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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Bloch und Wilhelm Worringer 7 , Bernhard Groethuysen und viele andere. Georg Lukács wies in<br />

seinem Nachruf auf Georg Simmel freilich daraufhin, wie fragil Simmels Anziehung gewesen war:<br />

„Simmel hat keine ‘Schüler’ gehabt wie Cohen, Rickert oder Husserl; er war ein großer Anreger,<br />

aber weder ein großer Erzieher, noch - und dies führt uns gleich dem Zentrum seines Wesens näher -<br />

ein wirklicher Vollender.“ 8<br />

Simmel hatte „wie kein anderer Soziologe und Kulturphilosoph [...] alle Lagen und Wechselströme<br />

des ‘Zeitgeistes’ der Jahrhundertwende in seinen eigenen Schriften reflektiert und produktiv<br />

verarbeitet.“ 9 Er hatte sich wie kaum ein anderer dabei auf die „Objektivation des Lebens“, auf das<br />

„Wesen des Geschichtlichen“ eingelassen, wie Dilthey es angedeutet hatte, ohne die Konsequenz<br />

daraus selbst zu ziehen: „Von der Verteilung der Bäume in einem Park, der Anordnung der Häuser in<br />

einer Straße, dem zweckmäßigen Werkzeug des Handwerkes bis zu dem Strafurteil im<br />

Gerichtsgebäude ist um uns stündlich geschichtlich Gewordenes.“ 10<br />

Simmel schrieb Essays über Gegenstände des Alltags, über Teetassen und Bildrahmen, über die<br />

„Philosophie der Landschaft“ und die „Soziologie der Mahlzeit“, er hatte, wie Adorno schrieb, „als<br />

erster, bei allem psychologischen Idealismus, jene konkrete Rückwendung der Philosophie auf<br />

konkrete Gegenstände vollzogen, die kanonisch blieb für jeden, dem das Klappern von<br />

Erkenntniskritik und Geistesgeschichte nicht behagte“. 11 Erwies er sich so weniger als Theoretiker<br />

der von ihm gesuchten neuen Totalität, des ersehnten ‘Absoluten’ jenseits des sich<br />

6<br />

Ebd., S. 11.<br />

7<br />

Worringer selbst hat die Wirkung Simmels auf ihn eher als mystisches Phänomen dargestellt. Als Student der<br />

Kunstgeschichte auf Studienreise in Paris, im Trocadero-Museum die „Faltengebung“ mittelalterlicher Plastiken<br />

betrachtend, habe er überrascht auch Georg Simmel unter den Besuchern im Saal bemerkt. D<strong>am</strong>als habe sich „der<br />

sturzartige Geburtsakt jener Gedankenwelt in mir vollzogen“, der in Abstraktion und Einfühlung mündete.<br />

(Wilhelm Worringer, „Zur Entstehung. Vorwort zur Neuausgabe 1948“, in: ders., Abstraktion und Einfühlung: ein<br />

Beitrag zur Stilpsychologie. Amsterd<strong>am</strong>: Verlag der Kunst, 1996, S. 10) Simmel wäre später, nichts wissend von<br />

dieser „atmosphärisch-fluidalen [...] Berührung“ (S. 13) von Paul Ernst auf Worringers Dissertation aufmerks<strong>am</strong><br />

gemacht worden und unter den ersten gewesen, die seine Arbeit wirklich verstanden hätten. Es entwickelte sich<br />

daraus eine nahe persönliche Beziehung.<br />

8<br />

Georg Lukács, „Georg Simmel“, in: Pester Lloyd, Nr. 230, 2.10.1918, S. 2. Simmel selbst hat in seinem Tagebuch<br />

ganz ähnlich über sich geurteilt: „Ich weiß, daß ich ohne geistigen Erben sterben werde (und es ist gut so). Meine<br />

Hinterlassenschaft ist wie eine in barem Gelde, das an viele Erben verteilt wird, und jeder setzt sein Teil in irgend<br />

einen Erwerb um, der seiner Natur entspricht: dem die Provenienz aus jener Hinterlassenschaft nicht anzusehen<br />

ist.“ (Georg Simmel, „Aus dem nachgelassenen Tagebuche“, in: ders., Fragmente und Aufsätze aus dem<br />

Nachlaß. Mit einem Vorwort von Gerrud Kantorowicz. München: Drei Masken Verlag, 1923, S. 1)<br />

9<br />

Klaus Lichtblau, Kulturkrise und Soziologie um die Jahrhundertwende. Zur Genealogie der Kultursoziologie<br />

in Deutschland. <strong>Frankfurt</strong> <strong>am</strong> <strong>Main</strong>: Suhrk<strong>am</strong>p, 1996, S. 203f.<br />

10<br />

Wilhelm Dilthey, „Die Objektivation des Lebens“, in: ders., Die Philosophie des Lebens. Eine Auswahl aus<br />

seinen Schriften 1867-1910. <strong>Frankfurt</strong> <strong>am</strong> <strong>Main</strong>: Klostermann, 1946, S. 84.<br />

11<br />

Theodor W. Adorno, „Henkel, Krug und frühe Erfahrung“, in: ders., Noten zur Literatur [Ges<strong>am</strong>melte Schriften<br />

11]. <strong>Frankfurt</strong> <strong>am</strong> <strong>Main</strong>: Suhrk<strong>am</strong>p, 1974, S. 558.<br />

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