt<br />
der Assoziation und wird doch auch<br />
immer mit einer gewissen „Privatheit“ verknüpft. Das<br />
eine oder das andere Sofa der Weltgeschichte hat so<br />
durch die Verbindung mit historischen Ereignissen,<br />
als Propagandamittel, Symbol oder durch Assoziationen<br />
Bedeutung und Weltruhm erlangt.<br />
Noch Ende Juni 2008 ließen sich Amerikaner - ein<br />
älteres Ehepaar – stolz mit einem Glas Sekt in der<br />
Hand auf dem „Sofa“ fotografieren. Inzwischen verblasst<br />
sein „Weltruhm“ immer mehr und seine<br />
Bedeutung schwindet. 14<br />
78<br />
Anmerkungen<br />
1 Kornelius Götz, Präsident VDR, 5. Restauratorentag 2007<br />
2 Thekla Weissengruber, Juli 2008<br />
3 Zeitzeugenbefragung am 17. April 2008<br />
4 Ing. Horst Eigl, KG. Leonding, Häuserverzeichnis nach<br />
Ortschaften, Stand nach dem Josephinischen Lagebuch aus<br />
dem Jahre 1785<br />
5 Zeitzeugenbefragung am 16. April 2008<br />
6 DER SPIEGEL 48/1973 vom 26.11.1973, Ein junger Mann<br />
aus dem Innviertel – Adolf Hitler(Corti Axel: 1973:<br />
Bundesrepublik Deutschland; Österreich)<br />
7 Leider konnten hierzu keine Hinweise gefunden werden<br />
8 Chelius, F.H. Aus Adolf Hitlers Jugendland und Jugendzeit.<br />
1933.pp.27,28,29. http://www.nizkor.org im Juni 2008<br />
9 Jetzinger, Franz; Hitlers Jugend; Phantasien, Lügen und<br />
die Wahrheit; Wien 1956; S. 72ff,<br />
http://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Jetzinger im Juni 2008<br />
10 Karning, Karl, Der Reichskanzler und Leonding; Linzer<br />
Volksblatt Nr. 86 Seite 6, 1933<br />
11 Kepplinger, Brigitte; Das Leondinger „Hitlerhaus“,<br />
Gutachten zu seiner erinnerungspolitischen Bedeutung<br />
12 Die Geschichte des Sofas und seiner Assoziationen,<br />
berühmte Persönlichkeiten und ihre „Sofas“, „Sofas“, die an<br />
der Welt- und Kulturgeschichte beteiligt waren, bis hin zum<br />
Beispiel des „Roten Sofas, das um die Welt reist“, ist eine<br />
eigene Abhandlung wert und kann an anderer Stelle erläutert<br />
werden.<br />
13 Vom Diwan auf die Couch. Freud Museum zeigt<br />
Liegemöbel als Psychotherapeutikum. In: Der Standard<br />
5.5.2006. – Mayer, Norbert: Der abgewetzte Sitz der Seele.<br />
In: Die Presse 5.5.2006. – Von Hempels Sofa auf Freuds<br />
Couch. In: Süddeutsche Zeitung vom 6.5.2006.<br />
14 Bericht Augenzeuge Philipp Lauthner
FRÜHER TOURISMUS IN LEONDING<br />
Thekla Weissengruber<br />
Tourismus und Neugier, die sich zu Lebzeiten um das<br />
private Leben des Diktators Adolf Hitler scharten,<br />
wurden bewusst gefördert und für andere Zwecke<br />
ausgenutzt. Der Werdegang und Lebensweg dieser<br />
Person wurde vorsätzlich verschleiert, idealisiert, die<br />
vorhandenen archivalischen Fakten verschwanden<br />
und somit war die Möglichkeit gegeben, einen Mythos<br />
aufzubauen. Zahlreiche dieser Mythen konnten inzwischen<br />
widerlegt werden, jedoch sind unzählige<br />
Originaldokumente für immer verloren oder (noch)<br />
nicht aufspürbar. Auch in Leonding waren verschiedene<br />
SA-Offiziere bei den verschiedenen Stellen auf<br />
Suche. In der Pfarrchronik, die von Dechant Josef<br />
Haudum geführt wurde, wird an mehreren Stellen von<br />
derartigen Verlusten berichtet. 1<br />
Dennoch muss gerade die Pfarrchronik, die unzählige<br />
Hinweise auch auf den Tourismus in Leonding gibt,<br />
relativiert werden, da die Einträge aus den Jahren<br />
1938 bis 1945 nachträglich gemacht wurden. Pfarrer<br />
Haudum gibt dies auch selbst zu, wenn er schreibt,<br />
dass er „im folgenden versucht eine Darstellung der<br />
wichtigsten Ereignisse der kommenden Wochen,<br />
soweit man sie im Drange der Ereignisse und der<br />
Arbeit (Matrikendokumente für Arier-Nachweise) in<br />
Kürze wiedergeben kann.“ 2<br />
Als weitere Quellenhinweise dienen die politischen<br />
Akte im Oberösterreichischen Landesarchiv und die<br />
vom damaligen Heimatforscher und ehemaligen<br />
Bundesbahnbeamten Karl Karning seit 1935 geführte<br />
Gemeindechronik, die allerdings wiederum nur den<br />
persönlichen Eindruck wiedergibt. Auch konnte man<br />
von den verschiedenen Zeitzeugen persönliche<br />
Eindrücke und Empfindungen erfahren. Zudem gibt<br />
es unzählige Berichte von Prominentenbesuchen in<br />
den hiesigen Tageszeitungen und Broschüren.<br />
Das „Elterngrab des Führers“<br />
Wichtig erscheint es vorab darauf hinzuweisen, dass<br />
erst mit der Verknüpfung von Elterngrab und Hitlerwohnhaus<br />
die Voraussetzungen gegeben waren, hier<br />
eine Erinnerungsstätte, besser gesagt Kult- und<br />
Weihestätte zu errichten. Die NS-Propaganda, insbesondere<br />
unter Mithilfe der lokalen Vertreter der<br />
NSDAP, initiierten diesen Kult ganz bewusst um das<br />
„Grab der Eltern des Führers“. In allen zeitgenössischen<br />
Berichten wird die Grabstätte als zentraler<br />
Anziehungspunkt hervorgehoben und das Wohnhaus<br />
28<br />
gewissermaßen als zweite Möglichkeit, da in unmittelbarer<br />
Nähe des Friedhofs gelegen, quasi mitgenommen.<br />
In allen Kulturen spielen Geburtsstätten und<br />
Sterbeorte immer eine zentrale Rolle im gesellschaftlichen<br />
Gedächtnis. 3 Demgemäß ist auch zunächst<br />
das Elterngrab Ziel zahlreicher Besucher.<br />
Interessanterweise wurde der Fakt, dass Adolf Hitler<br />
persönlich die Pläne zur Errichtung des Grabes seiner<br />
Eltern im Jahre 1907 gezeichnet hat, nicht ausgenutzt.<br />
4<br />
Der Tourismus, um das Leben und die Herkunft Adolf<br />
Hitlers setzte bereits in den frühen 1930er Jahren an<br />
und ist in den Protokollen der Gendarmerie sehr gut<br />
dokumentiert. Einem Eintrag in den Politischen Akten<br />
verdanken wir den Hinweis, dass seit April 1933 Grab<br />
und Wohnhaus der Eltern Hitlers wiederholt fotografiert<br />
und von Reichsdeutschen besucht werden. Da<br />
das Hitlergrab mehrfach geschändet wird, d.h. niedergelegte<br />
Kränze verworfen, bzw. Schleifen beschädigt<br />
werden, wird das Grab seit dieser Zeit von NSDAP-<br />
Leuten in zivil bewacht. 5 Eine amerikanische<br />
Tonfilmgesellschaft filmt Grab und Wohnhaus bereits<br />
im Mai 1933 und befragt verschiedene Bewohner vor<br />
79
29 30 31<br />
32<br />
80<br />
33<br />
34<br />
35
36 37 38<br />
39 40 41<br />
42<br />
43<br />
44<br />
Abbildungen Seite 79 - 81 zu Absätzen „Elterngrab“ und „Hitlerhaus“<br />
28: Ansprache Wilhelm Hagmüller vor demHitlergrab<br />
29 - 31: Postkarten Kasberger (Elterngrab, Leonding, Elternhaus)<br />
32: Hitlergrab geschmückt<br />
33: Postkarte des Elterngrabs<br />
34: SA-Abordnung vor Hitlergrab<br />
35: Ehrengruß am Hitlergrab<br />
36: Hitlers Elternhaus in Leonding<br />
37: Postkarte mit Hitler-Haus-Motiv<br />
38 Postkarte „Leonding die Heimat des Führers“<br />
39 u. 40: Italienische Delegation mit Eigruber am 5.2.1942<br />
41: Hitler beim Besuch des Elternhauses am 13.3.1938<br />
42: Lageplan für Fremdenführer<br />
43: Poststempel: „Leonding Heimatort des Führers“<br />
44: Fremdenführer Leonding<br />
81
laufender Kamera. Im darauf folgenden Monat (13.-<br />
16. 6.1933) wird das Hitlerhaus und der Friedhof mit<br />
der Kirche, sowie das Hitlergrab von einem gewissen<br />
Haydn aus Linz gemalt. „Nach Angabe des Malers<br />
werden von den Gemälden zur gegebenen Zeit<br />
Lichtbilder angefertigt und zwar dann, wenn die<br />
Grenze nach Deutschland wieder ohne Übertrittsgebühr<br />
überschritten werden kann und freundschaftliche<br />
Verhältnisse zwischen beiden Staaten eintreten“.<br />
So der Polizeibericht, obgleich sich gleichzeitig der<br />
Besuch am Friedhof reduzierte. 6 Dennoch gestattete<br />
die Bezirkshauptmannschaft die Kranzniederlegung<br />
am 19. August 1933 von Josef F., Hoteldiener in<br />
Leonding Nr. 11 und Wilhelm P., Leonding Nr. 18,<br />
obgleich die Hakenkreuzschleifen zu entfernen<br />
waren. 7 Im November mehrten sich die Mitteilungen<br />
über Besuche am Elterngrab des deutschen Reichskanzlers.<br />
Kränze unter anderem vom „Reichsdeutschen<br />
Kameradschaftsbund Linz“ wurden niedergelegt.<br />
„Am Grabe standen viele Neugierige, darunter<br />
auch Nationalsozialisten.<br />
Das Hitlergrab war ausnahmsweise schön geschmückt“,<br />
berichtet der Chronist. 8 Auch am 24.12.<br />
wurde das Grab mit Blumen und drei Christbäumen<br />
reich geschmückt. 9 Im April 1934 wurde das Hitlergrab<br />
besonders an Sonntagen sehr viel besucht. Am<br />
18. April erschienen ein Herr und eine Dame in einem<br />
Personenkraftwagen, die auf das Hitlergrab einen<br />
Kranz niederlegten. Der Kranz hatte zwei Bänder mit<br />
der Aufschrift „Der deutschen Mutter – die Frauen<br />
Deutschösterreichs“. Die Bänder wurden vorläufig<br />
abgenommen und am Posten verwahrt, da dies als<br />
gesetzeswidrige Handlung gesehen wurde und wegen<br />
staatsfeindlicher Handlungen angezeigt hätte<br />
werden sollen. 10 Der Posten Leonding wird in der<br />
Folge angehalten, vermehrt Erhebungen zu machen<br />
82<br />
und die nationalsozialistische „Szene“ in Leonding zu<br />
beobachten. Im November 1934 mussten allerdings<br />
zwei Damen aus Suben wegen Nationalsozialistischer<br />
Betätigung angezeigt werden, da sie am<br />
Elterngrab Ehrenwache hielten und offensichtlich<br />
zwei Kränze mit Schleifen niedergelegt hatten. 11<br />
Andere Kränze werden zum Kriegerdenkmal gelegt<br />
oder entfernt. Die Situationsberichte in diesen Protokollen<br />
sind gerade in diesem Hinblick sehr aufschlussreich.<br />
Aufhorchen lässt auch der Besuch<br />
eines Abgesandten von Franz von Papen im August<br />
1934, dem deutschen Gesandten in Wien, der dadurch<br />
auffiel, dass er mittels Kraftwagen ankam und<br />
einen Blumenstrauß niederlegte 12 , ebenso der deutsche<br />
Konsul aus Kopenhagen, der Leonding am 9.<br />
September 1935 um 10 Uhr besuchte 13 , oder der<br />
deutsche Konsul aus Linz, der mit 14 Personen gar in<br />
4 Kraftwagen vorbeischaute. 14 Auch 1934 wird der<br />
Besuch im Herbst reger und verdichtet sich um den<br />
1. und 2. November zu rund 2000 bis 3000 Personen.<br />
15 Die Besuche in Leonding mehrten sich besonders<br />
nach dem Juliabkommen 1936 16 , sodass<br />
Leonding zu einem beliebten Ort für Manifestationen<br />
reichsdeutscher und einheimischer<br />
Nationalsozialisten avancierte.<br />
Am 6. September 1936 wurde mit dem Donauschiff<br />
„Habsburg“ eine Propagandafahrt vom Passauer<br />
Oberbürgermeister Max Moosbauer zusammen mit<br />
über 300 Nationalsozialisten nach Linz und Leonding<br />
organisiert. Die stürmische Begrüßung in Linz unter<br />
anderem von deutschvölkischen Turnvereinen und<br />
der reichsdeutschen Kolonie, endete in einem Empfang<br />
im Linzer Rathaus unter den Jubelrufen der<br />
Menge. Obligatorisch wurden der Besuch des Elterngrabes,<br />
des ehemaligen Wohnhauses in Leonding<br />
und sogar ein Besuch des einstigen Vormundes von<br />
Adolf Hitler diesen Programmpunkten angefügt. Der<br />
Ausflug endete schließlich im Linzer Gasthaus<br />
Ennsthaler, wo sich zahlreiche „illegale“ Nationalsozialisten<br />
versammelt hatten. 17<br />
Besonders um Allerheiligen und Allerseelen versammelten<br />
sich Unzählige an diesem „nationalen“ Wallfahrtsort<br />
der NSDAP. 18 So auch 1936, wo mehrere<br />
hundert reichsdeutsche Nationalsozialisten, Abordnungen<br />
des „Bundes der Reichsdeutschen“ und des<br />
reichsdeutschen Kameradschaftsbundes aus Linz<br />
und Salzburg an das Elterngrab Hitlers pilgerten, um<br />
dort Kränze mit Hakenkreuzschleifen niederzulegen.<br />
„Auch bekannte Linzer Nationalsozialisten und SA-<br />
Funktionäre, eine Gruppe der Linzer HJ, eine Abordnung<br />
des Linzer „Turnvereins Jahn“ und des<br />
„Turnvereins 1862“ sowie nationalsozialistische Honoratioren<br />
ließen sich in diesen Tagen eine solche<br />
Arena der legalen politischen Deklaration nicht entgehen<br />
und marschierten teilweise regelrecht in militärischer<br />
Formation vor dem Grab auf“. Die planmäßige<br />
Organisation eines weiteren Grabbesuches am 8.<br />
November 1936 durch Linzer Nationalsozialisten dürfte<br />
nach übereinstimmenden Vermutungen der Leondinger<br />
Gendarmerie und des Sicherheitsdirektors von<br />
Sepp Wolkerstorfer ausgegangen sein. 19 Der reichsdeutsche<br />
Konsul Kastner sprach seinen Dank für das<br />
entgegenkommende Verhalten der Sicherheitsorgane<br />
aus und ersuchte bei dieser Gelegenheit, den Vertrieb<br />
von Karten mit Bildern des Hitler-Grabes zu<br />
erlauben. 20 Damit wird bezeugt, dass bereits zu dieser<br />
Zeit, die touristische Verwertung des Wohnortes<br />
Hitlers begonnen hatte. Ebenso erklärt es die frühen<br />
zeichnerischen Zeugnisse bekannter oberösterreichischer<br />
Künstler aus dem Jahre 1936. 21
Spätestens aber mit einer Meldung Anfang 1937 im<br />
Reichsdeutschen Rundfunk wurde Leonding über die<br />
Grenzen hinaus als „Hitler-Ort“ berühmt und bekannt.<br />
Die Pressepropaganda intervenierte wegen angeblicher<br />
„ungeheuerlicher Polizeimaßregeln“ am Elterngrab<br />
des „Führers“, bei der das Grab „in einer unglaublichen<br />
Barbarei erniedrigt“ dargestellt wurde.<br />
Angeblich war ein Reichsdeutscher bei der Niederlegung<br />
eines Kranzes am Grabe der Eltern gehindert<br />
worden. Man versuchte einen „Österreichischen<br />
Affront gegen das deutsche Staatsoberhaupt“ und<br />
eine Verletzung des Juliabkommens zu konstruieren.<br />
Die Angelegenheit endete damit, dass sich der österreichische<br />
Bundeskanzler entschuldigen musste,<br />
obgleich sich der Vorfall als Irrtum herausgestellt<br />
hatte. 22 Pfarrer Haudum berichtet über diesen Fall,<br />
dass „zu Allerheiligen ein B[undes]. Bahnbeamter im<br />
Namen der Germeinde Morzg-Salzburg einen Kranz<br />
niedergelegt, was von den Behörden nicht anerkannt<br />
würde. Der Völkische Beobachter brachte in größten<br />
Lettern auf der ersten Seite einen Artikel mit der Aufschrift:<br />
„Kulturschande in christlichem Ständestaat.“ 23<br />
Auch die Gemeindechronik berichtet ausführlich darüber:<br />
„Am 1. November 1936 legte ein Bundesbahnbeamter<br />
i.R. Herr Reinhold Bruckner in Begleitung<br />
seiner Gattin am Elterngrab des Reichskanzlers und<br />
Führers Hitler einen Kranz im Namen der Gemeinde<br />
Morzg bei Salzburg nieder. Da die genannte Gemeinde<br />
keinen derartigen Auftrag erteilt hatte, wurde<br />
die Kranzniederlegung als Demonstration für die verbotene<br />
NSDAP aufgefasst und das Ehepaar zu 250<br />
Schilling Geldstrafe verurteilt. Es mussten zwar nur<br />
50 Schilling bezahlt werden, der Rest wurde von der<br />
Generaldirektion für die Öff. Sicherheit nachgesehen.<br />
Es nahm sich aber der Deutsche Rundfunk und die<br />
gesamte Deutsche Presse dieser Sache an. Es kam<br />
zu Interventionen der deutschen und der österreichischen<br />
Regierung. Am 22. März wurde die Aufhebung<br />
der Geldstrafe verfügt, eine Regelung der Pensionsfrage<br />
in Aussicht gestellt und von Österreich versichert,<br />
dass man keine Verletzung der Gefühle des<br />
Deutschen Staatskanzlers beabsichtigt hätte.“ 24<br />
Auch um den Geburtstag des „Führers“ mehrten sich<br />
die Besuche in Leonding, so z.B. am 18. April 1937,<br />
wo von rund 1000 Personen berichtet werden konnte.<br />
Meist leisteten die vielen Nationalsozialisten in Leonding<br />
stumm den „deutschen Gruß“ und legten Blumen<br />
nieder. Die Kolonie der Reichsdeutschen in Linz<br />
beging Hitlers Geburtstag nach einer Feier ebenfalls<br />
mit einer Kranzniederlegung am Grab der Eltern. 25<br />
Ziel dieser Aktionen war es auf sich aufmerksam zu<br />
machen und den Anschein zu erwecken, als ob ein<br />
Großteil der Bevölkerung die Ideen des Nationalsozialismus<br />
mittragen würde.<br />
Nach dem Anschluss, bereits am 7. Mai 1938 kamen<br />
weitere „KdF-Schiffe“ nach Linz, wobei die Summe<br />
von 15.000 Personen genannt wurde. Ein „Sonderkraftwagen“<br />
fuhr 5.000 Interessierte nach Leonding<br />
zum „Elterngrab des Führers“. Der Linzer Tourismus<br />
intensivierte in der Folge die Werbungen zur „Jugendstadt<br />
des Führers“ oder zur „Heimat des Führers“. 26<br />
Man darf annehmen, dass regelmäßig auch Fahrten<br />
nach Leonding organisiert wurden.<br />
Die nationalsozialistische Gemeinschaft „Kraft durch<br />
Freude“ (KdF) war eine politische Organisation, mit<br />
der Aufgabe, die Freizeit der deutschen Bevölkerung<br />
zu gestalten, zu überwachen, zu steuern und gleichzuschalten.<br />
Sie bestand seit 1933 als Unterorganisation<br />
der Deutschen Arbeitsfront (DAF),<br />
gestaltet nach dem italienischen Vorbild der Opera<br />
Nazionale Dopolavoro. Nachdem die Zahl der<br />
Urlaubstage von durchschnittlich 8-12 Tagen auf 2-3<br />
Wochen im Jahr verlängert wurde, war auch die<br />
Bewachung und Lenkung der Bevölkerung in der<br />
Freizeit für die neuen Machthaber notwendig geworden.<br />
„Das Ziel der Organisation ist die Schaffung der<br />
nationalsozialistischen Volksgemeinschaft und die<br />
Vervollkommnung und Veredelung des deutschen<br />
Menschen.“ 27 Damit sollte die Arbeitsleistung und<br />
Produktivität gesteigert werden, die Volksgesundheit<br />
verbessert und dem Arbeiter nicht lasterhaftes verweichlichendes<br />
„Vergnügen“, sondern gesunde<br />
„Freude“ und „Kraft“ gegeben werden. Die nun für<br />
jedermann leistbaren „Kraft-durch-Freude“-Aktivitäten<br />
wie Theaterbesuche, Sportveranstaltungen, Konzerte,<br />
Vorträge, Urlaube und Rundfahrten waren Teil der<br />
Bemühung den deutschen Staat zur „Wohlfühldiktatur“<br />
zu machen. 28 Neben der Erholung sollte die<br />
Stärkung des Heimatgefühls, des Nationalstolzes und<br />
des Gemeinschaftsgefühls angepeilt werden. Eben<br />
jener kulturelle Aspekt führte zu bestens organisierten<br />
Reisen in den „Heimatgau des Führers“ und zu den<br />
ehemaligen Wohnstätten der Familie Hitler. Neben<br />
den Touristen, Einzel- oder Gruppeninteressenten<br />
waren es vor allem die Jugendorganisationen, allen<br />
voran die HJ und BDM, die regelmäßige Wanderungen,<br />
bzw. Ausflüge nach Leonding veranstalteten.<br />
Das „Hitlerhaus“<br />
Besonders nach dem Anschluss wurde von der Propaganda<br />
versucht, den Standort des Hitlerhauses<br />
neben dem Friedhof großartiger auszubauen.<br />
Leider sind die tatsächlichen Entstehungsdaten des<br />
Hauses Leonding Nr. 61 nicht bekannt. 29 Urkundlich<br />
erwähnt wird es erstmals durch den Kauf von Postmeister<br />
August Breslmayr am 31. Juli 1891, der das<br />
Gebäude wiederum am 14. November 1898 mit<br />
Eigentumsrecht je zur Hälfe an Alois und Clara Hitler<br />
83
verkauft. 30 Bezogen wurde das Haus von der Familie<br />
Hitler am 23. Februar 1899. 31 Nach dem Tod von<br />
Alois Hitler im Jänner 1903 bekam Klara Hitler erst<br />
mit 3. Dezember die Einantwortungsurkunde über die<br />
Realhälfte übertragen. Mit Kaufvertrag vom 21. Juni<br />
1905 ging das Haus in den Besitz von Wözl Wilhelm<br />
und Wözl Cäzilia über, wechselte in der Folge zu<br />
Josef und Maria Meindl mit 10. 8. 1909. 32 Eine Aktennotiz<br />
lässt nun aufhorchen. „Der Posten Leonding<br />
brachte in Erfahrung, dass sich drei Personen zwei<br />
Frauen und ein Herr, angeblich ein Kaufmann aus<br />
Urfahr – um den Ankauf des Elternhauses des<br />
Reichskanzlers Hitler, in Leonding Nr. 61, bemühen,<br />
jedoch keinen Erfolg hatten.“ 33 Das Objekt war nun<br />
also im Zusammenhang mit der siebenjährigen Verweildauer<br />
der Familie Hitler besonders interessant<br />
geworden.<br />
August Schmöller, der Leiter der „Landesstelle für<br />
Raumordnung für den Gau Oberdonau“ erwirkte als<br />
eine der ersten Amtshandlungen unter Zustimmung von<br />
Gauleiter Eigruber, dass alle Bauten in Oberösterreich,<br />
die mit dem Leben Hitlers in Verbindung gebracht werden<br />
konnten, mit Datum vom 23. April 1938 in die Liste<br />
der denkmalwürdigen Gebäude des Gaues eingereiht<br />
wurden. 34 So selbstverständlich auch das Elternhaus in<br />
Leonding Nr. 61. Reichsleiter Martin Bormann erwarb<br />
alle Gebäude und Räumlichkeiten zu respektablen<br />
Preisen – so auch von der Witwe Meindl am 14. Juni<br />
1938, für die einige Häuser weiter in der gleichen<br />
Straße ein neues Gebäude errichtet wurde. 35 Einer<br />
„Amtserinnerung“ vom Juli 1940 in der Akte des<br />
Bundesdenkmalamtes kann man entnehmen, dass<br />
das Gebäude von der Gauleitung der NSDAP erworben<br />
werden sollte. Zeitgleich interessierte sich eine gewisse<br />
Dora Frank aus Linz, Frankstraße für das Haus, um es<br />
dem Führer schenken zu können. 36<br />
84<br />
Der Landeskonservator war in diesem Fall vom Kreisleiter<br />
Linz-Land befragt worden, da die Absicht bestände<br />
aus der „Weihestätte des deutschen Volkes“<br />
ein Hitlerjugendheim zu machen. Kreisleiter Hammerschmid<br />
bittet nun das Gebäude unter Denkmalschutz<br />
zu stellen, was ihm abgewiesen wird, da es sowieso<br />
denkmalwürdig wäre. Damit war aber das Ansinnen<br />
der HJ abgeschmettert worden. 37 „Auf Ihr Schreiben<br />
vom 8. Juli 1940 und die Übersendung des Programmes<br />
zur Umgestaltung des Führerwohnhauses in<br />
Leonding zu einem HJ-Heim teile ich Ihnen mit, dass<br />
der Führer in der letzten Besprechung äusserte, dass<br />
jegliche Planungen zur Umgestaltung dieses Hauses<br />
zunächst zurückgestellt werden müssten.“ 38 Möglichst<br />
unverändert sollte das Gebäude den Besuchern präsentiert<br />
werden. Die Bienenstöcke des Vaters wurden<br />
wieder aufgestellt, die Möbel zurückgekauft und auch<br />
die Fassade wenig verändert. Einzig Girlanden,<br />
Spruchbänder und Hakenkreuzfahnen, sowie eine<br />
schlichte Hinweistafel zierten das Gebäude in diesen<br />
Jahren. Eine wohl für die damalige Zeit weise Entscheidung<br />
war das Auflegen von Besucher- oder<br />
Gastbüchern im Eingangsbereich des Hauses. Viele<br />
tausende Besucher bestätigten hier ihre Anwesenheit,<br />
sodass bereits bis Jahresende 1938 das sechste<br />
Buch begonnen werden musste. Laut Gemeindechronik<br />
schrieben bis Dezember 1941 bereits 34.544<br />
Besucher aus allen Herren Länder stolz ihre Namen<br />
in diese Bücher. 39 Einer Zeitzeugin verdanken wir<br />
den Hinweis, dass sich auch die hiesigen Kinder<br />
mehrmals darin eintrugen und vom Gemeindebeamten<br />
dafür aber gehörig geschimpft wurden. 40<br />
Ein Souvenirartikelvertrieb wurde in der Folge in<br />
Leonding aufgebaut, der sich nicht nur auf den Verkauf<br />
von Postkarten mit Fotografien der „Weihestätten“,<br />
der Bienenstöcke, der Spielplätze und künst-<br />
lerischer Arbeiten von Leonding erstreckte, sondern<br />
auch die ersten Fremdenführer, Stocknägel, Führerbilder<br />
und anderes hervorbrachte. Am Ausgang zum<br />
Friedhof war ein Verkaufsstand eingerichtet worden,<br />
bei dem diese Artikel feilgeboten wurden. 41<br />
Einer der Vertriebskanäle, besonders im Postkartenverkauf<br />
lief über Wilhelm Hagmüller, den Bäcker des<br />
Ortes, ehemaligen Schulkameraden und Kostgänger<br />
bei der Familie Hitler in Linz. Er ließ auch einen eigenen<br />
Stempel mit dem Hinweis auf „Leonding - Heimatort<br />
des Führers“ anfertigen.<br />
Auch die beiden Wirtshäuser in Leonding profitierten<br />
von diesem Besucherstrom. Sowohl das Gasthaus<br />
Wiesinger, das als besonderen Magnet, das Sofa worauf<br />
der Vater Alois Hitler verstorben war und somit<br />
auch eine gewisse Aura, anbieten konnte, sowie der<br />
Gasthof Mayrbäurl (Leonding Nr. 11) mussten ausgebaut<br />
werden. Beide Gaststätten beherbergten nicht<br />
selten „hohe“ Herrschaften, weiß der Pfarrer zu berichten.<br />
42 Am 15. April 1938 „wurde am Turm der<br />
Kirche ein elektrisches Hakenkreuz aufmontiert auf<br />
der Süd- und Westseite mit je 25 Birnen à 25 Watt,<br />
also zusammen 1250 Watt. Es leuchtete in den<br />
Nachthimmel hinein“ und kündet von der bedeutungsvollen<br />
Stätte am Friedhof in Leonding. 43 In den Gemeinderatsprotokollen<br />
findet sich als Tagesordnungspunkt<br />
Nr. 3 der Sitzung vom 27. Februar 1939 der<br />
Hinweis „Leonding und der kommende Fremdenverkehr“<br />
– leider ist die Niederschrift dieser Sitzung<br />
verschollen, aber die Tatsache der Auflistung beweist,<br />
dass die Bedeutung des Tourismus für die Gemeinde<br />
nicht unwesentlich war und die zu erwartenden<br />
Straßenverbesserungsarbeiten und anderes mehr in<br />
Angriff genommen werden mussten. 44 Ein Wegweiser,<br />
bezeichnenderweise in einem Sammelbildchenalbum<br />
über die Heimat des Führers reichs-
weit wohl bekannt, zeigt eine Ortshinweistafel<br />
„Zufahrtstraße zum Elternhaus des Führers. Heil<br />
Hitler! Sieg Heil!<br />
Polit-Prominenz in Leonding<br />
„Ganz klein und primitiv. Man führt mich in das<br />
Zimmer, das sein Reich war. Klein und niedrig. Hier<br />
hat er Pläne geschmiedet und von der Zukunft geträumt.<br />
Weiter die Küche, in der die gute Mutter kochte.<br />
Dahinter der Garten, in dem der kleine Adolf sich<br />
nachts Äpfel und Birnen pflückte … Hier also wurde<br />
ein Genie. Mir wird ganz groß und feierlich zumute.“ 45<br />
So schrieb Joseph Goebbels über seinen ersten<br />
Besuch in der „Ehrenstätte des ganzen deutschen<br />
Volkes“ am 22.7.1938. Eine Notiz, die zu einem weiteren<br />
Spezifikum Leondings hinweist, das in den<br />
Jahren nationalsozialistischer Herrschaft kennzeichnend<br />
wurde.<br />
Obgleich in den Jahren vor dem Anschluss bereits<br />
die diversen Botschafter und Gesandten huldigend<br />
nach Leonding geschickt worden waren, war der<br />
publikumswirksame und durch den Pressefotografen<br />
Heinrich Hoffmann bestens dokumentierte Besuch<br />
Hitlers in Leonding am 13. März 1938 nur der Anfang.<br />
46 In den folgenden Tagen und Wochen ließen<br />
sich fast alle führenden reichsdeutschen Politiker in<br />
Leonding bei der Ehrerweisung am Grab der Eltern<br />
und beim Wohnhaus journalistisch ertappen. Eine<br />
Inszenierung, die bei näherer Betrachtung wohl nur<br />
den Zweck gehabt haben kann, die Volksabstimmung<br />
vom 10. April propagandistisch vorzubereiten. Inhaltlich<br />
konzentrierte sich die Propaganda der Nationalsozialisten<br />
auf einprägsame, gefühlsintensive<br />
Parolen. Hitler selbst hatte das Konstrukt für diese<br />
Form der Propaganda in seinem1924 verfassten<br />
Grundlagenwerk „Mein Kampf“ beschrieben: „Gerade<br />
darin liegt die Kunst der Propaganda, dass sie, die<br />
gefühlsmäßige Vorstellungswelt der großen Masse<br />
begreifend, in psychologischer richtiger Form den<br />
Weg zur Aufmerksamkeit und weiter zum Herzen der<br />
breiten Masse findet.“ 47 Neben den zentralen Themen<br />
wie Rassismus und Antisemitismus, Volksgemeinschaft,<br />
kriegerisches Heldentum und dem<br />
nationalsozialistischen Frauenbild, war der bedingungslose<br />
Führerkult um Adolf Hitler breit angelegt.<br />
Die Vergangenheit des Führers wurde verschleiert<br />
und mystifiziert.<br />
Bestens geeignet erschienen dafür natürlich die<br />
früheren Wohnorte, die eine besondere ideale ländliche<br />
Umwelt zeichneten, die von ihm selbst in seinen<br />
frühen künstlerischen Arbeiten fixiert wurden und in<br />
Auftragsarbeiten ihre Nachfolge fand. 48 Auch der<br />
Umgang mit den Eltern, das Verweilen am Grab, war<br />
bestens inszeniert und wurde medial perfekt ausgenutzt.<br />
„Er kam aber erst Sonntag, d. 13. 12h30 mittags.<br />
4 Stunden warteten die S.A. Männer und sperrten<br />
den Friedhof in weitem Umkreis ab. Am Turm war<br />
ein Beobachter. Zu Mittag verpflegte der Pfarrer zur<br />
Not 30 S.A. Leute mit warmer Suppe und Geselchtem.<br />
Etwa 5 Minuten verweilte der Führer am Elterngrabe<br />
mit entblößtem Haupte, während Flugzeuggeschwader<br />
über dem Friedhof kreisen. Es war für<br />
Leonding eine geschichtliche Stunde.“ So die Pfarrchronik.<br />
49 Adolf Hitler selbst besuchte Leonding nur<br />
noch ein einziges Mal am 13. März 1941 – einem<br />
ebenfalls perfekt ausgesuchten Datum.<br />
Eine Auflistung der Persönlichkeiten mag hier gestattet<br />
sein, um das Ausmaß darzustellen, obgleich die<br />
Gästebücher, die noch eine detailliertere Auflistung<br />
ermöglicht hätten, leider verschollen sind: 18. 3. 1938<br />
Generalfeldmarschall Hermann Göring, 50 am 4. April<br />
1938 Reichsjugendführer Baldur von Schirach mit<br />
Vertretern der Hitlerjugend, 51 SA Führer aus allen<br />
Gauen des Reiches mit 455 Fahnen, etwa 2000<br />
männlicher Jugend und 6000 vom BDM, 52 der japanische<br />
Botschafter Oskima, 53 SA-Stabschef Viktor<br />
Lutze am 3. 4. 1938, Generaloberst Brauchitsch,<br />
Reichsminister Goebbels, Reichsminister Frick und<br />
Hermann Göring am 28. 8. 1938. Gesandtschaften<br />
aus Italien am 5. 2. 1940 und Rumänien wurden fotografiert.<br />
Joseph Goebbels kam mehrmals nach<br />
Leonding, so am 22. 7. 1938, am Jahrestag des<br />
Anschlusses, am 12. 3. 1941 um auch die Schule zu<br />
besuchen und um knapp ein Jahr später am 5. 2.<br />
1942 wiederzukommen. Einer Zeitzeugin verdanken<br />
wir den Hinweis, dass Frau Goebbels am Muttertag<br />
1942 in Leonding weilte, einen Kranz niederlegte und<br />
von einem kleinen Mädchen einen Blumenstrauß entgegennahm.<br />
54<br />
Am 5. Mai 1945 wurde das Hitlerhaus von den<br />
Amerikanern abgesperrt, das Grab verödete und der<br />
Verkaufsstand am Friedhof verschwand. „Heikle“<br />
Verkaufsobjekte waren bereits vorher entfernt worden.<br />
In Leonding wurde es wieder still.<br />
85
45<br />
47<br />
45 u. 46 Die geschmückte Schule am 12.3.1941<br />
47: Schülerspalier 12.3.1941<br />
48: Goebbels Willkommen am 12.3.1941<br />
86<br />
46<br />
48
49<br />
51<br />
50<br />
52<br />
49: A. Hitler in Leonding 13.3.1941<br />
50: Heftchen „Der Führer und seine Heimat“<br />
51: Postkarte vom Mayerhofergut<br />
52: Rumänische Delegation in Leonding
Anmerkungen<br />
1 Der erste Besuch fand bereits am 12. März 1938 statt.<br />
Haudum nennt sogar die Namen der SA Männer: Robert<br />
Wallner, Bergham und den Gendarmen Maderthaner. Hier<br />
wurden aber nur Theaterrequisiten mitgenommen.<br />
Pfarrchronik S. 126. Auf Seite 144 berichtet der Pfarrer:<br />
Über Auftrag von Berlin kamen Ende 1942 die alten<br />
Matrikenbücher von den Linzer-Pfarren und der Peripherie<br />
weg. „Es waren 3 Totenbücher (1 Juden), 4 Trauungsbücher<br />
(2 Judices und 1 Juden im Konzept), 5 Taufbücher und 4<br />
Judices – ebenso die Alte Pfarrchronik u. der Ablassbrief.<br />
Die Bücher wurden in den Pfarrhof Niederwaldkirchen<br />
geschafft.“ [?]<br />
2 Pfarrchronik S. 126.<br />
3 Gutachten erstellt im Auftrag der Stadtgemeinde Leonding<br />
im Jahre 2002 von Brigitte Kepplinger und Josef<br />
Weidenholzer, Universität Linz, Institut für Gesellschaftsund<br />
Sozialpolitik. Das Leondinger „Hitlerhaus“. Gutachten zu<br />
seiner erinnerungspolitischen Bedeutung. Akten des<br />
Bundesdenkmalamtes Oberösterreich. Linz Land. Leonding<br />
Michaelsbergstr. 16. Hochstr. 2. – Dr. Bernd Euler-Rolle sei<br />
an dieser Stelle für die Einsichtnahme in die Akte herzlich<br />
gedankt.<br />
4 Reproduktionen dieser Pläne siehe: Price, Billy F.: Adolf<br />
Hitler als Maler und Zeichner. Ein Werkkatalog der Ölgemälde,<br />
Aquarelle, Zeichnungen und Architekturskizzen.<br />
Zug/Schweiz 1983. S. 105. Die Originale befinden sich in<br />
Privatbesitz in Südwestdeutschland.<br />
5 OÖLA. Politische Akte. Situationsberichte. Sch. 19.<br />
6 OÖLA. Politische Akte. Situationsberichte. Sch. 19.<br />
7 OÖLA. Politische Akte. Situationsberichte. Sch. 19.<br />
8 OÖLA. Politische Akte. Situationsberichte. Sch. 19.<br />
9 OÖLA. Politische Akte. Situationsberichte. Sch. 19.<br />
10 OÖLA. Politische Akte. Situationsberichte Sch. 20. Akt Nr. 5.<br />
11 Die Schleifen mit der Aufschrift „Den Eltern des Führers<br />
und Reichskanzlers – Von seinen österreichischen<br />
Freunden.“ durften laut Sicherheitsdirektion am Grabe belas-<br />
88<br />
sen werden. OÖLA Politische Akte. Situationsberichte. Sch.<br />
20. Akt Nr. 5.<br />
12 OÖLA. Politische Akte. Situationsberichte. Sch. 20. Akt<br />
Nr. 5.<br />
13 OÖLA. Politische Akte. Situationsberichte. Sch. 21. Akt Nr. 10.<br />
14 Besuch an Allerheiligen 1934. OÖLA. Politische Akte.<br />
Situationsberichte. Sch. 20. Akt Nr. 5.<br />
15 OÖLA. Politische Akte. Situationsberichte. Sch. 21. Akt Nr. 10.<br />
16 Im Juliabkommen mit Österreich wurden die freundschaftlichen<br />
Beziehungen wiederhergestellt. Besonders heikel<br />
wurde in Folge die Behandlung der Nationalsozialisten in<br />
Österreich, da diese seit der Ermordung von Dollfuß verboten<br />
waren.<br />
17 Vgl. auch den Beitrag von J.A. Kauer über den<br />
Nationalsozialismus in Leonding. In der Folge wurde in<br />
einem Verwaltungsstrafverfahren wegen verbotener NS-<br />
Aktivitäten ermittelt. Siehe: Dostal, Thomas: Das „braune<br />
Netzwerk“ in Linz. Die illegalen nationalsozialistischen<br />
Aktivitäten zwischen 1933 und 1938. In: Mayrhofer, Fritz;<br />
Schuster, Walter (Hrsg.): Nationalsozialismus in Linz. Band 1.<br />
Linz 2002. S. 118. vgl. auch: OÖLA Politische Akte.<br />
Situationsberichte. Sch. 22. Akt Nr. 1. wo ebenfalls von<br />
ungefähr 300 Personen aus Passau berichtet wird, die das<br />
Hitlergrab besucht haben.<br />
18 Dostal a.a.O. S. 121.<br />
19 Dostal a.a.O. S. 121. In den Politischen Akten.<br />
Situationsberichte. Sch. 22. Akt Nr. 1. OÖLA wird berichtet,<br />
dass der Besuch in Leonding von österreichischen<br />
Nationalsozialisten organisiert wurden, da namentlich am 8.<br />
November – immer eine Gruppe von 20 bis 25 Personen<br />
beim Grabe stand und diese Gruppen regelmäßig abgelöst<br />
wurden.<br />
20 Dostal a.a.O. S. 122.<br />
21 Vgl. den Artikel von Philipp Lauthner.<br />
22 Zitiert nach Dostal a.a.O. S. 122. AdR, BKA, Inneres,<br />
SR/22 OÖ, Karton 5.114, GZI. 311.905/37, ZL. 324.021/GD.<br />
St.B. 1937: Angriffe der reichsdeutschen Presse wegen<br />
Bestrafung des Reinhold Bruckner, Kranzniederlegung am<br />
Grabe der Eltern des deutschen Reichskanzlers. GZI.<br />
368.839/36, Zl. 373.142/36: Besuch des Grabes der Eltern<br />
des deutschen Reichskanzlers in Leonding am 1. November<br />
1936 sowie Neue Freie Presse vom 10. April 1937 und<br />
Tages-Post vom 2. November 1936.<br />
23 Pfarrchronik S. 113 mit dem eingeklebten<br />
Zeitungsausschnitt vom Linzer Volksblatt Nr. 84, worin der<br />
Rückzug Göbbels mitgeteilt wird.<br />
24 Gemeindechronik Band I. S. 329 f.<br />
25 Dostal a.a.O. S. 122-123. – Bericht in den Politischen<br />
Akten. Situationsberichte. Sch. 23. OÖLA: „Am 20. April hat<br />
der Botschafter von Papen und die Reichsdeutsche<br />
Landesgruppe Österreichs der Auslandsorganisation der<br />
NSDAP je einen Kranz mit roten Schleifen und<br />
Hakenkreuzen am Grabe niederlegen lassen.“<br />
26 Thumser, Regina „Der Krieg hat die Künste nicht zum<br />
Schweigen gebracht“. Kulturpolitik im Gau Oberdonau. In:<br />
Reichsgau Oberdonau. Aspekte 1. Oberösterreich in der Zeit<br />
des Nationalsozialismus. Bd. 2. Herausgegeben vom<br />
Oberösterreichischen Landesarchiv. Linz 2004. S. 131.<br />
Zeitungsberichte: Das erste KdF-Schiff kommt. Linzer<br />
Vorbereitungen ohne Schuschnigg-Büttel. In: Völkischer<br />
Beobachter vom 7.5.1938 und vom 10.5.1938. – Der zehntausendste<br />
KdF-Fahrer in Linz. In: Völkischer Beobachter<br />
vom 16.6.1938. Linz zählte nach Angaben der Pressestelle<br />
im Linzer Rathaus in den Monaten Mai bis Juli 53.000<br />
Einzelbesucher; weiters kamen rund 23.000 Besucher mit<br />
KdF-Schiffen und rund 42.000 Omnibussen. Mit einer<br />
Gesamtzahl von 118.000 Gästen habe sich, so diese<br />
Propagandameldung, der Fremdenverkehr nahezu vervierfacht.<br />
Vgl. hierzu In: Völkischer Beobachter vom 11.8.1938<br />
und vom 19.8.1938. – vgl. auch: Rafetseder, Hermann: Der<br />
„Ausländereinsatz“ zur Zeit des NS-Regimes am Beispiel<br />
der Stadt Linz. In: . In: Mayrhofer, Fritz; Schuster, Walter<br />
(Hrsg.): Nationalsozialismus in Linz. Band 1. Linz 2002. S.<br />
1202.
