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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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selbstentfremdenden Lebens, so war „Simmel eher Anreger als Systematiker [...] eher<br />

philosophierender Zeitdiagnostiker mit sozialwissenschaftlichem Einschlag als ein solide im<br />

Wissenschaftsbetrieb verwurzelter Philosoph und Soziologe“. 12 Seine philosophische Suchbewegung<br />

begann bei naturwissenschaftlichen Empirismus und Evolutionismus und führte über die<br />

neukantianische Transzendental- und Wertephilosophie schließlich zu einer Existenzphilosophie, die<br />

sich „dem ästhetischen Rekonstruktionsversuch einer Ordnung unbedingt geltender ‘Werte’<br />

widmete.“ 13<br />

Im hochgradig aufgeladenen Begriff des „Lebens“ versuchte er die normativen Setzungen der<br />

Metaphysik des „Sollens“ mit dem „Sein“ zu versöhnen, in der Figur des „individuellen Gesetzes“ das<br />

„Sollen“ den empirischen Gestalten als Wesenheit substantiell einzuschreiben: „was einander<br />

gegenübersteht, ist nicht das Leben und das Sollen, sondern die Wirklichkeit des Lebens und sein<br />

Sollen“. 14 Das Sollen ist für Simmel selbst die „Form des Lebens“ 15 , das Gesetz des<br />

„Lebensprozesses“ - kein von außen herangetragener Anspruch, kein dualistisch entgegengesetzter<br />

Geist, keine Abstraktion, sondern die Totalität des Lebens selbst. Simmel positioniert seinen Begriff<br />

des Lebens - als Einheit von Sollen und Sein, von Form und Physis - gleichermaßen gegen den<br />

idealistischen Dualismus wie gegen jeden mechanistischen Monismus. Dabei zielt Simmel auf das<br />

Paradox einer „bewegliche[n] Absolutheit“ 16 , einer gleichs<strong>am</strong> verflüssigten Totalität, die den<br />

unbedingten Anspruch des individuellen Gesetzes, des dem Leben innewohnenden Sollens, mit der<br />

Unberechenbarkeit seiner Objektivationen zu verbinden trachtet. Und er bezieht diesen Begriff von<br />

Lebenstotalität sowohl auf individuelle Physiognomie und Charakterologie - „Warum sollte der<br />

Wechsel der Wesensfarbe im Laufe der Lebensentwicklung nicht ebenso eine Angeborenheit sein,<br />

wie die vorgebliche Einfarbigkeit des Charakters?“ 17 - wie auch auf den „geschichtlichen<br />

Kulturprozess“ 18 als ganzes und seine wirtschaftlichen Entwicklungen: „Es ist das Leben selbst [...]<br />

mit seinem Drängen und Überholen-Wollen, seinem Sich-Wandeln und Differenzieren, das die<br />

Dyn<strong>am</strong>ik zu der ganzen Bewegung hergibt, das aber, an sich formlos, doch nur als Geformtes zum<br />

12<br />

Jürgen Habermas, „Simmel als Zeitdiagnostiker“, in: Simmel, Philosophische Kultur, S. 244.<br />

13<br />

Michael Reiter, Opferordnung. Vom Unbehagen in der modernen Kultur zur Faszination der Gewalt im Ersten<br />

Weltkrieg. Dissertation. Freie <strong>Universität</strong> Berlin 1997, S. 199.<br />

14<br />

Georg Simmel, Lebensanschauung. Vier metaphysische Kapitel. München/Leipzig: Duncker & Humblot, 1918,<br />

S. 156.<br />

15<br />

Ebd., S. 182.<br />

16<br />

Ebd., S. 171.<br />

17<br />

Ebd., S. 211.<br />

18<br />

Georg Simmel, Der Konflikt der modernen Kultur. Ein Vortrag. München/Leipzig: Duncker & Humblot, 1926<br />

[1918], S. 6.<br />

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