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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Verlebendigung des Anorganischen und Einfühlung in das Unbelebt-Mechanische, und wiederum<br />

expressive Abstraktion.<br />

Wie ein Rahmen um diese unterschiedlichen Deutungen legt sich 3. das chiliastische Modell einer<br />

Kreisbewegung, einer Rückkehr zum Primitiven auf dem Niveau der höchsten rationalen Erkenntnis,<br />

ähnlich wie Kleist dies in seinem Aufsatz über das Marionettentheater entwickelt hatte. Dort heißt es<br />

über die Wiedergewinnung der natürlichen Grazie auf dem Stand des höchsten Bewusstseins: „Doch<br />

das Paradies ist verriegelt und der Cherub hinter uns; wir müssen die Reise um die Welt machen, und<br />

sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist.“ 117 Die Marionette dient dieser „Reise<br />

um die Welt“ als Gleichnis: der Gliedermann, dessen Bewegungen durch kein Bewusstsein getrübt<br />

ist. „‘Wir sehen, daß in dem Maße, als, in der organischen Welt, die Reflexion dunkler und<br />

schwächer wird, die Grazie darin immer strahlender und herrschender hervortritt. - Doch so, wie sich<br />

der Durchschnitt zweier Linien, auf der einen Seite eines Punkts, nach dem Durchgang durch das<br />

Unendliche entfernt hat, plötzlich wieder dicht vor uns tritt: so findet sich auch, wenn die Erkenntnis<br />

gleichs<strong>am</strong> durch ein Unendliches gegangen ist, die Grazie wieder ein; so, daß sie, zu gleicher Zeit, in<br />

demjenigen menschlichen Körperbau <strong>am</strong> reinsten erscheint, der entweder gar keins, oder ein<br />

unendliches Bewußtsein hat, d.h. in dem Gliedermann, oder in dem Gott.’ ‘ Mithin’, sagte ich ein<br />

wenig zerstreut, ‘müßten wir wieder von dem Baum der Erkenntnis essen, um in den Stand der<br />

Unschuld zurückzufallen?’ ‘Allerdings’, antwortete er; ‘das ist das letzte Kapitel von der Geschichte<br />

der Welt.’“ 118<br />

Worringer sieht in der Wiederkehr expressiver Abstraktion eine Rückkehr menschlichen<br />

Kunstwollens zur höchsten, gesetzmäßigen Form, die gerade dem „primitiven Menschen“ eigen sei,<br />

der „hilflos zwischen den Dingen der Außenwelt steht“ und ihnen Notwendigkeit zu verleihen sucht.<br />

„Bei dem primitiven Menschen ist gleichs<strong>am</strong> der Instinkt für das ‘Ding an sich’ <strong>am</strong> stärksten. [...] Erst<br />

nachdem der menschliche Geist in jahrtausendelanger Entwicklung die ganze Bahn rationalistischer<br />

Erkenntnis durchlaufen hat, wird in ihm als letzte Resignation des Wissens das Gefühl für das ‘Ding<br />

an sich’ wieder wach. Was vorher Instinkt war, ist nun letztes Erkenntnisprodukt.“ 119<br />

116 Worringer verwendet den Ausdruck explizit für die gotische Kunst (siehe S. 112).<br />

117 Heinrich v. Kleist, „Über das Marionettentheater“, in: ders., Werke. Zweiter Band. Berlin: Volksbühnen-Verlag,<br />

1927, S. 476.<br />

118 Ebd., S. 479.<br />

119 Worringer, Abstraktion und Einfühlung, S. 18.<br />

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