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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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verständlich zu machen. Er beschreibt sich mit Worten, formuliert sich mit Kategorien; das sind die<br />

Kategorien seiner Philosophie. Alles wird theoretisch und symbolisch.“ 27<br />

Agnes Heller versucht in ihrem großen spekulativen Essay, Irma Seidler und Georg Lukács<br />

verständlich zu machen, ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Und sie unternimmt es zugleich,<br />

doch noch eine Rechtfertigung für Lukács’ Entscheidung für das Werk und gegen das Leben zu<br />

finden, durch alle Paradoxien hindurch, ahnend, dass es hier tatsächlich um das Ganze von Lukács’<br />

Werk und d<strong>am</strong>it um die eigene philosophische Herkunft geht. „Irma ist zum Mittel des Werkes<br />

geworden, obwohl Georg Lukács sie nicht zum Mittel machen wollte. Und wenn man sich dem<br />

Leben von den Formen her nähert, ist es unmöglich es nicht als Mittel zu benutzen. Aber: das sittliche<br />

Gesetz lebt und ist gültig. Das sittliche Gesetz fordert: der Mensch soll für den Anderen nicht zu<br />

einem bloßen Mittel werden.“ 28 So hat Lukács die Wirklichkeit Irma Seidlers neu gedichtet, zu einem<br />

Mythos gestaltet, und dessen Variationen erprobt. Agnes Heller, Lukács’ Schülerin, kann nicht<br />

anders, als zu versuchen, diesen Mythos gleichzeitig zu demontieren und ihn zu legitimieren, im<br />

Dienste eines Höheren, dem Ziel der Sehnsucht: „Bewohnbare Institutionen. Bewohnbare Welt. Eine<br />

von stolzen Menschen bevölkerte Welt. Das Versprechen von Karl Marx. Georg Lukács hat seine<br />

Liebe in sein Werk hineingedichtet, und das war seine Tragödie. Aber diese Tragödie hat er in sein<br />

Leben hineingebaut.“ 29 Irma Seidler, die ihr Leben nicht in ein Werk zu verwandeln vermochte und<br />

der auch die Flucht in die Ehe (sie heiratete Ende 1908 den Maler Károly Réthy) nicht gelang, hat<br />

„ihrer Tragödie im Tod Form verliehen“. 30 Doch mit diesen Worten fällt sie schließlich auch aus<br />

Agnes Hellers Essay heraus oder: sie wird ein anderes mal unter einer Deutung ihrer Existenz<br />

begraben, als ein „leuchtender Schatten“.<br />

Am 30.12.1907, kurz nach ihrer ersten Begegnung, hatte Irma Seidler Lukács geschrieben: „Ich<br />

möchte das von Ihnen mir auferlegte Maß ausfüllen können.“ 31 Sie wusste nicht, welches<br />

Versprechen sie d<strong>am</strong>it gab. Im Frühjahr fährt sie nach Florenz, um sich dort mit Lukács zu treffen,<br />

der von Leo Popper begleitet wird. Die Begegnung in Florenz, die wenigen Momente der<br />

27<br />

Heller, „Das Zerschellen des Lebens an der Form“, S. 81.<br />

28<br />

Ebd., S. 96. Lukács schrieb später in seinem Tagebuch: „Ich darf ihr [gemeint sind Irma und Leo] Schicksal nie<br />

als Komponente meines Schicksals fassen - ich darf (und kann wohl auch nicht) nie über die Sinnlosigkeit ihres<br />

Sterbens hinwegkommen.“ (Lukács, Tagebuch, S. 41. Eintrag vom 27.10.1911)<br />

29<br />

Ebd., S. 97f.<br />

30<br />

Ebd., S. 97.<br />

31<br />

Irma Seidler an Georg Lukács, 30.12.1907, in: Lukács, Briefwechsel, S. 31.<br />

81

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