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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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1907 hatte Worringer, in erster Linie an Theodor Lipps und Alois Riegl anknüpfend und zugleich die<br />

zeitgenössische „Einfühlungslehre“ sprengend, eine Polarität zwischen organischen und anorganischen<br />

Formen, einen Dualismus zwischen Einfühlung und Abstraktion begründet, den er zugleich in einer<br />

Theorie des Ausdrucks, des „Selbstentäußerungstriebes“ 112 aufzuheben trachtete. Eine zweifellos<br />

nicht gänzlich balancierte Polarisierung, denn gegenüber dem Maßstab der Ausdrucksintensität<br />

erweist sich die Abstraktion immer wieder als vorrangig, als elementar.<br />

„Im Abstraktionsdrang ist die Intensität des Selbstentäußerungstriebes eine ungleich größere und<br />

konsequentere. Er charakterisiert sich hier nicht wie beim Einfühlungsbedürfnis als ein Drang, in der<br />

Betrachtung eines Notwendigen und Unverrückbaren erlöst zu werden vom Zufälligen des<br />

Menschseins überhaupt, von der scheinbaren Willkür der allgemeinen organischen Existenz. Das<br />

Leben als solches wird als Störung des ästhetischen Genusses empfunden.“ 113<br />

Der Polarität von Einfühlung und Abstraktion, die der gemeins<strong>am</strong>en Quelle des<br />

„Selbstentäußerungsbedürfnis“ entsprängen, entsprächen „Naturalismus und Stil“ 114 , die er beide von<br />

bloßer „Naturnachahmung“ unterschieden wissen will.<br />

Worringer stellt dem linearen Modell künstlerischer Entwicklung, wie auch jedem statischen Maßstab<br />

der Naturnachahmung, nicht nur diesen Dualismus, sondern unterschiedliche alternative Ordnungen<br />

entgegen, die nicht völlig zur Deckung zu bringen sind:<br />

1. Eine historische Reihe, die von der Kunst der „Primitiven“ über die orientalische Kunst, die<br />

Griechen, die Zwischenstationen Spätrom, Byzanz und Romanik zur „nordischen Gotik“, dem<br />

„letzten Stil“ 115 , und schließlich bis zur Renaissance reicht und für die Zukunft eine Wiederkehr<br />

expressiver Abstraktion 116 erwartet.<br />

2. Eine kulturgeographische und im Kern völkische Ordnung, die mit den Griechen Harmonie und<br />

organische Einfühlung, Pantheismus und Naturalismus, Rationalismus und Immanenz verbindet, mit<br />

den „Orientalen“ (Ägyptern, Juden) hingegen Abstraktion und Gesetzmäßigkeit, Dualismus und<br />

Transzendenz, Monotheismus und Erlösungsbedürfnis. Mit den „nordischen Völkern“ schließlich<br />

verbindet Worringer Naivität und Mystik, K<strong>am</strong>pf mit der Natur und innere Disharmonie,<br />

expressionistische Überspannung der Horizonte, jene denksinnliche Perspektivenerweiterung, jener geistige<br />

Vedutenrausch, jener synthetische Linienzug des Denkens, jene visionäre Schlagkraft der aufgesetzten Lichter,<br />

die in der gemalten Bildwelt des Expressionismus nur vorgegeben wurden“ (S. 30).<br />

112 Worringer, Abstraktion und Einfühlung, S. 23.<br />

113 Ebd.<br />

114 Ebd., S. 25ff.<br />

115 Ebd., S. 115.<br />

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