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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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festen Glauben Ausdruck zu geben, wonach die Schriften von Georg Lukács Lebensbewältigungen<br />

sind [...].“ 14<br />

Lukács wollte freilich mehr als „Lebensbewältigungen“. Ihm ging es um den Durchbruch zur<br />

Totalität 15 , auch auf der Spur des Vorläufigen und des Mangels, der Sehnsucht nach dem Ganzen,<br />

als die der Essay ihm erschien. „Es gibt nichts Richtiges im Falschen“, diesen apodiktischen Schluss<br />

Adornos in den Minima Moralia, jener negativen Ontologisierung des „Ganzen“, nahm Lukács auf<br />

radikale Weise vorweg, bezog ihn auf jeden Moment dessen, was er als „wesentliches Leben“ 16 der<br />

bürgerlichen Entfremdung entgegensetzte. Diese Unbedingtheit wird der Nachwelt des Philosophen<br />

zur unerträglichen Herausforderung, und so erweist sich die Tragödie Irma Seidlers als negative<br />

Urszene von Lukács’ Philosophie.<br />

Irma Seidler hatte die Romanze mit dem Philosophen im Herbst 1908 „beendet“ um sich, wie sie<br />

hoffte, aus auswegloser Situation zu retten. Doch der Versuch der Rettung endete tödlich und so<br />

wurde sie, wurde Irma, wurde ihr Tod zum Gegenstand vieler Aufsätze und literarischer Versuche,<br />

wurde zur Form. 17<br />

Jener Essay über Kassner, den Lukács Irma Seidler in Budapest vorlas, bevor sie im Juli 1908 für<br />

einige Zeit in die Malerkolonie Nagybánya im Süden des d<strong>am</strong>aligen Ungarns fahren wollte, entfaltet<br />

eine Typologie des ästhetischen Menschen. Kassner sei unter den Lebenden der einzige Kritiker,<br />

„der seine Altäre selber aufsucht, der selber auswählt, was er opfern will, d<strong>am</strong>it er Geister nur<br />

solcher Menschen heraufbeschwöre, die seine Fragen beantworten können; er ist keine<br />

lichtempfindliche Platte für die vom Zufall ihm hingespielten Eindrucksmöglichkeiten“. 18 Kassner sei<br />

ganz Souverän in der Wahl seines Gegenstandes. Und die Menschen, die er in seinen Schriften<br />

auftreten lasse, ließen sich, so Lukács, in zwei „Menschentypen“ scheiden: „der schaffende Künstler<br />

14 In: Lukács, Briefwechsel, S. 109.<br />

15 Vgl. Kishik Lee, Sehnsucht nach Heimat. Zur Entstehung des Totalitätsbegriffes in den Frühschriften von<br />

Georg Lukács [= Saarbrücker Hochschulschriften, 14, Literaturwissenschaft]. St. Ingbert: Werner J. Röhrig Verlag,<br />

1990.<br />

16 Vgl. Ernst Keller, Der junge Lukács. Antibürger und wesentliches Leben. Literatur- und Kulturkririk 1902-<br />

1915. <strong>Frankfurt</strong> <strong>am</strong> <strong>Main</strong>: Sendler, 1984.<br />

17 Vgl. neben dem Essay von Agnes Heller z.B. András Nagy, Kedves Lukács. Romanessay. Budapest: Magvetö,<br />

1984.<br />

Jenseits von spekulativen philosophischen oder literarischen Deutungen hat Júlia Bendl die Beziehung zwischen<br />

Lukács und Irma Seidler - an der ganzen Breite der nachprüfbaren Quellen orientiert - minutiös dargestellt: Júlia<br />

Bendl, „Az ‘Irma-ügy’. Lukács György és Seidler Irma kapcsolatának tényei“ [Der ‘Fall-Irma’. Die Tatsachen der<br />

Beziehung zwischen Georg Lukács und Irma Seidler], in: Világosság [Helle], H. 10 (1988), S. 674-680. Siehe auch<br />

das entsprechende Kapitel in Júlia Bendl, Lukács György élete, S. 103-123.<br />

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