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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Phänomen werden kann.“ 19 Simmels „Lebenstotalität“ bleibt ein Paradox, denn es ist ihm gerade<br />

darum zu tun, die Selbstentfremdung des Lebens, die Differenzierungsprozesse der Gesellschaft, die<br />

Objektivationen in Kultur und Technik, die dem Menschen als „Aufgedrungenes“ 20 erscheinen, jene<br />

„Tragödie der Kultur“ 21 als daseinsnotwendig und d<strong>am</strong>it als Teil der Lebenstotalität selbst zu<br />

kennzeichnen. Simmels Denkbewegung erwirbt auf diesem Weg ein bis dahin ungekanntes<br />

Sensorium für die kulturellen Alltagspraktiken und Vergegenständlichungen, für Formen der<br />

Vergesellschaftung und Ausdifferenzierung von Wertsphären (hier durchaus Weber verwandt) und<br />

gesellschaftlichen Praxisfeldern. Doch Simmel erkauft diese philosophische Soziologie der Kultur um<br />

einen hohen Preis. Seine Suche umkreist, wie Michael Reiter schreibt, das Absolute als eine<br />

„machtvolle Szene, in der das Subjekt anwesend und mit der es ganz und gar identifiziert ist, die das<br />

Subjekt ergreift und erschüttert und der es sich nicht distanzierend und relativierend zu entziehen<br />

vermag.“ 22 Seine Suche gilt einer „Urszene“, doch keiner biographisch verbürgten, eher einem<br />

Erlebnis jenseits der Erlebnisse. „Sie schickt das Subjekt auf die Suche nach etwas, bei der es aber<br />

nicht weiß, was es eigentlich sucht. Sie versetzt das Subjekt in einen gespannten Zustand der<br />

Trennung, in dem es nicht anzugeben weiß, wovon es getrennt ist.“ 23 Die philosophischen und<br />

soziologischen Schriften Simmels umkreisen einen solchen Punkt und weichen ihm zugleich aus, und<br />

es war dieses „ungeheuer produktive, aber dennoch fortschrittslose Kreisen um eine Leerstelle“ 24 ,<br />

das Simmels „Schüler“ Balázs, Lukács und Bloch in eine <strong>am</strong>bivalente Faszination verstrickte,<br />

schließlich aber zum scheinbar radikalen Bruch mit ihm führte.<br />

Wie in seiner Schrift über Rembrandt (und die schon 1910 veröffentlichte Metaphysik des Todes<br />

aufnehmend und erweiternd) begründet Simmel auch in seinen kurz vor dem Kriege verfassten<br />

metaphysischen Schriften noch einmal die Lebenstotalität mit ihrer Grenze, dem Tod. „Dadurch, daß<br />

das Lebendige stirbt, daß das Sterben mit seiner Natur selbst (gleichviel ob aus begriffener oder<br />

noch nicht begriffener Notwendigkeit heraus) gesetzt ist, bekommt sein Leben eine Form.“ 25 Indem<br />

das Leben den Tod als seinen Gegensatz, „als das ‘Andere’“ 26 aus sich heraussetzt, ohne den es<br />

19 Ebd., S. 7.<br />

20 Ebd.<br />

21 Vgl. Georg Simmel, „Der Begriff und die Tragödie der Natur“[1911], in: ders., Das individuelle Gesetz.<br />

Philosophische Exkurse. Hg. von Michael Landmann. <strong>Frankfurt</strong> <strong>am</strong> <strong>Main</strong>: Suhrk<strong>am</strong>p, 1968, S. 116-147.<br />

22 Michael Reiter, Opferordnung, S. 196.<br />

23 Ebd.<br />

24 Ebd., S. 197.<br />

25 Simmel, Lebensanschauung, S. 99.<br />

26 Ebd., S. 111.<br />

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