27 DAF. Informationsdienst vom 26. 1. 1934. vgl. Frommann,<br />
Bruno: Reisen im Dienst politischer Zielsetzungen.<br />
Arbeiterreisen und „Kraft durch Freude“-Fahrten. Stuttgart<br />
1992. S. 108.<br />
28 Vgl. hierzu: Aly, Götz: Hitlers Volksstaat: Raub,<br />
Rassenkrieg und nationaler Sozialismus. Frankfurt am Main<br />
2005.<br />
29 Im Bestandsblatt des Grundbuchsauszuges Leonding EZ<br />
261. Blatt A. wird im Jahre 1896 auf eine neue Bauparzelle<br />
237 hingewiesen und das hierauf entstandene Haus Nr. 61 in<br />
Leonding angezeigt wird (ersichtlich laut Planskizze).<br />
Aufgrund dieser Änderung könnte man als Entstehungszeit<br />
1896 annehmen, was jedoch nicht wirklich gesichert ist, da ja<br />
auch schon vorher ein Gebäude gestanden haben könnte.<br />
30 OÖLA Akte Nachlass Jetzinger. Grundbuchs-Auszug.<br />
31 Gemeindechronik Band II. S. 360.<br />
32 Gemeindechronik Band II.S. 360.<br />
33 OÖLA Politische Akte. Eintragung vom Juli 1935.<br />
34 Mayrhofer, Fritz: Die „Patenstadt des Führers“. Träume<br />
und Realität. In: Mayrhofer, Fritz; Schuster, Walter (Hrsg.):<br />
Nationalsozialismus in Linz. Band 1. Linz 2002. S. 368-369.<br />
Dabei ist die Unterscheidung zwischen „denkmalwürdig“ und<br />
„unter Denkmalschutz stehend“ hervorzuheben, die vom<br />
damaligen Landeskonservator betont wurde (vgl. Akten des<br />
Bundesdenkmalamtes Oberösterreich a.a.O.<br />
35 Vgl. auch den Beitrag von Gerhard Tolar über die Opfer<br />
des Nationalsozialismus. Grundbuchauszug.<br />
36 Notiz in einem Brief vom 20. Juli 1940 vom<br />
Landeskonservator Juraschek an Herrn Oberbaurat Zierl.<br />
Akte des Bundesdenkmalamtes Oberösterreich. Linz Land.<br />
Leonding. Michaelsbergstr. 16. Hochstr. 2.<br />
37 Brief vom 15. Juli 1940. Akte des Bundesdenkmalamtes<br />
Oberösterreich a.a.O.<br />
38 Brief vom 25. Juli 1940 an den Landeskonservator mit<br />
Stempel vom Reichsstatthalter der Stadt Linz an der Donau.<br />
Akte des Bundesdenkmalamtes Oberösterreich a.a.O.<br />
39 Gemeindechronik Band I. S. 373. Am 1.7.1942 waren es<br />
bereits 44.219. vgl. auch den Beitrag von J.A. Kauer.<br />
40 Hinweis von Friederike Haderer, die auch zu berichten<br />
wusste, dass die Bücher 1945 von Pfarrer Haudum übernommen<br />
wurden. Leider verliert sich hier die Spur der<br />
Bücher.<br />
41 Pfarrchronik S. 154.<br />
42 Pfarrchronik S. 154.<br />
43 Pfarrchronik S. 129-130.<br />
44 Ratsarchiv Leonding Mappe Sitzungsprotokolle 1940-<br />
1944.<br />
45 Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Im Auftrag des<br />
Instituts für Zeitgeschichte und in Verbindung mit dem<br />
Bundesarchiv hg. V. Elke Fröhlich. Teil I: Sämtliche<br />
Fragmente. 4 Bände, München 1987 ff. Hier Bd. 3. S. 488.<br />
Eintragung vom 22.7.1938.<br />
46 Vgl. Tages-Post vom 14. März 1938. S. 1. und vom 15.<br />
März 1938. S. 6.<br />
47 Hitler, Adolf: Mein Kampf. München 1939. Kapitel<br />
„Kriegspropaganda“.<br />
48 Vgl. auch den Beitrag von Philipp Lauthner.<br />
49 Pfarrchronik S. 125-126. Vgl. auch. „Der Führer am<br />
Grabe seiner Eltern. Leondings großer Freudentag. In:<br />
Tages-Post vom Montag 14. 3. 1938. Bericht von Josef<br />
Miesenberger, dem neuen Bürgermeister.<br />
50 Pfarrchronik S. 127.<br />
51 Pfarrchronik S. 129. vgl. auch Tages-Post vom 4. April<br />
1938. S. 1.<br />
52 Pfarrchronik S. 129.<br />
53 Pfarrchronik S. 154.<br />
54 Hinweis von Friederike Haderer. Gespräch im Dezember<br />
2007.<br />
89
DER VERÄNDERTE BLICK<br />
HITLER IN LEONDING ALS THEMA DAMALIGER KUNST<br />
Philipp Lauthner<br />
Wir beobachten ein altes, kleines, in seinen Proportionen<br />
dennoch wuchtiges, fest gemauertes Haus, so,<br />
als ob wir gerade entlang jenes Feldwegs daran vorbeispazierten,<br />
an dessen Rand sich die Eingangsfront<br />
des Gebäudes schmiegt. Der lose Lattenzaun,<br />
der das Haus von der Straße abgrenzt, gibt gleichwohl<br />
den Blick auf die Eingangstür und die Fenster<br />
im Erdgeschoss frei. An den Flanken verdecken<br />
Sträucher und Bäume die Sicht, sie betten das Haus<br />
in die Natur, als wäre es ganz natürlich mit ihnen<br />
gewachsen. Seitlich vor dem Haus überragt eine<br />
hohe Zeder die roten Ziegel des Daches, die bis zu<br />
jenen zwei kleinen Rauchfängen empor ragen, die<br />
den Abschluss des Firstes bilden. Es ist für diese<br />
Gegend kein untypisches Haus. Die Fenster zum<br />
Dachgeschoß stehen uns offen entgegen, zu jenem<br />
Dachgeschoß, in dem sich Adolf Hitlers Jugendzimmer<br />
befand.<br />
Tatsächlich beobachtet der Betrachter der im Zentrum<br />
dieser Arbeit stehenden Werke das Elternhaus Adolf<br />
Hitlers, in dem er mit seiner Familie von 1898 bis<br />
1904, von seinem neunten bis zu seinem 15. Lebensjahr,<br />
in Leonding wohnhaft war. In unzähligen Ver-<br />
90<br />
sionen wurde dieses Gebäude künstlerisch thematisiert,<br />
gemalt und gezeichnet, und es wird durchgehend<br />
ein ähnliches Bild entworfen: das kleine, idyllische<br />
Häuschen am Wegrand bildet das Zentrum der<br />
Bildaussage. Das Gebäude steht zumeist formatfüllend<br />
im Bildmittelpunkt, das Umfeld und die nähere<br />
Umgebung des Hauses sind nicht abgebildet. Es ist<br />
freilich nachvollziehbar, warum die meisten dieser<br />
Darstellungen im Jahre 1938 und den Folgejahren<br />
datieren. Der Zeitpunkt des Anschlusses Österreichs<br />
an das deutsche Reich und die Machtübernahme<br />
Hitlers machte all jene Orte und Plätze, die in Verbindung<br />
mit der Biografie des Führers standen und<br />
stehen, zu sehenswürdigen Pilgerstätten für Anhänger<br />
des Nationalsozialismus; und natürlich auch<br />
für Künstler, die sich im Rahmen der neuen kulturellen<br />
Bühne Aufträge und Publikationen erhofften. In<br />
der Tat finden sich unter den Erstellern der Hitlerhausbilder<br />
einige Namen, deren Werke auch in der<br />
ab 1941 erscheinenden NS-Kulturzeitschrift „Oberdonau“<br />
veröffentlicht werden. Beispielsweise findet<br />
sich in der ersten „Oberdonau“-Ausgabe das Gemälde<br />
„Aus dem Polenfeldzug“ von Robert Angerhofer,<br />
der in diesem Werk stilistisch ganz der deut-<br />
schen Propagandakunst entspricht, 1 und das zweite<br />
Heft 2 „zeigt ein Aquarell von Franz X. Weidinger, in<br />
dem die organisierte Volksmenge am Linzer Hauptplatz<br />
geschildert wird, die am 12. März 1938 den<br />
Führer erwartet.“ 3<br />
Robert Angerhofer beispielsweise hat für seine künstlerische<br />
Version des Leondinger Hitlerhauses zum<br />
Bleistift gegriffen (Abb. 53) und das Gebäude in einer<br />
detailreich realistischen Zeichnung abgebildet, wobei<br />
hier zu erwähnen ist, dass die Fensteranzahl im<br />
Obergeschoß nicht mehr den ursprünglichen Gegebenheiten<br />
entspricht. Das Werk ist im Jahr 1936 ent-<br />
Abb.53: Zeichnung Robert Angerhofer 1936
Abb.54: Darstellung Hans Wunder 1936<br />
standen und der Künstler entwirft hier ein Bild, wie es<br />
eingangs zu dieser Arbeit bereits ausführlich geschildert<br />
wurde. Idyllisch liegt das umzäunte und von Bäumen<br />
umwucherte Haus am Rande jener Straße, auf<br />
der sich Künstler und Betrachter im festgehaltenen<br />
Augenblick befinden. Die Abbildung des Gebäudes<br />
aus dieser Position scheint die gängigste Ansicht zu<br />
sein, sie findet sich immer wieder auch auf zu Propagandazwecken<br />
veröffentlichten Postkarten, Anhängern<br />
und Plakaten. Diese Darstellung gleicht<br />
dementsprechend jenen von Hans Wunder (Abb. 54)<br />
und Leo Adler (Abb. 55), die das Motiv aus der gleichen<br />
Perspektive ins Bild rücken und dabei eine ganz<br />
Abb.55: Darstellung Leo Adler 1938<br />
ähnliche Atmosphäre einfangen. Das Werk von Hans<br />
Wunder zeigt das Haus allerdings nicht wie die beiden<br />
anderen in der warmen, blühenden Jahreszeit,<br />
sondern im Winter mit kahlen Bäumen und blattlosen<br />
Sträuchern, wodurch einerseits das Gebäude klarer<br />
in Erschienung tritt, und andererseits eine kühlere<br />
und distanziertere Stimmung entsteht. Interessant ist<br />
hierbei, dass diese Darstellung früher als die anderen,<br />
nämlich bereits 1936 entstanden ist. Im Gegensatz<br />
dazu zeigt sich der propagandistische Inhalt des<br />
Motivs in der Darstellung von F. Mernbauer beson-<br />
Abb.56: F. Mernbauer: Hitler Elternhaus 1938<br />
ders plakativ (Abb. 56). Das Werk war „Zur Erinnerung<br />
an den denkwürdigen Tag, an welchen unser<br />
Führer, am 13. März 1938, nach langen Jahren wieder<br />
sein Elternhaus besuchte“ – so der dem Bild ein-<br />
geschriebene Text – entstanden. Besonders farbenfroh<br />
und prächtig präsentiert sich hier das Haus in<br />
der frühlingshaften Umgebung, die Betonung der<br />
Idylle wird hier eindrucksvoll erkennbar. In dem das<br />
Bild umgebenden, schwarzen Rahmen wird noch einmal<br />
eine konkrete Propaganda-Botschaft formuliert:<br />
„Wir danken unsern Führer“, daneben das symbolische<br />
Hakenkreuz. Würde man der Straße noch ein<br />
Stück weit folgen, an Eingangsfront und Gartenzaun<br />
vorbeigehen und nach einigen Metern den Blick zurückwenden,<br />
so hätte man jenen Punkt erreicht, von<br />
dem aus der Künstler F. Höfner das Hitlerhaus gemalt<br />
haben muss (Abb. 57). Höfner konzentriert sich dabei<br />
stark auf die Eingangsfront des Hauses, die dem<br />
Betrachter entgegenstehende Seitenfront ist im Bild<br />
nur angeschnitten. Interessanterweise ist von diesem<br />
Blickwinkel aus die Eingangstür durch den auch in<br />
allen anderen Werken dominanten Nadelbaum verdeckt.<br />
Durch die Kolorierung des Bildes ist hier die<br />
Abb.57: Darstellung Höfner 1938<br />
fahl gelbe Bemalung der Außenwand erkennbar.<br />
Bäume und Sträucher sind auch hier kahl, wodurch<br />
hier der Blick auf die im Hintergrund liegende<br />
Landschaft ermöglicht wird, die sich in einem großen<br />
91
weiten Feld abzeichnet. Die idyllische Einsamkeit und<br />
bäuerliche Naturverbundenheit wird dadurch noch<br />
einmal unterstrichen.<br />
Es sind also durchaus namhafte oberösterreichische<br />
Künstler, die sich mit dem Nationalsozialismus und<br />
dessen Auftreten in Österreich auseinandersetzen,<br />
und die sich dem Elternhaus Hitlers als Objekt künstlerischen<br />
Interesses widmen. Dabei stehen die stilistischen<br />
wie die inhaltlichen Merkmale der Darstellungen<br />
durchaus im Kontext der damaligen „oberösterreichischen“<br />
Kunstlandschaft. Bemerkenswert ist hierbei,<br />
nimmt man den Inhalt der Zeitschrift „Oberdonau“<br />
als für diese Kunstlandschaft stellvertretend an, der<br />
Umgang mit der neuen poltischen Situation und den<br />
damit verbundenen Auswirkungen auf die oberösterreichische<br />
Heimat. So ließe sich die Zielsetzung der<br />
Zeitschrift „Oberdonau“ wie folgt zusammenfassen:<br />
„Das Hauptaugenmerk wird nicht auf eine direkte<br />
Propagierung nationalsozialistischer Inhalte gelegt<br />
(…), sondern auf eine geistige Gemeinsamkeit der<br />
Bevölkerung mit den Planungen der Machthaber.“ 4<br />
Es ist auch bei den Darstellungen des Hitlerhauses<br />
keinerlei plakative Propaganda oder idealisierte<br />
Verherrlichung etwa der Kindheit und Jugend Hitlers<br />
zu erkennen, es gibt überhaupt keine Anzeichen<br />
dafür, dass Hitler hier gelebt haben sollte.<br />
Wüsste der Betrachter also nicht, um welches Gebäude<br />
es sich tatsächlich handelt, so würde er wohl<br />
nichts Auffälliges an Kunstwerk und Gebäude erkennen,<br />
und diese Werke als durchaus typische Darstellungen<br />
heimatlicher Kunst in eine Unzahl „nichtssagender“<br />
Landschafts- und Gebäudemalereien einordnen.<br />
Freilich war dem Betrachter damaliger Tage<br />
wohl bewusst, dass es sich hier um das Elternhaus<br />
des Führers handelte, oder es wurde ihm zumindest<br />
92<br />
bewusst gemacht, wie das oben erwähnte Beispiel<br />
von Mernbauer zeigt. Kunstwerke über Orte und<br />
Plätze der Vergangenheit Adolf Hitlers erhielten ihre<br />
Bedeutung natürlich im Zusammenhang mit der politischen<br />
Situation und im Kontext der Vermittlung nationalsozialistischer<br />
Inhalte.<br />
Es ist an diesem Punkt interessant darauf hinzuweisen,<br />
wie objektiv uninteressante, unbelebte Gebäude,<br />
Plätze und Orte durch historische Vorgänge und deren<br />
Auswirkungen dauerhaft „beseelt“ werden. Unbedeutende,<br />
völlig normale und alltägliche Gebäude<br />
werden plötzlich durch die Berühmtheit eines Bewohners<br />
zu Sehenswürdigkeiten, die eine offene<br />
Projektionsfläche für Interpretationen und Spekulationen<br />
über das Leben eben dieser berühmten<br />
Persönlichkeit bieten. Nicht ohne Stolz prangen<br />
an den Wänden solcher Gebäude oft schriftliche<br />
Hinweise auf die Lebensdaten des berühmten Bewohners.<br />
Es ist der scheinbare Einblick in den Alltag<br />
und Werdegang eines begehrenswerten Lebens, der<br />
die Beobachter über die Zeit hinweg in seinen Bann<br />
zieht. Die Möglichkeit des Betrachters, sich ein Bild<br />
von den Umständen eines prominenten Lebens zu<br />
machen, hat einen überzeitlichen Reiz, wie die heutige<br />
Tageszeitungen und Illustrierte überschwemmende<br />
Promi-Kultur beweist.<br />
Es ist also wenig verwunderlich, dass das Elternhaus<br />
einer die Geschichte so entscheidend prägenden<br />
Person wie Adolf Hitler, obwohl es sich für deren<br />
Werdegang in keiner Weise als entscheidend erwies,<br />
dennoch zu einem Objekt öffentlichen und künstlerischen<br />
Interesses wurde. Wie bereits erwähnt, ist hierbei<br />
die Konzentration auf die dem Haus und der im<br />
Kunstwerk geschilderten Situation innewohnende<br />
Idylle bemerkenswert. Dem jugendlichen Leben Adolf<br />
Hitlers wird so ein idyllisches Umfeld gegeben, eine<br />
natur- und heimatverbundene, bodenständige Herkunft<br />
entworfen, das Bild des sich von durchschnittlichen<br />
Verhältnissen aus entwickelnden, alles überragenden<br />
Führers eines ganzen Volkes nahe gelegt.<br />
Der vermittelte Inhalt ist dennoch nicht inszeniert<br />
oder explizit zur Schau gestellt, Hitler wird als Person<br />
weder idealisiert noch heroisiert, er wird im Bild nicht<br />
einmal erwähnt, vielmehr wird bloß das Gebäude in<br />
dem er lebte einfach und realistisch geschildert. Dem<br />
damaligen Betrachter als Zielgruppe der Nationalsozialisten<br />
mag es aber durchaus gefallen haben,<br />
dass der Führer aus normalen, bürgerlichen Verhältnissen,<br />
also mitten aus dem eigenen Volk entstammte.<br />
Dem heutigen Betrachter bieten diese Darstellungen<br />
aufgrund der historischen Entwicklungen bereits einen<br />
ganz anderen Interpretationshorizont, der sich dennoch<br />
erst in dem Moment öffnet, in dem die Verbindung mit<br />
der Person Adolf Hitler hergestellt werden kann. Hier<br />
mögen der Idylle ob dem Wissen um die grausamen<br />
Folgen des Regimes, die nicht konfliktfreie Kindheit und<br />
das gespannte Verhältnis Hitlers zu seinem Vater<br />
bereits Anzeichen der Dunkelheit und Grausamkeit<br />
innewohnen. Dennoch ist die Idylle der Heimat beliebtes<br />
künstlerisches Thema der damaligen Zeit. Es ist<br />
auch in allen Ausgaben von „Oberdonau“ durchgehendes<br />
Programm, in ausgewählten Landschaftsmalereien,<br />
Fotografien und literarischen Texten auf die idyllische<br />
Schönheit der Heimat hinzuweisen, was dem Zweck<br />
diente, „eine möglichst alle Bevölkerungsschichten<br />
umfassende kulturelle Identität eines Landes, das<br />
früher Oberösterreich hieß, und nunmehr als<br />
Oberdonau bezeichnet wird“ 5 , zu vermitteln. Es ist<br />
durchaus im Sinne der damaligen nationalsozialistisch<br />
geprägten Kulturlandschaft, der Bevölkerung ein
gemeinsames Projektionsbild einer idealen Heimat zu<br />
vermitteln. 6 Was also für kleine Orte und Gebäude gilt,<br />
wird hier für eine ganze Region angewandt, und im selben<br />
Prinzip im Rahmen der nationalsozialistischen<br />
Propaganda auf eine ganze Nation ausgedehnt. Die<br />
Projektion kollektiver Sehnsüchte auf die Ideale des<br />
deutschen Reichs und deutschen Volks selbst wurde<br />
nicht zuletzt durch die Vereinnahmung der bildenden<br />
Künste und der Massenmedien erfolgreich geschürt.<br />
Die Darstellungen des Hitlerhauses spielen hierbei<br />
natürlich nur eine untergeordnete Rolle, ähnlich wie die<br />
Stadt Leonding im Leben Hitlers nur eine untergeordnete<br />
Stellung einnimmt. Es ist wohl letztlich die<br />
Kombination aus dem Elternhaus und dem Elterngrab<br />
Hitlers, das sich unweit des ersteren auf dem<br />
Leondinger Friedhof befindet, und das ebenfalls als<br />
Thema künstlerischer Darstellungen gewählt wurde, die<br />
dem damaligen Ort seine Bedeutung im Rahmen des<br />
nationalsozialistischen Regimes gaben.<br />
Abb.58: Aquarell Franz Glaubacker 1938<br />
Ein Aquarell von Franz Glaubacker, das mit 1938<br />
datiert ist, zeigt beispielsweise das Grab der Eltern<br />
Adolf Hitlers (Abb. 58). Die alte Leondinger Kirche bildet<br />
dabei den Bildhintergrund, vor dem sich der Friedhof<br />
mit all seinen Grabsteinen und Gräbern ausbreitet.<br />
Im Vordergrund links ist das Elterngrab Hitlers<br />
durch einige Kränze und Hakenkreuz-Dekorschleifen<br />
ausgezeichnet. Erstaunlicherweise steht an der Stelle<br />
des Hitlergrabes eine groß gewachsene Zeder, eine<br />
nicht zufällige Parallele zum Wohnhaus Hitlers Eltern,<br />
wuchs eben dieser Nadelbaum doch angeblich neben<br />
jenem Baum, der vor der Eingangsfront des Elternhauses<br />
stehend die Hitlerhausbilder so eigenartig<br />
dominiert. 7 Auch in dieser Darstellung fällt die nicht<br />
zur Schau gestellte NS-Inszenierung auf, vielmehr<br />
wirkt das Bild wiederum wie die einfache Schilderung<br />
gegebener Tatsachen.<br />
Durch jene künstlerischen Darstellungen von Elternhaus<br />
und Elterngrab, sowie durch die Besuche Hitlers<br />
und einiger ranghoher NS -Persönlichkeiten hat Leonding<br />
dennoch eine gewisse Beachtung gefunden und<br />
Bedeutung erlangt. Durch den Verlust des Zweiten<br />
Weltkriegs und den unausweichlichen Untergang des<br />
Regimes haben sich nun in den einstmals gern besuchten<br />
und beworbenen Sehenswürdigkeiten unangenehme<br />
Denkmäler manifestiert. Der Umgang mit<br />
dem Erbe ist für Städte wie Leonding zu einer herausfordernden<br />
Aufgabe geworden, wie man im weitesten<br />
Sinne auch an den Hitlerhausbildern ablesen<br />
kann. Das unter Denkmalschutz stehende Haus mit<br />
der unglücklichen Vergangenheit ist, auch Jahrzehnte<br />
danach noch mit eben den oben erwähnten historischen<br />
Fakten und subjektiven Projektionen belastet,<br />
nach Rücksprache der Stadt Leonding mit dem<br />
Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik nicht als<br />
offizielles Mahnmal ausgezeichnet. Dafür wurde die<br />
inhaltliche Bedeutung des Gebäudes subtil umgewandelt:<br />
im ehemaligen Hitlerhaus ist heute die<br />
Leondinger Bestattung beheimatet. Das Gebäude<br />
selbst gleicht immer noch den gemalten Darstellungen<br />
seines Urzustands, wenn auch einige Bäume<br />
anfälligen Umbaumaßnahmen weichen mussten und<br />
der Feldweg inzwischen zur asphaltierten Straße<br />
erweitert wurde. Im Hintergrund sind heute Wohnhäuser<br />
und ein Kinderspielplatz. Immer noch, und<br />
ganz unabhängig von der Person Adolf Hitler, strahlt<br />
das Gebäude eine gewisse Idylle aus.<br />
Es ist eine überaus interessante Wandlung, die ein<br />
Gebäude wie das Hitlerhaus im Laufe der Geschichte<br />
vollzieht. Vom normalen Bürgerhaus zur Sehenswürdigkeit,<br />
zum Kunstobjekt, zum Pilgerziel, zum<br />
Bestattungsunternehmen. Ebenso erstaunlich ist die<br />
damit verbundene Wandlung des Interpretationshorizonts,<br />
die Veränderung des Blicks des durchschnittlichen<br />
Beobachters von Kunstwerk und Gebäude,<br />
der zunächst Sehnsüchte und Hoffnungen in<br />
selbige projizierte, und den heute die Erinnerung an<br />
die dunklen Auswirkungen menschlicher Grausamkeit<br />
bedrücken. Es sind die Spuren und Taten lebendiger<br />
Geschichte, die in einem einfachen Haus, einem<br />
durch und durch leblosen Objekt offensichtlich werden.<br />
93
Anmerkungen<br />
1 Oberdonau Folge 1, Jg. 1, Februar/März 1941.<br />
2 Oberdonau, Folge 2, Jg. 1, April/Mai 1941.<br />
3 Assmann, Peter: Aus dem Heimatgau des Führers.<br />
„Oberdonau“ und die Kunst und Kultur in Oberösterreich. In:<br />
Tabor, Jan (Hrsg.): Kunst und Diktatur. Bd. 1, Baden 1994.<br />
4 Assmann, Peter a.a.O.<br />
5 Vgl. Assmann, Peter a.a.O.<br />
6 Vgl. Ebd.<br />
7 Einer der beiden Zedern, die ursprünglich links und rechts<br />
der Eingangstür des Hitlerhauses standen, wurde wohl von<br />
Hitlers Mutter nach dem Tod ihres Gatten zu dessen Grab<br />
umgepflanzt. Quelle: J.A. Kauer.<br />
94
KRIEGSOPFER ALS FOLGE DER EREIGNISSE NACH 1938<br />
Josef Andreas Kauer<br />
Kaum jemand ahnte 1938, was den umjubelten Ereignissen<br />
dieses Jahres folgen werde. Schon ein<br />
Jahr später, im September 1939 zog der losgebrochene<br />
2. Weltkrieg auch Leonding in die schicksalhafte<br />
Verwicklung mit dem Deutschen Reich. Hunderte<br />
Tote bis zum Mai 1945 allein in unserer Gemeinde,<br />
Abertausende in der kriegführenden Welt. Und wie<br />
schon 1918 nach dem Ersten Weltkrieg stellte sich<br />
auch 1945 nach schrecklichen Opferbilanzen die<br />
Frage nach der Sinnhaftigkeit von Auseinandersetzungen.<br />
Eine Kugel kam geflogen: gilt sie mir oder gilt sie<br />
dir? Ihn hat es weggerissen, er liegt mir zu den<br />
Füßen, als wär’s ein Stück von mir...<br />
Will mir die Hand noch reichen, derweil ich eben<br />
lad’. „Kann dir die Hand nicht geben, bleib du im<br />
ew’gen Leben mein guter Kamerad!“<br />
Kaum besser können die zweite und dritte Strophe<br />
dieser alten Volksweise nach Worten Ludwig Uhlands,<br />
1809, die Unerbittlichkeit und Grauenhaftigkeit jeglichen<br />
Kriegsgeschehens darstellen. Wir erleben der-<br />
zeit wohl den längsten kriegsfreien Zeitraum seit<br />
Menschengedenken, und es ist schwer geworden,<br />
jungen Menschen zu erklären, dass der Frieden leider<br />
keine Selbstverständlichkeit ist. Ihre Großeltern<br />
mussten einen meist sinnlosen Tod erleiden, oder sie<br />
sind mit tiefen Narben aus den Schlachten des<br />
Zweiten Weltkriegs heimgekommen und haben leidvolle<br />
Erfahrungen mitgebracht. Viele junge Menschen<br />
wollen an den Krieg nicht erinnert werden, ja, schlimmer<br />
noch: nichts von der Problematik, dem Zwang<br />
und der Angst ahnend, mit der so viele Tausende in<br />
den Krieg mussten, machen sie es sich einfach und<br />
stempeln die damaligen Kriegsteilnehmer zu Mittätern,<br />
die den Krieg gewollt hatten und an ihm<br />
schuld sind. Wären sie aber damals in diese Kriegszeit<br />
hineingeboren worden, hätte man auch sie gnadenlos<br />
zum Dienst mit der Waffe gezwungen.<br />
Der Friede ist keine Selbstverständlichkeit.<br />
Er muss immer wieder aufs Neue erworben werden.<br />
Einer überlebenden Generation bleibt nicht nur die<br />
Mahnung hinterlassen, den Gefallenen, den Vermissten,<br />
den Bombentoten und anderen Kriegsopfern<br />
ein ehrendes Andenken zu bewahren, sondern –<br />
59<br />
wenn diese Generation die Zukunft bewältigen will -<br />
muss sie Tag für Tag neu beweisen, wie bedeutsam<br />
ihr der Begriff Frieden ist: mit Bereitschaft für den<br />
Nächsten, mit der Art ihres Zusammenlebens in der<br />
Familie, mit dem Verstehen der Anliegen und<br />
Probleme anderer, mit Liebe und Treue zur Heimat<br />
und der Bereitschaft, Opfer für sie zu bringen, mit der<br />
Achtung der Freiheit und noch einigen anderen zum<br />
Teil schon halb vergessenen Idealen, wie zum Beispiel<br />
auch das Wahren von Tradition. Friedensbilden<br />
ist eine tägliche Herausforderung: in der Familie, in<br />
kleinen Gemeinschaften, in den Betrieben, in der<br />
Gesellschaft. Gott sei Dank haben wir heute keine<br />
unmittelbaren Auswirkungen von Krieg zu verspüren.<br />
Das Vermächtnis der Kriegstoten aber verpflichtet<br />
uns zu größter Wachsamkeit, zum Lernen aus den<br />
Fehlentwicklungen im Weltgeschehen und zur<br />
Förderung friedenssichernder Unternehmungen.<br />
Die Leondinger Opfer<br />
Als es noch die von Fritz Fröhlich ausgestaltete<br />
unterirdische Kriegsopfer-Gedenkstätte auf dem<br />
Leondinger Stadtplatz gab, existierte ein „Gedenkbuch“,<br />
in dem alle Gefallenen, Vermissten und anders<br />
95
Abb.59 u. 60: Soldatengräber in Norwegen<br />
zu Tode Gekommenen aufgelistet waren. Das Buch<br />
war damals nach bestem Wissen und dem Stand um<br />
1960 angelegt worden. Als 2001 das neue Kriegerdenkmal<br />
an der heutigen Friedhofmauer gestaltet<br />
wurde, sind diese Opferzahlen korrigiert und die<br />
Namen einst fehlender Kriegsopfer ergänzt worden.<br />
Doch ist es auch heute noch so, dass laufend neue<br />
Leondinger Opfer des 2. Weltkriegs bekannt werden<br />
und die Auflistungen wohl noch lange Zeit unvollständig<br />
bleiben werden.<br />
Unsere heutige Aufstellung, wieder zusammengetragen<br />
vorbehaltlich weiterer Meldungen, wäre wohl<br />
nach Gemeinsamkeiten der Todesart zu gliedern<br />
gewesen, konnte aber nur grob nach Gefallenen –<br />
Vermissten - In der Heimat nach Kriegsfolgen<br />
96<br />
Verstorbenen - Bombentoten etc. gegliedert werden,<br />
heute jedoch könnte man z.B. allein bei den<br />
Russland-Toten unterscheiden zwischen Gefallenen<br />
oder Vermissten im Zuge von Kampfgeschehen,<br />
Vermissten, die später in russischen<br />
Gefangenenlagern interniert wurden und dort gestorben<br />
sind und Vermissten, von denen überhaupt keine<br />
weiteren Einzelheiten bekannt wurden, wie sie zu<br />
Tode gekommen sind. Aber auch bei allen anderen<br />
Kriegsschauplätzen hat es unzählige Opfer gegeben.<br />
Die geheimen Archive des KGB<br />
Um den Umfang der Gefangenen- und Gefangenensterbeproblematik<br />
in Russland zu erfassen, muss<br />
man sich vergegenwärtigen, dass die „Sowjetische<br />
Hauptverwaltung für Kriegsgefangene“ ein Netz von<br />
über 4000 Lagern umfasste, 1 in denen Abertausende<br />
Wehrmachtsangehörige, darunter über 140.000 registrierte<br />
Österreicher, unter unvorstellbaren Lebensund<br />
Arbeitsbedingungen vegetierten und Ungezählte<br />
von ihnen auch starben: in Bergwerken Zentralrusslands<br />
oder im Ural, am Bau, auf Kolchosen oder in<br />
sibirischen Straflagern.<br />
Dank der Vorliebe der Sowjets für Verwaltung wurde<br />
einst von jedem der Gefangenen ein Personalakt angelegt,<br />
der sogar mit Bemerkungen über den sozialen<br />
Status in der Heimat, über seine Familienverhältnisse,<br />
seinen Lebenslauf und schließlich seine oft umfangreiche<br />
Krankengeschichte und woran, wann, wo und<br />
wie er starb ausgestattet war.<br />
Auch war es den Sowjets fremd, Akten wegzuwerfen<br />
oder zu vernichten, so wurde es dann durch Glasnost<br />
und Perestrojka für die Leute des „Ludwig Boltzmann-<br />
Instituts für Kriegsfolgenforschung“ möglich, in die<br />
Archive der geheimen Moskauer Sonderarchive Einblick<br />
zu nehmen.<br />
Nun entstehen in Graz seit 1991 umfangreiche<br />
Karteien. Ab 1993 wurden fast 15.000 Oberösterreicher<br />
erfasst, die jahrelang in russischen Lagern<br />
lebten bzw. dort starben. In mehreren Folgen veröffentlichten<br />
die OÖ Nachrichten im Juni 2004 die langen<br />
Listen, unter denen sich sogar überlebende Stalingradkämpfer<br />
befanden. Auch einige Leondinger<br />
waren dabei. Leider gibt es keine Vollständigkeit,<br />
denn die Sowjets begannen mit ihren Aufzeichnungen<br />
erst, als die geregelte Verwaltung in Fluss kam. Zu<br />
diesem Zeitpunkt aber waren in den schlimmsten<br />
Nachkriegs-Monaten schon viele Soldaten gestorben.<br />
Auch für die bei Kampfhandlungen Umgekommenen<br />
und für jene, die die Gefangennahme nicht lange<br />
genug überlebt hatten, existiert kein Personalakt.
