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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Worringers „animistische“ Theorien über das „unheimliche Pathos [...] der Verlebendigung des<br />

Anorganischen“ 160 , jenes „entsetzliche [...] nicht-organische Leben der Dinge“ 161 , und auch seine<br />

Beobachtungen über „geistige Raumscheu“ 162 und Verdinglichung blieben ohne Fortsetzung und sind<br />

erst in jüngster Zeit, wie bei Deleuze, wieder einer aktualisierenden Lektüre unterzogen worden.<br />

Einen Beitrag zum neuen optischen Medium, zur Ästhetik des Films, hat Wilhelm Worringer selbst<br />

nicht geliefert. Und Sergej M. Eisenstein, der den Film als Entdeckung neuer Dimensionen des<br />

„sinnlichen Denkens“, der Einheit von Wissenschaft und Kunst propagieren sollte, war noch fern.<br />

Von der Sinnlichkeit „unaussprechbarer Gedanken“ schrieb Worringer schon 1911 auch in einem<br />

Brief an eben jenen Georg Lukács, der ihn 1934 schließlich als spätbürgerlichen, als<br />

hochkapitalistischen „Fluchtideologen“ der Vorkriegszeit verspotten wird. 163<br />

Lukács hatte ihm ein Exemplar seiner Essays<strong>am</strong>mlung Die Seele und die Formen 164 zugesandt und<br />

Worringer antwortete ihm mit verstiegener Verehrung. „Statt eines Briefes möchte ich Ihnen eine<br />

Walze zuschicken, eine Walze, die für den Rhythmus unausgesprochener und unaussprechbarer<br />

Gedanken empfindlich ist. So sieht der Trancezustand aus, in den mich Ihre Essays versetzt haben.<br />

Alles was Sie schreiben, hatte für mich die Wahrheit spiritistischer Materialisationen, die man mit<br />

verhaltenem Atem werden sieht, wohl wissend, daß es nur Sekunden sind, in denen das Unmögliche<br />

möglich wird - und durch alle wechselnden Gestalten hindurch erlebte ich als beglückendstes<br />

Erlebnis: meine eigene Materialisation. [...] Vielleicht schreibe ich Ihnen ein andermal Verständigeres<br />

und Direkteres...“ 165<br />

160 Worringer, Abstraktion und Einfühlung, S. 74.<br />

161 Vgl. Deleuze, Das Bewegungs-Bild, S. 77.<br />

162 Worringer, Abstraktion und Einfühlung, S. 16.<br />

163 Vgl. Lukács, „‘Größe und Verfall’ des Expressionismus“, S. 159. Ebenfalls 1934 schrieb Lukács in „Kunst und<br />

objektive Wahrheit“ über Worringer, seine Prätention, die Objektivität der Kunst zu begründen, sei „sehr<br />

bezeichnend für die Theorien der imperialistischen Periode, die nie offen auftreten, sondern ihre Tendenzen stets<br />

in einer Maskierung darbieten.“ (Georg Lukács, „Kunst und objektive Wahrheit“, in: ders., Probleme des<br />

Realismus. Berlin: Aufbau, 1955, S. 13)<br />

164 Georg Lukács, Die Seele und die Formen. Essays. Berlin: Egon Fleischel & Co, 1911. Lukács’ Essays waren,<br />

nach einer ungarischen Ausgabe im Jahre 1910, im Herbst 1911 in deutscher Sprache erschienen. Lukács hatte sie<br />

an zahlreiche Freunde und potentielle Rezensenten verschickt bzw. verschicken lassen, so z.B. an Georg Simmel,<br />

Paul Ernst, Max Weber, Martin Buber, Franz Blei, Julius Bab, Ernst Bloch, Emil Lask, Karl Mannheim, Margarete<br />

von Bendemann, Oswald Külpe, Ernst Troelsch, Carl Neumann, Ernst Robert Curtius, Alfred Weber, Felix Bertaux,<br />

Leopold Ziegler und Franz Baumgarten.<br />

165 Wilhelm Worringer an Georg Lukács, 29.12.1911, in: Lukács, Briefwechsel, S. 266. Zwei Tage später schrieb<br />

Ernst Bloch an Lukács: „Kennst Du Worringers: ‘Formprobleme der Gotik’? Darin steht manches Feine über den<br />

gotischen Stil, als nordischen Klassik und (wie ich meine) das Barock als der neugeistlich verweltlichten<br />

Abschlagszahlung einer neuen nordischen Klassik und jetzt architektonisch wie philosophisch erscheinenden<br />

absoluten gothischen Klassik.“ (Ernst Bloch an Georg Lukács, 31.12.1911, in: Lukács, Briefwechsel, S. 267)<br />

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