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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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könnte, die aber zugleich Bedingung seiner Stellung gegenüber dem Weltganzen bleibe. 140 Und d<strong>am</strong>it<br />

bleibe der Mensch auch darauf angewiesen, die Objekte der Außenwelt aus ihrer Willkürlichkeit und<br />

Zufälligkeit, „aus dem Naturzus<strong>am</strong>menhang, aus dem unendlichen Wechselspiel des Seins<br />

herauszureißen“ 141 , es in abstrakten Formen zu verewigen und Ruhepunkte in der Flucht der<br />

Erscheinungen, in den Worten Riegls: „kristallinische Schönheit“, zu schaffen. So findet der<br />

Abstraktionsdrang seinen Gegenstand und Ausdruck in der Objektwelt des Anorganischen,<br />

Geometrischen und Worringer den bevorzugten Gegenstand seiner Theorie in der Orn<strong>am</strong>entik, also<br />

einem bis dato eher vernachlässigten Bereich der Kunst. 142 Ausgehend von geometrischen Mustern<br />

und Flechtbandmotiven interpretiert er „jenes heimische Kunstwollen [...], für das wir als kürzeste<br />

Formel fanden: gesteigerter Ausdruck auf anorganischer Grundlage“ 143 , jenes „gesteigerte Pathos,<br />

das in aller mechanischen Nachahmung organischer Funktionen, so z.B. in den Marionetten zum<br />

Ausdruck kommt“ 144 und schließlich in der gotischen Kathedrale „zur Apotheose komme“. 145<br />

Worringers Theorie gipfelt in der Interpretation des „nordisch-gotischen Formwillens“ 146 , den er<br />

1911 in Formprobleme der Gotik, als kämpferischen Gegenbegriff zu dem der Klassik, zu einem<br />

überhistorischen Ausdruck der europäischen Kultur schlechthin zu „universalisieren“ sucht, mit<br />

unüberhörbaren hegemonialen Untertönen. Worringers Geschichte der „geheimen Gotik“ 147 , von der<br />

frühnordischen Orn<strong>am</strong>entik „bis hinauf in unsere Zeit“ 148 , hat gegenüber der Dissertation von 1907 an<br />

Schärfe gewonnen. So besitzt die Gotik für ihn nun den Charakter einer „zeitlose[n]<br />

140<br />

Die orientalischen Völker seien hierbei insofern eine Ausnahme, als sie „ihre geistige Raumscheu, ihren Instinkt<br />

für die Relativität alles Seienden“ (ebd., S. 16) durch alle Zeiten hindurch bewahrt hätten, „nicht wie bei den<br />

primitiven Völkern vor dem Erkennen, sondern über dem Erkennen“.<br />

141<br />

Ebd., S. 16.<br />

142<br />

Mit dem Zus<strong>am</strong>menhang von Orn<strong>am</strong>entik, „primitiver“ und asiatischer Kunst hatte sich auch Leo Popper,<br />

Lukács’ engster Freund der Jahre 1908 bis 1911, beschäftigt. Sein Aufsatz über „Ungarische Volkskunst“ von<br />

1908 erschien 1911 unter anderem Titel in der Fackel, kurz vor Leo Poppers Tod. Darin heißt es: „[V]or der inneren<br />

Fülle dieser Orn<strong>am</strong>ente, vor ihrer ernsten Geistigkeit fühlten wir auf einmal alle Grenzen zwischen Formkunst und<br />

Sinnkunst verwischt. [...] Die Wirkungen der Primitiven, der Asiaten und vor allem der Teppiche, sie alle bergen<br />

dieselbe Idee: daß nicht das Gleiche zum Gleichen sich gesellt, aber oft das Fremdeste zum Fernsten; daß, über alle<br />

Hemmnisse hinweg, die Form sich ihren Weg zur Seele sucht; und endlich: daß die Sinne nicht nach dem Sinn<br />

fragen, sondern nach dem Schein, um dann dem Schein den eignen Sinn zu schenken.“ (Leo Popper, „Volkskunst<br />

und Formgebung“, in: ders., Schwere und Abstraktion. Versuche. Berlin: Brinkmann & Bose, 1987, S. 21f.)<br />

143<br />

Ebd., S. 107.<br />

144<br />

Ebd., S. 104.<br />

145<br />

Ebd., S. 107.<br />

146<br />

Vgl. Wilhelm Worringer, Formprobleme der Gotik. München: Piper, 1911.<br />

147 Ebd., S. 27-35; S. 127.<br />

148 Ebd.<br />

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