Für viele Angehörige aber kann es nun nach Kontaktaufnahme<br />
mit dem Boltzmann-Institut endlich Gewissheit<br />
geben über das Schicksal der nunmehr vor fast<br />
65 Jahren Vermissten. Für so manchen Leondinger<br />
aber bleibt es gewiss, dass niemand weiß, wie er<br />
umgekommen ist und wo er verscharrt liegt. In solchen<br />
und in ungezählten anderen Fällen kümmert<br />
sich das Schwarze Kreuz um Nachforschung, Erfassung,<br />
Umbettung oder um Kriegsgräberpflege. Auch<br />
Angehörige von Vermissten kümmern sich oft jahrelang<br />
um das Schicksal ihrer im Krieg gebliebenen<br />
Väter, Söhne oder Brüder.<br />
Da und dort wurden erschütternde Einzelheiten offenbar.<br />
Aber wenigstens finden sie Gewissheit, die ihnen<br />
Erleichterung bringt. Mehr als 60 Jahre sind nun seit<br />
jenem schrecklichen Krieg vorüber, und die Ereignisse<br />
jener Zeit erscheinen vielen als eine längst versunkene<br />
Welt. In Russland sind alle Spuren der einstigen<br />
Gefangenenlager verschwunden. Anstelle der<br />
einstigen Lagerfriedhöfe, wo die sterblichen Überreste<br />
der nach dem Krieg ums Leben gekommenen liegen,<br />
wurden Wohnbauten oder gigantische Fabriken<br />
errichtet. Diese Toten jedoch wurden wenigstens registriert.<br />
Aber die Dunkelziffer, also der Unterschied<br />
zwischen geklärten Schicksalen und solchen, die nirgends<br />
erfasst sind, bleibt weiterhin überaus hoch.<br />
Das gilt für die Opfer „hüben und drüben“, für Freund<br />
und Feind. Unbemerkt und namenlos und von niemandem<br />
gemeldet sind sie gefallen, und irgendwo in<br />
einem Massengrab liegen sie verscharrt. Kilometerweit<br />
verstreut über Äcker und Felder Russlands lagen<br />
die gefallenen Deutschen, Österreicher, Ungarn,<br />
Russen u.v.a.m.. Man denke nur an die Tausenden<br />
Toten in Stalingrads Ruinen, als eine ganze deutsche<br />
Armee hingeopfert wurde.<br />
Symbolisch für sie sind die Gräber der „Unbekannten<br />
Soldaten“ in vielen Ländern Europas errichtet worden.<br />
Heute sind die „Heldendenkmäler“ und die Soldatenfriedhöfe<br />
in den damals kriegführenden Ländern<br />
Zeugen dafür, dass die Nachwelt gewillt ist, sie - wie<br />
es Albert Schweitzer formulierte - als „Prediger des<br />
Friedens“ anzusehen. Denn es ist Gott sei Dank der<br />
sehnlichste Wunsch der Mehrheit der Menschen: „Nie<br />
wieder Krieg!“<br />
Leondinger Gefallene im 2.Weltkrieg<br />
bzw. an Kriegsfolgen (nach Schwerverwundung in<br />
Lazaretten u.ä.) Verstorbene 2<br />
AICHMAYR Albert *18.5.s1924, Rufling 58, gefallen<br />
12.11.1944 „als Marinesoldat auf der<br />
Tirpitz in nordisch. Gewässern“<br />
AICHMAYR Johann *18.6.1925, Rufling 58,<br />
gef.18.7.1944 an der Invasionsfront<br />
ALTMANN Michael *19.9.1904,Alharting 20, gef.<br />
28.2.1945 Liebrose / „im Osten“<br />
ANDERL Josef *7.2.1924, Leonding 40, Tischler,<br />
ermordet 1945 in Prag<br />
ANGERMAIER Josef *9.11.1902, Holzheim 1,<br />
gefallen am 4.7.1942 Russland<br />
ATZINGER Franz *12.3.1903, Haag 32, + 24.11.1944<br />
Losonc / Feldlazarett, Ungarn<br />
AUGL(Lehner)Franz *11.2.1909, Leonding 2<br />
(Gaumberg 58), gef. 1.3.1942<br />
Tschenzowo / Rußland<br />
BACHBAUER Oskar *3.7.1923, Leonding 129, gef.<br />
am 26.10.1942 nördlich Demidoff,<br />
Russland<br />
BACHNER Anton *19.2.1906, gef.am 20.3.1945 „am<br />
Westwall“ / Andilly<br />
BÖ(ä)CK Johann *23.7.1924, Buchberg 1,<br />
gef. 5.8.1944 ostwärts Julianow / Polen<br />
BARB Ignaz *10.8.1916, Haag 4o, + am 30.4.1844 in<br />
Wien, Luftwaffenlazarett<br />
BAUER Alois *7.1.1920, Hart 31, gefallen am<br />
16.1.1942 bei Ojekolovatka / Russland<br />
BAUER August *1897, unbekannt gefallen<br />
BAYER Franz *17.12.1920, Steinkellnersohn,<br />
Bergham, +8.2.1942, Lazarett-Smolensk /<br />
Russland<br />
BEINLICH Heinrich *7.6.1914, Haag 68, gef. am<br />
4.7.1942 Liwenka / Russland,<br />
Tieffliegerangriff<br />
BERGER Johann *7.6.1922 Hart, +28.10.1942 am<br />
Hauptverbandplatz Perewlny / Kaukasus<br />
BERNER Franz *28.8.1910, Schuhmacher,<br />
unbekannt gefallen in Deutschland<br />
BIERMAYR Hermann *10.10.1907, Buchberg 8,<br />
gefallen 23.7.1943 bei Chitrowa-Orel,<br />
Russland<br />
BINDER Karl Werner *2.3.1914, Leonding 125,<br />
gefallen 10.5.1944 in Westflandern<br />
BRANDSTÄTTER Josef, Bergham, unbekannt gefallen<br />
BUSEK Fritz, gefallen am 24.10.1941 bei Borowsk /<br />
Russland<br />
BUTTINGER Johann *25.11.1920, Reith 18,<br />
+22.5.1942 in Smijevka südlich Orel /<br />
Russland<br />
DALLINGER Ferdinand *24.5.1925, Dallingersohn /<br />
Leonding, gef. 18.12.1944 „im Westen“<br />
DEISCHINGER Walter, Leonding 8, unbekannt gefallen<br />
DESL Hermann *ca. 1924, gefallen am 19.1.1943 in<br />
der Ukraine<br />
DIEPLINGER Karl *1921, gefallen 1944 bei Reval /<br />
Estland<br />
97
DUSCHER Anton *Bergham 19, gefallen 17.10.1942<br />
in Wladimirskaje / Russland<br />
DUTZLER Wilhelm *1902, unbekannt gefallen<br />
1943 in Kroatien<br />
EBELSEDER Hubert *31.8.1923, Holzheim 1,<br />
+ am 2.1.1943 in Berlin<br />
EDER Hermann *13.3.1920, Alharting 21, gef. am<br />
28.6.1942 in Russland<br />
EDER Johann *25.11.1910, Hart 45, gef. am 7.3.1943<br />
bei Rylsk, Russland / Feldlazarett<br />
EDLINGER; Vorname unbekannt, Haag-Keferfeld,<br />
unbekannt gefallen 1941<br />
ENZENHOFER Leopold *21.10.1905, Buchberg 1, +<br />
Kriegsgefangenschaft. Buzau /<br />
Karpathenrand<br />
ERLER Julius *10.3.1908, Alharting 3, gef. 26.1.1942<br />
in Skorodowka / Russland<br />
FINSTER Karl *9.4.1923, gef. am 6.10.1942 bei<br />
Leski, östl.Orel / Russland<br />
FREUND Anton Wilhelm*(?), unbekannt gefallen<br />
1941 in Russland<br />
FREYNSCHLAG Karl *11.10.1909, Gaumberg 58,<br />
gef. am 13.2.1943 in Obojan / Russland<br />
FRIESENECKER Alois *28.7.1901, Hart 38, gef. am<br />
16.8.1944 bei Ursoaia-Tighina / Russland<br />
GADERMAYR Vorname unbekannt,<br />
Rufling – unbekannt gefallen<br />
GEBETSBERGER Franz *17.9.1906, Rufling 42,<br />
+6.11.43 Feldlazarett Soanvik /<br />
Norwegen<br />
GENGER Friedrich *24.2.1916, Bergham 18, gef.am<br />
17.9.1943 in Avigliano / Italien<br />
GERLACH Erich *8.10.1909, Rufling 32, gef. am<br />
22.10.1944 bei Ebenrode / Ostpreußen<br />
98<br />
GIGLEITNER Josef *28.6.1914, Gaumberg 21, gef.<br />
am 23.3.1945 in Pillau / Ostpreußen<br />
GLEISS Max *10.8.1921, Alharting 2, gef.am<br />
27.1.1945 Birnbaum / Warthe bei Schwerin<br />
GÖTZENBERGER Karl *6.9.1919,Reith 17, gef. am<br />
1.5.1944 im Raum Bobruisk / Russland<br />
GRAML Ernst *12.2.1925, Leonding 79, gef. am<br />
31.1.1943 in Ukeritz „im Altreich“<br />
GRESSLEHNER Josef *9.2.1914, Graben 2, gef. am<br />
26.7.1941 bei Smolensk / Russland<br />
GRÖMER Franz *10.12.1913, Leonding 24, gef. am<br />
25.7.1942 bei Skotobok / Russland<br />
GRUBER Heinrich *um 1905, Leonding, unbekannt<br />
gefallen<br />
GRUBER Johann *13.12.1914, Untergaumberg 24,<br />
gef. am 11.1.1943 südwestlich Welikije<br />
Luki / Russland<br />
GSTÖTTNER Max *18.2.1914, Graben 11, gef. am<br />
9.8.1942 in Pereskopskoje / Russland<br />
HAAS Berthold *21.6.1908, Alharting 1, gef.<br />
17.3.1944 in Ssjerp / Russland<br />
HAGMÜLLER Johann *9.1.1911, Leonding 112,<br />
+14.10.1943 im Feldlazarett Nikopol /<br />
Russland<br />
HAINDL Johann *6.12.1909, Bergham 28, gefallen<br />
am 12.8.1944 in Warschau<br />
HAINDL Karl *9.4.1924, Bergham 18, + 26.2.1944<br />
Kriegslazarett La Fratta / Italien<br />
HAMETNER Franz *6.3.1915, Untergaumberg 20,<br />
gef. am 8.3.1942 in Russland<br />
HARRER Franz *20.4.1915, Leonding 22, gef.<br />
6.4.1944 in Dolina / Jagielnica / Russland<br />
HARRER Friedrich(Fritz) *7.7.1907, Leonding 32,<br />
unbekannt gefallen Mai 1945 bei Berlin<br />
HARRER Georg *24.3.1911, Rufling 14, gef. am<br />
22.11.1941 in Russland<br />
HARRER Johann *30.10.1907, Enzenwinkl 3, gef. am<br />
28.8.1944 bei Grebki / Ostrow, Russland<br />
HARTL Karl * unbekannt, Knecht in Bergham 6,<br />
unbekannt gefallen<br />
HAUER Mathias *26.2.1911, Haag 42, + 27.11.1944<br />
Feldlazarett Insel Oesel / Windau<br />
HAUSER Johann *15.9.1919, Holzheim 1, gefallen<br />
am 22.August 1942 in Russland<br />
HERZ Fritz *3.2.1922, Bergham 12, + 25.3.1946 in<br />
Kairo / Kriegsgefangenschaft<br />
HESS Otto *31.10.1922, Leonding 67,+ 19.11.1942<br />
Feldlazarett Tyessowo bei Wyassma /<br />
Russland<br />
HIMMELBAUER Josef *1894,<br />
unbekannt gefallen 1944<br />
HINTENBERGER Josef *6.3.1925, Reith 9, gef. am<br />
28.9.1944 bei Jallancourt / im „Westen“<br />
HINTERSTEININGER Rudolf *27.8.1914, Haag 31,<br />
gef. am 22.9.1941 bei Jagotin / Russland<br />
HINTERSTEININGER Otto *1912; Haag 31, gefallen<br />
1944 in Frankreich<br />
HÖBLER Johann *16.11.1908, Leonding 14, gef. am<br />
24.1.1944, bei Nurma / Russland<br />
HOCHGATTERER Johann *15.7.1909, Holzheim 1,<br />
gef. am 5.3.1943 südlich Bryansk /<br />
Russland<br />
HOCHREITER Franz *16.6.1916, Gaumberg 40, gef.<br />
am 1.10.1942 bei Stalingrad<br />
HOFBAUER Franz *22.12.1910, Gaumberg 18, +<br />
2.3.1940, Linz-Lazarett<br />
HOFBAUER FRANZ *1923, Rufling,<br />
unbekannt gefallen in Russland 1945<br />
HOFER Anton *27.5.1910, Doppl 4, gef. am<br />
25.12.1941 in Wjassma / Russland<br />
HOFER Johann *24.6.1911, Doppl 15, gef. am<br />
23.Juni 1941 bei Wyganowo / Russland
HOFMANN Rudolf *10.11.1924, Haag 9, + 20.6.1944<br />
in Heiloo bei Amsterdam / Holland<br />
HOLNDONNER Michael *27.9.1914, Hart 5, gefallen<br />
am 24.1.1942 bei Borilowo / Russland<br />
HOLZINGER Rudolf *26.8.1915, Holzheim 6, gef. am<br />
5.10.1941 bei Gadjatsch / Charkow<br />
HOPFINGER Johann *1914, Leonding unbekannt,<br />
gef. in Russland am 9.9.1943<br />
HÖRHANN Johann *11.1.1910, Graben 1, gef. am<br />
1.2.1945 bei Novo Kasaba / Kroatien<br />
HRABIK Josef *23.9.1911, Haag 8, gefallen am<br />
11.6.1942 bei Womes, Südfrankreich<br />
HUEMER Johann *8.4.1911, Rufling 29, gef. am<br />
21.12.1943 bei Teljatnikowa-Witebsk /<br />
Russland<br />
HUEMER Max *1911, Rufling 29 (Gartenlehnersohn),<br />
+1946 in Odessa / russische<br />
Gefangenschaft<br />
HÜTTL Heinrich *23.7.1906, Graben 42,<br />
gefallen am 1.3.1945 bei Köln<br />
JAKSCH Franz *1918, Doppl, unbekannt gefallen<br />
1941 im Kessel vor Moskau<br />
JUNGREUTHMAYER Ernst *20.10.1921, gefallen am<br />
3.7.1943 bei Catania / Italien<br />
JUSTL Franz *1908, Leonding 14, unbekannt gefallen<br />
1945<br />
KALTENBÖCK Johann *1917,<br />
Leonding,unbekannt gefallen<br />
KAMM Franz *1906/07, Alharting/Berg 14,<br />
unbekannt gefallen<br />
KARLINGER Franz *ca. 1923, Leonding, gefallen am<br />
17.7.1944 in Finnland<br />
KASTNER Heinrich *12.4.1915, Gaumberg 18, gef.<br />
7.3.1942 mittlerer Frontabschnitt / Russland<br />
KAUFMANN Rudolf *1909, Leonding, Priester, gef.am<br />
22.6.1941 bei Grodek / Russland<br />
KEPLINGER Josef *3.1.1916, Leonding,<br />
Priestersoldat, gef. 30.9.1944 bei<br />
Markowola / Polen<br />
KIESL Eduard *3.4.1917, Graben1, gef. am<br />
20.9.1939 in Rezeerow / Polen<br />
KIRCHMAYR Ferdinand *28.1.1908, Reith 6, gefallen<br />
25.2.1945 bei Rheindalen / Köln<br />
KIRCHMAIR Josef *27.1.1916, Hart 1, + 22.6.1940<br />
Reservelazarett / Mannheim<br />
KIRCHMAYR Rudolf *1920, Doppl 1, gefallen am<br />
5.1.1945 an der „Westfront“<br />
KLEEWEIß Franz *13.7.1907, Graben 31, gefallen<br />
am 11.10.1942 bei Malgobeerk / Russland<br />
KNISPL Erich *29.1.1915, Haag 22, gefallen am<br />
10.12.1942 in Russland<br />
KOBLINGER Hermann *1915, unbekannt<br />
gefallen 1940<br />
KOBINGER Johann *1915, unbekannt gefallen<br />
KOCH Vorname unbekannt, Graben 29,<br />
unbekannt gefallen im Jänner 1944<br />
KOLL Johann *20.2.1914, Hart/Rufling 47, gefallen<br />
am 22.5.(8.)1942 in Russland<br />
KÖRNER Hermann *30.12.1905, Haag 22, gef. am<br />
7.10.1944 Elten, deutsch/holländische<br />
Grenze<br />
KREINER Friedrich *28.2.1920, Leonding 14, gef.am<br />
24.7.1942 in Welisch / Russland<br />
KRENNER Franz *unbekannt, Friesenegg, gefallen<br />
am 23.5.1940 bei Calais / Frankreich<br />
KRENNMAYR Heinrich *ca. 1927, Bergham 25,<br />
unbekannt gefallen bei Wien 1945<br />
KRETSCHMER Erich *1920, Leonding,<br />
unbekannt gefallen 1944 in Frankreich<br />
KREUZER Hermann *1.7.1917, Rufling 25, +<br />
14.4.1939 in Schleiz / Thüringen<br />
KREUZER Wilhelm *1905, Leonding, unbekannt<br />
gefallen 1945 in Kroatien<br />
KRITSCH Andreas *21.10.1911, Gaumberg 10, gef.<br />
5.9.1944 Merzieres / Charlesville /<br />
Frankreich<br />
KUSSBERGER Franz *5.10.1919, Alharting 13,<br />
gefallen am 8.7.1943 Szowiza / Russland<br />
LACKINGER Josef *1917, Leonding,<br />
unbekannt gefallen 1944 in Polen<br />
LACKNER Franz *22.2.1894, Gaumberg 34,<br />
+ 23.10.1939 in Linz<br />
LACKNER Hermann *1.4.1913, Hart 4, + 21.1.1944<br />
im Kriegslazarett Borissow / Russland<br />
LEDERHILGER Karl *1.5.1916, Gaumberg 21,<br />
gefallen 10.2.1943 Krassny-Szulin /<br />
Russland<br />
LEHNER Alois *29.5.1910, Alharting 8, am 11.4.1945<br />
hingerichtet in Gispersleben / Thüringen<br />
LEHNER Josef *28.10.1925, Haag 69, gefallen am<br />
4.3.1944 bei Gorodenka / Narwafront<br />
LEHNER Karl *2.12.1913, Gaumberg 43, gefallen am<br />
7.3.1944 südlich Plessowezkaja /<br />
Russland<br />
LEIMBURGER RAIMUND *30.8.1909, Leonding,<br />
unbekannt verstorben in einem russischen<br />
Gefangenenlager<br />
LEITNER Johann *ca. 1912, Hart 24,<br />
unbekannt gefallen<br />
LETTNER Karl *unbekannt, Gaumberg 20, unbekannt<br />
gefallen Ende 1942<br />
LIßBERGER Hans *27.7.1919, Leonding 64,<br />
abgestürzt am 7.4.1944 Hannover /<br />
Wesendorf<br />
LOIDL Anton *2.6.1906, Graben 23, gefallen am<br />
8.9.1944 Bicaz-Pass / Karpathenfront<br />
99
LUDWICZEK Kurt *8.6.1910 „Heldentod zur See“<br />
1944 im Schwarzen Meer / Rumänien<br />
LUGER Josef *unbekannt, gefallen am 15.9.1943<br />
südlich Konotop / Russland<br />
MADERTHANER Anton *unbekannt, Leonding,<br />
Gendarm, unbekannt gefallen 1944<br />
MALZNER Friedrich *19.10.1923, Gaumberg 50, gef.<br />
2.12.1944 bei Bioce / Montenegro<br />
MAURER Josef *20.8.1921, Haag 50, + im Jänner<br />
1945 in Slawiansky / russische<br />
Gefangenschaft<br />
MAYR Franz *3.3.1923, Leonding 45, + 27.12.1945<br />
Kowno / Litauen in Gefangenschaft<br />
MAYR Richard *2.8.1919, Untergaumberg 25,<br />
gefallen am 5.3.1943 in Russland<br />
MAYR Vorname unbekannt, Untergaumberg 15<br />
(Vater Reichsbahner), unbekannt gefallen<br />
1942<br />
MAYRHAUSER Erwin *8.12.1926, Bergham 33,<br />
gefallen am 11.12.1944 bei Esseg /<br />
Jugoslawien<br />
MAYRHAUSER Georg *20.3.1906, Bergham 35,<br />
+23.3.1944 Lazarett Stanislau bei<br />
Lemberg<br />
MAYRHOFER Franz *9.10.1910, Untergaumberg 30,<br />
gefallen am 8.8.1944 in Frankreich<br />
MAYRHOFER Leopold *25.10.1914, Gaumberg 48/<br />
30-Leonding 92, gef. am 8.7.1945<br />
Lauenburg / Gefangenschaft<br />
MEINDL Friedrich *13.4.1911, Doppl 4, gefallen am<br />
25.7.1941 bei Smolensk / Russland<br />
MEINDL Hans *22.7.1925, Berg 19, gefallen am<br />
23.8.1943 bei Achtyrka / Russland<br />
MEINDL Walter *1922, Leonding, unbekannt<br />
gefallen 1942 in Russland<br />
100<br />
MISTLBACHER Konrad *23.3.1909, Haag 29, +<br />
5.9.1944 Hauptverbandplatz bei Tarnow /<br />
Polen<br />
MITTERMEIER Josef *23.12.1918, Untergaumbg,<br />
gef. am 23.12.1944 Frankenstein /<br />
Lazarett<br />
MITMANNSGRUBER August *unbekannt, gefallen<br />
14.6.1942 bei Artemovka im Raum<br />
Charkow<br />
MOSER Peter *29.6.1911, Gaumberg 19, gefallen am<br />
9.6.1940 in Frankreich<br />
MOTTL Leopold *1908, unbekannt gefallen 1944 in<br />
Russland<br />
MÜLLEDER Rudolf *18.4.1919, Leonding 115,<br />
gefallen am 20.3.1942 bei Bjeloy /<br />
Russland<br />
MÜLLER Albert *2.7.1922, Gaumberg 21, gefallen am<br />
1.6.1943 bei Yamny / Russland<br />
MÜLLER Karl *1908, Leonding, unbekannt gefallen<br />
1944<br />
NEIDL Stefan *1914, Gaumberg 13, unbekannt<br />
gefallen 1944 in Russland<br />
NIEDERMAYR Franz *30.10.1923, Hart 38, gefallen<br />
am 11.2.1945 bei Grottau / Oppeln /<br />
Deutschland<br />
NIEDERMAYR Otto *1922, Leonding, unbekannt<br />
gefallen 1945 in Ungarn<br />
NÖBAUER Johann *2.6.1924, Staudach 8, +<br />
13.7.1943 Kriegslazarett Smolensk /<br />
Russland<br />
ÖBERL Josef *15.3.1914, Leonding, gefallen am<br />
24.11.1942 bei Bol-Nabatowsky / Russland<br />
OBERMAYR Josef *16.5.1920, Berg 17, gefallen am<br />
16.7.1941 bei Pustowojty / Russland<br />
OBERMAYR Rupert *24.2.1926, Alharting 13,<br />
gefallen am 5.1.1945 bei Gamsheim /<br />
Elsass<br />
OBERMÜLLER Franz *15.10.1916, Untergaumberg<br />
11/27, gef. 11.8.1941 bei Michalkina /<br />
Russland<br />
ORTNER Johann *21.12.1922, Doppl 14, unbekannt<br />
gefallen am 9.7.1942<br />
OSEPP Josef *21.10.1909, Haag 66, + 11.12.1942 im<br />
Feldlazarett Idzika / Russland<br />
PASCHINGER Rudolf *1910, Leonding, unbekannt<br />
gefallen 1940 in Frankreich<br />
PHILIPP Hans *1910, Alharting 4, unbekannt gefallen<br />
PHILIPP Karl *20.1.1914, Alharting 4, + 5.6.1942 im<br />
Kriegslazarett Wyassma<br />
PIBL Franz *1919, Leonding, unbekannt gefallen<br />
1941 in Russland<br />
PICHLER Gottfried *8.11.1913, Gaumberg 20,<br />
gefallen am 9.6.1940 Evergnicourt /<br />
Frankreich<br />
PICHLER Karl *1914, Untergaumberg 27, gefallen am<br />
3.12.1941 bei Stagalowka / Russland<br />
PICHLER Robert *20.5.1921, Untergaumberg 27,<br />
gefallen am 27.8.1944 bei Kobylany /<br />
Russland<br />
PIRKLBAUER Josef *28.2.1920, Leonding, gefallen<br />
19.2.1945 bei Königsberg / Ostpreußen<br />
PIRKLBAUER Roman *26.7.1915, Untergaumberg<br />
23, gefallen am 16.7.1943 ostwestlich Orel<br />
/ Russland<br />
PLAKOLM Josef *ca. 1921, Bergham 4, unbekannt<br />
gefallen „früh“ [Mitteilung Alois Kreinecker]<br />
PLATZER Wilhelm *5.7.1916, Holzheim 3, gefallen<br />
am 15.10.1942 in Stalingrad<br />
PLÖDERL August *16.5.1920, Gaumberg 45, gef. am<br />
14.6.1942 Raum Charkow / Tschugujev
PLOHBERGER Felix *27.9.1915, Alharting 5, gefallen<br />
am 19.10.1943 bei Kolpen / Lojew /<br />
Russland<br />
POSCH August *8.12.1900, Gaumberg 15, unbekannt<br />
gefallen 1944 in Ungarn<br />
POSCH Rudolf *8.10.1904, Gaumberg 15, gefallen<br />
am 10.3.1945 in Russand<br />
POUZAR Hans *29.8.1921, Untergaumberg 25, gef.<br />
8.5.1942 Poliso / Kirillowatschina,<br />
Russland<br />
PRIESCHL Josef *21.2.1911, Hart 38, gefallen am<br />
31.1.1943 in Bosnien<br />
PÜHRINGER Alois *10.6.1894, Friesenegg 6, +<br />
1.3.1940 Leonding<br />
PÜHRINGER Fritz *11.4.1925, Friesenegg 6, +<br />
1.2.1944 Lazarett Sesta bei Florenz<br />
PÜHRINGER Max *18.9.1916, Friesenegg 6, gef.am<br />
6.3.1944 bei Plessowitschi / Russland<br />
RADNER Ernst *13.9.1913, Alharting 15, gefallen am<br />
31.1.1942 in Russland<br />
RADNER Josef *19.6.1921, Alharting 15, gefallen am<br />
3.3.1942 bei Tolotschwo / Russland<br />
RAINER Franz *7.2.1905, Graben 43, gefallen am<br />
20.7.1941 bei Wytjebskaja / Russland<br />
RAINHART August *15.4.1919, Graben 34, gefallen<br />
am 31.5.1943 in Russland<br />
RAK Georg *22.12.1900, Rufling 16, gefallen am<br />
28.12.1943 nahe Kositschewa / Russland<br />
RAMMEL August *2.8.1909, Berghm 24, gef. am<br />
7.2.1943 Kriegslazarett, Bobruisk,<br />
Russland<br />
RANZMEIR Friedrich *15.9.1916, Rufling 12, gefallen<br />
am 20.5.1942 in Russland<br />
RANZMEIR Heinrich *1914, Rufling 12, + Mai 1943 in<br />
Beketowka / Stalingrad, Gefangenschaft<br />
RATH Anton *7.6.1910, Haag 75, gefallen am<br />
14.6.1942 bei Gorki / Russland<br />
RATH Vinzenz *6.1.1910, Rufling 45, unbekannt<br />
gefallen am 5.1.1942 Russland<br />
REINGRUBER Vorname unbekannt, Leonding,<br />
unbekannt gefallen 1940 in Neufchatel /<br />
Frankreich<br />
REINING Wilhelm *1914, Doppl, unbekannt gefallen<br />
1943 in Russland<br />
REININGER Karl *10.1.1920, Leonding 92, gefallen<br />
am 15.8.1944 bei Ohli / Modon, Russland<br />
REITER Franz *18.9.1915, Haag 61, gefallen am<br />
4.12.1943 bei Shlobin / Russland<br />
REITINGER Hermann *5.12.1921, Felling 1, gef. am<br />
20.9.1941 Kiew / Drabroff, Russland<br />
RIENER Rudolf *31.8.1910, Leonding 101, unbekannt<br />
gef. in Russland am 20.4.1942<br />
RICHTER Fritz *25.3.1913, Haag 48, gefallen am<br />
21.9.1943 bei Demidoff / Russland<br />
RIES Anton *1.7.1918, Leonding 115, gefallen am<br />
5.10.1944 bei Savignano / Italien<br />
RIESENEDER Friedrich *2.8.1911, Holzheim 14, +<br />
am 30.11.1939 in Jaroslaw / Polen<br />
RITTENSCHOBER Franz *1913, Doppl(?), unbekannt<br />
gefallen 1945 bei Waidhofen / Ybbs<br />
RITZBERGER Ferdinand *1913, Leonding,<br />
unbekannt gefallen 1945 in Italien<br />
ROSER Franz *1.12.1924, Leonding 27, +<br />
25.12.1943 Hauptverbandplatz Bibiki /<br />
Mosyr, Russland<br />
SALZNER Franz *15.4.1920, Reith 1, gefallen am<br />
31.1.1943 bei Kutusowo / Russland<br />
SCHACHERBAUER Karl *1905, Leonding, unbekannt<br />
gefallen 1945 in Frankreich<br />
SCHACHL Leopold *29.10.1912, Felling 1, gef. am<br />
14.7.1944 bei Nevesinje / Kroatien<br />
SCHALMEINER Anton *1903, Leonding, unbekannt<br />
gefallen am 30.11.1942 in Russland<br />
SCHARTNER Fritz *7.10.1923, Gaumberg 10, gef.<br />
am 5.6.1944 bei Jassy / Russland<br />
SCHÄTZLEIN Friedrich *2.9.1913, Rufling 44,<br />
gefallen am 3.10.1944 bei Rchew /<br />
Ostfront<br />
SCHEPPL Johann *1910, Bergham, in einem<br />
sowjetischen Lager verstorben<br />
SCHAUER Franz *unbekannt, Leonding, unbekannt<br />
gefallen in Italien am 18.2.1944<br />
SCHILLER Ignaz *1907, Leonding, unbekannt<br />
gefallen 1944 in Ungarn<br />
SCHMID Stephan *30.6.1921, Alharting 15,<br />
gefallen am 4.11.1944 in Paderborn<br />
SCHMIDLEITNER Friedrich *19.2.1895, gef. am<br />
4.11.1944 Linz, bei Luftangriff<br />
SCHMIEDSEDER Fritz *3.5.1926, Gaumberg 64, gef.<br />
am 30.12.1944 Centremange / Belgien<br />
SCHNEEFUSS Johann *23.7.1920, Graben 48, gef.<br />
am 17.6.1944 Invasionsfront / Frankreich<br />
SCHNEIDER Hans *6.7.1912, Haag 65, gefallen am<br />
21.1.1944 in Leningrad/Russland<br />
SCHNELLE Johannes Rudolf *26.8.1915, + nach<br />
Schwerstverwundung am 13.4.1945 in<br />
Oschatz<br />
SCHWARZ Martin *unbekannt, Knecht in Bergham 4,<br />
unbekannt gefallen<br />
SEEMANN Johann *unbekannt, Leonding, unbekannt<br />
gefallen 1944<br />
SEEMAYR Josef *1916, Leonding, unbekannt<br />
gefallen 1943 in Russland<br />
SILBER Alois *13.6.1913, Reith 10, gefallen am<br />
1.11.1942 in Riga-Ost / Kriegslazarett<br />
SONNLEITNER Raimund *18.1.1912, Gaumberg 61,<br />
gef. am 2.2.1944 Starino bei Dedno /<br />
Russland<br />
101
STADELBAUER Hermann *7.4.1911, Leonding 70,<br />
gefallen am 11.9.1941 bei Smolensk /<br />
Russland<br />
STADELBAUER Johann *28.4.1910, Gaumberg 11,<br />
gefallen im September 1943 in Russland<br />
STEGMÜLLER Oskar *3.1.1916, Untergaumberg 31,<br />
gefallen 4.3.1943 bei Dubischew /<br />
Russland<br />
STEINDL-ZAUNER Vorname unbekannt, Hart 38,<br />
unbekannt gefallen<br />
STIENEN Karl *19.12.1913, Berghm 29 („Jäger in<br />
Kürnberg“), gef. 19.7.1943 Kamenka /<br />
Donez / Russland<br />
STÖTTNER Johann *1904, Leonding, unbekannt<br />
gefallen 1945<br />
STÜRMER Johann *1913, Leonding, unbekannt<br />
gefallen 1945 in Rumänien<br />
STÜRMER Max *1921, Leonding, unbekannt gefallen<br />
1945 in Ungarn<br />
SULZERMEIER Sepp *13.3.1909, Alharting 21,<br />
gefallen 15.2.1945 Senohrad / Slowakei<br />
TANZMAIR Otto *1908, Leonding, unbekannt gefallen<br />
1945 in Schlesien<br />
TRAUNSTEINER Karl *25.6.1919, Enzenwinkel 2,<br />
gefallen am 6.2.1943 bei Okoliza /<br />
Russland<br />
TRAXLER Hans *8.4.1911, Haag 50, gefallen am<br />
30.12.1944 Köln / Deutz, Luftangriff<br />
UNTERSMAYR Franz *18.3.1919, Gaumberg 10, +<br />
9.8.1942 Lazarett-Dnjepopetrowsk /<br />
Russland<br />
WAGENEDER Friedrich *25.5.1896, Rufling 15,<br />
gefallen am 30.8.1943 Wien 23 / Lazarett<br />
102<br />
WALCH Josef *5.3.1915, Gaumberg 16, gef.<br />
30.7.1942 in Dalny / Pereskopskoje /<br />
Russland<br />
WALLNER Robert *29.5.1906, Bergham 26, gef.<br />
20.5.1942 in Gaidary bei Smijeff / Ukraine<br />
WEGSCHEIDER Franz *17.12.1921, Rufling 10,<br />
gefallen am 15.5.1944 bei Artena / Italien<br />
WEGSCHEIDER Leopold *1921, Rufling 40, gefallen<br />
am 12.8.1943 im Raum Wyasma /<br />
Russland<br />
WEHRL August *20.5.1912, Leonding 65, gefallen am<br />
12.9.1944 bei Wisniowa / Krakau<br />
WEINZIERL Raimund *16.5.1926, Leonding 45,<br />
gefallen am 7.10.1944 San Maria Unova /<br />
Italien<br />
WEIXELBAUMER Anton *13.7.1913, Hart 28, +<br />
14.9.1943 Kriegslazarett Kiew<br />
WEIXELBAUMER Eduard *11.3.1907, Hart 20,<br />
gefallen am 22.3.1944 auf der Nord-Krim /<br />
Russland<br />
WIESER Johann *1920, + 4.5.1942 im<br />
Reservelazarett Finsterwalde /<br />
Niederlausitz<br />
WILLIWALD Karl *unbekannt, Leonding 26,<br />
unbekannt gefallen am 1.10.1942<br />
in Russland<br />
WINDNER Franz *3.9.1912, Leonding 6, gefallen am<br />
8.12.1941 „im Osten“<br />
WINKLER Karl *unbekannt, Hofmeindlsohn,<br />
unbekannt gefallen<br />
WINTER Helmut *4.7.1925, Haag 17, gefallen am<br />
20.12.1944 „im Westen“<br />
WINTER Karl *15.3.1920, Imberg 7, am 5.1.1943 bei<br />
Augsburg abgestürzt, “Nachtjäger“<br />
WINTER Rudolf *9.3.1895, Leondg 117, + 27.11.1941<br />
Lazarett Salzburg<br />
WLACH Bruno *1910, unbekannt gefallen in<br />
Russland<br />
WÖRTHNER Roman *unbekannt, Untergaumberg,<br />
unbekannt gefallen 1940 beim<br />
Frankreichfeldzug<br />
ZEHETNER Josef *25.7.1913, gefallen am 30.9.1942<br />
bei Stalingrad<br />
ZOITL Ernst *19.4.1925, Gaumberg 16, gefallen am<br />
15.5.1944 Koschnitza / Dnjestr<br />
Übersicht - Leondinger Vermisste im 2. Weltkrieg<br />
AIGNER Ernst *11.12.1913, Bergham 19, vermisst<br />
12.10.1943 nordwestlich Kanew / Djepr,<br />
Russland<br />
AIGNER Hans *17.11.1921, Holzheim 1,<br />
Maschinenmaat, vermisst 15.9.1944 im<br />
Finnischen Meerbusen<br />
ARDELT Kurt *4.8.1910, Imberg 2, verm. im April<br />
1945 bei den Endkämpfen um Berlin<br />
AUBERGER Josef *19.4.1915, unbekannt vermisst<br />
1945 bei Poltawa / Russland<br />
BÄCK Wilhelm *Mai 1926, Berg 1, unbekannt<br />
vermisst 1945 in Polen<br />
BECKER Franz *20.9.1920, Alharting 14,<br />
vermisst seit 4.12.1942 in Russland<br />
BECKER Friedrich *21.5.1910, Alharting 14, vermisst<br />
seit 7.9.1944 bei Prijedor / Bosnien<br />
BRÄUER Karl *1903, unbekannt vermisst<br />
„zur See“ 1943<br />
BRUNNER Ernst *16.8.1924, Untergaumberg 19,<br />
verm. seit 12.7.1944 in Frankreich
BUCHHAMMER Gottfried *14.8.1920, Bergham 35,<br />
verm. 28.3.1944 am Djnestr. Übergang,<br />
Russland<br />
CZERWENKA Franz *14.5.1920, Gaumberg 66,<br />
verm. 2.3.1944, Triest-Partisanenüberfall<br />
CZERWENKA Karl *24.12.1918, Gaumberg 66, verm.<br />
seit 19.7.1944 in Lemberg/ Polen<br />
DERFLER Johann *16.12.1912, Leonding 92, verm.<br />
seit Juli 1944 Mittelabschnitt / Russland<br />
EDER Johann *16.12.1925, Alharting 21, vermisst<br />
seit 24.6.1944 in Russland<br />
EICHHORN Josef *14.3.1923, Berg 7, vermisst seit<br />
1944/45 im Kurland<br />
EICHINGER Gottfried *5.10.1924, unbekannt<br />
vermisst seit 7.4.1945 in Norwegen<br />
EIGL Alois *12.6.1911, Leonding 70, vermisst seit<br />
6.1.1943 bei Stalingrad / Russland<br />
ENZENHOFER Hermann *7.11.1904, Leonding 32,<br />
vermisst seit 22.8.1944 in Rumänien<br />
ENZENHOFER Johann *18.10.1901, Buchberg 1,<br />
unbekannt vermisst in Russland<br />
FADERL Rudolf *1.4.1915, Hart 44, vermisst seit<br />
11.8.1943 in Charkow, Russland<br />
FEIZLMAYR Johann *10.9.1908, Gaumberg 31,<br />
unbekannt verm. seit 30.4.1945 bei<br />
Breslau<br />
FISCHERAUER Franz *2.1.1909, Rufling 1,<br />
verm.3.8.1943 bei Dragunskoje /<br />
Belgorod / Russland<br />
FRANZL Josef *12.8.1907, Hart 21, vermisst seit<br />
24.6.1944 im Raum Witebsk, Russland<br />
FRIEDL Hermann *20.8.1924, Graben 1, verm. seit<br />
6.8.1943 südlich von Bjelgorod, Russland<br />
FURTHMAYR Max *13.7.1925, Doppl 9, verm. seit<br />
3.8.1944 bei St. Lo / Frankreich<br />
GEGNER Jakob *1904, Doppl, unbekannt vermisst<br />
„im 2. Weltkrieg“<br />
GRUBER Emmerich *25.9.1901, Gaumberg 18,<br />
vermisst seit 23.5.1945 „im Osten“<br />
GRUBER Rudolf *28.2.1909, Rufling 50, vermisst seit<br />
27.8.1943 bei Seewsk / Russland<br />
GSTÖTTNER Stefan *10.8.1910, Berg 4, unbek.<br />
vermisst seit 1945 in Italien / Futa Pass<br />
GUGLER Franz *1922, Haag 57, unbekannt vermisst<br />
seit 1944 in Russland<br />
HADERER Johann *31.8.1901, Bergham 16,<br />
unbekannt vermisst seit 30.4.1945<br />
HAMTENER Rudolf *16.4.1913, Leonding 46,<br />
vermisst 28.8.1943 bei Alferovo / Wjasma /<br />
Russland<br />
HARRER Hermann *7.7.1907, Leonding 121,<br />
vermisst seit 28.4.1944 im Raum<br />
Borissow / Russland<br />
HARTER Nikolaus *24.6.1917, Haag 58, vermisst seit<br />
31.8.1944 in Frankreich<br />
HARTL Engelbert *2.12.1913, Imberg 3, vermisst seit<br />
17.12.1942 bei Stalingrad<br />
HASLINGER Hans *5.5.1915, Hart 23, vermisst seit<br />
28.6.1944 im Raum Bobruisk / Russland<br />
HINTERBERGER Karl *18.1.1903, Rufling 12,<br />
unbekannt vermisst<br />
HINTERHÖLZL Franz *9.1.1920, Reith 18, vermisst<br />
seit 25.6.1944 bei Bobruisk / Russland<br />
HINTERHÖLZL Rudolf *25.8.1921, Reith 9/18,<br />
vermisst seit 28.1.1943 Kastornoje /<br />
Russland<br />
HOCHMAYR Hans *1926, Reith 8, unbekannt<br />
vermisst 1945 im Osten<br />
INGELSBERGER Karl *unbekannt,<br />
Holzheim/Bergham, unbekannt vermisst<br />
JANDA Hans *18.7.1910, Staudach 11,<br />
unbekannt vermisst 1944<br />
JENDRYSIK Josef *13.9.1910, Haag 42, vermisst seit<br />
12.5.1944 bei Sewastopol / Russland<br />
JOKLIK Franz *18.6.1917, Rufling 7, vermisst nach<br />
1942 bei Baku / Aserbeidschan<br />
KASTNER August *3.7.1909, Leonding 7, verm. seit<br />
12.1.1945 Smorgorzow / Polen<br />
KIRCHMAYR Ferdinand *29.5.1917, Hart 1, vermisst<br />
seit 20.11.1942 in Stalingrad<br />
KLEISS Rudolf *31.8.1912, Leonding 15, vermisst<br />
seit 18.7.1944 bei Widuty / Russland<br />
KLOTZ Gustav *1.4.1909, Hart 38, vermisst seit<br />
19.7.1944 im Raum Kamionka / Polen<br />
KNITSCHKE Adolf *16.5.1902, Graben 22, unbekannt<br />
vermisst in Russland seit 28.1.1944<br />
KÖCK Karl *15.8.1925, Hart 8, vermisst seit<br />
15.7.1944 bei Selvattelle / Südfrankreich<br />
KOGLER Ludwig *1920, unbekannt vermisst 1944<br />
in Russland<br />
KREINDL Franz *9.5.1921, Hart 38, seit 1943<br />
vermisst in Stalingrad<br />
KRENNMAYR Ferdinand *1903, unbekannt vermisst<br />
1944 in Russland<br />
LANGER Helmut *1.11.1915, Haag 46, vermisst seit<br />
Juni 1944 bei Witebsk / Russland<br />
LANGMAIR Josef *unbekannt, Gaumberg 16,<br />
vermisst seit 13.5.1944 bei Invasterpol /<br />
Russland<br />
LAUKOTER Walter *24.7.1924, Berg 14, vermisst seit<br />
14.1.1944 bei Nikopol / Südukraine<br />
103
LEHNER Friedrich Jos *3.8.1913, Hart 24, vermisst<br />
seit 2.12.1943 Ljuschewskaya / Russland<br />
LEITINGER Johann *6.3.1910, Holzheim 1,<br />
unbekannt vermisst seit 1944 „im Osten“<br />
LETTNER Josef *19.9.1914, Gaumberg 41, vermisst<br />
seit 18.11.1944 / bei Geilenkirchen /<br />
Deutschland<br />
LÖBLBAUER Max *14.5.1921, Hart 9, vermisst seit<br />
7.12.1942 im Donbogen / Russland<br />
LUTZ Wilhelm *13.6.1926, Haag 12, vermisst seit<br />
10.7.1944 südlich Carentan / Frankreich<br />
MALZNER Hans *unbekannt, Gaumberg 50,<br />
Fliegersoldat, unbekannt vermisst nach<br />
dem 29.4.1943<br />
MAURACHER Vorname unbekannt, *unbekannt,<br />
Gaumberg 10, unbekannt vermisst seit<br />
November 1944<br />
MAYR Johann *2.8.1912, Bergham 35, vermisst seit<br />
15.1.1945 in russischer Gefangenschaft<br />
MAYRHOFER Josef *1.7.1920, Gaumberg 27 /<br />
Leondingg 92, verm. seit 16.12.1944<br />
Cervia / Italien<br />
MIESENBERGER Franz *1912, Leonding 23,<br />
unbekannt vermisst seit 1945 „im Osten“<br />
MÜCK Alfred *15.8.1912, Leonding 49, vermisst seit<br />
20.2.1945 bei Chrzanow in Polen<br />
NIEDERMAYR Josef *24.1.1921, Hart 38, verm. seit<br />
23.6.1944 bei Sawjasje / Witebsk,<br />
Russland<br />
NÖSTLINGER Stefan *14.12.1907, Leonding 103,<br />
vermisst seit 23.3.1944 in Russland<br />
OBERMAYR Walter *1928, Berg 17, vermisst seit<br />
Frühjahr 19? in der CSR<br />
104<br />
ORTNER Rudolf *22.1.1911, Gaumberg 33,<br />
unbekannt vermisst ca. 1943 in Stalingrad<br />
PARZMAYR Alois *23.3.1907, Rufling 60, vermisst<br />
seit 11.11.1943 in Russland<br />
PAST Alois *30.5.1903, Untergaumberg 22, verm. seit<br />
Jänner 1943 Welikije Luki / Russland<br />
PEHERSTORFER Karl *unbekannt, Gaumberg 45,<br />
unbekannt vermisst in Albanien<br />
PERNSTEINER Vorname unbekannt, Rufling 45,<br />
unbekannt vermisst<br />
PIMINGSTORFER Max *10.2.1907, Gaumberg 23,<br />
vermisst seit Feber 1943 bei Smolensk /<br />
Russland<br />
PIRNGRUBR Karl *30.7.1925, Haag 35, unbekannt<br />
vermisst seit 20.8.1944 in Frankreich<br />
PREINFALK Josef *1907, Leonding, unbekannt<br />
vermisst seit 1945<br />
PRIECHENFRIED Karl *1908, Bergham, unbekannt<br />
vermisst seit 1945<br />
PROHASKA Karl *8.4.1925, Graben 21, vermisst seit<br />
11.2.1945 bei Budapest<br />
RANSMAYR Franz *1917, Staudach, unbekannt<br />
vermisst seit 1945<br />
RAUSCHER Alois *1914, Leonding, unbekannt<br />
vermisst 1943 in Russland<br />
REICHENBERGER Mathias *18.9.1901,<br />
Holzheim 15, vermisst 16.9.1942 in<br />
Donbogen / Russland<br />
REITMAYR Franz *1910, Rufling 36, unbekannt<br />
vermisst<br />
RESCHENEDER Alfred *25.3.1914, Haag 55,<br />
vermisst 30.11.1944 Schurikhausen /<br />
Westfront<br />
ROITMAYR Karl *15.12.1921, Rufling 38, vermisst<br />
seit 1943 in Stalingrad<br />
SCHALK Johann *6.12.1906, Leonding 16,<br />
unbekannt vermisst seit Jänner 1945<br />
SCHMIEDBERGER Alois *1909, Leonding,<br />
unbekannt vermisst seit 1945<br />
SCHMIDT Franz *16.2.1910, Leonding 82, vermisst<br />
seit 11.5.1943 / Afrikafeldzug<br />
SPIZA Heinz *19.9.1911, Hart 34, unbekannt vermisst<br />
seit Mai 1943 in Russland<br />
STEGMÜLLER Johannes *1917, Haag 77, vermisst<br />
seit 1.11.1944 bei Keczkemet / Ungarn<br />
STRASSER Karl *unbekannt, Leonding 63, vermisst<br />
seit 5.5.1945<br />
bei Küstrin/ deutsch-polnische Grenze<br />
STROHMEIER Adolf *1927, Bergham 21,vermisst<br />
seit 1945 bei Wien<br />
STUNTNER Josef *28.2.1908, Hart 21, vermisst seit<br />
10.7.1944 bei Chaby / Pinsk / Russland<br />
SULZERMAIER Ferdinand *23.4.1910, Alharting 15,<br />
