12.12.2012 Aufrufe

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Die dritte Option der Befreiung, die sich wie eine Spur durch Schöpferische Entwicklung<br />

hindurchzieht, bleibt hingegen noch nebulöser. Und hier greift er nach den schon genannten<br />

Naturgesetzen der Thermodyn<strong>am</strong>ik. Bergson stellt im Prozess der Entwicklungsgeschichte den<br />

beiden Gesetze der Wärmelehre - der „Erhaltung der Energie und der Energieentwertung“ 70 - die<br />

Tendenz des Lebens entgegen, Energie zu akkumulieren und d<strong>am</strong>it das Maß der Indeterminiertheit zu<br />

steigern. Besagt das Gesetz der Entropie, dass es der Materie eigentümlich sei, dass alle<br />

Energiequanten sich im Zeitverlauf ausgleichen, dass also das Reservoir nutzbarer Energie<br />

unweigerlich abnehme 71 , so „zielt das Leben im wesentlichen darauf, nutzbare Energie einzufangen,<br />

um sie in explosiven Akten auszugeben“. 72<br />

Grundlage des Lebens ist die “Aufspeicherung von Sonnenenergie“ 73 , und Bergson sieht in den<br />

Pflanzen vor allem ihre Funktion als Speicher dieser Energie, sei es als Brennstoff oder als<br />

Nahrungsquelle von Tier und Mensch (und d<strong>am</strong>it ja ebenfalls als Brennstoff): „[S]ie bilden eine Art<br />

Explosionsstoffe, die nur des Funkens warten, um die aufgespeicherte Kraft in Freiheit zu setzen.“ 74<br />

D<strong>am</strong>it aber, stellt er fest, ist das Ziel jenes Drangs des Lebens, der Notwendigkeit der physikalischen<br />

Kräfte die größtmögliche Summe von Indeterminiertheit „aufzuokulieren“, nicht in erster Linie,<br />

Energie zu schaffen, sondern sie zu verschwenden, ihre explosionsartige Verausgabung, ihre<br />

Verbrennung auszulösen. Bergson versucht dabei nicht, wie Simmel, die Wertphilosophie<br />

radikalisierend neu zu begründen. So trifft er auch kein abschließendes Werturteil über den „Sinn des<br />

Lebens“. Doch treibt ihn sei Denken, wie von selbst, auf die Figur des Opfers zu, des „Potlatsch“,<br />

der verschwenderischen Verausgabung als höchster Form der Freiheit. Georges Bataille hat die<br />

Ökonomie der Verschwendung, der Zerstörung, als „Verausgabung überschüssiger Energie“ 75<br />

beschrieben und dabei Opferrituale (von den Menschenopfern der Azteken 76 bis zum Speiseopfer),<br />

70<br />

Ebd., S. 246.<br />

71<br />

Auf diese Theorie sollten insbesondere in den siebziger Jahren dieses Jahrhundert zahlreiche Theoretiker des<br />

New Age und der Ökologiebewegung, mehr oder weniger apokalyptisch, Bezug nehmen. Die reale Wirkung des<br />

zweiten Satzes der Thermodyn<strong>am</strong>ik auf die zur Verfügung stehenden Energiequanten auf dem Planeten Erde<br />

erscheint angesichts der Ges<strong>am</strong>tenergie in unserem Sonnensystem und der voraussichtlichen „Brenndauer“ ihres<br />

Zentralgestirns für Fragen der menschlichen Zivilisation weit weniger relevant, als dies zuweilen behauptet wurde.<br />

72<br />

Ebd., S. 260.<br />

73<br />

Ebd., S. 259.<br />

74<br />

Ebd., S. 121.<br />

75<br />

Georges Bataille, Die Aufhebung der Ökonomie. München: Matthes & Seitz, 1985, S. 48: „Denn wenn wir nicht<br />

die Kraft haben, die überschüssige Energie selbst zu zerstören, die anderweitig nicht benutzt werden kann, so<br />

zerstört sie uns wie ein unzähmbares Tier, und wir selbst sind das Opfer der unvermeidlichen Explosion. [...] daher<br />

suchte man zu allen Zeiten, wenn auch unbewußt, fieberhaft nach Möglichkeiten der Entstauung.“<br />

76<br />

Bataille bringt die Menschenopfer der Azteken in Zus<strong>am</strong>menhang mit der Quelle allen Lichts und aller Energie:<br />

„Die Priester töteten ihre Opfer auf der Höhe der Pyr<strong>am</strong>iden. Sie legten sie auf einen Steinaltar und stachen ihnen<br />

ein Obsidianmesser in die Brust. Sie rissen das noch schlagende Herz heraus und hielten es zur Sonne empor. Die<br />

meisten Opfer waren Kriegsgefangene, was die Vorstellung rechtfertigte, daß Kriege zum Leben der Sonne<br />

60

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!