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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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2.3 Westen, Abendland oder neues Heidentum ?<br />

Ungarische Aufbrüche um 1900<br />

Woraus aber sollte das ersehnte neue Ungartum erstehen, von dem Balázs, Bartók, Kodály und Ady<br />

<strong>am</strong> Anfang des Jahrhunderts träumten? Mit welchen Utopien ungarischer Erneuerung traten sie in<br />

Konkurrenz, in welche Widersprüche gerieten sie?<br />

„Ich erzählte ihm von meinen geheimen, heiligsten Träumen, über die ich noch nie geredet oder<br />

geschrieben habe“, so notiert Balázs im August 1905 über seine Gespräche mit Kodály. „Über die<br />

große ungarische Kultur, die wir erschaffen müssen, die in die europäische Entwicklung hinein eilen<br />

muß, um zu führen, wie alle bislang führten. Die englische, die französische, die deutsche. Wie jetzt<br />

die norwegische, von der zuvor niemand etwas wußte - warum nicht die ungarische? [...] Über den<br />

K<strong>am</strong>pf gegen alles, was es gibt. [...] Die große ungarische Kultur. Ein neuer ‘Sturm und Drang’-<br />

Schulterschluß, eine geistige Revolution, die diesen Unrat ausmerzen soll: die Journalisten-Kunst, die<br />

Wissenschaft von Possenreißern, um an deren Stelle eine lebendige, neue, große Kunst, große<br />

Wissenschaft, eine neue, große Kultur zu bauen, mit der man an die europäische Entwicklung<br />

anschließen kann und nicht mehr zum obskuren Balkan gehören muß, der bloß wegen seines Weines,<br />

seiner Pferde und der Zahl seiner Juristen berühmt ist. Ich sprach zu ihm vom Bündnis [...]. Über die<br />

Kunst-Religion, die diese neue Kultur besitzen soll. Mit dem Konzertsaal, der Gemäldegalerie oder<br />

dem Theater als Tempel.“ 81 Und Balázs träumt wie noch so oft von einem „Geheimbund“ 82 , geführt<br />

von ihm selbst, der den Weg zu diesem Ziel freikämpfen soll.<br />

Kodály reagiert wenig enthusiastisch: „Was ich sage sei kindischer Irrsinn. Ich soll d<strong>am</strong>it aufhören,<br />

wenn ich mich nicht für immer lächerlich machen will.“ 83<br />

Balázs setzt sich zunächst, in ähnlicher Weise wie die Mehrheit der kritischen Intellektuellen Ungarns<br />

seiner Zeit, die Integration in die europäische Kultur des „Westens“ als Ziel. Doch schon die<br />

ideologische Bedeutung des entsprechenden ungarischen Begriffs „Nyugat“ ist mehrdeutig. So kann<br />

„Westen“ auch als „Abendland“ begriffen werden und d<strong>am</strong>it auch das „christliche Abendland“ in<br />

Gänze andeuten. Nyugat, so hieß schließlich auch die wichtigste liberale, links-bürgerliche<br />

81 Balázs, Napló 1903-1914, S. 219f. Eintrag vom 22.8.1905.<br />

82 Ebd., S. 219.<br />

83 Ebd., S. 220.<br />

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