vermisst seit 5.1.1943 im Raum Stalingrad<br />
WALLNER Karl *3.4.1923, Leonding 24, vermisst seit<br />
4.2.1944, Nordatlantik / zur See<br />
WASMAYR Franz *2.12.1902, Leonding 30,<br />
unbekannt vermisst seit 15.1.1945<br />
WEGERBAUER Josef *3.10.1914, Gaumberg 17,<br />
vermisst seit 11.11.1944 bei Waltersberg<br />
WEHNER Karl *23.6.1901, Graben 27, unbekannt<br />
vermisst in Frankreich<br />
WESTNER Ludwig *12.6.1910, Alharting 27, vermisst<br />
seit Anfang Feber 1943 in Stalingrad<br />
WICHERT Karl *21.10.1911, Haag 22, vermisst seit<br />
10.7.1944 bei Lida-Grodnow / Russland<br />
WIESINGER Franz *3.10.1915, Leonding 12,<br />
vermisst seit Ende August 44 bei Jassy /<br />
Rumänien<br />
WIMMER Franz *3.1.1922, Haag 1, unbekannt<br />
vermisst bei Stalingrad
WIMMER Josef *1915, unbekannt vermisst seit 1944<br />
in Rumänien<br />
WINTER Johann *7.6.1915, Holzheim 8, unbekannt<br />
vermisst in Stalingrad<br />
Weitere Kriegsopfer, gefallen oder getötet im<br />
Gemeindegebiet:<br />
BÖGEHOLD Wilfried Hugo *22.4.1941 kam beim<br />
Hantieren mit einem Kriegsrelikt<br />
(Sprengladung) auf gräßliche Weise ums<br />
Leben, ebenso dessen Bruder<br />
BÖGEHOLD Wolfram Karl *12.10.1937<br />
BÖHM Gustav *13.2.1888 aus Schlesien, Präsident<br />
des Gau-Arbeitsamtes, am 14.4.1945<br />
„wegen Fahnenflucht und Wehrzersetzung<br />
nach gerichtlicher Aburteilung in Leonding/<br />
Alharting standgerichtlich erschossen und<br />
in Leonding begraben<br />
HARRER Alois, Landwirt *19.3.1909, „Haibl“ in<br />
Jetzing Nr.8, wurde am 6.9.1945 von<br />
plündernden ehemaligen KZ-Häftlingen<br />
erschossen<br />
GADERMAIER Herta Flakhelferin *5.3.1926, am<br />
12.2.1944 im Bahnhof Leonding vom<br />
Schnellzug erfasst und getötet<br />
POLLERMANN Imre, Soldat, Bauer, Ungarn, gefallen<br />
Flakstellung Gaumberg<br />
ROBENS Paul Dipl Ing *31.1.1901 aus Köln -Am<br />
7.5.1945 auf der Straße im Hainzenbach<br />
von Unbekannt erschossen<br />
ROTARU Mihail Soldat *1922 in Plopi / Rumänien,<br />
Bauer, + Flakstellung Gaumberg<br />
SCHAUBER Otto Wehrpflichtiger *28.5.1911 aus<br />
St.Johann / Wimberg wurde am 8.5.1940<br />
nach Verurteilung (wahrsch.Wehrdienst<br />
verweigerung?) in Alharting erschossen<br />
Bombentote<br />
BOGNER Willibald *29.5.1884, Graben 45, am<br />
25.2.1945 in Linz von Bomben getötet<br />
DAXNER Johann *21.11.1891, Reichsbahner, Hart 1,<br />
am 25.2.45 Bombentod in Untergaumberg<br />
EDER Johann *1896, weitere Angaben fehlen,<br />
Bombentod<br />
GRÜNDLINGER, weitere Angaben fehlen,<br />
Bombentod<br />
KIRCHMAYR Franz *5.2.1901, Leonding 95,<br />
Reichsbahner, am 2.3.1945 auf der<br />
Dienstfahrt bei Tieffliegerangriff getötet<br />
MEITZLER Max *1909, 1944 durch Bomben getötet<br />
MÖDERL Karl *1.10.1913, am 25.7.1944 in Linz bei<br />
Bombenangriff getötet<br />
SCHMIDLEITNER Friedrich *1895, 1944<br />
Bombentod in Linz<br />
ZEINHOFER Leopoldine *1896, Tischlerbäurin<br />
Rufling 30, Bombentod am 27.12.1944<br />
Bei diesem Bombenangriff der Alliierten am<br />
27.12.1944 erhielt auch das „Nußböck-Ziegelwerk“<br />
einen Volltreffer. Sechs namentlich nicht bekannte<br />
kriegsgefangene Russen bzw. Polen wurden verschüttet,<br />
von deutschen Flaksoldaten zwar freigeschaufelt,<br />
zwei Opfer allerdings waren durch einstürzende<br />
Mauern bereits getötet. Missverständlich wird<br />
dieses Ereignis dadurch, dass der Gendarmeriechronist<br />
in dieser Sache von „Vier toten Soldaten der<br />
Flak, die dort ihre Kraftfahrzeuge untergestellt hatten,<br />
zwei verletzten Soldaten und drei Zivilisten“ 3 berichtet.<br />
In dem nächst dem „Gasthaus zur Pyhrnbahn“ liegenden<br />
Haus Gaumberg Nr. 9 waren zum selben<br />
Zeitpunkt (27.12.44) zehn Tote zu beklagen, die z.T.<br />
in Leonding begraben wurden, ohne dass man ihre<br />
Namen aufzeichnete. Auch der Saalanbau des Gast-<br />
hauses Hummenberger in Untergaumberg wurde an<br />
diesem Tag getroffen. Unter den vier namentlich wieder<br />
nicht erwähnten Toten war auch die Wirtin.<br />
Das „Drama beim Hammerl“<br />
Eine ähnlich katastrophale Wirkung hatte auch der<br />
Bombenangriff vom 25.2.1945, bei dem etwa 700<br />
Bomben auf Leondinger Gemeindegebiet fielen: Das<br />
Gasthaus Hammerl in Hart Nr. 4 wurde damals durch<br />
drei Bomben zerstört. Im Keller des Hauses lagen<br />
zwölf Tote unter den eingestürzten Mauern, dabei<br />
auch Hausleute. Zehn wurden verschüttet und zum<br />
Teil schwer verletzt.<br />
Die 12 Toten „beim Hammerl-Wirt wurden auf dem<br />
Leondinger Ortsfriedhof feierlich bestattet“ 4<br />
EBERHARDT Rosa geb. Lutterschmidt *25.2.1921<br />
aus Haag 44 und ihr Kind<br />
EBERHARDT Horst *12.7.1942<br />
GARGES Nikolaus *1925 in Kasani / Griechenland,<br />
Transportarbeiter<br />
HEINZE Gertrud geb. Sattler *14.3.1920 aus Haag 68<br />
mit ihrem Kind<br />
HEINZE Ingrid *29.6.1943<br />
KIRCHWEGER Irma geb. Kleinrath *28.3.1905,<br />
Hausgehilfin, Haag 50<br />
LACHNER Franz *26.1.1943, dessen Mutter Rosina<br />
Lachner aus Alharting 6 überlebte<br />
LEIDL Josef *1.5.1920, Schlosser aus Weißenbach in<br />
Niederdonau<br />
RATH Johann 18.3.1892, Angestellter aus<br />
Gramastetten, gebürtig Hart 4<br />
STADLMAYR Maria *23.12.1930, „Pflichtjahrmädl“,<br />
Hart , 4, aus Scharten<br />
VODITSCHKA Josef *10.8.1899, Landarbeiter<br />
WITT Siegfried *14.12.1915, Schirrmeister,<br />
Oberfeldwebel aus Landsberg am Lech<br />
105
61 62 63<br />
64 65 66 67<br />
106<br />
68 69 70
Kriegsopfer der Alliierten, in Leonding zu Tode<br />
gekommen:<br />
Auf dem Felde neben dem Hause Rufling Nr. 50<br />
wurde nach dem Luftangriff vom 16. Oktober 1944<br />
ein von der Flak abgeschossener amerikanischer<br />
viermotoriger Bomber gefunden, der brennend abgestürzt<br />
war. Sieben Mann der Besatzung verbrannten,<br />
zwei hatten sich durch Fallschirmabsprung retten<br />
können. Die sieben Amerikaner wurden zunächst auf<br />
dem Friedhof in Leonding begraben.<br />
Beim Großangriff auf Linz am 25. Feber 1945, bei<br />
dem über 600 Bomben allein auf Leondinger Gebiet<br />
fielen, stürzten durch Flakbeschuss abermals amerikanische<br />
Maschinen ab, u.a. eines über Staudach.<br />
Dreizehn Amerikaner fanden den Tod.<br />
In einer Meldung der Opferzahlen des damaligen<br />
Leondinger Bürgermeisters Josef Lehner vom<br />
5.10.1948 werden insgesamt 19 amerikanische<br />
Flieger als gefallen gemeldet, wobei zwei durch ihre<br />
Erkennungsmarken identifiziert werden konnten. 12<br />
waren [möglicherweise durch Personalpapiere] „bekannt“,<br />
„5 unbekannt und alle Namen und Daten<br />
bereits nach USA verbracht“.<br />
Die namentlich genannten Amerikaner:<br />
KRAMER Norman, FARQUHAR Raymond<br />
RILEYS George, TARINI John<br />
BERNSTEIN Robert, STUEVE Ralph H.<br />
SCHUELLER L.J., LOWOY Dale<br />
REILLIY James Francis, FOLLET Walter<br />
JOUNG Howard, OSBORN George<br />
SOMPTON David, LUBINSKY Richard<br />
Bürgermeister Lehners Meldung an die Bezirkshauptmannschaft<br />
erwähnt zusätzlich, leider namentlich<br />
nicht genannte Kriegsopfer aus Leonding „6 Flüchtlinge<br />
(1 Österreicher, 1 unbekannter Nation, 3<br />
Reichsdeutsche, 1 Rumäne)“<br />
Die Bilanz des Krieges 5<br />
Die nationalsozialistische Herrschaft und der Krieg<br />
hatten eine grausige Bilanz zu verzeichnen. Der<br />
Zweite Weltkrieg forderte insgesamt 56.000.000<br />
Todesopfer, wobei etwas 247.000 österreichische<br />
Militärtote eingerechnet sind. Mindestens 120.000<br />
Österreicher sind in Haft, in Konzentrationslagern und<br />
Euthanasieprogrammen umgekommen.<br />
Schätzungsweise 25.000 bis 30.000 Zivilisten sind<br />
bei Kriegshandlungen und Luftangriffen auf österreichischem<br />
Boden, getötet worden. „Von den etwa<br />
1,3 Millionen zur Deutschen Wehrmacht eingezogenen<br />
Soldaten aus Österreich trugen 170.000 eine<br />
dauernde Invalidität davon. Fast 500.000 waren in<br />
Kriegsgefangenschaft geraten, davon 200.000 bis<br />
230.000 in russische, aus der sie erst nach Jahren<br />
zurückkehrten. An die 370.000 Witwen und Waisen<br />
waren zu versorgen.“ 6<br />
Anmerkungen<br />
1 Vgl. den Bericht in den Oberösterreichischen Nachrichten<br />
vom 26. 5. 2004.<br />
2 Die Auflistung der Namen ist alphabethisch angeordnet,<br />
wobei der Nachname zuerst genannt wird, es folgen falls<br />
vorhanden die Geburtsdaten, falls bekannt der damalige<br />
Wohnort oder Berufshinweise, sowie die Sterbedaten und<br />
der Sterbeort. Abkürzungshinweise: * = geboren am; + =<br />
gestorben am; gef. = gefallen; verm. = vermisst.<br />
3 Gendarmeriechronik Eintragung vom 27.12.1944.<br />
4 Gendarmeriechronik Eintragung vom 25.2.1945.<br />
5 Ergänzung Thekla Weissengruber<br />
6 Sandgruber, Roman: Das 20. Jahrhundert. Reihe<br />
Geschichte Österreichs. Band VI. Wien 2003. S. 95. Vgl.<br />
auch: Die Presse. Chronik des 2. Weltkrieges. Illustrierte<br />
Geschichte des 2. Weltkrieges. 2005.<br />
107
ZIVILE OPFER TOTALITÄRER REGIME IN LEONDING 1934 - 1945<br />
VOM HARTEN DURCHGREIFEN ZUM AUSMERZEN UNWERTER<br />
Gerhard Tolar<br />
Österreich war in den Jahren von 1932 bis 1945 von<br />
Regierenden mit totalitärem Machtanspruch geprägt.<br />
Viele wurden Opfer von harten und zunehmend brutalen<br />
Maßnahmen. Für die militärischen Opfer, die<br />
verwundeten, gefallenen oder vermissten Soldaten<br />
z.B. wurden Denkmäler errichtet. Die Gesellschaft<br />
macht es sich im Übrigen dadurch leicht, dass sie<br />
diese Personengruppe pauschal zu Helden macht,<br />
ohne auf die Einzelperson, ihr leidvolles Schicksal<br />
und ihre Taten einzugehen. Die Opfer unter der<br />
Zivilbevölkerung erhalten weit weniger Beachtung,<br />
Gedenkstätten gibt es so gut wie keine. Dabei ist die<br />
Zahl dieser Personengruppe beachtlich.<br />
Die gesamte Periode ist geprägt vom<br />
Nationalsozialismus. Aber auch in der Zeit des so<br />
genannten „Ständestaates“ der Vaterländischen<br />
Front, sind Menschen Opfer harter Maßnahmen<br />
geworden.<br />
Unter „zivilen Opfern“ sind nicht nur jene gemeint, die<br />
zu Tode gekommen sind, sondern auch jene, die<br />
unter den Maßnahmen dieser Regime zu leiden hatten.<br />
Geschildert werden hier Fälle, die in Leonding<br />
aufgetreten sind, oder die mit Leonding oder<br />
108<br />
Leondingern zu tun haben. Es wird nicht nur die<br />
Geschichte der Opfer geschildert, sondern auch die<br />
Geschichte der Gesetze, der Vorschriften oder der<br />
Behörden, derentwegen Personen zu Opfern wurden.<br />
Zur Auswahl gelangten Fälle, die aktenkundig geworden<br />
sind und deren Akten heute noch erhalten sind.<br />
Der großen Zahl der ungenannten Opfer oder Opfergruppen<br />
sei hier generaliter gedacht. Die Einschränkung<br />
auf Fälle mit Leondingbezug bringt mit sich,<br />
dass einzelne Aspekte der Täter- und der Opferrolle<br />
schlaglichtartig betrachtet werden.<br />
Putzscharen des Ständestaates 1934 - 1938<br />
Die „Vaterländische Front“ war in Österreich seit 1933<br />
an der Macht. Es gab noch politische Parteien, die<br />
standen sich aber unversöhnlich gegenüber. Wenn<br />
man den Schriftverkehr zwischen dem Gendarmerieposten<br />
Leonding und seiner vorgesetzten<br />
Behörde aus dem Jahr 1933 bearbeitet, stößt man<br />
neben vielen Meldungen über Aktionen der Nationalsozialisten,<br />
Sozialdemokraten und Kommunisten –<br />
die nationalsozialistischen Störaktionen sind eindeutig<br />
in der Überzahl - auf zahlreiche Aktenstücke, die so<br />
genannte „Putzscharen“ betreffen 1 . Die Geschichte<br />
der „Putzscharen“ gibt ein Bild der damaligen öffentlichen<br />
Stimmung und der Gesetzeswerdung,so wie der<br />
politischen Parteien in Leonding.<br />
Vom 25. September 1933 liegt ein Schreiben der BH<br />
Linz-Land an alle Gemeindeämter und Gendarmeriepostenkommanden<br />
vor, das, angeregt von anderwärts<br />
getroffenen Maßnahmen auch hieramts Wünsche bezüglich<br />
Gliederung von so genannten ‚Putzscharen’<br />
vorgebracht wurden. … Die BH Linz konnte von Anfang<br />
an diesen Wünschen nicht in vollem Sinne entgegenkommen,<br />
weil sie diesbezüglich gewichtige<br />
rechtliche Bedenken hegte, die nun durch das Erscheinen<br />
der Verordnung vom 1.9.1933 2 BGBl. Nr.<br />
397 „…[Schritte] gerechtfertigt erscheinen lassen.“<br />
Die zitierte Verordnung wurde von Bundesminister<br />
Fey, damals Vizekanzler und Sicherheitsminister, entworfen<br />
und eingebracht. Er schreibt dazu 3 : „… § 2<br />
der neuen Verordnung hat den Zweck, die von den<br />
nachgeordneten Behörden vielfach in Anwendung gebrachten<br />
sogenannten ‚Putzscharen’ oder ‚Putzkompanien’<br />
nunmehr allgemein zu legalisieren.“<br />
Die Gendarmerieposten werden darin aufgefordert,<br />
Listen anzulegen, die Personen erfassen, die Anstifter<br />
oder Beihelfer für „verbotswidrige“ Handlungen
sein könnten. Diese Personen kann man dann die<br />
„verbotswidrig“ angebrachten ausgestreuten Gegenstände<br />
entfernen lassen, wenn man die Täter selbst<br />
nicht finden kann. Die „gewichtigen“ Bedenken der<br />
Bezirkshauptmannschaft Linz-Land gegen das, was<br />
sich offenbar „eingebürgert“ hat, wurden durch die<br />
Verordnung der Regierung ausgeschaltet.<br />
Begründet wurde die Verordnung übrigens im oben<br />
genannten Schreiben von BM Fey mit anwachsenden<br />
Kosten für die Behörden. Die Sache hatte aber starke<br />
Merkmale von Maßregelung und Demütigung der<br />
politischen Gegner.<br />
Mit Datum vom 6. November 1933 macht der Gendarmerieposten<br />
Leonding sechs Personen die zur<br />
Bildung einer Putzschar herangezogen werden können<br />
namhaft. Es ist dies der harte Kern der Leondinger<br />
Nationalsozialisten. Am 28. März 1934 wird<br />
eine Neubildung der Putzschar notwendig, da einige<br />
aus der früheren Liste aus dem Gemeindegebiete<br />
abgereist sind. Die Liste der Nationalsozialisten enthält<br />
jetzt 10 Namen mit Beschreibung der Tätigkeit in<br />
der NSDAP. Zusätzlich gibt es eine Liste von Sozialdemokraten<br />
(16) und Kommunisten (2). Als Begründung<br />
für die Aufnahme in diese Liste wird angeführt:<br />
Sämtliche waren „Schutzbündler“ und am 12.2. an<br />
der Revolte beteiligt. Die Regierung hatte ja nach<br />
Grün-dung der Vaterländischen Front im Mai 1933<br />
und nach Kundmachung der ständischen Verfassung<br />
im April 1934 nach und nach alle politischen Parteien<br />
und ihre Vorfeldorganisationen verboten, unter anderen<br />
auch den Republikanischen Schutzbund. Mit<br />
„Revolte“ war der Aufstand des Republikanischen<br />
Schutzbundes im Februar 1934 gemeint.<br />
Am 7. Juli 1934 ist eine weitere Ergänzung der Liste<br />
erforderlich, da in den Ortschaften Rufling und Bergham<br />
die nationalsozialistische Bewegung sehr auffal-<br />
lend ansteigt und in diesen Ortschaften noch keine<br />
Nationalsozialisten als Putzschar aufgestellt sind.<br />
Zwei Namen auf der Liste sollen gestrichen werden,<br />
einer, weil er jetzt bei der Heimwehr ist, ein anderer,<br />
weil er nach Deutschland geflüchtet ist.<br />
Mit 8. März 1936 wurde die letzte Neubildung der<br />
Putzschar notwendig. Sozialdemokraten seien nunmehr<br />
beim „Freiheitsbund“ (einem Wehrverband der<br />
christlichen Gewerkschaften) gelandet und daher<br />
auszuscheiden, etliche Nationalsozialisten verhielten<br />
sich ruhig. Alle in der neuen Liste angeführten Personen<br />
sind wegen illegaler nationalsozialistischer,<br />
sozialdemokratischer oder kommunistischer Betätigung<br />
vorbestraft. Die Liste der Nationalsozialisten<br />
enthält 18 Namen, die der „Schutzbündler“ 9, darunter<br />
6 Sozialdemokraten und 3 Kommunisten.<br />
In den Akten finden sich Berichte über Personen, die<br />
zur Beseitigung „verbotswidrig angebrachter oder<br />
ausgestreuter Gegenstände“, wie Flugblätter, Malereien<br />
auf Straßen oder Mauern oder Hakenkreuzen<br />
auf dem Schornstein der Ziegelei Gaumberg herangezogen<br />
worden sind.<br />
Die Österreichische Regierung verwendete seit der<br />
so genannten „Selbstausschaltung“ 4 des Nationalrates<br />
am 4. März 1933 Notverordnungen nach dem<br />
„Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz“ 5 der<br />
Habsburgermonarchie. Dieses Gesetz war schon in<br />
der Monarchie heftig umstritten. Die Regierung Dollfuß<br />
verwendete dieses Gesetz 6 , um ohne Parlament<br />
Verordnungen mit Gesetzeskraft zu erlassen. Auch<br />
die Verfassung des Ständestaates aus dem Jahr<br />
1934 7 wurde so „verordnet“.<br />
Die Nationalsozialisten haben die Tradition der Demütigung<br />
ihrer Gegner weitergeführt, setzten ihre<br />
„Putztrupps“ allerdings weitaus brutaler ein: Sie<br />
ließen Mitte März 1938 Juden mit Handbürsten jene<br />
Wahlparolen und Krukenkreuze beseitigen, die die<br />
Vaterländische Front auf die Straße gemalt hatte.<br />
Brutalität und Zynismus werden später gesteigert: In<br />
Folge der so genannten „Reichskristallnacht“ – fast<br />
alle Synagogen und viele jüdische Friedhöfe in Deutschland<br />
und Österreich waren im November 1938<br />
zerstört worden – wurde von Hermann Göring als<br />
dem Beauftragten für den Vierjahresplan mit einer<br />
„Verordnung zur Wiederherstellung des Straßenbildes<br />
bei jüdischen Gewerbebetrieben“ 8 den Juden die<br />
Beseitigung der Schäden vor ihren Geschäften aufgebürdet.<br />
Zusätzlich wird mit einer weiteren „Verordnung<br />
über die Sühneleistung der Juden deutscher<br />
Staatsangehörigkeit“ 9 den Juden deutscher Staatsangehörigkeit<br />
in ihrer Gesamtheit die Zahlung einer<br />
Kontribution von 1000.000 000 Reichsmark an das<br />
Deutsche Reich auferlegt.<br />
Juliputsch 1934 – Zusammenrottung in Wilhering<br />
Das Jahr 1934 brachte für Österreich zwei bedeutsame<br />
Ereignisse. Im Februar und im Juli griffen Österreicher<br />
zu den Waffen und schossen auf Österreicher.<br />
Die Unruhen im Februar 1934 und die damaligen Ereignisse<br />
in Leonding sind bereits erschöpfend aufgearbeitet.<br />
10 Die Zusammenrottung von Leondinger<br />
Nationalsozialisten im Juli 1934 im Zuge des NS-<br />
Putsches aber nur eine Fußnote wert, obwohl die<br />
Ereignisse ebenso dramatisch waren und dort ein<br />
Gendarm aus Wilhering erschossen wurde.<br />
Anmerkenswert in diesem Zusammenhang ist die<br />
Beurteilung eines Zeitzeugen, des Pfarrers von Leonding,<br />
in der Pfarrchronik. Offenbar hat er seinen Kommentar<br />
zum Jahr 1934 und seine beiden „Explosionen“<br />
- wie er es nannte - nach 1945 verfasst. Er<br />
schreibt11 : „Die Erhebung im Februar halte ich für<br />
harmloser und ehrlicher als die im Juli.“ Es hat schon<br />
vor dem Putschversuch der Nationalsozialisten im Juli<br />
109
1934 und den damit verbundenen Revolten im<br />
ganzen Land Österreich Verdacht auf angebliche<br />
nationalsozialistische Umsturzpläne gegeben. Unter<br />
diesem Betreff liegt z. B. schon am 28. August 1933<br />
ein Schreiben des Sicherheitsdirektors für OÖ an alle<br />
Bezirkshauptmannschaften 12 in den Akten. Dort ist<br />
auch schon eine Verbindung zur Ausbildungsstätte<br />
Lager Lechfeld angesprochen – aus Österreich geflohene<br />
Nationalsozialisten wurden zur sog. Österreichischen<br />
Legion zusammengefasst und im Lager<br />
Lechfeld in Nahkampfphasen geschult. Die werden<br />
im Zuge des Putschversuches der Nationalsozialisten<br />
im Raum Oberösterreich eine Rolle spielen.<br />
Am 8. Februar 1934 13 schreibt das Gendarmeriepostenkommando<br />
Leonding, dass in der Nacht …<br />
Flugblätter datiert mit 5. Februar 1934 verbreitet wurden.<br />
Die Flugblätter sind im Akt enthalten und kündigen<br />
im Unterschied zu vorher verbreiteten Propagandamitteln<br />
deutlich Gewaltanwendung an: „Österreichisches<br />
Volk an die verhasste Regierung Dollfuß'<br />
„…Das Volk ist … daher entschlossen, nunmehr mit<br />
allen Mitteln, auch den schärfsten Mitteln dieser Gewaltherrschaft<br />
ein für allemal eine Ende zu setzen.<br />
Mit heutigem Tag proklamieren wir daher dieser Regierung<br />
gegenüber das Recht der Notwehr! …“<br />
Im Juli 1934 kam es dann tatsächlich zu einem<br />
Putschversuch der Nationalsozialisten und in der<br />
Folge zu Revolten, die auf ganz Österreich verteilt<br />
waren. Auch Leondinger waren daran beteiligt. Was<br />
da in Leonding geschehen ist, kann man heute nur<br />
mehr aus Akten entnehmen.<br />
Das erste Aktenstück zur Juli-Revolte in den politischen<br />
Akten des OÖ Landesarchivs stammt von einem<br />
Zeitpunkt, zu dem der Putsch und die Revolten<br />
schon niedergeschlagen waren. Der Putsch war ge-<br />
110<br />
scheitert, hatte Bundeskanzler Dollfuß und weiteren<br />
Hunderten das Leben gekostet. Der handgeschriebene<br />
Text – er trägt kein Datum - lautet 14 : „An alle Gendarmerieposten!<br />
Alle bekannten staatsfeindlichen<br />
Personen Sozialdemokraten, Nationalsozialisten,<br />
Kommunisten sind in Haft zu setzen event in Notarresten<br />
unterzubringen. Widerstand ist mit Brachialgewalt<br />
zu brechen, eigene Verluste sind zu vermeiden.<br />
Sicherheitsdirektor 18 h 50.“ In allen Aktenstücken,<br />
die Festnahmen in diesem Zusammenhang<br />
betreffen, wird eben dieser Befehl unter Nennung der<br />
Uhrzeit 18 h 50 zitiert.<br />
In weiterer Folge sind in den Akten Anzeigen und Vernehmungsprotokolle<br />
enthalten, denen man entnehmen<br />
kann, was in Leonding und in Wilhering im Zuge<br />
des Putsches damals geschehen ist: „In der Nacht<br />
zum 27. Juli 1934 haben sich in Ufer, Gemeinde<br />
Wilhering, Bezirk Linz, OÖ, mindestens 35 Nationalsozialisten<br />
und deren Anhänger zusammengerottet,<br />
um die Umsturzmöglichkeit der Nationalsozialisten in<br />
Wien und anderwärts in Österreich zu unterstützen,<br />
hiedurch auf eine gewaltsame Veränderung der<br />
Regierungsform und auf eine Vergrößerung der<br />
Gefahr für den Bundesstaat Österreich von außen,<br />
eine Empörung oder eines Bürgerkrieges im Innern<br />
hinzuarbeiten und der Obrigkeit mit Gewalt Widerstand<br />
zu leisten. Zur Abwehr dieser Gefahr sind die<br />
Gendarmeriebeamten, Bezirksinspektor Wehlend und<br />
Rayonsinspektor Beyerl des Postens Wilhering mit<br />
Schuko Assistenz eingeschritten. Bei dieser Amtshandlung<br />
ist der Rayonsinspector Beyerl vermutlich<br />
durch die Gewehrschüsse erschossen worden. Die im<br />
Nationale beschriebenen Personen sind verdächtig,<br />
an dem Verbrechen beteiligt gewesen zu sein, oder<br />
versucht zu haben, sich an dem Verbrechen zu beteiligen.“<br />
So lautet die Anzeige des Gendarmerie-<br />
postens Leonding vom 28. Juli 1934 an die<br />
Staatsanwaltschaft in Linz.<br />
Im „Nationale“ zur Anzeige sind 15 Leondinger angeführt.<br />
Die Angezeigten wurden festgenommen und ins<br />
Landesgericht Linz eingeliefert. Die Angaben der<br />
Beschuldigten klingen harmlos. Josef Miesenberger,<br />
der spätere NS-Bürgermeister von Leonding, gab an:<br />
„… Ein Herr, den er nicht kenne, sagte zu ihm im<br />
Gasthaus Kapeller in Leonding, ich solle zum Gasthaus<br />
in Ufer bei Wilhering kommen. … Er fuhr mit<br />
einem Fahrrad dorthin … Hörte nicht schießen …“<br />
(Später gab er an, dass er schießen in der Nähe<br />
hörte, als er weggefahren ist). … Vom Tod des<br />
Gendarmen erfuhr er erst am nächsten Tag Mittag.<br />
Die anderen, einige als Truppführer und Scharführer<br />
bezeichnet, verantworten sich ähnlich. Sie seien verständigt<br />
worden, spazierten nach Bergham und Ufer.<br />
Entgegenkommende sagten: „Es ist e nichts“ oder:<br />
„Sie sind verstaubt worden“. Schüsse hätten nur einige<br />
gehört. Manche wussten nicht, warum sie nach<br />
Wilhering gehen sollten. Einer war gerade beim<br />
Fensterln, als er verständigt wurde.<br />
In der Anzeige des Bezirksgendarmeriekommandos<br />
Linz gibt es eine anmerkenswerte Verwirrung: Es<br />
scheint ein Nöbauer auf, aber kein Miesenberger. Der<br />
Gendarmeriepostenkommandant von Leonding klärt<br />
auf. Dieser Nöbauer heißt Josef Miesenberger, der<br />
Hausname ist Nöbauer. Die Regierung reagierte auf<br />
den Putschversuch. Mit Verordnung 15 wurde ein eigener<br />
Militärgerichtshof eingerichtet und mit 30. Juli<br />
1934 wurde ein Bundesverfassungsgesetz „über<br />
besondere Maßnahmen gegen die an dem Umsturzversuch<br />
vom 25. Juli 1934 beteiligten Personen“<br />
erlassen. 16 Die Leondinger Beteiligten sind alle als<br />
Minderbeteiligte eingestuft worden. Im Gesetzt steht:<br />
„Minderbeteiligte sind unbeschadet der strafrechtli-
chen Verfolgung in einem bestimmten Orte anzuhalten.<br />
Sie sind ausnahmslos zu schwerer Zwangsarbeit<br />
zu verhalten.“ … „Das Vermögen der Personen,<br />
gegen die wegen einer mit dem Umsturzversuch am<br />
25. Juli 1934 im Zusammenhang stehenden strafbaren<br />
Handlung ein gerichtliches Verfahren eingeleitet<br />
worden ist, … ist beschlagnahmt.“<br />
Am 1. August 1934 erfolgt eine weitere Anzeige vom<br />
Gendarmerieposten Leonding gegen 11 weitere<br />
Personen. Sie betrifft hauptsächlich Personen aus<br />
dem Leondinger Ort Gaumberg. Die Verantwortung<br />
der Beschuldigten, die in dieser Anzeige enthalten ist,<br />
wird deutlicher. Erstmals werden Waffen erwähnt:<br />
„In Wilhering ist Appell, wer nicht mitgeht ist kein<br />
Mann. Wir waren etwa 150 Schritte weg. Es hieß, in<br />
Ufer sei Probealarm. Ich konnte bemerken, dass ein<br />
Schutzkorpsmann oder dgl. daherkam und „Hände<br />
hoch“ gerufen hat. Ein Gewehr haben wir vergraben.“<br />
Der Stutzen… war geladen, und zwar zu dem Zwecke,<br />
damit gegen die Exekutive geschossen werden<br />
konnte. Ein Schuss wurde aus der Waffe nicht abgegeben.<br />
In der Mulde zeigte uns ein älterer Mann, der<br />
vermutlich aus Alkoven war, wie man die Sperrklappe<br />
öffnet und wie die Waffe gesichert ist. … In Ufer<br />
waren wir Untergaumberger die ersten. Wir sind deshalb<br />
vor dem Morde weggegangen, weil wir verjagt<br />
wurden. Das Gewehr wurde erst in Ufer geladen, dies<br />
besorgte ein Alkovner. In Ufer wurde uns gesagt,<br />
dass wir nach Ottensheim überführt werden, da um<br />
24 Uhr angeblich dort die österr. Legion eintreffen<br />
sollte. Einige Tage vor dem 26.7. kamen in der Wohnung<br />
meiner Angehörigen … einige Bekannte …. ,<br />
um das Gewehr zu besichtigen, bzw. damit zu üben.“<br />
Gleichzeitig wird angezeigt, dass in der Zeit vom 27.,<br />
Juli bis 31. Juli 1934 insgesamt 17 Haus- und Wohnungsdurchsuchungen<br />
in Verbindung mit der so<br />
genannten „Wilheringer Aktion“ vorgenommen wurden.<br />
„Es konnte nur … in Bergham ein Militärgewehr<br />
… gefunden werden“. Am 21. September 1934 erlässt<br />
der Sicherheitsdirektor für Oberösterreich eine<br />
Weisung betreffend Behandlung der Minderbeteiligten.<br />
„Die Minderbeteiligten sind in ein Verzeichnis<br />
aufzunehmen und nach Vermögensstande zu reihen.<br />
… Bei jenen, welche Vermögen verfügen oder zahlungskräftige<br />
Verwandte besitzen besteht die Möglichkeit,<br />
sie durch Erlag eines Sühnebetrages zur<br />
Feststellung ihrer nunmehr vaterländischen Einstellung<br />
auf freien Fuß zu setzen. … Den ärmeren<br />
Schichten muss die Möglichkeit gegeben sein, durch<br />
die Tat zu beweisen, dass sie sich nunmehr positiv<br />
zum Vaterland eingestellt haben, indem sie vor das<br />
Amt geladen und ihnen dort eindringlichst vorgehalten<br />
werde, dass sie sich nunmehr vaterländisch einzustellen<br />
haben. … Erst der letzte Rest ist auf eine<br />
Abgabe nach Wöllersdorf zu senden.“<br />
Damit endet der Akt über die Juli-Revolte in Wilhering<br />
in den Gendarmerieprotokollen im Oberösterreichischen<br />
Landesarchiv. Die Sache geht zu den Gerichten.<br />
Für Standgerichtsfälle war der Senat des Militärgerichts<br />
in Wien zuständig. Die Akte dieser Behörde<br />
sind im Österreichischen Staatsarchiv aufbewahrt.<br />
Leider ist ein Großteil der betreffenden Gerichtsakte<br />
selbst nicht mehr auffindbar, aber aus erhaltenen<br />
Namensregistern 17 kann man gewisse Angaben entnehmen.<br />
Insgesamt sind offenbar zur Sache „Unruhen<br />
in Wilhering“ 5 Akte 18 angelegt worden. In diesen<br />
Registern sind 139 Personen erfasst - unter<br />
ihnen auch die verhafteten Leondinger - und die<br />
Paragraphen der Anklage angeführt. Daraus ergibt<br />
sich folgendes Bild: (siehe Tabelle unten)<br />
61 Angeklagte (44 %) wurden also als minder belastet<br />
eingestuft. Das waren jene, denen man lediglich<br />
Aufstand oder Aufruhr zur Last legte, die nicht minder<br />
belasteten 56 % wurden des Hochverrats, der öffentlichen<br />
Gewalttätigkeit, des Mordes oder Totschlags<br />
angeklagt. Leider ist der Gerichtsakt selbst nicht mehr<br />
auffindbar. Man kann aus den unvollständig erhaltenen<br />
Akten keine Information erhalten, ob man Hauptschuldige<br />
gefunden hat, oder ob und zu welchen<br />
Strafen die Beteiligten verurteilt wurden. Das erscheint<br />
aber aus heutiger Sicht nicht mehr wichtig.<br />
Wir wollen nicht nach Schuldigen oder Sündenböcken<br />
suchen, sondern nur versuchen darzustellen,<br />
was damals geschah.<br />
Aus anderen Quellen erfährt man noch mehr darüber,<br />
was bei diesen Zusammenrottungen geplant war. Der<br />
111
Aufstandsplan der SA für Oberösterreich ging davon<br />
aus, dass die Österreichische Legion aus ihren Ausbildungsstätten<br />
in Bayern in den Raum Oberösterreich<br />
einmarschiert. Die SA-Führer und die Mannschaften<br />
waren instruiert, durch Kampfhandlungen<br />
die Exekutive zu binden und durch lokale Aktionen<br />
das Vordringen der Legion zu erleichtern, von dieser<br />
Waffen zu empfangen und dann mit ihr gemeinsam<br />
den Aufstand durchzuführen. 19 Ähnliche Inhalte lassen<br />
sich aus den oben zitierten Vernehmungen der<br />
Leondinger Beteiligten herauslesen. Auch die Strafakte<br />
einer Linzer Gruppe, die über Ottensheim und<br />
die Überfuhr zu den Wilheringern stoßen sollte gibt<br />
ähnliche Angaben. 20<br />
Die Leondinger haben vergeblich auf die Österreichische<br />
Legion gewartet, aber in Kollerschlag, Hanging<br />
und Haselbach im oberen Mühlviertel kam es zur einzigen<br />
Aktion einer kleinen, aus Bayern eingefallenen<br />
Einheit der Österreichischen Legion, bei der Schutzkorpsleute<br />
zu Tode kamen. 21 Hier fand man auch<br />
Hinweise, die weiteren Aufschluss über die lokalen<br />
Pläne geben. Beim Grenzübertritt in Hanging wurde<br />
Franz Heel, ein deutscher Staatsbürger, festgenommen,<br />
bei dem man unter dem Hemd und in den<br />
Schuhen versteckt zwei Dokumente, das so genannte<br />
„Kollerschlager Dokument“, eine Disposition für die<br />
Einleitung und Durchführung eines revolutionären<br />
Umsturzes in Österreich, und einen Chiffrenschlüssel<br />
für telegraphische Meldungen fand. Die erste Chiffre<br />
galt dem Tod des Bundeskanzlers Dr. Dollfuß: Für<br />
„Dollfuß tot“ sollte die Chiffre „alte Besteckmuster eingetroffen“<br />
verwendet werden. 22<br />
Die SA hat entsprechende Instruktionen für das Verhalten<br />
von Nationalsozialisten bei Verhaftungen erstellt.<br />
23 Darin kann man lesen: „… Alle Vorhalte hat<br />
112<br />
der Beschuldigte ruhig aber fest zu bestreiten und<br />
jeden Zusammenhang seiner Person mit der Tat, sei<br />
sie auch noch so erwiesen, zu leugnen …“ In einem<br />
„Leitfaden für politische Verbrecher“ aus dem Jahr<br />
1936 24 steht es noch deutlicher: „Ruhe … nicht deine<br />
Pflicht ist es, deine Unschuld mit Beweisen zu erhärten,<br />
was man dir zum Vorwurf macht, muss man dir<br />
auch nachweisen … Stelle dich dumm! … Suche Zeit<br />
zum Nachdenken zu gewinnen … von dem du wissen<br />
musst, dass man es dir widerlegen kann, sag lieber,<br />
du erinnerst dich nicht, du weißt es nicht … Vergiss<br />
nie: Du bist der schwächere Teil, nicht Gewalt, nicht<br />
ein Geständnis, nur List, Klugheit und Charakterstärke<br />
können dir helfen …“ Dieses Vorwissen spürt<br />
man deutlich aus jedem Vernehmungsprotokoll.<br />
Aus den Vernehmungsprotokollen kann man auch<br />
entnehmen, dass die Trupps regelmäßig Übungen<br />
durchführten. Wie es da zugegangen ist, kann man<br />
aus der oben zitierten Aussage entnehmen: „Wer<br />
nicht mitkommt, ist ein Feigling“ oder noch deutlicher<br />
aus einem Linzer Polizeiprotokoll 25 : „Ich stelle in Abrede,<br />
an die SA-Männer eine Anrede gehalten und sie<br />
mit dem Erschießen bedroht zu haben, falls der eine<br />
oder andere auszukneifen versuche. Ebenso wenig<br />
erzählte ich den Leuten, dass wir auf die Legion warten<br />
und dann mit dieser nach Linz marschieren.“<br />
Der Putsch der Nationalsozialisten war gescheitert.<br />
Hitler war mit Göring, Goebbels und Heß zu der Zeit<br />
zu den Bayreuther Festspielen gekommen. Auch<br />
Franz von Papen, damals noch Vizekanzler im Kabinett<br />
Hitler, später Botschafter in Österreich, war<br />
zugegen. Er fand Hitler in einem Zustand der Hysterie<br />
über die Unbesonnenheit der österreichischen<br />
Parteigenossen, die ihn in diese scheußliche Lage<br />
gebracht hatten. 26 Hitler leitete in der Folge Veränderungen<br />
bei der Führung der Nationalsozialisten in<br />
Österreich ein. Übrigens soll auch Hitlers Neffe aus<br />
dem Waldviertel, Anton Schmidt, einen Putschistentrupp<br />
aufzustellen versucht haben. Auch er wurde von<br />
der Polizei gestoppt. 27<br />
Abb.71 u. 72: Gedenkstein Revierinspektor Josef Beyerl<br />
An den Tod von Revierinspektor Josef Beyerl erinnert<br />
ein heute noch vorhandener Gedenkstein an der Linzer<br />
Straße in Wilhering (siehe Abbildung). Im Jahr<br />
2007 ist sein Sohn, Dipl.-Ing. Richard Beyerl, verstorben,<br />
der in der Nähe der Unglücksstelle in Wilhering<br />
Unterhöf gelebt hat.<br />
Das „Bettlerunwesen“<br />
Auch die nächste Geschichte über Opfer der wirtschaftlichen<br />
Verhältnisse und der Politik spielt noch in<br />
der Zeit des „Ständestaates“. Die Informationen dazu<br />
entnehmen wir Situationsberichten 28 , die das<br />
Gendarmerie Bezirkskommandos Linz-Land an das<br />
Landesgendarmeriekommando monatlich zu schreiben<br />
hatte. Ab dem Dezember 1934 tauchen darin<br />
Berichte über Bettler auf. Damals gab es eine große<br />
Zahl von Arbeitslosen und Ausgesteuerten. Die<br />
Arbeitslosenversorgung – von der man ohnedies<br />
nicht leben konnte - war zeitlich begrenzt.
