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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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ihm eben jene „Verstandesherrschaft“, jene „unbarmherzige Sachlichkeit“ 39 , die auch dem Gelde,<br />

dem Tauschwert eigentümlich sei und die schließlich in das seelische Kennzeichen des<br />

großstädtischen Lebens münde, in die „Blasiertheit“ 40 , die Gleichgültigkeit gegenüber dem „Wert der<br />

Unterschiede der Dinge“. 41<br />

Das Denken aus diesem Teufelskreis zu befreien, erschien Simmel nur möglich auf dem Wege<br />

systemsprengender Intuition.<br />

Den Begriff der Intuition, mit dem Simmel sich den Phänomenen der Kultur und dem sich darin<br />

realisierenden „Lebensprozeß“ annähern wollte, hatte er Henri Bergson entlehnt, dessen<br />

Intuitionismus und Voluntarismus großen Einfluß auf die Lebensphilosophie in Deutschland besaß.<br />

Bergson, so schreibt Simmel, habe nicht länger versucht, das Leben aus dem Mechanismus als seiner<br />

Voraussetzung abzuleiten, sondern „das umgekehrte: den Mechanismus aus dem Leben“. 42 So sei<br />

der Strom des Lebens, „die wahre Innerlichkeit der Dinge“ 43 , nur einer intuitiven Erkenntnis<br />

zugänglich: „Intuition bedeutet, daß das Leben nur vom Leben begriffen werden kann [...].“ 44<br />

Henri Bergson hatte die Tendenz der Versachlichung, die auch Simmel zum Ausgangspunkt seines<br />

Denkens nahm, den Prozess der Entäußerung des Lebens in den Dingen, als<br />

schöpfungsgeschichtliche Notwendigkeit beschrieben und zugleich zu unterlaufen versucht. Anders<br />

als Simmel entwickelte Bergson seine Entwicklungsgeschichte des Lebens 45 und seine Theorie des<br />

menschlichen Bewußtseins 46 auf der Basis eines selbstbewußten Dualismus 47 , der die Formen des<br />

Lebens, die Organismen und erst recht die anorganische Materie als etwas kennzeichnet, das dem<br />

Fluss des Lebens, der „reine[n] Dauer“ 48 als Behältnis, als Vehikel, als Mittel dient. 49 „Leben“<br />

39<br />

Ebd., S. 194.<br />

40<br />

Ebd., S. 196.<br />

41<br />

Ebd.<br />

42<br />

Georg Simmel, „Henri Bergson“, in: Zur Philosophie der Kunst. Potsd<strong>am</strong>: Gustav Kiepenheuer, 1922, S. 133.<br />

43 Simmel, Der Konflikt der modernen Kultur, S. 20.<br />

44 Simmel, „Henri Bergson“, S. 143.<br />

45 In seinem Buch Schöpferische Entwicklung. Jena: Eugen Diederichs, 1921 [Originalausgabe: L’évolution<br />

créatrice, 1907].<br />

46 In seinem Buch Materie und Gedächtnis. Eine Abhandlung über die Beziehung zwischen Körper und Geist.<br />

<strong>Frankfurt</strong>/M./Berlin/Wien: Ullstein, 1982 [franz. Originalausgabe: Matière et mémoire, 1896].<br />

47 Materie und Gedächtnis beginnt in dieser Hinsicht geradezu mit einem Bekenntnis: „Dieses Buch bejaht die<br />

Realität des Geistes und die Realität der Materie und versucht die Beziehung zwischen beiden klarzulegen an dem<br />

speziellen Beispiel des Gedächtnisses. Es ist also ausgesprochen dualistisch.“ (Vorw. zur 7. Auflage, S. I)<br />

48 Bergson, Schöpferische Entwicklung, S. 204.<br />

49 „Gelänge es aber einwandfrei festzustellen, daß der Gehirnvorgang nur einem ganz kleinen Teil des<br />

Gedächtnisses entspricht, daß er eher dessen Wirkung als seine Ursache ist, daß die Materie hier wie überall das<br />

Vehikel einer Tätigkeit und nicht das Substrat einer Erkenntnis ist, dann wäre unsere These ausgerechnet an dem<br />

56

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