72<br />
Schrittweise wurde die Unterstützungsdauer auf 12<br />
und 30 Wochen im Jahr erhöht. Nach dem Ablauf der<br />
Berechtigungsfrist war man „ausgesteuert“. Man war<br />
auf die Fürsorge oder private Wohltätigkeit angewiesen.<br />
Dafür gab es aber keinen Rechtsanspruch. 29<br />
Viele von den Betroffenen sahen als einzigen Ausweg,<br />
betteln zu gehen. Die Arbeitslosen, Ausgesteuerten<br />
und Bettler belasteten die Gesellschaft. Im<br />
ländlichen Raum war man zwar arm, aber man hatte<br />
einen besseren Zugang zu Lebensmitteln. So zogen<br />
die Arbeitslosen und Ausgesteuerten durch die Lande<br />
und bettelten. Davon war der Bezirk Linz-Land besonders<br />
betroffen.<br />
Unser Chronist aus dem Bezirkskommando Linz Land<br />
schreibt in seinen Situationsberichten: „Im Dezember<br />
1934 werden die Sicherheitsverhältnisse trotz der<br />
großen Zahl der Arbeitslosen, Ausgesteuerten und<br />
Bettler als normal bezeichnet. Aber im Mai 1935 wird<br />
das „Bettlerunwesen“ als eine schwere Landplage<br />
bezeichnet, dagegen sollte energisch entgegengetreten<br />
werden. Bettler begehen auf ihren Streifzügen<br />
auch Verbrechen. Das Bettlertum hat noch nicht<br />
nachgelassen. Es ist daher besonders wertvoll, die<br />
Errichtung von Haftlagern für Bettler und Landstreicher,<br />
weil nur dadurch dem arbeitslosen Gesindel in<br />
ihrer Tätigkeit Einhalt geboten werden kann“, schreibt<br />
unser Chronist im Juli 1935. Die Arbeitslosen werden<br />
in der öffentlichen Meinung Gesindel.<br />
In Oberösterreich wird in Schlögen vom Ständestaat<br />
ein Haftlager für 100 bis 150 Bettler errichtet. 30<br />
Oberösterreich ist da Vorreiter, später werden auch in<br />
Kärnten nach dem Oberösterreichischen Vorbild<br />
Bettlerlager errichtet.<br />
Unser Chronist der Situationsberichte gibt Zahlen für<br />
die Arbeitslosen und die Ausgesteuerten für den Be-<br />
zirk Linz-Land an. Seine Zahl der Arbeitslosen steigt<br />
von etwa 2500 Mitte 1932 auf etwa 4000 das Jahr<br />
1935, um dann abzunehmen. Für die Zahl der Ausgesteuerten<br />
im Bezirk Linz-Land nennt er etwa 500<br />
im Jahr 1932, die stetig auf etwa 900 im Jahr 1937<br />
anwachsen. Zur Orientierung: Die Einwohnerzahl<br />
beträgt im Bezirk nach der Volkszählung vom Jahr<br />
1934 51.370, schreibt der Chronist im Februar 1935.<br />
Hauptbetroffen von Arbeitslosigkeit im Bezirk sind<br />
Textil-, Bau- und Holzarbeiter, weiter die Gehilfen im<br />
Kleingewerbe, weil dafür die sozialen Lasten unerschwinglich<br />
sind. (April 1936)<br />
Die letzte Station für die Ausgesteuerten ist die Armenfürsorge<br />
der Gemeinden. Die Armenlasten der<br />
Gemeinden sind noch im Steigen begriffen. Auch in<br />
der Winterhilfe ist die Zahl der Unterstützten um fast<br />
24 % gegenüber dem Vorjahre gestiegen, schreibt<br />
der Chronist im Jänner 1937.<br />
Die Regierung, die Länder und Gemeinden betreiben<br />
Arbeitsbeschaffungsprogramme. Es besteht bei der<br />
staatlichen Kremsregulierung in der Gemeinde Neuhofen<br />
ein freiwilliger Arbeitsdienst mit einem Stand<br />
von durchschnittlich 40 Mann. Es sind Leute aus dem<br />
ganzen Bundesgebiet (September 1934).<br />
In Leonding wird die Füchselbachregulierung fortgesetzt.<br />
Sie war nach dem Hochwasser im Jahr 1909,<br />
in den Jahren 1911-1913 begonnen worden, durch<br />
den 1. Weltkrieg unterbrochen, im Jahr 1935 weitergeführt<br />
worden. 31 Im Jahr 1937 wird in Leonding die<br />
Hainzenbachstraße für den Güter- und Radfahrverkehr<br />
über Alharting-Aichberg und durch das Hainzenbachtal<br />
zur Donau gebaut. 32 Alle diese Maßnahmen<br />
zeitigten zwar Teilerfolge, der durchschlagende Erfolg<br />
blieb aber aus. Es kam zu keinem Ankurbeln der Gesamtwirtschaft.<br />
Die Regierung des Ständestaates ver-<br />
113
folgte einen Kurs der Ausgeglichenheit des Staatshaushaltes,<br />
anders als in den USA im Rahmen des<br />
New Deal oder im nationalsozialistischen Deutschland.<br />
Bei der Beurteilung der Haltung der österreichischen<br />
Regierung ist jedoch festzustellen, dass die<br />
österreichische Währungs- und Wirtschaftspolitik seit<br />
Aufnahme einer Völkerbundanleihe einer Kontrolle<br />
des Völkerbundes unterworfen war und sich zu Einsparungsmaßnahmen<br />
verpflichten musste. 33 Die<br />
Rolle des Völkerbundes und seiner Beauftragten ist<br />
gesondert zu beurteilen.<br />
Weiter unser Chronist der Situationsberichte: „So<br />
mancher Landwirt könnte zur Behebung der Arbeitslosigkeit<br />
unter den Dienstboten dadurch mithelfen,<br />
dass er noch den einen oder anderen einstellt. (April<br />
1936). Am Lande herrscht vielfach Wohnungsnot für<br />
die armen Leute, da die Bauern ihre Nebenhäuser<br />
mehr und mehr verfallen lassen.“ (Februar 1937)<br />
Die Situation in der Wirtschaft im Bezirk sieht nach<br />
unserem Chronisten so aus: „Die Landwirtschaft klagt<br />
unter den Preisunterschieden zwischen Produzent<br />
und Konsument (Februar 1934), Viele Bauern kritisieren<br />
die niederen Preise ihrer Produkte und die hohen<br />
Abgaben, sowie die Spanne … wegen des Zwischenhandels<br />
wird stark kritisiert. (Juni 1935). Die Bauern<br />
sympathisieren vielfach mit Deutschland, weil dort<br />
höhere Preise für ihre Produkte gezahlt werden<br />
(März 1936). Die Landwirte erhoffen sich durch das<br />
Abkommen mit Deutschland eine erhöhte Nachfrage<br />
nach ihren Produkten. Die Auswanderung landwirtschaftlicher<br />
Saison-Arbeiter nach Deutschland wird<br />
mit Besorgnis betrachtet, weil für die Zeit der Ernte<br />
mit einem Arbeitermangel und einem Steigen der<br />
Löhne gerechnet wird (April 1937). In der Landwirtschaft<br />
ist die Lage keineswegs ungünstig zu nennen<br />
und kann jeder Bauer der sparsam ist und die<br />
114<br />
Wirtschaft versteht, gut auskommen, was auch von<br />
einem Großteil der Landwirte anerkannt wird und sich<br />
speziell in einem Zunehmen der Motorrad-Anschaffungen<br />
und Reparaturen an Hausbesitzen äußert.<br />
(April 1937)<br />
Landwirte, die auch bei der Ausstellung in München<br />
waren und als durchaus vaterländisch eingestellt<br />
angesehen werden müssen, erzählen, dass die<br />
Mechanisierung komme. Im Übrigen sei die österreichische<br />
Landwirtschaft in der Qualität ihrer Erzeugnisse<br />
voraus, in der Organisation und in technischen<br />
Hilfsmitteln bleibe sie jedoch zurück. (Juni 1937)<br />
Der Besuch der Gast- und Vergnügungsstätten ist<br />
schwach. Geldmangel macht sich überall bemerkbar.<br />
(Februar 1935). In der Umgebung von Linz beklagen<br />
sich die Wirte über die von den Bauern errichteten<br />
Mostschänken. (Mai 1935). Kleingewerbetreibende<br />
leiden infolge geringen Absatzes. Dagegen verdienen<br />
Fleischhauer und Bäcker sehr gut. (August 1935).<br />
Der Fremdenverkehr, hier nur im Durchzugsverkehr<br />
bemerkbar, beschränkt sich fast ausschließlich auf<br />
Wintersportler (Februar 1935). Der Bezirk Linz-Land<br />
ist von der 1000-Mark-Sperre durch Deutschland<br />
nicht sehr betroffen.“<br />
So etwa sah die Wirtschaftssituation im Zeitraum<br />
1932 bis 1937 für eine Landgemeinde im Bezirk Linz-<br />
Land aus. Eine schwierige Situation für die Menschen<br />
und die Gesellschaft. Sie war für einen Großteil der<br />
Bevölkerung geprägt von Armut, Arbeitslosigkeit und<br />
Wohnungsnot. Viele wussten sich nicht anders zu<br />
helfen, als betteln zu gehen. Die Gesellschaft begann<br />
damals, diese Personen auszugrenzen und sie in<br />
Arbeitslager einzuweisen.<br />
Sondergerichtsverfahren gegen Leondinger<br />
Mit anderen Besen kehrten die Nationalsozialisten.<br />
Sie richteten nach ihrer Machtübernahme in Österreich<br />
Sondergerichte ein. Die Akten des Sondergerichtes<br />
sind erhalten geblieben, lagern im OÖ<br />
Landesarchiv. 34<br />
In den Verzeichnissen konnten 3 Fälle, von denen<br />
Leondinger betroffen waren, aufgefunden werden.<br />
Für 2 Fälle sind die Akte selbst erhalten und in der<br />
Folge dargestellt.<br />
Ein Leondinger, der 4 Fahrräder gestohlen hat, wird<br />
1943 als „Volksschädling“ zum Tod verurteilt. In der<br />
Urteilsbegründung kann man lesen, dass der Landbevölkerung<br />
die nötige Gewandtheit und Erfahrung<br />
fehle, und das erfordere, dass der Angeklagte aus der<br />
Volksgemeinschaft ausgemerzt wird. 35 Vier Leondingerinnen<br />
haben Gerüchte kritiklos nachgeschwätzt<br />
und wurden zu mehreren Monaten Haft verurteilt. Wie<br />
konnte es zu solchen Urteilen kommen?<br />
Gesetzliche Grundlagen<br />
Die Sondergerichte wurden von Roland Freisler, ab<br />
1942 Präsident des Volksgerichtshofs, so charakterisiert:<br />
„Sie müssen ebenso schnell sein wie die Panzertruppe,<br />
sie sind mit großer Kampfkraft ausgestattet.<br />
Kein Sondergericht kann sagen, daß der Gesetzgeber<br />
ihm nicht genügend Kampfkraft gegeben habe.<br />
Sie müssen denselben Drang und dieselbe Fähigkeit<br />
haben, den Feind aufzusuchen, zu finden und zu stellen,<br />
und sie müssen die gleiche durchschlagende<br />
Treff- und Vernichtungsgenauigkeit gegenüber dem<br />
erkannten Feind haben.“ 36 Von den Sondergerichten<br />
wurden „politisch“ eingestufte Straftaten behandelt –<br />
der Spielraum, was „politisch“ sei, war wie die obigen<br />
Beispiele schon zeigen sehr breit, während den<br />
Volksgerichtshöfen Hoch- und Landesverrat gegen<br />
den NS-Staat zugewiesen war. In beiden Gerichts-
höfen wurden den Angeklagten fast sämtliche Rechte<br />
genommen. 37<br />
Sondergerichte hat es schon vor den Nationalsozialisten<br />
gegeben, sie erhielten aber „Kampfkraft,<br />
Treff- und Vernichtungsgenauigkeit“ durch die gesetzlichen<br />
Bestimmungen, mit denen sie die Nationalsozialisten<br />
ausstatteten, besonders durch die „Volksschädlingsverordnung“<br />
und das „Heimtückegesetz“.<br />
In Österreich traten sofort nach der Machtübernahme<br />
der Nationalsozialisten die Strafgesetze des Deutschen<br />
Reiches in Kraft. Von 1871, dem Gründungsjahr<br />
des Deutschen Reiches und des Strafgesetzbuches,<br />
bis 1933 waren nur Mord und Mordversuch<br />
mit der Todesstrafe bedroht gewesen, vom NS-<br />
Regime wurde schon 1934 die Todesstrafe auf weitere<br />
13 Straftatbestände ausgeweitet. 38 Zusätzliche<br />
Straftatbestände wurden 1939 mit der „Verordnung<br />
gegen Volksschädlinge“ 39 mit Todesstrafe belegt:<br />
Plünderung im frei gemachten Gebiet, Verbrechen bei<br />
Fliegergefahr, Gemeingefährliche Verbrechen und<br />
Ausnutzung des Kriegszustandes als Strafschärfung.<br />
Der letzte Punkt enthält eine Formulierung, die einen<br />
Richter in die Lage versetzt, praktisch jede Straftat<br />
mit dem Tode zu bestrafen: § 4 dieser Verordnung<br />
lautet: „Wer vorsätzlich unter Ausnutzung der durch<br />
den Kriegszustand verursachten außergewöhnlichen<br />
Verhältnisse eine sonstige Straftat begeht, wird unter<br />
Überschreitung des regelmäßigen Strafrahmens mit<br />
Zuchthaus bis zu 15 Jahren, mit lebenslangem Zuchthaus<br />
oder mit dem Tode bestraft, wenn dies das gesunde<br />
Volksempfinden wegen der besonderen Verwerflichkeit<br />
der Straftat erfordert.“<br />
Mit dieser Formulierung wird der Strafrahmen von der<br />
Straftat unabhängig und nur mehr von einer „Einstufung“<br />
des Täters abhängig gemacht.<br />
Eine weitere Ausdehnung der Todesstrafe ist im<br />
Gesetz zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuches<br />
vom 4. September 1941 40 enthalten: „Der gefährliche<br />
Gewohnheitsverbrecher (§ 20 a des Strafgesetzbuchs)<br />
und der Sittlichkeitsverbrecher (§§ 176 bis<br />
178 des Strafgesetzbuchs) verfallen der Todesstrafe,<br />
wenn der Schutz der Volksgemeinschaft oder das Bedürfnis<br />
nach gerechter Sühne es erfordern.“ § 20a<br />
des Strafgesetzbuches in der ostmärkischen Form 41<br />
legte fest, dass man als Gewohnheitsverbrecher galt,<br />
wenn man zwei Vorstrafen aufweisen konnte, in der<br />
Version des Altreiches konnte man sich übrigens drei<br />
Vorstrafen leisten.<br />
Schließlich wurde mit dem steigenden Einfluss der<br />
Polizei die Entscheidung den Gerichten entzogen.<br />
Die Polizei entschied letztlich, ob ein aus der Strafhaft<br />
entlassener tatsächlich frei kam oder in Schutzhaft<br />
genommen wurde oder in ein KZ zum Zweck der<br />
Vernichtung durch Arbeit eingewiesen wurde. 42<br />
Im OLG-Bezirk Linz gab es 6365 sondergerichtliche<br />
Ermittlungsverfahren der Sondergerichte, gegen 2722<br />
Angeklagte ergingen Urteile. Nach Haftende wurden<br />
viele der Gestapo übergeben, in Arbeitserziehungslager<br />
oder Konzentrationslager eingewiesen. Es wurden<br />
gegen 67 Männer und 3 Frauen Todesurteile verhängt.<br />
Die Statistik der Verfahren zeigt deutlich den<br />
politischen Einfluss durch Anstiege nach der Niederlage<br />
bei Stalingrad und besonders vor dem Ende der<br />
NS-Herrschaft. 43<br />
Der Leondinger Volksschädling<br />
Aber zurück zu unserem Leondinger Volksschädling.<br />
Der 40-jährige Melker Rudolf S. 44 , gebürtig aus Leonding,<br />
hatte im Laufe des Jahres 1942 mehrfach Fahrräder<br />
gestohlen. Er stammte aus einfachen Verhältnissen,<br />
ist in Untergaumberg aufgewachsen. Mit 9<br />
Jahren schon kam er zu einem Bauern, wo er Schafe<br />
hütete. Als er 13 Jahre alt war, starb seine Mutter, der<br />
Vater brachte ihn in eine Erziehungsanstalt - er hatte<br />
kleine Gelddiebstähle begangen. Später erlernte er<br />
die Melkerei. Als Müllerlehrling – er war 16 - zündete<br />
er einen Schuppen an, das Feuer griff auf die Mühle<br />
über. Das Verfahren wurde eingestellt, weil er nach<br />
einem gerichtsärztlichen Gutachten wegen eines<br />
moralischen Defekts der Tragweite der impulsiven<br />
Handlung nicht zurechnungsfähig war. In der Folge<br />
wurde er noch elfmal wegen Diebstahls, Betrugs und<br />
Veruntreuung verurteilt.<br />
Ab 1940 kam es schließlich zu den 4 Fahrraddiebstählen<br />
begleitet von Betrügereien und Diebereien.<br />
17 Straftaten wurden ihm vorgeworfen, in vier Fällen<br />
konnte ihm keine Schuld nachgewiesen werden.<br />
Unser Delinquent hatte 12 Vorstrafen auf seinem<br />
Vorstrafenregister. Das waren mehr als zwei. Er wird<br />
als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher eingestuft<br />
und habe damit eine Freiheitsstrafe verwirkt.<br />
Angeklagt war er wegen § 4 der Verordnung gegen<br />
Volksschädlinge, zum Tode verurteilt wird er aber<br />
nach § 1 des Gesetzes zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuches<br />
am 22. Jänner 1943 vom Sondergericht<br />
Linz als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher.<br />
Weiter geht es schnell. Schon am 24. Jänner, noch<br />
vor Erledigung des Gnadengesuches, wurde beim<br />
Vater angefragt, was mit der Leiche seines Sohnes<br />
geschehen solle. Am 23. Jänner war er ins Landesgericht<br />
Wien überführt worden und der Scharfrichter<br />
115
Abb.73: Schreiben des Leondinger Bürgermeisters zum Gnadengesuch 45<br />
in München informiert. Die Nichtigkeitsbeschwerde<br />
durch den Anwalt wurde nicht angenommen. Der<br />
Reichsminister der Justiz macht von seinem Begnadigungsrecht<br />
keinen Gebrauch, sondern lässt der<br />
Gerechtigkeit freien Lauf. Den Termin der Vollstrek-<br />
116<br />
kung der Todesstrafe hat der Oberstaatsanwalt für<br />
24. März 1942, 6 Uhr früh festgesetzt.<br />
Im Handakt des Staatsanwaltes ist ein Schreiben des<br />
Bürgermeisters von Leonding vom 30. Jänner 1942<br />
enthalten (siehe Abbildung). Das Schreiben endet<br />
mit: „… dass dieses Urteil bei der Bevölkerung sehr<br />
zufrieden stellend aufgenommen wurde. Eine Begnadigung<br />
würde das Gegenteil ergeben.“ Wie solche Art<br />
von Volkesstimme zustande kam, wäre eine gesonderte<br />
Betrachtung wert.<br />
Im Handakt enthalten sind auch eine Pressemitteilung<br />
und die Bestellung von 50 Stück Plakaten zur<br />
öffentlichen Bekanntmachung nach vollzogener Hinrichtung.<br />
Solche Plakate sind wahrscheinlich auch in<br />
Leonding ausgehängt worden.<br />
Im einem so genannten „Vollstreckungsheft“ in rotem<br />
Einband sind alle diese Schriftstücke zusammengefasst.<br />
Zur Vollstreckung mit dem Fallbeil reist ein<br />
Scharfrichter aus München an. Die Niederschrift der<br />
Vollstreckung ist auf einem vorgedruckten Formular<br />
abgefasst, in das nur noch Namen und Daten einzutragen<br />
waren. Auch Angaben zum Verhalten des Delinquenten<br />
sind schon vorgedruckt. Das letzte Blatt<br />
des Vollstreckungsheftes ist eine Kostenrechnung:<br />
1 x Hinrichtungsgebühr RM 383.<br />
Anklage des Heimtückevergehens<br />
Gegen 5 Personen, vier davon in Gaumberg, Gemeinde<br />
Leonding, wohnhaft, wird vom Sondergericht<br />
Anklage des Heimtückevergehens erhoben. 46 Lt.<br />
Anklage haben sich im August 1943 folgende zwei<br />
Ereignisse zugetragen:<br />
Fall (1) Die Angeschuldigte W. erzählt der Angeschuldigten<br />
R, dass eines Tages über Linz der Himmel von<br />
amerikanischen Fallschirmjägern wimmeln werde,<br />
dass sie aber nicht zu erschrecken brauche, weil es<br />
sich nur um die Absetzung feindlicher Fallschirmjäger<br />
handeln werde, die die Ostmark beschützen würden.<br />
Amerika habe dem Führer ein Ultimatum gestellt, bis<br />
Mitte August die Ostmark freizugeben, widrigenfalls
die Ostmark vergast werden. Der Führer gebe aber<br />
die Ostmark nicht frei, er lasse sie lieber vergasen.<br />
Die Angeschuldigte R. erzählte die Gerüchte der<br />
Angeschuldigten A., die ihrerseits dem Mechaniker<br />
H., ebenfalls aus Gaumberg, Gemeinde Leonding,<br />
davon Mitteilung machte.<br />
Fall (2) Die Angeschuldigte S. erzählte der Angeschuldigten<br />
H., dass eine Kürzung der Fleischrationen<br />
um 100 g bevorstehe. Die neuen Fleischkarten<br />
würden schon gedruckt werden. Dieses<br />
Gerücht gab die Angeschuldigte H. an die Angeschuldigte<br />
R. weiter, die wieder ihrer Wohnungsnachbarin<br />
davon erzählte.<br />
Die Angeschuldigten waren geständig, durch ihre Gerüchtemacherei<br />
hätten sie vorsätzlich unwahre Behauptungen<br />
verbreitet, die geeignet seien, das Wohl<br />
des Reiches und das Ansehen der Reichsregierung<br />
zu schädigen.<br />
Im Urteil heißt es: „Die Angeklagten W. und R. werden<br />
zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt, die Angeklagte<br />
A. zu zwei, die Angeklagte S. zu einem Monat<br />
Gefängnis. Die Angeklagte H. wird freigesprochen.<br />
Das Gericht erhielt den Eindruck, dass die Angeklagten<br />
einfältige Frauen seien, die jedes ihnen zukommende<br />
Gerücht, und sei es noch so unsinnig, ohne<br />
zu denken kritiklos nachschwätzen. Deshalb glaubte<br />
das Gericht mit den erkannten Strafen das Auslangen<br />
zu finden.“<br />
Anzumerken ist, dass in dem gesamten Akt kein einziger<br />
Paragraph zitiert ist. Das Heimtückevergehen<br />
wurde zuerst 1933 als „Heimtückeverordnung“ 47<br />
gleichzeitig mit der Bildung von Sondergerichten<br />
erlassen, später 1934 als „Heimtückegesetz“ 48 Gesetz<br />
gegen heimtückische Angriffe auf Staat und<br />
Partei und zum Schutz der Parteiuniformen. Drei Monate<br />
bis 2 Jahre Gefängnis konnte man ausfassen,<br />
„wer vorsätzlich eine unwahre oder gröblich entstellte<br />
Behauptung … aufstellt oder verbreitet, die geeignet<br />
ist, das Wohl des Reichs oder das Ansehen der<br />
Reichsregierung oder das der Nationalsozialistischen<br />
Deutschen Arbeiterpartei … schwer zu schädigen…“<br />
„Widerstand“ in Leonding vor Sondergerichten<br />
Widerstand gegen das NS-Regime in Leonding<br />
taucht nur in wenigen Dokumenten auf.<br />
Das Dokumentationsarchiv des österreichischen<br />
Widerstandes arbeitete seit 1977 an einer wissenschaftlichen<br />
Erfassung der Widerstandstätigkeiten in<br />
Oberösterreich. Die Arbeit wurde 1982 beendet. Darin<br />
sind auch einige Aktivitäten enthalten, die Leonding<br />
und Leondinger betreffen, die vor den Sondergerichten<br />
des NS-Staates abgewickelt wurden und als<br />
Widerstandshandlungen eingestuft werden können. 49<br />
Der Werkmeister der Deutschen Reichsbahn Josef<br />
Lehner, wohnhaft in Leonding Nr. 64, wird mit 6 anderen<br />
der Vorbereitung zum Hochverrat, des Abhörens<br />
ausländischer Sender und der Verbreitung ihrer Hetznachrichten<br />
angeklagt. Sie hätten seit Sommer 1942<br />
bis März 1943 im Reichsbahnausbesserungswerk in<br />
Linz- eine kommunistische Gesinnungs- und Betriebsgemeinschaft<br />
gebildet, fortlaufend ausländische<br />
Rundfunksender abgehört und deren Nachrichten bei<br />
regelmäßigen Zusammenkünften untereinander diskutiert<br />
und verbreitet. Alle Angeschuldigten waren<br />
langjährige Mitglieder der SPÖ und später der illegalen<br />
revolutionären Sozialisten. Josef Lehner wird zu<br />
zwei Jahren Zuchthaus und zu zwei Jahren Ehrverlust<br />
verurteilt. 50<br />
In einem Verzeichnis 51 sind neben Josef Lehner noch<br />
weitere Leondinger Eisenbahner angeführt, die zu<br />
Gefängnisstrafen verurteilt worden sind. Die betref-<br />
fenden Einträge lauten: „Josef Gahleitner, Gaumberg<br />
59 Leonding, 1 Jahr, entlassen; Johann Leitner,<br />
Gaumberg 13 Leonding, 4 Jahre, entlassen.“ Leider<br />
sind ihre Vergehen nicht aktenkundig.<br />
Die folgende Geschichte trug sich in Leonding zu und<br />
gibt ein Bild vom damaligen politschen Diskurs und<br />
Wertung. Karl Luckinger aus Linz wird zu einem Jahr<br />
Gefängnis nach dem Heimtückegesetz verurteilt, weil<br />
er folgendes angestellt hat: Im Gasthof Wiesinger in<br />
Leonding hielt sich der Gefreite Robert Hagmüller<br />
auf, später kam Luckinger hinzu. Hagmüller sprach<br />
mit dem Wirt über den Krieg und behauptete, dass<br />
die Russen schon sehr schlecht ausgerüstet seien.<br />
Jetzt kommt das Vergehen des Linzers Luckinger: Er<br />
stellte die Behauptungen Hagmüllers als unglaubwürdig<br />
hin und begründete dies mit der Möglichkeit der<br />
Amerikaner, den Russen über den Persischen Golf<br />
Material zuzuführen. 52<br />
Pater Ferdinand Weinberger, geboren in Leonding,<br />
Priester und Kanzleidirektor des Bischofs in Linz wird<br />
in eine Sache hineinverwickelt, für die er zu zwei<br />
Jahren und sechs Monaten Gefängnis und Ehrverlust<br />
verurteilt wird. Insgesamt hat er vier Jahre in 14 verschiedenen<br />
Gefängnissen verbracht. 53 Er habe mit<br />
anderen von der Tätigkeit der legitimistischen Organisation<br />
„Großösterreichische Freiheitsbewegung“ erfahren<br />
und es unterlassen, die Behörde davon zu<br />
benachrichtigen, wirft ihm der Ankläger vor. 54 Das<br />
Ziel der Großösterreichischen Freiheitsbewegung<br />
bestand in der Schaffung einer so genannten Realunion<br />
mitteleuropäischer Staaten unter österreichischer<br />
Führung. Sie vertritt die so genannte „Großraum-Idee“,<br />
d.h. die Schaffung eines übernationalen<br />
Staatengebildes, analog der ehem. Österreich-<br />
Ungarischen Monarchie in größerem Umfange. 55<br />
117
Von dieser Geschichte berichten auch Leondinger<br />
Zeitzeugen 56 , die von regelmäßigen Zusammenkünften<br />
von Pater Ferdinand Weinberger, Josef Tomschi<br />
und einem Herrn Karigl in einem Gasthof in Leonding<br />
nach dem Krieg berichten. Weinberger und Tomschi<br />
waren in die Sache „Großösterreichische Freiheitsbewegung“<br />
verwickelt. Karigl soll KZ-Häftling gewesen<br />
sein. Im Gasthaus hat er einmal - später nie wieder<br />
- die Geschichte seiner grausamen Behandlung<br />
im KZ erzählt und die Narben seiner dort erlittenen<br />
Wunden gezeigt. Leider haben wir bis jetzt keine<br />
Dokumente darüber gefunden.<br />
Einer Widerstandsgruppe in Linz mit Namen „Orel“<br />
wird Kontakt zu einigen Leuten in Leonding nachgesagt.<br />
Mehr dazu und eine Beurteilung des Widerstandes<br />
gegen das NS-Regime in Leonding ist im<br />
Beitrag „Umgang mit Erbe – Die Gemeinde Leonding<br />
und ihr Umgang mit der NS-Vergangenheit“ enthalten.<br />
Weitere Aktionen, die als Widerstandstätigkeit<br />
eingestuft werden können, sind im Beitrag „NS-Vermögensentzug<br />
in Leonding“ enthalten. Die Sängerrunde<br />
Gaumberg wird aufgelöst und die Lizenz für<br />
eine Tabaktrafik wird entzogen. In beiden Fällen wird<br />
Gegnerschaft zum Regime als Begründung angegeben.<br />
Hinrichtungen in Leonding<br />
In Leonding weiß man über Hinrichtungen in der NS-<br />
Zeit, die auf Leondinger Gebiet u. z. am Schießplatz<br />
Alharting oder in Leondinger Steinbrüchen stattgefunden<br />
haben. Aktenstudium in den Archiven hat einige<br />
solche Fälle aktenmäßig belegen lassen.<br />
118<br />
Durch Akten belegte Exekutionen in Leonding:<br />
Hinrichtung von Soldaten der deutschen Wehrmacht:<br />
Je ein Soldat am 23. März, am 18. April, am<br />
8. Mai , am 22. Mai und am 25. Mai 1940, sowie am<br />
3. Dezember 1941.<br />
Hinrichtung von Fremdarbeitern als Plünderer:<br />
Am 2. März 1944: zwei junge Griechen und ein Franzose.<br />
Hinrichtung eines Beamten am 15. April 1945.<br />
Hinrichtung von Soldaten der deutschen<br />
Wehrmacht<br />
Im Dokumentationsarchiv des Österreichischen<br />
Widerstandes wird ein Dokument 57 aus dem Nachlass<br />
von Konsulent Hans Rödhammer mit dem Titel<br />
„Verzeichnis der auf dem Schießplatz Allharting, Gemeinde<br />
Leonding, hingerichteten Österreicher als<br />
Soldaten der deutschen Wehrmacht“ aufbewahrt. In<br />
dieser Liste sind 6 Namen angeführt. Sie wurden bei<br />
fünf verschiedenen Exekutionen zwischen März und<br />
Mai 1940 und im Dezember 1941 hingerichtet. Die<br />
Dienstgrade waren Soldat, Schütze, Oberschütze<br />
oder Gefreiter. Sie sind alle am Linzer St. Barbara<br />
Friedhof begraben. Die Liste enthält keine Angaben<br />
über die Vergehen, deretwegen sie hingerichtet wurden.<br />
Es fehlt an einer Übersicht über das Wirken der Militärgerichte<br />
im Reichsgau Oberdonau. Es konnten<br />
lediglich die Vollstreckungshefte eines Gerichtes, des<br />
Divisionsgerichtes 487, ausgewertet werden. Die dort<br />
behandelten 170 Fälle setzen sich folgendermaßen<br />
zusammen: 20 wegen Wehrkraftzersetzung, 20 wegen<br />
unerlaubter Entfernung, wozu auch die Überziehung<br />
des Urlaubs zählte, 50 wegen Fahnenflucht, 6<br />
wegen Gehorsamsverweigerung, 2 wegen Feigheit<br />
vor dem Feind, 2 wegen verbotenem Umgang mit<br />
Kriegsgefangenen, 70 wegen Wirtschaftsdelikten,<br />
davon 1 Kameradschaftsdiebstahl, sonst Diebstahl<br />
von Wehrmitteln. 58<br />
Wenn man versucht, die nationalsozialistische Militärgerichtsbarkeit<br />
einzustufen, indem man sie z. B. mit<br />
jener der Kriegsgegner als auch mit jener im ersten<br />
Weltkrieg vergleicht, muss man feststellen, dass die<br />
Militärgerichtsbarkeit der Nationalsozialisten als eines<br />
der dunkelsten Kapitel der Justizgeschichte bezeichnet<br />
werden muss. 59<br />
Hinrichtung von Fremdarbeitern als Plünderer<br />
Am 2. März 1944 wurden in Leonding, Schießplatz<br />
Alharting, zwischen 17 Uhr 29 und 17 Uhr 33 drei<br />
Personen hingerichtet, 1 Franzose und 2 Griechen.<br />
Sie waren als Arbeiter bei Aufräumarbeiten in Steyr<br />
beschäftigt. Die Akte liegen im Oberösterreichischen<br />
Landesarchiv auf. Die Fälle sind in der Literatur ausführlich<br />
beschrieben 60 , weil sie in mehrfacher Hinsicht<br />
exemplarisch waren. Wir wollen uns hier nur auf die<br />
Wiedergabe der wesentlichen Punkte beschränken.<br />
Die Namen der Hingerichteten sind weder in der<br />
Literatur noch hier anonymisiert. In „Justiz in Oberdonau“<br />
weisen die Verfasser auf die Nennungen in<br />
der wissenschaftlichen Literatur und beabsichtigen<br />
damit, diesen Opfern der NS-Justiz ein ‚Gesicht’ zu<br />
geben. 61<br />
Ein Franzose „plündert“<br />
Der Franzose Marius Berry 62 war 47 Jahre alt und<br />
ehemals Straßenkehrer in Clermont-Ferrand, bevor er<br />
als Arbeiter in die Steyr-Werke kam. Am 27. Februar<br />
1944, dem Sonntag nach den Bombenangriffen, erhielt<br />
er den Auftrag, aus einem zerstörten LKW Treibstoff<br />
abzupumpen. Nach getaner Arbeit kletterte er<br />
ins zerstörte Führerhaus des LKWs und fand dort
Kleidungsstücke und ein Stück Brot. Die Kleidungsstücke<br />
versuchte er zu verkaufen. Seine Käufer bekamen<br />
„kalte Füße“ und verständigten den Werksschutz<br />
der Steyr-Werke. Er verteidigt sich, dass ihm nicht<br />
bekannt war, dass er durch seine Handlungen eine<br />
Plünderung begehe, sondern glaubte, einen Fund<br />
gemacht zu haben.<br />
Es hatte früher schon zwei Vorstrafen ausgefasst:<br />
Nur wenige Wochen nach seiner Ankunft in Steyr, am<br />
22. Dezember 1942, wurde Berry wegen Arbeitsvertragsbruchs<br />
vor Gericht gestellt, weil er die ihm zugewiesene<br />
Arbeit in einem Steinbruch verweigert hatte -<br />
offenbar entsprach ein derartiger Arbeitsplatz nicht<br />
dem, was er sich von der Arbeit in der deutschen<br />
Rüstungsindustrie erwartet hatte. Er wurde zu sechs<br />
Wochen Gefängnis verurteilt. Im August 1943 folgte<br />
eine viermonatige Gefängnisstrafe, weil er aus dem<br />
Spind eines Arbeitskollegen eine Uhr gestohlen hatte.<br />
Der Staatsanwalt schreibt in seiner Anklageschrift:<br />
„Nach dem Inhalt der Vorakten erscheint seine Persönlichkeit<br />
in sehr schlechtem Licht. Die jetzt gesetzte<br />
Tathandlung lässt keinen Zweifel darüber bestehen,<br />
dass es sich um einen Volksschädling handelt.“<br />
Am 1. März 1944 wird er verurteilt: „Der Angeklagte<br />
hat sich am 27. 2. 1944 bei den Steyr-Werken in<br />
Steyr aus einem bombenbeschädigten Kraftwagen<br />
eine Ärmelweste, 1 Paar Damenschuhe und 1<br />
Damenhemd angeeignet. Er wird hierfür als Plünderer<br />
zum Tode verurteilt.“ Am 2. März 1944 wird er am<br />
Schießplatz Alharting hingerichtet.<br />
Zwei junge Griechen sterben für zwei Hosen<br />
Zwei Griechen waren am 29. Februar 1944 bei den<br />
Aufräumarbeiten nach den Bombenangriffen beschäftigt.<br />
Sie wurden beobachtet, wie sie sich Gegenstände<br />
in die Taschen steckten. Sie geben an, sie<br />
hätten nicht geplündert, sondern höchstens gestohlen.<br />
Der Staatsanwalt beantragt bei der Gerichtsverhandlung<br />
am 1. März 1944, die beiden Angeklagten<br />
als Plünderer zum Tode zu verurteilen. Die<br />
ganze Verhandlung dauert 1 Stunde und 15 Minuten.<br />
Das Urteil nach geheimer Beratung lautet: „Die<br />
Angeklagten Nikolaus Kondojianis und Adreas<br />
Dadopulos haben sich am 29.2.1944 in Steyr aus den<br />
Trümmern eines bombengeschädigten Hauses zwei<br />
Hosen und im bombengetroffenen Werksgelände der<br />
Steyr-Werke 2 Pistolentaschen angeeignet. Beide<br />
werden hiefür als Plünderer zum Tode verurteilt.“ 63<br />
Sie werden am 2. März 1944 am Schießplatz<br />
Alharting hingerichtet.<br />
Laut Sterbeurkunde war Dadopulos 23 Jahre alt,<br />
Kondojianis im zwanzigsten Lebensjahr. Der Leondinger<br />
Standesbeamte Johann Koglgruber weigerte<br />
sich, Sterbeurkunden auszustellen: Es wurde mir<br />
weder bekannt, dass derselbe hingerichtet noch<br />
irgendwie auf eine andere Art verstorben sei, verantwortet<br />
er sich. Eine Beurkundung könne erst erfolgen,<br />
wenn das jeweilige Geburtsstandesamt kontaktiert<br />
würde. Das Gericht lehnte solche Erkundigungen ab.<br />
Der Leondinger Standesbeamte musste drei Leerformulare<br />
übersenden, das Gericht setzte die Daten<br />
ein. 64 Der Standesbeamte Johann Koglgruber trug<br />
die Daten im Sterbebuch von Leonding nach. Die<br />
Verwahrungsstelle des Landesgerichts Steyr mühte<br />
sich, die beiden Hosen und die beiden Pistolentaschen<br />
loszuwerden. Ein umfangreicher Schriftakt<br />
folgte. Man fand keine Abnehmer. Im zerbombten<br />
Haus waren alle tot. 65<br />
Zu den Steyrer „Plünderungen“<br />
In einem Lagebericht an den Reichsjustizminister<br />
schreibt der zuständige Generalstaatsanwalt am 5.<br />
Juli 1944 zu den Ereignissen in Steyr: „Es kamen<br />
mehrere Fälle von Plünderung zur Anzeige. Achtmal<br />
wurde Anklage erhoben (davon siebenmal gegen<br />
Ausländer), in drei Fällen verhängte das Sondergericht<br />
ein Todesurteil, das auch vollstreckt wurde. 66<br />
Bei den angezeigten Fällen handelte es sich nicht um<br />
„Plünderungen“ im herkömmlichen Sinn, um herumziehende<br />
„plündernde Horden“. Bei den unerwarteten<br />
Bombenangriffen wurden in der Stadt und in den<br />
Steyr-Werken große Zerstörungen angerichtet.“<br />
Tausende ausländische und heimische Arbeiter halfen<br />
bei den Aufräumarbeiten mit, die allerdings unkoordiniert<br />
und chaotisch verliefen. Das rasche und überharte<br />
Vorgehen der NS-Behörden gegen Ausländer<br />
deutet auf einen Zusammenhang mit dem nun auch<br />
über Oberdonau hereinbrechenden Bombenkrieg hin.<br />
Man wollte jegliche Befürchtung von Unsicherheit bei<br />
der „arischen“ Bevölkerung im Keim ersticken. Die<br />
scharfen Maßnahmen waren hauptsächlich gegen<br />
Ausländer gerichtet. 67<br />
„Sofortige“ Hinrichtungen<br />
In den Akten sind zahlreiche Informationen enthalten,<br />
dass die Behörden alle Hebel in Bewegung setzten,<br />
eine sofortige Erschießung zu ermöglichen. Das war<br />
ein Abweichen von der vorgeschriebenen Vollstreckungsordnung.<br />
Betreiber war der Generalstaatsanwalt<br />
Dr. Rudolf Löderer. Mit dieser Vorgangsweise erhielt<br />
die Aktion eher den Charakter einer Geiselerschiessung<br />
als einer Hinrichtung. Löderer legt darüber<br />
einen äußerst umfangreichen Aktenvermerk an, um<br />
seinen Sonderweg zu rechtfertigen. 68 Daraus sei nur<br />
die Passage entnommen, wie Leonding ausgewählt<br />
wurde: „Die Schutzpolizei in Linz, die erst nach langem<br />
Zögern die allfällige Vollstreckung des Todesurteils<br />
übernahm, übergab die tatsächliche Durchführung<br />
dem KZ-Lager Mauthausen. Dort war der<br />
119
Kommandant nicht zu sprechen (verreist, Rückkehr<br />
nicht vor Abend des 3. 3. 1944), sein Stellvertreter<br />
erklärte, dass sich der Kommandant den Vollzug der<br />
Todesstrafe vorbehalten habe und daher ein solcher<br />
Vollzug nicht vor seiner Rückkehr aus Wien möglich<br />
sei. Die Dienststelle des Standortältesten der Wehrmacht<br />
in Steyr (Offizier vom Dienst) gab bekannt,<br />
dass nur dann die Wehrmacht den Vollzug übernehmen<br />
würde, wenn ein diesbezüglicher ausdrücklicher<br />
Befehl des Wehrkreiskommandos Wien vorliege. Eine<br />
telefonische Anfrage bei dieser Wehrmachtdienststelle<br />
ergab, dass der diensthabende Offizier erst seinen<br />
Kommandanten befragen müsse. In einem Anruf<br />
seitens des Wehrkreiskommandos Wien erklärte<br />
Major Leber, dass die Wehrmacht nur dann den Vollzug<br />
der Todesstrafe übernehme, wenn sich an dem<br />
betreffenden Ort keine Polizei befindet. Dies sei auch<br />
der Standpunkt des Kommandeurs des Wehrkreises.<br />
Nunmehr erklärte sich die Schutzpolizei mit dem<br />
Vollzug einverstanden, und zwar, da in Steyr keine<br />
geeignete Abteilung bestehe, mit dem Vollzug in Linz<br />
(Steinbruch bei Leonding).“<br />
Hinrichtung eines Beamten in den letzten<br />
Kriegstagen<br />
In der Chronik von Leonding erscheint folgender<br />
Eintrag: „15. April 1945: nachm. wurde am<br />
Schießplatz Alharting der Präsident des Arbeitsamtes<br />
in Linz, Ing. Gustav Böhm erschossen, weil er seinen<br />
Posten verlassen hatte“ .69<br />
Und in der Gendarmeriechronik Leonding kann man<br />
lesen: „Am 12.4.1945 wurde der Präsident des<br />
Gauarbeitsamtes in Linz, der Volkssturmangehöriger<br />
war, wegen Fahnenflucht und Wehrzersetzung in der<br />
Reisetbauer-Sandgrube in Alharting nach gerichtlicher<br />
Aburteilung unter Aufsicht des Volkssturmangehörigen<br />
N. Gold aus Linz standrechtlich von Volks-<br />
120<br />
sturmmännern erschossen. Die Leiche wurden geborgen<br />
und am Friedhofe in Leonding ohne Zeremonie<br />
begraben.“ 70<br />
Was war geschehen: Der aus Preußen stammende<br />
Böhm hatte versucht, sich gemeinsam mit seiner<br />
Frau und seiner Sekretärin vor den anrückenden<br />
Russen gegen den Befehl des Gauleiters abzusetzen.<br />
Er wurde auf Weisung von Gauleiter Eigruber<br />
vor Gericht gestellt, von einem Standgericht zum<br />
Tode verurteilt und hingerichtet. 71<br />
Einen wesentlichen Anteil an der Situation der letzten<br />
Kriegstage trug August Eigruber, Gauleiter von Oberdonau<br />
und Landeshauptmann von Oberösterreich,<br />
der zum Reichsverteidigungskommissär ernannt worden<br />
war. Er dürfte drei Wochen nach Dr. Böhm, am 3.<br />
Mai 1945, seinen Posten verlassen haben. 72 Er<br />
wurde 1947 im Mauthausenprozess zum Tod verurteilt<br />
und hingerichtet. 73<br />
Was Zeitzeugen berichten<br />
In Leonding spricht man darüber, dass in der Schießanlage<br />
Alharting und in den benachbarten Steinbrüchen<br />
noch viel mehr Hinrichtungen stattgefunden<br />
haben, als hier angeführt sind. Das wurde alles von<br />
den Behörden streng geheim gehalten und abgeriegelt,<br />
aber die Anrainer bekamen doch einiges mit.<br />
Man sagte sich in der Bevölkerung, das wären Feinde<br />
von Adolf Hitler, des Regimes und sonstige Verbrecher.<br />
Besonders in Erinnerung bleibt die Erschiessung<br />
von einer Truppe von etwa 15 versprengten jungen<br />
Soldaten, die in den letzten Kriegstagen ohne<br />
Papiere von der Feldgendarmerie aufgegriffen worden<br />
waren und vor ihrer Hinrichtung lauthals Gott und<br />
ihre Mutter um Hilfe anriefen. 74<br />
Ein Jugendstreich in Leonding kostet den Kopf<br />
Ein Berliner Rechtsanwalt namens Dietrich Wilde hat<br />
unter dem Pseudonym Dietrich Güstrow im Jahr 1980<br />
seine Erinnerungen aufgeschrieben und schildert<br />
einen Fall, bei dem ein Jugendstreich in Leonding zu<br />
einer Hinrichtung geführt hat. 75 Die Geschichte findet<br />
Eingang in das Nachrichtenmagazin Spiegel 76 und in<br />
die Oberösterreichischen Nachrichten 77 .<br />
Die Geschichte spielt in der zweiten Jahreshälfte des<br />
Jahres 1943. Laut Strafakte Eugen Wasner habe sich<br />
in einer Kompanie an der Russischen Mittelfront folgendes<br />
zugetragen:<br />
„Ach, der Adolf! [gemeint ist Adolf Hitler] Der ist ja<br />
deppert schon von kleinauf, wo ihm doch ein Ziegenbock<br />
den halben Zippedäus abgebissen hat!“ Und,<br />
vom Staunen seiner Kameraden angespornt, war er<br />
fortgefahren: „Jawohl, ich bin doch selbst dabeigewesen.<br />
Eine Wette hat er gemacht, der Adi, daß er<br />
einem Ziegenbock ins Maul pinkeln würde. …“ So<br />
sprach Eugen Wasner, Buchhalter von Beruf und<br />
Anfang 50. Er wäre mit Adolf Hitler zusammen in<br />
Leonding in die Volksschule gegangen. Der Kompaniekommandant<br />
vernimmt Wasner noch selbst. Der<br />
erklärt: „Jawohl, das habe ich erzählt als einen Spaß<br />
aus des Führers Jugend“. Schon zwei Tage später<br />
war Wasner verhaftet und landete im WehrmachtsuntersuchungsgefängnisBerlin-Spandau.Rechtsanwalt<br />
Dietrich Wilde wird mit der Verteidigung beauftragt.<br />
Es gab da noch einen Zeugen, Bruno Kneisel, der<br />
dem Ziegenbock eine Maulsperre verabreicht hatte.<br />
Aus Leonding erhielt man die Auskunft, der sei hier<br />
wohl geboren, aber schon 1939 an Lungenentzündung<br />
gestorben. Der Herr Rechtsanwalt drückte den<br />
Verdacht aus, dass ihn der lange Arm des Führers<br />
zuerst erreicht haben könnte.
Die Verhandlung vor dem Zentralgericht des Heeres<br />
verlief kurz und militärisch. Der Angeklagte erklärt, er<br />
habe seinen Kameraden nur einen gemeinsamen<br />
Jugendstreich als Scherz erzählen wollen. Das Urteil<br />
„im Namen des Volkes“: „Der Angeklagte Eugen Wasner<br />
hat Deutschlands Führer und Reichskanzler in<br />
übelster Weise heimtückisch beleidigt und verleumdet.<br />
Er hat hierdurch und durch weitere defätistische<br />
Äußerungen die Wehrkraft des deutschen Volkes zersetzt.<br />
Er wird deshalb mit dem Tode bestraft“.<br />
Der Rechtsanwalt verfasste ein Gnadengesuch. Das<br />
wurde abgelehnt im Auftrag des Generalfeldmarschalls<br />
Keitel und von Generalrichter Dr. Sack unterzeichnet.<br />
Zwei Tage später kam die Nachricht, dass<br />
die Vollstreckung des Todesurteils morgens 4.30 Uhr<br />
am nächstfolgenden Tage stattfinde. Der Gefängnisgeistliche<br />
und der Verteidiger durften den Verurteilten<br />
eine halbe Stunde vor der Hinrichtung für zehn Minuten<br />
aufsuchen.<br />
Wasner war gefaßt, er saß mit Drillichhose, Holzpantoffeln<br />
und einem offenen Leinenhemd auf seiner<br />
Pritsche. Der Rechtsanwalt drückte ihm sein Bedauern<br />
aus, dass er nichts für ihn hätte erreichen<br />
können. In diesem Moment kam mit schweren Tritten<br />
der genagelten Stiefel das Begleitkommando von<br />
sechs Soldaten und einem Unteroffizier, dazu der<br />
Oberkriegsgerichtsrat der Anklage; der Geistliche<br />
stand an der Zellentür. Wasner stand auf, gab seinem<br />
Rechsanwalt ohne ein Wort die Hand und ging zum<br />
Geistlichen, der ihn am Arm nahm und in den Gang<br />
führte. Er blieb neben ihm, als sich die Gruppe in<br />
Marsch setzte.<br />
Das ist die Geschichte des Eugen Wasner, seines<br />
Freundes Bruno Kneisel, eines Ziegenbocks und Adolf<br />
Hitlers. Wasners Rechtsanwalt schreibt in seinen<br />
Erinnerungen, dass er an dem Wahrheitsgehalt von<br />
Wasners Bericht, der ein naiver, aber tief gottesfürchtiger<br />
Mensch war, nie einen Zweifel gehabt habe.<br />
Die Geschichte hat nur einen Haken. Wir haben – bis<br />
jetzt – weder Eugen Wasner noch Bruno Kneisel mit<br />
Leonding in Verbindung bringen können. War Adolf<br />
Hitlers Arm auch hier tätig, sind die Namen bei Wilde<br />
alias Güstrow anonymisiert oder ist die Geschichte<br />
doch erfunden?<br />
„Zigeuner“ in Leonding<br />
Im Juni 1950 erscheint Frau Rosa Weinrich, damals<br />
61 Jahre alt, bei der Bezirkshauptmannschaft Linz-<br />
Land und gibt folgende Geschichte an, die in einer<br />
Niederschrift 78 festgehalten wird:<br />
„Ich wurde aus rassischen Gründen am 30.1.1941,<br />
samt meinem Ehegatten Johann Weinrich in das KZ<br />
Mauthausen eingeliefert. Von dort wurde ich, mein<br />
Mann und 1 Sohn, nach 1 fi Jahren in das Lager<br />
Lackenbach überstellt. Dort verblieb ich bis zum<br />
9.5.1945. Mein Mann ist an Typhus im Lager<br />
Lackenbach gestorben.“<br />
Sie bittet um eine Bescheinigung und eine Rente nach<br />
dem Opferfürsorgegesetz, da sie infolge der im KZ<br />
erlittenen Strapazen nicht mehr arbeitsfähig sei. Das<br />
Gemeindeamt Leonding könne bestätigen, dass sie<br />
seinerzeit in das KZ eingeliefert wurde. Die Familie<br />
Weinrich hat damals in Hart 26 in der Gemeinde<br />
Leonding gewohnt. Die „Zigeuner“ waren früh der rassischen<br />
Verfolgung ausgesetzt. Mit „anderen“ konnte<br />
das NS-Regime nur auf brutale Weise umgehen. Das<br />
Schicksal der „Zigeuner“ wird auch dadurch gekennzeichnet,<br />
dass sie – wie auch andere Minderheiten,<br />
die vom NS-Regime verfolgt wurden – keine Lobby<br />
hatten, niemanden, der sich für sie einsetzte.<br />
Zivile Opfer durch Kriegseinwirkung<br />
In Leonding hat es große Schäden durch Bomben<br />
und Kriegseinwirkung gegeben. Der Schreiber der<br />
Chronik von Leonding hat das Leid, das durch die<br />
lange Kriegsdauer entstanden ist, und die Ereignisse<br />
rundherum offenbar tagtäglich aufgeschrieben. Das<br />
gibt ein „hautnahes“ Bild der damaligen Ereignisse in<br />
Leonding. 79<br />
Den ersten Fliegeralarm gab es schon im Jahr 1940:<br />
21. Oktober: heute nachts 1/2 2h - 1/2 3h (2 mal)<br />
Fliegeralarm! 27. Oktober 1940: Im Gemeindegebiet<br />
Leonding sind mehrere Flakstellungen errichtet …<br />
Abend leuchten dann die riesigen Scheinwerfer den<br />
Himmel ab … das sieht zwar schön aus, erweckt<br />
aber keine Freude! 80<br />
Das Territorium vom Österreich war ja lange von<br />
Kriegswirkungen verschont geblieben. Das lag an der<br />
begrenzten Reichweite der alliierten Bomber. Das<br />
änderte sich, als Italien von den Alliierten besetzt<br />
wurde und die Seiten wechselte. 81<br />
Der Chronist schreibt am 25. Juli 1944: „Angriff auf<br />
Linz! Schon vor der Alarmmeldung wird hier vernebelt<br />
…unsere Flak in Gaumberg feuert heftig. Nun wird’s<br />
also auch bei uns ernst! … Blindgänger in Landwied<br />
gefunden!“ 82<br />
„16. Oktober 1944: In Ruefling gingen einige Bomben<br />
in ein Feld und bei 90 Bomben um den Exerzierplatz<br />
(beim Lindmayr i. Berg). 7 Amerikanern wurden nach<br />
dem Angriff am Friedhof begraben. Totalschäden:<br />
Holzheim 2 (Niederberger), Holzheim 4 (Platzer).<br />
Schwere Schäden: Graben 37 (Steiner), Holzheim 3<br />
(Mich. Platzer) und 5 (Niederberger). Diese 3 Objekte<br />
sind wieder bewohnbar.“<br />
Jeder der weiteren Schäden durch Bomben auf<br />
Leonding wird vom Chronisten vermerkt und die<br />
Opfer angeführt. Die Bombenangriffe galten offenbar<br />
Linz, Leonding war zum Teil nur von Kollateral- oder<br />
121
Begleitschäden betroffen. Rund um Leonding waren<br />
Fliegerabwehrkanonen postiert, die auch Wirkung<br />
erzielten, wie die obige Meldung zeigt. Auch das kann<br />
feindliche Bombenangriffe auf Leonding ausgelöst<br />
haben.<br />
Zu einem verheerenden Angriff kam es am 27. Dezember<br />
1944 83 : „In Ruefling und im Raum Gaumberg<br />
und Haag fielen zahlreiche Bomben. Totalschäden<br />
und schwere Schäden gab es in Ruefling, Landwied<br />
und Untergaumberg. Totalschaden erlitt auch die<br />
Theresienkirche in Landwied und die Ziegelwerke in<br />
Gaumberg und Haag. 10 Tote!“<br />
Ein weiterer schwerer Angriff traf Leonding am 25.<br />
Februar 1945 84 : „Die Zahl der Toten betrug etwa 30,<br />
11 Personen kamen allein in einem Luftschutzkeller<br />
ums Leben. Der Raum Hart, Gaumberg, Untergaumberg,<br />
Imberg, Leonding Ort bis Staudach war von<br />
schwersten Schäden betroffen.“<br />
In der Pfarrchronik kann man zu diesem Angriff<br />
lesen 85 : „Die Michael-Statue war am 25.II.1945 bei<br />
einem Großangriff durch die Saugwirkung einer<br />
Bombe, die 2 m vor der Statue explodierte, bis zur<br />
Unkenntlichkeit entstellt. 6 Bomben fielen in einem<br />
Umkreis von 200 m≈. Wären sie 20 m weiter südlich<br />
gefallen, wären wir im Pfarrhof unter Trümmern begraben,<br />
oder die Pfarre wäre ähnlich wie die Theresienkirche<br />
in Schutt. Es ist meine feste Überzeugung,<br />
dass der Schutzpatron sein Gotteshaus vor der Zerstörung<br />
bewahrt hat.“<br />
In weiteren Berichten des Chronisten erfährt man<br />
auch, dass die zahlreichen Alarme, das damit verbundene<br />
mühselige Aufsuchen der Schutzkeller und die<br />
große Unsicherheit die Bevölkerung stark belastete.<br />
Der Aufenthalt im ‚Schutzraum’ wird ja schon zur Qual.<br />
122<br />
„Ostersonntag, 31. März 1945: … Bombenabwürfe<br />
über Linz … Das Licht im Stollen ist erloschen …<br />
man erfährt, dass auch Gaumberg und Untergaumberg<br />
mitgenommen ist. Wie wird es ausschauen<br />
daheim?“ … 86 Es folgen die Schilderungen der nach<br />
dem Verlassen des Kellers aufgefundenen Schäden.<br />
Diese und andere Aufzeichnungen wurden später<br />
ergänzt und aufgearbeitet in den Gemeindebriefen<br />
von Leonding. 87 Die Zahl der zivilen Opfer Leondings<br />
durch Kriegseinwirkung lässt sich heute nicht mehr<br />
genau bestimmen. Einige Opfer sind in Leonding<br />
begraben worden, viele jedoch in Linz und anderswo.<br />
Man kann davon ausgehen, dass die Zahl der Personen,<br />
die den Kriegseinwirkungen in Leonding zum<br />
Opfer gefallen sind in die Hundert geht.<br />
Ausländische Arbeitskräfte in Leonding<br />
Die Arbeitslosigkeit war in Oberösterreich schon mit<br />
Ende des „Anschlussjahres“ praktisch erloschen. Fast<br />
übergangslos stellte sich ein Arbeitskräftemangel ein,<br />
der durch die einsetzende Beschäftigung ausländischer<br />
Arbeitskräfte nie ausgeglichen werden konnte.<br />
1938 gingen österreichische Facharbeiter (die Zahl<br />
dürfte etwa 5000 betragen haben 88 ) nach Deutschland<br />
und kehrten nicht wieder. Mit Kriegsbeginn war<br />
die junge männliche Bevölkerung „eingerückt“, die<br />
fehlte als Arbeitskraft in der Heimat. 89<br />
Das NS-Reich sorgte für Ersatz. Ausländische<br />
Arbeitskräfte wurden auch in Leonding eingesetzt.<br />
Der Leondinger Chronist schreibt z.B. in der Pfarrchronik<br />
90 , dass die bäuerlichen Dienstboten jetzt im<br />
4. Kriegsjahr [1943] meist nur aus Ausländern bestehen.<br />
Leider ist über die Zahl und die nationale Zusammensetzung<br />
dieser in Leonding beschäftigten<br />
„fremden“ Arbeitskräfte wenig bekannt. Der Chronist<br />
der Pfarrchronik gibt einen Hinweis, dass Ostarbeiter<br />
darunter waren, und setzt ihnen ein – zumindest reli-<br />
giöses - Denkmal. Er schreibt: 91 : …, „man hat doch in<br />
den Ostarbeitern viel Religiosität erlebt.“<br />
Zahlen über den Anteil der ausländischen Arbeitskräfte<br />
in landwirtschaftlichen Betrieben liegen für den<br />
Reichsgau Oberdonau vor. Er war hier mit 37 - 40 %<br />
wesentlich höher als im Durchschnitt der Ostmark. 92<br />
Zahlen über die Art der zivilen ausländischen Arbeitskräfte<br />
und die Opfer unter ihnen für ganz Österreich<br />
liegen vor. In Österreich waren etwa 500.000 Personen<br />
zivile ausländische Arbeitskräfte, das waren 23<br />
Prozent aller zivilen Beschäftigten. Kriegsgefangene<br />
auf Österreichischem Boden waren etwa 200.000<br />
Personen, davon waren 170.000 zur Arbeit eingesetzt,<br />
etwa 25.000 kamen ums Leben. Mindestens<br />
55.000 ungarische Juden sind 1944 insbesondere<br />
nach Ostösterreich zur Zwangsarbeit deportiert worden,<br />
etwa die Hälfte von ihnen ist ums Leben gekommen.<br />
Auf österreichischem Gebiet wurden an die<br />
200.000 Personen in Konzentrationslager eingewiesen,<br />
etwa 60.000 Häftlinge waren in Außenlagern zur<br />
Arbeit in der Industrie bestimmt. Überwog bis 1942<br />
die politische Funktion der Lagerhaft, wie Bekämpfung<br />
und Vernichtung politischer Gegner und Verfolgung<br />
von Minderheiten im Vordergrund, so führte ab<br />
1942 der Arbeitskräftemangel zur Ausbeutung der<br />
Arbeitskraft von Häftlingen für die Kriegswirtschaft.<br />
KZ-Häftlinge stellten einen Anteil von 8 Prozent der<br />
Beschäftigten insbesondere in der Industrie. Die<br />
Sterblichkeit unter ihnen war hoch, sie betrug zum<br />
Teil über 30 Prozent. 93<br />
Die vier Gruppen von ausländischen Arbeitskräften<br />
waren unterschiedlich untergebracht, unterschiedlich<br />
entlohnt, unterschiedlich gekleidet, aber relativ einheitlich<br />
– nämlich miserabel – verköstigt. 94 Die in der<br />
Landwirtschaft eingesetzten waren noch relativ gün-
stig dran. Sie wurden oftmals in den Familienverband<br />
aufgenommen und waren teilweise besser verpflegt.<br />
Gauleiter Eigruber wetterte dagegen, er gab dem<br />
Klerus Schuld und wollte sie – meist waren es<br />
Kriegsgefangene – von den Bauernhöfen abziehen.<br />
Das blieb aber Theorie. 95 Sowohl die Bauern als<br />
auch die bei ihnen beschäftigten standen unter<br />
Druck. Bauern waren unabkömmlich (UK) gestellt, es<br />
drohte aber die Einberufung zur Wehrmacht, wenn<br />
die Ablieferung von Lebensmitteln ungenügend war.<br />
Den ausländischen Arbeitskräften drohten bei kleinsten<br />
Unzukömmlichkeiten schwere Strafen bis zur<br />
Einweisung ins KZ. 96<br />
Die ausländischen Beschäftigten waren aber nicht<br />
nur als Arbeitskräfte unentbehrlich. Das Deutsche<br />
Reich entwickelte Strategien, aus diesen Arbeitskräften<br />
Geld für die Reichskasse zu ziehen. Sie zahlten<br />
von ihrem niedrigen Tariflohn zunächst Steuer,<br />
wie alle anderen auch. Bald wurden für sie Sondersteuern<br />
geschaffen, für sie gab es nur niedrige<br />
Steuerklassen, Kinderfreibeträge wurden für sie<br />
gestrichen. So zahlte ein „Ausländer“ dreimal soviel<br />
Steuer und Sozialabgaben wie ein Deutscher, hatte<br />
aber einen Anteil von seinem Verdienst noch auf ein<br />
Sammelkonto zu überweisen. Man entwickelte das<br />
„Ostarbeiter-Sparen“: Für Ostarbeiter wurden Sparmarken<br />
geklebt, der Gegenwert an die Reichshauptkasse<br />
überwiesen. Der einzelne Arbeiter sollte das<br />
angeblich Gesparte bei seiner Rückkehr in die Heimat<br />
voll und mit zwei Prozent verzinst auf die Hand<br />
bekommen. Auch Überweisungen von Arbeitern in die<br />
Heimat wurden auf ein Sammelkonto der Reichsbank<br />
gebucht, die Angehörigen bekamen den Gegenwert<br />
aus dem Besatzungskostenhaushalt ausbezahlt, den<br />
das jeweilige Land zu tragen hatte. Die besetzten<br />
Länder zahlten auf diese Weise einen Teil des Loh-<br />
nes ihrer Arbeiter in Deutschland. Man schätzt allein<br />
das Lohnsteueraufkommen aus industrieller Zwangsarbeit<br />
auf ein Viertel des gesamten Lohnsteueraufkommens.<br />
Die Beträge, die durch die Überweisungsund<br />
Sparaktionen in die Reichskasse flossen, sind<br />
darin nicht enthalten. Diese Vorgangsweise freute<br />
den Finanzminister, nicht jedoch die besetzten<br />
Länder. z.B. beschwerte sich der Generalgouverneur<br />
in Polen, Hans Frank, - unter den Fremdarbeitern war<br />
der Polenanteil sehr hoch - schon 1940 vehement<br />
über diese Vorgangsweise. 97<br />
Leondinger Opfer der NS-Erbgesundheitspolitik<br />
Von den NS-Machthabern wurden auch Sondergerichte<br />
für Erbgesundheit geschaffen. In den Akten<br />
des Sondergerichts für Erbgesundheit 98 finden sich<br />
auch solche über Leondinger.<br />
Insgesamt sind 7 solche Fälle aktenkundig. 99 Als<br />
Krankheit wurde in 6 Fällen angeborener Schwachsinn<br />
attestiert, in einem Fall Epilepsie. In 4 Fällen<br />
wurde vom Erbgesundheitsgericht die Unfruchtbarmachung<br />
beschlossen, in 3 Fällen auch durchgeführt.<br />
In 3 Fällen wurden die Akte an andere Ämter weitergegeben,<br />
die Art deren Erledigung ist nicht nachvollziehbar.<br />
Die ostmärkischen Behörden arbeiteten auf<br />
Basis des Ehegesundheitsgesetzes, das am 1.<br />
Jänner 1940 in Kraft getreten ist. 100 Im Altreich gab<br />
es so ein Gesetz schon seit 1933. 101<br />
Auf Basis dieser Gesetze wurden bei den Oberlandesgerichten<br />
Erbgesundheitsgerichte eingerichtet,<br />
die aus einem Amtsrichter, amtsärztlichen und nicht<br />
beamteten ärztlichen Beisitzern bestanden. In 252<br />
Fällen des Erbgesundheitsobergerichtes Linz sind<br />
Diagnosen erhalten. Diese verteilen sich wie folgt:<br />
Schwachsinn (190), Schizophrenie (31), Epilepsie<br />
(14), Taubheit (8), körperliche Missbildung (4),<br />
manisch-depressives Irresein (3), Veitstanz (1),<br />
Blindheit (1). Drei Viertel aller Beschwerden führten<br />
zu endgültigen Sterilisationsurteilen des Erbgesundheitsobergerichts,<br />
gegen die – wie bei allen<br />
Urteilen der Sondergerichte – kein Rechtsmittel mehr<br />
zur Verfügung stand.<br />
Ein Fall des Landkreises Braunau sei hier zitiert, dessen<br />
Begründung der Verfahrenseinstellung seltsam<br />
anmutet: Die Diagnose war Schizophrenie, das Verfahren<br />
wurde als nicht „kriegsdienlich“ eingestellt, weil<br />
sich der Proband freiwillig zur SS meldete. 102<br />
Leondinger Opfer der NS-Euthanasie<br />
In den Archiven der Dokumentationsstelle Hartheim<br />
des OÖ Landesarchivs lagern Aufzeichnungen über<br />
Opfer der NS-Euthanasie. Unter diesen befinden sich<br />
6 Personen mit Leondingbezug, zwei davon sind in<br />
Leonding geboren, 4 haben in Leonding gewohnt.<br />
Von drei der aufgelisteten Leondinger Opfer liegt der<br />
Krankenakt aus der „OÖ Landes-Heil- und Pflegeanstalt<br />
für Geisteskranke in Niedernhart/Linz“ vor. 103<br />
Darin werden die oft jahrelange Krankengeschichte<br />
und endlich die Suche der Verwandten nach dem<br />
„Verschwinden“ der Angehörigen und die ausweichenden<br />
Antworten der Krankenhausverwaltung<br />
geschildert, die die Krankentötungen verschleiern<br />
sollten. Das Verschleiern war übliche Taktik. Auch in<br />
den Transportlisten nach Hartheim sind zur<br />
Verschleierung andere Orte der Tötung angegeben.<br />
104<br />
In den Archiven der Dokumentationsstelle Hartheim<br />
des OÖ Landesarchivs lagern auch Sterbelisten aus<br />
der „OÖ Landes-Heil- und Pflegeanstalt für<br />
Geisteskranke in Niedernhart/Linz“. Darin sind 13<br />
Personen zu finden, die in Leonding geboren sind<br />
oder in Leonding gewohnt haben. Man kann aus der<br />
123
angegebenen Todesursache nicht auf Tötung<br />
schließen, allerdings ist anzunehmen, dass einige der<br />
hier verzeichneten nicht eines natürlichen Todes<br />
gestorben sind. Aber die Zustände in den<br />
Krankenanstalten wurden damals so katastrophal,<br />
dass auch die natürlichen Tode in die Nähe von<br />
Morden rücken.<br />
Einem Aussageprotokoll eines nach dem Krieg verurteilten<br />
Leondinger Helfers in Niedernhart kann man<br />
entnehmen, wie dort die Tötungen durchgeführt wurden.<br />
Unruhigen Patienten wurden Beruhigungsmittel<br />
verabreicht. Ärzte setzten die tödlichen Injektionen.<br />
Die fraglichen Patienten sind dann gewöhnlich am<br />
nächsten Morgen tot aufgefunden worden. Der Helfer<br />
berichtet auch, dass die tötenden Ärzte von den Helfern<br />
verlangten, der Direktion verschiedene Sterbezeiten<br />
zu melden, wenn mehrere Patienten zur gleichen<br />
Zeit getötet wurden. 105<br />
Sterilisation - Euthanasie - Genozid<br />
Sterilisation und „Euthanasie“ gehörten zum wesentlichen<br />
Instrumentarium der nationalsozialistischen Sozialpolitik.<br />
Aber man kann die Nationalsozialisten<br />
nicht als ihre Erfinder betrachten. Solche Ansichten<br />
gab es aber schon in der Weimarer Republik. Rassenhygienische<br />
Gesetze - auch mit Zwangsmaßnahmen -<br />
gab es auch in einigen amerikanischen Bundesstaaten,<br />
in der kanadischen Provinz Alberta, im<br />
Schweizer Kanton Waadt und in Dänemark.<br />
Der wesentliche Unterschied zwischen den genannten<br />
Vorläufern und den NS-Maßnahmen lag in der Zahl<br />
der Unfruchtbarmachungen. Diese haben in den zitierten<br />
Ländern einige Hundert betragen. In Deutschland<br />
setzte aber eine Radikalisierung großen Ausmaßes<br />
ein. Allein im Jahr 1934 wurden in Deutschland über<br />
30.000 Menschen unfruchtbar gemacht. In Deutschland<br />
folgte ein weiterer Schritt im Radikalisierungs-<br />
124<br />
prozess, der über Ausweitung der Abtreibung zur<br />
„Euthanasie“ und zum Genozid führte. Tendenzen zur<br />
Vernichtung gesellschaftlicher Minderheiten wurden<br />
offenbar durch juristische, politische, soziale und kulturelle<br />
Sicherungen demokratischer Strukturen verhindert.<br />
106<br />
Von Adolf Hitler existiert eine kurze schriftliche Anweisung<br />
an seinen Kanzleileiter Philipp Bouhler und<br />
seinen Begleitarzt Dr. Karl Brandt, die die Tötung<br />
unheilbar Kranker einleitet. Die genannten werden<br />
unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich<br />
zu bestimmender Ärzte so zu erweitern,<br />
dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken<br />
bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes<br />
der Gnadentod gewährt werden kann.<br />
Anmerkenswert ist auch die auf dem Originaldokument<br />
enthaltene Notiz des damaligen Reichsjustizministers<br />
Franz Gürtner, dass der Befehl erst 1940<br />
von Bouhler dem Reichsjustizministerium übergeben<br />
worden ist. (siehe Abbildung 76)<br />
Die Ärzte fanden neue Gestaltungsmöglichkeiten<br />
und betrachteten sich als „Wächter am Ufer des Erbstroms“.<br />
107 Sie und die NS-Behörden setzten eine<br />
Tötungsmaschinerie in Gang. Aber schon bald regte<br />
sich in der Öffentlichkeit Widerstand. Am bekanntesten<br />
und bestens dokumentiert sind die Aktionen von<br />
Clemens August Graf von Galen, damals Bischof von<br />
Münster, der schon 1941 vehement die Vernichtung<br />
„lebensunwerten Lebens“ und den organisierten Mord<br />
an Altersschwachen und Geisteskranken anprangerte.<br />
108 Diese Protestaktionen hatten Erfolg. Die „Aktion<br />
T4“ – die Bezeichnung war ein verharmlosender Tarnnahme<br />
nach der Adresse Tiergartenstraße 4, wo das<br />
Sonderbüro der Kanzlei des „Führers“ eingerichtet<br />
war 109 – wurde offiziell eingestellt, aber dezentral<br />
weitergeführt. In Niedernhart zum Beispiel begann<br />
diese Tötungsmaschinerie zu diesem Zeitpunkt erst<br />
zu laufen, wie sich am sprunghaften Ansteigen der<br />
von der Anstalt ausgestellten Totenscheine von 50<br />
pro Jahr auf nahezu 400 zeigen lässt. 110 In Hartheim<br />
begannen übergreifend Vergasungen von KZ-Gefangenen<br />
aus Mauthausen. Diese Aktion lief unter dem<br />
verschleiernden Decknamen „14f13“.<br />
Die Bevölkerung war über diese Tötungsmaschinerie<br />
und andere Gräueltaten des Regimes informiert.<br />
Spätestens für das Jahresende des Jahres 1943 lässt<br />
sich das auch für Leonding nachweisen. Am 2. und 3.<br />
Adventsonntag des Jahres 1943 wurden nämlich von<br />
der Leondinger Kanzel in 2 Teilen der Hirtenbrief der<br />
deutschen Bischöfe „Über die 10 Gebote als Lebensgesetz<br />
der Völker“ verlesen, wie man in der Pfarrchronik<br />
lesen kann. 111 Der damaligen Weihbischof<br />
und Kapitelvikar der Diözese Linz, Josef Calasanctius<br />
Fliesser, schreibt eine Einleitung. Der Hirtenbrief 112<br />
selbst stellt den 10 Geboten die Verhaltensweisen der<br />
NS-Machthaber entgegen. Zum fünften Gebot „Du<br />
sollst nicht töten“ wird ausgesagt: „Das Gemeinwohl<br />
darf nur mit sittlich erlaubten Mitteln angestrebt und<br />
verwirklicht werden. Und Tötung ist in sich schlecht,<br />
auch wenn sie angeblich im Interesse des Gemeinwohls<br />
verübt würde: an schuld- und wehrlosen Geistesschwachen<br />
und -kranken, an unheilbar Siechen<br />
und tödlich Verletzten, an erblich Belasteten und<br />
lebensuntüchtigen Neugeborenen; an unschuldigen<br />
Geiseln und entwaffneten Kriegs- oder Strafgefangenen,<br />
an Menschen fremder Rassen und Abstammung.<br />
Auch die Obrigkeit kann und darf nur wirklich<br />
todeswürdige Verbrecher mit dem Tode bestrafen.“<br />
Schlussanmerkung<br />
Die Liste der zivilen Opfer wird immer eine unvoll-
ständige bleiben, da die Dokumente in den Archiven<br />
z.T. schwer zugänglich sind, ständig durch Neuzugänge<br />
und neue Forschungen erweitert werden<br />
oder gesperrt sind oder vor kurzem erst freigegeben<br />
wurden. Nicht aufgenommen wurden in diese Auflistung<br />
jene, die vor der nationalsozialistischen Ideologie<br />
geflohen sind, auswanderten oder von den<br />
Nationalsozialisten vertriebene Leondinger und<br />
Leondingerinnen.<br />
Abb.74: Die Einleitung der Euthanasie durch Adolf Hitler<br />
Anmerkungen<br />
1 Wenn nicht anders angegeben finden sich die Akte in:<br />
Politische Akte; OÖLA; Sch 17, Film 8, Akt Nr. 152/33<br />
2 Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, Jg. 1933,<br />
vom 5. September 1933, 125. Stück<br />
3 Österreichisches Staatsarchiv ÖStA; Schreiben BM Fey an<br />
die GenDir f.d. öff. Sicherheit vom 2. September 1933<br />
4 Detaillierte Beschreibung siehe z. B.: Huemer, Peter,<br />
Sektionschef R. Hecht und die Zerstörung der Demokratie in<br />
Österreich, Wien 1975.<br />
5 Reichsgesetzblatt Jg. 1917, 80. Stk, vom 27. Juli 1917<br />
6 detaillierte Beschreibung der Vorgänge siehe z.B. bei<br />
Peter Huemer, a.a.O.<br />
7 Bundesgesetzblatt für den Bundesstaat Österreich BGBl<br />
239/1934, Stk. Nr. 70, StkDat. 30. Apr. 1934<br />
8 Deutsches Reichsgesetzblatt, Teil 1, Inneres RGBl. I 1938,<br />
Stk. Nr. 189, Seite 1581, Verordnung vom 12. November<br />
1938<br />
9 RGBl. I 1938, Stk. Nr. 189, Seite 1579, Verordnung vom<br />
12. November 1938<br />
10 siehe z.B.: J. A. Kauer, Über die Februarunruhen vor 50<br />
Jahren; Leondinger Gemeindebriefe; Nr. 47; Jg. 1984, Seite<br />
12-16<br />
11 Pfarrchronik Leonding; Band B; S. 151f.<br />
12 Oberösterreichisches Landesarchiv OÖLA, Pol. Akte,<br />
Sch. 18, Film 10, Akt Nr. 69/33<br />
13 OÖLA, Pol. Akte, Sch. 20, Film 10, Akt Nr. 25/34<br />
14 OÖLA, Pol. Akte; Sch. 16, Film 8; Akt Nr. 174<br />
15 BGBl 152/1934<br />
16 163. Bundesverfassungsgesetz vom 30. Juli 1934, Jg<br />
1934, Stück 56.<br />
17 ÖSTA; Militärgerichtshof Wien, Namensregister 1934-1938<br />
18 ÖSTA; Militärgericht, Aktenzahlen 34/103, 34/125, 35/008,<br />
35/015 und 35/233<br />
19 Jagschitz, Gerhard; Der Putsch; Die Nationalsozialisten<br />
1934 in Österreich; Graz 1976, Seite 162<br />
20 OÖLA; Gerichtsakte Vr 242/34<br />
21 Jagschitz; a.a.O. S 163<br />
22 Beiträge zur Vorgeschichte und Geschichte der<br />
Julirevolte; herausgegeben auf Grund von amtlichen Quellen<br />
Wien 1934; Seite 53ff<br />
23 Abschrift siehe OÖLA, Pol. Akte; Sch. 16, Film 8; Akt Nr.<br />
725<br />
24 OÖLA, Pol. Akte; Sch. 16, Film 8; Akt Nr. 93<br />
25 OÖLA Polizeidirektion Linz Niederschrift vom 8.8.1934,<br />
Pol. 3154<br />
26 Papen, Franz von; Die Wahrheit eine Gasse, Innsbruck<br />
1952; Seite 381<br />
27 Zdral, Wolfgang; Die Hitlers, FrankfurtM 2005, Seite 213<br />
28 OÖLA, Pol. Akte, Situationsberichte 1934 Sch 20, AktNr.<br />
5, 1935: Sch 21, AktNr. 10, 1936 Sch 22, AktNr. 1<br />
29 Talos, Emmerich; Staatliche Sozialpolitik in Österreich.<br />
Rekonstruktion und Analyse, Wien 1981, Seite 210ff<br />
30 Grundlage: Armengesetznovelle (Landesgesetzblatt für<br />
OÖ, Nr. 23 vom 9. Juli 1935, Seite 55) und Haftlagergesetz<br />
(Landesgesetzblatt für OÖ, Nr. 24 vom 9. Juli 1935, Seite 58)<br />
31 Chronik Leonding, Band 1, Seite 206f<br />
32 Chronik Leonding, Band 1, Seite 329<br />
33 Hofmeister, Herbert; Arbeitsvermittlung und<br />
Arbeitslosenversorgung in Österreich; in Benöhr, Hans-<br />
Peter; (Hg.), Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversorgung<br />
in der neueren deutschen Rechtsgeschichte, Seiten 217-<br />
235, hier Seite 229<br />
34 OÖLA; Gerichtsarchive; Indexbuch, Die Akte tragen die<br />
Kurzzeichen Js, KLs, KMs und Sg<br />
35 Garscha, Winfried R., Scharf, Franz; Justiz in Oberdonau,<br />
Linz 2007; Seite 268f<br />
36 Zitiert in Weckbecker, Gerd; Zwischen Freispruch und<br />
Todesstrafe, 1998, Seite 40<br />
37 Garscha / Scharf, a.a.O., Seite 252<br />
38 Garscha / Scharf, a.a.O., Seite 14<br />
39 Reichsgesetzblatt I S. 1679 vom 5. September 1939<br />
40 RGBl. I 549; Gesetz zur Änderung des<br />
Reichsstrafgesetzbuches vom 4. September 1941<br />
125
41 RGBl. I 581; Verordnung zur Durchführung der Änderung<br />
des Reichsstrafgesetzbuches vom 24. Sept. 1941.<br />
42 Garscha / Scharf, a.a.O., Seite 252<br />
43 Garscha / Scharf, a.a.O., Seite 127f<br />
44 OÖLA / Sondergerichte Linz / SG Linz, Sch. 715, KLs<br />
6/42 (KLs Js Handakt in Ebenda, Sch. 806)<br />
45 OÖLA / Sondergerichte Linz Handakt KLs Js Sch. 806<br />
46 OÖLA, Gerichtsakte, KMS 57/43<br />
47 RGBl. I 135 vom 21. März 1933<br />
48 RGBl. I 1269 vom 20. Dezember 1934<br />
49 Dokumentationsarchiv des österreichischen<br />
Widerstandes [DÖW] (Hg.) Widerstand und Verfolgung in<br />
Oberösterreich 1934-1945, 2 Bände, Linz 1982<br />
50 DOW a.a.O. Band 1 Seite 313ff; OLG Wien 7 OJs<br />
286/43;DÖW DokNr. 2336 und 6345b<br />
51 Verzeichnis der 1934-1945 politisch gemaßregelten<br />
Eisenbahner in Oberösterreich, beigestellt von der<br />
Gewerkschaft der Eisenbahner ohne Datum etwa 1971;<br />
DOW DokNr. 6345b<br />
52 DÖW a.a.O. Band 1 Seite 437; LG Linz, KMs 34/43:<br />
DÖW DokNr. 13.571<br />
53 Zinnhofer, Rudolf, Das Bistum Linz, Seine Bischöfe und<br />
Generalvikare, Linz 2002<br />
54 Urteil DÖW a.a.O. Band 2 Seite 284, Anklageschrift beim<br />
Volksgericht Berlin 8 J 206/41 vom 16. September 1943<br />
DÖW DokNr. 4294<br />
55 DÖW DokNr. 3034b, Seite 106f<br />
56 lt. Bericht eines nicht näher genannten Zeitzeugen;<br />
Gespräch vom 7.7.2008<br />
57 Dokumentationsarchiv des Österreichischen<br />
Widerstandes, Wien, DÖW Nr. 19420<br />
58 Garscha / Scharf, a.a.O., Seite 170<br />
59 Thomas Walter, Schnelle Justiz – gute Justiz, Seite 27<br />
60 z.B. in Garscha / Scharf, a.a.O., Seiten 270ff<br />
61 Garscha / Scharf, a.a.O., S 271 Fußnote 49:<br />
62 Garscha / Scharf, a.a.O., S 278f: OÖLA / Sondergerichte<br />
Linz / SG Linz, Sch. 747, KLs 28/44; Ebenda, KLs Js-<br />
126<br />
Handakten, Sch. 820, zu KLs 28/44; Ebenda, Handakten der<br />
GStA Linz, Sch. 1035, II Sg 54/44. Der Urteilstenor ist abgedruckt<br />
in: Widerstand und Verfolgung m Oberösterreich, 2,<br />
441. Das „Gegenstück“ zum Handakt II Sg 54/44 des Linzer<br />
Generalstaatsanwalts im Reichsjustizministerium befindet<br />
sich in Kopie im Dokumentationsarchiv des österreichischen<br />
Widerstandes (DÖW-Akt 14.784).<br />
63 OÖLA / Sondergerichte Linz, SG Linz, Sch. 747, KLs<br />
29/44<br />
64 Garscha / Scharf, a.a.O., Seite 281<br />
65 Garscha / Scharf, a.a.O., Seite 285<br />
66 In: Form/ Uthe, NS-Justiz in Österreich, 290.<br />
67 Garscha / Scharf, a.a.O., S 270<br />
68 OÖLA / Sondergerichte Linz / Handakten der GStA Linz,<br />
Sch. 1035, II Sg 56/44.<br />
69 Chronik Leonding, Band 1, Seite 462<br />
70 DÖW Nr. 12.319<br />
71 Garscha / Scharf, a.a.O., 201; OÖLA; Handschriften Nr.<br />
18, LNr. 5 StG KLs 1/45. Siehe auch Slapnicka,<br />
Oberösterreich – als es Oberdonau hieß, Seite 446,<br />
Widerstand und Verfolgung in Oberösterreich, Band 2, Seite<br />
599 (Anm. 7)<br />
72 Chronik von Leonding, Band 1 Seite 496<br />
73 Freund, Florian; Der Mauthausen-Prozeß, in: Dachauer<br />
Hefte 13 - Gericht und Gerechtigkeit; Hrsg.: Comité<br />
International de Dachau, Brüssel 1997<br />
74 lt. Bericht eines nicht näher genannten Zeitzeugen;<br />
Gespräch vom 7.7.2008<br />
75 Güstrow, Dietrich; Tödlicher Alltag – Strafverteidiger im<br />
Dritten Reich, Berlin 1980, Seiten 133 bis 144<br />
76 DER SPIEGEL 43/1987 vom 19.10.1987, Seite 112-119<br />
77 OÖ Nachrichten, Dienstag, 7. April 1981, Seite 2<br />
78 DÖW, Dok. Nr. 14.592<br />
79 Vgl. Beitrag J. A. Kauer und Gemeindebriefe Leonding<br />
Nr. 41/1983: Aus der Nachkriegszeit, Seite 10-14<br />
80 Chronik Leonding, Band 1, Seite 367<br />
81 vgl. Ulrich, Johann; Der Luftkrieg über Österreich 1939-<br />
45, Wien 11967<br />
82 Chronik Leonding, Band 1 Seite 389ff<br />
83 Chronik Leonding Band 1 Seite 412ff<br />
84 Chronik Leonding Band 1 Seite 428f<br />
85 Pfarrchronik Leonding Band 2 Seite 189<br />
86 Chronik Leonding, Band 1, Seite 459<br />
87 z.B.: J.A. Kauer, Aus der Nachkriegszeit Nr. 41/1983,<br />
Seite 10-14<br />
88 MMF T 77 Rolle 774 Kriegstagebuch 2 01.01.1940-<br />
31.03.1940<br />
89 Slapnicka, Harry; Einsatz und Ausbeutung „fremdvölkischer<br />
Arbeitskräfte in Oberösterreich“ in R. Ardelt (Hg.)<br />
Arbeiterschaft und Nationalsozialismus in Österreich; Wien<br />
1990 dort S. 470<br />
90 Pfarrchronik Leonding, Band 2, Seite 145<br />
91 Pfarrchronik Leonding, Band 2, Seite 150<br />
92 Freund, Florian; Perz, Bertrand; Spoerer, Max;<br />
Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen auf dem Gebiet<br />
der Republik Österreich 1939-1945; Historikerkommission<br />
Band 26/1, Seite 118<br />
93 Freund, Zwangsarbeit, a.a.O.216f und Herbert, Ulrich;<br />
Zwangsarbeit im Dritten Reich“, in Gabriella Hauch (Hg.),<br />
Industrie und Zwangsarbeit im Nationalsozialismus, Seite 11<br />
bis 35, hier Seite 13<br />
94 Slapnicka; a.a.O. S. 471<br />
95 Slapnicka; a.a.O. S. 473<br />
96 Slapnicka; a.a.O. S. 479<br />
97 Aly, Götz; Hitlers Volksstaat, FrankfurtM 2006, Seite 181ff<br />
98 OÖLA, Sondergericht Linz, Schachtel 1183:<br />
Erbgesundheitssachen XIII: 1940-1943<br />
99 Akte 16/42, 51/42, 83/42, 4/43, 13/43, 45/43 und 8/44<br />
100 „Verordnung über die Einführung des Gesetzes zur<br />
Verhütung erbkranken Nachwuchses und des Gesetzes zum<br />
Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes<br />
(Ehegesundheitsgesetz) in der Ostmark“: Gesetzblatt für das<br />
Land Österreich, Nr. 1483
101 Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses<br />
(Erbgesundheitsgesetz, Sterilisierungsgesetz) vom 14. Juli<br />
1933; RGBl. 1933 I 529<br />
102 Goldberger Josef: NS-Gesundheitspolitik im Reichsgau<br />
Oberdonau 1938-1945, Dissertation Universität Wien, Seite<br />
186-219<br />
103 OÖLA; Akte Niedernhart; Akt Nr. 13.586, 12.614 und<br />
14.596<br />
104 Mitteilung der Dokumentationsstelle Hartheim des OÖ<br />
Landesarchivs, Hr. Schwanninger<br />
105 Mitteilung der Dokumentationsstelle Hartheim des OÖ<br />
Landesarchivs, Hr. Schwanninger<br />
106 Schmuhl, H.W.; Sterilisation, „Euthanasie“, „Endlösung“<br />
Seite 295ff; in Frei, Norbert (Hg.) Medizin und<br />
Gesundheitspolitik in der NS-Zeit; Oldenbourg 1991<br />
107 Frei, Norbert; (Hg.) Medizin und Gesundheitspolitik in<br />
der NS-Zeit, S. 37<br />
108 siehe z. B. Portmann, Heinrich; Der Bischof von<br />
Münster, Münster 1946, S 16f. und S. 35<br />
109 Nowak, Kurt; Widerstand, Zustimmung, Hinnahme: in<br />
Norbert Frei (Hg.) a.a.O. S. 244<br />
110 Schwanninger, Florian; Hartheim und Niedernhart. Zwei<br />
oberösterreichische Orte der NS-Euthanasie; unveröffentlichter<br />
Text<br />
111 Pfarrchronik Leonding, Band B, Seite 146<br />
112 Einleitung und Hirtenbrief in: Linzer Diözesanblatt 1943,<br />
Nr. 10 (als Beilage mitgebunden)<br />
127
DAS ERBE<br />
UMGANG MIT ERBE<br />
DIE GEMEINDE LEONDING UND IHR UMGANG MIT DER NS-VERGANGENHEIT<br />
Thekla Weissengruber<br />
Kulturelles Erbe ist allgemein positiv konnotiert, handelt<br />
es sich doch meist um herausragende kulturelle<br />
Errungenschaften, um Wertvolles und um Schutzbedürftiges.<br />
Dennoch muss jede ernsthaft geführte<br />
Auseinandersetzung mit dem Erbe zwangsläufig zu<br />
der Einsicht führen, dass auch Unangenehmes,<br />
wenig Erhaltenswertes und schlechte Erinnerungen<br />
überliefert wurden. 1 So führt es immer noch zu<br />
großem Erstaunen, wenn sich seit 1979 das<br />
Konzentrationslager Ausschwitz und seit 1996 das<br />
zerbombte Kaufhaus „Genbaku Dome“ in Hiroshima<br />
in der Liste des Weltkulturerbes der UNESCO befinden.<br />
„Jede Erinnerung als zelebrierte Kultur und alle Museen<br />
verdanken ihre Geburt der Verstörung, der<br />
Zerstörung, dem Ende einer Kultur, dem Ende einer<br />
Lebensphase, dem Verlust.“ 2 Voraussetzung für jegliche<br />
Beschäftigung mit Erinnerung der Vergangenheit<br />
ist das Ende und der Beginn einer neuen Epoche.<br />
Das was eine Gesellschaft aber nicht wahrhaben will<br />
und nicht als erinnerungswürdig erklärt, wird auch<br />
niemals in den Status des kulturellen Erbes gehoben.<br />
Es sei denn, es geschieht aus einem schlechten<br />
128<br />
Gewissen heraus und entspricht den gegenwärtigen<br />
Norm- und Wertvorstellungen. Jegliches Erbe ist<br />
immer eine gefühlsträchtige Angelegenheit, 3 ganz<br />
besonders heikel wird es, wenn es um ein lästiges<br />
Erbe, um unangenehme Gefühle geht, die man am<br />
liebsten beiseite schieben möchte.<br />
So auch in Leonding, wo nach Jahrzehnten des<br />
Schweigens nun eine offensive Geschichtsarbeit einsetzt.<br />
Eine Geschichtsarbeit, die zeitgleich in Österreich<br />
erst seit wenigen Jahren eingesetzt hat, da sich<br />
Österreich, vorbereitet durch die Moskauer Deklaration<br />
vom 30. Oktober 1943, viele Jahrzehnte hindurch<br />
als erstes freies Land, das Hitlers Angriffspolitik<br />
zum Opfer gefallen ist, verstanden hat. Österreich hat<br />
sich in der Opferrolle all die Jahre ganz gut gefallen,<br />
waren doch dadurch auch mögliche Wiedergutmachungen<br />
ausgeschlossen. Eine Umorientierung kam<br />
erst durch die sog. „Waldheim-Affäre“ 1986 in Gang.<br />
Am 8.6.1991 erklärte in Weiterführung dieser neuen<br />
Anschauung Bundeskanzler Franz Vranitzky im Nationalrat<br />
eine Mitverantwortung einzelner Bürger Österreichs<br />
an den Folgen des Nationalsozialismus. Seine<br />
am 10. Juni 1993 in Jerusalem an der Hebräischen<br />
Universität gehaltene Rede fand international breite<br />
Anerkennung und befreite Österreich aus der Isolation,<br />
die Aussagen des Bundespräsidenten Kurt<br />
Waldheims ausgelöst hatten. In der Folge wurde<br />
1995 das Nationalfondsgesetz beschlossen und die<br />
Geschichte des Landes neu geschrieben. 4<br />
Die Auseinandersetzung mit der jüngsten, soeben<br />
erfahrenen und negativ ausgegangenen Geschichte in<br />
Leonding verlief in verschiedenen Sphären. Zum<br />
einen wurde der von staatlicher Seite geforderten politischen<br />
Umorientierung Rechnung getragen und die<br />
Entnazifizierung der Gemeindebelegschaft umgesetzt,<br />
sowie die Informationen, sofern möglich an die übergeordneten<br />
Stellen weitergegeben. Weiters bestand in<br />
Leonding aber noch eine weitere Ebene, die des<br />
Umganges bedurfte. Die Relikte einstiger Bewunderung<br />
zehntausender Besucher waren und sind noch<br />
immer vorhanden und bedurften einer „besonderen“<br />
Behandlung. Im Folgenden soll anhand der aufgefundenen<br />
Zeitungsartikel zu diesen Themen, der vorhandenen<br />
Chroniken, aber auch anhand der Stadtrats-,<br />
Gemeindevorstands- und Gemeindeausschussproto-
kolle dieser Umgang beschrieben werden. 5<br />
Bevor allerdings auf den eigentlichen „Umgang“ eingegangen<br />
wird, sollte kurz über das Thema „Widerstand“<br />
in Leonding reflektiert werden. Von einer möglichen<br />
Aktion von Leondinger Einwohnern gegen das<br />
nationalsozialistische Regime ist im Zuge der Recherchen<br />
wenig gefunden worden. Ein Nebensatz im Artikel<br />
von Siegwald Ganglmair über Widerstand und<br />
Verfolgung lässt aufhorchen, wo über die Linzer Widerstandsgruppe<br />
„Orel“ berichtet wird. Wenngleich<br />
diese keine „nennenswerten Leistungen“ aufweisen<br />
konnte, wird der Kontakt zu einigen Leuten in Traun<br />
und Leonding angeführt. 6 In den Sammlungen des<br />
Dokumentationsarchives des österreichischen Widerstandes<br />
(DÖW) sind einige Fälle angeführt, die vor<br />
Sondergerichten landeten und als Widerstandstätigkeit<br />
bezeichnet werden können. 7 Offensichtlich und<br />
durch zahlreiche Notizen belegbar, sind jedoch die<br />
Kriegsmüdigkeit der Leondinger, die zunehmende<br />
Unzufriedenheit gegen Ende des Krieges und der<br />
vermutlich damit verbundene passive Widerstand.<br />
Offene Worte und Taten waren viel zu gefährlich, jedoch<br />
war vielen Leuten bereits Ende 1943 klar, dass<br />
der Krieg nicht mehr gewonnen werden konnte.<br />
Der Mangel an Hinweisen auf Widerstand in Leonding<br />
erklärt sich aber auch daraus, dass Leonding in<br />
den Anfangsjahren der neuen Herrschaft von den<br />
Umständen um die Heimatstadt des Führers durchaus<br />
auch profitiert hat. Die unzähligen Gäste und<br />
Besucher wollten bewirtet, die Blumen und Kränze<br />
eingekauft werden und die Aufmerksamkeit durch die<br />
internationale Presse, die Besuche hoher Prominenz<br />
mögen viele in diesen Jahren auch mit Stolz erfüllt<br />
haben. Zudem war die Eingemeindung nach Linz<br />
durch direktes Intervenieren Hitlers über Martin<br />
Bormann verhindert worden.<br />
Entnazifizierung<br />
Mit einer sog. „Note“ wurde am 19. Juni 1933 der<br />
Gemeindeverwaltung Leonding mitgeteilt, dass „die<br />
Mitgliedschaft bei der Nationalsozialistischen Deutschen<br />
Arbeiterpartei und beim steirischen Heimatschutz<br />
sowie die Mitgliedschaft bei Vereinen, die die<br />
Grundlage für die Zugehörigkeit zu diesen Parteien<br />
bildet, in Anbetracht der Bestrebungen dieser Parteien<br />
und der Art ihrer Betätigung den Dienstpflichten<br />
der Bundesangestellten“ [widerspricht]. 8 In der Folge<br />
mussten die betroffenen Bediensteten und Angestellten<br />
eine Eidesformel unterzeichnen und<br />
schwören, „dass sie einer ausländischen, politische<br />
Zwecke verfolgenden Gesellschaft weder gegenwärtig<br />
angehören noch einer solchen Gesellschaft in<br />
Zukunft angehören werden.“ In Leonding betraf dies<br />
den Gemeindesekretär, einen Gemeindebeamten,<br />
den Gemeindepolizeidiener und einen Praktikanten. 9<br />
Das bedeutet, dass die nationalsozialistische<br />
Tätigkeit den Gemeindevorstehern bekannt war und<br />
eigentlich geduldet wurde. Der Sekretär wurde mit<br />
Juli 1938 in den Ruhestand versetzt und durch den<br />
gleich gesinnten Beamten ersetzt. Dies zur<br />
Vorgeschichte.<br />
Bereits am 23. Mai 1945 fand die erste Gemeinderatssitzung<br />
unter der amerikanischen Militärregierung<br />
statt. Sie wurde zur konstitutierenden Sitzung des<br />
Gemeinderates unter dem Vorsitz Josef Miesenbergers,<br />
der bereits die letzten Jahre als Bürgermeister<br />
agiert hatte. Er wurde aber bereits bei einer<br />
der nächsten Sitzungen von Franz Bäck ersetzt.<br />
Bereits in der Sitzung vom 3. November 1945 beschließt<br />
der Gemeinderat einstimmig, dass man<br />
einem Nationalsozialisten [dem Gemeindeinspektor<br />
F.P.] nicht ohne Gegenleistung ein Gehalt weiterbezahlen<br />
kann. Leider fehlt der Hinweis, was den Ge-<br />
meindeinspektor von seiner Arbeit abgehalten haben<br />
mag, jedoch dürfen wir annehmen, dass er aufgrund<br />
seiner Parteizugehörigkeit „politisch überprüft“ wurde.<br />
In der darauffolgenden Sitzung wurden die zwei Angestellten<br />
aus dem Beamten- bzw. Angestelltenverhältnis<br />
mit Wirksamkeit vom 31.12.1945 entlassen. 10<br />
Beide Beamten befanden sich zur Untersuchung ihrer<br />
nationalsozialistischen Tätigkeit in Untersuchungshaft.<br />
Auch der damalige Gemeinde-Oberinspektor<br />
und eine weitere Bedienstete wurden aus dem Dienst<br />
entlassen. Damit trug die Gemeinde den gesetzlichen<br />
Vorgaben Rechnung. Auch die Gewerbetreibenden in<br />
Leonding wurden gemäß ihrer politischen Gesinnung<br />
überprüft, da vom Amt der o.ö. Landesregierung infolge<br />
der Wirtschaftsprüfung eine „Stellungnahme durch<br />
den Gemeindeausschuß erfolgen musste, die im wesentlichen<br />
dahingeht, ob die Fortführung des Betriebes<br />
durch den bisherigen Gewerbeinhaber öffentliches<br />
Ärgernis erregen würde.“ 11 Von den 39 zu überprüfenden<br />
Parteien wurden 32 von der Gemeinde als<br />
tragbar anerkannt, die restlichen wurden mit ausführlicher<br />
Begründung zur Weiterführung ihrer Geschäfte<br />
als untragbar beurteilt.<br />
Es handelte sich dabei um einen Transportunternehmer,<br />
4 Trafikanten, einen Dreschmaschinenverleiher<br />
und einen Kaufmann. Besonders 1947 und<br />
1948 werden auf Veranlassung der Bezirkshauptmannschaft<br />
nach dem NS- und Wirtschaftssäuberungsgesetz<br />
aus dem Gemeindedienst einige Beamte<br />
und Angestellte entlassen. Prominentes Beispiel<br />
wurde der damalige allseits beliebte Gemeindearzt<br />
Dr. P., für den Unterschriften gesammelt wurden und<br />
für den nach der Entnazifizierung eine Sonderstellung<br />
einberaumt wurde. 12 Auch jener erste Gemeindesekretär,<br />
der inzwischen amnestiert worden war, wurde<br />
aufgrund seiner Vorkenntnisse und beruflichen Qua-<br />
129
litäten wiedereingestellt. 13 Im alltäglichen Leben verlief<br />
die Entnazifizierung unter der Bevölkerung oftmals<br />
in heute unverständlichen Wegen. Einstige<br />
Opfer oder Unbeteiligte wurden zu Tätern und rächten<br />
sich so an ihrem persönlichen Leid, Elend und<br />
der Schmach des „Verlierers“. Einer Zeitzeugin verdanken<br />
wir Hinweise über das Vorgehen gegen die<br />
„Nazi-Kinder“. Da sie als Tochter eines überzeugten<br />
Nationalsozialisten auch keine kirchlichen Weihen<br />
bekommen hatte, wurde sie auch aus den karikativen<br />
Hilfen des Pfarrers von Leonding ausgenommen. Erst<br />
nachdem diese Weihen nachgeholt waren, konnte<br />
man wieder etwas bekommen. Ebenso musste sie<br />
am eigenen Leib als kleines Mädchen erfahren, dass<br />
auch im Sozialdienst tätige Krankenschwestern, nicht<br />
vergessen konnten, dass die Eltern einst auf der<br />
anderen Seite gestanden hatten. Kinder können freilich<br />
solche Maßnahmen oder wollen wir sagen<br />
Repressalien in Notzeiten nicht verstehen. 14<br />
Das „Elterngrab“<br />
Das Grab der Eltern Adolf Hitlers befindet sich auf<br />
Pfarrgrund und obliegt demgemäß auch der kirchlichen<br />
Verwaltung. Somit hatte sich auch die Kirche<br />
damit auseinanderzusetzen, was mit dem Hauptziel<br />
nationalsozialistischer Agitationen in Leonding nun<br />
weiter zu passieren hat. So beginnt der Umgang<br />
damit bereits am 5. Mai 1945, am Tag der Kapitulation<br />
Leondings an die amerikanischen Besatzer.<br />
„Wir flohen vom Friedhof, wo wir noch schnell die<br />
Gräber der 20 gefallenen und hier begrabenen Amerikaner<br />
geschmückt hatten. Wir entfernten auch noch<br />
schnell die große Hakenkreuzfahne, die auf dem<br />
Hitlergrab lag. Keiner der einstigen Grabbetreuer<br />
wollte sie nehmen und verwahren. Als die Amerikaner<br />
in den Pfarrhof kamen, präsentierte ich ihnen die<br />
Liste ihrer gefallenen Piloten.“ 15 Die Überreste der<br />
130<br />
Abb.75: Elterngrab A. Hitlers 2008<br />
Amerikanischen Soldaten wurden exhumiert und in<br />
deren Heimat überführt. Als Betreuer des Hitlerhauses,<br />
das gleich nach dem Einmarsch der Amerikaner<br />
abgesperrt wurde, verwahrte der Pfarrer auch<br />
die vorhandenen Gästebücher, die aber in der Folge<br />
verschwanden und verschollen sind. Abbildungen aus<br />
den Jahren nach dem Krieg beweisen, dass das<br />
Grab, so wie bereits vor 1936 einen ziemlich verwaisten<br />
Eindruck machte. Alsbald auftauchende Gerüchte,<br />
dass auch Adolf Hitler hier heimlich begraben<br />
wurde, wurde von kirchlicher Seite stets vehement<br />
dementiert und muss, wie so viele andere Behauptungen<br />
in die Reihe der Legenden und Mythen eingereiht<br />
werden. 16 In der Folge organisierte sich eine<br />
Grabpflege, die aber hier nicht näher ausgeführt werden<br />
soll. Das Grab der Eltern hat schließlich nichts<br />
mit den Taten des Sohnes zu tun, obgleich einige<br />
Besucher des Friedhofes dies anzunehmen scheinen<br />
und die jeweiligen Pfarrer oftmals auf den Umstand<br />
angesprochen wurden und werden.<br />
Heute kümmert sich eine ortsansässige Gärtnerei um<br />
die Grabpflege. Im Frühjahr 2008 wurde die Einfassung<br />
und Fundamentierung erneuert.<br />
Dennoch wurde das Elterngrab auch nach 1945<br />
immer wieder Ziel Ewiggestriger oder Schaulustiger.<br />
Die Meldung eines Gendarmen über eine Kranzniederlegung<br />
von einer Volksdeutschen aus der Tschechoslowakei<br />
am Grabe der Eltern Adolf Hitlers am 1.<br />
November 1947 in Leonding wurde in der Presse<br />
ausführlich diskutiert. Handelt es sich dabei um eine<br />
politische Demonstration, um eine Provokation, um<br />
katholische Christenpflicht oder um eine Ehrerweisung<br />
vor der Mutter? „Wir in Oberösterreich haben<br />
auch noch besonders heikle Taktfragen zu lösen, wie<br />
wir uns angesichts des Grabes der Eltern jenes<br />
Mannes verhalten sollen, dessen Leben und Tod<br />
heute, vom weltgeschichtlichen Standpunkt aus<br />
betrachtet, noch völlig ungeklärt in blutige Nebel<br />
gehüllt erscheinen. Es mag für die Organe der österreichischen<br />
Exekutive nicht leicht sein, mit klugem<br />
Fingerspitzengefühl das Richtige zu tun, wenn sie<br />
pflichtgemäß, über höheren Auftrag, darüber zu<br />
wachen haben, ob dieses Grab auf dem Leondinger<br />
Friedhof nicht zu einer politischen Demonstration missbraucht<br />
wird.“ 17<br />
Besonders in den 1960er bis 1980er Jahren wurde<br />
das Grab zu den neuralgischen Terminen um Allerheiligen<br />
und zum 20. April gerne besucht. Der Gendarmerieposten<br />
Leonding war dazu angehalten den<br />
auffälligen Grabschmuck zu beseitigen und die Friedhofseingänge<br />
zu beobachten. 18 Jegliche Ausschwei-
fungen sollten bereits im Keim erstickt werden. Zu<br />
bemerkenswerten Aktionen rund um das Grab ist es<br />
in den vielen Jahren nach 1945 nicht gekommen. Seit<br />
den 1980er Jahren hat der Besuch deutlich nachgelassen<br />
– lediglich einige wenige Grablichter und<br />
Blumen schmücken das Grab zu den genannten<br />
Terminen.<br />
Das sog. „Hitlerhaus“<br />
1947 entließ die Militärregierung Oberösterreich das<br />
ehemalige Hitlerhaus in Leonding Nr. 61 aus ihrer<br />
Kontrolle zur weiteren Verwaltung an die O.Ö. Landesregierung,<br />
Amt für Vermögenssicherung und<br />
Wiedergutmachung in Linz. 19 Während der Subverwaltung<br />
durch die Oberbank wurde das Haus von der<br />
Gemeinde beaufsichtigt und kontrolliert. Ein Eigentumsinteresse<br />
wurde damals bereits angemeldet. 20<br />
Aber erst am 2. März 1955 kam die Liegenschaft zur<br />
öffentlichen Versteigerung. Der Ausrufspreis betrug<br />
damals 75.000 Schilling, das geringste Anbot<br />
50.000.-. Der Gemeindevorstand beschloss einstimmig,<br />
bei der Versteigerung als Bieter aufzutreten und<br />
bis zu einer Summe von 80.000 Schilling zu gehen. 21<br />
Damals stand das Gebäude offensichtlich noch nicht<br />
im allgemeinen Interesse, denn es konnte am 10.<br />
März 1955 um 52.000 Schilling ersteigert werden. 22<br />
Zwischenzeitlich war das Haus von verschiedenen<br />
Personen bewohnt worden. Zwei Jahre später bewarb<br />
sich der damalige Gemeindearzt darum, die<br />
Mansardenzimmer anzumieten. In den folgenden<br />
Jahren wurde jeweils auf Antrag dieses Mieters das<br />
Haus saniert und 1960 flatterte das Ansuchen des<br />
Arztes mit dem Wunsch auf käufliche Überlassung<br />
des „Hitlerhauses“ ins Amt. Da er aber mit einem<br />
Grundtausch in gleichem Ausmaß direkt neben dem<br />
bestehenden Gemeindeamtshaus und einer Entschädigung<br />
der bisherigen Kosten nicht einverstan-<br />
den war, verlief sich die ganze Angelegenheit im<br />
Sand. 23 Wenige Jahre darauf wurde ein baufälliges<br />
Nebengebäude abgerissen und ein neues an gleicher<br />
Stelle errichtet. 24 Da sich der Arzt anderweitig einen<br />
Neubau errichtet hatte, wurden in der Folge im Gemeindewohnhaus<br />
Michaelsbergstraße Nr. 16, 25 dem<br />
ehemaligen Wohnhaus der Familie Hitler die Räumlichkeiten<br />
der Gemeinde-Leichenbestattung zur Verfügung<br />
gestellt. 26 Dennoch beriet die Gemeinde noch<br />
im gleichen Jahr ausführlich aufgrund der Baufälligkeit<br />
über eine Adaptierung oder mögliche<br />
Abtragung. 27<br />
Der Gemeinderat beschloß am 11. November 1970<br />
einstimmig: „Das Haus Michaelsbergstraße 16 soll<br />
zur vorübergehenden Unterbringung der Leichenbestattung<br />
(Lagerung der Särge, Umkleideraum für<br />
Träger, Wohnmöglichkeit für Arrangeurin) provisorisch<br />
instandgesetzt und erst dann abgetragen werden,<br />
wenn auf dem Grundstück ein Pavillon für die Bestattung<br />
– einschließlich Dienstwohnung – errichtet<br />
ist. Die verbleibende Fläche soll soweit wie möglich<br />
als Parkplatz ausgebildet werden.“ 28 Dies alles wird<br />
entschieden, ohne zu bedenken, dass das Gebäude<br />
seinerzeit in die Reihe der denkmalwürdigen Gebäude<br />
eingereiht wurde. Einen Antrag auf Aussetzung<br />
aus dieser Liste hat es nie gegeben und so wurde<br />
das Gebäude Michaelsbergstraße 16 nicht abgerissen.<br />
29 Kurz vor der Stadterhebungsfeier 1976 wurden<br />
alle Gemeindegebäude gestrichen und die Fassade<br />
saniert. In diese Entscheidung war der Landeskonservator<br />
einbezogen. 30<br />
Die bisherigen Erläuterungen bringen zutage, dass im<br />
Gemeindevorstand offensichtlich ein unverkrampfter<br />
Umgang mit dem ehemaligen Wohnhaus der Familie<br />
Hitler bestand. Da gerade an dieser Stelle die Micha-<br />
elsbergstraße relativ schmal ist, taucht immer wieder<br />
der Gedanke auf, das Gebäude abzutragen. Die<br />
Installierung der Bestattung seit 1970 erklärt sich<br />
auch aus dem Umstand, dass sich das Haus direkt<br />
gegenüber dem Friedhofseingang befindet.<br />
Abb.76 - 78: Hitlerhaus im Wandel der Zeit<br />
131
Abb.79: Artikel über Bestattungsbetrieb im Hitlerhaus<br />
Ein kleiner Artikel in den Oberösterreichischen<br />
Nachrichten im März 1976 lässt aufhorchen. Anscheinend<br />
bestehen jährlich Gerüchte über eine<br />
Errichtung eines Heimathauses im Hitlerhaus mit<br />
einer Dokumentation über Hitler, die vom damaligen<br />
Bürgermeister Finster auch bestätigt werden. Relativierend<br />
wird er zitiert: „Es hätte ja gar keinen Sinn, in<br />
diesem Haus so etwas einzurichten, weil wir keine<br />
Exponate haben. Mit ein paar Bildern kann man so<br />
etwas nicht machen.“ Der Redakteur hofft, dass es<br />
sich hier noch um einen Faschingsscherz handelt und<br />
dass die Gemeinde Leonding nie in den Besitz von<br />
brauchbaren Exponaten kommt. 31 Schon 1949 war<br />
am 1. April eine Meldung aufgetaucht, nachdem das<br />
132<br />
Elternhaus des Führers nach Amerika verkauft werden<br />
sollte. 32 Obgleich sich diese Meldung als Aprilscherz<br />
erwies, ging die Meldung um die ganze Welt<br />
und beweist somit das internationale Interesse an<br />
den „Relikten“. Auch im darauffolgenden Jahr wurde<br />
über den Aprilscherz des Linzer Volksblattes berichtet.<br />
„Es ließ einen angeblichen Mister McCrazy von<br />
der Firstap-Rilfun-Company (den Herrn „Verrückt“ von<br />
der Ersten-April-Gesellschaft) das Hitlerhaus in Leonding<br />
kaufen, abtragen und in Flugzeugen nach Amerika<br />
schaffen. Wir hegten damals Zweifel, ob auch die<br />
Zeder vor dem Haus mittransportiert werden würde.<br />
Nunmehr hat sich dieser Zweifel gelöst. Der Wiener<br />
Korrespondent der „Augsburger Tagespost“ berichtete<br />
am 8. Dezember 1949 seinem Blatte – und dieses<br />
druckte es getreulich nach - von dem Verkauf des<br />
Hitler-Hauses, seiner Zerlegung in einzelne Bauteile<br />
und seiner Wiederaufstellung in den Vereinigten<br />
Staaten - samt der bewussten Zeder – und wusste<br />
die Mär noch durch manche Details auszuschmücken,<br />
die er sich offenbar als<br />
„Sonderkorrespondent“ eigens in Leonding – aus den<br />
Fingern gesogen hat. Aus der „Augsburger<br />
Tagespost“ ging der sensationelle Bericht in die<br />
„Neue Zeitung“ in München über und tauchte am 28.<br />
Dezember noch einmal im „Hamburger Echo“ auf.“<br />
Die Meldung war bereits am 2. April 1949 von der<br />
Rundschau richtig gestellt worden. 33 Pfarrer Haudum
erichtet, dass er am selben Tage der Zeitungsente<br />
(1. 4. 1949) von einem Landesrat in Linz auf diesen<br />
Vorfall angesprochen wurde – ob denn die Leute<br />
ganz verrückt seien. „Wahr ist, dass die Ami sich für<br />
das Hitlergrab eine Zeitlang interessiert haben.“ 34<br />
Diese Zeitungsmeldungen und das offensichtliche<br />
Interesse beweisen allerdings, dass Hitler immer ein<br />
Thema wert ist, gerne auch benutzt wird, um sich<br />
wichtig zu machen oder auch einmal international zu<br />
punkten. In der Folge wird es von Seiten der<br />
Gemeinde sehr ruhig um das Hitlerhaus – jegliche<br />
Aktivitäten werden im nicht öffentlichen<br />
Gemeindevorstand – später im Stadtrat behandelt.<br />
Die Gemeinde ist bemüht diesbezüglich nicht aufzufallen,<br />
will man doch zweifelhafte „Touristen“ abhalten.<br />
So wird ein Kaufinteresse von einem Journalisten<br />
aus Hamburg in der Stadtratssitzung vom 16. 7. 1981<br />
unter Allfälliges abgetan. 35 Dennoch sind jegliche<br />
Prominentenbesuche immer eine Zeitungsmeldung<br />
wert. So zum Beispiel am 8. Juli 1981 über den<br />
Besuch des angeblichen „Sohnes“ von Adolf Hitler<br />
Jean Loret in Leonding. 36 Oder 1995 als Shirley<br />
MacLaine das Hitler-Haus in Leonding besuchte.<br />
Über ihre Beweggründe wollte sie sich nicht äußern. 37<br />
Ein großes Medieninteresse verursachte eine Dringlichkeitseingabe<br />
an den Gemeinderat Leonding vom<br />
Liberalen Forum unter dem Vorsitz von Gemeinderat<br />
Dorn-Fussenegger vom 29. Februar 2000. Als Leondinger<br />
hätte man die Aufgabe, sich dieses Teils der<br />
Geschichte zu stellen und eine Gedenktafel am sog.<br />
Hitlerhaus anzubringen. 38 Das Thema wurde im<br />
Stadtrat und Gemeinderat in der Folge ausführlich<br />
diskutiert. 39 Begleitet von unzähligen Zeitungsausschnitten,<br />
die einer neuen „Gedenkstätte“, einem<br />
„Haus der Toleranz“ sehr unterschiedlich gegenüber<br />
standen, 40 wurde ein Gutachten von der Universität<br />
Linz – Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik von<br />
Univ. Prof. Dr. Josef Weidenholzer und Dr. Brigitte<br />
Kepplinger eingefordert. 41 Das Gutachten sieht nun<br />
von der Errichtung einer Gedenkstätte ab, da die<br />
Anbringung einer Gedenktafel, dem Haus und dem<br />
Ort eine Bedeutung verleihen würde, die ihm nach<br />
Kenntnis der historischen Zusammenhänge nicht<br />
zukommt. Erinnerungsorte können nicht beliebig<br />
geschaffen und inszeniert werden, sie sollten an<br />
Stätten der Verfolgung und Vernichtung errichtet werden.<br />
42 Aufgrund der abschlägigen Beurteilung richtete<br />
der Bürgermeister ein Abbruchgesuch an das Bundesdenkmalamt,<br />
da die Sanierung des Objektes erheblich<br />
Kosten benötigen würde und für das Gebäude<br />
offenbar kein öffentliches Interesse bestehe. 43<br />
Selbst ein Verein wurde gegründet und eine Unterschriftenaktion<br />
des Liberalen Forums zur Errichtung<br />
einer Gedenkstätte gestartet. Das alles aber ohne<br />
Erfolg, schließlich war im Stadtrat bereits mit eindeutiger<br />
Stimmenmehrheit dieser Antrag abgelehnt worden.<br />
Letztlich wurde das Gebäude unter Einbeziehung<br />
des Denkmalamtes in Wien mithilfe einer<br />
großzügigen Subvention aufwändig saniert und wiederum<br />
als Ort des Leondinger<br />
Bestattungsunternehmens installiert. Das<br />
Nebengebäude, das nachweislich erst 1962 errichtet<br />
worden war, durfte abgerissen werden. 44 Der Antrag<br />
des Liberalen Forums eine weitere Behandlung des<br />
heiklen Themas dem Kulturausschuss zu übereignen,<br />
wurde ebenfalls abgewiesen. 45 Mit 1. Jänner 2003<br />
wurde mit der Bestattung Leonding ein unbefristeter<br />
Mietvertrag unterzeichnet. 46<br />
Der Umgang der Gemeinde als Thema an sich<br />
Oskar Zemme „Heimatland“<br />
„Heimatland ist die groteske Tragödie des Sparvereins<br />
Alpenrose, einer Handvoll gestrandeter Men-<br />
schen, die sich auf den Trümmern ihrer Existenzen<br />
eine kuriose Lebensform aufgebaut haben, die tief in<br />
der Vergangenheit fußt.<br />
Es ist zweifelhaft, ob diese Sparvereinsmitglieder je-<br />
Abb.80 u. 81: Landestheaterprogramm und Artikel in OÖN 4.10.79<br />
133
mals überzeugte Nationalsozialisten gewesen sind –<br />
eher Mitläufer, Opportunisten, Nutznießer-Typen, wie<br />
sie auch heute unter uns leben.<br />
In einer Schnapslaune wird das braune Gespenst<br />
exhumiert. Die „Leiche“ erweist sich jedoch als sehr<br />
lebendiges Gespinst in den Gehirnen der Beteiligten.<br />
Unversehens gerät man in beklemmende Realität.<br />
Dass dabei ein Mensch auf der Strecke bleibt, ist für<br />
sie kein Anlass zur Resignation. Man zieht sich in die<br />
Grenzen des Sparvereins zurück, um vielleicht bei<br />
nächster Gelegenheit wieder vorzupreschen.<br />
Auch der Ortsgendarm arrangiert sich auf seine<br />
Weise. Im Ort ist alles „intakt“.<br />
Leonding ist also nur ein Synonym.“<br />
So spricht der Autor Oskar Zemme (*1931) selbst<br />
über sein Schauspiel, das am 5. Oktober 1979 am<br />
Linzer Landestheater uraufgeführt wurde. In diesem<br />
Stück verfällt eine Stadt in Hitler-Hysterie, nachdem<br />
ein greiser Landstreicher von der Sparvereins-Wirtshausrunde<br />
für den heimgekehrten „Führer“ gehalten<br />
wird. Als Ort der Handlung wurde Leonding gewählt,<br />
was einen medialen Skandal auslöste, weniger weil<br />
hier tatsächlich ein historischer Bezug möglich gewesen<br />
wäre, sondern weil eine Leondinger Gemeindefraktion<br />
die sofortige Absetzung des Stückes verlangte.<br />
„In Leonding ist man gegen Hitler-Bezüge allergisch“,<br />
wurden die Proteste vom Intendanten des<br />
Landestheaters kommentiert. 47 Oskar Zemme wollte<br />
damit aber keinesfalls einen Skandal heraufbeschwören,<br />
sondern lediglich einen Denkanstoß geben<br />
und aufzeigen, dass der „Führer“ in seinem<br />
„Heimatland“ noch recht gegenwärtig ist. 48<br />
Die Ausführungen haben gezeigt, dass in Leonding<br />
der Umgang mit Erbe zeitweilig unbedacht und die<br />
134<br />
Gemeinde in der ersten Zeit offensichtlich damit überfordert<br />
war. Aus der Tatsache heraus, dass sich hier<br />
lediglich eine ehemalige Wohnstätte und das Grab<br />
der Eltern befindet, lässt sich keine Mahnstätte konstruieren,<br />
schließlich handelt es sich nicht um einen<br />
Ort der Tat, d.h. um einen Ort wo Schreckenstaten<br />
begangen wurden. Die missbräuchliche Nutzung des<br />
Ortes von den Nationalsozialisten zu propagandistischen<br />
Zwecken, die Nutznießung für die Gemeinde<br />
und die Taten von Einzelpersonen, sind längst gesühnt<br />
und sollten in den Bereich vollzogener Vergangenheitbewältigung<br />
eingereiht werden, auch wenn<br />
sie niemals vergessen oder verdrängt werden sollten.<br />
Hier hat sich die Gemeinde nach dem Krieg, so wie<br />
viele andere Gemeinden verhalten – wenn nicht gar<br />
noch „genauer“ und „bedachter“. Ob allerdings der<br />
immer wieder diskutierte Abriss des Hitlerhauses der<br />
richtige Weg sein kann, um Ewiggestrige, zweifelhafte<br />
Touristen von der Ortschaft abzulenken und fernzuhalten,<br />
muss hier abgewiesen werden, denn schließlich<br />
lässt sich die Geschichte durch einen Abriss nicht<br />
einfach „beiseite“ schieben.<br />
Viel zielführender ist der Weg, den die Gemeinde in<br />
den letzten Jahren bestritten hat und der schließlich<br />
zu dem Nutzen für die Gegenwart und Zukunft führen<br />
wird, der für die nachfolgenden Generationen einzig<br />
nachvollziehbar sein kann. Nämlich, dass man sich<br />
der Geschichte stellt, diese nicht nur von der eigenen<br />
Bevölkerung, sondern auch von außen stehenden<br />
Forschern aufarbeiten lässt, und so den unbelasteten<br />
Weg in die Zukunft antreten kann.
Anmerkungen<br />
1 Die Auseinandersetzung mit Unkultur / Umgang mit negativem<br />
Erbe wird seit einigen Jahren geführt, scheint aber<br />
hochaktuell zu sein, wie gegenwärtige Forschungsprojekte<br />
beweisen: Matthias Hacklmair: „Die Geburtsstadt Adolf<br />
Hitlers“. Der Umgang der Stadtgemeinde Braunau am Inn<br />
mit dem Stigma der Geburtsstadt Hitlers in der Zeit von<br />
1945 bis 2007. (Diplomarbeit in Vorbereitung. Johannes<br />
Kepler Universität Linz. Institut für Neuere Geschichte und<br />
Zeitgeschichte. Univ. Ass. Dr. Birgit Kirchmayr). – Matthias<br />
Fischerlehner: Leonding 1898-1938-2008. Seminararbeit.<br />
Johannes Kepler Universität Linz. Institut für Sozial- und<br />
Wirtschaftsgeschichte. Nationalsozialismus in der „Provinz“<br />
WS 2007/2008. Univ. Prof. Dr. Michael John. Diese Arbeit<br />
entstand in enger Kooperation mit der Projektleitung<br />
„Spurensuche Leonding 1898-1938-2008“. – Ebenso:<br />
Haider, Margret: (K)a schene Leich in Zwentendorf. Ein<br />
Atomkraftwerk zwischen Altlast und Denkmal. In: bricolage.<br />
Innsbrucker Zeitschrift für Europäische Ethnologie. Heft 3:<br />
Kulturelles Erbe. Innsbruck 2005. S. 163-177. – Schneider,<br />
Ingo: Zur Semantik des kulturellen Erbes. Mehr Fragen als<br />
Antworten. In: bricolage. Innsbrucker Zeitschrift für<br />
Europäische Ethnologie. Heft 3: Kulturelles Erbe. Innsbruck<br />
2005. S. 37-51. – 25. Österreichische Volkskundetagung.<br />
Erb.gut? Kulturelles Erbe in Wissenschaft und Gesellschaft.<br />
Innsbruck 14.11.2007-17.11.2007. bes. der Beitrag von<br />
Peter Egger und Dr. Michaela Haibl (Wien): Unierwünschtes<br />
Erbe. Die „Unkultur“ der Konzentrationslager als kulturelles<br />
Erbe? Tagungsprogramm. Abstracts der Vorträge S. 25-26.<br />
Eine Drucklegung der Beiträgt liegt noch nicht vor.<br />
2 Köstlin, Konrad: Historiographie, Gedächtnis und<br />
Erinnerung. In: Fendl, Elisabeth (Hrsg.): Zur Ikonographie<br />
des Heimwehs. Erinnerungskultur von Heimatvertriebenen.<br />
Freiburg 2002. (= Schriftenreihe des Johannes-Künzig-<br />
Institutes, 6.) S. 11-28. Hier S. 24.<br />
3 Langbein, Ulrike: Erbsachen: Erbprozeß und kulturelle<br />
Ordnung. In: Götsch, Silke; Köhle-Hezinger, Christel (Hrsg.):<br />
Komplexe Welt. Kulturelle Ordnungssysteme als<br />
Orientierung. Münster u.a. 2001. S. 333-341. Hier S. 335.<br />
4 Vgl. hierzu die Vorlesung von Wolfgang Neugebauer und<br />
Brigitte Bailer-Galander. Universität im Wintersemester<br />
2007/2008 „Das Erbe des Natioanlsozialismus. Aspekte der<br />
Geschichte Österreichs nach 1945. Gerhard Tolar sei für die<br />
Überlassung der Niederschrift zur Vorlesung herzlich<br />
gedankt. – Vgl. auch: Sandgruber, Roman: das 20.<br />
Jahrhundert.. Geschichte Österreichs Band VI. Wien 2003.<br />
S. 170 ff, bzw. S. 102 ff.<br />
5 Die Gelegenheit sei hier genutzt für die Einsichtnahme in<br />
die nicht öffentlich zugänglichen Akten der Stadtgemeinde<br />
Leonding zu danken, insbesondere Bürgermeister Dr. H.<br />
Sperl, Franz Danninger und Doris Bäck.<br />
6 Ganglmair, Siegwald: Widerstand und Verfolgung in Linz in<br />
der NS-Zeit. In: Mayrhofer, Fritz; Schuster, Walter (Hrsg.):<br />
Nationalsozialismus in Linz. Band II. Linz 2000. S. 1433.<br />
7 Vgl. Beitrag von G. Tolar über zivile Opfer in Leonding.<br />
8 Ratsarchiv Leonding. Mappe Gemeindeausschuss-<br />
Beschlüsse 1933.<br />
9 Ratsarchiv Leonding a.a.O.<br />
10 Ratsarchiv Leonding. Niederschrift des Sitzungsprotokolls<br />
vom 7.12.1945, sowie vom 3. 11. 1945.<br />
11 Ratsarchiv Leonding. Niederschrift der<br />
Gemeindeausschußsitzung vom 19. 9. 1946.<br />
Sitzungsprotokolle 1945-1947.<br />
12 Ratsarchiv Leonding. Sitzungsprotokoll 1945-1947.<br />
Niederschrift zur Gemeinde-Vorstandssitzung vom<br />
28.8.1947.<br />
13 Ratsarchiv Leonding. Sitzungsprotokolle 1948-1949. S.<br />
152. Sitzungsprotokoll der Gemeindevorstandssitzung vom<br />
8. Juli 1948.<br />
14 Hinweise aus dem Zeitzeugengespräch mit Friederike<br />
Haderer. Dezember 2007.<br />
15 Pfarrchonik, verfasst von Pfarrer Johann Haudum. S. 162.<br />
16 Pfarrchronik a.a.O.<br />
17 Lose beigelegter Zeitungsausschnitt in der Pfarrchronik<br />
datiert mit 20. November 1947. Titel „Eine politische<br />
Demonstration“.<br />
18 Mitteilung des früheren Leondinger<br />
Gendarmeriepostenkommandanten.<br />
19 Ratsarchiv Leonding. Sitzungsprotokolle 1945-1947.<br />
Niederschrift anlässlich der Gemeinde-Vorstandssitzung<br />
vom 24. Juli 1947. S. 85.<br />
20 A.a.O. S. 85-86. Laut Grundbuchsauszug wird das<br />
Gebäude aufgrund des Urteiles des Landesgerichtes für<br />
Strafsachen in Linz als Volksgericht vom 19.12.1951, Bg 10<br />
Vr 6122/47-Hv 232/51, wird das Eigentumsrecht für die<br />
Republik Österreich einverleibt. Als weitere Eintragung findet<br />
sich hier der Vermerk, dass zufolge des Beschlusses des<br />
Landesgerichtes für ZRS. Wien Abt, 49, S 77/52-27 wird die<br />
Eröffnung des Konkurses bei dem der Republik Österreich<br />
verfallenen Vermögen des Martin Bormann angemerkt.<br />
21 Ratsarchiv Leonding. Gemeindevorstands-<br />
Sitzungsprotokolle 1955. S. 124. Niederschrift der Sitzung<br />
des Gemeindevorstandes vom 4. 2. 1955.<br />
22 Ratsarchiv Leonding. Gemeindevorstands-<br />
Sitzungsprotokolle 1955. S. 134. Niederschrift der Sitzung<br />
des Gemeindevorstandes vom 22.3.1955.<br />
23 Ratsarchiv Leonding. Gemeindevorstands-<br />
Sitzungsprotokolle 1960. S. 697-698, S. 719 und 758.<br />
24 Ratsarchiv Leonding. Gemeindevorstands-<br />
Sitzungsprotokolle 1962. S. 59-60. Vorstandsitzung vom 2.<br />
Juli 1962.<br />
25 Inzwischen war eine neue Hausnummerierung eingeführt<br />
worden. Das Gebäude Leonding Nr. 61 ist ident mit<br />
Michaelsbergstr. 16.<br />
26 Ratsarchiv Leonding. Gemeindevorstands-<br />
Sitzungsprotokolle 1970. S. 42. Vgl. auch die<br />
Zeitungsmeldung vom Linzer Volksblatt vom 8. 10. 1969.<br />
„Was geschieht mit Hitlers Elternhaus? Haus beim<br />
Leondinger Friedhof wird frei: Der Gemeindearzt zieht aus in<br />
eine neue Ordination, es wird die Frage akut, was mit diesem<br />
Haus geschieht. Es gibt Pläne für eine Umbau zu<br />
135
einem Kindergarten oder aber, es wegzureißen und an diese<br />
Stelle nahe dem Leondinger Ortszentrum ein Hochhaus zu<br />
errichten. Die Entscheidung steht noch aus.“<br />
Gemeindechronik Band 2. S. 448.<br />
27 Ratsarchiv Leonding. A.a.O. S. 140-141. Sitzung vom<br />
19.10. 1970: S. 149-150. Sitzung vom 11.11.1970.<br />
28 A.a.o. S. 150.<br />
29 Leider ist der dazugehörige Akt im Bundesdenkmalamt<br />
Oberösterreich nicht vorhanden.<br />
30 Ratsarchiv Leonding.<br />
Gemeindevorstandssitzungsprotokolle 1976. S. 176-179.<br />
31 Oberösterreichische Nachrichten. Meldung vom 4. März<br />
1976. S. 7. Vgl. aber auch Gemeinderatsprotokolle 1970.<br />
Verhandlungsschrift über die öffentliche Sitzung des<br />
Gemeinderates vom 23. 11. 1970. S. 226-227.<br />
32 Gemeindechronik Band 2. S. 168.<br />
33 Aprilscherze sind langlebig. Linzer Volksblatt vom 7. 1.<br />
1950. Pfarrchronik S. 188.<br />
34 Pfarrchronik S. 188.<br />
35 Ratsarchiv. Stadtrat 1981. Verhandlungsschrift über die<br />
nicht öffentliche Sitzung des Stadtrates der Stadtgemeinde<br />
Leonding vom 16. 7. 1981. S. 313.<br />
36 Oberösterreichische Nachrichten vom 8. 7. 1981. S. 7.<br />
„Hitlers „Sohn“ in Leonding.<br />
37 Oberösterreichische Nachrichten. Linz: Extra vom<br />
9.3.1995. S. 6.<br />
38 Ratsarchiv. Gemeinderat Jänner-Mai 2000.S. 184.<br />
39 Ratsarchiv. Stadtratsprotkolle Verhandlungsschrift vom<br />
23. 3. 2000. S. 137-143.; Verhandlungsschrift vom 22. 5.<br />
2000. S. 226ff. Gemeinderatsprotokolle Jänner – Mai 2000.<br />
vom 29. 2. 2000. S. 286-288.<br />
40 Oberösterreichische Nachrichten vom 7. 3. 2000. S. 16.<br />
„Diskussionen um Mahntafel“ - Oberösterreichische<br />
Nachrichten vom 16.3.2000. Seite Nachrichten. –<br />
Oberösterreichische Nachrichten vom 25. 3. 2000. S. 23.<br />
„Keine Tafel für Hitlerhaus“ – Oberösterreichische<br />
Nachrichten vom 30. 3. 2000 „Hitler-Haus: „Nichts wird<br />
136<br />
gemacht!“ – Oberösterreichische Nachrichten vom 11. 4.<br />
2000 S. 14 und 27. von Eike-Clemens Kullmann „Neuer<br />
Anlauf um Hitler-Haus-Nutzung.“ – Oberösterreichische<br />
Nachrichten vom 18. 5. 2000 „Hitler-Haus: LIF lässt nicht<br />
locker“ – „Toleranz-Haus“ für Leonding. Oberösterreich<br />
Krone März 2000. S. 31. - Oberösterreichische Nachrichten<br />
vom 20. 3. 2002. S. 16. Eberhard Gstöttner: „Hitler-Haus<br />
wird Heimstätte der Leondinger Totengräber“. –<br />
Oberösterreichische Nachrichten vom 7.3. 2002 „Hitler-Haus<br />
wird saniert“ – Salzburger Nachrichten vom 20. 3. 2002 S. 5<br />
„Hitlers Wohnhaus: Abriss oder Sanierung“ –<br />
Oberösterreichische Nachrichten vom 19.3.2002 Leserbrief<br />
von Dr. Claudia Müller-Wechselberger, Leonding „Weg mit<br />
Hitler-Haus“ – Gemeindebrief Leonding Folge 156. Juli<br />
2002. – Gemeindebrief Leonding Folge 158 November<br />
2002. Darüber wurde aber auch im Internet international<br />
reflektiert: London, September 27, 2000 „Dilapidated structure<br />
is being renovated as coffin warehouse“ by George Jahn.<br />
(Adolf Hitler and Real History)<br />
41 Akte des Bundesdenkmalamtes Oberösterreich. Linz<br />
Land. Leonding. Michaelsbergstr. 16, Hochstr. 2.<br />
42 Das Gutachten wurde mit Datum vom 18. 10. 2000 an die<br />
Stadtgemeinde übermittelt. Vgl. Akte des<br />
Bundesdenkmalamtes a.a.O.<br />
43 Schreiben vom 11. Dezember 2000 an den<br />
Landeskonservator. Akte des Bundesdenkmalamtes a.a.O.<br />
44 Akte des Bundesdenkmalamtes Oberösterreich. A.a.O.<br />
45 Zuweisung des Themas „Hitler-Haus“ an den<br />
Kulturausschuss – Antrag des Liberalen Forums.<br />
Gemeinderatsprotokolle Jänner – Mai 2000. S. 370-373,<br />
390.<br />
46 Stadtratsprotokolle Juni – Dezember 2002. Sitzung vom<br />
5. Dezember 2002. Tagesordnungspunkt Nr. 9.<br />
47 Lehr, Rudolf. Landeschronik Oberösterreich. Wien 2000.<br />
S. 456.<br />
48 Programmheft zur Aufführung 1979. Vgl. die<br />
Zeitungsberichte: Kammesberger, Ursula: Proteste aus der<br />
Nachbarstadt. Vor der Uraufführung von Oskar Zemmes<br />
„Heimatland“ in Linz. Volksblatt 4.10.1979. – Störend für die<br />
VP-Leonding. „Heimatland“-Aufführung am 5. Oktober in<br />
Linz. Neue Zeit 4.10.1979. – Kammesberger, Ursula:<br />
Verfrühter Protest. Volksblatt 4.10.1979. – Leonding:<br />
Aufregung über ein Hitler-Stück. VP der Stadt protestiert<br />
gegen „Heimatland“ – Aufführung Freitag. Salzburger<br />
Nachrichten 4.10.1979. - Helfmann, Gabriel: Auferstehung<br />
im Heimatland. Zemme-Uraufführung in den Linzer<br />
Kammerspielen. Kronen-Zeitung 7.10.1979. - Sonvico,<br />
Werner: „Der is hin, Gott sei Dank!“ Hitlers Wiederkehr in<br />
den Kammerspielen. Oberösterreichisches Tagblatt<br />
8.10.1979. – Schwabeneder, Franz: Panoptikum fürs Landl.<br />
Oskar Zemmes Groteske „Heimatland“ wurde im<br />
Landestheater Linz uraufgeführt. Oberösterreichische<br />
Nachrichten 8.10.1979. - Kraml, Karin: Jugendliche und<br />
„Führer“. Die Furche 17.10.1979. – Die Gelegenheit sei hier<br />
genutzt dem Archivar des OÖ Landestheaters für die<br />
Bereitstellung der Unterlagen zu danken.
DIE AUSEINANDERSETZUNG MIT<br />
DER GESCHICHTE IN LEONDING<br />
„Nachklang - Widerhall“<br />
Am Freitag, den 11. Mai 2007 konnte unter dem<br />
Ehrenschutz des Bundespräsidenten Dr. Heinz<br />
Fischer ein Projekt von Kult-Ex, einer Kulturinitiative,<br />
vor großem Publikum eröffnet werden. Hinter Kult-Ex<br />
stehen Sabine Belezanski, Michael Dunzendorfer,<br />
Ajnita Eyth, Thomas Hinterberger, Andrea Hummer,<br />
Bernhard Hummer, Regina Klambauer, Doris Schuller.<br />
Der Entwurf für die Stele stammt von Georg<br />
Lindorfer und die Keramik von Monika Hinterberger.<br />
NACHKLANG-WIDERHALL ist ein Klang-Denkmal<br />
am Alten Kirchenplatz in Leonding bei Linz (Oberösterreich)<br />
zur Erinnerung an die Verfolgung, Vertreibung,<br />
Vernichtung und den Widerstand von Jüdinnen<br />
und Juden, Roma, Sinti und Jenischen, behinderten<br />
Menschen, Angehörigen von Religionsgemeinschaften,<br />
Deserteuren, Homosexuellen,<br />
Kriegsdienstverweigerern, Kriegsgefangenen,<br />
politischen GegenerInnen, ZwangsarbeiterInnen<br />
und allen anderen Opfern des Nationalsozialismus.<br />
Zu hören sind Texte von: Michael Amon, Heimrad<br />
Bäcker, Bogdan Bogdanovic, Franzobel, Karl-Markus<br />
Gauß, Eva Geber, Elfriede Gerstl, Sabine Gruber,<br />
82<br />
Henriette Haill, Josef Haslinger, Elfriede Jelinek,<br />
Eugenie Kain, Franz Kain, Leo Katz, Alois Kaufmann,<br />
Ruth Klüger, Walter Kohl, Traude Korosa, Theodor<br />
Kramer, Ludwig Laher, Gitta Martl, Martin Pollack,<br />
Christian Qualtinger, Doron Rabinovici, Schoschana<br />
Rabinovici, elisabeth Reichart, Erwien Riess, Kathrin<br />
Röggla, Stella Rotenberg, Gerhard Ruiss, Robert<br />
Schindel, Simone Schönett, Ceija Stojka, George<br />
Tabori, Peter Turrini, Vladimir Vertlib, Susanne<br />
Wantoch, Ruth Weiss und Rosa Winter.<br />
Zum Hintergrund:<br />
In Leonding befinden sich zwei Kriegerdenkmäler für<br />
die Gefallenen und Vermissten des Zweiten und auch<br />
des Ersten Weltkriegs an einem symbolträchtigen Ort:<br />
Mitten im Zentrum, am Alten Kirchenplatz, der unmittelbar<br />
in den Eingang zum Friedhof mündet, wo sich<br />
das Grab von Hitlers Eltern befindet und in der Nähe<br />
des Wohnhauses, wo Adolf Hitler von 1898 bis 1904<br />
lebte.<br />
Was bisher fehlt, ist eine symbolische Imagination der<br />
historischen und gesellschaftlichen Realitäten des<br />
Nationalsozialismus und seiner Verfolgungs- und<br />
Vernichtungspolitik. Diese hat vor allem in Oberösterreich<br />
mit dem Konzentrationslager Mauthausen<br />
und den vielen Nebenlagern sowie mit der Tötungsanstalt<br />
Hartheim nachhaltige Spuren hinterlassen. Im<br />
Gedächtnis der Stadt Leonding haben die Opfer bisher<br />
keinen Platz gefunden. Die Leidensgeschichte,<br />
der Widerstandskampf und die Warnung an die Nachgeborenen<br />
warten noch unverändert auf eine deutlich<br />
wahrnehmbare Erzählung.<br />
Stellvertretend für Opfer, denen dieser Status lange<br />
Jahre verweigert wurde, sei hier auf Deserteure und<br />
die vom Nationalsozialismus als „Asoziale“ bezeichnete<br />
Gruppe der Obdachlosen und Fürsorgebedürftigen<br />
verwiesen. Auch die „Kinder vom Spiegelgrund“,<br />
die der Menschen verachtenden NS-Medizin zum<br />
Opfer gefallen waren, wurden jahrzehntelang nicht<br />
anerkannt.<br />
Von den Frauen, die Opfer des Nationalsozialismus<br />
waren, ist in der österreichischen Erinnerungskultur<br />
wenig zu hören. Dies betrifft vertriebene und ermordete<br />
Jüdinnen, ermordete und zwangssterilisierte<br />
Romnia, Sintiza und Jenische, Frauen mit körperli-<br />
137
cher oder psychischer Beeinträchtigung, verschleppte<br />
Zwangsarbeiterinnen, Frauen, die Opfer organisierter<br />
Vergewaltigung in so genannten „Wehrmachtsbordellen“<br />
wurden, ebenso wie Widerstandskämpferinnen<br />
und Partisaninnen.<br />
NACHKLANG-WIDERHALL zielt auf Sichtbarkeit ab<br />
und erweitert diese um akustische Wahrnehmungszugänge.<br />
Die 3 Meter hohe Klangsäule ist eine künstlerisch<br />
gestaltet Installation, die sich dem flüchtigen<br />
Blick widersetzt. Die Opfer des Nationalsozialismus<br />
haben in den Texten der AutorInnen eine Stimme<br />
gefunden und sind auf Doppel-CD erschienen (ISBN<br />
978-3-200-00877-9). Weitere Informationen siehe:<br />
www.nachklang-widerhall.at<br />
Abb.82 u. 83: Klangstele hinter 44er Haus in Leonding<br />
138<br />
Das Projekt der HTBLA Leonding<br />
Der offene und freie Umgang mit der eigenen Geschichte;<br />
die Aufklärung und Kenntnis über mögliche<br />
Folgen von Faschismus und Diktatur muss in jungen<br />
Jahren beginnen. Aus diesem Grund ist es immer<br />
wieder wichtig, derartige Themen Jugendlichen nahe<br />
zubringen und über die Folgen zu informieren. Sämtliche<br />
Schulen in Leonding wurden im Sommer 2007<br />
eingeladen, sich kreativ bei dem Projekt „Spurensuche<br />
Leonding 1898-1938-2008“ einzubringen.<br />
Ganz bewusst wurde auch die Art und Weise einer<br />
Beteiligung offen gehalten. Projektbeteiligungen konnten<br />
im Rahmen einer Geschichtswerkstatt, Zeitzeugenbefragung,<br />
eigenen Ausstellungsteilen oder<br />
eigenen Kunstprojekten stattfinden. Das Projekt der<br />
5. AHDVM (Medientechnik) der HTBLA Leonding soll<br />
hier eine eigene Darstellung finden.<br />
Geschichte „Ausarbeiten“<br />
„Als 3. Generation nach dem Zweiten Weltkrieg ist es<br />
für uns interessant gewesen, die Möglichkeit zu bekommen,<br />
sich mit diesem Thema auseinander zu setzen.<br />
Das Spannende an diesem Projekt ist das Erleben<br />
der Geschichte im Zusammenhang mit dem<br />
Heimatort beziehungsweise dem Schulort.“<br />
Bericht zur Ideenfindung von Florian Gnadlinger<br />
Nachdem die Teilnahme am Projekt „Spurensuche<br />
Leonding 1898-1938-2008“ fixiert war, veranstaltete<br />
der Klassenvorstand der Maturaklasse 2007/2008<br />
Frau Mag. Elisabeth Auberger, einen klasseninternen<br />
Ideenwettbewerb. Hier wurden alt bewährte Dinge,<br />
wie Interviews von Zeitzeugen oder kurze Dokumentarfilme<br />
diskutiert. Aber allen war bewusst, dass<br />
etwas Spektakuläres, eine tiefsinnigere Idee gesucht<br />
wurde.<br />
Die zweifellos spektakulärste Idee war fraglos, das<br />
Wohnhaus der Familie Hitler in Leonding, im Sinne<br />
des berühmten Künstlers Christo zu verhüllen! Jedoch<br />
war uns gleich klar, dass diese Aktion zu „spektakulär“<br />
geworden wäre und Leonding in ungewollte<br />
Schlagzeilen gebracht hätte. Man merkt, dass bei dieser<br />
Ideenfindung viel angedacht und besprochen<br />
wurde. In dieser Diskussion wurden immer wieder<br />
Sprachbilder verwendet, wie „den Dingen auf den<br />
Grund gehen!“ oder „man muss tief schürfen um verdrängte<br />
Vergangenheit freizulegen“. Ein Geistesblitz<br />
brachte mich auf die Idee, diese Sprachbilder wörtlich<br />
zu nehmen. Das Konzept war also nun da, und wir<br />
versuchten eine „Archäologische Fundstelle“ abzubilden.<br />
Aus diesem Konzept entstand dann unser Ausstellungsstück.<br />
Dieses zeigt Bilder aus dem Jahr<br />
1938 die unter Sand vergraben sind. Diese können<br />
und sollen von den Besuchern „wieder“ entdeckt werden.<br />
Für uns junge Generation bedeutet diese Möglichkeit<br />
der Auseinandersetzung mit diesem Thema<br />
sehr viel. Besonders da unsere Eltern den Krieg nicht<br />
mehr miterlebt haben und die letzten Zeitzeugen die<br />
uns davon berichten können eine verschwindend kleine<br />
Zahl angenommen haben. Solche Projekte sind<br />
also sehr wichtig für meine Generation denn wir wollen<br />
„den Dingen auf den Grund gehen“ „tief schürfen…“<br />
„….um gegen das Vergessen anzukämpfen“<br />
„denn nichts ist schlimmer als nichts aus der<br />
Vergangenheit gelernt zu haben“.<br />
Bericht zur Umsetzung von Philipp Täubel<br />
Nach der Ideenfindung haben wir ein Team gegründet,<br />
das unter der Projektleitung von Jürgen Kleiß,<br />
noch von Florian Gnadlinger, Stefan Bodenski,<br />
Philipp Rößler, Fabian Weickl und Philipp Täubel<br />
unterstützt wurde.
Abb.84: Installationsentwurf der HTL Leonding<br />
Wie sind wir von der Idee zum fertigen Objekt<br />
gekommen? Es stellten sich einige Fragen, wie z.B.:<br />
- Wie setzen wir es um? - Welche Fragen zu Leonding<br />
wollen wir stellen? und von wo bekommen wir<br />
die Informationen dafür? - Welche Bilder werden wir<br />
dazu zeigen? und wo werden wir diese finden?<br />
Die ersten Kontakte hat Fr. Prof. Auberger über Herrn<br />
Nöhmayer, den damaligen Leiter der Kulturstelle in<br />
Leonding angebahnt. Nach einer kurzen Besprechung<br />
stellte sich heraus, dass unsere eigentlichen<br />
Ansprechpartnerinnen Fr. Judith Wurst-Varjai vom<br />
Turmmuseum und Fr. Dr. Thekla Weissengruber vom<br />
Schlossmuseum sind. Nun, nachdem wir eine Besprechung<br />
mit Fr. Wurst und Fr. Dr. Weissengruber<br />
im Turmmuseum mit anschließender Privatführung<br />
hatten, wurde die Vorgehensweise wie wir zu unserem<br />
fertigen Objekt kommen schon sehr klar.<br />
Denn ein Tisch in perfekten Maßen stand leer und<br />
würde für uns aufbereitet werden. Somit mussten wir<br />
uns nun nur noch um den Inhalt des Tisches kümmern.<br />
Hierzu nahmen wir Kontakt mit Herrn Asen und<br />
Herrn Marwan auf, der uns freundlicherweise Einblick<br />
in das Stadtgeschichte Buch Leondings gewährte,<br />
was mich als Leondinger auch interessierte, aus dessen<br />
Inhalt wir die geeigneten Bilder und<br />
Informationen heraussuchten und sie in digitale und<br />
geeignete Form brachten. Aus den Informationen<br />
haben wir Fragen geformt und Jürgen Kleiß hat das<br />
Design, also den Hintergrund des Tisches entwickelt<br />
und die einzelnen Elemente darauf angeordnet. Nach<br />
letzten Besprechungen mit Fr. Wurst und Fr. Dr.<br />
Weissengruber war es endlich knapp vor der Matura<br />
doch noch vollbracht und unser Projekt war fertig<br />
gestellt.<br />
139
140
Bildnachweis (fortlaufende Nummerierung)<br />
Heimatkundliche Sammlung Leonding<br />
Abb. S. 12, Abbildungen Nr. 1, 2, 14, 24, 26; 28, 29,<br />
30; 31; 32, 33, 34, 35, 36, 39, 40, 42, 43, 44, 45, 46,<br />
47, 48, 49, 50, 51, 52, 54, 56, 59, 60, 61-70 S. 106,<br />
Nr. 76, 78, 79<br />
Bayerische Staatsbibliothek München<br />
Fotoarchiv Hoffmann<br />
Abb. S. 25, Abb. S. 79, Abbildungen Nr. 6, 7, 8, 9, 10,<br />
11, 12, 13, 41, 77<br />
Oberösterreichisches Landesarchiv<br />
Aufnahme G. Tolar<br />
Abb. Nr. 3, 4 5, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 73, 74<br />
Stadtmuseum Linz NORDICO<br />
Aufnahme J. Wurst-Varjai<br />
Abb. Nr. 53, 57, 58<br />
Oberösterreichisches Landesmuseum / Bibliothek<br />
Abb. Nr. 2, 37, 38<br />
Oberösterreichisches Landesmuseum<br />
Graphische Sammlung<br />
Abb. Nr. 55<br />
Aufnahme J. Wurst-Varjai<br />
Abb. Nr. 23, 25, 27, 82, 83<br />
Aufnahme G. Tolar<br />
Abb. Nr. 71, 72a, 72b<br />
Aufnahme T. Weissengruber<br />
Abb. Nr. 75<br />
Oberösterreichische Nachrichten Archiv<br />
Abb. Nr. 81<br />
Archiv des Landestheaters Linz<br />
Abb. Nr. 80<br />
Archiv Verena Wagner<br />
Abb. Nr. 16<br />
Linz Aktiv / Archiv Michael John<br />
Abb. Nr. 15<br />
HTL Leonding<br />
Abb. Nr. 84<br />
141